Kostenloser
Transcrição
Kostenloser
5/2010 12. JAHRGANG ISSN 1439 9660 Deutschland Euro 6,80 I Österreich Euro 7,80 I BeNeLux Euro 7,90 I Schweiz sfr. 13,50 Das Jahresheft Das neue Gesicht des Nahen Ostens Wer 2010 wichtig war und wen wir im Blick behalten www.zenithonline.de INHALT 10. Januar Ägyptens Geheimdienstchef Omar Suleiman trifft sich mit US-Außenministerin Hilary Clinton. WikileaksVeröffentlichungen des Gesprächs zeigen: Suleiman führt in Ägypten schon die Amtsgeschäfte Seite 27 2. Februar Der palästinensische Ministerpräsident Salam Fayyad spricht auf der »HerzliyaKonferenz« in Israel. Für viele Palästinenser ein Schlag ins Gesicht Seite 34 2010 JANUAR 12. Februar Hamas-Führer Khaled Mashaal warnt in einem Interview, der nächste Krieg mit Israel werde sich nicht auf den Gazastreifen beschränken – diesmal werde die gesamte Region beteiligt sein Seite 46 18. Februar Die israelische Tennisspielerin Shahar Peer qualifiziert sich für das Halbfinale des WTA-Turniers in Dubai Seite 50 15. Februar Dubais Polizeichef Dhahi Khalfan Tamim benennt medienwirksam elf Verdächtige im Mordfall des Hamas-Funktionärs Mahmud al-Mabhuh Seite 50 19. Februar Mohammed El-Baradei kehrt nach Ägypten zurück und macht seitdem der Elite um Präsident Mubarak schwer zu schaffen Seite 27 25. Februar Der libysche Staatschef Muammar al-Gaddafi ruft zum Dschihad gegen die Schweiz auf. Die Sippe des »Bruder Führer« führt nicht erst seit dem Minarett-Bauverbot in der Alpenrepublik einen Kleinkrieg mit den Eidgenossen Seite 66 27. Februar »Twilight«-Star Anna Kendrick ist für den Oscar als beste Nebendarstellerin nominiert. Auf der Oscar-Gala trägt sie eine Robe des libanesischen Designers Elie Saab Seite 56 28. Februar Die armenische Archäologin Hourig Sourouzian findet den kolossalen Kopf des Pharaos Amenhotep III. Seite 51 FEBRUAR >> zenith überreicht ... ... allen Abonnenten ein Sonderheft zum Jahreswechsel. Wer veränderte den Nahen Osten im Jahr 2010? Und wer wird auch in Zukunft eine Rolle spielen? »Macht« ist die Fähigkeit, Dinge zu verändern, Einfluss auszuüben und anderen Menschen seinen Willen aufzuzwingen. Gemessen an der reinen Macht müssten in diesem Heft allerhand Könige, Präsidenten und Militärs vorkommen – nicht zu vergessen die Manager milliardenschwerer Staatsfonds. Aber haben die Mächtigen den Nahen Osten im zurückliegenden Jahr tatsächlich verändert? Haben sie ihre Macht genutzt, um Impulse zu setzen und etwas in Gang zu bringen? Das zenith-Jahresheft ist kein Präsidentenalbum und erhebt auch keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Es ist ein durchweg persönlicher Rückblick unserer Autoren und Redakteure auf Menschen, die uns aufgefallen und begegnet sind und dabei einen Eindruck hinterlassen haben: Strategen, Modemacher, Milliardäre, Schauspieler, Künstler, Denker – sogar ein Koch und eine Schönheitskönigin. Letztere heißt Rima Fakih und ziert den Titel dieses Heftes – schließlich hat auch ein seriöses, politisch-kritisches Orient-Magazin einmal jährlich Anrecht auf ein echtes Covergirl. Sie wurde im Mai 2010 zur ersten arabischstämmigen »Miss USA« gekrönt – und galt der rechten Boulevard-Presse gleich als Agentin der Hizbullah. Ob wir von Rima noch etwas hören werden, ist nicht sicher. Aber das absurde Theater, das diese an und für sich so harmlose Misswahl provozierte, lässt hoffen: Es kann nächstes Jahr nur besser werden. (S. 44) Wenn wir das Verhältnis zwischen dem Orient und der westlichen Welt verstehen wollen, brauchen wir Forscher von solchem Format: Gernot Rotter, Fred Halliday, Mohammed Arkoun, Shmuel Eisenstadt und Nasr Hamid Abu Zaid. Alle fünf starben 2010. Mit ihnen ist eine Ära zu Ende gegangen. (S. 63) Wer ihnen nachfolgt? zenith wird Sie dazu auf dem Laufenden halten. So vielschichtig wie der Nahe Osten ist, so bunt ist auch die Mischung der Personen in diesem Jahresheft. Einige Gesichter kennt man schon bei uns, andere werden nicht lange auf sich warten lassen. Allen gemein ist, dass ihre Strahlkraft auch über die Grenzen des Nahen Ostens hinaus wirkt – einer Region, die noch fremd sein mag, die uns aber auch 2011 immer näher rücken wird. zenith 5/2010 03 INHALT 7. März Der Irak wählt ein neues Parlament. Fast neun Monate danach bestätigt Staatschef Talabani den bisherigen Ministerpräsidenten Nuri al-Maliki erneut im Amt. Für die Regierungsbildung hat Maliki 30 Tage Zeit Seite 60 1. April Der schiitische Geistliche Hasan Musa al-Saffar fordert einen Ehrenkodex, der Regeln für den Umgang zwischen Sunniten und Schiiten in SaudiArabien etabliert Seite 60 2010 MÄRZ 22. April In Dubai läuft der erste große, in den Emiraten produzierte Kinostreifen mit Alexandra Maria Lara an – manche Szenen wurden gekürzt, dennoch gilt »City of Life« von Ali Mostafa als besonders heiß und kritisch Seite 22 10. März Premierminister Yousaf Raza Gilani verkündet, der pakistanische Geheimdienstchef werde vorerst im Amt bleiben. Eigentlich sollte Ahmad Shuja Pasha dieses Jahr in Rente gehen Seite 36 26. April Fred Halliday erliegt einem Krebsleiden. Der irische NahostWissenschaftler war bekennender Sozialist und irritierte mit seinen undogmatischen Urteilen so manchen Weggefährten Seite 65 zenith 5/2010 5. August Rachid Agouray, Chefkoch des frisch renovierten Luxushotels »La Mamounia« in Marrakesch, präsentiert sein persönliches Rezept für eine Lamm-Tajine im französischen Fernsehen Seite 37 9. Juni Gernot Rotter stirbt. Der Hamburger Professor wurde zum Vorbild einer ganzen Generation deutscher Islamwissenschaftler Seite 63 MAI 5. April Noha Atef beginnt ihr Master-Studium »Social Media« in Großbritannien. Mit ihrem Blog, das Folter in Ägypten protokolliert, hat sie bereits mehr als genug praktische Erfahrung gesammelt Seite 26 04 16. Mai Rima Fakih wird zur schönsten Frau Amerikas gekürt. Die erste arabischstämmige Miss USA könnte das schiefe Bild muslimischer Frauen ein wenig gerade rücken Seite 44 27. April Salva Kiir Mayardit wird in einer Wahl als Präsident der autonomen Region Südsudan bestätigt. Mit dem kommenden Referendum könnte er auch Staatschef eines unabhängigen Südsudans werden Seite 41 APRIL 2. Juli Leyla Piedayesh schickt ihre Models für ihr Label »Lala Berlin« während der Berlin Fashionweek auf den Laufsteg. Seitdem werden immer mehr Promis mit der lässigen Mode gesichtet Seite 38 JUNI 31. Mai Zehn türkische Aktivisten der »Gaza-Hilfsflotte« werden von israelischen Kommandosoldaten getötet. Im neuen »Tal der Wölfe«Kinofilm, der die Ereignisse aufgreift, spielt Necati Sasmaz die Hauptrolle Seite 20 3. Mai Der Startschuss für Samih Sawiris‘ FünfSterne-Superior-Hotel »The Chedi« fällt im Schweizer Kanton Uri. Es soll 2013 eröffnet werden Seite 28 JULI AUGUST 5. Juli Der Ägypter Nasr Hamid Abu Zaid stirbt an den Folgen einer Meningitis. In den 1990er Jahren musste der Professor seine Heimat wegen seiner kritischen Schriften zum Islam verlassen Seite 64 10. Juni Mir Hossein Musavi sagt die Demonstration zum Jahrestag der Wahlen von 2009 im Iran ab. Ist die »Grüne Revolution« am Ende? Seite 41 15. August Der ehemalige saudische Arbeitsminister Ghazi al-Gosaibi stirbt. Er war nicht nur Politiker sondern auch Poet. Vielleicht werden seine indizierten Gedichte nun veröffentlicht Seite 42 14. September Der algerische Philosoph Mohammad Arkoun stirbt. Als sich noch niemand damit beschäftigte, setzte er schon den politischen Islam in Bezug zur Globalisierung Seite 64 1. September Auf dem Filmfestival von Venedig wird »Miral« präsentiert. Alexander Siddig spielt diesmal weder einen Terrorpaten noch einen Scheich mit Säbel, sondern einen Pazifisten Seite 19 10. November Die libanesische Dichterin und Journalistin Joumana Haddad präsentiert in Deutschland ihr neues Buch »Wie ich Scheherazade tötete – Bekenntnisse einer zornigen arabischen Frau« Seite 61 18. September In Afghanistan beginnen die Parlamentswahlen. Nach einer Auszählung von zweieinhalb Monaten jubelt Abdullah Abdullah der Oppositionspolitiker und Ex-Herausforderer von Präsident Karzai Seite 33 17. September Die Ausstellung »Zukunft der Tradition – Tradition der Zukunft« eröffnet im Haus der Kunst in München. Die libanesische Modeschöpferin Milia Maroun präsentiert dort ihre Arbeiten Seite 12 28. September Der palästinensische Philosoph Sari Nusseibeh erhält in Berlin den Siegfried-Unseld-Preis 2010 für sein Engagement im Friedensprozess Seite 43 SEPTEMBER OKTOBER 8. September Israels Regierung genehmigt 1300 neue Wohneinheiten für Juden in Ost-Jerusalem. Durch Immobilien will der jüdischamerikanische Investor Irving Moskowitz die Stadt erobern Seite 10 2. September Der berühmte israelische Soziologe Shmuel Eisenstadt stirbt. Vielen galt er als Max Weber der Gegenwart Seite 65 11. November Die ägyptische Autorin Miral al-Tahawy wird für den »International Prize for Arab Fiction« nominiert. Die Auszeichnung wird 2011 vergeben Seite 55 27. September Die iranische Band Kiosk veröffentlicht ihr viertes Album »Triple Distilled – Live at Yoshi’s«. Frontmann Arash Sobhani tourt mit seinen Kollegen in neun Tagen durch zehn Städte Seite 48 17. September Die ehemalige MTVModeratorin Kristiane Backer stellt in Hamburg ihr Buch »Islam als Weg des Herzens« vor. Als alternative Heldin der Konvertiten in Europa wird sie nun wieder prominent Seite 30 29. November Israels Premier Benjamin Netanjahu designiert Tamir Pardo zum Chef des Auslandsgeheimdienstes. Als erstes muss der neue Mossad-Chef die Verbindungen zwischen dem Iran und Nordkorea aufdecken Seite 36 NOVEMBER 29. Oktober Der Sydney Morning Herald enthüllt, dass Truppen des aufstrebenden afghanischen Warlords Matiullah Khan heimlich in Australien trainiert werden. Matiullah gilt als Krimineller – und Nato-Verbündeter Seite 32 1. Oktober Zaha Hadid gewinnt den renommierten englischen »Stirling Prize«. Die begehrte Architekturauszeichnung erhielt sie für das 150 Millionen Dollar teure MAXXI in Rom Seite 16 26. November In Kairo wird der »Freedom to Create Prize« verliehen. Die libanesische Installationskünstlerin und Autorin Zena al-Khalil ist unter den Nominierten für den Hauptpreis Seite 54 24. November Der palästinensische Milliardär Munib al-Masri kehrt von einer delikaten Mission in Gaza zurück. Er sollte einen Deal zwischen den verfeindeten Gruppen Fatah und Hamas aushandeln Seite 06 zenith 5/2010 05 Fotos: Daniel Gerlach In seiner Villa in Nablus sammelt der Milliardär Masri europäische Kunstschätze. Im Mittelpunkt steht eine Herkules-Figur aus Kreta. »Auch unsere Vorfahren kamen über das Mittelmeer«, sagt der Palästinenser. 06 zenith 5/2010 GEGENSPIELER MUNIB AL-MASRI, 76, PALÄSTINA Der Alte vom Berg Gerizim Er ist der reichste Mann des Westjordanlands: Munib al-Masri – Großinvestor, Kunstliebhaber und Patriarch. Immer wieder heißt es, er kann Premierminister oder Präsident werden, wenn er es nur will. Aber was führt Palästinas Rockefeller tatsächlich im Schilde? Von Daniel Gerlach Große Fürsten haben Dichter, die ihre Güte preisen. Auf dem Festbankett, das an diesem Herbstabend in Nablus stattfindet, schlüpft ein Professor der Geschichte in diese Rolle. »Dieser Palast steht auf Jahrtausenden menschlicher Zivilisation«, schwärmt der Experte mit Ton und Gestik eines Opernbaritons. »Darunter ruht – vollständig erhalten und zu besichtigen – ein Feuertempel aus der Bronzezeit und eine byzantinische Kapelle. Und sehen Sie nur die Kuppel: geschaffen nach den Plänen des Palladio von Venedig!« Durch diese Renaissance-Kuppel hallt nun anerkennender Applaus. In der Empfangshalle darunter stehen einige Dutzend amerikanische Ehepaare – Mitglieder eines Unternehmerclubs, die das Westjordanland bereisen. Munib al-Masri steht da, strahlt und bedankt sich für den Beifall. Mit über 1,90 Meter ist er viel größer als die meisten seiner Landsleute in Palästina. Beim Gespräch muss er sich stets nach vorne beugen. Was sein Kreuz geneigt hat, ist die Größe, nicht das Alter – auf Jugendfotos sieht man den 76Jährigen in derselben Haltung. An diesem Abend trägt Masri ein goldbesticktes Hemd im Stile eines Maharadschas. Er legt den Arm um eine schöne, etwa 40-jährige Brünette. So stellt man sich einen Milliardär vor. Aber die Frau an seiner Seite ist nicht Masris Geliebte, sondern seine Schwiegertochter. Er selbst ist seit über 40 Jahren verheiratet. Mit seiner Frau Angela, einer Amerikanerin, pendelt Masri zwischen London und Nablus. In der Stadt im Herzen Palästinas ist Masri aufgewachsen. Nach seinem Geologie-Studium in den USA ließ er sich in Jordanien nieder und machte Geld im Ölgeschäft des Nahen Ostens. Viel Geld. Seine Bau- und Ingenieursfirmen, darunter die Edgo Group, erwirtschaften vor allem in Afrika beträchtliche Gewinne. Masri hält Mehrheitsanteile an der palästinensischen Investmentfirma Padico und am Telefonanbieter Paltel-Jawal. Unter König Hussein diente Masri für kurze Zeit als Arbeitsminister in Jordanien. Ein Großteil der Bevölkerung Jordaniens bestand damals bereits aus Palästinensern. Die Palästinensische Befreiungsorganisation (PLO) unterhielt dort Milizen, die Husseins Macht gefährlich wurden. 1970, im »Schwarzen September«, zerschlugen die königlichen Truppen sie in Jordanien. Masri soll seinen Einfluss genutzt haben, um PLOChef Jassir Arafat rechtzeitig aus Jordanien zu evakuieren. Wahrscheinlich rettete er ihm das Leben. Nach dem Osloer Abkommen war Masri rechtzeitig wieder in Nablus, um vom ersten Aufbauboom zu profitieren. 1998 begann er mit dem Bau der Villa »Beit Filastin«. Auch andere wohlhabende Palästinenser kamen ins Westjordanland und investierten in Immobilien und Masri heißt »Ägypter« – so viel Arabisch kann selbst Netanjahu Hotels. Im Jahr 2000, als das Gebäude fertig war, brach die zweite Intifada aus. Nablus versank in Chaos und Krieg. In Nablus sind die Masris eine alteingesessene Familie. Ihr Name bedeutet allerdings »Ägypter« – und so viel Arabisch kann selbst Benjamin Netanjahu. Als Masri vor Jahren den israelischen Ministerpräsidenten traf, sprach der ihn auf seine ägyptischen Vorfahren an, die erst vor ein paar Jahrhunderten ins Heilige Land gekommen seien. »Und wann genau sind Ihre denn aus Polen eingewandert?«, fragte Masri darauf forsch zurück. Palästinas historisches Vermächtnis ist Masris Leitmotiv. Er steht für eine Generation, die noch überall erklären musste, dass die Palästinenser ein altes Volk seien – und keine Erfindung >> zenith 5/2010 07 Fotos: Daniel Gerlach GEGENSPIELER Der Tycoon als Lebemann: Für seine Bankett-Gäste veranstaltet Masri eine mondäne Modenschau. Manchmal spricht er mit den Steinen der PLO. Auch die mannshohe Herkules-Figur unter der Kuppel seines Palastes spielt dabei eine Rolle. »Vor langer Zeit habe ich die Statue aus Kreta kommen lassen«, sagt Masri. »Auch unsere Vorfahren, die Philister, sind übers Meer in dieses Land gekommen.« Sein Herkules steht da, als halte er einen Wurfstein in der Hand. »Nein«, erwidert Masri, »er fasst die Leine eines gefangenen Löwen.« »Palästinensischer Rockefeller« – so nannte ihn einmal eine israelische Zeitung. Kaum vorstellbar, dass dieser Gentleman eine dunkle, eine gangsterhafte Seite wie Rockefeller haben könnte. Dass sich seine Besucher diese Frage stellen, scheint Masri zu ahnen. Oder ist es Zufall, dass er, während er durch die Halle schlendert, die Titelmelodie des »Paten« pfeift? Masri wirkt unangreifbar. In keinem nahöstlichen Land 08 zenith 5/2010 würde sich ein Milliardär wie er so frei und ungezwungen bewegen: Wenn Masri von Nablus nach Ramallah reist, hat er nur einen Fahrer bei sich und keinen schwarzen protzigen Mercedes, sondern einen silberfarbenen VW-Passat mit einer Beule im Kotflügel. In Nablus würde wohl niemand wagen ihn anzurühren. Masri habe, so berichtet Adli Yaish, der Bürgermeister, auch gute Kontakte zur israelischen Armee. Aber vor allem kann sich Masri sicher fühlen, weil man ihn keiner der verfeindeten Gruppen im Westjordanland zurechnet. Masri ist der Gründer einer kleinen, unabhängigen Partei, die sich »PalästinaForum« nennt, die allerdings vor allem aus ihm selbst besteht. Über ihre politischen Ziele und Aktivitäten hört man wenig – zuletzt trat sie in Erscheinung, als Masri sich gemeinsam mit anderen Oppositionellen gegen die bedingungslose Aufnahme von Friedensverhandlungen in Washington aussprach. Politisch operiert er derzeit im Hintergrund. Er selbst sagt, er versuche, zwischen den unversöhnlichen Parteien Hamas und Fatah zu vermitteln. Was ihm Autorität verleiht, ist nicht nur sein Vermögen oder sein Einfluss auf Investitionsentscheidungen von Unternehmen. Es ist auch seine Freundschaft zu Jassir Arafat, den auch viele Anhänger der Hamas verehren. Auch Bürgermeister Yaish, der dem gemäßigten Hamas-Lager angehört, pflegt eine Freundschaft zu Masri – mit aller gebührlichen Distanz. Wenn Masris Gäste im Beit Filastin mit ihren Weingläsern anstoßen, nimmt Yaish zügig Abschied. Die Glamour-Welt passt nicht zu seiner Rolle als Bürgermeister einer Stadt mit hoher Arbeitslosigkeit, Kriegsschäden und einer tief gläubigen Bevölkerung. Masri dagegen zeigt seinen Reichtum und freut sich über Komplimente. »Ich will zeigen, was wir schaffen können«, sagt er. »Die Israelis sollen sehen: Wir könnten gemeinsam Wunder vollbringen! Sie wissen nicht, was in uns steckt. Sie sind Gefangene ihrer egoistischen Existenz.« Er ist ein weltläufiger, alter Mann, und paradoxerweise haben solche Männer oft eine schlichte Sicht der Welt. Sie haben die Wahrheit einmal erkannt und aufgehört zu verfolgen, wie sich politische Diskurse wandeln. Ihre Argumente sind so klassisch wie sie selbst. »Ich weiß nicht, ob Sie so etwas schreiben dürfen«, erklärt Masri. »Aber es ist doch einfach: Sie als Europäer mögen die Juden nicht. Also haben Sie sie nach Israel geschickt. Aber Sie haben ein schlechtes Gewissen bei der Sache. Deshalb helfen Sie den Israelis.« Masri ist nicht nur Tycoon und Investor, sondern ein palästinensisches Pendant zur weltweiten Israel-Lob- Das Palästina-Haus auf dem Berg Gerizim. Masri baute es an diese Stelle, weil er fürchtete, dass Siedler ihm zuvorkommen. by. Er glaubt an deren Macht – und will ihr etwas entgegen setzen. Im Garten, wo der Geologe sonst spazieren geht und »mit den Steinen« spricht, steht an diesem Abend ein Zelt mit Laufsteg, Scheinwerfern und Musikanlage. Dort defilieren Mannequins in eng anliegenden, orientalisch anmutenden Kleidern. Die amerikanischen Gäste applaudieren wieder – einige haben ihre Taschenkameras gezückt und führen sich nun auf wie Modefotografen: »Give me a smile!«. Zum Schluss marschiert auch der Hausherr von Beit Filastin auf, mit einem Enkel auf dem Arm. Der Name der Designerin – sie heißt Heidi – wird nicht angesagt. Es geht nicht um die Kleider, sondern um das Event und die Models, die eigens aus Bethlehem gekommen sind. Bethlehem, so weiß man, hat die schönsten Töchter. Masri stiftet Geld für Schulen und Universitäten. Er steht für amerikanisches Mäzenatentum und europäischen Kulturgeschmack. In seiner Villa hängt ein echter Picasso. Es gibt einen Wintergarten, der einmal Kaiser Napoleon III. gehörte und einen Kamin aus einem französischen Königsschloss. Den Effekt des westlichen Geldes, das derzeit in den Aufbau des Westjordanlandes fließt, schätzt Masri allerdings weniger. »Das sind Geschenke, für die wir natürlich dankbar sind. Aber sie bringen unsere Wirtschaft nicht voran. Wir müssen unsere eigene Leistung stimulieren.« Masri schildert den Masterplan, den er damals, Ende der 1990er Jahre, mit nach Palästina brachte: »Tourismus in Bethlehem, Finanzwirtschaft in Ramallah, Industrie in Gaza und Telekommunikation in Nablus.« Die Probleme der Palästinenser, so sagt Masri, seien nicht ökonomischer Natur: »Solange Gaza und die Westbank gespalten sind und wir Siedlungen und Besatzung haben, wird es wohl dauerhaft nichts werden«. Er deutet dabei auf die Berge, die Nablus umschließen und in denen sich jüdische Siedler eingerichtet haben. »Ich habe dieses Haus hierhin gesetzt, damit die Siedler sich den Platz nicht unter den Nagel reißen«, erklärt Masri. Die unbequemen Nachbarn hätten, was schöne Aussicht anbelangt, stets guten Geschmack bewiesen. Der Ort, auf dem Masri seinen Palast baute, wäre gewiss begehrtes Siedlerland, denn laut dem Pentateuch sollen die Stämme Israels dort, am Berg Gerizim, geopfert haben. Immer wieder spekulieren Medien, ob Masri eines Tages das Amt des Premierministers übernehmen werde – oder gar des Präsidenten. Bislang hat Masri das ausgeschlagen. Die politische Situation ist heikel: Derzeit muss ein anderer, Premierminister Salam Fayyad, versuchen, das Arafat-Bilder finden sich überall in dem Palast. Der PLO-Chef sei sein bester Freund gewesen, sagt Masri heute. Ist es Zufall, dass er die Melodie des »Paten« pfeift? Beste daraus zu machen. Masri gilt auch als Förderer von Marwan Barghuti, eines populären Fatah-Funktionärs, der in israelischer Haft sitzt, aber bald freikommen könnte. Beobachter vermuten, dass Masri auf bessere Bedingungen wartet, bevor er seinen Lebenslauf noch einmal politisch krönt. Aber es gibt Momente, da sieht der Mann zufrieden aus mit sich, seinem Ruf und seinem Reichtum. Und er weiß nicht, wie lange das noch währt. Das Herz macht ihm nach zahlreichen Operationen immer mehr zu schaffen: »Da drinnen stecken acht Gefäßstützen, für eine neunte gibt es keinen Platz«, sagt Masri nachdenklich am Morgen nach dem Festempfang. Er steht unter dem Portal der Villa und blinzelt in die Sonne. »Jeder Tag ist eine Zugabe. Ich weigere mich zu sterben. Denn den Staat Palästina möchte ich noch sehen.« zenith 5/2010 09 lIllustration: Hadinugroho GEGENSPIELER IRVING MOSKOWITZ, 82, USA Der Magnat aus Miami Mit »Bingo« verdiente er Millionen: Irving Moskowitz ist heute ein wohlhabender Menschenfreund. In Israel verfolgt der Amerikaner aber seine eigene politische Agenda. Er spendet für religiöse Siedler in Ost-Jerusalem und schafft damit täglich Fakten Von Dominik Peters Comics. Damit verdiente Irving Moskowitz seinen eigenen Angaben zufolge seine ersten Cents. Er wurde Arzt und später Geschäftsmann – mit dem Kauf und Verkauf privater Krankenhäuser an der amerikanischen Westküste machte er die ersten Millionen. Ein großer Coup gelang ihm 1988, als er eine Bingohalle im kalifornischen Ort Hawaiian Gardens übernahm. Moskowitz wurde Multimillionär, gründete eine Stiftung und gibt sich seither als Menschenfreund der nobelsten Sorte. Egal ob Tsunami- oder Erdbebenopfer, arme Amerikaner oder krebskranke Israelis: Es heißt, der Magnat aus Miami Beach helfe ihnen allen. Aber Moskowitz, der fromme Jude mit der schwarzen Kippa, spaltet Israel. Die Linken sehen in ihm einen Brandstifter, der die Lunte ans Pulverfass Jerusalem legt. »Dass ein Jude aus Miami über unsere politische Zukunft bestimmt, 10 zenith 5/2010 ist nicht akzeptabel«, empörte sich Jerusalems verstorbener Bürgermeister Teddy Kollek bereits in den 1990ern. Der Grund: Mit dem Großteil seiner Glücksspiel-Gelder – Schätzungen zufolge mehrere hundert Millionen US-Dollar – unterstützt Moskowitz national-religiöse Siedlergruppen wie »Ateret Cohanim – Krone der Tempelpriester«. Deren selbsternanntes Ziel ist die Wiedererrichtung des jüdischen Tempels, schon lange fungieren sie als Strohmänner für Moskowitz beim Kauf von Immobilien im arabischen Teil Jerusalems. Der 82-Jährige, den eine enge Freundschaft mit Benjamin Netanjahu und Ehud Olmert verbindet und der angeblich Jerusalemer Kommunalpolitiker mit seinen Dollars besticht, ist in den vergangenen Jahrzehnten zum Schattenmann der Siedlungspolitik geworden. Für ihn gibt es nur ein jüdisches Jerusalem. Einst verglich Siedlungen und Archäologie – hinter seiner Güte steht ein Masterplan Fotos: Daniel Gerlach GEGENSPIELER Altstadt von Jerusalem mit Felsendom: Moskowitz finanziert dort jüdische Schulen und besitzt ein Haus. er Jitzhak Rabin mit dem britischen Premier Neville Chamberlain, der 1938 Hitler hofierte. Moskowitz sah in den Osloer Verträgen einen »politischen Selbstmord« Israels. Bereits 1985 kaufte Moskowitz das ShepherdHotel in Ost-Jerusalem, half Siedlern, ein Grundstück im Ortsteil Ras al-Amud zu erwerben, und finanzierte Religionsschulen im muslimischen Teil der Altstadt, wo er selbst ein Haus besitzt. Daneben war er einer der Hauptgeldgeber des umstrittenen Hasmonäer-Tunnels an der Klagemauer. Heute fördert er die Ausgrabungen der historischen »Davidstadt« nahe des arabischen Dorfes Silwan durch die jüdische Organisation »El Ad«. Diese und dutzende andere Projekte unterstützt der medienscheue Multimillionär nach eigenen Angaben nur, damit Israel ein »sicherer Hafen für Juden« ist. Für den Mäzen aus Miami, dessen Familie viele Mitglieder im Holo- caust verloren hat, ist dies eine Herzensangelegenheit. Der in New York als Sohn jüdisch-polnischer Einwanderer geborene Moskowitz ist dennoch selten in Israel. Einer der letzten Besuche des 82-Jährigen fand im Jahr 2005 statt. Er besichtigte gemeinsam mit seiner Frau Cherna die jüdischen Siedlungen im Gaza-Streifen. 58 Jahre sind sie verheiratet, haben acht Kinder und 42 Enkel. Dort sah man ihn durch den Siedlungsblock Gusch Katif tanzen; seine Frau stellte fest, es gebe »keinen Ort auf der Welt, wo sie sich so wohl und sicher fühlen«. Wenige Wochen später ließ die Scharon-Regierung die Siedlungen räumen. Moskowitz kehrte nach Miami Beach zurück. Genau das wollten linke Israelis verhindern: Moskowitz solle im Alltag erleben, was er mit seinem Geld anrichtet. Ihr Slogan: »Spiel nicht Bingo mit unserem Leben.« zenith 5/2010 11 GEWAGTE SCHNITTE MILIA MAROUN, 39, LIBANON Die Verhüllungskünstlerin Milia Maroun gehört mit ihrem Label »milia m« zur Avantgarde in Beirut. Seit sie als erste arabische Designerin eine eigene Show auf der Modewoche in Mailand hatte, sind ihre Kollektionen weltweit gefragt Interview: Silke Brandt zenith: Was waren Ihre ersten Erfahrungen mit Mode? Milia Maroun: Meine erste Modenschau fand 1998 in einem Nachtclub in Beirut mit ausgefallenen und verrückten Entwürfen statt. Leider habe ich für so etwas keine Zeit mehr. Wie sind Sie Modedesignerin geworden? Das hat sich alles so entwickelt, als ich mit dem Modedesign-Studium in Paris fertig war. Ich habe gar nicht viel überlegt, ich liebte es einfach, ganz neue und unterschiedliche Wege zu ent- decken, wie man Mode sehen kann. Nach ein paar Jahren in Paris ging ich dann zurück nach Beirut und eröffnete mein eigenes Studio. Seit 1999 entwerfe ich zwei Kollektionen pro Jahr. Welche Designer bewundern und inspirieren Sie am meisten? Ich lasse mich nicht unbedingt von der Arbeit anderer Designer inspirieren. Mehr als ihre Mode selbst bewundere ich die Persönlichkeiten dahinter. Coco Chanel, Yves Saint Laurent, Jean-Paul Gaultier oder Vivienne Westwood sind >> zenith 5/2010 13 Fotos: Joe Kesrouani (klein), Dina Debbas (groß) GEWAGTE SCHNITTE »Geschäftssinn ist heute wichtiger als Talent« wahre Mythen. Heute ist Mode eher eine Industrie. Jeder kann eine Kollektion kreieren. Wichtiger als bloßes Talent ist mittlerweile der richtige Geschäftssinn. Was ist das wichtigste Motiv Ihrer Arbeit? Das variiert von Saison zu Saison, manchmal verwende ich auch kein bestimmtes Motiv. Aber das, was aus den Formen, Details, Farben und dem Geist aller Kollektionen herauskommt, ist eine bestimmte Identität, die die Basis für meine gesamte Arbeit ist. Die meisten meiner Kleider deuten mehr an, als sie zeigen. Das Spiel von Verhüllen und Enthüllen zur selben Zeit ist ein Motto, das sich durch meine Arbeiten zieht. Gibt es Materialien, mit denen Sie besonders gerne arbeiten? Ich liebe es, natürliche Materialien wie Seide oder Baumwolle zu verwenden. Aber ich bin immer offen für neue Stoffe und Technologien. Die Möglichkeiten bei Textil-Innovationen sind heute fast unbegrenzt. Das ist sehr inspirierend. In welchen Ländern sind Sie mit Ihrer Mode am erfolgreichsten? Die besten Kunden habe ich im Moment im Nahen Osten, in Europa und in Ostasien. 14 zenith 5/2009 Warum sind Sie nicht wie andere Kollegen in der Modehauptstadt Paris geblieben? Mein Leben und meine Arbeit spielen sich einfach in drei anderen Städten ab – Beirut, London und Istanbul. Außerdem bin ich gern in Beirut. Ich nehme mir das Beste, was die Stadt zu bieten hat. Beirut ist immer noch so etwas wie eine freie Fläche, auf der man frei experimentieren kann. Es ist immer noch eine Stadt, die dabei ist, sich zu entwickeln und die sehr neugierig macht. Was war bisher Ihr größter Erfolg? Am schönsten war es, als ich meinen eigenen Laden in Beirut eröffnet habe. Allerdings habe ich mich auch sehr gefreut, als meine Kollektion 2008 auf der Mailänder Modenschau neben anderen etablierten Namen gezeigt wurde. Außerdem wird meine Mode mittlerweile von einigen der besten Läden der Modewelt geführt. Fotos: Joe Kesrouani (klein), Franck Christen (groß) GEWAGTE SCHNITTE Milia Maroun arbeitete nach ihrem ModedesignStudium in Paris einige Jahre als Unterwäsche-Designerin bei der Vanity Fair Corporation Europe. Die 1971 in Beirut geborene Designerin zeigte nach ihrem Auftritt bei der »Abu Dhabi Fashion Week« 2007 ihre Entwürfe als erste arabische Designerin auch 2008 auf der Mailänder Modewoche. Sie lebt in Istanbul und Beirut. »Mehr andeuten als zeigen« – allzu streng hält »milia m« sich nicht an dieses Motto zenith 2/2009 15 Foto: Simone Cecchetti; Illustration: Zaha Hadid Architects LIEBE ZUR GEOMETRIE ZAHA HADID, 60, IRAK Wider die Gerade Die irakische Stararchitektin Zaha Hadid trotzt starren Formen. e Für sie befindet sich alles im Fluss. Der Weg an die Spitze der Avantgard war steinig. 2010 wurde sie 60 Jahre alt Von Elisabet h Knoblau ch Ihre Bauten sind real gewordene Fantasien. Als könnte man die Statik überwinden, neigen sie sich, strecken sich auf dem Boden aus, schrauben sich atemberaubend leicht in die Höhe. Zaha Hadid hat die Formensprache der Architektur des neuen Jahrtausends gefunden. Es war ein steiniger Weg. Jahrelang fand die 1950 in Bagdad geborene Hadid keine Bauherren für ihre außergewöhnlichen Entwürfe, obwohl ihr Talent früh erkannt worden ist. Nach einem Mathematikstudium in Beirut und einem Architekturstudium in London wurde sie Partnerin im Büro des Niederländers Rem Koolhaas. »Ich habe etwas ganz Neues gemacht«, sagt sie heute. »Und ich war fremd.« In mehrerer Hinsicht. Sie war Frau, sie war Irakerin – nicht einfach in einer von Männern dominierten Branche, in der 16 zenith 5/2010 tonnenweise Stahl, Beton und Geld verschoben werden. Nicht bauen zu können ist für einen Architekten eine Qual. Aber zehn Jahre lang arbeitete Hadid fast ausschließlich auf dem Papier. Sie zeichnete, gewann Preise und Ausschreibungen, die nie umgesetzt wurden. 1988 wurden ihre Werke in einer viel beachteten Ausstellung im New Yorker MoMA gezeigt. Fast hätte sie das gleiche Schicksal ereilt wie den russischen Konstruktivisten Iwan Leonidow (1902-1959), der zeitlebens hoch gelobt wurde, doch nur eine einzige Treppenanlage in die Tat umsetzen konnte. Hadid jedoch gelang mit der Vitra-Feuerwache in Weil am Rhein 1993 der Durchbruch. Plötzlich fanden sich Bauherren für ihre eigenwilligen Konstruktionen. Heute beschäftigt sie LIEBE ZUR GEOMETRIE Fremd in einer Branche, in der tonnenweise Stahl und Geld verschoben werden Der erste große Auftrag in London: Das Aquatics Center für die Olympischen Sommerspiele 2012 300 Mitarbeiter und baut auf der ganzen Welt. Im Jahr 2004 erhielt sie den Pritzker-Preis, die weltweit höchste Auszeichnung für Architektur. Zum ersten Mal wurde er an eine Frau vergeben. Im Oktober dieses Jahres nahm sie in London den Stirling-Preis entgegen, Großbritanniens prestigeträchtigste Architekturauszeichnung, für den Bau des italienischen Museums der Künste des 21. Jahrhunderts MAXXI in Rom. Es war mehr für sie als nur ein weiterer Preis. Nach Jahren harter Arbeit wurde sie endlich in ihrer Wahlheimat England anerkannt. Für die Olympischen Sommerspiele 2012 in London baut sie nun die Schwimmhalle. Sie lehrt heute an vielen Hochschulen, auch an der für ihre Innovationsfreude bekannten »Angewandten«, der Universität für angewand- te Kunst in Wien. Studenten lernen dort von Hadid die Geheimnisse der »non standard architecture«: Durch mehrdimensionale Entwurfsverfahren entwickelt sie Modelle, die sich am Zeichenbrett gar nicht denken ließen – meist ohne rechte Winkel. Dieser Luxus macht allerdings einen anderen Umgang mit Geometrie notwendig; komplexe und kostspielige Tragwerke müssen her. Auch in den Golfstaaten, etwa in Bahrain und den Emiraten, baut sie Museen und Kulturpaläste – allerdings heißt es in der Architekturszene, dass das geplante »Performing Arts Center« in Abu Dhabi das geplante Budget übersteigen wird. Die Umsetzung des Entwurfs ist womöglich in Gefahr. An Ausschreibungen in Israel, so wird aus ihrem Umfeld kolportiert, nimmt Hadid im >> zenith 5/2010 17 Illustration: Zaha Hadid Architects LIEBE ZUR GEOMETRIE Zaha Hadids Traum: ein Haus, das sich den Launen der Bewohner anpasst Übrigen nicht teil. Es heißt, sie wolle es sich nicht mit ihren arabischen Auftraggebern verscherzen. Frappierend, wie sich ihr Stil in den Jahren gewandelt hat. Aus dem sperrigen, herausfordernden Formen sind schmiegsame Wesen geworden, die sich weich in die Landschaft einbetten und trotzdem herausstechen. »Parametrismus« nennt das Büro Hadid diesen Stil, der in der digitalen Animationstechnik wurzelt. Alle Gebilde sind als verformbar zu betrachten, sie sind systematisch zu krümmen und in Korrelation zu setzen. Hadid selbst arbeitet nicht mit dem Computer, sondern lässt ihre handgefertigten Skizzen von ihrem Team ausarbeiten. Das Fließende ihrer Handarbeit ist ihr wichtig. Sie, die seit mehr als 30 Jahren nicht mehr im 18 zenith 5/2010 Irak war, denkt oft an den Tigris, der durch das Bagdad ihrer Kindheit floss. Welche Ruhe er ausstrahlte. Es ist nicht verwunderlich, dass ihr Lieblingsstoff der Beton ist. Sie möchte das Fließende, das sich Ändernde festhalten, um ihm gleichzeitig Raum zu geben. Einer ihrer größten Träume ist es, ein Haus zu konstruieren, das sich dem Gemüt und der Laune seiner Bewohner anpasst. Ein Haus, in dem Badezimmer und Küche nicht an einer festen Stelle im Haus sein müssten. Mit durchlässigen Räumen, veränderbar. Fast so, als hätten sie ihr eigenes Leben. Total Fluidity Patrik Schumacher, Zaha Hadid Springer, Wien 2011, 512 Seiten, 35,99 Euro In Zukunft wird auch noch mehr Stadtplanung zu den einzelnen Gebäuden kommen. Hier eine Ansicht der Istanbuler Stadtviertel Kartal und Pendik, die neu geordnet werden sollen. Foto: Warner Bros HELDEN DER LEINWAND ALEXANDER SIDDIG, 45, GROSSBRITANNIEN Doktor, Gärtner, Terrorist Als heimlicher Botschafter all dessen, was gut ist am Araber, schleicht sich der gebürtige Sudanese in unser Unterbewusstsein – über Leinwände und Fernsehschirme Seit Beginn seiner Karriere spielte Alexander Siddig mit den Großen. Eine seiner ersten Rollen war die des Emirs Faisal in der britischen Fernsehproduktion »A Dangerous Man« von 1990 – eine inoffizielle Fortsetzung von »Lawrence von Arabien« mit Ralph Fiennes in der Titelrolle. Darin nimmt Lawrence gemeinsam mit Faisal erfolglos an der Versailler Friedenskonferenz 1919 teil. »What a lovely job«, lobte Sir Alec Guinness, der den Faisal in David Leans Epos von 1962 gegeben hatte, den jungen Siddig. 15 Jahre später spielte Siddig in »Syriana« wieder einen arabischen Fürsten, Prinz Nasir, diesmal neben George Clooney als CIAAgent. Zwischen beiden Filmen lagen die Anschläge des 11. September 2001. Sie haben Siddig nach eigener Aussage zum politischen Menschen gemacht; er sei sich mit Nachdruck seiner arabischen Herkunft bewusst geworden, sagt der Sohn eines Sudanesen und einer Britin. Ein enormer Karrieresprung lag für Siddig in der Zwischenzeit: Ohne seine Hauptrolle als Arzt in der Science-Fiction-Serie »Star Trek – Deep Space Nine« in den 1990ern wären ihm wohl kaum so viele Rollen angeboten worden. Nach 2001 suchte das Kino dann viele Terroristendarsteller. Siddig hat sich indes die Aufgabe gestellt, das Bild vom »bösen Araber« auf Leinwand und Bildschirm zu differenzieren: Emir Faisal und Prinz Nasir zeigen die gute, edle, großzügige Seite des Orients, wie auch die geläu- terten Terroristen, die Siddig in Actionthrillern mimt. In der englischsprachigen Welt hat er sich damit einen Namen gemacht, hierzulande ist er noch kaum bekannt. Erst wenn man vom Doktor aus »Deep Space Nine« spricht, lautet die Reaktion: »Ach, der!« Die Filme und Serien, in denen Siddig seither aufgetreten ist, sind aber auch in Deutschland populär: von »Syriana« über »Königreich der Himmel« bis »24«. Siddigs Schicksal wurde schon früh von der Politik bestimmt. Über seinen inzwischen verstorbenen Vater ist er mit dem Mahdi verwandt, der vor rund 130 Jahren im Sudan eine islamische Volksbewegung gegen die anglo-ägyptische Kolonialherrschaft anführte. Sein Onkel Sadiq al-Mahdi, zwei Mal sudanesischer Premierminister, wurde zuletzt von Omar alBashir gestürzt. Als Gafaar al-Numeiri sich 1969 an die Macht putschte, verließ al-Mahdi das Land, und die Verwandtschaft schickte seinen vierjährigen Neffen in Sicherheit zur Mutter nach England. Über den heutigen Zustand der Heimat des Vaters ist Siddig tief betrübt. Die Diktatur habe die Sudanesen verroht: »Die Menschen sind kaum noch gütig und großzügig«, sagt er im Gespräch mit zenith. »Die Jungen wachsen zu Gewalttätern heran.« Aus der Ferne versucht Siddig zu tun, was er kann, und unterstützt Flüchtlinge aus dem Sudan, sich im Exil zurecht zu finden. Sein Vorfahre jagte die Briten aus Khartum Nach seiner eigenen, frühen Umsiedlung hat er sich rasch adaptiert, er spricht feinstes OxfordEnglisch. Er bekennt: »In England ist meine Seele zu Hause, denn dort bin ich aufgewachsen.« Seine zwei Identitäten hat er ausgeglichen. Auf der Leinwand ist er Araber – für das westliche Publikum, denn mit seinem Arabisch ist er zu unsicher, um in arabischen Filmen zu spielen. Zuhause in seinem Garten in Sussex ist er Engländer. Von seiner selbst gewählten Mission nimmt er sich bisweilen eine Auszeit und übernimmt feine Charakterrollen. Keine Blockbuster, sondern Autorenkino. Letztes Jahr war er der ägyptische Charmeur im preisgekrönten, kanadischen Film »Cairo Time«. Und seit dem 11. November ist er wieder einmal in deutschen Kinos zu sehen: In Julian Schnabels Palästina-Melodram »Miral« spielt er den Vater der Titelheldin. »Es geht um einen Menschen, der nicht in den Kampf ziehen will. Er ist einfach nur Ehemann und Vater«, erklärt Siddig. »Ich spiele ihn als Gärtner – davon verstehe ich etwas.« mmo zenith 5/2010 19 Fotos: Pera Film HELDEN DER LEINWAND MOHAMMED NECATI SASMAZ 39, TÜRKEI Der Rächer Im Kino kämpft er gegen das Böse und für die türkische Ehre. Auch im wahren Leben scheint Necati Sasmaz sein Alter Ego zu gefallen Von Jannik Veenhuis Ein Geiselnehmer hält einer Frau mit Baby auf dem Arm die Pistole an den Kopf. Ihm gegenüber steht der türkische Geheimagent Polat Alemdar. Der zögert nur kurz, dann drückt er ab. Das Blut des Geiselnehmers spritzt an die Wand, befleckt einen Davidstern. Geisel, Geheimdienst und die Szenerie sind fiktiv. Der Konflikt um den es geht, ist umso realer. Der Agent steht irgendwo dazwischen. Eigentlich heißt er Mohammed Necati Sasmaz, genannt wird er so aber eher selten. In der Türkei kennt man ihn als Polat Alemdar, Hauptdarsteller der beliebten türkischen Fernsehserie »Tal der Wölfe«. In »Kurtlar Vadisi«, wie die Serie im Original heißt, bekämpft der Held die Mafia. Die Produktion war so erfolgreich, dass der Stoff für die Kinoleinwand adaptiert wurde. Der neueste Streifen »Tal der Wölfe – Palästina« läuft ab dem 28. Januar 2011 in den türkischen Kinos. Auch diesmal legt sich Alemdar mit einem mächtigen Gegner an – Israel. Und die Pro- 20 zenith 5/2010 duktionsfirma Panafilm scheint damit kein Zeichen des Friedens setzen zu wollen. Die Firma mit Sitz in Istanbul gehört Necati Sasmaz und seinen Brüdern. Raci Sasmaz ist Drehbuchautor, Bruder Zübeyr Regisseur. Seit 2004 ist Panafilm mit der TV-Serie »Tal der Wölfe« nicht nur innerhalb der Türkei erfolgreich. »Wir sprechen Dinge an, die keiner hören will, immer und immer wieder. So machen wir denen Angst, die schuldig sind«, sagte Necati kürzlich in einem Interview. Und daran lässt er keinen Zweifel. Als Polat Alemdar kämpft Sasmaz entschlossener und radikaler als je zuvor gegen den Feind. Am Bosporus ist der Geheimagent vor allem für die Jugend ein Held. Dabei war Sasmaz’ Weg auf die Leinwand alles andere als geplant. Nachdem er Tourismus und Hotelmanagement studiert hatte, versuchte er, in den USA Fuß zu fassen, und arbeitete dort sechs Jahre lang in der Tourismus-Branche. Als er 2001 nach einem Besuch HELDEN DER LEINWAND in der türkischen Heimat wieder auf dem Weg in die USA war, musste seine Maschine wegen der Anschläge auf das World Trade Center umkehren. Zurück in der Türkei geriet Sasmaz schließlich an den Produzenten Osman Sinav. Statt eines Jobs als Kabelträger bekam er die Hauptrolle. Heute kämpft er als Polat Alemdar für die Nation und für die gute Sache auch außerhalb der Türkei. In der neuesten Produktion rechnet er mit den Israelis ab, die verantwortlich waren für die Tötung türkischer Aktivisten, die mit einer Schiffsflotte Hilfsgüter in den Gaza-Streifen transportieren wollten. Panafilm folgt dem Mainstream. Irgendwo zwischen actiongeladenem Agentenepos und politischem Pathos traf schon die TV-Serie genau den richtigen Nerv der Zuschauer. Unklar bleibt, was beim neuen Blockbuster politische Botschaft ist und was lediglich Unterhaltung. Antijüdische Elemente gab es auch schon in der Serie »Tal der Wölfe« immer wie- Action, Pathos und Antisemitismus – eine verführerische Mischung der. Wie die Sasmaz-Brüder die Welt sehen, wird wohl in ihren Filmen deutlich. Angeblich stehen Familienmitglieder der türkisch-nationalistischen Partei MHP nahe, die als extremistisch eingeschätzt wird. Der Film könnte dafür sorgen, dass sich die türkisch-israelischen Beziehungen weiter abkühlen. Das Verhältnis steht schon jetzt nicht zum Besten. Aber es wäre töricht, die Realität allzu sehr von der Kinoleinwand abzulesen. Eigentlich ist »Tal der Wölfe – Palästina« nur ein weiterer Action- film, denn der Film ist alles andere als innovativ. »Uns wurden Helden wie Rambo vorgesetzt. Zum ersten Mal in der Filmgeschichte aber gibt es einen Unbesiegbaren aus dem Nahen Osten«, so Necati Sasmaz. Und so viele Israelis gibt es gar nicht, wie auf Kinoleinwänden schon Vietnamesen, Russen und Araber von amerikanischen Helden wie Rambo und Kollegen vernichtet wurden. Sachliche und politische Korrektheit hat dabei bisher die geringste Rolle gespielt. So scheint sich auch Panafilm recht wenig um den Wirbel zu scheren, den der Film schon jetzt auslöst. Schließlich geht es vor allem um den Profit. Bei so viel Öffentlichkeit, die der Film schon vor dem offiziellen Start bekommt, dürfte die Kasse ordentlich klingeln. Tal der Wölfe – Palästina Regie: Zübeyr Sasmaz Drehbuch: Bahadir Özdener Türkei 2010 zenith 5/2010 21 Fotos: Lyall Gardiner HELDEN DER LEINWAND ALI F. MOSTAFA, 29, VEREINIGTE ARABISCHE EMIRATE »Drink and drive!« »City of Life«, der erste große Kinofilm aus den Vereinigten Arabischen Emiraten, wurde 2010 am Golf gefeiert. Er zeigt die menschlichen Schicksale der Glitzerwelt Dubais. Regisseur Ali Mostafa über Zensur und die Zukunft des emiratischen Films Interview: Hannes Alpen zenith: Herr Mostafa, die emiratischen Protagonisten in Ihrem Film müssen nicht arbeiten, weil ihre Väter reich sind, trinken Alkohol und prügeln sich. Nicht gerade Vorzeigemodelle. Ali Mostafa: Ja, aber man sollte nicht von wenigen Beispielen gleich auf die ganze Gesellschaft schließen. Ihr Film wird von drei Erzählsträngen durchzogen, die in den drei Hauptgruppen der Dubaier Bevölkerung spielen: asiatische Gastarbeiter, westliche Geschäftsleute und Emiratis. Haben Sie keinen Druck gespürt, die Charaktere repräsentativ darstellen zu müssen? Wenn wir ehrlich sind, ist mein Film doch gar nicht so kritisch. Dennoch hat es sehr lange gedauert, bis er genehmigt wurde. Nicht, weil darin ein paar Emiratis Alkohol trinken. Sondern weil das etwas Neues war. Und niemand in der Behörde wollte die Verantwortung auf sich nehmen, die Genehmigung zu erteilen. Am Ende haben sie gesagt: Mach erstmal, aber wir wollen den Film dann vorher noch einmal sehen. Stellen Sie sich vor: ein so teures Projekt ohne die Garantie, dass der Film die Zuschauer überhaupt erreicht. 22 zenith 5/2010 Wurden denn Szenen zensiert? Nein, alles ist so, wie ich es wollte. Und die Szenen, die ich herausgeschnitten habe, werden wir als Bonus auf der DVD veröffentlichen. Aber kurz vor der Weltpremiere des Films wurde es noch einmal heikel. Ich bekam eine E-Mail mit dem Verbot, den Film zu zeigen. Dabei war schon alles vorbereitet: Pressekonferenzen waren anberaumt, der Trailer veröffentlicht. Was haben Sie dann gemacht? Wir haben es geschafft, den Film seiner Hoheit Scheich Muhammad, dem Emir von Dubai, zu zeigen. Und haben ihn um seine Erlaubnis gebeten. Einige Tage später bekam ich einen Anruf mit Glückwünschen zu dem Film. Ich solle stolz darauf sein. Damit hatten wir die Zustimmung von ganz oben. Was bedeutet ihr Streifen für die Zukunft des Films in den Emiraten? Mein Film hat den Leuten Vertrauen in das emiratische Kino gegeben. Alle haben gesagt, wenn der Film zwei Wochen läuft, kannst Du Dich freuen. Am Ende waren es über neun Wochen, länger als einige Hollywoodfilme. Mittlerweile laufen mehrere einheimische Produktionen, unter anderem von meinem Kollegen Nawaf AlJanahi. Außerdem haben wir mit »City of Life« Ali F. Mostafa ist Sohn eines Emiratis und einer Britin. Er wuchs in Dubai auf, lebte jedoch auch in London, wo er die London Film School absolvierte. Bereits sein Abschlussfilm »Taht al-Shams – Unter der Sonne« fand auf Festivals großen Anklang. Mit »City of Life« gelang ihm die erste große einheimische Kinoproduktion der Vereinigten Arabischen Emirate. auch den Weg für größere Produktionen aus dem Ausland bereitet. Inwiefern? »Mission Impossible 4« wurde gerade hier gedreht. Dank unseres Films wussten die Behörden, was auf sie zukommt, wenn ein Filmteam in der Stadt ist. Wenn beispielsweise Straßen für Dreharbeiten abgesperrt werden müssen. Für »City of Life« ließen wir erstmals ganze Straßenzüge sperren, um dort zwanzig Autos zusammenkrachen zu lassen. Sie sprechen die Schlüsselszene an, in der ein Autounfall die Erzählstränge des Films zusammenführt. Ja. Die Shaikh Zayed Road war einmal als eine der gefährlichsten Straßen der Welt bekannt. HELDEN DER LEINWAND Auch ich habe dort einige Freunde durch Unfälle verloren. Im Film kommt der beste Freund des Protagonisten Faisal bei dem Unfall ums Leben. Hat der Film autobiographische Züge? Die Geschichte der Emiratis enthält sehr viele Elemente aus meinem persönlichen Leben. Aber genauer möchte ich nicht darauf eingehen. Wie konnten Sie Geldgeber für eine so aufwändige Produktion gewinnen? Erst habe ich überall nett angefragt – ohne Erfolg. Dann habe ich erkannt, dass Dubai eigentlich eine große Marke ist. Und dass viele Firmen aus Dubai in meinem Film vorkommen, wie der Flughafen oder der Immobilienkonzern Nakheel. Also habe ich mit diesen Firmen verhandelt. Und ihnen klar gemacht, dass ihr Name durch meinen Film prominenter dargestellt wird als in der klassischen Werbung. Dreißig Prozent der rund fünf Millionen Dollar konnte ich so finanzieren, den Rest hat ein Investor übernommen, der ungenannt bleiben möchte. Hat sich das Investment für ihn gelohnt? Leider noch nicht, weil der Film außerhalb der Golfstaaten keinen internationalen Verleih gefunden hat. Dabei ist der Film auf vielen Festi- Scheich Muhammad pfiff die Zensoren zurück vals gelaufen und immer sehr gut angenommen worden. Soeben haben wir den Publikumspreis in Washington gewonnen. Bei meinem nächsten Film werde ich dafür sorgen, dass die Verbreitung bereits gesichert ist, bevor ich mit dem Dreh beginne. City of Life Ein desillusionierter indischer Taxifahrer träumt davon, Bollywoodstar zu werden; eine rumänische Balletttänzerin, die als Stewardess in Dubai gelandet ist, lässt sich mit einem britischen Werbefilmer ein; und ein junger Emirati treibt seinen Vater mit Verwicklungen in Schlägereien und Alkoholkonsum in die Verzweiflung. Ein Autounfall verknüpft diese Geschichten und gibt ihnen eine neue Wendung. Das urbane Drama ist mit Stars aus den jeweiligen Kulturkreisen besetzt: Bollywoodstar Sonu Sood als der Taxifahrer, der emiratische Starmoderator Saoud al-Kaabi als Faisal, und Alexandra Maria Lara als die rumänische Stewardess. Wovon wird ihr nächster Film handeln? Es wird ein witziges Roadmovie. Vier alte Freunde, ein Syrer, ein Iraker, ein Palästinenser und ein Libanese, finden nach langer Zeit wieder zusammen und fahren gemeinsam von Abu Dhabi nach Beirut. Mit der Reise wollen sie einem verstorbenen Freund huldigen, mit dem sie diese eigentlich hatten machen wollen. Aber die Freunde haben sich ganz verschieden entwickelt. Das birgt Potenzial für eine Menge Spaß auf der Reise. zenith 5/2010 23 weiter lesen. 1. für 0,- Euro Die letzten drei zenith-Ausgaben als Aboprämie* *Das Jahresabonnement (fünf Ausgaben) kostet 34,00 Euro im Inland (45,00 Euro im Ausland). Die Geschäftsbedingungen des Deutschen Levante Verlages finden Sie auf www.zenithonline.de. Nur als Abonnent erhalten Sie auch den zenith-BusinessReport frei Haus. www.zenithonline.de oder 2. für 15,- Euro Die letzten drei zenith-Ausgaben zum Probelesen Ich bestelle hiermit: Die letzten drei zenith-Ausgaben zum Probelesen für 15,00 Euro (inkl. Versandgebühr). Ein Jahresabonnement für 34,00 Euro (45,00 im Ausland) und erhalte die letzten drei zenith-Ausgaben als Abopräsent zenith Zeitschrift für den Orient Auswählen, ankreuzen und abschicken oder faxen an: Anrede / Vorname / Nachname Adresse Deutscher Levante Verlag GmbH Linienstraße 106, 10115 Berlin PLZ / Ort Land Datum, Unterschrift Mit meiner Unterschrift akzeptiere ich die AGBs des Verlags. Per Fax: 030 · 39 835 188 5 Per E-Mail: [email protected] www.zenithonline.de Foto: privat ÄGYPTEN NACH MUBARAK NOHA ATEF, 26, ÄGYPTEN »Die Folter muss ein Ende haben!« Die junge Bloggerin Noha Atef sammelt auf ihrer Website Daten zur Polizeigewalt in Ägypten – und könnte dadurch bald selbst in Gefahr geraten Interview: Elisabeth Knoblauch zenith: Frau Atef, als Bloggerin befassen Sie sich mit Folter und Menschenrechtsverletzungen in Ägypten. Sie sind erst 26 Jahre alt. Gab es ein auslösendes Ereignis, das Sie dazu brachte, den Blog aufzumachen? Noha Atef: Im Jahr 2006 habe ich den Report einer lokalen NGO gelesen. Es war eine Sammlung von Aussagen von Frauen, die sexueller Gewalt und Folterungen durch Polizisten ausgesetzt waren, um den Druck auf ihre inhaftierten Ehemänner, Söhne oder Enkel zu erhöhen. Die Gefolterten selbst waren gar nicht angeklagt. Dieser Bericht hat mich sehr schockiert. Kurz darauf begann ich mit dem Bloggen, um anderen Menschen von den Folterungen zu berichten. Die Gesellschaft verurteilt Folter und es ist äußerst wichtig, dass dies ein Ende hat! Es war also von Anfang an ein politischer Blog? Ich meine nicht, dass mein Blog politischer Natur ist. Er verfolgt keine politischen Ziele. Mir geht es um Menschenrechte und jede Kritik an einem Politiker – wie auch dem Innenminister – geschieht auf Basis der Menschenrechte. Was wollen Sie mit ihrem Blog erreichen? Zunächst wollte ich mit meinem Blog Informationen über Folter in Ägypten verbreiten und klar stellen, dass solche Taten kriminell sind. Besonders ein Video sorgte für großes Aufsehen: Es zeigt einen Polizisten in einer Polizeiwache, der einen Mann bestialisch quält. Seit 2007 arbeite ich auch an der Datenbank »Torturepedia«, die alle kriminellen Handlungen der Polizei in Ägypten seit den späten 1990er Jahren auflisten soll. 26 zenith 5/2010 »Frauen können leichter unter Druck gesetzt werden als Männer!« Was ist die größte Herausforderung für Ihre Arbeit? Die größte Herausforderung war es zunächst, überhaupt Informationen über Folter zu finden. Die großen Medien berichten sehr selten darüber. Auch gibt es nur wenige NGOs, die in diesem Bereich arbeiten. Ein weiteres Problem war, die Menschen davon zu überzeugen, dass es zwar jemand gibt, der ihre Nachrichten und Berichte verbreitet, dafür aber kein Geld bezahlt. Blogs an sich waren noch neu in Ägypten. Überhaupt war es nicht einfach, Leser zu gewinnen, die sich mit so einem unangenehmen Thema auseinandersetzen wollen. Heute gibt es ungefähr 160 000 bis 300 000 ägyptische Blogs. Hat das Internet die ägyptische Gesellschaft verändert? Gibt es mehr Diskussionen als früher? Überraschenderweise gibt es keine öffentliche Diskussion über den Beitrag ägyptischer Blogger zur Gesellschaft. Auch nicht über das, was sie zu Tage fördern. Ich glaube jedoch, dass jede Art von Anstrengung, wenn sie ernsthaft ver- folgt wird, eine Änderung nach sich ziehen wird. Wie reagiert die ägyptische Gesellschaft auf ihre Arbeit? Generell unterstützen mich die Menschen. Viele machen sich auch Sorgen um mich. Spielt es in irgendeiner Weise eine Rolle, dass Sie eine Frau sind? Die meisten Menschen sind überrascht, wenn sie herausfinden, dass hinter tortureinegypt.net eine Frau steckt – noch dazu eine so junge, fröhliche mit Kopftuch. Ich bin mir nicht sicher, ob die Polizei zögern würde, mich zu inhaftieren, nur weil ich eine Frau bin. Immerhin wurde 2008 Esra Abdel-Fattah, eine Frau ungefähr in meinem Alter, für ihre Facebook-Aktivität verhaftet. Frauen können viel besser bedrängt und unter Druck gesetzt werden als Männer. Die ägyptische Polizei wendet häufig sexuelle Gewalt an, sowohl verbal als auch ganz konkret mit Vergewaltigungen. Noha Atef ist eine der bekanntesten Bloggerinnen Ägyptens. Ihre Seite tortureinegypt.net wird an manchen Tagen mehr als 20 000 mal angeklickt und zählt zu einer der wichtigsten unabhängigen Quellen zum Thema staatliche Gewalt. Geboren und aufgewachsen in Kairo mit zwei Brüdern und einer Schwester studierte sie zunächst Spanische Sprache und Literatur. Seit Anfang 2010 macht sie ihren Master in »Social Media« in Großbritannien, 2011 möchte sie nach Kairo zurückkehren. Der Neue macht Ärger Die ägyptische Präsidentenwahl 2011 wird keine Überraschungen bringen. Aber was geschieht, wenn der alte Mubarak nicht mehr antritt und seine Entourage zerfasert? Mohammed El Baradei hält sich für diesen Fall bereit Wenn von Ägyptens Zukunft die Rede ist, fällt oft der Name Mohammed El Baradei. Der 68-jährige fordert ein Regime heraus, das 30 Jahre lang kaum Widersacher kannte. Seit Anfang 2010 versucht der frühere Chef der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA), in Ägypten ein informelles politisches Bündnis zu schmieden. »Immer mehr Menschen begreifen, dass sie unterdrückt und in Rückständigkeit gehalten werden«, verkündete Baradei. Für seine Allianz suchte er neben linken Kräften auch die Nähe der islamisch-konservativen Muslimbruderschaft, die sich bislang aber eher distanziert verhält. Mit ihrer Hilfe will Baradei das Ende des auf das Militär gestützten Regimes einläuten. Er legt damit auch sein Image als Geschöpf der Ära Mubarak ab. Ob bei den Vereinten Nationen, im ägyptischen Außenministerium, als Professor für Internationales Recht oder Generaldirektor der IAEA – der studierte Jurist blickt auf eine glatte Karriere zurück. 2005 erhielt er den Friedensnobelpreis für sein Engagement gegen die Verbreitung von Atomwaffen. Dass Baradei von zahlreichen Medien bereits die Nachfolge des Präsidenten ans Herz gelegt wird, registriert die regierende Elite Ägyptens offenbar nicht ohne Sorge: Das Land steht mit seinem 82jährigen Präsidenten Hosni Mubarak kurz vor dem Wechsel. Neben Baradei werden gehandelt: Geheimdienstchef Omar Suleiman, Mubaraks Sohn Gamal und womöglich Premier Ahmad Nazif. Bei seiner Rückkehr nach Ägypten im Februar 2010 wurde Baradei von seinen Anhängern stürmisch gefeiert. Über Youtube und andere InternetMedien wirbt er um junge Anhänger. Seine Medienarbeit macht es für Beobachter schwierig zu bewerten, wie beliebt er tatsächlich bei den Massen ist. Da im Land noch immer der Ausnahmezu- OMAR SULEIMAN, 74, ÄGYPTEN Der Wikileaks-Skandal hilft ausgerechnet Ägyptens Geheimdienstchef. Seine Chancen, Präsident zu werden, steigen Foto: Cherie A. Thurlby/US Department of Defense Agent und Statthalter Für viele arabische Politiker waren die WikileaksEnthüllungen aus amerikanischen Diplomatenberichten eine Peinlichkeit. Nicht so für Omar Suleiman, den Direktor des ägyptischen Geheimdienstes. Die Drahtberichte der US-Botschaft in Kairo zeichnen vielmehr das Bild eines gewieften Strategen, der gekonnt alle Fäden der Macht in den Händen hält und beizeiten daran zieht. Suleiman erscheint als Vorkämpfer gegen die iranische Vormachtstellung in der Region. Sein Nachrichtendienst rekrutiert selbst in Syrien und im Irak Agenten. Daneben vermittelt der 74-Jährige seit Jahren zwischen den verfeindeten Palästinensergruppen Hamas und Fatah, wenn auch mit mäßigem Erfolg: »Ich betrachte mich als geduldigen Menschen, aber langsam platzt mir der Kragen«, offenbarte Suleiman den Amerikanern im Geheimen. lIllustration: Hadinugroho MOHAMMED EL BARADEI, 68, ÄGYPTEN stand gilt, sind seine Möglichkeiten, zu Massenveranstaltungen aufzurufen, beschränkt. Baradei rief zum Boykott der Parlamentswahlen Ende November auf – es kam zu Ausschreitungen auf den Straßen und einer Wahlbeteiligung von 25 Prozent in der ersten Runde. Nur ein Zeichen von Desinteresse oder eine Reaktion auf Baradeis Kampagne? Mubaraks Regierungspartei NDP gewann angeblich über 90 Prozent der zu vergebenden Sitze. Baradei hat mächtige Gegner – aber derzeit stellt er sich als einzige Alternative zu MubaUlrike Gasser raks Kamarilla dar. Seit 20 Jahren ist der Absolvent einer sowjetischen Militärakademie einer der engsten Getreuen von Präsident Hosni Mubarak. 1995 rettete er dem Staatschef bei einem Attentat in Addis Abeba das Leben, als er sich bei dem Angriff auf die Präsidentenlimousine schützend über Mubarak warf. Seither wird Suleiman immer wieder als möglicher Nachfolger an der Staatsspitze gehandelt. Er ist unbestritten ein ausgebuffter Strippenzieher, der beste Kontakte im Nahen Osten und einen guten Draht zum Verbündeten in Washington hat. Doch als Geheimdienstler weicht der Mann aus dem ländlichen Oberägypten Fragen nach seinen politischen Ambitionen beharrlich aus. Viele Ägypter glauben, dass nur ein Mann Suleiman den Präsidentenposten streitig machen kann: Mubaraks 47 Jahre alter Sohn Gamal. Der ist jedoch sowohl beim Volk als auch in weiten Kreisen der herrschenden Nationaldemokratischen Partei unbeliebt. Suleiman hat den Vorteil, dass er in Geheimdienst, Partei und Armee bestens vernetzt ist, und die Zahl derer, die eine Erbmonarchie am Nil verhindern wollen, beständig wächst. Gut möglich also, dass die US-Botschaft in Kairo demnächst von Gesprächen mit dem Präsidenten Suleiman syd berichten wird. zenith 5/2010 27 N E U E S TÄ D T E SAMIH SAWIRIS, 53, ÄGYPTEN »Massentourismus hat keine Zukunft« Als der ägyptische Millionärssohn Samih Sawiris in den 1970er Jahren in Berlin studierte, gab sein Vater ihm nur den deutschen Bafög-Satz zum Leben. Seine Familie besitzt Orascom, einen der größten Konzerne des Nahen Ostens. Sawiris selbst entwickelt weltweit Tourismus-Immobilien Interview: Nils Metzger zenith: Herr Sawiris, für rund 1,3 Milliarden Euro bauen Sie das Schweizer Dorf Andermatt zu einem Luxus-Ferienresort aus. Glauben Sie nicht, dass die Schweiz schon genug Angebote für reiche Touristen besitzt? Samih Sawiris: Die Nachfrage für die Schweiz ist nach wie vor hervorragend. Die Anzahl der Luxus-Standorte ist recht gering, betrachtet man die Reputation, die das Land international hat. Man hat eine Auswahl zwischen höchstens sechs verschiedenen Standorten. Selbst ein Entwicklungsland wie Ägypten hat hier mehr Angebote. Trotzdem scheinen Ihnen die Kunden das Produkt nicht aus der Hand zu reißen. Bislang wurden erst 32 von geplanten 600 Appartements verkauft. Haben Sie sich verkalkuliert? Sie denken zu kurzfristig. Wir sind nicht dorthin gegangen, um möglichst schnell zu bauen, zu verkaufen und wieder abzuhauen. Wir haben ein jährliches Pensum und möchten das Projekt über die nächsten zehn bis zwanzig Jahre fertigstellen. Es ist nicht langfristig profitabel, wenn wir alles auf einmal bauen. So macht es weder Sinn noch Spaß. Würden wir auf einen Schlag alle 600 Wohnungen bauen, wäre das Projekt ja direkt zu Ende. Geht es Ihnen darum, trotz Touristen ein natürliches Stadtbild zu entwickeln? Ganz genau. Wir wollen nichts forcieren. Lieber warte ich, um die Identität des Dorfes nicht auf einen Schlag zu verändern. Ich kann mir das er- 28 zenith 5/2010 lauben, weil ich als globaler Unternehmer kein maximales Wachstum an einem einzelnen Standort brauche. Andere bezeichnen es als Stagnation, für mich ist es Stabilität und ich bin damit sehr zufrieden. Wenn wir jedes Jahr 100 Appartements verkaufen und das zehn Jahre lang, sind wir glücklich. Wenn andere diesen Glauben an unsere Projekte verlieren, dann kümmert uns das nicht. Unser Wachstum kommt daher, dass wir jedes Jahr an einem völlig neuen Standort etwas starten. Auf wie vielen Hochzeiten möchten Sie noch gleichzeitig tanzen? Wann verliert man seinen unternehmerischen Fokus? Ich möchte damit nicht angeben, aber diesen Stil muss man sich leisten können. Vor zwei Jahren nahmen wir Oman in unser Portfolio auf, kommendes Jahr wird es Marokko sein. Inzwischen sind wir in acht Staaten aktiv. In Oman bauen Sie gerade an vier Standorten Hotels mit insgesamt über 5600 Zimmern. Dort gingen Sie eine gezielte Kooperation mit dem Staat ein, der rund 30 Prozent Anteile an dem Projekt besitzt. Genauso gehe ich auch in Marokko und in Montenegro vor. Ich arbeite gerne mit dem Staat zusammen. Er ist die einzige Institution in einem Land, die langfristig denkt. Weil unsere Projekte über Jahrzehnte angelegt sind, wären Probleme mit unseren Partnern vorprogrammiert. Ich kenne nur Wenige, die in Andermatt nicht ge- Samih Sawiris wurde 1957 als Sohn koptischer Christen in Kairo geboren. Sein Vater Onsi Sawiris war Gründer des ägyptischen Milliardenkonzerns Orascom. Wie seine beiden Brüder Naguib und Nassef besuchte er die Deutsche Evangelische Oberschule Kairo, zwischen 1976 und 1980 studierte er an der Technischen Universität Berlin. 1990 gründete Sawiris den Ferienort El Gouna am Roten Meer. Seit 1996 ist er in der Familien-Holding für die Tourismussparte zuständig. Das Vermögen des Sawiris-Clans wird auf 20 Milliarden US-Dollar geschätzt. sagt hätten: »Was soll der Quatsch?« Dabei bieten wir vielen Branchen Anreize, dort aktiv zu werden. Nur der Staat, nicht aber ein Privatmann kann dieses Potenzial schätzen. Oman hat den nachhaltigen, ökologischen Tourismus als Nische für sich entdeckt. Verspricht dieser Weg erfolgreich zu sein? Die Regierungen müssen endlich einsehen, dass Qualität und nicht Masse zum Erfolg führt. Auch mit Oman waren es lange Verhandlungen, bis wir die Anzahl der Zimmer reduzieren durften. Es wäre traurig, würde Oman seine Kapazitäten plötzlich bis auf mehrere hunderttausend Appartements ausbauen, wie es Dubai beispielsweise getan hat. Noch sind die Omanis die Mehrheit in ihrem Land. Würden sie auf den Massentourismus setzen, wären sie darauf an- lIllustration: Hadinugroho N E U E S TÄ D T E gewiesen, zehntausende ausländische Arbeiter zu importieren. So verlöre das Land seinen Charakter. Auch der Unterschied zwischen arabischen und europäischen Touristen wird immer geringer. Besonders die Kinder wachsen heute mit einer globalen Kultur auf. Verglichen mit ihren Eltern leben sie in einer anderen Welt. In ein paar Jahren werden die Hotels keine Unterschiede mehr zu beachten haben. Sie tendieren dazu, in abgeschiedenen Gegenden zu bauen, die noch nicht erschlossen wurden. Was reizt Sie am Niemandsland? Überall dort würden Menschen leben, wenn das richtige Produkt für sie existierte. In El Gouna am Roten Meer und Taba gab es nur Wüste, bis wir gekommen sind. Ich habe über die Jahre ein Knowhow dafür entwickelt, solche Orte zu finden und bislang habe ich mich zum Glück noch nie geirrt. Trotzdem bin ich auch heute noch vom Erfolg der Projekte manchmal überrascht. Ihr ägyptisches Feriendorf El Gouna haben Sie nur rund 20 Kilometer von Hurghada entfernt am Roten Meer errichtet. Hurghada selbst gefällt Ihnen wohl nicht? Das ist doch keine Frage! In Hurghada tun mir die Augen weh. Es gibt dort keinerlei Koordination. Niemand kontrolliert den Ausbau der Stadt. Als Tourist wird man ständig in Geschäfte hineingezogen, die doch immer nur das Gleiche verkaufen. Einige Hotels sind fertig, andere bleiben Bauruinen. Dieser Massentourismus hat keine Zukunft. In El Gouna befindet sich der ganze Standort in unserer Hand. Auch wenn die Hotels dort qualitativ nur wenig besser sind, kosten sie doch erheblich mehr. Das lässt sich mit der Beliebtheit erklären. Ihre beiden Brüder Naguib und Nassef leiten große Telekommunikations-, beziehungsweise Bauunternehmen. Hatten Sie jemals den Wunsch, mit einem von ihnen zu tauschen? Bislang nicht. Ich habe schon das interessantere Geschäft. Ich reise um die Welt, bin immer an schönen Orten und treffe nette Leute. Für einen Ingenieur, der an der Technischen Universität Berlin studiert hat, ist Ihre Arbeit eher ungewöhnlich. Dann bin ich eine Ausnahme. Sie haben einmal gesagt, Sie besäßen mehr Geld, als Sie jemals brauchen könnten. »In Hurghada tun mir die Augen weh« Das ist richtig. Deswegen messe ich meinen Erfolg heute auch nicht anhand des Geldes. Nicht alle Unternehmer sind so weit. Trotzdem habe ich durchaus Verständnis dafür, wenn sie sich zuerst ihre persönlichen Wünsche erfüllen möchten. Sie sind während der Nasser-Ära aufgewachsen. Ihr Vater wurde enteignet und musste sein Unternehmen neu aufbauen. Ja, das hat mich sehr geprägt. Wir haben alle gelernt, zu sparen und immer etwas zurückzulegen. Die Lektion ist, dass man nie davon ausgehen darf, dass alles so rosig bleibt. Wenn man sich zu viel erlaubt, steht man eines morgens auf und kann sich seinen Lebensstil nicht mehr leisten. Mein Vater hat mich Vorsicht gelehrt. Meine Mutter hingegen ist schon seit über 30 Jahren in Hilfsorganisationen aktiv. Sie war immer ein Vorbild. Deshalb ist es für mich selbstverständlich, ihr jetzt nachzueifern. Seit 2007 betreiben Sie mit Orascom nahe Kairo auf acht Quadratkilometern sozialen Wohnungsbau. Ist »Haram City« ein karitatives Projekt? Nur bedingt. Wenn wir Wohnanlagen für Reiche errichten, können wir das genauso gut für Arme tun. Es ist zwar kein lukratives Geschäft, trägt sich aber immerhin selbst. Wenn wir in einigen Jahren bis zu einer halben Million Menschen in »Haram City« unterbringen, dann ist das ein großer Erfolg. Haben Sie je darüber nachgedacht, selbst in die Politik zu gehen, um dort etwas zu ändern? Wir versuchen, alles Mögliche zu tun. Wir helfen, indem wir dem Staat Schulen bauen und ich zum Beispiel die Bildungskooperation zwischen dem neuen Studiencampus in El Gouna und der Technischen Universität Berlin mit eigenen Geldern finanziere. Meine Brüder und ich haben davon profitiert, gute Universitäten besuchen zu dürfen. Diese Chance möchten wir auch denen geben, die dafür nicht das Geld haben. Bildung ist für mich der Schlüssel zum Erfolg. In El Gouna planen Sie, Umweltingenieure für den ganzen Nahen Osten auszubilden. Möchten Sie mit dem neuen Bildungsstandort die etablierten amerikanischen Universitäten der Region herausfordern? Wir haben auch Wassertechniker und Städteplaner. Wir beschränken uns nicht auf eine einzelne Sparte, sondern wählten die Themenbereiche, in denen die TU Berlin führend ist. Gleichzeitig sind diese Disziplinen für El Gouna von essenzieller Bedeutung. Die Stadt liegt in der Wüste. Wasser ist knapp im Nahen Osten. Die Förderung von Wasseringenieuren ist die einzig logische Entscheidung. Eine Konkurrenz zu anderen Universitäten möchte ich auf keinen Fall erreichen. Die liegen alle in wohlhabenden Staaten, die sich solchen Luxus leisten können. Sie finden dort zu 98 Prozent ausländische Studenten, während wir in Ägypten tatsächlich einen Bedarf haben. Sie sind nun 53 Jahre alt. Für gewöhnlich entdecken Unternehmer gegen Ende ihrer Karriere ihre soziale Ader. Planen Sie schon Ihren Ruhestand? Ich kann mir gut vorstellen, dass ich langsam damit beginnen muss, zwischen Arbeiten und Ruhe abzuwägen. Außerdem hat sich die Organisation meines Unternehmens in den letzten Jahren so weit verbessert, dass ich immer mehr delegieren kann. So finde ich die Zeit, etwas Neues anzufangen. Ihre Ehefrau kommt aus Ecuador. Haben Sie bereits mit dem Gedanken gespielt, in Südamerika einen Standort zu eröffnen? Das ist mir etwas zu weit. Wenn ich Glück habe, verliebe ich mich dort nicht in ein Stück Land, denn sonst müsste ich dort etwas bauen. Das wäre ein Problem, weil ich stets vor Ort sein müsste, um mitzubekommen, wie sich das Projekt entwickelt. Verbringen Sie ihren Familienurlaub in den eigenen Hotels? Nein, dafür nehme ich immer meine Yacht. zenith 5/2010 29 ISLAM IST IN KRISTIANE BACKER, 45, GROSSBRITANNIEN »Reden kann man nur mit Menschen, nicht mit einer Religion« Sie war das Gesicht der ersten MTVGeneration in Deutschland. Von Pop und Glamour wandte sie sich ab und entdeckte den Islam: Kristiane Backer ist die Ikone der sanftmütigen Konvertiten Interview: Elisabeth Knoblauch zenith: Frau Backer, Sie sprechen oft von der Spiritualität des Islams. Was genau meinen Sie eigentlich damit? Kristiane Backer: Die Spiritualität des Islams ist im Westen weitgehend unbekannt, dabei spielt sie eine zentrale Rolle im Islam. Die Seele braucht Nahrung genau wie der Körper oder der Geist. Wir schenken unserer Seele heute kaum Bedeutung, so dass sie durch unseren hektischen Lebensstil häufig verkümmert. Das äußert sich beispielsweise in Depressionen, Einkaufs- oder Vergnügungssucht oder asozialem Verhalten. Der Islam sorgt dafür, dass Körper, Geist und Seele in Harmonie sind. Er ist eine ganzheitliche Religion. Selbst die Gebete laufen nicht nur in Kopf oder Herzen ab, der gesamte Körper ist beteiligt. Das Fasten im Ramadan und die Pilgerfahrt sind auch spirituelle Übungen. Diese Dimension des Islams, die auch das Herz des Islams genannt wird, ist der Sufismus. Im Sufismus ist eine Weisheit begründet, die wie ein Labsal für unsere Seele ist, uns Frieden gibt, unsere Beziehung zu Gott nährt und das Beste in uns fördert. »Ein Sufi ist, wer sein Herz rein hält«, lautet eine alte Weisheit des Sufismus. 30 zenith 5/2010 Wie wird man denn ein solcher Sufi? Es geht darum, sich durch spirituelle Praktiken und tugendhaftes Verhalten von Innen zu reinigen, damit der Spiegel des Herzens so blank wird, dass er das Heilige Licht reflektieren kann. Auf dem Weg der Sufis entdecken wir nicht nur unser göttliches Selbst, sondern reisen zu Ihm. Dazu müssen sich die Schleier der Gedanken lüften, denn nur im Herzen, im Zentrum unseres Selbst finden wir die Heiligkeit und somit die Wurzel zum höheren Selbst. Diese innere Reise ist mit harter Arbeit verbunden, spiritueller Anstrengung, sowie Freude und Glück. Das Ziel ist zu erkennen, wer wir wirklich sind, woher wir kommen und wohin wir gehen. »Wahrhaftig, wir kommen von Gott und zu Ihm kehren wir zurück«, erklärt uns der Koran. Damit ist auch das Auslöschen des Egos verbunden, wie es der berühmte Ausspruch »stirb bevor Du stirbst« fordert, den sinngemäß ja so gut wie alle großen spirituellen Traditionen und Propheten vermitteln. Das heißt, wir geben unseren eigenen Willen auf für den Willen Gottes. Dann können wir unsere Rolle als Diener oder Stellvertreter Gottes auf Erden erfüllen. Und Sie sind auf dieser Stufe angekommen? Für mich persönlich war die Spiritualität des Islams der entscheidende Grund, die Religion anzunehmen, denn genau diesen Weg wollte ich versuchen zu beschreiten. Ich fühle mich nun innerlich erfüllt, wie ich es ohne diesen festen Glauben und Gott im Herzen nicht tat. Viele Menschen empfinden den Islam als etwas Einengendes, Beschwerendes. Die meisten Bücher zum Islam handeln derzeit eher von Frauen, die unter dessen religiöser Tradition gelitten haben. In Ihrem Buch ist davon aber überhaupt nicht die Rede. Ich brauche jetzt keinem Trend mehr hinterher zu laufen oder anderen gesellschaftlichen Normen zu folgen, sondern einzig und allein Gott. Das ist befreiend! Foto: Stefanie Herrmann ISLAM IST IN Sagen Sie: Wie stellen Sie sich Gott vor? Gott sprengt jede Vorstellungskraft! Die zentrale Idee des Islams ist Gottes Einheit, tawhid. Es gibt einen einzigen Gott. Gott ist absolut und allmächtig, unendlich gut, barmherzig und immer wieder vergebend. Gott ist transzendent und immanent, das heißt überall und in unseren Herzen. Gott ist größer als alles, was wir uns vorstellen können, und uns »näher als die eigene Halsschlagader« – so steht es im Koran. Alles, was existiert, und alles, was geschieht, geht von Ihm aus. Es gibt keine Kraft im Himmel oder auf der Erde, die unabhängig von Gott ist. »Ich brauche keinem Trend mehr hinterher zu laufen, sondern nur noch Gott!« Und Sie stehen im Austausch mit ihm? Gott wird im Islam nie personifiziert, denn keine Darstellung würde Ihm je gerecht werden. Die Assoziation mit anderen Gottheiten oder Kräften bezeichnet man als shirk, als die schlimmste aller Sünden. Als der Prophet einmal aufgefordert wurde, Gott zu beschreiben, wurde ihm diese Antwort offenbart: »Er ist Gott, der Einzige – Gott, der allein Anzuflehende – Weder zeugt Er noch ist Er gezeugt worden – Ihm gleicht niemand.« Sie scheinen einen hohen Anspruch an sich selbst zu haben. Zweifeln Sie nie? Doch klar, und immer wieder hilft mein Glaube – die Gebete oder Lektüre etwa des Korans oder anderer Bücher, die zu meiner Seele sprechen. Oder Gespräche mit gläubigen Menschen, meiner Familie und guten Freunden. Manchmal lese ich im Koran und bekomme die Antwort auf mein Problem beim Lesen. Es ist unglaublich aber wahr. Der Koran spricht mit demjenigen, der sich ihm aufrichtig zuwendet. Sie sprechen von »dem Islam«. Die größte Schwierigkeit dabei ist wohl, dass der Islam eine sehr individuelle und wenig organisierte Religion mit sehr unterschiedlichen Erscheinungsformen ist. Ja, das stimmt wohl, es gibt keine Führungskraft wie es der Papst beispielsweise im Katholizismus ist. Aber es gibt Gelehrte. Die Gelehrten der Universität Al-Azhar in Kairo nehmen dabei eine Art Führungsposition ein, doch es gibt noch einige andere. Das hat Nachteile aber auch Vorteile. Der Koran hält uns immer wieder an, unsere Vernunft anzuwenden, das heißt: Jeder Einzelne ist gefragt, die Dinge für sich selbst zu klären. Letztendlich muss sich ja auch jeder individuell vor Gott verantworten. Hinzu kommt, dass der Islam nicht monolithisch ist, sondern von vielen verschiedenen Kulturen geprägt ist, die der religiösen Praxis ihre eigene Färbung geben. Ich fühle eine innere Verbundenheit zu chinesischen, arabischen oder türkischen Muslimen, obwohl ich natürlich nicht unbedingt alle ihre kulturellen Praktiken teile. Wichtig ist, zu differenzieren zwischen der jeweiligen Kultur und der Essenz des Islams. Denn die teilen wir alle. Reden kann man ja sowieso nur mit Menschen, nicht mit einer Religion. Wenn man in Europa mit Muslimen in einen Dialog treten möchte, dann sollte man am besten bei den europäischen Muslimen beginnen. Der Islam als Weg des Herzens. Warum ich Muslima bin Kristiane Backer Ullstein Verlag, Berlin 2010, 424 Seiten, 9,95 Euro Kristiane Backer wurde 1965 in Hamburg geboren. Mit 24 Jahren wurde sie die erste deutsche MTV-Moderatorin – unter anderem sagte sie den Coca-Cola Report und die European Top 20 an. 1991 lernte sie den pakistanischen Cricket-Star Imran Khan kennen. Während einer Pakistanreise mit Khan kam sie nach eigenen Angaben dem Islam der einfachen Leute näher. 1995, einige Monate nachdem Khan und sie sich wieder getrennt hatten, wurde sie selbst Muslima. zenith 5/2010 31 Matiullah Khan, der Herr der Südprovinzen im Kreis seiner Gesellen: Im Chaos von Afghanistan zählt er zu den neuen Machthabern. MATIULLAH KHAN, 40, AFGHANISTAN Der Raubritter von Uruzgan Er beherrscht die Straßen Südafghanistans. Matiullah Khan gilt als Krimineller – und Verbündeter der Nato. Ein Warlord, an dem sich die Widersprüche des Afghanistankriegs zeigen, und dessen Aussichten für die Zukunft glänzend sind Von Christoph Reuter Der Mann hat nicht einmal ein offizielles Amt – und doch ist Matiullah Khan einer der mächtigsten Männer Südafghanistans. Nicht obwohl, sondern gerade weil er jenseits jeder staatlichen oder militärischen Ordnung steht. Ein Warlord, gewachsen aus den Wirren des Krieges. Genau damit verkörpert er den Prototypen der kommenden Mächtigen in Afghanistan. Angefangen hat der knapp 40-Jährige vor drei Jahren als Chef einer Behörde, die bei seinem Antritt bereits so gut wie aufgelöst war: die »Highway Police«, Afghanistans wohl korrupteste Polizeitruppe, die mit Schmiergeldern und Schutzgelderpressungen reich wurde und exakt das Gegenteil von dem bewirkte, wozu sie einst geschaffen worden war: die Straßen sicher zu machen. Doch während die Einheit auf Druck 32 zenith 5/2010 des US-Militärs in Kabul offiziell abgeschafft wurde, trat Matiullah seit Anfang 2008 als deren Kommandeur in der Südprovinz Uruzgan auf – sehr zum Leidwesen der niederländischen Armee, der die Kontrolle der Provinz oblag. »Wir kennen seine Morde, seine Methoden, wir halten ihn für einen Kriminellen«, sagte einer der Offiziere in »Camp Holland« im Hauptort Tarin Kowt im März 2009. Matiullah Khan sah das schon damals anders. Er empfing seine Besucher nicht nach afghanischer Tradition auf Polstern am Boden, sondern auf goldenen BarockSesseln und mit einem besonders kitschigen Tee-Service vor sich. Er sei Kommandeur, erklärte Matiullah, denn seine fast 1000 Mann würden doch vom Innenministerium in Kabul bezahlt und bildeten eine erfolgreiche Truppe. Diese Truppe existierte nicht nur. Sie war mit Abstand die bestausgerüstete und kampfstärkste afghanische Einheit in der ganzen Provinz. Denn Matiullah hat den Krieg privatisiert: Seine Männer kontrollieren die einzige Verbindungsstraße zwischen Uruzgan und Kandahar und damit die Versorgungsroute für alle Militärlager der Südprovinz. An einem Tag in der Woche, den Matiullah allein bestimmt, ist »security day«. Dann können die Konvois der Amerikaner, Australier, der privaten Firmen und Hilfsorganisationen fahren, beschützt von seinen Männern. Und auch nur dann: Wer versucht, an anderen Tagen durchzukommen, wird beschossen, angeblich von den Taliban. Strauchdieb oder Polizeichef? Matiullahs Service kostet: zwischen 800 und 3000 US-Dollar – pro Lkw, pro Fahrt. Damit allein verdient er nach amerikanischen Schätzungen 2,5 Millionen Dollar im Monat. Doch anders als der offizielle Polizeichef der Provinz, Juma Gul, der noch die Pensionen getöteter Polizisten unterschlägt, investiert Matiullah klug: Zusätzlich zu den rund 200 US-Dollar, die jeder seiner Männer in der Tat vom Innenministerium erhält, gibt es noch eine Prämie von 200 bis 300 Dollar aus Matiullahs Kasse. Werden sie verletzt, bezahlt der Chef ihre Behandlung. Legendär in ganz Uruzgan ist der Fall eines Kämpfers, den Matiullah in ein Krankenhaus nach Indien fliegen ließ, um dessen im Gefecht verletztes Auge operieren zu lassen. Seine Männer sind loyal, gut ausgerüstet – und sorgen dafür, dass tatsächlich nur jene Konvois durchkommen, deren Besitzer zahlen. So wie die Versorgungstrucks der amerikanischen und australischen Armee, die Verträge mit ihm abgeschlossen haben. Und ihn gleichzeitig verdächti- Foto: Thorne Anderson W E R S O L C H E F R E U N D E H AT . . . Foto: Marcel Mettelsiefen W E R S O L C H E F R E U N D E H AT . . . gen, mit den Taliban zu kooperieren. Wie aus den jüngst veröffentlichten geheimen Dokumenten der US-Armee hervorgeht, hielten 100 Bewaffnete vergangenen Sommer einen Nato-Treibstoff-Konvoi an und verlangten bis zu 3000 Dollar pro Tanklaster. Stundenlang dachten die US-Offiziere in Kabul, es handele sich um einen Überfall der Taliban. Bis sich herausstellte, dass Matiullahs Männer dahinter steckten. Offiziell preisen die Amerikaner ihn als Verbündeten. Sie brauchen ihn. Schritt für Schritt ist Matiullah mächtiger geworden, hat mittlerweile mehr als 3000 Mann unter Sold. Die Niederländer, die ihn absetzen wollten und widerwillig duldeten, sind abgezogen. Die australische Armee hat begonnen, seine Männer sogar in Australien auszubilden. Dass Matiullah gleichzeitig lokale Konkurrenten aus dem Weg räumt und seit 2002 immer wieder Bauern ermorden ließ, die sich weigerten, ihm ihr Land und gelegentlich auch ihre Töchter abzutreten, wird übergangen. Und Matiullah selbst investiert sein Geld in Macht: Er hat bereits 70 Moscheen in der Provinz bauen lassen, unterstützt Bedürftige, die sich bei öffentlichen Sitzungen an ihn wenden wie früher an den König. Er empfängt Delegationen aus anderen Städten und schlichtet Stammesfehden. In diesem Land, das weder die Kabuler Regierung, noch die Taliban, noch die ausländischen Streitkräfte kontrollieren, ist Matiullah damit ein Machtmagnet. Mittlerweile ist er der stärkste Mann der Region, beliefert die Nato-Truppen mit Kies für ihre Lagerwälle und erweitert seine Kontrolle der Versorgungsrouten weit über Kandahar hinaus. Er hat potenzielle Rivalen ausgeschaltet, mehrere Mordversuche überlebt und seine Machtbasis gesichert – unabhängig davon, wer künftig in Afghanistan herrscht. Er, der Kommandeur einer offiziell nicht existenten Polizeitruppe, ist einer der kommenden Mächtigen des Landes. Angeblich besaß er keinen richtigen Familiennamen und schrieb seinen Vornamen deshalb einfach doppelt: Abdullah Abdullah während eines Wahlkampfauftritts im Jahr 2009. ABDULLAH ABDULLAH, 50, AFGHANISTAN Dieser Herr kommt uns bekannt vor er könne die ethnischen Gräben im Vielvölkerstaat Afghanistan überbrücken. Nach der ersten Abstimmung im August 2009 sollte es im Oktober zu einer Stichwahl kommen – aber Abdullah zog sich zurück. Nach den zahlreichen, von ausländischen Beobachtern bestätigten »Unregelmäßigkeiten« der ersten Runde sei klar: Gegen Karzais gedungene Wahlfälscher werde er nicht ankommen. So lautete seine Begründung. Nach einer glanzvollen Kampagne verschwand der Noch jung genug Präsidentschaftskandidat und für die Revanche Herausforderer Hamid Karzais von der Bildfläche. Kriegt er Seitdem schien Abdullah aus dem politischen Leben des Landes fast verschwunden. Oppositionsnoch eine zweite Chance? Zu Afghanistans Präsidentenwahl 2009 legte Abdullah Abdullah eine Kampagne hin, die viele westliche Beobachter beeindruckte. Er wurde hoch gehandelt: als Hoffnungsträger und Alternative zum Regime von Präsident Karzai, das sich korrupt und unbeweglich zeigte. »Er wird am Hindukusch respektiert, weil er als vernünftig, bescheiden und intelligent gilt«, lobte die Welt den ehemaligen Augenarzt und zeitweiligen Außenminister der afghanischen Post-Taliban-Regierung. Abdullah, Sohn einer tadschikischen Mutter und eines paschtunischen Vaters, weckte im Ausland die Hoffnung, führer in Afghanistan ist gewiss kein Prominentenjob. Ein Deal mit Karzai um Machtbeteiligung, wie ihn manche Journalisten erwartet hatten, blieb aus. Wollte Abdullah lieber – mit 50 noch jung genug dafür – auf die nächste Gelegenheit warten? »Abdullah ist abgeschrieben, wahrscheinlich wäre aus ihm nur ein zweiter Karzai geworden«, sagt ein deutscher Beobachter in Kabul. Von ihm sei nichts mehr zu erwarten. Immerhin: Im November 2010 brachte sich der Oppositionspolitiker noch einmal in die internationalen Medien. Bei der Parlamentswahl vom September, deren Stimmenauszählung zwei Monate gedauert hatte, gewann die »afghanische Opposition« rund ein Drittel der Sitze. Diese Männer und Frauen wisse er hinter sich, verkündete Abdullah. dge zenith 5/2010 33 SALAM FAYYAD, 58, PALÄSTINA »Wir haben uns diese Prüfung selbst auferlegt« zenith: Herr Premierminister, seit Wochen touren Sie durch die Westbank, eröffnen Einkaufszentren oder Schulen. Sie lassen sich gern bei der Olivenernte fotografieren. Ist das schon der Auftakt Ihrer Wahlkampagne? Salam Fayyad: Es stimmt – üblicherweise verbindet man solche Aktivitäten mit Wahlkampf. Aber wir haben keine Wahlen, auch wenn ich wünschte, wir könnten welche haben. Eine Kampagne führen wir dennoch: Es geht darum, in Palästina Staatlichkeit aufzubauen und dafür zu werben. Außerdem gehört es zum Job eines Politikers, nahe bei den Menschen zu sein. Manche Probleme kann man einfach und schnell lösen, wenn man den Leuten zuhört. Außerdem verschafft uns das die Glaubwürdigkeit, die wir brauchen. In der Westbank wird derzeit viel über Ihren Regierungsstil gesprochen – den »Fayyadismus«. Das klingt nach einer neuen Ideologie. Was verstehen Sie selbst darunter? Eigentlich sollten Sie diese Frage dem Journalisten Thomas Friedman stellen, der hat das Wort ja erfunden. Ich denke, er beschreibt damit die Leistungsbezogenheit unserer Regierung. Wir verlagern den Akzent auf handfeste Ergebnisse, weg von abstrakten Ideologien. Es ist eigentlich sehr einfach: Wir bringen hier und jetzt unseren Staat voran. Einen Staat, den es nicht gibt. Wir bauen Staatlichkeit, damit wir einmal einen Staat bekommen. Wir bauen die Institutionen eines Staates. Damit verbessern wir unsere Möglichkeiten, die israelische Besatzung abzuschütteln. Wir schaffen Tatsachen, die langfristig nicht ignoriert werden können. Das klingt nach einer israelischen Strategie: Stück für Stück Tatsachen zu schaffen, um auf deren Grundlage die eigene Verhandlungsposition zu verbessern. Haben Sie von den Israelis gelernt? Das ist nicht unbedingt eine israelische Strategie; und wir passen uns der Strategie der Israe- 34 zenith 5/2010 Der Premierminister der Palästinensischen Autonomiebehörde hat angekündigt: Im Sommer 2011 ist sein Land bereit für die Unabhängigkeit. Im zenith-Gespräch erklärt Fayyad seine Strategie und nimmt Stellung zu dem Vorwurf, seine Regierung baue einen Polizeistaat auf Interview: Daniel Gerlach und Robert Chatterjee lis auch nicht an. Wir entwickeln unsere Politik lediglich anhand der Gegebenheiten, ob diese uns nun passen oder nicht. Im Prinzip legen wir gerade eine Art Prüfung ab – ein selbst auferlegtes Examen. Wir wissen: Wir müssen Bedingungen erfüllen, um unsere Freiheit zu erlangen. Das ist zwar nicht fair, aber so ist es eben. Anhand der Prüfungsaufgabe wollen wir herausfinden, ob wir jemals in der Lage sein werden, uns selbst zu regieren. Die wirtschaftliche Entwicklung lässt sich vorzeigen. Die Stadt Ramallah zum Beispiel hat sich sehr verändert. Auf den Straßen fahren Neuwagen. Immer mehr Cafés und Restaurants eröffnen. Ja, aber schauen Sie doch mal nach Nablus. Diese Stadt hat sich im Vergleich noch viel mehr verändert. Vor ein paar Jahren herrschte dort noch ein völliges Chaos. Geht der wirtschaftliche Aufschwung im Westjordanland nicht auf Kosten Ost-Jerusalems? Je mehr Sie investieren, desto mehr Palästinenser aus Jerusalem kommen nach Ramallah. Das können Sie von mir aus so sehen. Ich glaube nicht, dass Jerusalem geholfen wäre, wenn Ramallah oder Nablus ärmer blieben. Im Gegenteil: So können wir unsere Position stärken, um die Besatzung loszuwerden. Das bedeutet nicht, dass wir auf Jerusalem verzichten. Ich glaube, diese Politik schafft die besten Voraussetzungen, um später einmal Kontrolle über den Teil Jerusalems zu gewinnen, der 1967 besetzt wurde. Ohne Jerusalem als Hauptstadt wird es keine Lösung geben. US-Außenministerin Hillary Clinton soll einmal in kleinem Kreis gesagt haben, Sie seien derzeit der einzige Mensch, dem sie die Regierungsarbeit in Palästina zutraue. Glauben Sie, dass die Amerikaner einen Staat Palästina anerkennen, wenn Sie ihnen geben, was sie wollen? Die Amerikaner können das sicher selbst beantworten – und das von Ihnen erwähnte Zitat ist mir im Übrigen unbekannt. Wir machen das hier nicht für die Amerikaner, sondern für uns. Unsere nationalen Interessen diktieren uns den Weg. Auch für unsere israelischen Nachbarn ist die Tatsache, dass wir in unserem eigenen Interesse handeln, die beste Rückversicherung. Unser Plan bedroht niemanden: Er zielt auf Aufbau, Frieden und Nachbarschaft und schafft positive Fakten. Um sich beim Staatsaufbau nicht stören zu lassen, gehen Sie unerbittlich gegen Ihre Geg- Foto: dge S TA AT S G R Ü N D E R S TA AT S G R Ü N D E R Salam Fayyad wurde 1952 im Dorf Deir Ghusun nahe der palästinensischen Stadt Tulkarem geboren. 1967 zog seine Familie nach Jordanien. Fayyad studierte Volkswirtschaft in den USA und forschte zu Geldkreisläufen und Währungspolitik. In den 1980er und 1990er Jahren arbeitete Fayyad für den Internationalen Währungsfonds und war unter anderem für die Kontrolle der Finanzreformen der Palästinensischen Autonomiebehörde zuständig. 2007, nach dem annullierten Wahlsieg der Hamas und bürgerkriegsähnlichen Zuständen in Gaza und im Westjordanland, ernannte Präsident Mahmud Abbas ihn zum Regierungschef. Fayyad ist nicht Mitglied der Fatah-Bewegung von Abbas, sondern gründete 2005 seine eigene Partei »Dritter Weg«. Er ist verheiratet und hat drei Kinder. »Wir verzichten nicht auf Jerusalem, sondern stärken unsere Position!« ner vor. Vertreter der Hamas beschweren sich über Verhaftungen und Gesinnungsverfolgung, aber auch andere Oppositionelle warnen: Palästina wird ein arabischer Polizeistaat. Ist das der Preis Ihres Erfolges? Sehen Sie, ich habe heute in Nablus eine Schule eröffnet – gemeinsam mit dem Bürgermeister, der ein Hamas-Mann ist. Ich verstehe mich mit ihm, arbeite mit ihm. Aber es gibt einige, die glauben, sie könnten auf eigene Rechnung arbeiten. Wir wissen, wohin das führt. Wenn die Hamas denkt, es obliege ihr zu entscheiden, ob sie Gewalt anwendet oder nicht, können wir da keine Nachsicht walten lassen. Wir sind die Regierung! Das ist nicht verhandelbar und auch keine Ansichtssache. Ein solches Verhalten gefährdet die Fundamente unserer Politik. Natürlich haben wir keine funktionierende parlamentarische Demokratie. Aber unser Gewaltmonopol ist in hohem Maße mitverantwortlich für die derzeitigen Erfolge. Ohne es stünde es schlimm um uns. Nehmen Ihre Sicherheitsleute ihren Job nicht etwas zu ernst? Ich möchte nicht leugnen, noch hätte es irgendeinen Sinn zu leugnen, dass die Dinge noch nicht so sind, wie sie sein sollten. Aber bis vor kurzem waren die Menschen hier in der Westbank regelrecht am Ende. Sie lebten in täglicher Angst vor Krieg, Belagerung und Checkpoints und fühlten sich nicht einmal im eigenen Haus sicher. Gewaltexzesse und Übergriffe … … Sie meinen: durch Ihre Sicherheitsleute? Diese Exzesse sind nicht das Produkt unserer Politik, sondern der Verrohung der letzten Jahre. Ich bedaure, dass es Verletzungen der Menschenrechte gab und gibt. Schauen Sie: Der Sicherheitsaufwand um mich herum wirkt wahrscheinlich exzessiv. Das macht mir an und für sich kein Vergnügen, aber anders geht es leider nicht. Ich hoffe, dass wir gut vorankommen und solche Dinge demnächst nicht mehr geschehen. So wie in einem reifen Land. Klagen gegen Verletzungen der Menschenrechte wurden hier früher überhaupt nicht ernst genommen. Wir aber tun das. Missbrauch und Misshandlungen – seien sie psychisch oder physisch – sind verboten. Wir haben auch einige Offiziere gefeuert, die sich nicht daran halten wollten. Im Gaza-Streifen herrscht die Hamas. Von einer wirtschaftlichen Entwicklung wie hier im Westjordanland ist nichts zu sehen. Haben Sie Gaza aufgegeben? Sicher nicht! Wir müssen hart daran arbeiten, uns wieder zu versöhnen. Wenn die Menschen in Gaza sehen, dass unser Weg die Lebensumstände verbessert, ist das eine gute Kulisse für die Aussöhnung mit der Hamas. Wir werben dafür, dass Geldgeber in den Aufbau von Schulen, Energie und Wasserversorgung in Gaza investieren. Wir sollten da keine Zeit verlieren und nicht warten, bis die Aussöhnung vollendet ist. Wären Sie am Ende mit einer Dreistaatenlösung einverstanden – Israel, Gaza und Westjordanland? Nein. Es wird keinen Staat Palästina ohne Versöhnung mit der Hamas geben. Wir müssen daran arbeiten, dass das Land vereint wird. zenith 5/2010 35 TAMIR PARDO, 57, ISRAEL Sag niemals wie lIllustration: Hadinugroho KAMERADEN Der neue Boss des Mossad: Tamir Pardo soll den israelischen Auslandsgeheimdienst leiten. Die größte Herausforderung für den ehemaligen Elitensoldaten bleibt das iranische Atomprogramm Sein Name war »T«. Jahrelang. Vor wenigen Wochen nun wurde daraus Tamir Pardo – der neue Direktor des israelischen Auslandsgeheimdienstes Mossad, ernannt von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu. Der 57-jährige verheiratete Vater von zwei Kindern gilt als Fachmann für die »Frontstaaten«: die arabischen Länder und Iran. Seit mehr als 20 Jahren soll er sich sukzessive hochgearbeitet haben im »Institut für Aufklärung und besondere Aufgaben« – dafür steht das Akronym Mossad. Besondere Meriten hat sich Pardo offenbar an der Spitze einer internen Untersuchungskommission verdient, als er Pannen und schlechte Planung bei Mossad-Aktionen aufdeckte, unter anderem beim gescheiterten Attentat auf den politischen Führer der Hamas Khaled Mashaal 1997 im jordanischen Amman. Aber auch vor seiner Karriere als Geheimdienstmann diente der »Bulldozer« und »Pusher«, wie er in öffentlich gewordenen Geheimdokumenten bezeichnet wird, dem jüdischen Staat. Als Verbindungsoffizier in der Eliteeinheit »Sayeret Matkal – Späher des Generalstabs« war Pardo 1976 am Kommandounternehmen in Uganda beteiligt, bei dem es um die Befreiung von Geiseln ging. Luftpiraten der »Volksfront zur Befreiung Palästinas« und der deutschen »Revolutionären Zellen« hatten eine Maschine der Air France entführt und auf ein Rollfeld in Entebbe gebracht. Die Operation zählte zu den Glanzleistungen israelischer Geheimdienste und Militärs. Nun wird Pardo, der im vornehmen ScharonDistrikt an der Mittelmeerküste leben soll, als neuer Mossad-Direktor eine nicht minder komplexe Aufgabe zu bewältigen haben: das iranische Atomprogramm aufhalten und herausfinden, wie eng die Beziehungen zwischen dem Mul- lah-Regime und dem kommunistischen Nordkorea wirklich sind. Durch die Wikileaks-Veröffentlichungen im vergangenen November war bekannt geworden, dass Teheran angeblich 19 Raketen, die mit Atomsprengköpfen bestückt werden können, in Pjönjang gekauft hat. Das Vertrauen von Netanjahu und Verteidigungsminister Ehud Barak für diese Aufgabe ist ihm jedenfalls sicher. Sie priesen ihren ehemaligen Kommandokameraden als »Mann der Tat Dominik Peters zur richtigen Zeit«. AHMAD SHUJA PASHA, 58, PAKISTAN Liebesgrüße aus Islamabad lIllustration: Amatir Zum ersten Mal steht ein Feind der Taliban an der Spitze des pakistanischen Geheimdienstes. Und auch das Verhältnis zum verhassten Nachbarn Indien versucht er zu entspannen Wäre alles nach Vorschrift abgelaufen, hätte Ahmad Shuja Pasha am Nachmittag des 18. März 2010 seinen Schreibtisch geräumt und zum letzten Mal sein Büro in Islamabad verlassen. An diesem Tag wurde Pasha 58 Jahre alt und hätte damit altersgemäß seinen Posten an der Spitze des pakistanischen Militärgeheimdienstes ISI aufgeben müssen. Doch kurz vor dem Geburtstag beschloss die Armeeführung, die Amtszeit des Geheimdienstchefs »zum Wohle der Kontinuität« um ein weiteres Jahr zu verlängern. Der Generalleutnant hat eine militärische Bilderbuchkarriere hinter sich. Er befehligte zunächst Truppen in Abbottabad an der Grenze zu Kaschmir und leitete später die Militärakademie in Quetta. Von 2001 bis 2002 war er Kommandeur der UN-Mission in Sierra Leone. Diese Bürgerkriegserfahrung nützte ihm schon bald im eigenen Land. Ab 2006 leitete Pasha die pakistanischen Militäroperationen gegen die Taliban und al-Qaida in Waziristan und dem SwatTal. Umso überraschender kam seine Ernennung zum ISI-Chef zwei Jahre später, denn der Geheimdienst war bis dahin eher ein Förderer als ein Gegner der islamistischen Milizen. Mit Pasha steht seither zum ersten Mal ein erklärter Feind der Taliban an der ISI-Spitze. Allen voran die USA sollen 2008 auf die Ablösung seines Vorgängers Nadeem Taj gedrängt haben, dem Doppelzüngigkeit beim Umgang mit Taliban und al-Qaida vorgeworfen wurde. Seither hat Pasha die Ausrichtung seines Dienstes verändert und am Feindbild Indien gerüttelt. Für Aufsehen sorgte er, als er im Ramadan 2009 an einem Iftar-Mahl des indischen Gesandten in Pakistan teilnahm. Die Entscheidung, ob Pashas Amtszeit um ein weiteres Jahr verlängert wird, liegt in den Händen von Armeechef Ashfaq Parvez Kayani. Ihm werden politische Ambitionen nachgesagt. Kayani und Pasha gelten laut Wikileaks als Vertraute – und potenzielle Gegner von Präsident Asif Ali Zardari. Rückt Kayani nach oben, könnte Pasha seine Funktion übernehmen. Gut möglich also, dass Ahmad Shuja Pasha noch ein wenig auf syd seine Rente warten muss. Foto: Anson Smart for La Mamounia KÜCHENCHEF RACHID AGOURAY, 38, MAROKKO Last der Legende Er ist Chefkoch im Hotel »La Mamounia« in Marrakesch. Einst dinierten dort Winston Churchill oder Marcello Mastroianni. Der famose Ruf des Hauses ist Rachid Agourays größtes Problem: Er kann sich keine Fehler leisten Von Fabian Wagener Zunächst geht es durch acht Hektar Garten. Palmen, Kakteen und Orangenbäume säumen den Weg, zwei Männer in weißer Livrée pflücken Rosmarin und Thymian. Hinter einem Wasserbecken zeigt sich ein kleiner Prachtbau mit Innenhof, ein Riad: »Le Marocain«, eines von drei Restaurants des berühmten Hotels »La Mamounia« in Marrakesch. Rachid Agouray ist der Chef im »Marocain« und schlendert gelegentlich durch den Speisesaal, um den Gästen zuzunicken. Sein Name mag bekannt sein, sein Gesicht ist es nicht. Denn Agourays Reich liegt unter der Erde. Hinter einer unscheinbaren Holztür führt eine schmale Treppe in den Keller, vorbei an Weinregalen in die Küche. Seit der Wiedereröffnung des Hotels Ende 2009 leitet Agouray das marokkanische Restaurant. Drei Jahre waren die Pforten des »Mamounia« geschlossen, ein französischer Architekt hatte das Interieur des 1923 errichteten Prunkbaus von Grund auf renovieren lassen. Für Chefkoch Agouray war das Jahr nach der Eröffnung eine große Herausforderung: »Wir hatten unseren Platz als Nummer eins und unseren Ruf zu verteidigen.« Tatsächlich hatte das Hotel in den Jahren vor der Schließung eher von seinem legendären Ruf als vom herausragenden Komfort profitiert: Stammgast Winston Churchill verfasste hier seine Memoiren, Alfred Hitchcocks »Der Mann, der zuviel wusste« spielt in dem Hotel. Der französische General Charles de Gaulle übernachtete hier ebenfalls – in Marrakesch geht seitdem die Geschichte um, das Hotel habe eigens für den 1,90 Meter großen Staatsmann ein passendes Bett anfertigen lassen. Prominente aus der Filmszene verbrachten ihre freien Tage im »Mamounia«: Charlton Heston, Omar Sharif, Marcello Mastroianni, Alain Delon oder Sharon Stone. Agourays Lebensgeschichte ist für einen Chefkoch in Marokko eher untypisch, denn anders als die meisten Stars der Branche wurde er nicht aus dem Ausland eingekauft: 1972 in Marrakesch geboren, erlernte er bei seiner Mutter die Grundzüge der marokkanischen Küche. Mit 16 Jahren fing er im »Mamounia« an, zunächst als Servierer, dann als Küchengehilfe. Bei Reisen nach Frankreich und Italien kam er mit der europäischen Kochkunst in Berührung. Aber: Agouray nutzt ausschließlich Zutaten aus Marokko, was den ansonsten nicht sehr originellen Namen seines Restaurants erklärt. Er verbindet die traditionelle marokkanische Küche mit internationalen Trends. Steinbutt mit pürierten Kichererbsen für 42 Euro – seine Gäste können es sich leisten Die Hummerpastillas mit dem klassischen marokkanischen Argan-Öl kosten umgerechnet um die 32 Euro, der Steinbutt mit Kichererbsenpüree an die 42 Euro. Doch wer im »Mamounia« wohnt und speist, hat ohnehin andere Sorgen als den Kontostand. Das weiß auch Agouray: »La Mamounia ist eine Ikone. Unsere Gäste haben häufig sehr spezielle Wünsche – und wir wollen ihre Erwartungen immer übertreffen.« zenith 5/2010 37 LAUFSTEG LEYLA PIEDAYESH, 40, DEUTSCHLAND Königin der Maschen Vor sieben Jahren hat Leyla Piedayesh mit selbstgestrickten Pullovern angefangen – mittlerweile ist der Erfolg ihres Modelabels »Lala Berlin« nicht mehr aufzuhalten. Auf dem roten Teppich sieht man ihre edlen Stoff-Kreationen immer häufiger Interview: Silke Brandt 38 zenith 5/2010 Fotos: Prag PR LAUFSTEG zenith: Sie sind eine Meisterin im Stricken. Wann haben Sie beschlossen, ein Label zu gründen und die Mode zum Beruf zu machen? Leyla Piedayesh: Am Anfang widmete ich mich dem Thema Modedesign nur theoretisch. Erst nachdem ich meinen Job als Redakteurin beim Musiksender MTV und als Mitinitiatorin des dortigen Fashion-Formats »Designerama« aufgab, habe ich im Herbst 2003 selbst zu kreieren begonnen. Zunächst vertrieb ich selbst gestrickte Unikate unter eigenem Namen. Meine Wollkreationen fanden reißenden Absatz, so dass ich bereits Anfang 2005 eine umfangreiche DebütKollektion auf der Berliner Modemesse Premium präsentieren konnte. Mein individuelles Konzept einer Symbiose aus urbaner Lässigkeit und edlem Chic ging auf. Seitdem befindet sich Lala Berlin auf Expansionskurs. So richtig bekannt geworden sind Sie ja mit den »Pali-Tüchern« aus Kaschmir. Haben Sie auf diese Entwürfe auch mal negative Reaktionen bekommen? Nein, überhaupt nicht! Wir haben das KaffiehMuster leicht abstrahiert eingesetzt – nicht aufgrund der politischen Aussagekraft im Übrigen, sondern eher wegen meiner persischen Herkunft. Im Iran bin ich mit diesem Symbol aufgewachsen. Ich sehe es als Teil meiner Tradition Urbane Lässigkeit und edler Chic und meiner orientalischen Identität. Und zu guter Letzt liebe ich die einfache graphische Darstellung. Was bedeutet Mode für Sie? Mode ist Zeitgeist. Sie gibt gesellschaftliche, geistige und kulturelle Strömungen wieder. Ich versuche jedoch, dem Zeitgeist immer einen kleinen Schritt voraus zu sein und eine Interpretation zu wagen. Mode ist auch ein Kommunikationsmittel. Sie gibt uns die Möglichkeit zu sagen, wer wir sind. Wichtig ist, dass Kleidung nicht unsere Identität bestimmt, sondern vielmehr unsere Identität die Kleidung! Was tragen Sie selbst am liebsten? Also welchen Stil bevorzugen Sie? Die Ansprüche, die ich selbst an meine Kleidung stelle, gelten auch für meine Kollektionen. Ich muss mich darin wohlfühlen können, deshalb sind meine Schnitte tragbar für alle Frauen und meine Materialien nie unangenehm auf der Haut. Meinen Stil erkennt man am Besten in meiner Mode, denn ich bin Lala Berlin. Haben Sie ein besonderes Lieblingsstück? Ja, ein Stück aus der neuen Sommer-Kollektion 2011: Ein bodenlanger, schwarzer LochstrickCardigan in Netzoptik, gefertigt aus 20 Metern Seidentüll, der zunächst zerrissen und dann zu diesem außergewöhnlichen Stück zusammengestrickt wurde. Wie würden Sie die Mode von Lala Berlin selbst auf den Punkt bringen? Mein Design folgt meiner Lebensphilosophie: immer man selbst sein. In Lala Berlin fühlt man sich wohl. Das wiederum überträgt sich auch auf die innere Haltung und die Ausstrahlung. Ich verarbeite ausschließlich hochwertige Fasern. Es geht nicht um einen Prestigegewinn für die Trägerin, sondern um das Lala-Berlin-typische Erlebnis durch einen edlen Look und erstklassige >> Qualitätsstoffe. zenith 5/2010 39 LAUFSTEG Leyla Piedayesh wurde 1970 im Iran geboren und kam mit sieben Jahren nach Deutschland. Nach einem BWL-Studium und sieben Jahren als Journalistin beim Fernsehen machte sie 2003 ihr Hobby zum Beruf: Stricken. Nicht erst seit ihrer erfolgreichen Show auf der Berliner Fashion Week 2010 tragen immer mehr Stars die entspannte Mode von Lala Berlin. Das Wort Lala im Labelnamen ist Leyla Piedayeshs Spitzname aus Kindertagen, Berlin steht dort, weil die Stadt für sie und ihre Familie zur Heimat geworden ist. Wie groß ist die Nachfrage aus dem arabischen Raum? Dort ist noch einiges zu holen. Wir haben bisher vor allem Anfragen aus dem Oman, Kuwait und Bahrain. Kurt Cobain auf Tour in Afrika Was ist das Thema Ihrer aktuellen Kollektion? Die aktuelle Sommer-Kollektion 2011 basiert auf folgendem Bild: ein Bus, fünf Groupies und Kurt Cobain auf Tour in Afrika: Rock’n’Roll und ein außergewöhnlicher Reiseplan. In Verbindung mit dem Thema »Dynamik der Oberfläche« habe ich anhand dessen die nächste LalaBerlin-Kollektion geschaffen. Kontrast und Bewegung bilden den Kern der Kollektion. Keylooks sind Seidenkaftane in neonorange, nude oder mit wildem Muster, slim-fitted Seiden-Anzüge in schwarz-weiß gestreift oder gemustert, kurze Leoajur-Jäckchen, netzgestrickte Minikleider, silberscheinende Hosen in Sommer-Brokat, ein nachtblauer Seidenoverall oder massive Strickmäntel mit stroboskopischen Mustern. Was sollte jede Frau unbedingt im Kleiderschrank haben? Natürlich einen Kaschmirschal von Lala Berlin. 40 zenith 5/2010 Frauen ist fast immer kalt. Schals und Tücher sind einfach sehr vielfältige Accessoires. Damit kann man schlichte Grundelemente zu den verschiedensten Looks stylen, ganz individuell und unkompliziert. Man sollte außerdem mindestens ein Paar unserer Schuhe im Kleiderschrank haben, sowie ein Basic aus der exklusiven Kollektion »Atelier Lala Berlin«. Bei welchem Star haben Sie sich am meisten gefreut, dass er oder sie Ihre Mode trägt? Ich freue mich über jede Lala-Berlin-Trägerin, ob berühmt oder nicht. Erst vor kurzem habe ich auf einem Blog entdeckt, dass eine ganz tolle, moderne Pariserin ein Kaschmir-Triangle von Lala Berlin auf der Straße trug. Das fand ich großartig. Trotzdem freue ich mich sehr, wenn Claudia Schiffer, Jessica Alba oder Heike Makatsch meine Mode mögen und tragen. Oder auch Heidi Klum. Natürlich. Sie haben ja bereits einen Store in Kuwait. Gibt es weitere Pläne, auf dem arabischen Markt zu expandieren? Der arabische Raum ist ein Markt, den wir ab nächster Wintersaison angehen werden. Wir gehen mit unseren Expansionsplänen sehr systematisch vor. Im Moment sind wir noch dabei, den Markt im Nahen und Mittleren Osten genau zu eruieren. Für die Expansion brauchen wir auf jeden Fall einen zuverlässigen Partner. Eine Idee wäre es, Monolabel-Stores in den arabischen Großstädten zu eröffnen und die Kollektion für den dortigen Markt zu erweitern, vor allem für Saudi Arabien. Die exklusive Kollektion »Atelier Lala Berlin« ist schon sehr passend für den arabischen Raum. Würden Sie sagen, dass Sie Ihr Herkunftsland Iran und seine Kultur Ihre Arbeit irgendwie beeinflussen? Bin ich Iranerin mit deutschen Wurzeln oder bin ich deutsch mit iranischen Wurzeln? Ich glaube nach über 30 Jahren, die ich mit iranischen Eltern in Deutschland lebe, ist das schwierig zu sagen. Aber ich denke, mein Temperament, meine Großzügigkeit, das tiefliegende Herz der Philosophen – und mein Aussehen – sind schon sehr persisch. Das überträgt sich natürlich auf mein gesamtes Leben und Arbeiten: ein großes Herz mit viel Temperament und viel Energie. HOFFNUNGSTRÄGER SALVA KIIR MAYARDIT, 59, SUDAN Ein Krieger am Verhandlungstisch Foto: Vereinte Nationen Im nächsten Jahr stimmt die Bevölkerung ab – wenn alles so läuft, wie er es sich vorstellt, wird Salva Kiir der erste Präsident eines neuen Staates: Südsudan Er trat kein leichtes Erbe an. Der Sudan hatte gerade durch ein umfassendes Friedensabkommen einen jahrzehntelangen blutigen Bürgerkrieg beendet, da kam am 30. Juli 2005 der »Erste Vizepräsident« des Landes und Präsident der Region Südsudan, John Garang, bei einem Helikopterabsturz ums Leben. Als dessen Stellvertreter übernahm Salva Kiir alle Ämter von ihm, mit einer unzweideutigen Agenda. Sieht der Friedensfahrplan von 2005 vor, dass die Bevölkerung am 9. Januar 2011 in einem Referendum darüber entscheidet, ob der Südsudan autonome Region bleibt oder zu einem unabhängigen Staat wird, ließ Kiir keine Zweifel daran, dass es für ihn nur eine Option gibt: »Mit diesem Referendum haben wir die Wahl, weiterhin Bürger zweiter Klasse zu sein oder freie Bürger in einem unabhängigen Staat.« Bereits mit 17 Jahren schloss sich Kiir, ein Christ aus dem Volk der Dinka, 1967 dem südsudanesischen Widerstand gegen den dominierenden mus- limischen Norden an. Nach der Gründung der Bewegung »Sudan People’s Liberation Movement« (SPLM) 1983 gehörte er rasch zu deren Führung. Ein Kämpfer durch und durch übernahm er später das Kommando über den militärischen Arm der SPLM und war einer der wenigen Köpfe, die Garang neben sich duldete. Der Unterschied zwischen beiden war überdeutlich: Garang hatte eine akademische und militärische Ausbildung in den USA genossen und war mit Staatsoberhäuptern per Du, Kiir kannte sein Leben lang nur das Kriegshandwerk im Busch. Nun liegt die Verantwortung bei ihm. Vieles hat sich seit dem Friedensschluss getan im Süden, aber die größten Herausforderungen stehen dem Mann, den man selten ohne Hut sieht, noch bevor. Nach dem sicheren Ausgang des Referendums für die Unabhängigkeit muss es Kiir gelingen, die blutigen Rivalitäten zwischen den einzelnen Stämmen im Süden beizulegen und Verhandlungen mit Khartum über das Erdöl in den umstrittenen Grenzregionen zum Erfolg zu führen. Noch glaubt niemand daran, dass Sudans Präsident Omar alBashir den Süden ohne weiteres gehen lässt. Keine leichten Aufgaben für einen Mann, dem das Charisma seines Vorgängers zu fehlen scheint. Im nächsten Jahr wird sich entscheiden, ob Salva Kiir die Durchsetzungskraft und Stärke besitzt, sb neues Blutvergießen zu verhindern. Ein Held im Wartezimmer Gestern gefeiert, heute totgeschwiegen: Der Kopf der »grünen Revolution« hat Hoffnungen auf einen neuen Iran geweckt. Kann er neue Kräfte mobilisieren? Oder steckt er zu tief im System? Wer hätte gedacht, dass ein 67-jähriger Politrentner zum Hoffnungsträger der iranischen Opposition und zum Star der Internet-Gemeinde aufsteigen würde? Viel ist über diesen denkwürdigen Wahlsommer 2009 geschrieben worden, zu Recht, denn die Erinnerung an jene Wochen wird sich in den nächsten Jahrzehnten Bahn brechen, aber das braucht noch Zeit. Umso rasanter wurde Mir Hossein Musavi zum unscheinbaren Architekten einer postislamischen Revolution stilisiert, ob ihm das nun recht war oder nicht. Der letzte Premier des Irans – das Amt wurde 1989 abgeschafft – weckte Hoffnungen auf einen politischen und gesellschaftlichen Wandel, die er kaum erfüllen konnte. Sicher, das Regime macht es ihm nicht leicht, zieht seine Kreise enger und verbannt ihn aus der Öffentlichkeit. Musavi macht trotzdem weiter, trifft sich regelmäßig mit Ex-Präsident Mohammad Khatami und dem Kleriker Mehdi Karroubi – das Triumvirat des neu gegründeten »Wegs der grünen Hoffnung«, das der Opposition einen organisatorischen Rahmen geben will. Für viele Iraner ist das zu wenig, sie hatten mehr erwartet. »Ich bin bereit, für meine Überzeugungen zum Märtyrer zu werden«, hatte Musavi auf dem Scheitelpunkt der Proteste verkündet. Er wurde es nicht. Das hätte einen Bruch mit einem System verlangt, dessen Kind der Azeri aus dem Nordost-Iran ist. Musavi prangert die diktatorischen Auswüchse der Islamischen Republik an – zum System bekennt er sich aber ausdrücklich. Seine Kritik zielt auf die verfehlte Wirtschaftspolitik seines Kontrahenten Mahmud Ahmadinedschad. Musavi könnte es gelingen, sich wieder zum Anführer neuer Proteste zu machen. Aber der Weg vom Katalysator des Widerstands zum Motor des Wandels ist holprig. Die Dynamik, das Gefühl ist vergangen. Und in den internationalen Medien überstrahlt der Atom-Streit längst wieder das Interesse an der innenpolitischen Situation im Iran. Dass Musavi vom Time Magazine zu einer der »100 einflussreichsten Personen 2010« gewählt wurde, mag wie ein verspäteter Wellenschlag des Medienhypes erscheinen. Aber Musavi hat Geduld, schon einmal hat er 20 Jahre gewartet, bis er in den politischen Ring zurückkehrte. Die nächste Welle kommt. Und wer weiß, ob sie einen wie Muchat savi nicht doch wieder nach oben spült. Foto: Mardetanha/Wikimedia Commons/lizensiert gemäß Creative Commons Attribution-ShareAlike 3.0 MIR HOSSEIN MUSAVI, 68, IRAN GHAZI AL-GOSAIBI, (1940-2010), SAUDI-ARABIEN lIllustration: Hadinugroho DICHTER UND DENKER Tod eines Kritikers Der saudische Poet, Schriftsteller und Politiker Ghazi al-Gosaibi hinterlässt ein spannendes literarisches und ein ambivalentes politisches Erbe Von Philipp Dehne Mit dem Tod von Ghazi al-Gosaibi hat eine der spannendsten und in mancher Hinsicht kontroversesten Persönlichkeiten Saudi-Arabiens die öffentliche Bühne des Landes verlassen. Dichter, Schriftsteller und Politiker sind die drei Schlagworte, mit denen er in der Regel charakterisiert wird. Gosaibi wurde 1940 in Hofuf im Osten Saudi-Arabiens geboren. Er wuchs hier und später in Bahrain auf, bevor er sein Studium an anderen Orten begann: Jura im Kairo der späten 1950er Jahre, internationale Beziehungen in Los Angeles. Später promovierte er auf diesem Feld an der University of London. Gut die Hälfte seines Lebens hat er verschiedene Regierungsämter besetzt, darunter vier Ministerien geleitet und zwei Botschafterposten inne gehabt. Doch verband ihn eine ambivalente Beziehung zum saudischen Regierungsapparat. Einerseits stand er den Herrschenden nahe, andererseits war er ein kritischer Geist, der seine Kritik oftmals offen äußerte, in mündlicher wie in schriftlicher Form. Zweimal gab seine Dichtung Anlass, ihn von einem Posten zu entbinden. 1984 musste er das Amt des Gesundheitsministers räumen, nachdem er in Versen die Korruption unter König Fahd kritisiert hatte. 2002 wurde er als Botschafter aus London abgezogen: In einem Gedicht hatte er das Selbstmordattentat der jungen Palästinenserin Ayat Akhras gelobt. Auch war manchen Mitgliedern der saudischen Herrscherfamilie ein Teil seiner Gedichte und Romane zu kritisch oder freizügig. Sie standen im Königreich jahrelang auf dem Index. Dieses Verbot hob der Informationsminister erst zwei Wochen vor seinem Tod auf. 42 zenith 5/2010 Die zweimalige Entbindung von seinen Aufgaben bedeutete keineswegs das Ende Gosaibis politischer Karriere. Er blieb Teil des Establishments. Nach seiner Kritik an der Korruption wurde er 1984 als Botschafter nach Bahrain geschickt. Nach seinem Abzug vom Botschafterposten in London wurde er zurück nach SaudiArabien gerufen, wo er das Amt des Wasserministers erhielt, das er bis 2005 inne hatte. In den letzten fünf Jahren führte er dann das Arbeitsministerium, was eine eher undankbare Aufgabe ist. Insbesondere die Jugendarbeitslosigkeit nimmt dramatisch zu, während gleichzeitig die Zahl der ausländischen Arbeitskräfte im Land weiter steigt. Ihre Anzahl wird derzeit auf über sechs Millionen geschätzt, ihr Anteil an der Arbeitnehmerschaft im Privatsektor soll um die 90 Prozent betragen. Gosaibi versuchte die »Saudisierung«, die Ersetzung nicht-saudischer Arbeitnehmer durch einheimische, voranzutreiben. Zum einen wollte er das Ausbildungssystem verbessern, zum anderen die Erwerbsquote unter den Frauen steigern und soziale Vorbehalte gegenüber »einfachen Tätigkeiten« abbauen. So servierte er 2008 drei Stunden lang Hamburger in einem der vielen FastFood-Restaurants in Dschiddah – eine Arbeit, die derzeit vor allem von Nicht-Saudis ausgefüllt wird – um zu zeigen, dass dies keine unehrenwerte Arbeit sei. Ein paar Monate später sorgte er mit seiner Aussage, dass Saudis »arrogant und rassistisch« geworden seien, für Aufregung. Er erhielt viel Zustimmung. Doch gibt es auch Stimmen, die meinen, dass soziale Vorbehalte eher zweitrangig seien: Wenn das Servieren von Hamburgern nicht annähernd die Lebenshaltungskosten decke, sei dies wohl das größere Problem. Sein Loblied auf eine Attentäterin kostete ihn den Job in der Regierung – vorübergehend Die Einführung eines Mindestlohns war im Gespräch, allerdings hat sich schließlich auch der Arbeitsminister und nicht nur Wirtschaftsvertreter dagegen ausgesprochen. Ein Journalist der saudischen Arab News meint, dass Gosaibi in seinem letzten Amt vieles versucht und auch ein wenig erreicht habe. Er habe zumindest teilweise die Einhaltung von Regeln und Saudisierungsvorgaben verbessern können und sei dafür bei Wirtschaftsvertretern nicht gerade beliebt gewesen. Doch das Ignorieren und Umgehen der Vorgaben ist weiterhin sehr verbreitet. Nach dem Tod von Ghazi al-Gosaibi am 15. August 2010 bleiben nicht nur Erinnerungen und seine Schriften erhalten. Sein Nachlass beinhaltet vor allem auch das ungelöste, massive Problem des saudischen Arbeitsmarktes und der sich daraus ergebenden sozialen Verwerfungen. Foto: Rita Castelnuovo DICHTER UND DENKER SARI NUSSEIBEH, 61, PALÄSTINA »Annektiert uns doch!« Der Philosoph setzte sich für eine Zweistaatenlösung in Nahost ein, als das noch gar nicht populär war. Jetzt verlangt er Alternativen Sari Nusseibeh kokettiert mit dem Image des wuschelköpfigen, weltfremden Forschers. Wenn der Präsident der Al-Quds-Universität in Jerusalem über den Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern spricht, dann verweist er auf die Gedankengebäude von David Hume und Immanuel Kant. Nusseibeh ist Philosoph, und das bedeutet für ihn, dass keine Idee zu absurd ist, um nicht von vorne bis hinten durchgespielt zu werden. Es war eine solche Idee, die ihn 1986 mit einem Schlag berühmt gemacht hat. Im Fernsehen bat er, der Palästinenser, darum, Israeli werden zu dürfen. Er rief Israel auf, das Westjordanland und Gaza zu annektieren, dann malte er das Bild eines gemeinsamen multi-ethnischen Staates. Für Friedensromantiker vielleicht eine schöne Aussicht, nicht aber für Nusseibeh. Er wollte vor allem zeigen, dass kein Weg an einer damals noch nicht so populären Zweistaatenlösung vorbeiführt. Nusseibehs Überle- gungen sind hochpolitisch, auch wenn er sie oft in akademische Sprache hüllt. Er sagt, »dass die Palästinenser immer wieder der eigenen Rhetorik auf den Leim gegangen sind«. Weniger träumen, mehr handeln, heißt das. Anfang der 1990er, während der Osloer Friedensgespräche, entwarf er in Jerusalem mit Kollegen eine Schattenregierung, zunächst ohne die Unterstützung Jassir Arafats. Grundzüge für den Aufbau künftiger Ministerien entstanden so, wenn auch erst einmal nur auf dem Papier. In Ausschüssen wurde detailliert über Sicherheit, Wirtschaft und Tourismus eines künftigen Staates getüftelt. »Der Hauptgrund, warum die Leute so unermüdlich arbeiteten«, schreibt Nusseibeh in seiner Autobiografie, »lag in unserer Überzeugung, den Staat aus seinen Institutionen heraus aufzubauen, und nicht umgekehrt.« Nusseibeh sieht in einem Palästinenser-Staat keinen Selbstzweck, sondern ein Vehikel, um den Palästinensern mehr Rech- DEUTSCHLANDS MUSLIME UND EUROPÄISCHER ISLAM 21. Januar 2011 Debattenabend | Eintritt frei te zu verschaffen. Das geschieht, laut Nusseibeh, heute noch nicht. Auch die neuen Friedensgespräche sieht er skeptisch. »Die Zeit für eine Zweistaatenlösung läuft ab«, sagt Nusseibeh und regt an, über Alternativen nachzudenken. Am 28. September erhielt Nusseibeh gemeinsam mit Amos Oz den Siegfried-Unseld-Preis – für sein MB Werk »Es war einmal ein Land«. 19 H DIE MUSLIMISIERUNG DES ANDEREN Cem Özdemir Bundesvorsitzender Bündnis 90/Die Grünen Sema Kaygusuz Schriftstellerin Hilal Sezgin Journalistin Sawsan Chebli Grundsatzreferentin für interkulturelle Angelegenheiten in der Senatsverwaltung für Inneres und Sport Caroline Fetscher Journalistin „Der Tagesspiegel“ | Übersetzung aus dem Türkischen: Sabine Adatepe Publizistin Moderation: John-Foster-Dulles-Allee 10 10557 Berlin 030 – 39 78 71 75 20.30 H ISLAM IN EUROPA www.hkw.de Tariq Ramadan Professor für Contemporary Islamic Studies an der Oxford University Dan Diner Professor U-/S-Hauptbahnhof, U-/S-Brandenburger Tor, U-Bundestag, Bus 100 und M85 für Neuere Geschichte an der Hebrew University, Jerusalem In Kooperation mit der Allianz Kulturstiftung und dem Berliner Künstlerprogramm des DAAD Gudrun Krämer Islamwissenschaftlerin Freie Universität Berlin B O U L E VA R D RIMA FAKIH, 25, USA »Ich bin nicht Miss Religion« Foto: Miss Universe Organization »Terrorbraut« oder »Stangenluder«? Rima Fakihs Wahl zur »Miss USA« am 16. Mai 2010 sorgte für jede Menge Wirbel und unflätige Kommentare der amerikanischen Boulevardpresse. Die 25-Jährige aus Dearborn, Michigan, hat als erste arabische Amerikanerin den Schönheitswettbewerb gewonnen. Kaum hatte Fakih ihr Krönchen auf den Nachttisch gelegt, gingen die Spekulationen los. War die dunkelhaarige Schönheit etwa als verkappte Agentin der libanesischen Hizbullah angetreten? Die rechtskonservative Kommentatorin Debbie Schlussel vermutete noch am Tag der Misswahl in ihrem Blog, Fakih stecke mit der Hizbullah unter einer Decke. Schlussel zählte sodann zahlreiche Verwandte Fakihs auf, die Positionen in der »Partei Gottes« besetzen – ohne eine Verbindung zum Mannequin nachwei- Die Hizbullah beurteilt Frauen nach anderen Kriterien! 44 zenith 5/2010 sen zu können. Rima Fakih stammt aus einer weit verzweigten schiitischen Familie im Libanon. Mit sieben Jahren kam sie in die USA und besuchte in New York eine katholische Schule. Für Aufregung ganz anderer Art sorgten Bilder, die Fakih als Gewinnerin des »Poledance«Wettbewerbs eines Lokalsenders in Detroit zeigen. Darf eine Muslima ihre nackten Beine lasziv um eine Stange legen? Rima Fakih selbst scheint relativ unbeeindruckt von den Diskussionen, die ihre Krönung ausgelöst hat. Sie sei ja nicht zur Wahl der »Miss Religion« angetreten. Und ob sie die erste Muslima sei, die den Titel »Miss USA« gewonnen hat, wisse sie gar nicht. Die Glaubensfrage sei ja bei früheren Wahlen auch nie gestellt worden. Die Fakihs hätten außerdem ein recht unverkrampftes Verhältnis zum Thema Religion. Es gebe Christen und Muslime in der Familie und gefeiert würden alle heiligen Feste, auch Weihnachten. Die neue »Miss USA« stellt also einiges auf den Kopf. Und was meint die Partei Gottes zu ihrem Sieg? Der Hizbullah-Abgeordnete Hassan Fadlallah kommentierte lapidar: »Die Kriterien, nach denen wir hier Frauen beurteilen, sind etwas anders als im Westen.« Rima jedenfalls freut sich, dass sie mit dem Stipendium, das sie durch die Wahl zur »Miss USA« erhält, nun endlich ihr Jurastudium beginnen kann – nach ihrer einjährigen Regentschaft. Um zur Wahl zur »Miss Michigan« antreten zu können, hatte sie noch ihr Auto verkaufen müssen. Die finanziellen Sorgen zumindest dürften fürs erste gelöst sein. lIllustration: Amatir Eine Schiitin ist die erste arabischstämmige »Miss USA«. Nie zuvor löste die Krönung einer Schönheitskönigin in Amerika einen solchen Affenzirkus aus Von Silke Brandt B O U L E VA R D Nach ihrer Wahl tauchten geheimnisvolle Bilder eines Stangentanzes auf. Amerika fuhr aus der Haut. Sieht so eine Agentin der Hizbullah aus? zenith 5/2010 45 NAHOSTKONFLIKT Gesicht der unbekannten Macht Ungeliebt aber unersetzlich: Khaled Mashaal ist Schmuddelkind und Schattenmann des Nahost-Friedensprozesses. Der Politbürochef der Hamas überrascht seine Besucher: Sie finden keinen fanatischen Hassprediger, sondern einen schillernden Strategen Von Robert Chatterjee CNN, Newsweek, Huffington Post, Charlie Rose von PBS – Khaled Mashaal stand 2010 dem »Who is Who« der amerikanischen Medien Rede und Antwort. Nun ist der 54-Jährige beileibe nicht medienscheu – schließlich ist der Politbüro-Chef der Hamas auch Aushängeschild und Sprachrohr der islamistischen Organisation. Dabei betont diese immer wieder ihre basisdemokratische Struktur – in bewusster Abgrenzung zum Konkurrenten Fatah. Dennoch, so gefragt wie er dürfte in diesem Jahr kaum ein Exilpolitiker gewesen sein: Khaled Mashaal ist der Schattenmann des Nahostfriedensprozesses. Statt am Verhandlungstisch in Washington sitzt er in seinem schwer bewachten Domizil in Damaskus – auf eine Einladung der Amerikaner hat er vergeblich gewartet. Westlichen Journalisten gegenüber bedauert er das, besonders zu beunruhigen scheint es ihn nicht. Bisher saß Mashaal noch immer am längeren Hebel. Was auf den Fluren in Washington zähneknirschend erkannt wird, erklärt Mashaal seinen Gästen unumwunden: Ohne die Hamas wird es keinen tragfähigen Frieden in Nahost geben. »Wir sind nicht ganz Palästina, aber wir repräsentieren einen wichtigen Teil der Palästinenser. Man kann uns nicht einfach ignorieren.« Nicht nur Journalisten, sondern auch viele offizielle und inoffizielle Unterhändler, die in Sa- 46 zenith 5/2010 chen Friedensprozess und palästinensischer Aussöhnung durch die Welt reisen, wissen: An diesem Mann führt derzeit kein Weg vorbei. Für seine Gesprächspartner, denen die Hamas als unberechenbareres Gebilde mit verschiedenen Machtzentren und unklaren Kompetenzen erscheint, ist Mashaal eine willkommene, weil verlässliche Konstante. Gewissheit bedeutet sein Bild im Fernsehen auch für die Israelis: Für sie ist Mashaal der Kopf an der Spitze – ein Staatsfeind und legitimes Anschlagsziel. Für Pressevertreter wie Diplomaten ein Drahtseilakt, denn einem, der von der US-Regierung als »globaler Terrorist« bezeichnet wurde, will man nicht unbedingt Legitimität verleihen. Mashaal trägt seine Argumente mit ruhiger Stimme, deutlich und klar strukturiert vor. Er klingt nicht wie der Demagoge der Organisation, die Israel von 2000 bis 2003 mit einer Welle des Terrors überzogen und sich 2007 in Gaza blutig an die Macht geputscht hat. Nein, Mashaal spricht wie der Physiklehrer, der er einst war, von 1978 bis 1984, bevor er sein Leben ganz der Hamas widmete. Das scheint bei den Journalisten, die Mashaal empfängt, seine Wirkung nicht zu verfehlen. Immer wieder fragen sie ihn nach seiner Vergangenheit, wollen wissen, wie er der geworden ist, der er heute ist. Mashaal gewährt Einblick – persönlich, aber als referiere er vor Publikum über die geostrategische Lage im Vorderen Orient. Infolge des Sechstagekrieges 1967 – Mashaal war damals elf Jahre alt – siedelte seine Familie aus seinem Heimatdorf Silwad bei Ramallah nach Kuwait über, wo damals viele Palästinenser Arbeit fanden. Der Vater, einst Dorf-Imam, erzog seine elf Kinder sehr religiös. Khaled studierte Physik, schloss sich später der Muslimbruderschaft an, die auf ihn offenbar aufrichtiger und authentischer wirkte als Jassir Arafats PLO. Die transarabische, islamistische Bewegung entdeckte die Befreiung Palästinas früh als Thema, um unter den Exilanten in den Golfstaaten Mitglieder zu werben. Der palästinensische Arm der Muslimbrüder trat dann 1986 erstmalig öffentlich in Erscheinung – unter dem Akronym Hamas, was für »Islamische Widerstandsbewegung« steht. Mashaal wird heute der Gründergeneration der Hamas zugerechnet. Er schrieb auch mit an der Hamas-Charta von 1988, die die Vernichtung des Staates Israels fordert, aber damals kaum wahrgenommen wurde. Zur gleichen Zeit tobte im Heiligen Land die Intifada – Mashaal beobachtete den Aufstand der Palästinenser aus der Ferne. Ein Frontkämpfer war er nie. Das Exil prägte seinen Lebensstil; und nicht immer konnte er auf die Nachsicht seiner Gastgeber zählen. Nach Foto: Trango/Wikimedia Commons/lizensiert gemäß Creative Commons Attribution 3.0 Unported KHALED MASHAAL, 54, SYRIEN NAHOSTKONFLIKT Der Emir von Kuwait warf ihn hinaus, König Hussein rettete sein Leben der Befreiung Kuwaits von den irakischen Invasionstruppen 1991 ließ der Emir des Golfstaats rund 400 000 Palästinenser ausweisen – als Quittung dafür, dass sich PLO-Chef Arafat demonstrativ auf die Seite Saddam Husseins gestellt hatte. Mashaal zog nach Jordanien, wo er zum Chef des Hamas-Politbüros aufstieg und ein verfehltes Attentat ihn im Jahr 1997 zur Berühmtheit machte. Als Touristen getarnte Agenten des israelischen Geheimdienstes Mossad hatten ihm auf offener Straße in Amman eine Giftspritze ins Ohr gesetzt, wurden aber von der jordanischen Polizei gefasst. Erst als König Hussein dem Auftraggeber, dem damaligen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu mit dem Abbruch der diplomatischen Beziehungen drohte, lenkte dieser ein und ließ das Gegengift in das jordanische Krankenhaus schicken, in dem Mashaal im Sterben lag. »Mein Leben liegt in Gottes Hand, nicht in Netanjahus«, verkündete der Genesene spä- ter, »Netanjahu ist nicht mein Feind, weil er versucht hat, mich zu töten, sondern weil er mein Volk tötet.« Im Gegensatz zu den Hamas-Führern in Gaza, dem Westjordanland und den israelischen Gefängnissen besitzen Mashaal und seine Kollegen im Damaszener Exil Reisepässe. Seit dem Umzug in die syrische Hauptstadt verfolgt Mashaal im Prinzip zwei Strategien: Auf der einen Seite schmiedet er von Beirut bis Teheran eine regionale Allianz, die »Achse des Widerstandes«, Seite an Seite mit der libanesischen Hizbullah und ihren iranischen Patronen. Innerhalb der Hamas-Führung gilt Mashaal aber vor allem als Mediator, der die geografisch und ideologisch zerstreuten Parteiflügel zusammen halten und nach außen vertreten soll. Dass dabei in den vergangenen Jahren ein neuartiger Pragmatismus zutage tritt, ist also in erster Linie Ausdruck der innerparteilichen Kräfteverhältnisse. Dennoch trägt sie deutlich den Stempel des Reise- diplomaten und Exilstrategen Khaled Mashaal. »Es gibt eine Position und ein Programm, das alle Palästinenser teilen«, sagt Mashaal zu der Vereinbarung, die Hamas und Fatah im Westjordanland während der kurzen gemeinsamen Regierungszeit im Frühjahr 2007 geschlossen haben: »Wir akzeptieren einen palästinensischen Staat in den Grenzen von 1967 mit Jerusalem als Hauptstadt«, sagte Mashaal in zahlreichen Interviews – ein deutlicher Bruch mit der Hamas-Charta von 1988, auf den ersten Blick. Tatsächlich wurde diese Charta, zu deren Autoren Mashaal zwar gehörte, nie vom so genannten Schura-Rat, dem Beschlussgremium der Hamas, verabschiedet. Mashaal muss sich also nicht daran gebunden fühlen. Vielleicht gereicht es ihm dabei zu Vorteil, dass die institutionellen Organe der Hamas, Politbüro und Schura-Rat, unter den gegeben Umständen kaum geregelt tagen können. Wer ihnen genau angehört und wie oft sie sich treffen, ist nicht öffentlich bekannt, aber gerade diese Unschärfe macht Mashaal eben flexibel und zum Meister der informellen Vermittlung. Er kann seine Rolle hochspielen – nach außen und nach innen. Er bewirbt sich für den Verhandlungstisch, will sich die Bedingungen aber nicht aufzwingen lassen. Gewalt gehört für ihn zum politischen Repertoire, daraus macht er keinen Hehl: »Wir Palästinenser haben noch nie etwas geschenkt bekommen, deshalb müssen wir kämpfen.« Der Widerstand der Hamas werde erst aufhören, wenn »die Besatzung« ende. Bis zu diesem Tag werden wohl noch einige Journalisten und Unterhändler in Mashaals Damaszener Versteck vorbeischauen und vielleicht auch wieder ein Spezialkommando des Mossad – für ein Attentat oder ein diskretes Treffen. In Sachen Israel lässt Mashaal sich nämlich großen Spielraum: Er spricht von Palästina in den Grenzen von 1967, aber nie von einer Zweistaatenlösung oder der Anerkennung Israels. Seine offizielle Begründung: Israel gehe ihn nichts an. zenith 5/2010 47 PROTESTROCK »Das Regime zwingt den Menschen seine Kultur auf« Die Band »Kiosk« ist die Stimme vieler Exiliraner. Ihr Blues-Rock war den Mullahs zu politisch, sie verboten sämtliche Veröffentlichungen. Frontmann Arash Sobhani spricht mit zenith über Musizieren im Untergrund und die Teheraner Kulturpolitik Interview: Nils Metzger zenith: Sie sind gerade auf einer EuropaTournee unterwegs. Ist das Auftreten hier etwas Besonderes – verglichen mit Nordamerika ist Kiosk hier weit weniger populär. Arash Sobhani: Es ist in dem Maße anders, als dass es in den USA Städte mit einer großen iranischen Community gibt. In Europa hingegen leben sie überall verteilt. Außerdem erleben wir, dass die Menschen in Europa offener sind für musikalische Experimente. Sie gehen zu verschiedenen Konzerten. Das ist in Amerika weniger ausgeprägt. Profitieren Sie in Europa von der großen Popularität des Weltmusik-Genres? Genau kann ich das nicht beantworten. Ich vermute, dass die Migranten hier deutlich mehr Verbindungen in ihre alte Heimat besitzen. Die USA sind da viel isolierter. Zurzeit wohnen Sie in den USA. Bezeichnen Sie sich trotzdem als ausschließlich iranischen Musiker oder findet auch westliche Kultur Widerhall in Ihren Stücken? Die Grundlage unserer Band ist Rock. Unser erstes Album war reiner Blues-Rock. Dire Straits, 48 zenith 5/2010 Pink Floyd, solche Gruppen. Anschließend haben wir dann andere Stile hinzugefügt. Wir haben mit vielen Künstlern gespielt, die ihre Gypsy- und Jazz-Einflüsse mitbrachten. Es hat sich langsam entwickelt. Spielen Sie mit dem Gedanken, irgendwann wieder in den Iran zurückzukehren? Das hoffen wir tatsächlich. Wir wollen dort wieder leben und auftreten können. Wir haben noch immer Freunde und Verwandte, die im Iran leben. Können Sie während dieser ganzen Zeit Kontakte zu anderen Teheraner Bands aufrecht erhalten? Als wir das letzte Mal im Iran waren, haben wir viele Untergrund-Studios besucht. Viele unserer Freunde haben dort Arbeit gefunden – obwohl sich viele auch gezwungen sahen, das Land zu verlassen. Trotzdem gehen viele junge Musiker das Risiko ein, eine eigene Band zu gründen – selbst in Kleinstädten. Das Internet ist dabei eine große Hilfe. Hier treffen wir uns und tauschen uns aus. Welche Linie verfolgt die staatliche iranische Kulturpolitik? Und welche Gruppen finden die offizielle Zustimmung der Regierung? Der Regierung im Iran geht es darum, die islamischen Werte zu preisen. Wie man das im alltäglichen Leben aber umsetzt, verraten sie nicht. Stattdessen fördern sie die billigste und kitschigste Popmusik. Sie haben sogar ihre eigenen Künstler. Einzige Bedingung für eine Veröffentlichung ist, dass es unmöglich ist, auf deren Musik richtig abzutanzen. Der Staat baut ihnen Aufnahmestudios, Magazine schreiben über sie – manche werden sogar auf Auslandstourneen geschickt. Dort wird auf den Konzerten dann auch Alkohol ausgeschenkt. Ihnen geht es darum, bestimmen zu können, wen die Jugendlichen als Idol verehren, und sie wollen sicher gehen, dass kein Geld an unabhängige Künstler fließt. Sie sind wie die Mafia, die den Markt, die Medien und das Leben der Künstler kontrolliert. Soll so eine künstliche Kulturlandschaft geschaffen werden? Ganz klar. Das Regime hat seine eigene Kultur erfunden, die es jetzt den Menschen aufzwingt. Stellen Sie sich vor, sie leben in einem Dorf, verstehen nur wenig Englisch, und im Radio wird ständig diese Musik gespielt. Sie ist nicht illegal, Foto: Lida Sh. ARASH SOBHANI, 40, IRAN PROTESTROCK Arash Sobhani macht seit seinem 17. Lebensjahr Musik. Seine ersten beiden Bands, »Tatar 2« und »Raaz-e Shab – Rätsel der Nacht«, gehörten zu den Pionieren der iranischen Rock-Szene in den Achtziger und Neunziger Jahren. 2003 gründete Sobhani (im Bild der zweite von rechts) die Band Kiosk. 2005 ging die fünfköpfige Band ins Exil nach San Francisco. Im Oktober 2010 erschien ihr viertes Studioalbum »Triple Distilled: Live At Yoshi's«. »Der Staat ist eine Mafia« wie so vieles Andere, und man kann sie überall kaufen. Also ja, zu einem gewissen Grad ist diese Politik erfolgreich. Erhielten Sie Unterstützung von amerikanischen Plattenfirmen, nachdem Sie 2006 ihre neue Heimat in den USA gefunden haben? Nein, wir mussten ein eigenes Label gründen. Um anderen Gruppen diese Hürde zu ersparen, haben wir versucht, weitere iranische Bands im Land selbst und im Exil zu fördern. Dabei hat uns sehr geholfen, dass wir bereits sehr gute Beziehungen zu vielen Radiostationen aufgebaut haben. Als die Band im vergangenen Jahr einige Veränderungen durchlebte, mussten wir das Vorhaben leider einstellen. Trotzdem bemühen wir uns weiterhin, zwischen Bands und Plattenfirmen zu vermitteln. An einem Wettbewerb für junge iranische Bands, den wir mit organisiert haben, nahmen zum Beispiel über 60 Gruppen teil. Ich saß in der Jury, und den Gewinnern schenkten wir Zeit in einem richtigen Tonstudio in Teheran, so dass sie eine CD aufnehmen konnten. Unter der Oberfläche passiert mehr, als man zunächst glauben mag. zenith 5/2010 49 M AT C H P O I N T lIllustration: Hadinugroho DHAHI KHALFAN TAMIM, 59, VEREINIGTE ARABISCHE EMIRATE Supercop Dubais erfolgreicher Polizeikommandeur muss seit drei Jahren gegen blutige Schlagzeilen kämpfen Der Mann hat einen exzellenten Ruf zu verlieren: Dhahi Khalfan Tamim ist Polizeichef von Dubai, das eine äußerst niedrige Kriminalitätsrate genießt. »Es kann keine Rate Null geben«, sagt Tamim. »Aber die Statistiken sind äußerst ermutigend. Auf 100000 Menschen kommt nur ein Mord, sogar unter den Gastarbeitern.« Die Polizei der Millionenstadt ist sein Aufbauwerk. 1967, nur drei Jahre bevor Tamim die Polizeiakademie Jordaniens absolvierte, besaß Dubai 430 Ordnungshüter. 1980 wurde Tamim Polizeichef. Heute befehligt er 15000 Beamte. Die »progressivste arabische Polizei« führte als erste in der arabischen Welt forensische DNATests und elektronische Fingerabdruckregistrierung ein. Satelliten unterstützen die Funkstreifen. Britische Tradition zeigt sich in Tamims Zivilität: Der Hobbypoet hat sich vorgenommen, Dubai mit einer Million Bäumen zu begrünen. Doch während seine Behörde unter den Emiratis hohes Ansehen genießt, bleiben die Gastarbeiter skeptisch. Nur in fünf Prozent aller Fälle unterstützen die Migranten polizeiliche Ermittlungen. Generalleutnant Tamims Versicherung, die Anonymität jedes Zeugen zu schützen, fruchtet nicht. Indes ist das saubere Image Dubais in Gefahr: Zu oft haben prominente Morde in der Golfmetropole Schlagzeilen gemacht, zuletzt die Liquidierung des Hamas-Waffenkäufers Mahmud alMabhuh im Fünf-Sterne-Hotel Al Bustan am 19. Januar. Tamim griff den Skandal auf, um öffentlichkeitswirksam die vermuteten Täter anzukreiden: »Mit 99 Prozent Wahrscheinlichkeit steckt der Mossad hinter dem Mord.« Sollte sich dieser Verdacht bestätigen, müsse Interpol einen Haftbefehl gegen den israelischen Geheimdienstchef Meir Dagen unterstützen. Schon das dritte Mal in drei Illustration: Amatir SHAHAR PEER, 23, ISRAEL Kleine Wilde Für Spitzensportler ist Israel eigentlich nicht bekannt. Shahar Peer ist eine Ausnahme. Mit 23 Jahren gehört sie zu den besten Tennisspielerinnen der Welt Als Kind aß Shahar Peer am liebsten Maissuppe und die koschere Schokoladenmousse ihrer Mutter. Von ihrem Vater wurde sie liebevoll »Yassir Arafat« gerufen, weil sie im Elternhaus allerlei zerstörte. Aber das ist lange her. Das wilde Mädchen aus Maccabim, einem kleinem Städtchen in der Nähe von Tel Aviv, wollte eigentlich Sängerin werden. Auf einer Bühne steht sie heute nicht, dafür aber auf Platz 13 der Weltrangliste im Damentennis. Das mit Spitzensportlern wenig gesegnete Land feiert sein Idol: egal ob bei Turnieren in Prag, Paris oder Pattaya City – die heimischen Medien übertragen jedes Spiel ihrer Hoffnungsträgerin, die bereits mit 17 Jahren Profi wurde. Bisher gewann die 23-Jährige die Junior Australian Open, fünf WTA-Tuniere, nahm 2008 an der Olympiade in China teil und hat mehr als drei Mil- Jahren gibt es einen solchen Fall: 2009 wurde ein Rivale des tschetschenischen Präsidenten von Häschern aus Grosny auf einem Parkplatz in Jumeirah kaltgemacht. 2008 erstach ein Killer die libanesische Popsängerin Suzanne Tamim in ihrem Apartment in der Jumeirah Beach Residence. Erst im September dieses Jahres wurde der ExLiebhaber und Auftraggeber, der ägyptische Multimillionär Hisham Talaat Mustafa, endgültig für schuldig befunden. Eine kleine Genugtuung für Dhahi Khalfan Tamim, der wohl Meir Dagan nicht mmo ins Kittchen liefern wird. lionen US-Dollar Preisgelder erspielt – Erfolge, die das Resultat einer Erziehung zu eiserner Disziplin sind. Ihre kleine »Morgenröte«, wie Shahar übersetzt ins Deutsche heißt, weckten die ehrgeizigen Eltern, die selbst Leistungssportler waren, meist bevor die Sonne aufging. Dreimal die Woche musste die kleine Schülerin morgens um halb sechs trainieren, bevor die Schule losging. Ihr großes Vorbild Monica Seles hat die Ausnahmeathletin zwar noch lange nicht erreicht, aber sie ist jung – und spielt unter anderen Bedingungen als ihre Konkurrenz. Oder auch gar nicht. Die Vereinigten Arabischen Emirate verweigerten der Israelin 2009 die Einreise. Trotzdem entschloss sie sich, im Folgejahr wieder anzutreten und hoffte, dieses Mal das Visum zu erhalten; sie bekam es. An Hochleistungssport unter normalen Bedingungen war dennoch nicht zu denken. Wenige Wochen vor dem Turnier war Mahmud al-Mabhuh, hochrangiges Hamas-Mitglied, von mutmaßlichen Mossad-Agenten in einem Hotel in Dubai ermordet worden – Peer galt als spielende Zielscheibe und wurde von 30 arabischen Bodyguards bis auf den Tennisplatz begleitet. Sie schaffte es dennoch bis ins Halbfinale, wo sie gegen Venus Williams verlor. Die erklärte nach ihrem Sieg: »Ich könnte mir nicht vorstellen, unter diesen Umständen so gut wie Shahar zu spielen. Ich denke, niemand anderes könnte das tun, Dominik Peters was sie kann.« TEMPELRETTER HOURIG SOUROUZIAN, 61, ÄGYPTEN Die Prinzessin von Theben Sie gilt als eine der weltbesten Kennerinnen altägyptischer Kunst: Seit zehn Jahren kämpft Hourig Sourouzian für die Rettung eines monumentalen Tempels. Aber auch die Zeitgeschichte des Nahen Ostens spiegelt sich in ihrem Leben wider Von Faris Sikander folg betrachten müssen, herrscht Sourouzian über die monumentalen Hinterlassenschaften eines goldenen Zeitalters – der 18. Dynastie. Ihr Grabungsplatz ist groß, wirkt aber aus der Ferne unscheinbar. Dennoch halten dort alle Touristenbusse, die ins Tal der Könige von Luxor kommen. Denn dort stehen die Memnon-Kolosse: zwei sitzende Königsstatuen, deren zerschlagene Gesichter greifenhaft anmuten. Rund 18 Meter hoch und sagenumwoben seit der klassischen Antike. Einen ähnlich kolossalen Amenhotep hat Sourouzian vor einigen Jahren ausgegraben. Erdbeben und Überschwemmungen hatten ihn auf den Rücken geworfen. Die Statue der schönen Pharaonengattin Tije, die dem Koloss zur Seite stand und aus demselben Stein geschlagen wurde, liegt nun obenauf: Zärtlich aber ehrfürchtig wischt Sourouzian ihr mit der Hand den feinen Staub aus dem Gesicht, so wie es einst die Kammerzofen taten. »Eine solche Schönheit kann man sich kaum ausdenken«, sagt Sourouzian, »sie muss tatsächlich so anmutig gewesen sein.« Sourouzian ist Ägyptologin und Kunsthistorikerin – eine ebenfalls sehr angesehene Kollegin nennt sie »die größte lebende Kennerin der ägyptischen Kunst«. An der Pariser Ecôle du Louvre studierte Sourouzian Kunstgeschichte, Archäologie und Epigrahie, bevor sie in den Orient kam – oder genauer gesagt: in den Orient zurückkehrte. Fotos: dge Am Westufer des Nils spielt sich an diesem Morgen im Frühjahr 2010 ein pharaonisches Spektakel ab: Rund 60 Arbeiter ziehen einen kolossalen Schädel an einem Strick hinter sich her. Einer gibt den Takt vor. Auf »zugleich« wandert der Statuenkopf – vom Kinn bis zur Krone zwei Mannsbilder hoch – in gemächlichen Schüben voran. Pharao Amenhotep III., in antiken Quellen auch Amenophis genannt, hätte dieses Schauspiel wohl mit Genugtuung betrachtet – wäre das Gesicht der Statue, die vor fast 3500 Jahren nach seinem Ebenbild gemeißelt wurde, nicht so erheblich ramponiert. Aus der Höhe eines Stahlgerüstes wacht Hourig Sourouzian über die Ereignisse am Totentempel. »Seid vorsichtig, passt auf Eure Füße auf«, ruft sie, den oberägyptischen Dialekt der Einheimischen nachahmend. Die Warnung ist Routine, die Direktorin des »Amenhotep III Temple Conservation Project« wirkt nicht angespannt. Sie scheint ihrer Mannschaft zu vertrauen. Seit Jahren bewegen diese Männer die Steinquader und Statuen, manche davon wiegen einige hundert Tonnen. Kein Grabungsschauplatz ist so verwöhnt mit gigantischen Artefakten, die dort im Wochentakt gefunden werden. Meist sind es Statuen ägyptischer Götter oder des Bauherrn höchstpersönlich. Während andere Archäologen detektivisch im Staub kratzen und die Entdeckung einer Erdverfärbung oder eines Knochens schon als Er- >> zenith 5/2010 51 TEMPELRETTER »Wer glaubt, dieser Tempel sei das Werk eines Angebers, hat nichts verstanden« Rainer Stadelmann gehört selbst zu den berühmtesten Ägyptologen. Aber auf dieser Grabung führt seine Frau das Regiment. Denn Sourouzian wurde in Bagdad geboren, als Tochter eines Armeniers, dessen Familie im Jahr 1915 einem Massaker der Truppen des Osmanischen Reiches gegen die ungeliebte Minderheit zum Opfer gefallen war. Später zog ihre Familie in den Libanon und nach Kanada. Viele Sprachen zu beherrschen, war für das orientalische Bildungsbürgertum nicht ungewöhnlich: Sourouzian spricht Armenisch, Arabisch, Englisch, Französisch und Deutsch. Wenn sie sich nicht im Grabungshaus von Theben oder in ihrer Wohnung auf der Kairoer Nilinsel Zamalek aufhält, wohnt sie in München. Sie ist mit einem Bayern aus Oettingen im Landkreis Donau-Ries verheiratet: Rainer Stadelmann, 77, früher Chef des Deutschen Archäologischen Instituts in Kairo und einer der weltweit bekanntesten Pyramidenforscher und Ägyptologen, unterstützt seine Frau seit seiner Pensionierung bei den Ausgrabungen am Totentempel des Amenhotep. Wohl keine Archäologin auf der Welt hat einen derart prominenten Assistenten vorzuweisen. »Das hier ist bislang die erste Darstellung des Mittelmeervolkes der Ionier in der Geschichte«, sagt Stadelmann, während er im ehemaligen Theben ein Prunkrelief in Rosengranit untersucht. Der Pharao habe zeigen wollen, dass die ganze Welt ihm huldigte, von Afrika bis Asien. 52 zenith 5/2010 »Das war wohl etwas übertrieben, die Hethiter wären damit wohl nicht einverstanden gewesen.« Als Stadelmann zu einem Referat ansetzt, hallt sein Vorname über den Grabungsplatz. »Wir haben das Glück, dass es sich beruflich ausgeht und wir unsere Leidenschaften teilen«, sagt Stadelmann mit einem sanften Lächeln und folgt dem Ruf seiner Gemahlin. Viele Archäologen verbringen jährlich mehrere Monate im Jahr auf »Kampagne«, wie sie die Grabung nennen. Glückliche oder zumindest ungeschiedene Ehen sind in der Branche selten. Auch wenn Stadelmann am Grabungsplatz den gleichen Hut wie seine Frau trägt, ist sie der Chef. Auch bei den Studenten, die auf der Anlage die Funde auswerten, zeichnen und mit Inventarnummern versehen, ist Sourouzian beliebt. »Eine Lady«, sagt ein Student während der Mittagspause. Archäologen seien Alpha-Tiere. Gerade im begehrten, hart umkämpften Grabungsland Ägypten müssten sie sich durchbeißen. Die Einsamkeit hier draußen und das Gefühl, sich als Autorität behaupten zu müssen, mache die Forscher schrullig – der Stress mit Behörden oder Kollegen werde nicht selten an Untergebenen ausgelassen. »Hourig löst so etwas mit Charme«, fügt der Student hinzu. Jeden Donnerstag überreicht Sourouzian den Arbeitern eigenhändig den Wochenlohn. Sie kennt die Männer ausnahmslos mit Namen. Der Reihe nach treten sie vor, deuten einen Diener an und nehmen ihr Geldbündel entgegen. Auf Sourouzians Tapeziertisch stapeln sich die Scheine, aber das Jahresbudget der Grabung, die sie Fotos: dge TEMPELRETTER Die beiden Memnon-Kolosse zählen zu den Wahrzeichen von Theben – einst waren sie Teil des Totentempels von Pharao Amenhotep III. seit 13 Jahren leitet, ist mit rund 250 000 Euro eher klein. Das Geld kommt von privaten Spendern: Die Cognac-Erbin Monique Hennessy und die Münchner Juristin und Ägyptenfreundin Ursula Lewenton haben für die Rettung des Totentempels einen Förderverein gegründet. Es ist insofern eine Rettung, als die gewaltigen Memnon-Kolosse und die gesamte Anlage schon mehrfach zu versinken drohten. Die Archäologen kämpfen gegen Bodenerosion und gegen das Grundwasser, das fortwährend mit schweren Pumpen aus den Grabungsschnitten gesaugt wird. Sourouzians Team besteht aus Ingenieuren, Archäologen, Architekten, Zeichnern und Arbeitern. Insgesamt 280 Helfer sind während der Saison am Werk. Sie stammen aus Ägypten, Europa und Amerika, einige sogar aus den ehemaligen Sowjetrepubliken im Kaukasus – international wie einst das Personal des Pharaos Amenhotep. Die Rekonstruktion des Tempels ist noch längst nicht abgeschlossen. Anders als die Tempel von Luxor und Karnak am östlichen Nilufer, die zu den bekanntesten ägyptischen Touristenattraktionen zählen, ist von der Architektur dieser Anlage kaum etwas geblieben. Und doch vermuten die Forscher, dass kein religiöses Bauwerk jener Zeit die Suche der Pharaonen nach der Verbindung mit der Götterwelt so veran- Sourouzians Helfer bewegen tonnenschwere Pharaonenköpfe – nach altbewährter Methode. Keine Grabung ist so verwöhnt mit monumentalen Kunstschätzen. Archäologen sind Alpha-Tiere. Im umkämpften Grabungsland Ägypten müssen sie sich durchbeißen schaulichen kann wie der Totentempel des Amenhotep. »Viele Besucher und Journalisten meinen, diese Kunst und Architektur zeuge von maßloser Selbstverherrlichung«, sagt Sourouzian, »sie glauben, dass diese gigantischen Statuen das Werk eines Angebers seien. Aber sie haben nichts verstanden: Der Pharao erfüllte seine Aufgabe, als Mensch den Göttern so nahe zu treten, wie es ihm möglich war.« Nur wenn sie Amenhotep, den zweiten Mann in ihrem Leben, gegen derartige Anwürfe verteidigt, schimmert ein Hauch von Angriffslust in ihren Augen. Amenhotep III. starb im Jahr 1351 vor Chris- tus und hinterließ ein Reich von Glanz und Größe: Goldreserven aus den Bergen Nubiens, Handelsrouten nach Zentralasien und eine florierende Landwirtschaft am Nil machten es möglich. Sein Sohn und Nachfolger, Pharao Amenhotep IV., brach, so heißt es, mit den Traditionen seines Vaters. Er nannte sich Echnaton, machte die Sonnenscheibe zur höchsten Gottheit und gründete in Mittelägypten eine neue Hauptstadt. Dem Gedenken des Vaters machte Echnaton wenig Ehre, aber auf der Rangliste der bekanntesten Pharaonen verdrängte er ihn allemal – nicht zuletzt weil seine Halbschwester und Gattin Nofretete bis heute als schönste First Lady Ägyptens gilt. Auf einem umgestürzten Architrav des Tempels prangt ein kleines Relief: Es zeigt ein Schwimmbecken, in dem zwei nackte Kinder baden. Während Sourouzian einige hundert Meter weiter in einem Pulk fröhlicher Arbeiter steht und eine neu entdeckte Pharaonenstatue inspiziert, steht Stadelmann andächtig vor dem idyllischen Motiv. »Wenn Sie etwas Rummel auslösen wollen, dann können Sie schreiben, Sie hätten den kleinen Echnaton und Nofretete als Kinder nackt im Bad gesehen«, raunt Stadelmann mit verschwörerischem Zwinkern. »Aber sagen Sie Hourig bloß nicht, ich hätte Ihnen diesen Floh ins Ohr gesetzt.« zenith 5/2010 53 Fotos: Gigi Roccati SEX AND THE CITY ZENA AL-KHALIL, 32, LIBANON Barbies und Kalaschnikows Ihre Kunst ist bunt und verstörend. Bekannt geworden aber ist sie durch ihre Berichte aus Beirut unter israelischen Bombenangriffen Von Marina Khatibi Zena al-Khalil trägt einen knallpinken Schal im braunen Haar. Die dichte Mähne legt sich sanft auf ihre schmalen Schultern. »Es ist wirklich unglaublich, dass nun die ganze Welt weiß, wann und mit wem ich meine Jungfräulichkeit verloren habe«, sagt die Autorin bei einer Lesung ihres Buches »Beirut, I love you« in London. Es ist eine Liebeserklärung an die libanesische Hauptstadt, die »Hure, an der alle teilhaben möchten«, aber auch eine Anklage und ein Aufschrei. Das Buch liest sich wie ein einziger Gedankenstrom, der durch Khalils Hand aufs Papier geflossen ist. »Ich bin keine Schriftstellerin, ich bin Künstlerin«, sagt sie über sich selbst. Begonnen hat sie ihre Karriere als Installationskünstlerin. Geboren in London, aufgewachsen in Nigeria und England, ging sie im Alter von achtzehn Jahren nach Beirut in die Stadt ihrer Eltern. An der American University lernte sie ihre beste Freundin Maya kennen. Wenige Jahre später schon starb Maya an Krebs – eine schmerzhafte Erfahrung für Zena. Ihr Kunststudium setzte sie in den USA fort und machte den Abschluss an der Schule für Visuelle Kunst in New York. Dort gründete sie auch zusammen mit anderen Künstlern »xanadu«, ein Projekt, das junge Künstler fördert. Khalil ist Drusin und glaubt an Wiedergeburt. Sie ist überzeugt, dass sie auch viele 54 zenith 5/2010 Sorgen und Nöte aus früheren Leben mit sich trägt. Sie braucht ein Ventil für diese Gefühle, für diese Leben, die sie in sich trägt. Ihr Ventil ist die Kunst. Sie sei Künstlerin um zu überleben und die Kunst ermögliche ihr, das Erlebte zu verarbeiten. Um mit der Welt zu kommunizieren, begann Khalil ihren Blog beirut update zu schreiben, als im Juli 2006 der Libanon unter israelischem Bombenbeschuss stand. Eine Journalistin des britischen Guardian entdeckte Khalils Blog und die Nachrichten, die sie aus dem Kriegsgebiet schrieb. Ihre Einträge wurden schnell auch in anderen internationalen Medien abgedruckt. Eine englische Literaturagentin rief Khalil an und riet ihr, ein Buch zu schreiben. Es ist weder ein Roman noch ein Tagebuch geworden – »Magischer Realismus«, wie Khalil selbst sagt. Das Buch beschreibt die persönlichen Erfahrungen Khalils in Beirut während der Bombardierung. So grell wie die Farbe ihres Schals sind auch Khalils Installationen. 2009 stellte sie in Turin einen riesigen Schriftzug »Allah«, zusammengesetzt aus Spiegel-Mosaiksteinen, in einer Kirche aus. Bei ihren Werken gibt es viel zu sehen: Barbiepuppen mit Kalaschnikows und Kaffiehs, der palästinensischen Kopfbedeckung, bunte Farben, Tand und Glitzer. Eine Bilderserie zeigt die Köpfe be- »Es ist süß, es ist klebrig, mir wird schlecht davon« kannter libanesischer Politiker, zum Beispiel den des Hizbullah-Chefs Hassan Nasrallah. Die Gesichter sind umrandet von rosa Blumen, Schmucksteinen, Strass und Perlen. Diese Art von Bildern ist typisch für ihre Kunst. Material für ihre Arbeit sucht und findet sie in Beirut. Das Pink, das Khalils Arbeiten dominiert, wirkt oft verstörend. »Es ist süß, es ist klebrig, mir wird schlecht davon«, erklärt Khalil ihre Leidenschaft für diese Farbe. »Ich bin aufgewachsen mit der Popkultur der 1980er Jahre. Ich bin ein Kind der Generation MTV.« Khalils Kunst ist gefragt. Galerien in New York, London, Turin, München oder Paris haben ihre provokanten Werke bereits aus- SEX AND THE CITY MIRAL AL-TAHAWI, 42, ÄGYPTEN Das Beduinenkind Die ägyptische Schriftstellerin beweist mit »Brooklyn Heights« einmal mehr, dass sie zu den großen Hoffnungen des Nahen Ostens zählt. Ihr Schreiben sei ein Akt der Befreiung, sagt sie Beirut, I love you. A Memoir Zena al-Khalil Saqi Books, London 2009, 218 Seiten, 11,99 Euro stellerinnen des Nahen Ostens zu sein. Als erste Frau erhielt sie im Jahre 2000 den Ägyptischen Förderpreis für Literatur. »Brooklyn Heights« steht nun auf der Shortlist des Internationalen Buchlizk preises für Arabische Belletristik 2011. »Man kann der eigenen Vergangenheit nur schwer entrinnen« Fotos: Juergen-Bauer.com gestellt. Neben ihrer Kunst beschäftigt sie aber immer noch das Buchprojekt. Geplant ist, »Beirut, I love you« auch in andere Sprachen zu übersetzen – auf Arabisch ist es bisher nicht erschienen. Khalil schreibt und spricht überwiegend Englisch. »Das Buch ist eine Gelegenheit, das Bild der modernen arabischen Frau in der Öffentlichkeit gerade zu rücken und Stereotype zu hinterfragen«, sagt sie. Aber kann jemand, der in London geboren wurde, außerhalb der arabischen Welt aufgewachsen und erst als junge Frau nach Beirut gezogen ist, von sich behaupten, eine arabische Frau zu sein? Khalil spricht nur gebrochen Arabisch. Auch deshalb möchte sie das Buch noch nicht in der Sprache ihrer Eltern veröffentlichen. Einem möglichen Spektakel in den arabischen Medien will sie vorbeugen und möglichst wortgewandt entgegentreten. Dafür braucht sie Zeit. »Mein Projekt ist in Arbeit. Ich bin nicht in Eile.« Dass Hind in New York unglücklich sein würde, war nicht vorhersehbar gewesen. Sie hatte Ägypten verlassen, sowie den untreuen Ehemann, der sie mit all ihren Freundinnen betrogen hatte. Sie wollte den Neubeginn in der amerikanischen Großstadt. Doch die Protagonistin Hind in Miral al-Tahawis soeben erschienenem Roman »Brooklyn Heights« findet sich nicht nur mit all den Problemen konfrontiert, denen arabische Einwanderer in den USA begegnen, wie Armut und wenig Chancen aufzusteigen. Auch ihre Vergangenheit belastet sie schwer. In Brooklyn trifft sie auf Frauen in ähnlichen Situationen. Miral al-Tahawi beschreibt einige dieser Frauenschicksale von frühester Kindheit bis zu dem Entschluss, auszuwandern im Kontext von Familie und Gesellschaft, Staat und Religion und Missbrauch. Ihr Blick ist scharf und nah, ihre Sprache leicht und flüssig, die verschiedenen Ebenen erschreibt sie sich spielend. New York scheint der 42-jährigen Autorin, die hier seit 2008 als Dozentin lebt, äußerst gut zu tun. Auch wenn in ihrem neuen Roman, wie in ihren drei vorhergehenden, die beduinische Kultur, der sie selbst entstammt, eine Rolle spielt, scheint sie sich gelöst zu haben von dem engen Blick darauf, von der traumhaften Verschränkung zwischen Gegenwart und Vergangenheit. Ihre literarische Arbeit war von Anbeginn ein Akt der Befreiung. »In meinen drei Romanen habe ich immer nur über die Nöte meiner Existenz geschrieben«, erklärte sie einmal. Tahawi kam als jüngstes von sieben Geschwistern in einem Dorf im östlichen Nildelta zur Welt. Ihren Vater, einen Chirurgen, und die Lebenswelt, in der er verkehrt, kennt sie kaum. Noch während ihrer Zeit als Dozentin an der Universität wurde sie von einem ihrer Brüder zur Aufsicht begleitet. Mit ihrem neuen Roman bricht Tahawi Tabus, schreibt offen über Religion und Sexualität und wird ihrem Ruf gerecht, eine der spannendsten jüngeren Schrift- zenith 5/2010 55 ELIE SAAB, 46, LIBANON Fotos: Eli Saab Haute Couture STILIKONE Mit Sinn für Weiblichkeit Halle Berry, Salma Hayek und Königin Rania von Jordanien tragen seine Kleider. Jetzt fördert Elie Saab arabische Jungdesigner Von Ulrike Gasser Er hat es geschafft: Der libanesische Modedesigner schickt internationale Stars in seinen aufwändig gearbeiteten Kreationen über die roten Teppiche dieser Welt und verbindet so Stilempfinden und Eleganz spielerisch mit seiner Herkunft, dem Nahen Osten. »Für mich ist Mode eine Lebenseinstellung. Es ist wichtig, elegant und schick zu sein«, sagt Elie Saab. Eine Überzeugung, die der Modeschöpfer geschickt umzusetzen versteht, mit seinen noblen, fließenden Kleidern. Schon mit neun Jahren, während andere Kinder spielen, fertigt der kleine Elie Skizzen und Schnittmuster aus Zeitungspapier an und beginnt damit 56 zenith 5/2010 STILIKONE »Frauen sollen sich sinnlich fühlen, wenn sie meine Kleider tragen« seine Schwestern einzukleiden. Seine Eltern, die Mutter Hausfrau, der Vater Holzgroßhändler, sind davon wenig begeistert. »Sie wollten, dass ich Arzt oder Anwalt werde, aber dann haben beide verstanden, dass ich fest entschlossen war Mode zu entwerfen.« Zweifelsohne ist es die Beharrlichkeit im Wesen von Saab und sein Talent, die dem Sohn christlich-maronitischer Eltern zu seiner Ausnahmekarriere verhalfen. Heute rangiert sein Label »Elie Saab« unter den Topmarken auf dem internationalen Modemarkt und erzielt Spitzenpreise. Vor allem seine glamourösen Abend- und Hochzeitskleider mit modernen Schnitten machen auch Frauen ohne Traummaße zu wahren Kurvenwundern. »Für mich ist die Silhouette einer Frau das Wichtigste, denn die Schönheit liegt in ihrer Weiblichkeit. Ich möchte, dass Frauen sich sinnlich fühlen, wenn sie meine >> zenith 5/2010 57 Fotos: Eli Saab Haute Couture STILIKONE Kleider tragen.« Gelernt hat der Libanese sein Handwerk in Paris und durch lebenslange Selbstschulung. 1982, mit gerade mal 18 Jahren, kehrt der Jungdesigner Saab aus Frankreich zurück und eröffnet in Beirut sein erstes Atelier mit zehn Angestellten und einer Menge Optimismus. »Am Anfang war es nicht leicht, denn damals hat mein Beruf im Libanon überhaupt nicht existiert. Selbstverständlich gab es Schneider, aber Designer zu sein, das war etwas vollkommen Neues.« Der junge Modekünstler macht sich dennoch schnell einen Namen in der arabischen Welt und es dauert nicht lange, bis ihn die heimische Presse begeistert als »Genie« feiert – in einer Zeit, in der Beirut noch als Kriegsgebiet gilt. Die von ihm benötigten Stoffe und Materialien müssen unter schwierigsten Bedingungen eingeführt werden, und Saab liefert seine ersten Bestellungen ins Ausland via Fähre nach Zypern. Bis sie 58 zenith 5/2010 STILIKONE »Beirut hält meine Kreativität am Leben« tatsächlich angekommen waren, bangte Saab um die wertvolle Ladung. Saabs Kreationen sind aus hochwertigen Materialien genäht und der Designer versteht es, sie detailreich mit Stickereien, Pailletten oder Perlen zu verzieren. Der Preis für ein Kleid aus der Hand des Meisters beginnt bei 10 000 und endet bei 1,8 Millionen Euro, wie seine Kreation für eine Prinzessin aus Katar, reich mit Smaragden und Diamanten bestickt. Saab selbst merkt mit einem Augenzwinkern an, sein Unternehmen sei wohl der größte Abnehmer von Swarovski-Kristallen. Nachdem Saab 1997 als erstes nicht-italienisches Mitglied in die Modekammer »Camera Nazionale de la Moda« aufgenommen wurde und so erfolgreich in Europa debütierte, gelang ihm der internationale Durchbruch fünf Jahre später. 2002 erhielt Halle Berry den Oscar als beste Hauptdarstellerin, gekleidet in eine transparente Elie-Saab-Robe mit Blumenstickereien, die gerade das Nötigste verdeckten. Die Begeisterung in Hollywood war groß. Aber der wirkliche Ritterschlag erfolgte ein Jahr darauf: Saab wurde in die ehrwürdige Modeinstitution »Chambre Syndicale de Haute Couture« und damit in den Pariser Modeolymp aufgenommen. Seitdem steigen die Verkaufszahlen rasant. Stars wie Angelina Jolie, Scarlett Johansson, Sal- ma Hayek oder Beyonce Knowles geben sich in seinen Boutiquen die Klinke in die Hand. Doch der talentierte Couturier hat nicht vergessen, woher er kommt. Sein Hauptatelier befindet sich trotz des weltweiten Erfolges noch immer in Beirut. »Nur hier kann ich schöpferisch sein, hier fühle ich mich als ganzer Mensch, denn Beirut hält meine Kreativität am Leben.« Er ist Haus- und Hofschneider von Königin Rania von Jordanien, und für seine arabischen Kundinnen näht der Designer auf Wunsch die Ausschnitte zu oder lange Ärmel an die eleganten Kleider. Kürzlich tauschte der Modeschöpfer für eine Weile Nadel und Faden gegen ein Mikrofon. Die Sendung »Mission Fashion« suchte den besten Jungdesigner der arabischen Welt, und Saab half kräftig dabei mit: »Wenn wir unseren Kindern nicht beibringen, dass sie ihre Träume und Visionen auch in der Heimat verwirklichen können, geht hier alles den Bach runter.« zenith 5/2010 59 SCHIITEN lIllustration: Hadinugroho NURI AL-MALIKI, 60, IRAK Opposition ist Mist! 2010 bewies Nuri al-Maliki, dass er Meister des Überlebensspiels ist. Zugetraut haben es ihm nur wenige – noch weniger gönnen es ihm Ein strahlender Sieger sieht anders aus – in Siegerpose sieht man Nuri al-Maliki ohnehin selten. Gegen alle Unkenrufe hat sich der irakische Ministerpräsident behauptet, nicht besonders ansehnlich und bestimmt auch nicht ganz sauber. 2009 stand seine Koalition, die ihn 2006 ins Amt gehievt hatte, vor dem Aus. Die Rückkehr der Anschlagsserien, Zank über Öleinnahmen mit den Kurden, Stress mit alten Baath-Kadern – alles lastete auf den Schultern des 60-jährigen Schiiten und trübte seine politischen Aussichten. Das wurde an der Wahlurne in diesem Jahr quittiert – die Allianz seines Konkurrenten Iyad Allawi wurde vor Malikis »Rechtsstaatskoalition« stärkste Kraft im Parlament. Das achtmonatige Warten auf eine neue Regierung, das es bis ins Guinness-Buch der Rekorde schaffte, nahm der Chef der Dawa-Partei in Kauf und spielte auf Risiko. Maliki bewies sich als Meister in der Kunst der Reise- und Hinterzimmerdiplomatie – und überraschte mit seiner Mischung aus Durchsetzungskraft, Allianzenschmieden und Taktieren: Fähigkeiten, die ihm während seiner ersten Amtszeit nicht selten abgesprochen wurden. Zähneknirschend mussten sich seine Konkurrenten ihm anschließen, allen voran der vermeintliche Aufsteiger der irakischen Politik, der Kleriker Muqtada al-Sadr. Dabei hat Maliki schon oft bewiesen, dass er ein Überlebenskünstler ist, sonst wäre er erst gar nicht im Nachkriegsirak angelangt. Bis dahin hatte er 24 Jahre im Exil verbracht, die meisten davon in Teheran und Damaskus. Dort koordinierte er den Kampf gegen das BaathRegime, aber auch die Unterstützung für die Hizbullah im Auftrag seiner Gastgeber. Für die HASAN MUSA AL-SAFFAR, 52, SAUDI-ARABIEN Wer randaliert, fliegt raus! lIllustration: Hadinugroho Seine Glaubensgenossen halten den Kopf der saudischen Schiiten, Hasan al-Saffar, oft für zu zögerlich. Aber genau deshalb ist er wie geschaffen für seine Mission Der saudische Kleriker Hasan al-Saffar gehörte 2010 zu den einflussreichsten Muslimen der Welt. So sieht es zumindest das »Zentrum für muslimisch-christliche Verständigung« der Universität von Georgetown in den USA. Die Urheber der Studie führen gute Gründe an für ihre Einschätzung. Immerhin handelt es sich bei Saffar um die politische Führungsfigur der saudiarabischen Schiiten, die im weltweit ölreichsten Landstrich – der Ostprovinz – etwa die Hälfte der Bevölkerung stellen. Auch die starke Medienpräsenz spricht für die Bedeutung des 52-Jährigen. Ob auf der eigenen Website oder in seiner wöchentlichen Kolumne in einer saudischen Tageszeitung: Saffars Plädoyers für Reformen sowie für inter- und intrareligiöse Toleranz erreichen eine große Öffentlichkeit. Selbst bei den von König Abdullah initiierten nationalen Dialogforen ist der geistliche Politiker zumeist als einziger Schiit vertreten. Von der saudischen Amerikaner eigentlich keine Musterbewerbung, dennoch schaffte es Maliki, die Regierung Bush von sich zu überzeugen. Die Vorwürfe seiner Gegner sind vielfältig: Für Sadr, dessen Miliz er 2008 den Garaus machte, ist er eine Marionette der USA, für Washington, die Saudis und alAllawi ein Strohmann Irans und für einige Kurden ein neuer Saddam. Maliki scheint das nicht viel auszumachen. Besonders beliebt war er nie, gefürchtet wie Saddam allerdings auch nicht. Maliki hat seinen Weg gefunden: nicht besonchat ders schön, aber erfolgreich. Regierung wird Saffar deshalb gerne als gut integrierter Vorzeige-Schiit präsentiert. Ein Blick auf die Beteiligung der Minderheit an Macht und Geld fällt nüchtern aus: schiitische Minister oder Öl-Tycoons – Fehlanzeige. Außerdem werden Saffar und seine Glaubensgenossen im streng-religiösen Königreich von manchen Geistlichen der staatstragenden wahhabitisch-islamischen Strömung als Ungläubige verunglimpft. Trotzdem sucht Saffar Kontakt zu moderaten Wahhabiten. Durch sein versöhnliches Verhalten ist es ihm zumindest gelungen, Ressentiments zwischen Sunniten und Schiiten abzubauen. So gelingt es ihm die Minderheit aus ihrer Isolation zu befreien. Gleichzeitig fordert Saffar öffentlich die Trennung von Staat und Religion als Vorbedingung für eine Demokratisierung des Königreichs – ein gewagter Schritt angesichts der jahrhundertelangen Zweckehe zwischen dem Herrscherhaus der Al Saud und dem Wahhabitenklerus. Dies wäre noch vor wenigen Jahren undenkbar gewesen. Aus der persona non grata – bis in die 1980er Jahre hatte al-Saffar die systemfeindliche »Organisation der Islamischen Revolution für die Befreiung Arabiens« angeführt – ist ein kalkulierender Pragmatiker geworden. Hierin liegt Saffars Stärke: Soweit zu gehen, wie es im autoritären System der Al Saud möglich ist. Keinen dink Schritt weiter. NEUER FEMINISMUS JOUMANA HADDAD, 40, LIBANON »Eine Frau tanzt bis nachts um vier und denkt, sie sei emanzipiert!« Die libanesische Journalistin Joumana Haddad gibt das erste erotische Magazin in arabischer Sprache heraus und kämpft für ein Frauenleben ohne Kompromisse Foto: Michel Sayegh Interview: Silke Brandt zenith: Der Titel Ihres aktuellen Buchs lautet auf Deutsch »Ich tötete Scheherazade«. Wie ist dieser Titel zu verstehen? Joumana Haddad: Scheherezade ist zum Inbegriff der Frau geworden, die Kompromisse macht, die ihr Schicksal verhandelt. Um am Leben zu bleiben muss sie dem König jeden Abend eine Geschichte erzählen. Aber keine Frau sollte irgendwelche Kompromisse oder Zugeständnisse machen, was ihr Leben betrifft. Deshalb musste ich Scheherazade töten. Sie waren gerade in Berlin, um ihr neues Buch vorzustellen. Was ist der Unterschied zwischen der deutschen und der arabischen Frau? Also zunächst glaube ich nicht, dass es »die deutsche Frau« und »die arabische Frau« gibt. Es gibt so viel Vielfalt und jede Frau ist einzigartig. Keine Verallgemeinerung könnte da treffend sein. Aber wenn Sie mich mit einer deutschen Frau vergleichen, gibt es schon Dinge die uns unterscheiden. Ich bin in einer sehr konservativen katholischen Familie aufgewachsen und in einer sehr einschränkenden Gesellschaft, die Frauen diskriminiert. Ich bin außerdem im Krieg groß geworden. All das unterscheidet mich von einer deutschen Frau. Trotzdem haben wir viele Dinge gemeinsam, wenn wir zum Beispiel Berlin und Beirut vergleichen. Berlin war in Ost und West geteilt und auch in Beirut hat es die Teilung in den westlich muslimischen und in den östlich christlichen Teil gegeben. Aber Berlin hat diese Trennung überwunden und ist nun ein Ganzes. Das haben wir in Beirut noch nicht geschafft, es gibt immer noch das Ost-Beirut und das West-Beirut in den Köpfen. Hier schwelen immer noch Konflikte unter der Oberfläche. Ihnen wird häufig vorgeworfen, in Ihrer Heimat als Christin viel mehr Freiheiten zu >> Joumana Haddad wurde 1970 in Beirut geboren. Sie ist Journalistin, Dichterin und Feuilleton-Redakteurin bei der Tageszeitung An-Nahar. Seit 2008 gibt Haddad Jasad heraus, das erste erotische Magazin in arabischer Sprache. Wegen der provokanten Texte und Bilder rund um das Thema »Körper« darf das Magazin in der arabischen Welt nur im Libanon verkauft werden. Haddad hat zwei Söhne aus erster Ehe. Sie ist in zweiter Ehe verheiratet. Ihr Mann und sie verzichten aber bewusst auf eine gemeinsame Wohnung. zenith 5/2010 61 NEUER FEMINISMUS genießen als muslimische Frauen. Gibt es denn einen Unterschied zwischen arabischen christlichen und muslimischen Frauen? Nein, eigentlich nicht. Natürlich gibt es die optischen Merkmale, dass muslimische Frauen das Kopftuch tragen zum Beispiel. Aber im Grunde genommen wachsen wir alle in einer diskriminierenden patriarchalischen Gesellschaft auf. Hier im Libanon herrscht ein System, das keine Strukturen zum Schutz der Frauen kennt. Es gibt die Illusion von Freiheit. Die Frauen kleiden sich sexy und freizügig, gehen zur Universität, tanzen in den Clubs bis morgens um vier und fühlen sich sehr emanzipiert. Sie merken gar nicht, dass sie sich selbst zum Accessoire des Mannes machen. Unter allen monotheistischen Religionen ist das so, sei es das Christentum, der Islam oder das Judentum. Es gibt immer eine Einmischung des religiösen Systems in das Privatleben, das gewalttätig gegenüber den Frauen ist. Ein geschmackvolles Skandalblatt. Vor zwei Jahren gründete Joumana Haddad das Magazin »Jasad«. Es handelt laut Angaben des Verlags von »Literatur, Kunst und der Wissenschaft des Körpers«. Sie bezeichnen sich selbst häufig als Post-Feministin. Wie leben Sie diese Einstellung im Alltag? Das, wofür ich kämpfe, will ich nicht gegen die Männer durchsetzen, sondern auch für die Männer und mit Ihnen zusammen. Es sind nämlich nicht nur die Männer, die das patriarchalische System stützen, es sind häufig auch die Frauen selbst, die ihr eigenes Geschlecht zurückweisen. Ich denke, dass eine bessere Welt nur dann möglich ist, wenn wir die Männer nicht als ultimativen Feind betrachten. Post-Feministin zu sein, bedeutet für mich, für mein eigenes Schicksal verantwortlich zu sein und zu kämpfen. Wie haben Ihre Familie und Umwelt Ihre Persönlichkeit geprägt? Beides hatte einen sehr wichtigen Einfluss auf meine Entwicklung. Zunächst bin ich in einer sehr konservativen Familie aufgewachsen. Mein 62 zenith 5/2010 Männer sind nicht der ultimative Feind Vater war sehr religiös und streng. Außerdem war ich 14 Jahre lang auf einer katholischen, von Nonnen geführten Schule. All das hat in mir die Rebellion gegen all die Neins geweckt, gegen all die Einschränkungen und Verbote ohne überzeugende Begründung. Ich habe mich gegen alles aufgelehnt, was ich nicht sagen oder tun durfte. Ich habe in einer Atmosphäre gelebt, die sehr feindselig gegenüber meiner persönlichen Freiheit war. Aber Freiheit war für mich sehr wichtig. Außerdem bin ich in einer Stadt groß geworden, in der Bürgerkrieg herrschte. Dies hat mich zu einer Kämpferin und zu einer Überlebenden gemacht. Ich habe mich immer gegen all die Probleme und Hindernisse aufgelehnt. Welche Rolle hat die Literatur für Ihre Befreiung gespielt? In der Literatur habe ich immer einen Rückzugsort gefunden. Literatur war aber auch das erste Element meiner Emanzipation. Durch Bücher konnte ich der einengenden Umwelt und meiner schwierigen Kindheit entfliehen. Sie geben das Magazin Jasad heraus, das sich auch mit Erotik beschäftigt. Wie kam Ihnen die Idee zu diesem Magazin? Die Idee hatte ich vor etwa drei Jahren. Ich wollte ein ganz neues kulturelles Magazin, das sich mit einem alten, aber sehr wichtigen Thema beschäftigt – nämlich dem menschlichen Körper. Dieses Thema ist ja immer noch ein Tabu in der arabischen Gesellschaft, obwohl es sehr frühe Schriften gibt, die sich ganz ausführlich und sehr explizit damit befassen. Wie sind die Reaktionen auf das Magazin? Es gibt natürlich sehr viele, die das Magazin ver- teufeln. Die meiste Kritik kommt aus SaudiArabien. Es ist eigentlich überall in der arabischen Welt auf dem Index und darf nur im Libanon verkauft werden. Aber trotzdem gibt es jede Menge Abonnenten aus vielen arabischen Ländern. Ich würde sagen Ablehnung und Zuspruch stehen in einem gesunden Verhältnis zueinander. Wie erklären Sie sich den Widerspruch, dass Ihr Magazin von Teilen der libanesischen Gesellschaft verurteilt wird, aber gerade im Libanon die Sängerinnen und Schauspielerinnen beliebt sind, die sehr freizügig in der Öffentlichkeit auftreten? Ja, das ist furchtbar bei uns. Wenn Sie den Fernseher einschalten dreht sich alles, was Sie sehen, um Sexualität. Die Frauen zeigen sich halbnackt auf dem Bildschirm und die Menschen akzeptieren das. Aber diese Art von Sexualität ist eben nicht gefährlich, es ist ein oberflächlicher Tabubruch. Das, wovor die Menschen Angst haben, ist die Diskussion. Für die, die den Status quo aufrecht erhalten wollen, scheint die Diskussion um den Körper und die Sexualität in meinem Magazin viel gefährlicher. Aber sind diese jungen Frauen für Sie nicht Schwestern im Geiste, die sich von erdrückenden gesellschaftlichen Konventionen gelöst haben? Nein, diese Frauen sind etwas ganz anderes. Sie haben ein sehr unvollständiges Bild ihrer eigenen Weiblichkeit. Sie sehen alle wie Kopien voneinander aus, nichts geht ohne Schönheits-OPs. Als Frau brauchst du das Vertrauen in dich selbst, eine starke Frau zu sein. Das fehlt diesen Stars und Sternchen völlig. Was ist Ihr nächstes Projekt? Ich habe gerade einen Vertrag mit der deutschen Tageszeitung Die Welt abgeschlossen. Alle zwei Wochen werde ich meine eigene Kolumne haben und mich ganz unterschiedlichen Themen widmen. Ich freue mich schon sehr auf diese Zusammenarbeit. Wie ich Scheherazade tötete. Bekenntnisse einer zornigen arabischen Frau Joumana Haddad Hans Schiler Verlag, Berlin 2010, 130 Seiten, 18,00 Euro NACHRUFE Eine Ära geht zu Ende Gleich fünf berühmte Geisteswissenschaftler, die das Denken über den Orient und Europa geprägt haben, sind 2010 gestorben. Ihre Gedanken haben auch zenith beeinflusst. Ein Abschied GERNOT ROTTER, 14. MAI 1941 – 9. JUNI 2010 Er erlebte den Bürgerkrieg im Libanon und befreite die Orientalistik aus dem Elfenbeinturm lIllustration: Hadinugroho »Als Orientalist sollte man natürlich ein durchaus kritisches Orientbild haben, aber man sollte sich auch dem Gedanken verpflichtet fühlen, dass man Verständnis und Verständigung sucht«, sagte Gernot Rotter einmal im Gespräch mit zenith. Rotter war ein solcher Orientalist – ein Mann, der nicht nur die Sprachen, Kultu- ren und Geschichten des Vorderen Orients studiert hatte, sondern sich dabei von Leidenschaft und Abenteuerlust antreiben ließ. Sich selbst zu schonen war nicht Rotters Sache: Er trank gern Wein, rauchte viel und schrieb oft nächtelang. Vier Jahre leitete Rotter das Orient-Institut der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft in Beirut. »Wir alle bewunderten ihn damals«, berichtet ein Kollege aus der Beiruter Zeit, »er sprach besser Arabisch als die meisten von uns und hatte immer eine Gruppe Zuhörer um sich versammelt.« Für Orientalisten waren die Jahre im libanesischen Bürgerkrieg eine Art Ritterschlag. Rotter schloss sich nach seiner Rückkehr den Grünen und der Friedensbewegung an und saß einige Jahre im Landtag von Rheinland-Pfalz. Er wurde später Professor an der Universität Hamburg, stand aber weiterhin im Mittelpunkt der Beirut-Connection, zu der auch manche Journalisten zählten. Auch zenith gäbe es ohne Rotter nicht. Die Gründer des Magazins waren seine Studenten, sie lernten sich 1999 am »Institut für Kultur und Geschichte des Vorderen Orients« in Ham- burg kennen. Rotter zeigte in seinen Zeitungsartikeln, seinen TV- und Radio-Auftritten: Wissenschaftler müssen sich einmischen und sollten den öffentlichen Diskurs über den Islam oder den Nahen Osten nicht sich selbst und geltungsbedürftigen Publizisten überlassen. Er beschrieb diese Haltung einmal so: »Nicht jedem liegt’s, aber wenn man merkt: an diesem oder jenem Punkt habe ich etwas zu sagen, dann sollte man das auch tun.« Professor, Politiker, Poet Man mag ihn als Professor, Friedenspolitiker oder Publizisten in Erinnerung behalten – aber selbst vielen Kollegen mag entgangen sein, dass Rotter auch ein Dichter war. Er übertrug unter anderem Werke des persisch-arabischen Spottpoeten AlHamadhani ins Deutsche, und die von ihm verfasste Reimprosa ist ein eigenes Meisterwerk. Sie entstand zu einem Großteil während der nächtlichen, kriegsbedingten Ausgangssperren in Beirut. Gernot Rotter, der am 14. Mai 1941 im sudetischen Troppau geboren wurde, starb am dge >> 9. Juni 2010 im Alter von 69 Jahren. zenith 5/2010 63 lIllustration: Hadinugroho MOHAMMED ARKOUN, 1. FEBRUAR 1928 – 14. SEPTEMBER 2010 Er hinterfragte schonungslos die Begriffe, die wir uns vom »Islam«, dem »Westen« und ihrem wechselseitigen Verhältnis machen. Und zwar lange, bevor diese Art Kulturkritik in die Mode kam Mohammed Arkoun war wohl der erste arabischsprachige Wissenschaftler, der sich Gehör in Europas Medien verschaffte und als Fachmann Anerkennung fand – lange bevor die Islam-Experten begannen, die TV-Studios zu überrennen. Arkoun kam 1928 in einem kleinen Dorf in der algerischen Kabylei zur Welt. 1968 zum Doktor der Philosophie promoviert, lehrte er von 1972 bis 1992 an der Pariser Sorbonne. Konsequent setzte er das Erscheinen des politischen Islams in Bezug zur Moderne, der Postmoderne, später der Globalisierung. Das mag heute Mainstream sein – in den 1980er Jahren kümmerte sich noch kaum jemand darum. Jeden dieser Begriffe unterzog er seiner philosophischen Kritik, was aufgrund seiner hochgestochenen Wortwahl nicht im- mer einfach zu verstehen war. Arkoun suchte offenbar zeitlebens nach neuen begrifflichen Fundamenten für die Beschäftigung mit dem Islam und seiner Wahrnehmung im Westen. Den politischen Islam betrachtete er etwa als logische Begleiterscheinung des Kapitalismus. Arkoun griff aber auch die autoritären Strukturen der islamischen Welt an. Dass seine Heimat Algerien in den 1990er Jahren in den Krieg zwischen Armee und islamistischem Untergrund abglitt, wunderte ihn nicht: »Die Gewalt wird mit den Ideen genährt, die man unseren Kindern von klein auf vermittelt«, erklärte er damals. Arkouns Kritik war umfassend, doch er war kein Kulturpessimist. Sein kritischer Geist machte ihn im Gegenteil zu einem Versöhner. »Das, was da zusammenprallt, sind nicht die Kulturen, sondern grundlegend ignorante Systeme«, kommentierte Arkoun einst die Kulturkampf-Thesen Samuel Huntingtons. »Sprache macht uns zu ihrem Gefangenen, bis wir uns nicht mehr bewegen können.« Für Arkoun selbst galt das nicht. Nun ist seine Stimme für immer verstummt. Am 14. September 2010 verstarb Mohammed Arkoun im Alter von 82 Jahvr ren in Paris. NASR HAMID ABU ZAID, 10. JULI 1943 – 5. JULI 2010 Dass der Koran von Gott auf den Menschen herabgesandt worden sei, hat er nie öffentlich bestritten. Aber für Nasr Hamid Abu Zaid war die heilige Schrift der Muslime auch ein Stück menschlicher Literatur. »Der Text stammt von Gott, aber er steht in einem historischen Zusammenhang – und ist geprägt von der menschlichen Kultur und Gesellschaft seiner Entstehungszeit«, pflegte er zu sagen. Mit dieser Haltung versuchte Abu Zaid, das islamische Schriftgelehrtentum und Textforschung zu versöhnen – inspiriert von der kritischen Bibelexegese, die auch die moderne christliche Theologie prägte. 64 zenith 5/2010 Abu Zaid bezog sich dabei auch auf eine kritische Denkschule des 9. Jahrhunderts und deren Forderung, die Botschaft des Korans nicht über die Vernunft zu stellen und der Überlieferung mit etwas Skepsis zu begegnen. Diese Schule der so genannten Mutaziliten konnte sich nicht gegen die Macht der Traditionalisten durchsetzen – ebenso ging es Abu Zaid. 1995 wurde der Kairoer Professor des Abfalls vom Islam bezichtigt und verklagt. Als »überführter Nicht-Muslim« wurde er von seiner muslimischen Frau zwangsgeschieden. Beide verließen Ägypten und zogen in die Niederlande. Abu Zaid lehrte in den Universitätsstädten Leiden und Utrecht. Seine Ideen haben nicht nur die westliche Koranforschung beeinflusst, sondern auch muslimische Gelehrte, etwa in Südostasien und den Maghreb-Staaten. Abu Zaid reiste viel – in den vergangenen fünf Jahren auch wieder nach Ägypten, wo Regierungspolitiker sogar Bedauern zeigten, einen so berühmt gewordenen Denker davongejagt zu haben. 1943 wurde Abu Zaid im kleinen Dorf Tanta im Nildelta geboren. Am 5. Juli 2010, fünf Tage vor seinem 67. Geburtstag, starb er in einem Krankenhaus im Kairo. Ägyptischen Medien zufolge litt Abu Zaid an einer Hirnhautentzündung, die er sich während eines mehrwöchigen Lehraufenthalts dge in Indonesien zugezogen hatte. lIllustration: Hadinugroho Das Exil machte den Ägypter weltberühmt. Auch muslimische Denker folgen heute seinen Ideen – und zwar mehr als es öffentlich zugeben würden NACHRUFE Der berühmte israelische Soziologe galt als »Max Weber der Gegenwart«. Der Moderne traute er nicht über den Weg lIllustration: Hadinugroho Wenn ein Soziologe von Kollegen bewundernd als »Max Weber der Gegenwart« bezeichnet wird, kann das nur eines bedeuten: Seine Werke gehen die ganz großen Themen an. Der Israeli Shmuel Noah Eisenstadt nahm zeitlebens Anstoß an der »Moderne« und der herkömmlichen Vorstellung, sie sei ein Geschenk der westlichen Kultur an den Planeten. Eisenstadt, der 1940 an der Hebräischen Universität in Jerusalem studierte und später dort Professor für Soziologie wurde, analysierte die politischen Systeme großer Imperien: Byzanz, das spanische Weltreich, China oder Persien. Er blickte hinter die Legenden von Glanz und Untergang, Aufstieg und Verfall. Sein Ergebnis: Es gab viele »Modernen« und Erneuerungsprozesse – und sie laufen nicht, wie uns Histo- lIllustration: Hadinugroho SHMUEL EISENSTADT, 10. SEPTEMBER 1923 – 2. SEPTEMBER 2010 riker früher glauben ließen, nach dem gleichen Schema ab wie in Europa. Eisenstadt erkannte das Anfang der 1960er Jahre – der große Michel Foucault, Begründer der Diskursanalyse und Idol einer ganzen Generation von Soziologen, war da noch ein kleiner Professor in der französischen Provinz. Der in Warschau geborene Sohn polnischer Einwanderer erlebte die Gründung Israels und den Ersten Nahostkrieg 1948 als Soldat. Als Soziologe erforschte er auch die »Transformation der israelischen Gesellschaft« durch das Aufeinandertreffen verschiedener Immigrantengruppen. Das Werk mit diesem Titel erschien 1987 auf Deutsch. Eisenstadt mischte sich nicht in die Tagespolitik ein. Aber die religiöse Definition des Judentums, wie sie die orthodoxen Gruppen und Parteien in Israel verbreiten, lehnte er ab. Judentum, das war für ihn vor allem eine Zivilisation. »Bis zum Schluss beeindruckte er durch eine fast jugendliche Offenheit, die ihn auf den Jahrmärkten der akademischen Eitelkeiten herausragen ließ«, schrieb die Historikerin Birgit Schäbler in einem Nachruf auf Eisenstadt, der am 2. September 2010 mit fast 87 Jahren in Jedge rusalem starb. FRED HALLIDAY, 22. FEBRUAR 1946 – 26. APRIL 2010 Sein Gespür für politische Entwicklungen im Nahen Osten war verblüffend – seine Deutung des Imperialismus erzürnte zahlreiche Kollegen »Shocked and awed – erschrocken und verschüchtert«, so lautet der Titel des letzten Werkes von Fred Halliday, das in diesen Tage posthum erscheint. Er spielt auf einen populären Strategiebegriff der US-Armee an. Halliday beschreibt darin, wie sich die englische Sprache durch den Sicherheitsjargon des »Kriegs gegen den Terror« nach 2001 verändert hat. Für einen Professor der Internationalen Beziehungen ein äußerst originelles Werk – und Originalität war wohl der »rote Faden« in Hallidays Karriere. Rot auch deswegen, weil der Historiker nach seinem Studium an der Elite-Schmiede Oxford lieber die linksintellektuelle New Left Review herausgab und durch die Welt reiste, als in altehrwürdigen Bibliotheken zu versauern. Halliday, 1946 in Dublin geboren, hatte ein Gespür für zukünftige Hotspots im Vorderen Orient. Sein 1978 erschienenes Buch »Iran: Dicta- torship and Development« etwa deutete schon auf die revolutionären Entwicklungen hin, die aus westlicher Sicht ein Jahr später völlig überraschend kamen. Erst 1985 erhielt Halliday den Lehrstuhl für Internationale Beziehungen an der London School of Economics, den er bis 2008 innehatte. Der bekennende Sozialist irritierte mit seinen undogmatischen Urteilen aber auch linke Weggefährten und Studenten. So befürwortete Halliday manche militärische Interventionen in der Dritten Welt, sowjetische wie amerikanische. Dem Imperialismus sprach er gar »eine progressive Rolle für die Transformation der Welt« zu. Den Weltkongress der Nahoststudien im Sommer 2010 in Barcelona, wo er die letzten zwei Jahre verbracht hatte, erlebte der krebskranke Halliday nicht mehr. Mit 64 Jahren starb er am 26. chat April in der katalanischen Metropole. zenith 5/2010 65 EVERGREEN zenith MUAMMAR AL-GADDAFI, 68, LIBYEN Zeitschrift für den Orient Deutscher Levante Verlag GmbH Linienstraße 106, 10115 Berlin Telefon (030) 398 35 188 - 0 Fax (030) 398 35 188 - 5 [email protected] HERAUSGEBER Moritz Behrendt, Yasemin Ergin, Daniel Gerlach, Christian Meier, Veit Raßhofer, Jörg Schäffer, Reiner Sprenger Photo: Jesse B. Arwalt/US Navi IMPRESSUM Eine Familie der Superlative Gaddafis Libyen ist für zwei Dinge berühmt: für seinen Ölreichtum und seine Herrscherfamilie, auch bekannt als die vielleicht langlebigste Seifenoper der Welt VERANTWORTLICH FÜR DIESES HEFT Silke Brandt (V.i.S.d.P.) Von Kamila Klepacki CHEF VOM DIENST Marcus Mohr REDAKTION HAMBURG Postfach 13 03 86, 20103 Hamburg E-Mail: [email protected] Leitung: Hannes Alpen, Yasemin Ergin Bettina David, Wiebke Eden-Fleig, Sven Hirschler, Kamila Klepacki, Elisabeth Knoblauch, Matthias Naue, Veit Raßhofer, Miriam Shabafrouz, Özgür Uludag, Schafiqa Zakarwal BERLIN Moritz Behrendt, Silke Brandt, Robert Chatterjee, Christoph Dinkelaker, Daniel Gerlach, Nils Metzger, Christoph Sydow OXFORD Dörthe Engelcke KABUL Lisa Akbary KANDAHAR Felix Kühn STUTTGART Christian Meier AUTOREN Phillipp Dehne, Ulrike Gasser, Marina Khatibi, Christoph Reuter, Faris Sikander, Jannik Veenhuis, Fabian Wagener DANKESCHÖN Yasi ILLUSTRATOREN Lesprenger, Amatir, Hadinugroho BILDREDAKTION Marcel Mettelsiefen, Steffen Kugler GRAFIK Lesprenger DRUCK GCC GmbH & Co. KG, Calbe KONTAKT FÜR ANZEIGEN UND VERTRIEB [email protected] zenith ist IVW-geprüft, gedruckte Auflage: 10 000 Exemplare; zenith ist Bordmagazin bei Safi Airways GÜLTIGE ANZEIGENPREISLISTE Nr. 1 vom 1. Januar 2010 PERIODIZITÄT Quartal COPYRIGHT by zenith – Zeitschrift für den Orient Zitate nur mit Quellenangabe. Nachdruck nur mit Genehmigung der Redaktion. Namentlich gekennzeichnete Artikel geben die Meinung der Autoren wieder, nicht aber unbedingt die der Redaktion. Gegründet 1999/ISSN 1439 9660 Erhältlich unter www.zenithonline.de und im Zeitschriftenhandel. 66 zenith 5/2010 Ein hübsches französisches Bonmot besagt, dass ein Volk genau die Regierung bekommt, die es verdient. Demnach müssen die Libyer ganz schön unartig gewesen sein. Denn Libyen, ein ansonsten unscheinbarer Flecken Wüste, ist nicht nur für einen ansehnlichen Vorrat an Erdöl bekannt, sondern auch für den impertinentesten Herrscher unserer Zeit: Revolutionsführer und Oberst Muammar al-Gaddafi. Seit über 40 Jahren bestimmt der selbsternannte »Führer der arabischen Führer, König der Könige Afrikas und Imam aller Muslime« über das Schicksal seines Landes und ist damit länger an der Macht als jeder andere derzeitige König, Präsident oder Diktator. Legendär sind nicht nur Gaddafis prachtvolle Outfits, sein ungekünstelter Größenwahn und seine unzähligen Marotten, sondern auch die grenzenlose Liebe zu seiner Familie. Wir erinnern uns: Als die Genfer Polizei im Juli 2008 den Gaddafi-Sohn Hannibal und dessen Frau Aline vorübergehend festnahm – die beiden hatten zwei ihrer Bediensteten misshandelt – bekam die Schweiz, die sich sonst penibel aus jedem Streit heraushält, diese angebliche Anmaßung hundertfach vergolten. Diplomatische Narrenfreiheit Nach dem Motto »Trittst du mir auf die Zehen, brech’ ich dir die Beine« begann ein Rachfeldzug, wie ihn nur ein Gaddafi fertig bringt: Er verhängte ein umfassendes Wirtschaftsembargo, ließ zwei Schweizer Geschäftsleute, die das Pech hatten, sich zu dem Zeitpunkt auf libyschem Boden aufzuhalten, kurzerhand hops nehmen und reichte bei der Uno einen Antrag auf Zerschlagung des »mafiösen« Alpenlandes ein. Dies war allerdings nicht das erste Mal, dass Hannibal, Nummer fünf von insgesamt acht leiblichen Gaddafi-Kindern, sich von seiner brutalen Seite zeigte, und auch nicht das letzte. Mal schlug er ein paar römische Polizisten krankenhausreif, dann waren es wieder Journalisten. 2004 bretterte er mit 140 Sachen betrunken und gegen die Fahrtrichtung über die Champs-Elysées in Paris. 2009 sorgte er für diese festliche Überschrift: »Hannibal Gaddafi bricht seiner Frau an Weihnachten die Nase« (Bild). Die beständige Serie an Peinlichkeiten und fragwürdigen Entscheidungen des Gaddafi-Clans liest sich wie die Handlung einer Seifenoper. Schnell Autofahren und Fäuste schwingen kann auch Saif 28, ehemaliger Student an der TU München. Schwester Aischa, 34, setzte sich als damals frisch diplomierte Juristin gegen 1500 Casting-Bewerber durch und ergatterte einen der begehrten Plätze im Verteidigungsstab von Saddam Hussein. Al-Saadi, 37, der Superstar der libyschen Fußballnationalmannschaft, kaufte sich 2003 in die italienische Profiliga ein und saß fortan auf der Ersatzbank. Gedopt hat er trotzdem. Der Liebling der Klatschpresse ist jedoch immer noch Vater Gaddafi persönlich. International erfreut er sich längst diplomatischer Narrenfreiheit. Die neueste sinnträchtige Erkenntnis verdanken wir den aktuellen Enthüllungen von Wikileaks. Der »Bruder Führer«, wie ihn das libysche Volk liebevoll zu nennen hat, sei nämlich ausgesprochen ängstlich, weigere sich, offenes Gewässer zu überfliegen, und verreise nur in Begleitung einer gewissen dickbusigen Krankenschwester. Ein weiteres Teil in einem Puzzle, das am Ende gar kein Bild ergibt. Denn so gut die Welt auch über die Familie Gaddafi Bescheid zu wissen glaubt, eine Frage ist noch immer ungeklärt: Wer wird eigentlich Nachfolger des 68-jährigen Gaddafi? In dieser Hinsicht hält sich schon seit Jahren wacker ein Gerücht: Der zweitälteste Sohn Saif al-Islam wird hinter den Kulissen systematisch zum Nachfolger geformt, was er selbst freilich immer wieder dementiert. Immerhin gibt es über den Ingenieur und Architekten eigentlich nichts Empörendes zu berichten – außer vielleicht, dass er als Künstler viel weniger Talent besitzt, als er glaubt. Unklar ist aber nicht nur das »Wer«, sondern auch, was da theoretisch zu erben wäre. Denn ein offizielles Regierungsamt oder einen Titel besitzt das de facto Staatsoberhaupt Libyens nicht. Vielleicht ist der permanente Strom von Ausfällen und Albernheiten also auch eine gezielte PRKampagne, die die Welt schon einmal auf das vorbereiten soll, was irgendwann nach dem Ableben von Gaddafi senior in Libyen regiert: das Chaos. Sie sind Öl-Scheich und wollen die Branche wechseln? Im Nahen Osten und in Nordafrika wächst der Bedarf nach deutschem Know-How – ein Markt mit Chancen, aber auch vielen Risiken. Was steckt hinter den visionären Großprojekten Desertec und Masdar City? Wie lange kann der Nil Ägypten noch bewässern? Und werden die Öl-Scheichs bald Öko-Strom herstellen? Der zenith-BranchenReport 2010 Wasserwirtschaft und Umwelttechnik für den Nahen Osten und Nordafrika 132 Seiten, 19,80 Euro zzgl. Versandkosten Für Abonnenten der Zeitschrift zenith nur 9,80 Euro zzgl. Versandkosten Bestellung unter: [email protected] oder per Fax 030 39 835 188 - 5 ZÜRICH Eine Schweizerin? Nö. Gezeichnet vom eidgenössischen Ausnahmegestalter Hannes Wettstein, wurde Modell Zürich jedoch in Glashütte gebaut. Dieses Uhrmacher- Mekka im Osterzgebirge gilt als eine Art Superschweiz im Kleinformat: Die Berge sind hier niedriger, die Ansprüche an feine Uhren dafür ganz besonders hoch. Und nicht nur mit Modell Zürich, sondern mit allen Uhren ist NOMOS Glashütte nun auch direkt in Zürich vor Ort: in der Spiegelgasse 13, im Niederdorf. Weitere Uhren, weitere Infos, NOMOS-Fachhändler überall in Deutschland, in der Schweiz und in anderen Ecken der Erde finden Sie unter www.nomos-glashuette.com