Forensik und Biometrie zur Benutzererkennung

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Forensik und Biometrie zur Benutzererkennung
Forensik und Biometrie zur
Benutzererkennung
Claus Vielhauer1,2 · Ralf Steinmetz2 · Tobias Scheidat1
1
Otto-von-Guericke Universität Magdeburg
[email protected] · [email protected]
2
Technische Universität Darmstadt
{claus.vielhauer | ralf.steinmetz}@kom.tu-darmstadt.de
Zusammenfassung
Die eigenhändige Unterschrift als Authentifizierungsmerkmal ist seit Jahrhunderten rechtlich und gesellschaftlich anerkannt und wird bereits seit vielen Jahrzehnten im forensischen Bereich zur Schreiberidentifikation herangezogen. Die in den letzten Jahren entwickelten Ansätze zur biometrischen
Benutzerauthentifikation beruhen zum Teil ebenfalls auf Charakteristiken der Handschrift, beispielsweise bei der automatischen Unterschriftsverifikation. In diesem Beitrag werden systematisch Merkmale der Handschrift aufgezeigt, die im Bereich der forensischen Handschriftenuntersuchung veröffentlicht wurden und dargelegt, welche dieser Eigenschaften in Form von biometrischen Merkmalen
zur Benutzerverifikation adaptiert werden können. Es wird ein Benutzerverifikationsverfahren basierend auf einer Menge von 14 Merkmalen aus der Forensik vorgestellt, welches in ein biometrisches
Verifikationsverfahren integriert wird. Die Verifikationsergebnisse dieser forensischen Merkmale
werden in ausführlichen Tests denen von nicht-forensisch begründbaren Merkmalen gegenübergestellt
und es wird gezeigt, dass signifikante Verbesserungen in den Falscherkennungsraten durch den Einbezug der Forensik erreichbar sind.
1 Einleitung
Seit Hunderten von Jahren ist die eigenhändige Unterschrift als Authentifizierungsmerkmal
rechtlich und gesellschaftlich anerkannt. Grund hierfür ist die Einzigartigkeit der Handschrift
einer Person. Zwar kann ein Fälscher mit etwas Übung die Text- oder Unterschrift einer anderen Person optisch nachahmen, allerdings sind typische Spuren, die dem (gelernten) Verhalten
des Fälschungsopfers entspringen, schwer zu kopieren. Dazu zählt zum Beispiel der Druck,
mit dem der Stift am Anfang oder innerhalb von Wörtern bzw. Buchstaben aufgesetzt wird.
Auch die Art und Weise, wie ein Schreiber unbewusst oder auch bewusst Worte, Buchstaben
oder Buchstabenteile mit einander verbindet, ist ein spezifisches Merkmal für diese Person. In
der forensischen Schriftuntersuchung gehen Spezialisten diesen und anderen Merkmalen auf
den Grund, um die Echtheit von Unterschriften oder Schriftstücken zu beweisen oder zu widerlegen. Im Bereich der wissenschaftlichen forensischen Schriftuntersuchung existiert eine
Vielzahl von Verfahren, die basierend auf physischen Handschriftproben zur Bestimmung des
Schreibers vorgeschlagen werden [CoSt89].
Durch Computer und Hardware wie Digitalisiertabletts, Druck sensitive Displays bei Personal
Digital Assistants (PDAs) oder Tablett PCs stehen heute viele Möglichkeiten offen, um
Handschriften digital zu erfassen und zu verarbeiten. Bei der computerbasierten Erfassung
P. Horster (Hrsg.) · D•A•CH Security 2004 · syssec (2004) 192-205.
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von Handschriften ist es deshalb möglich, schon bei der Aufzeichnung der Handschrift dynamische Merkmale zu registrieren, die bei der forensischen Untersuchung geschätzt oder sehr
umständlich gemessen werden müssen. Im Zusammenhang mit diesen neuen Möglichkeiten
der Aufzeichnung sowohl des Vorgangs des Schreibens als auch des resultierenden Schriftzuges wird seit etwa zwei Jahrzehnten die Disziplin der dynamischen biometrischen Handschrifterkennung verfolgt, welche beispielsweise Einsatz im Bereich der elektronischen Signaturen finden kann [ViSt03]. Dabei werden aus den aufgezeichneten physikalischen Messgrößen des Schreibvorgangs Merkmale bestimmt, welche beispielsweise auf der Geschwindigkeit, dem Druck oder der Winkelveränderung des Stiftes während des Schreibvorgangs
basieren. Heute findet sich eine Vielzahl von biometrischen Verfahren zur Schreiberverifikation, eine umfassende Übersicht findet sich beispielsweise in [GuCa97].
Obwohl die wissenschaftlichen Disziplinen der forensischen Schriftuntersuchung und der
handschriftbasierten Biometrie aufgrund ihrer Natur eine nahe Verwandtschaft vermuten lassen, finden sich wenige disziplinübergreifende Ansätze zur Schreiberverifikation. So finden
sich Untersuchungen zur forensischen Verifikation des Schreibers auf Basis biometrischer
Verfahren unter Betrachtung eines vollständigen Schriftsatzes, wie beispielsweise eines Briefes [SrCL02]. Ansätze im Bereich der Security konnten von den Autoren jedoch nicht ausfindig gemacht werden.
Dieser Beitrag soll zeigen, inwieweit Ansätze und Methoden der forensischen Schriftuntersuchung auf die computerbasierte biometrische Benutzerauthentifizierung übertragen werden
können. Neben Ergebnissen quantitativer Untersuchungen, wie Adaption etablierter Untersuchungstechniken aus der Forensik in die Biometrie und der Untersuchung ihrer Eignung im
Experiment, werden wir im Beitrag auch auf qualitative Aspekte eingehen. Mithilfe dieser
qualitativen Erwägungen wird eine Zuordnung von Kenngrößen aus beiden Disziplinen möglich, welche bei nicht-technischen Begutachtungen von biometrischen Systemen hilfreich sein
können. Unser Beitrag ist dabei wie folgt gegliedert: zunächst geben wir im folgenden Kapitel
einen Überblick über Ziele der forensischen Handschriftenuntersuchung und stellen wichtige
Grundkomponenten der forensischen Analyse vor. Im dritten Kapitel werden wir kurz auf die
Merkmalsbildung basierend auf Online-Handschriften eingehen, um dann in Kapitel vier eine
Zuordnung von forensischen und biometrischen Kenngrößen vorzustellen und qualitativ zu
diskutieren. Im fünften Kapitel werden wir aktuelle Testergebnisse für die vorgestellten ausgewählten Merkmale präsentieren und im letzten Kapitel den Beitrag zusammenfassen und
einen Ausblick auf zukünftige Arbeiten geben.
2 Forensische Handschriftenuntersuchung
Die forensische Handschriftenuntersuchung befasst sich mit der Untersuchung der Echtheit
von handschriftlich entstanden bzw. erweiterten Dokumenten. Zu diesen Dokumenten zählen
zum Beispiel Verträge, Quittungen oder anonyme Schreiben. Wichtige Schriftkomponenten
bei der Untersuchung eines Schecks sind beispielsweise der Betrag in Worten bzw. Ziffern
und die Unterschrift. Dabei kann überprüft werden, ob die drei Angaben von ein und derselben Person stammen, ob die Unterschrift dem Inhaber des Kontos gehört oder ob einzelne
Angaben (z.B. der Betrag) nachträglich verändert wurden. Die Art und der Umfang der Untersuchung hängen vom Auftraggeber ab. Es ist offensichtlich nicht immer erforderlich, alle
möglichen Kombinationen zu überprüfen. So reicht es sicherlich bei einem Streitfall um einen
angegeben Geldbetrag in einem handgeschriebenen Vertragsdokument, nur diesen auf eventuelle Manipulation hin zu untersuchen. Dabei ist es nicht erforderlich, die Unterschriften
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unter diesem Dokument zu überprüfen, wenn die streitenden Parteien deren Echtheit nicht
anzweifeln. Ebenfalls beschäftigt sich die forensische Handschriftenuntersuchung mit der
Bestimmung der zeitlichen Reihenfolge der Entstehung von mehreren Dokumenten als auch
von mehreren Textteilen eines Dokumentes. So wird zum Beispiel überprüft, in welcher Reihenfolge zwei nicht bzw. unzureichend datierte Testamente geschrieben wurden, um das gültige zu ermitteln. Genauso wichtig kann es sein, ob ein nachträglicher Zusatz unter einem
Testament vom Erblasser selbständig bzw. unter Führung seiner Hand durch eine andere Person oder überhaupt von einer anderen Person geschrieben wurde.
2.1 Die grafischen Grundkomponenten der Schrift
Zur systematischen Analyse von Handschriften werden in der forensischen Untersuchung
grundsätzliche Ausprägungen herangezogen. In diesem Abschnitt stellen wir kurz die wichtigsten dieser Grundkomponenten vor, die von uns in der Literatur bei [Mich82] und [Seib99]
vorgefunden wurden.
Strichbeschaffenheit
Bei der Untersuchung des Strichs als Grundbestandteil der Schrift spielen die materialtechnischen Bedingungen eine große Rolle. Die Strichbeschaffenheit ist nicht nur abhängig vom
Schreiber, sondern auch vom Schreibgerät, Schriftträger und der Schreibunterlage. Zur Beurteilung der Strichbeschaffenheit ist in den meisten Fällen eine Vergrößerung des Materials
notwendig, um auch kleinste Merkmale erkennen und auswerten zu können.
Abb. 1: Bewegungsvorschläge und Bewegungsrückschläge [Mich82]
Beispiele hierfür sind die Bewegungsvorschläge und Bewegungsrückschläge, wie in Abbildung 1 verdeutlicht. Dabei handelt es sich um minimale Striche, die beim Auf- bzw. Absetzen
des Stiftes entstehen und sehr Schreiber spezifisch sind.
Druckgebung
Bei der Begutachtung der Druckgebung wird untersucht, wie stark das Schreibgerät auf den
Schriftträger aufgedrückt wurde. Die Druckspuren im Papier sind abhängig vom Schreiber,
vom Schreibgerät und von der Schreibunterlage. Der genaue Schreibdruck kann nur während
des Schreibens durch spezielle Geräte festgestellt werden. Bei einem bereits fertigen Schriftstück kann der Druck zum Beispiel anhand der Tiefe der Druckrillen auf dem Papier geschätzt
werden. Dabei ist zu beachten, dass eine weichere Schreibunterlage ebenso zu tieferen Rillen
führen kann wie hartes Schreibgerät (z.B. ein Bleistift). Weitere Anhaltspunkte bei der Untersuchung des Druckes sind die Strichbreite, der Einfärbungsgrad und bei Federn der Grad der
Federspreizung.
Bewegungsfluss
Beim Bewegungsfluss werden Aspekte von Geschwindigkeit oder Zeit, aber auch der Grad
der Verbundenheit oder Verknüpfung von Buchstaben beurteilt. Die Bewegung kann während
des Schreibvorganges (fast) ununterbrochen fließen, oder er wird häufig unterbrochen und die
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Schreibgeschwindigkeit ist dadurch gering. Die Tempomerkmale einer Schreibleistung lassen
sich nicht nachträglich sondern nur bei ihrer Erbringung messen. Im anderen Fall müssen sie
vom Gutachter geschätzt werden.
Bewegungsführung und Formgebung
Diese graphische Grundkomponente befasst sich mit der Fragestellung, wie der Schreiber die
Schulvorlage, nach der er das Schreiben erlernt hat, verarbeitet und angewendet hat. Welche
Bestandteile wurden von ihm übernommen und welche hat er an seine persönliche Art zu
schreiben angepasst.
Die elementaren Schreibbewegungen einer jeden Schulvorlage bestehen aus der linienzügigen (geraden), bogenzügigen (runden) Bewegungsführung und sich daraus ergebenden
Mischformen, wie exemplarisch in Abbildung 2 nach [Mich82] dargestellt. Da bei der linienzügigen Bewegung Richtungsänderungen winklig erfolgen, wird diese auch als winkelzügig
bezeichnet.
Abb. 2: reine Linienzügigkeit, Mischform, reine Bogenzügigkeit (v.l.) nach [Mich82]
Bewegungsrichtung
Unter der Grundkomponente Bewegungsrichtung wird die Bewegungsentfaltung in den vier
Schreibrichtungen zusammengefasst. Dazu zählen die Winkel eines Wortes zu einer Grundlinie, des gesamten Textes zum Papier oder der einzelnen Buchstaben genauso wie die Reihenfolge in der die Bestandteile eines Buchstaben oder Wortes geschrieben wurden. Die Abbildung 3 zeigt unterschiedliche Bewegungsabläufe beim Schreiben eines Buchstaben.
Abb. 3: Unterschiedliche Bewegungsabfolge bei gleicher Grundform [Mich82]
Vertikale Ausdehnung
Die vertikale Ausdehnung erfasst die Größe und die Größenproportionen der Schrift. Hierbei
wird unter anderem die Anpassung bzw. Nichtanpassung an die vorgegebenen Flächenverhältnisse untersucht. So kann es für eine Person typisch sein, dass sie ungeachtet des zur Verfügung stehenden Platzes ihre Unterschrift immer in derselben Größe schreibt. Ist die Unterschrift auf einem fraglichen Formular jedoch der Größe des Vorgaberechtecks angepasst,
kann dies auf eine Fälschung hinweisen.
Horizontale Ausdehnung
Bei der horizontalen Ausdehnung werden die primäre Weite (Buchstabenbreite) und die sekundäre Weite (Buchstabenabstände) betrachtet. Dabei ist das Verhältnis von Schriftweite zu
deren Größe von Bedeutung. Bei der Untersuchung der horizontalen Ausdehnung sollte vor
allem auf Dehnungen und Pressungen innerhalb und zwischen den Buchstaben geachtet werden. Wichtig dabei ist, ob diese an gleiche oder gleichartige Buchstaben und Buchstabenverbindungen oder bestimmte Positionen gebunden sind oder einen gleichartigen unregelmäßigen Wechsel zeigen.
196
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Vertikale Flächengliederung
Diese grafische Grundkomponente beschreibt, wie die Schreibleistung in Bezug auf die Waagerechte in die zur Verfügung stehende Fläche eingepasst wurde. Je nach den Ausgangsvoraussetzungen für den Schriftträger und die zu erbringende Schreibleistung kann die Möglichkeit zur Entfaltung der Schrift sehr unterschiedlich sein. Die größten Entfaltungsmöglichkeiten bietet ein leeres unliniertes Blatt ohne Vorgabe, was die Person schreiben soll. Wird jedoch eine Unterschrift verlangt, die in einem kleinen Rechteck in einem Formular zu leisten
ist, sind die Entfaltungsmöglichkeiten des Schreibers stark eingeschränkt.
Horizontale Flächengliederung
Die allgemeinen Erläuterungen für die vertikale gelten entsprechend auch für die horizontale
Flächengliederung, natürlich wird hier die Senkrechte betrachtet.
Sonstige Merkmale
Weiters sollte beim Schriftvergleich auf sonstige Auffälligkeiten geachtet werden. Wichtige
Merkmale sind hier Orthographie, Interpunktion oder andere individuelle Besonderheiten, wie
zum Beispiel Abkürzungen oder Datumsangaben. Andere Beispiele für Auffälligkeiten sind
Sicherungsstriche bei Betragsangaben, Unterstreichungen oder Durchstreichungen.
3 Biometrische Merkmale der Handschriftdynamik
In diesem Abschnitt geben wir einen grundsätzlichen Überblick über Merkmale, die aus der
Erfassung der Handschriftdynamik beim Schreibvorgang abgeleitet und zur biometrischen
Benutzerauthentifizierung herangezogen werden können. Neben funktionsbasierten und strukturellen Auswertungen existiert hier die Möglichkeit der statistischen Analyse dieser Größen,
auf welche wir uns konzentrieren werden. Diese Größen werden aufgrund von statistischen
Auswertungen der Signale, die beim Schreibvorgang aufgezeichnet werden, bestimmt. Dabei
kann entweder das zeitlich vollständige Signal, d.h. vom ersten Aufsetzen beim Schreibvorgang bis zum letzten Absetzen, herangezogen werden (globale Merkmale), oder eine Partitionierung der Eingangssignale vorgenommen werden (lokale Merkmale).
Moderne Digitalisiertabletts wie die von uns eingesetzten (siehe Kapitel 5) liefern i.d.R. bis
zu fünf unabhängige Schreibsignale:
• x(t): horizontales Positionssignal des Stiftes
• y(t): vertikales Positionssignal des Stiftes
• p(t): Signal des Druckverlaufs, ausgeübt auf die Spitze des Stiftes
• Φ(t): Höhenwinkel des Stiftes über dem Tablett
• Θ(t): Seitenwinkel des Stiftes über dem Tablett
Basierend auf diesen physikalischen Messgrößen läßt sich für aufgezeichnete handschriftliche
Eingaben eine Vielzahl von statistischen Größen mathematisch bestimmen. Abbildung 4 veranschaulicht die physikalischen Messgrößen sowie den Prozess der Merkmalsextraktion.
Beispiele für statistische Größen sind Gesamtschreibdauer TTotal, Durchschnittliche Schreibgeschwindigkeit in horizontaler Richtung (Vx) oder in vertikaler Richtung (Vy). Die statistische Auswertung der Messsignale erlaubt die Bestimmung einer Vielzahl von Größen, so
wurden bislang im Kontext der Forschungsarbeit der Autoren insgesamt 69 unterschiedliche
Merkmalswerte ermittelt und prototypisch im Evaluierungssystem implementiert, welche jedoch an dieser Stelle aus Platzgründen nicht alle aufgezeigt werden können.
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φ(t)
Signals:
Θ(t)
x(t), y(t),
p (t),
θ(t), Φ(t)
x(t)
p(t)
x/y/p
Normalization
(time variant)
k
statistical
Parameter
Data Aquisition
y(t)
Feature
Extraction
Abb. 4: Extraktion der statistischen Merkmale aus den Schreibsignalen
Im weiteren Verlauf dieses Beitrags wird jedoch auf diejenigen Merkmale aus dieser Menge
genauer eingegangen, welche im Kontext der forensischen Schriftanalyse als relevant angesehen werden können.
4 Forensische Schriftmerkmale
Im Folgenden wird die Übertragung forensischer Schriftmerkmale auf die biometrische Handschriftenerkennung genauer betrachtet.
Wie im vorigen Kapitel dargelegt, können bei der Aufnahme von Handschriften mit dem
Computer und der entsprechenden Hardware wichtige Werte erfasst werden. Dazu zählen die
Position (X-, Y-Koordinaten), der Druck und der Winkel des Stiftes zu einer bestimmten Zeit.
Aus diesen Werten können weitere dynamische Größen, wie beispielsweise die Geschwindigkeit oder die Beschleunigung errechnet werden.
4.1 Aspekte der Übertragbarkeit
Die Übertragbarkeit von forensischen Merkmalen auf biometrische ist für den Einsatz zur
Benutzerauthentifizierung nicht für jede Größe möglich. Zum Beispiel können solche Merkmale ausgeschlossen werden, zu deren Umsetzung eine Schulvorlage notwendig ist. Dies ist
der Fall, wenn eine Schreibleistung auf Abweichungen bezüglich der Schulvorlage hin untersucht werden soll. Hierzu wäre zunächst eine solche Schulvorlage notwendig und darüber
hinaus eine Mustererkennung, welche die geschriebenen Buchstaben mit einer Vorlage vergleicht und Übereinstimmungen bzw. Unterschiede erkennt.
4.2 Umsetzung ausgewählter forensischer Merkmale
Die folgende Tabelle zeigt Merkmale und zugehörige physische Größen auf, die im Rahmen
unserer Untersuchungen forensischer Verfahren bestimmt wurden. Diejenigen forensischen
Größen, die als dynamische Schriftparameter repräsentierbar sind, sind in der Tabelle grau
hinterlegt und werden in diesem Abschnitt genauer dargelegt.
Tab. 1: Übersicht über die grafischen Grundkomponenten
Merkmal
Größen
Beschreibung
Strichbeschaffenheit
Strichspannung
Strichsicherheit/-störung
Bewegungskoordination beim Schreiben
198
Bewegungsvor-/-rückschläge
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X, Y
Innere Strichstruktur
Strichbreite
Minimale Richtungsänderungen beim Auf-/Absetzen
des Stiftes
Farbstoffverteilung innerhalb des Striches
Druck
Strichränder
Abhängig von: Schreibmittel, Druckgebung
Scharf oder unscharf, glatt oder ausgefranst
Druckgebung
Druckstärke
X, Y, Druck
Druck beim Schreiben
Druckverlauf
X, Y, Druck,
Zeit
Schwankungen des Drucks über das gesamte Dokument
Bewegungsfluss
Schreibgeschwindigkeit
Strichgeschwindigkeit
X, Y, Zeit,
Segm.
Schreibweg pro Zeiteinheit
Erfolgsgeschwindigkeit
X, Y, Zeit
Textleistung pro Zeiteinheit
Schreibeile
Verbundenheitsgrad
Knüpfungsgewandtheit
Zeit
X, Y, Zeit
Schulvorlage
Abweichung vom üblichen Schreibtempo
Abstand zw. Absetzern
Verbindungen zw. Buchstaben oder Buchstabenteilen, die nicht durch die Schulvorlage vorgegeben sind
Bewegungsführung und Formgebung
Lesbarkeit und Eigenart
Schulvorlage
Globale Merkmale, die sich auf die ganze Schrift beziehen
Bereicherung und Vereinfachung
Schulvorlage
Globales Merkmal im Verhältnis zur Schulvorlage
Völle und Magerkeit
X, Y
Inhalt umschlossener Flächen
Bogen- und Linienzügigkeit
X, Y
Richtungswechsel als Winkel oder Bögen
Bindungsformen
X, Y
Buchstabenverbindungen (inner-/außerhalb) als Winkel oder Bögen
Bewegungsführung – Oberzone
Linien- und bogenzügige Richtungswechsel in der
Oberzone
Bewegungsführung – Unterzone
Linien- und bogenzügige Richtungswechsel in der
Unterzone
Bewegungsrichtung
Neigungswinkel
Strichrichtung
Zeilenführung
X, Y, Segmente Winkel der Buchstaben, Wörter und der Schrift allgemein
X, Y
Richtung der Grundstriche der einzelnen Elemente
X, Y
Lage der Schrift im Verhältnis zur Zeile oder zum
Schriftträger
Vertikale Ausdehnung
Größe der Ober-, Mittel-,
Unterzone
Y
Vermessen der vertikalen Ausdehnung, getrennt für
die drei Schreibzonen
Größenproportionen
Y
Getrenntes Vermessen der drei Zonen mit der Bezugshöhe Mittelzone, die 1 gesetzt wird
Horizontale Ausdehnung
Primäre Weite
Buchstaben
Verhältnis der Grundstriche innerhalb eines Buchstaben
Sekundäre Weite
Buchstaben
Verhältnis der Grundstriche zw. den Buchstaben
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Vertikale Flächengliederung
Oben- und Untenrand
Ausgesparte Fläche am oberen und unteren Blattrand
Zeilenabstände
Abstand zw. Zeilengrundlinien, Zeilenabstände vs.
Schriftgröße
Sonstige vertikale Flächengliederung
vertikale Anordnung von Absender-, Orts-, Datums-,
Empfängerangaben, Betreff, Überschrift, ...
Horizontale Flächengliederung
Links- und Rechtsrand
Ausgesparte Fläche am linken und rechten Blattrand
X, Y, Schulvor- Abstände zw. einzelnen Wörtern, Vor-/ Zunamen,
lage
hinter Satzzeichen oder Datums-/Betragsangaben in
Ziffern
Wortabstände
Sonstige horizontale Flächengliederung
horizontale Anordnung von Absender-, Orts-, Datums-, Empfängerangaben, Betreff, Überschrift, ...
Druckstärke
Die Druckstärke ist Teil der Untersuchung der Druckgebung während des Schreibvorganges.
Sie gibt an, wie stark der Stift beim Schreiben auf die Schriftunterlage gedrückt wurde. Zum
einen wird der Druck betrachtet, mit dem der Stift aufgesetzt wird. Dazu wird der Durchschnitt der Druckwerte aller Aufsetzpunkte berechnet. Aufsetzpunkte sind genau diejenigen
Punkte, die entstehen, wenn der Stift beim Beginn der Schreibleistung oder nach dem Absetzen innerhalb von Buchstaben oder Wörtern auf den Schriftträger, in unserem Fall Digitalisiertablett, gedrückt wird. Der andere Bestandteil der Druckstärke ist der Absetzdruck, also
der Druck der im letzten Punkt vor dem Absetzen anliegt. Beim Absetzdruck wird entsprechend dem Aufsetzdruck der Durchschnitt der Druckwerte aller Absetzpunkte ermittelt.
Zeilenführung
Der Winkel der Schrift in Bezug zu einer bestimmten Linie wird als Zeilenführung bezeichnet. Sie wird in der Forensik während der Betrachtung der Bewegungsrichtung untersucht. Zu
ihrer Ermittlung wird der Baseline-Winkel des Schriftzuges bestimmt. Mit der Baseline ist die
grundlegende horizontale Ausbreitungsrichtung einer Schriftprobe bezeichnet, wobei der
Winkel der Abweichung von der Horizontalen als Maßgröße herangezogen wird, wie in Abbildung 5 gezeigt. Mathematisch kann diese Größe durch eine Regressionsgerade durch die
beim Schreibvorgang entstehende x/y Punktemenge ermittelt werden, was jedoch ein Höhen/Seitenverhältnis des Schriftbildes voraussetzt, das deutlich unter eins liegt.
Baseline
Winkel
Horizontale Grundlinie
Abb. 5: Baseline Winkelbestimmung
Größenproportionen
Die Größe der Schrift einer Person kann in verschiedenen Schriftproben unterschiedlich sein.
Meistens weisen jedoch die Größenverhältnisse eine große Konstanz auf. Die Größenproportion zählt zu den Merkmalen der vertikalen Ausdehnung. Zur Bestimmung der Proportionen
wird die Schriftprobe in drei gleich große waagerechte Bereiche aufgeteilt. In diesen Bereichen wird dann die Anzahl der Punkte ermittelt und jeweils der prozentuale Anteil an der Ge-
200
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samtzahl der Punkte berechnet. Diese drei Werte gehen dann als jeweils ein Merkmal in die
Bewertung der Schriftprobe ein.
Horizontale Größenproportionen
Dieses Merkmal wurde nicht direkt aus den grafischen Komponenten der forensischen
Schriftuntersuchung abgeleitet. Vorbild ist die vertikale Größenproportion, wie sie weiter
oben beschrieben wurde. Bei den horizontalen Größenproportionen wird die Schriftprobe jedoch senkrecht in zwei gleich große Bereiche aufgeteilt. Dann wird für jeden Bereich die Anzahl der Punkte ermittelt. Auch hier wird das Verhältnis der Punkte der beiden Intervalle zur
Gesamtpunktzahl in Prozent angegeben.
Sekundäre Weite
Die sekundäre Weite gibt in der forensischen Handschriftenuntersuchung die Abstände der
Buchstaben an. Da es zurzeit in dem Softwaresystem, das diesem Artikel zugrunde liegt, keine Möglichkeit gibt, Buchstaben zu extrahieren, werden die einzelnen Segmente untersucht.
Zur Berechnung der sekundären Weite wird der Flächeninhalt bzw. der Umfang der konvexen
Hülle der Segmente des Samples berechnet. Dann wird jeweils der Durchschnitt ermittelt und
mit dem Flächeninhalt bzw. Umfang der Bounding Box und der konvexen Hülle des Samples
ins Verhältnis gesetzt.
5 Testergebnisse
Die Evaluierung der ermittelten Schriftmerkmale wurde anhand eines spezifischen biometrischen Verifikationsverfahrens (Bio-Hash, siehe [ViSM03]) ermittelt, welches aus einer Menge von Merkmalsvektoren einer festen Größe n einen biometrischen Hashwert, ebenfalls mit
der Dimension n, bestimmt.
Tab. 2a, 2b: Forensische / nicht-forensische Merkmalsmengen
Forensische Merkmale
Nr.
Beschreibung
Nicht-forensische Merkmale
Nr.
Beschreibung
1
Durchschnittlicher normierter Aufsetzdruck
1
Gesamtzahl der Pixel des Samples
2
Durchschnittlicher normierter Absetzdruck
2
Durchschn. Geschwindigkeit in YRichtung
3
Winkel zwischen der Ausbreitungsrichtung der Schrift und der Horizontalen
3
Anzahl der Segmente
4
Anzahl der Punkte in der Unterzone in
Prozent
4
Kleinste absolute X-Geschwindigkeit
des Samples
5
Anzahl der Punkte in der Mittelzone in
Prozent
5
Kleinste absolute Y-Geschwindigkeit
des Samples
6
Anzahl der Punkte in der Oberzone in
Prozent
6
Schwerpunkt der horizontalen Stiftposition bezogen auf die gesamte horizontale Schriftbreite
7
Anzahl der Punkte auf der linken Seite in
Prozent
7
Schwerpunkt der vertikalen Stiftposition bezogen auf die gesamte vertikale
Schrifthöhe
8
Anzahl der Punkte auf der rechten Seite
in Prozent
8
Normalisierter Abstand des Schwerpunkts vom Koordinatenursprung
Forensik und Biometrie zur Benutzererkennung
201
9
Normalisierter horizontaler Höhenwinkel des Schwerpunktes zum Koordinatenursprung
Verhältnis zwischen der Fläche der kon10 vexen Hüllen der Segmente und der Fläche der konvexen Hülle des Samples
10
Duchschnittlicher Schreibdruck im
Verhältnis zum maximalen Druck
Verhältnis zwischen der Fläche der kon11 vexen Hüllen der Segmente und der Fläche der Bounding Box des Samples
11
Normalisierte durchschnittliche Geschwindigkeit in X-Richtung
Verhältnis zwischen dem Umfang der
12 konvexen Hülle und dem Umfang der
Bounding Box des Samples
12
Normalisierte durchschnittliche Geschwindigkeit in Y-Richtung
Verhältnis zwischen dem Umfang der
13 konvexen Hüllen der Segmente und dem
Umfang der konvexen Hülle des Samples
13
Verhältnis zw. Absetzzeit und
Schreibdauer
Verhältnis zwischen dem Umfang der
14 konvexen Hüllen der Segmente und dem
Umfang der Bounding Box des Samples
14
Anzahl der Werte eines Samples
9
Verhältnis zwischen der Fläche der konvexen Hülle und der Fläche der Bounding
Box des Samples
Details zu dem eingesetzten Algorithmus finden sich in [ViSM03]. Ziel der Untersuchung ist
es, den Einfluss des Einsatzes von forensisch begründeten Merkmalsmengen im Vergleich zu
forensisch nicht fundierten Größen für einen Verifikationsalgorithmus aufzuzeigen. Hierzu
wurden die beiden in den Tabellen 2a und 2b aufgezeigten Merkmalsmengen herangezogen.
Testbasis bildet ein in [ZöVi03] vorgestelltes Evaluierungssystem für Online-Handschriftverifikation, welches hier kurz zusammengefasst wird. Neben der Unterschrift als Schreibsemantik werden noch vier weitere Arten von Schriftzügen zur Benutzerauthentifizierung betrachtet (PIN (8719), Passphrase, Sauerstoffgefäß und Symbol). Die Datenbank beinhaltet
Schriftproben, welche mit unterschiedlichen Digitalisiertabletts aufgezeichnet wurden, welche
in Tabelle 3 zusammen mit einigen technischen Kenngrößen dargestellt sind. Für die erste
Evaluierung wurden die Tests hardwareunabhängig durchgeführt, d.h. über die Gesamtheit
der erfassten Datensätze, unabhängig von der zur Aufzeichnung des Schreibvorgangs eingesetzten Digitalisierungs-Hardware. Alle Testdatensätze wurden zum Zeitpunkt der Datenerfassung in die Kategorien „Enrollment“, „Verifikationsdaten“ und „Angriffe“ klassifiziert,
wobei für die Klasse der Angriffe eine weitere Unterteilung nach Angriffstärke wie folgt vorgenommen wurde: „Blind Attacke“, „Low-Force Attacke“ und „Brute-Force Attacke“.
Tab. 3: Technische Daten der untersuchten Grafiktabletts (L/mm – Linien/mm)
Wacom
Volito
Wacom
Intuos 2
Wacom
Graphire 2
Wacom
Cintiq 15
Aiptek
HyperPen
8000
StepOver
+Pad
ElektroelektroelektroElektroelektroTechnologie magnetische magnetische magnetische magnetische magnetische Drucksensor
Resonanz
Resonanz
Resonanz
Resonanz
Resonanz
Auflösung
39,4 L/mm
100 L/mm
39,4 L/mm
20 L/mm
120 L/mm
39,4 L/mm
Druckstufen
512 (Stift)
1024 (Stift)
512 (Stift)
512 (Stift)
512 (Stift)
127 (Tablett)
202
Forensik und Biometrie zur Benutzererkennung
Ziel der Tests ist die Ermittlung der Größen von Falschabweisungsfehlern (False-RejectionRate, FRR, in unserer Auswertung auch als False-Non-Match-Rate, FNMR, bezeichnet) und
Falschakzeptanz (False-Acceptance-Rate, FAR, hier auch als False-Match-Rate, FMR, bezeichnet). Hierzu wurde die Versuchsdurchführung wie folgt strukturiert. Beim Verifikationstest (Test A) werden Enrollments mit den entsprechenden Verifikationen verglichen. Beim
zufälligen Angriff (Test B) findet ein Vergleich zwischen den Enrollments und allen Verifikationen statt, ausgenommen werden dabei diejenigen, die dem Schreiber des Enrollments zugeordnet sind. Beim Test C werden weitere Angriffsszenarien imitiert. Dazu zählen Blind
Attack (Test C1), Low-Force-Attack (Test C2) und Brute-Force-Attack (Test C3). Dabei findet jeweils ein Vergleich zwischen einem Enrollment und den damit verbundenen Fälschungssamples statt. Eine Übersicht über die Anzahl der in den verschieden Testszenarien
verwendeten Events bzw. Samples wird in Tabelle 4 gegeben.
Tab. 4a: Anzahl der Events bzw. Samples der verwendeten Semantiken
Semantiken
Test A · Test B
Enrollments (Events)
Verifikationen (Samples)
Signature
54
290
PIN (8710)
44
240
Passphrase
48
296
Sauerstoffgefäß
44
308
Symbol
48
284
Tab. 4b: Anzahl der Events bzw. Samples der verwendeten Semantiken
Test C
Semantiken
Enrollments
(Events)
blinder Angriff
(Samples)
Low-Force-Angriff
(Samples)
Brute-Force-Angriff
(Samples)
Signature
291
73
383
401
PIN (8710)
44
–
129
239
Passphrase
46
–
143
192
Sauerstoffgefäß
41
–
92
253
Symbol
45
–
169
200
Die Auswertung der Testergebnisse zeigt, dass für fast alle Semantikklassen Verbesserungen
in der Fehlercharakteristik durch den Einsatz forensischer Merkmale zu verzeichnen sind.
Besonders für die Semantikklasse „Signatur “ zeigt sich, dass die Equal-Error-Rate (EER, d.h.
Fehlerrate im Schnittpunkt der FRR/FAR Diagramme), als eine signifikante Kenngröße der
Erkennungsgenauigkeit eines biometrischen Systems [Tele02], sich im Fall forensischer
Merkmale deutlich verbessert, teilweise sogar nahezu halbiert (siehe Abbildungen 6a und 6b,
FMR-Blind).
Zusammenfassend können die Untersuchungsergebnisse für jede der untersuchten Semantikklassen den Tabelle 5a und 5b entnommen werden. Hier finden sich je nach Angriffstärke in
Tabelle 5a die EER des Systems bei Einsatz von forensischen Merkmalen, während die Ergebnisse bei Anwendung nicht-forensischer Merkmale in Tabelle 5b dargestellt werden.
Forensik und Biometrie zur Benutzererkennung
FNMR
FMR-Random
FMR-Blind
FMR-LowForce
203
FNMR
FMR-BruteForce
FMR-Random
FMR-Blind
FMR-LowForce
FMR-BruteForce
0,9
0,9
0,8
0,8
0,7
0,7
0,6
0,6
Error Rate
Error Rate
1
0,5
0,5
0,4
0,4
0,3
0,3
0,2
0,2
0,1
0,1
0
0
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
12
0
13
0
1
2
3
4
5
6
Threshold Tau
7
Threshold Tau
8
9
10
11
12
13
Abb. 6a, 6b: Fehlerraten forensische vs. nicht-forensische Merkmale für Semantik Signatur
Tab. 5a: Equal-Error-Rates (EER) für forensische Merkmale
Equal Error Rate
Forensische Merkmale
EER Random
EER Blind
EER Low-Force
EER Brute-Force
Signature
0,31
0,23
0,40
0,41
PIN (8710)
0,41
–
0,47
0,47
Passphrase
0,37
–
0,48
0,51
Sauerstoffgefäß
0,36
–
0,42
0,46
Symbol
0,36
–
0,47
0,49
Tab. 5b: Equal-Error-Rates (EER) für nicht-forensische Merkmale
Equal Error Rate
Nicht-forensische Merkmale
EER Random
EER Blind
EER Low-Force
EER Brute-Force
Signature
0,31
0,39
0,48
0,45
PIN (8710)
0,43
–
0,54
0,49
Passphrase
0,35
–
0,47
0,47
Sauerstoffgefäß
0,39
–
0,42
0,47
Symbol
0,35
–
0,52
0,50
Insgesamt zeigt sich in der großen Mehrzahl der untersuchten Fälle eine deutliche Verbesserung der Erkennungsrate. Die absolute Größe der Fehlerraten erscheint mit 23%-54% sehr
hoch, bei deren Interpretation ist jedoch zu beachten, dass die Untersuchung Tablett übergreifend durchgeführt wurde und keinerlei Optimierung von Verfahrensparametern durchgeführt
wurde. Primäres Ziel war die Untersuchung der globalen Auswirkung des Einsatzes der unterschiedlichen Merkmalsmengen und hier zeigt sich, dass forensische Merkmale für die Semantikklassen Signatur, PIN und Sauerstoffgefäß deutlich bessere Fehlerraten aufweisen, besonders bei Betrachtung von gezielten Fälschungen. Für die Semantikklasse Passphrase stellen
sich jedoch durchweg leichte Verschlechterungen ein, während für den Einsatz von Symbolen
Verbesserungen der Fehlerraten im Fall von Low-Force und Brute-Force Fälschungen zu verzeichnen sind.
204
Forensik und Biometrie zur Benutzererkennung
6 Zusammenfassung und Ausblick
Insgesamt hat die vorliegende Arbeit gezeigt, dass sich forensische und biometrische Merkmale grundsätzlich bei der Lösung der Problemstellung der automatischen biometrischen Benutzerauthentifizierung ergänzen können. Auch wenn nicht alle aus der forensischen Schriftuntersuchung herangezogenen Aspekte zugleich für die biometrische Schriftverifikation umsetzbar sind, ist es uns gelungen, eine forensisch begründete Merkmalsmenge zum Einsatz in
der Biometrie zu bestimmen und mit Merkmalen basierend auf nicht-forensisch begründbaren
Eigenschaften zu vergleichen.
Die Testergebnisse lassen darauf schließen, dass Verbesserungen der Fehlerraten dabei zwar
prinzipiell für alle Semantikklassen erreichbar sind, besonders ausgeprägt sind sie jedoch für
die am meisten gebräuchliche Kategorie, die Unterschrift. Es ist jedoch zu berücksichtigen,
dass in unserer ersten Untersuchung zunächst der globale Einfluss auf die biometrische Verifikation untersucht wurde, ohne auf spezifische Auswirkungen der physikalisch sehr unterschiedlichen Eingabegeräte einzugehen. Hier lassen sich zukünftig noch Ansätze verfolgen,
die Hardwareabhängigkeiten berücksichtigen. Weiterhin ist der Vergleich mit zusätzlichen,
nicht-forensischen Merkmalen notwendig. Hier wurde zunächst als Referenz auf eine Menge
in einer existierenden Implementierung zur Verfügung stehender Merkmale zurückgegriffen,
die jedoch einem Anspruch auf Vollständigkeit nicht gerecht werden kann. Ferner werden wir
weiterhin untersuchen, inwieweit zusätzliche Merkmale aus der Forensik gewonnen werden
können, die für biometrische Verfahren adaptierbar sind.
Die Motivation der diesem Beitrag zugrunde liegenden Arbeit liegt zunächst in dem Einsatz
forensischer Ansätze in der Biometrie. Mit der zunehmenden Verbreitung von stiftbasierter
Eingabetechnolgie wie Digitalisiertabletts und Personal Digital Assistants (PDA) ist es jedoch
darüber hinaus denkbar, dass zukünftig biometrische Merkmale von aufgezeichneten Schreibsignalen auch im Bereich der Forensik eingesetzt werden können. Ein denkbares Anwendungsszenario wäre beispielsweise die Überprüfung von Unterschriften auf Kreditkartenbelegen, welche auf entsprechenden Geräten durchgeführt werden und neben einer biometrischen
Verifikation zusätzlich zu forensischen Zwecken herangezogen werden könnten.
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C.H. Beck´sche Verlagsbuchhandlung (Oscar Beck), München, 1999.
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TeleTrusT Deutschland e. V.: Bewertungskriterien zur Vergleichbarkeit biometrischer Verfahren – Kriterienkatalog – Version 2.0, Stand 10.7.2002, Redaktion
G. Laßmann, 2002.
Forensik und Biometrie zur Benutzererkennung
205
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Features of Online Signature, Proceedings Conference on Pattern Recognition
(ICPR), August, Quebec City, Canada, ISBN 0-7695-1696-3, 2002.
[ViSt03]
C. Vielhauer, R. Steinmetz: Handschriftliche biometrische Signaturen. In P.
Horster (Hrsg.): Tagungsband D·A·CH Security, 25.-26.2003, Erfurt, Germany,
ISBN 3-00-010941-2, 2003, S. 344–353.
[ZöVi03]
F. Zöbisch, C. Vielhauer: A Test Tool to support Brut-Force Online and Offline
Signature Forgery Tests on Mobile Devices, Proceedings of the International
Conference on Multimedia and Expo 2003 (ICME), 6 - 9 Juli, Baltimore, MD,
USA, ISBN 0-7695-1062-0, 2003, S. 60–64.