Im Bann der Finanzkrise Der Fluch der niedrigen Zinsen

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Im Bann der Finanzkrise Der Fluch der niedrigen Zinsen
Jahresschlussausgabe
Sonnabend, 29. Dezember 2007
Börsen-Zeitung Nr. 249
25
Im Bann der Finanzkrise
Der Fluch der niedrigen Zinsen
Von der Gier nach hohen Renditen – Moderne Finanzinstrumente und die Verwässerung des Risikos – Gravierende Verhaltens- und Reaktionsänderungen
Von Stephan Lorz, Frankfurt
Börsen-Zeitung, 29.12.2007
Die globale Schönwetterphase der
vergangenen Jahre hatte in der Finanzbranche offenbar den Blick auf
den ökonomischen Klimawandel verstellt: Kaum Inflation, niedrige Zinsen und hohes Wachstum stimmten
die Marktteilnehmer so optimistisch,
dass sie wohl an den ewigen Aufschwung glaubten. Entsprechend zügig wurden denn auch die New-Economy-Krise abgehakt und die Terroranschläge des 11. September 2001
weggesteckt.
Goldgeränderte Bilanzen waren
an der Tagesordnung, die Boni erreichten immer wieder neue Rekordmarken, die beste aller Welten
schien erreicht – bis zum Sommer
dieses Jahres, da die Branche jäh aus
ihrem Wolkenkuckucksheim heruntergeholt wurde. Wertberichtigungen in Multimilliardenhöhe mussten
vorgenommen werden, Banken gerieten in Notlagen, Regierungen
schmiedeten Rettungspläne, die Notenbanken griffen in konzertierten
Aktionen massiv in den Geldmarkt
ein und versorgten die Akteure mit
reichlich Liquidität. Von einer tiefen
Finanzkrise ist die Rede, von Rezession, Stagflation, drohenden Bankenzusammenbrüchen – und den Vorboten einer Weltwirtschaftskrise. Was
war geschehen?
Das auslösende Moment scheint
leicht gefunden: Die niedrige allgemeine Teuerung und die damit einhergehend
ebenfalls
niedrigen
Marktzinsen haben die Sensibilität
für das Risiko genommen. Um trotz
der geringen Verzinsung hohe Renditen zu erhalten, drehten manche
Teilnehmer – wie sich jetzt zeigt –
ein zu großes Rad: Kredite wurden
zu leichtfertig vergeben, das damit
einhergehende Ausfallrisiko – kleingeredet und kleingerechnet – neu
verpackt und in das Meer der Weltfinanzen verklappt. Dessen Aufnahmefähigkeit schien anfangs schier grenzenlos. Doch dann kippte das Gewässer um und wurde zu einer stinkenden Kloake. Was in Anbetracht der
niedrigen Zinsen einst als sicheres Investment galt und wegen der Renditen hochgejazzt worden war, fällt
nun in sich zusammen. Immobilien
und Schuldnerpositionen verlieren
dramatisch an Wert und infizieren
das ganze Kredit- und Bankenwesen, in dem diese Finanzierungsformen eine Rolle spielen.
Sind Notenbanken schuld?
Hätte die Krise abgewendet werden können? Jan Hatzius, US-Chefvolkswirt
der
Investmentbank
Goldman Sachs, verteidigt die Reaktion der Notenbanken – vor allem
der US Federal Reserve – gegen den
Vorwurf, nach der New-EconomyKrise die Zinsen zu weit gesenkt und
den Markt mit Liquidität zu stark geflutet zu haben: „Es ist nichts Falsches, wenn Notenbanken in Krisen
wieder für ein stabiles makroökonomisches Umfeld sorgen.“ Und in der
Tat sind sich die Ökonomen weitgehend einig, dass ohne das beherzte
Eingreifen der Notenbanken die
Weltwirtschaft wohl abgestürzt
wäre.
Unterschätzt worden ist allerdings
das Ausmaß der Verhaltensänderungen bei Konsumenten, Investoren
und der Finanzindustrie. Die in letzter Zeit beobachteten Übertreibungen haben schließlich ein irrationales Ausmaß angenommen, wie es
nicht allein durch die makroökonomischen Anreizstrukturen herbeigeführt worden sein kann. Zu den rekordverdächtigen Niedrigzinsen kamen denn auch noch andere eher
mikroökonomische Mechanismen
hinzu, welche letztlich den Keim für
die heutige Krise gelegt haben.
Negative Realzinsen
Doch der Reihe nach: Tatsache ist,
dass der reale Zinssatz für Tagesgelder in den USA von Oktober 2002
bis April 2005 ganze 31 Monate lang
sogar negativ gewesen war. Das
jüngste andere Beispiel hierfür, betont der US-Ökonom Robert J. Shiller, sei der 37-monatige Zeitraum
von September 1974 bis September
1977 gewesen. Diesem folgte allerdings die schlimmste Inflation, die
die USA im vergangenen Jahrhundert erlebte. Wiederholt sich die Geschichte?
Niedrige Zinsen sind zunächst ein
Angebot an Konsumenten und Investoren, sich wieder stärker zu verschulden, weil sie davon ausgehen
können, die Zinskosten „am Markt“
schon erwirtschaften zu können.
Das billige Geld wirkt also wie ein
Schmiermittel für die Wirtschaft.
Die Konjunktur fasste Anfang des
Jahrtausends auch wieder Tritt, und
Ersparnisse wurden zunehmend für
den Konsum verwendet. Und auch
die von der New-Economy-Krise gebeutelten Anleger reagierten zunächst durchaus logisch, als sie ihr
Geld in Immobilien investierten.
Denn am Aktienmarkt hatten sie
sich ja die Finger verbrannt. Der geballte Drang in „Betongold“ führte allerdings zu starken Immobilienpreissteigerungen, eine neue Vermögensillusion machte sich breit, was
schließlich zu weiterem Konsum verführte.
Die Finanzbranche witterte das
große Geschäft, zumal auch sie unter immensem Renditedruck stand,
der sich bei den niedrigen Marktzinsen nicht so einfach erfüllen ließ.
25 % Rendite auf das Eigenkapital
strebt erklärtermaßen etwa die Deutsche Bank an. Ein Wert, wie er noch
vor einigen Jahren als unvorstellbar
galt und in weiten Teilen der Öffentlichkeit auch als „unmoralisch“ bezeichnet wird. Andere Finanzinstitute haben ähnlich hohe Renditeerwartungen. Um die Zielvorgaben
zu erfüllen, sind natürlich fantasievolle Gestaltungen gefragt.
Subprime-Schuldner geboren
Hier helfen die modernen Finanzinstrumente weiter. Mit ihnen lässt
sich das Risiko weiterreichen und
gleichzeitig eine hohe Gebühr einstreichen: Hypotheken werden tranchiert, umgepackt, neu konfektioniert und als Anleihen (Mortgage
Backed Securities) weiterverkauft
an Anleger, die Renditen über der
üblichen Marktverzinsung verlangen. Dieser Risikotransfer ermöglichte den Hypothekenfinanzierern,
noch höhere Risiken einzugehen
und auch jene Verbraucher für eine
Immobilienfinanzierung zu ködern,
die finanziell eher schwach aufgestellt waren. Tilgungsfreie Zeiten
fungierten als Leimrute. Der ZweiteKlasse-Schuldner war geboren, die
Subprime-Hypothek.
Mit der sogenannten Verbriefung
diffundierte das Immobilienrisiko
aus dem Hypothekenmarkt in andere Bereiche der Finanzwelt. Käufer waren neben Banken und Fonds
auch Pensionskassen. Das Problem:
Die hinter den Anleihen stehenden
Kredite sind langfristiger Natur, die
verbrieften Forderungen aber werden in der Regel kurzfristig verkauft.
Die Anleger sitzen, so der Sachverständigenrat zur Begutachtung der
gesamtwirtschaftlichen Entwicklung
(„Fünf Weise“), damit in einer „Rationalitätenfalle“: Jeder einzelne
Marktteilnehmer könne relativ problemlos einen verbrieften Titel veräußern. Sobald das aber alle versuchen, wird deutlich, dass die zugrunde liegenden Forderungen eine
sehr lange Restlaufzeit aufweisen
und objektiv wenig liquide sind.
Größere Spielräume
Dabei ist gegen die Verbriefung
von Schulden zunächst gar nichts
einzuwenden. Sie hat aber dazu geführt, dass das globale Kreditschöpfungspotenzial in den letzten Jahren
erheblich ausgeweitet wurde, nicht
zuletzt deshalb, weil keine Begrenzung durch Eigenkapitalvorschriften
vorhanden war und die größere Risikodiversifikation die Spielräume für
Gläubiger und Schuldner erhöhte.
Zusammen mit den niedrigen Zinsen
und dem Drang nach hoher Rendite
aber wurde daraus eine gefährliche
Melange. Denn wo die Risiken aus
der überschwänglichen Kreditvergabe schlummerten, wusste letztlich
niemand mehr – auch die Notenbanken nicht. Das Rad drehte sich weiter.
Eine weitere Zutat kam hinzu: der
Leverage-Effekt. Dank niedriger Zinsen war Fremdkapital billig zu haben, um es als Hebel für riskante Geschäfte zu nutzen. Auf diese Weise
konnte mit geringem eigenem Kapitaleinsatz ein noch größeres Rad gedreht werden. Das ging gut, solange
der Markt nur eine Richtung kannte:
nach oben. Und im anderen Fall? Da
vertrauten die Investoren, so argwöhnt die Schweizer Privatbank
Wegelin & Co., auf eine „implizite
Staatsgarantie“. Angesichts der verheerenden Auswirkungen einer Finanzkrise würden die Notenbanken
im Notfall schon genügend Liquidität bereitstellen. Eine solche Haltung aber ist fatal. Denn der verhinderte Kollaps eines oder mehrerer
Systemteilnehmer setzt das Verursacherprinzip außer Kraft und lädt
zum Ausreizen von Spielräumen ein.
Die Federn für die große Krise sind
also überall im Markt gespannt.
Marktbasierte Wirtschaft
Die ganze Entwicklung fand statt
vor dem Hintergrund eines Wandels
von bankbasierten zu marktbasierten Volkswirtschaften: Kapitalmarktbasierte Finanzierungsinstrumente
und institutionelle Investoren gewinnen weltweit an Bedeutung. Die verstärkte Präsenz von Hedgefonds und
Private-Equity-Unternehmen ist ein
Kennzeichen hierfür. In marktbasierten Volkswirtschaften sind die Risiken von Gläubiger-Schuldner-Beziehungen nicht mehr im Bankensystem konzentriert, sondern werden
breit über die Märkte gestreut. Die
Verluste in einer Krise fallen deshalb
eher über eine Marktkorrektur an
und werden von einer Vielzahl von
Gläubigern getragen. „Unter dem
zentralen Aspekt der Systemstabilität“, so die Wirtschaftsweisen etwas
ratlos, „wäre eigentlich zu erwarten,
dass das marktbasierte System überlegen ist, da es ihm an der Konzentration von Risiken auf die Institution
Bank fehlt, die früher in der Regel
für das Auftreten von Finanzkrisen
verantwortlich war.“ Es wäre deshalb nicht zu erwarten gewesen,
dass die in den letzten Jahren zu beobachtenden Entwicklungprozesse
eine besonders große systemische Instabilität herbeiführten, wie jetzt beobachtet. Ratlosigkeit also auch
hier. Das extreme Verhalten der Finanzmarktakteure in einem langan-
haltenden Niedrigstzinsumfeld hatte
alle überrascht.
Was aber hat eigentlich bewirkt,
dass Zinsen und Teuerung sich auf
dermaßen niedrige Niveaus eingependelt haben, wodurch solch gravierende Verhaltens- und Reaktionsveränderungen erst in Gang gesetzt
werden konnten? Zwar hatten die
Notenbanken mit ihren niedrigen
Zinsen zunächst eine wohl überreichliche Geldversorgung herbeigeführt,
dass die Konsumentenpreise aber
dann auch in der Folgezeit so stabil
blieben, dafür war eine andere Kraft
zuständig: die Globalisierung.
Die vernetzte Welt, der immer stärkere globale Wettbewerb und die liberale Handelsgesetzgebung haben
der Güterwirtschaft die Macht genommen, höhere Preise durchzusetzen. Zum einen hat das die Konsumentenpreise niedrig gehalten. Zum
anderen aber waren in der verarbeitenden Industrie keine hohen Renditen mehr zu verdienen, weshalb die
nach der New-Economy-Krise zur
Verfügung gestellte Liquidität geballt in lukrativere Anlagen wie Immobilien und Finanzinstrumente geflossen ist. Wegen der dann in Gang
gesetzten Übertreibungen, gedeckt
durch moderne Finanzinstrumente
und befördert durch den Wandel hin
zu marktbasierten Volkswirtschaften, nahm die Krise ihren Lauf.
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Jahresschlussausgabe
Köpfe des Jahres
Trendbrecher
ständigkeit geteilt. Damit wurde
zum Teil sichergestellt, dass kein
starker Mann sich neben dem Präsidenten profilieren kann. Undisziplinierte Direktoriumsmitglieder hat
er öffentlich zurechtgestutzt, den
Zinserhöhungszyklus im November 2005 auf einem Bankenkongress eigenmächtig angekündigt.
Auch in den wiederkehrenden Aus-
Foto: EZB Martin Joppen
js – Der Trend in der Geldpolitik
geht ganz klar in eine Richtung: Immer mehr Zentralbanken besetzen
ihre Führungspositionen mit Topökonomen aus der Wissenschaft.
Ben Bernanke, der Vorsitzende des
geldpolitischen Rats, war in der
akademischen Welt einer der renommiertesten Experten, bevor er
sich vollends der Praxis verschrieb.
Lars Svensson, Ökonomie-Professor an der Princeton-Universität,
stieß 2007 zur Führungsmannschaft der schwedischen Riksbank;
und Athanasios Orphanides, ebenfalls ein hoch angesehener Wissenschaftler in monetären Fragen,
übernahm die Führung der Zentralbank Zyperns.
Der Sachverstand von Akademikern ist offensichtlich begehrt in
Notenbankkreisen. Dass es auch anders geht, zeigt die Erfolgsgeschichte der Europäischen Zentralbank (EZB) unter Führung ihres
zweiten Präsidenten Jean-Claude
Trichet. Denn Trichet hat sich speziell im alten Jahr als exzellenter
Krisenmanager bewährt – ohne
hochdekorierter Ökonom zu sein.
Während der Geldmarktverspannungen, die im Sommer durch das
US-amerikanische Subprime-Debakel ausgelöst wurden, hat die Führung der EZB aus heutiger Sicht die
beste Figur abgegeben. Sie hat konsequent die Trennung zwischen
Funktionssicherung des Interbankenmarktes und der geldpolitischen Linie aufrechterhalten.
Trichet hat im Verlauf seiner Präsidentschaft die EZB immer mehr
auf die eigene Person zugeschnitten. Nach dem Ausscheiden des geachteten Chefvolkswirts Otmar Issing im Mai 2006 wurde dessen Zu-
Jean-Claude Trichet
einandersetzungen mit Luxemburgs Premier, Jean-Claude Juncker, sowie später mit dem französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy
stellte Trichet unmissverständlich
klar, wer die europäische Geldpolitik lenkt.
Sein Machtinstinkt und seine
Durchsetzungskraft haben der Institution bislang nicht geschadet. Im
Gegenteil: Gegen den Trend der zunehmenden Akademisierung der
angewandten Geldpolitik hat Trichet der Notenbank der Gemeinschaftswährung erhebliche internationale Anerkennung beschert.
(Börsen-Zeitung, 29.12.2007)
Sonnabend, 29. Dezember 2007
Der Doomsday muss warten
Notenbanken können spekulative Übertreibungen nicht verhindern – Hohe Erfolgsaussichten im Krisenfall
Von Jürgen Schaaf, Frankfurt
Börsen-Zeitung, 29.12.2007
Mit jeder neuen Finanzkrise wird die
Kritik an den Notenbanken bekräftigt, diese blähten mit ihrer Politik
des billigen Geldes eine Spekulationsblase nach der anderen auf, und
wenn diese dann platzten, reagierten sie mit noch mehr Liquidität. Der
Konnex zwischen laxer Geldpolitik
und Finanzkrisen wird vor allem
dem früheren Chef der Federal Reserve (Fed), Alan Greenspan, zugeschrieben. Kritiker prangerten ihn
daher als „Serial Bubble Blower“ an.
Dass die Weltwirtschaft bislang trotz
einer ganzen Reihe von Spekulationsblasen noch nicht zusammengebrochen sei, sage dabei nicht viel
aus. Vielmehr sei davon auszugehen, dass die Spannungen sich mit jeder weiteren Krise, auf die mit Zinssenkungen reagiert werde, langfristig noch verstärkten, so dass der finale Zusammenbruch des gesamten
Finanzsystems noch dramatischer
ausfallen werde.
Ponzi-Spieler am Werk
Auch die Analyse der Krise am
Markt für zweitklassige Hypothekenkredite in den USA kommt nicht umhin, sich mit den Zentralbanken zu
befassen. Im Kern reduziert sich die
Frage der Verantwortung der Notenbanken für die Subprime-Krise auf
zwei Punkte: Hätten die Zentralbanken das Debakel verhindern können? Sollten sie auf die realwirtschaftlichen Bedrohungen mit Zinssenkungen reagieren?
Zur Beantwortung der ersten
Frage hilft das Nachschlagen in der
ökonomischen Literatur. Der USÖkonom Hyman Philip Minsky
(1919 – 1996) entwickelte eine Theorie der Finanzkrise, die vereinfacht
besagt, dass in länger andauernden
Aufschwungphasen Anleger immer
risikofreudiger werden. Um höhere
Renditen zu erzielen, werden sie wagemutiger, ohne sich ausreichend abzusichern. Der Erfolg zieht zudem
Schuldner mit zunehmend schlechter Bonität an, die im schlimmsten
Fall auf die Wertsteigerungen ihrer
Investitionen angewiesen sind, um
ihren Schuldendienst leisten zu können (sogenannte Ponzi-Spieler).
Daraus entsteht eine spekulative
Blase. Diese platzt, wenn die Wertsteigerungen der spekulativen Anlage nicht mehr ausreichen, um
auch nur die Zinsen der Kredite der
Ponzi-Spieler zu begleichen. Je nach
Zahl der Ponzi-Spieler und dem Ausmaß ihrer Verschuldung bei den Banken kann dieser „Minsky-Meltdown“
dann eine Finanzkrise auslösen.
Dass Minskys Theorie im Sommer
2007 ein Comeback erlebt hat, überrascht wenig, denn selbst mit wenig
Fantasie lässt sich der amerikanische
Arbeitslose ohne Vermögen, der sich
während des Immobilienbooms eine
Niedrigzinshypothek zum Hauskauf
andrehen lässt, in die Kategorie des
Ponzi-Spielers pressen.
Minskys Botschaft ist dabei nicht
nur, dass Finanzkrisen dieser Art
zwangsläufig auftreten, sondern sogar notwendig sind, um Finanzinnovationen – wie Verbriefungen von
Krediten – durchzusetzen. Es besteht
heute kaum ein Zweifel daran, dass
die Verbriefung von Krediten die Stabilität des Finanzsystems prinzipiell
stärkt. Trotz New Economy Bubble
wird niemand ernsthaft den Fortschritt bestreiten, der auf der zunehmenden Verbreitung von vernetzten
Computern basiert.
Die Zentralbanken können gegen
die Verwerfungen wenig tun. Die
Diagnose von Spekulationsblasen ist
schon schwierig genug, ihr Anstechen angesichts der Wirkungsverzögerungen der Geldpolitik weder ratsam noch aussichtsreich. So haben
die Notenbanken zwar dezidiert auf
die fehlgeleitete Risikobewertung
von Risiken in bestimmten Segmenten und Regionen hingewiesen. Höhere Kurzfristzinsen – die einzige
Waffe, die den Notenbanken zur Verfügung steht – hätten am Immobilienmarkt aber die Ponzi-Spieler genauso wenig beeindruckt wie seinerzeit die an der Nasdaq.
Wenn die Krise dann eintritt, können die Währungshüter dagegen
sehr wohl erfolgreich einschreiten.
Um der Gefahr einer Krise der
Gesamtwirtschaft entgegenzutreten,
sind Zinssenkungen das probate Mittel. Nach einer Analyse des Internationalen Währungsfonds (IWF)
konnten realwirtschaftliche Konsequenzen von Finanzmarktkrisen in
drei von vier Fällen durch das beherzte Eingreifen der Notenbanken
vermieden werden. Das reale Wachstum des Bruttoinlandsprodukts
(BIP) beschleunigte sich sogar oft danach.
Die Zentralbanken sollten weiter
nur im Krisenfall helfen und sich ansonsten der Inflationsbekämpfung
widmen. Dann finden die Korrekturen von Übertreibungen dort statt,
wo sie hingehören: am Finanzmarkt.
Die Gesamtwirtschaft dagegen kann
wachsen, und der jüngste Tag, der
„Doomsday“, muss warten.
Liquidität: Von der
Schwemme zur Klemme
Unterschiedliche Konzepte stiften Verwirrung
Von Jürgen Schaaf, Frankfurt
Börsen-Zeitung, 29.12.2007
So schnell kann’s gehen. Noch im
Frühjahr wurde in akademischen Zirkeln aufs Heftigste die Liquiditätsschwemme diskutiert. Das anhaltend hohe Geldmengenwachstum
weltweit bereitete gleichermaßen
Kopfzerbrechen wie Sorgen, dass
die Zentralbanken, die die Wirtschaft anscheinend mit Liquidität
überschwemmten, irgendwann eine
Welle steigender Inflationsraten auslösen würden. Dann aber kam im
Sommer die US-Subprime-Krise auf.
Im Nachgang zu den Überinvestitionen in verbriefte strukturierte Produkte am amerikanischen Markt für
Hypothekenkredite zweitklassiger
Bonität wurde die fehlende Liquidität der Banken das alles dominierende Thema. Gestern Liquiditätsschwemme,
heute
Liquiditätsklemme. Wie passt das zusammen?
Dem Ganzen liegen unterschiedliche Konzepte der Liquidität zugrunde. Im Wesentlichen muss unterschieden werden zwischen der
monetären Liquidität und der Marktliquidität. Die monetäre Liquidität
umfasst im Kern die Geldmenge eines Währungsraums. Darunter fallen das Zentralbankgeld, sogenanntes High Powered Money, und die
weiteren Geldmengenaggregate, die
durch die Kreditvergabe der Banken
entstehen. Das für die Geldpolitik
der
Europäischen
Zentralbank
(EZB) wichtige breite Geldmengenaggregat M 3 umfasst etwa Bargeld,
Einlagen auf Girokonten, kurzfristige Geldmarktpapiere sowie Schuld-
verschreibungen mit einer Laufzeit
bis zu zwei Jahren. Recht grob umfasst die monetäre Liquidität das
Geld in einer Volkswirtschaft, das
für Konsumzwecke bereitsteht.
Nach Berechnungen der HypoVereinsbank lag die Expansionsrate der
weltweiten Geldmenge in den vergangenen zehn Jahren um 30 %
über dem Wachstum des globalen
Bruttoinlandsprodukts (BIP). Warum die Verbraucherpreise trotzdem
weitgehend stabil blieben, ist eines
der großen Rätsel, die Ökonomen zuletzt beschäftigt haben.
Davon zu trennen ist die Marktliquidität. Sie umschreibt, wie problemlos ein Anlageprodukt an den
Finanzmärkten gehandelt werden
kann. Auch die Marktliquidität ist in
den vergangenen Jahren deutlich gestiegen, weil über den verstärkten
Einsatz von Kredithebeln die Volumina von Verbriefungen und Finanzderivaten deutlich zugenommen haben. Während Zentralbankgeld aber
nur etwa 10 % des globalen BIP ausmacht, liegt das Volumen der Finanzderivate bei fast 1 000 %!
Zwar haben die niedrigen Zinsen
der vergangenen Dekade den Einsatz von Kredithebeln stimuliert. Es
kann aber dennoch zu einem Austrocknen der Marktliquidität kommen, wenn sich Anleger mit Blick
auf bestimmte Produkte nicht über
den Weg trauen. Genau das passiert
seit diesem Sommer.
Die immer noch anhaltende Liquiditätsklemme am den Finanzmärkten ist daher zum Teil sogar Resultat
der vorausgegangenen Liquiditätsschwemme.
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Sonnabend, 29. Dezember 2007
Börsen-Zeitung Nr. 249
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Brüssel stellt Ratingagenturen auf den Prüfstand
Intensive Durchleuchtung der Bonitätsprüfer – Aber kein Aktionismus – Auch Finanzmarktaufsicht im Blick – Engere Abstimmung soll Kontrollkonvergenz stärken
Von Christof Roche, Brüssel
Börsen-Zeitung, 29.12.2007
Die über zweitklassige Immobilienkredite in den USA ausgelöste Finanzkrise ist längst nicht ausgestanden. Nach wie vor besteht die Gefahr, dass Banken und Fonds in größerem Umfang Notverkäufe von
Wertpapieren vornehmen müssen,
um ihre Refinanzierung zu sichern.
Die Tragweite haben zuletzt die großen Notenbanken der Welt, darunter die Federal Reserve und die Europäische Zentralbank (EZB), unterstrichen. In einer konzertierten Aktion –
die größte seit dem 11. September
2001 – pumpten sie vor wenigen Wochen zusätzliche Milliarden in den
Geldmarkt, um die Liquidität über
den Jahresultimo zu sichern. Zu
groß ist die Sorge der Geldpolitiker,
dass die Finanzkrise nachhaltig auf
die Realwirtschaft überspringt.
Angesichts der Krise hält sich die
Politik aber überraschend zurück.
Die Haltung, bei den drei in Schieflage geratenen Banken – in Deutschland die IKB und die Sachsen LB und
in Großbritannien Northern Rock –
handele es sich um isolierte Einzelfälle, schützt bislang vor blindem Aktionismus.
Zu spät „on watch“ gesetzt?
Das heißt aber nicht Untätigkeit.
Die EU sieht sich vor allem Ratingagenturen und die Finanzaufsicht näher an. EU-Binnenmarktkommissar
Charlie McCreevy hat begonnen, die
Bonitätsprüfer mit Hilfe der nationalen Wertpapieraufsichtsbehörden intensiv zu durchleuchten. Die Agenturen – der Markt wird dominiert von
US-amerikanischen Agenturen wie
Standard & Poor’s, Moody’s und
Fitch – stehen in der Kritik, zu spät
auf die Probleme im US-Hypothekenmarkt hingewiesen zu haben. Zudem wirft der Ire den Agenturen einen Interessenskonflikt zwischen Beratung und Bewertung hochkomplexer Verbriefungsprodukte vor. Der
Konflikt sei, so ein Schreiben
McCreevys an die nationalen Aufseher, wegen des längst nicht ausgeschöpften Potenzials strukturierter
Produkte und deren Bedeutung für
künftige Einnahmen der Bonitätsprüfer deutlich stärker bei den strukturierten Finanzierungen als beim klassischen Firmenrating ausgeprägt.
McCreevy legt in der Untersuchung
daher besonderen Wert auf Einnahmenstrukturen und Vergütung der
Mitarbeiter.
Im Einklang mit SEC
Ebenso im Visier: Die personelle
Ausstattung der Agenturen. Zuletzt
war Kritik aufgekommen, Mitarbeiter in den Häusern verfügten nicht
über das nötige technische Knowhow, um mit den raschen Veränderungen der hochkomplexen Finanzinstrumente Schritt zu halten. Zudem vermutet die Kommission vergleichsweise hohe Wechselraten der
Ratingexperten – mit negativen Auswirkungen auf die Prüfungen.
McCreevy will daher wissen, mit welchem Personalaufwand und welcher
Qualifikation die steigende Zahl der
Verbriefungen bearbeitet wurden.
Außerdem fragt McCreevy mit
Blick auf die Methodik der Agenturen nach, ob die Prüfer Kunden auf
mögliche Unzulänglichkeiten ihrer
Bewertungsansätze für die hochkomplexen Finanzinstrumente hingewiesen haben. Im Visier hat der Ire zum
Beispiel fehlende historische Datensätze und Erfahrungen über strukturierte Finanzierungen. Darüber hinaus untersucht die Kommission,
wann die Prüfer Verbriefungsprodukte zum ersten Mal „on watch“ gesetzt haben, nachdem Verwerfungen
auf dem US-Markt zweitklassiger Hypothekendarlehen bereits im zweiten Halbjahr 2006 zu Tage traten.
Der Bericht der Kommission, der im
Übrigen in enger Zusammenarbeit
mit der US-Börsenaufsicht SEC erstellt wird, soll in wenigen Monaten
vorliegen.
Governance verbessern
Doch die EU-Behörde belässt es
nicht bei der Ursachenforschung.
McCreevy fordert die Ratingagenturen auf, verlorenes Vertrauen über
die Stärkung der eigenen Governance-Strukturen zurückzugewinnen. Nach seiner Auffassung sollten
sie Beratung und Bewertung intern
strikt abgrenzen und die Beurteilung
der strukturierten Produkte einer
hauseigenen zusätzlichen Aufsicht
unterstellen, die direkt beim Vorstand angesiedelt wird.
Einen anderen Weg schlägt Finanzminister Peer Steinbrück ein.
Um den Wettbewerb im RatingOligopol der drei großen US-Agenturen zu stärken, macht sich der SPDPolitiker für die Schaffung einer europäischen Ratingagentur stark (vgl.
BZ vom 8. Dezember).
Fahrplan für Aufsicht steht
Mit der Krise ist auch die Aufsicht
stärker in den EU-Fokus gerückt. Die
Finanzminister verständigten sich
vor Jahresschluss auf einen Fahrplan, um die Zusammenarbeit und
den Informationsaustausch der nationalen Aufsichtsbehörden in den
EU-Ausschüssen für Banken (CEBS),
für Versicherungen (CEIOPS) und
für Wertpapiermärkte (CESR) zu vertiefen. Bis Mitte nächsten Jahres sollen die Ausschüsse die Konvergenz
der Überwachung erhöhen, ohne
aber die Unverbindlichkeit nationaler Standards und Leitlinien anzutasten. Außerdem wollen die Minister
ihre Aufseher mit einem EuropaMandat ausstatten. In Deutschland
sollen die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) und
die Deutsche Bundesbank verpflichtet werden, innerhalb der EU zu kooperieren und beim Krisenmanagement die Finanzstabilität aller Mitgliedsstaaten im Auge zu behalten.
Das Vorgehen soll im April 2008
konkretisiert werden. Die Verzahnung ist Teil einer Aufsichtskonsolidierung, um die zunehmende – und
politisch gewollte – Integration des
Finanzbinnenmarktes meistern zu
können. In der vergangenen Dekade
hat Europa mehr als 40 Richtlinien
und Verordnungen auf den Weg gebracht, um den Finanzinstituten zur
Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit
das Geschäft über die Grenzen hinweg zu erleichtern. Die Folge: Immer mehr Banken orientieren sich in
Richtung Gemeinschaftsmarkt, um
die Konsolidierung zu beschleunigen und Synergien zu heben. Schon
heute verwalten knapp 50 Großinstitute mehr als die Hälfte aller BankAssets in Europa.
Angesichts des Trends zu größeren Bankeneinheiten überrascht es
nicht – und schon gar vor nicht dem
Hintergrund der Krisen –, dass mancher Regierung die Aufsichtsverzahnung zu langsam verläuft. Italiens Finanzminister Tommaso PadoaSchioppa preschte mit der Forderung vor, Europas Großbanken einheitliche Berichtspflichten aufzuerlegen und die Überwachung über den
europäischen
Bankenausschuss
CESB verbindlicher zu gestalten. Der
Vorschlag des früheren EZB-Ratsmitglieds: Die nationalen Aufseher sollen Entscheidungen von CEBS ohne
Abstriche Folge leisten, um ein Level
Playing Field zu schaffen. Und die
Aufseher sollen Mehrheitsentscheidungen treffen, um die Aufsichtskonvergenz zu beschleunigen.
Widerstand programmiert
Damit war Widerstand programmiert. Vor allem London will die Autorität der FSA und den Alleinanspruch der Aufsicht für die City nicht
gefährden. Bislang gilt im CEBS das
Konsensprinzip, womit die FSA über
ein Vetorecht verfügt. Padoa-Schiop-
pas Vorschlag ist allerdings nicht
vom Tisch, sondern bleibt auf Wiedervorlage für Beratungen im April.
Noch einen Schritt weiter wollen
die Geschäftsbanken in Europa gehen. Deutsche-Bank-Chef Josef
Ackermann forderte zuletzt, für jede
europäische Großbank einen Lead
Supervisor
einzusetzen.
Damit
bliebe die Bankenaufsicht in der
Struktur der Zusammenarbeit nationaler Kontrolleure verankert. Im Vergleich zu heute hätte der Lead Supervisor aber als Heimataufsicht auch
weitgehende Kontrollrechte über die
EU-Töchter einer Großbank. Für die
Banken würde dies erhebliche Effizienzen mit Streichung der Doppelbelastung aus Gruppen- und Soloaufsicht nach sich ziehen.
Das aber ist Zukunftsmusik. Im
Moment dreht sich alles um den Status quo. Und wenn es in Europa
nicht bei den bekannten Schieflagen
bleibt? Was, wenn eine Großbank,
die in zahlreichen EU-Staaten operativ ist, in Schwierigkeiten gerät? Das
Problem der aktuellen Krisenbewältigung ist die fehlende Verbindlich-
keit. Es gibt in Europa kein einheitliches Vorgehen in der Einlagensicherung, es fehlt an harmonisierten Vorschriften zu Insolvenzen und grenzüberschreitendem Asset-Transfer,
um im Notfall innerhalb einer Bankengruppe Liquidität mobilisieren
zu können.
Zu zaghaftes Vorgehen
Die Krise ist im Moment überschaubar, doch wie schnell sie im globalen Finanzgeschäft überschwappen und ganze Märkte austrocknen
kann, beweisen Subprime und die
Folgen an den Geldmärkten. Europa
hat sich den Finanzbinnenmarkt mit
500 Millionen Kunden auf die Fahne
geschrieben, und das ist richtig so.
Das aber muss mit effizienter Aufsicht, einem verbindlichen Sicherheitsnetz und funktionierenden Ratingagenturen geschehen. In die Diskussion in Europa ist jetzt Bewegung
gekommen. Die Gefahr ist, dass die
EU zu zaghaft vorgeht – und das ist
fahrlässig. Was fehlt, ist ein Gleichlauf von Markt, Aufsicht und Rating.
28 Börsen-Zeitung Nr. 249
Jahresschlussausgabe
Köpfe des Jahres
Prinzipienreiter
nh – „Hättest du geschwiegen,
wärst du Philosoph geblieben.“
Mervyn King wird diese Weisheit
öfters durch den Kopf gegangen
sein. Im September erlebte der
Gouverneur der Bank of England
die wohl dunkelsten Stunden seiner Laufbahn. Unmittelbar vor
dem Run auf die Hypothekenbank
Northern Rock hatte er noch einmal sein Nein bekräftigt: das Nein
zur Bereitschaft, Banken in der Kreditmarktkrise mit billiger Liquidität auf die Sprünge zu helfen. Um
sie zu risikogerechtem Verhalten
zu erziehen, statt Fehler zu belohnen, kämen entlastende Geldmarktinterventionen nicht in Frage.
Kings Argumente mögen einwandfrei gewesen sein, das Timing
war es nicht. Prompt brachte Northern Rock andere britische Banken ins Zielfernrohr der Märkte.
Und King war genötigt, die hehren
Prinzipien über Bord zu werfen. Danach hagelte es Kritik aus allen
Ecken. Einige schimpften ihn einen
Wendehals, der sich politischem
Druck beugt, andere einen Prinzipienreiter, der das Debakel mit einer konzilianteren Haltung im Vorfeld hätte entschärfen können.
Kings Ruf als brillanter Geldtheoretiker, der seine Modelle erfolgreich in die geldpolitische Praxis
umzusetzen wusste, ist nicht so
leicht anzukratzen. Allerdings wird
ein Zentralbanker nicht allein an
zinspolitischen Steuerungskünsten
gemessen, sondern auch am Umgang mit Krisensituationen – wenn
sie sich denn präsentieren.
Die Pflicht, nämlich den erst seit
1997 unabhängigen Geldhüter
zum Garanten stabiler monetärer
Bedingungen auf der Insel zu ma-
chen, wurde glänzend absolviert,
bei der Kür aber wurde gepatzt.
Was bedeutet dies für die Zukunft?
Kings erste fünfjährige Amtszeit
als Gouverneur (zuvor war er Chefökonom und stellvertretender Gouverneur) läuft im Sommer aus.
Über eine Verlängerung bestimmt
der Schatzkanzler. Zurzeit ist das
mit Alistair Darling ein ebenfalls
Mervyn King
von den Vorgängen bei Northern
Rock Gezeichneter. Ohne Kreditmarktkrise wäre die Mandatserneuerung selbstverständlich, jetzt
ist sie nur sehr wahrscheinlich.
In der gegenwärtigen Besetzung
des Monetary Policy Committee ist
kein würdiger Nachfolger zu erkennen, doch schreit der Fall Northern
Rock nach Sündenböcken. Zur Jahreswende 2009 wird man an den
Schalthebeln der fiskalischen und
monetären Macht kaum mehr das
Gespann Darling/King finden. Einen dürfte es erwischen. Hoffentlich ist es nicht King.
(Börsen-Zeitung, 29.12.2007)
Sonnabend, 29. Dezember 2007
Katalysatoren der Immobilienkrise
US-Verbraucher finanzierten ihren Konsumrausch auf Pump – Jetzt wird die Rechnung präsentiert
Von Peter de Thier, Washington
Börsen-Zeitung, 29.12.2007
Seit Jahren führen Ökonomen hitzige Debatten über die Ursachen der
Preisblase und der daraus resultierenden Krise am US-Häusermarkt.
Ein Faktor wird in der öffentlichen
Diskussion häufig nur beiläufig erwähnt: das spezifische Konsumverhalten des amerikanischen Verbrauchers. Seine Privatausgaben machen
immerhin zwei Drittel des Bruttoinlandsprodukts (BIP) aus, ein deutlich größerer Anteil an der Wirtschaftsleistung als in jeder anderen
Industrienation. Die unermüdliche
Suche nach neuen Quellen zur Finanzierung des Konsums leistete denn
auch einen maßgeblichen Beitrag
zur Immobilienkrise – und könnte
nun dazu führen, dass für die USKonjunktur die Landung umso härter ausfällt.
Nach Angaben des Bureau of Labor Statistics (BLS) stiegen die Verbraucherausgaben in den USA 2006
um 4,3 % und liegen damit weit über
der Preissteigerungsrate. Auch 2007
dürfte sich der Trend fortgesetzt haben, wegen wachsender Sorgen um
einen Konjunktureinbruch allerdings mit deutlich vermindertem
Tempo. Wie aus der jüngsten Statistik des Conference Board hervorgeht, purzelte der Index der Verbrauchererwartungen im November diesen Jahres gegenüber dem Vormonat um 8,7 % und im Verhältnis zum
Vergleichsmonat im Jahr davor sogar um 17,1 %. Als Hauptgründe für
den Einbruch werden die hohen Ölpreise sowie die Immobilienkrise angeführt, die Konsumenten davon abhalten, in demselben Maße wie in
den vergangenen Jahren sich die Taschen zu füllen.
Auch wenn der Konsumrausch angesichts des wachsenden Konjunkturpessimismus zumindest kurzfristig der nüchternen ökonomischen
Realität weicht, stellt sich dennoch
die Frage, wie die Verbraucherausgaben bei stagnierenden Realeinkommen und einer negativen Sparquote
überhaupt finanziert werden konnten.
Eine Erklärung führt den Hang
der Amerikaner zum Plastikgeld an.
Von den 174 Millionen US-Bürgern
besitzt durchschnittlich jeder neun
Kreditkarten. Nach Statistiken der
US-Notenbank ist das Volumen der
privaten Verbraucherschulden 2007
auf 2,5 Bill. Dollar angeschwollen,
von denen 37 % auf Kontokorrentkredite entfallen, überwiegend Produkte aus dem Hause Visa, Mastercard, American Express oder anderer Kreditkartenemittenten. Doch
wenn das Plastik fast bis ans Limit belastet ist, wie dies bei einer Mehrheit
der US-Verbraucher der Fall ist,
stellt sich die Frage: Wie wird der
fortgesetzte Konsum finanziert?
Zweit- und Dritthypotheken
Als bevorzugte Geldquelle wurde
bisher die eigene Immobilie angezapft. Zeitgleich mit dem Anstieg
der Häuserpreise und dem daraus resultierenden Vermögenseffekt boomte folglich neben dem Markt für Subprime-Kredite, der gleichzeitig als
Finanzierungsvehikel für konsumgierige Hauseigentümer dient, die
Home-Equity-Branche. Bei Subprime-Darlehen, bei denen die Kreditsumme bis zu 120 % des Preises
der Immobilie betragen kann, genießt der Kunde nach Vertragsunterzeichnung plötzlich einen verführerischen Geldsegen. Er hatte 20 % des
Hauspreises als Bares auf dem
Konto, das überwiegend in den Konsum floss. Auf demselben Prinzip beruhen die populären Home Equity
Lines of Credit (HELOCs), oft einfach „second mortgages“ genannt,
also Zweithypotheken. Bei den
Zweit- und in vielen Fällen auch
Drittkrediten werden zusätzlich zur
ursprünglichen Hypothek, über die
der Hauskauf finanziert wurde, bis
zu 80 % jenes Eigenkapitals an der
Immobilie beliehen, das entweder
durch bereits geleistete Tilgungszahlungen oder aber, wie im Zuge der
seinerzeitigen Preissteigerungen am
Häusermarkt, durch die entsprechenden Wertzuwächse frei wird. Bei den
Banken waren die HELOCs traditionell beliebt, weil die Zahl der Forderungsausfälle im Vergleich zu anderen Krediten außerordentlich niedrig gewesen waren. Und Verbraucher freuten sich über die Möglichkeit, an billiges Geld zu kommen, da
der Zinssatz meist nur knapp über
der Prime Rate für bevorzugte Kunden lag.
Wie aus dem Häuserbericht des
US Census Bureau, des statistischen
Bundesamts, hervorgeht, sind die populären Zweithypotheken untrennbar mit dem Konsumverhalten der
Privathaushalte verbunden. Demnach ist der bevorzugte Verwendungszweck für das freiwerdende
Geld die Schuldenkonsolidierung,
konkret: die Abzahlung von Kreditkartenschulden.
Damit schließt sich der Teufelskreis: Mit billigen Krediten zahlen
US-Verbraucher ihre teuren Visaund Mastercard-Schulden ab. Doch
zeitgleich werden auf dem Plastikgeld wieder Kreditsummen frei, die
in der Regel zu neuem Konsumrausch verlocken. Denn obwohl die
Notenbank und unabhängige Verbraucherorganisationen nach der Begleichung von Kreditkartenschulden
eindringlich dazu raten, das Plastikgeld buchstäblich zu zerschneiden
und die Konten zu schließen, folgt
nur jeder achte Amerikaner dieser
Empfehlung. Sie stürzen erneut in
die Schuldenfalle und verfallen wie
gehabt dem Konsumrausch. Innerhalb von weniger als einem Jahr waren bei mehr als der Hälfte der Kreditkartenbesitzer zwischen 80 und
90 % des verfügbaren Rahmens wieder aufgebraucht. Hauseigentümer
haben also einen oft erheblichen Teil
ihres Eigenkapitals in der Immobilie
effektiv vernichtet, gleichzeitig steckten sie wieder bis zum Hals in Schulden.
Privatverbrauch sackt durch
Verschärft hat sich die Lage während der vergangenen eineinhalb
Jahre, als die Stabilität des HELOCMarktes, wo Banken glaubten, einige ihrer sichersten Investitionen zu
tätigen, nun der Vergangenheit angehört. So stellt das auf den Immobilienmarkt spezialisierte Wirtschaftsforschungsinstitut SMR Research
fest, dass bereits im Juni 2006 mehr
als 10 % aller Zweithypotheken
„Kopf standen“. Im Branchenjargon
bedeutet das nichts anderes, als dass
die Hauseigentümer bereits mehr
Geld schuldeten, als ihre Immobilien
noch wert waren. Die neueste Statistik wird erst Anfang 2008 vorliegen.
Angesichts des fortgesetzten Preisverfalls gilt aber als sicher, dass die
Zahl weiter steigen wird. Kein gutes
Omen für die privaten Konsumausgaben in der amerikanischen Volkswirtschaft. Künftig wird man sich diesbezüglich wohl einschränken müssen.
Ungemütliche Zeiten für
die Bank von England
Umgang mit Preisblasen beginnt sich zu rächen
Von Norbert Hellmann, London
Börsen-Zeitung, 29.12.2007
Die Kreditmarktkrise stellt praktisch
für alle wichtigen Zentralbanken
eine große Belastungsprobe dar. Die
Bank von England scheint sich allerdings in einer besonders ungemütlichen Situation zu befinden. Anzeichen einer Stagflation, also nachlassendes Wachstum bei gleichzeitig
steigendem Preisdruck, bereiten
geldpolitisches
Kopfzerbrechen.
Und am Häusermarkt zeichnet sich
eine scharfe Korrektur ab.
Es wird schwierig, die reine Lehre
des von der Bank von England verwendeten „inflation targeting“, also
der geldpolitischen Steuerung anhand von rigiden Inflationspunktzielen, durchzuhalten. Letztere ist nämlich an Konsumpreisindizes aufgehängt, so dass auf Vermögenspreise
nur dann reagiert werden „darf“,
wenn diese auch entsprechend auf
den anvisierten Index durchschlagen. Mit fallenden Häuserpreisen
baut sich massiver Druck auf, die Zinsen zu senken, selbst wenn die Inflationsraten über der Zielmarke liegen.
Während die Kollegen bei der Federal Reserve explizit dazu angehalten sind, die Wirtschaft zu unterstützen, und damit auch radikale Zinsschritte
rechtfertigen
können,
schielt die Europäische Zentralbank
auch auf die Geldmenge und kann
deren Ausufern zum Anlass nehmen,
einen restriktiveren Kurs zu begründen. Zwar beobachtet auch die Bank
von England Geldmengenindikatoren, doch scheint sie von einem langen zweistelligen Anstieg solcher Aggregate nicht über Gebühr beunruhigt gewesen zu sein. Die Rechnung
wird nun allerdings präsentiert.
Konsumrausch allerorten
Sicher wies die britische Volkswirtschaft während des jüngsten Zinszyklus ein dynamisches Wachstum
bei relativ moderaten Inflationsraten auf. Doch es war ein eher ungleichgewichtiges Wachstum, das
bei Vernachlässigung der Sparrate
von den kreditseitig angeheizten
Konsumausgaben auf Touren gehalten wird. Dies fand seine Entsprechung in einer flauen Industriekonjunktur und einem boomenden
Dienstleistungssektor – vor allem bei
den Finanzdienstleistungen.
Zwei charakteristische Begleiterscheinungen der vermeintlich golde-
nen Jahre sind eine noch nie dagewesene Verschuldung der Privathaushalte und eine in dieser Form ebenfalls einzigartige lang anhaltende Immobilienhausse. Dabei haben sich
die scheinbar unaufhaltsam steigenden Häuserpreise als Basis erwiesen,
auf der die Banken nicht nur immer
neue Hypothekenkredite zu laxeren
Konditionen zu vergeben bereit waren. Mit der Rückendeckung sowieso steigender Vermögenspreise
wurden die Privaten regelrecht dazu
animiert, auch ihren Konsum weitgehend auf Kreditbasis abzuwickeln.
Bedenkt man, dass es genau diese
Faktoren waren, die die amerikanischen Hausbesitzer und mit ihnen
die Banken in die Krise trieben, ist es
nicht verwunderlich, dass nun die
Alarmglocken läuten. Wo soll man
die Schuldigen suchen? Die Bank
von England hat selber oft genug auf
die Gefahren britischer Ungleichgewichte hingewiesen.
In Greenspans Fahrwasser
Dennoch stellt sich die Frage, ob
die Zentralbank mit einer stärker antizyklischen Politik dem Aufbau der
Preisblasen hätte entgegenwirken
können. Dies läuft implizit auf die
Kritik hinaus, dass sich auch die
Bank von England zu sehr dem von
der Federal Reserve unter Alan
Greenspan vorgegebenen Rhythmus
ausladender Zinszyklen angepasst
hat. Akzeptiert man diese Kritik,
stellt sich nun erst recht die Frage,
ob der im Dezember neu eingeschlagene Kurs, die Zinsen wieder zurückzunehmen, der richtige ist.
Kreditmarktkrise und Häuserpreiskorrektur sind eine Hinterlassenschaft von Exzessen der Vergangenheit. Irgendwann wird die Rechnung für den Verschuldungswahn
präsentiert. Rasche Zinssenkungen,
wie sie nun verordnet werden, mögen die Anpassungsschmerzen lindern, schaffen das eigentliche Übel
jedoch nicht ab. Im Prinzip wird nur
der Boden für die Krisen von morgen
bereitet. Bei der Bank von England
scheint man zu bangen, dass Inflationsausreißer ihre von der Fed vorexerzierte akkommodierende Haltung konterkarieren. Vielleicht wäre
solch ein Zwiespalt aber heilsam.
Die
Kreditmarktkrise
erfordert
neues Nachdenken über die Wirksamkeit des geldpolitischen Instrumentariums gegenüber gefährlichen
Vermögenspreisschwankungen.
Jahresschlussausgabe
Börsen-Zeitung Nr. 249
Euro-Immobilienmärkte bleiben attraktiv
Liquidität fließt nach wie vor in Wohnungen und gewerbliche Objekte – Große Portfoliotransaktionen gibt es kaum noch
Von Thomas List, Frankfurt
Börsen-Zeitung, 29.12.2007
Das Wohnen in den eigenen vier
Wänden steht bei den Lebenszielen
der Menschen ganz oben. Dies gilt
auch für Deutschland. Trotzdem
ging hierzulande in den ersten neun
Monaten 2007 die Zahl der erteilten
Baugenehmigungen für Ein- und
Mehrfamilienhäuser nach Angaben
des Statistischen Bundesamtes um
ein knappes Drittel auf 136 000 Wohnungen zurück. Auch wenn dieses
Minus durch das Auslaufen der Eigenheimzulage und die Erhöhung
der Mehrwertsteuer besonders kräftig ausfällt – der rückläufige Trend
hält seit Jahren an.
Die Preise für Wohnimmobilien
dürften aufgrund des knappen Angebots weiter steigen. Die DZ Bank
rechnet für 2007 und 2008 mit rund
2 %, während der Immobilienverband Deutschland (IVD Süd) bei den
Mieten 2008 mit einem Plus von
10 % rechnet. Berücksichtigt man
die im internationalen Vergleich
Damit kommen auch die Weiterverkäufe, auf die die Anleger mit einem sehr kurzfristigen Anlagehorizont gesetzt haben, nicht mehr zustande. Es gilt also, die Portfolios zu
halten, denn zu Preisabstrichen, die
eine deutliche Renditeverschlechterung bedeuten würden, ist kaum ein
ausländischer Investor bereit. Die
Spaniens Immobilienmarkt vor harscher Korrektur
Börsen-Zeitung, 29.12.2007
Noch stehen in Spanien alle Zeichen
auf Stillhalten: Die Preisblase
scheint auch unter dem Eindruck
der US-Subprime-Krise noch nicht
bereit zu platzen. Die Folge: In dem
Segment wird immer schleppender
verkauft. In den ersten neun Monaten 2007 sank der Statistik der Katasterämter zufolge die Zahl der verkauften Eigenheime um 12 % auf
knapp 627 000 Objekte. Doch die
„gefühlte“ Lähmung auf dem Immobilienmarkt ist viel größer, als dieser
Rückgang um 12 % vermittelt.
Alle warten auf den großen Knall,
der sich in einem Preisrutsch von
etwa 35 % niederschlagen könnte.
Auf diese Größenordnung schätzen
sowohl die spanische Notenbank als
auch unabhängige Immobilienexperten die Überbewertung der Eigenheime. Erste Makler haben bei den
wenigen verkauften Immobilien bereits einen Preisrückgang von durchschnittlich 8,5 % beobachtet.
„Sanfte Landung“ erhofft
Die sozialistische Regierung von
Ministerpräsident José Luis Rodríguez Zapatero klammert sich nicht
zuletzt aus wahltaktischen Gründen
an ihre Version der „sanften Landung“. Sie versucht die Gemüter der
vielen hochverschuldeten Familien
mit einer Aussicht auf einen Preisanstieg für 2007 zwischen 4 und 5 % –
die Inflation schnellte im November
auf 4,1 % – zu beruhigen. Doch hinter den politischen Kulissen werden
dem Vernehmen nach erste Pläne
für Hilfsfonds geschmiedet, falls mit
dem Boomende und der zu erwartenden rapide steigenden Arbeitslosig-
keit im Baugewerbe auch die bislang
bei 0,8 % liegende Kreditausfallquote in die Höhe schnellt.
Liquiditätsprobleme der Familien
könnten die bereits existente Angebotsschwemme am Häusermarkt vergrößern: Nach diversen Schätzungen blieben von den 3 Millionen neu
gebauten Eigenheimen in den vergangenen fünf Jahren etwa 1 Million unverkauft. Allein dieser Umstand dürfte die Bautätigkeit, die im
dritten Quartal 2007 im Vergleich
zum Vorjahreszeitraum bereits um
22 % auf 555 000 sank, künftig noch
stärker einschränken.
Ausländer wandern ab
An den Küste und auf den Inseln
hinterlässt die geschwundene Kauflust der Ausländer ihre Spuren. Von
Preisen und Bauskandalen abgeschreckt, kaufen sie ihre Ferienwohnungen immer öfter in billigeren
Sonnenländern. Unter den Immobilienfirmen, die mit fast 300 Mrd.
Euro bei den Banken und Sparkassen in der Kreide stehen, hat die
Marktbereinigung bereits begonnen.
Und an der Börse korrigierten die Investoren um 14 Mrd. Euro die völlig
überteuerten Aktienkurse.
Nur für die Gewerbeimmobilien
in der Hauptstadt Madrid, und in geringerem Maße auch Barcelona, sehen die Perspektiven für Büroräume
in Toplagen sowie Einkaufs- und Logistikzentren gut aus. Nach einer
Studie von CB Richard Ellis stiegen
die Preise für Büros in Madrid zwischen Oktober 2006 und September
2007 um 20 % und brachten die Kapitale auf Platz 7 der europäischen
Städte mit dem höchsten Preisauftrieb. Die DekaBank sieht für 2008
Potenzial für Mietanstiege.
Köpfe des Jahres
Opportunist
bl – Mit Nicolas Sarkozy haben
die Franzosen im Mai einen Präsidenten gewählt, der sein Land
mit dem umfangreichsten Reformprogramm seit dem Ende des
Zweiten Weltkriegs „in das 21.
Jahrhundert führen“ will. Der hyperaktive Präsident hat seinen
Premierminister François Fillon
und die Minister quasi zu Statis-
Rom wenig gesucht
Kaum noch Weiterverkäufe
Die Stunde der
Schnäppchenjäger naht
Von Angelika Engler, Madrid
durch die Kommunen. Die belgische
Hauptstadt Brüssel ist durch die europäischen Institutionen attraktiv.
Der starke Wettbewerb durch ausländische Investoren führte zu sinkenden Renditen. Diese dürften aber,
wie an den anderen Standorten
auch, durch die Turbulenzen auf
den Finanzmärkten und die gestiegenen Risikoprämien jetzt wieder zulegen. Brüssel zeichnet sich im Zeitablauf durch eine geringe Volatilität
aus.
niedrige Eigentumsquote und das immer noch moderate Miet- bzw. Hauspreisniveau, sind deutsche Wohnimmobilien aus fundamentaler Sicht
nach wie vor sehr attraktiv.
Die Zeit der großen PortfolioDeals ist dennoch zumindest im Moment vorbei. Dies liegt in erster Linie
an der Subprime-Krise. Sie lässt deutsche Banken vor großvolumigen Finanzierungen zurückschrecken. Ein
Fremdkapitalanteil von bis zu 90 %,
wie er in der Vergangenheit gerade
von angloamerikanischen Investoren gefahren wurde, ist nicht mehr
durchsetzbar.
29
Zeit drängt allerdings, denn mit
einem mehrjährigen Anlagehorizont
haben die wenigsten gerechnet. Unangenehm könnte die Lage auch angesichts der steigenden Zinsen werden. Denn finanziert wurde noch zu
sehr niedrigen Sätzen, die heute
schon längst nicht mehr am Markt erhältlich sind.
Mancher Investor hat aber auch
auf Wohnungsprivatisierungen gesetzt. Inzwischen hat sich aber gezeigt, dass diese längst nicht in dem
Umfang wie erhofft umsetzbar sind.
Konsequenz ist, dass ausländische
Fonds ihre deutschen Immobilien behalten müssen und auf das baldige
Ende der Subprime-Krise setzen. Ob
dies schon wie von vielen erhofft
Mitte 2008 der Fall sein wird, ist allerdings fraglich. Und wenn es so
weit ist, dürften die Banken immer
noch vorsichtig sein und hohe Risikoprämien bei großen Deals verlangen.
Kleinere Deals im Kommen
Im Moment gilt aber weiterhin,
dass Immobilien in Deutschland und
in Europa begehrt sind, also viel Liquidität insbesondere von Pensionskassen und Versicherern, teils direkt, meist aber über Fonds, vorhanden ist. In Mode gekommen sind kleinere Deals im zweistelligen Mill.Euro-Bereich und Finanzierungen,
die kaum über 100 Mill. Euro liegen
und von deutschen Immobilienbanken auch heute noch erhältlich sind.
Diese kleineren Transaktionen, die
unter dem Radarschirm der Großinvestoren liegen und damit nicht einem so scharfen Wettbewerb unterliegen, gibt es nicht nur bei Wohnungen, sondern auch im gewerblichen
Bereich. Und die Objekte liegen in
1-b- oder 2er-Lagen in Topstädten
oder 1-a-Lagen in Städten aus der
zweiten Reihe. So lassen sich noch
zweistellige Eigenkapitalrenditen erzielen, versprechen die Fondsinitiatoren.
Die Situation bei den Gewerbeimmobilien in den anderen Ländern
der Eurozone unterscheidet sich
deutlich von der in Deutschland. Abgesehen von Spanien und Frankreich (s. Artikel auf dieser Seite) gelten insbesondere die nordischen Länder als attraktiv. Allerdings weist
eine Stadt wie Helsinki einen im Vergleich zu Paris und London, aber
auch den deutschen Großstädten geringen Büroflächenbestand aus. Die
skandinavischen Länder verfügen
über gute konjunkturelle Aussichten, die zusammen mit der geringen
Neubautätigkeit zu einem kräftigen
Anstieg der Spitzenmieten führen
dürften. Bei Wohnungen bestehen
Chancen
auf
Portfolioverkäufe
Wenig attraktiv, vor allem für ausländische Investoren, sind Rom,
Athen und Lissabon. Die italienische
Hauptstadt weist eine wenig attraktive Bestandsqualität im gewerblichen Bereich auf, Mieterhöhungen
sind damit nur schwer möglich.
Athen gilt als geschlossener Markt,
auf dem Ausländer kaum eine
Chance haben, an attraktive Objekte
zu kommen. Der Markt in Lissabon
schließlich ist sehr klein.
Deutsche dominieren
Pariser Büromarkt
Höhere Investitionen – Preiseinbruch bei Wohnungen
Von Gerhard Bläske, Paris
Börsen-Zeitung, 29.12.2007
Im Pariser Wolkenkratzerviertel La
Défense wachsen in den nächsten
Jahren ungefähr zehn neue spektakuläre Bürotürme bis zu mehr als
300 Meter in den Himmel. Mehrere
100 000 Quadratmeter Fläche werden derzeit gebaut, die Leerstandsrate ist niedrig. Die Bürostadt spiegelt die positive Entwicklung auf
Frankreichs Büromarkt wider, der
trotz der Subprime-Krise auch 2007
auf einen neuen Rekordwert zusteuert. Die Immobilientochter von BNP
Paribas, Atis Real, erwartet 2007 Investitionen von 26 bis 27 Mrd. Euro,
2006 waren es nur 21 Mrd. Euro.
38 % der Transaktionen beziehen
sich auf Flächen über 5 000 Quadratmeter. Die Renditen liegen, je nach
Standort, zwischen 4 und 6 %.
Allerdings hinterlässt die Subprime-Krise Bremsspuren. Der Vizepräsident von Atis Real Frankreich,
Max Le Roux, stellt eine gewisse Normalisierung fest. Auch wenn er noch
viel Liquidität im Markt sieht, glaubt
er, dass vor allem spekulative Fonds
vorsichtiger sein werden. Habe man
2006 oft noch fünf bis sechs Interessenten für ein Objekt gehabt, seien
es jetzt meist nur noch ein bis zwei.
Große Transaktionen wie der Verkauf von zwei großen Bürotürmen
in La Défense (Coeur Défense) im
März 2007 für 2,1 Mrd. Euro wären
nach seiner Ansicht momentan
kaum möglich.
Zwar entwickelt sich in jüngster
Zeit auch das Angebot in noch relativ günstigen Provinzstädten wie
Marseille, Lille, Lyon, Toulouse oder
Straßburg. Doch stellt der Großraum Paris noch immer etwa 80 %
des französischen Büromarktes. Spit-
zenlagen sind die Innenstadt-Arrondissements, aber auch Lagen am südlichen Teil der Stadtautobahn Péripherique und das sogenannte Rive
Gauche sowie La Défense.
Deutsche Investoren, die sehr präsent sind, bevorzugen vor allem die
Spitzenlage der Pariser Innenstadt,
das sogenannte Goldene Dreieck.
Insgesamt hat das Interesse ausländischer Investoren, die häufig französische Tochtergesellschaften haben,
seit etwa Mitte der neunziger Jahre
kräftig zugenommen. Investierten sie
damals pro Jahr etwa 1 Mrd. Euro,
hat sich das Investitionsvolumen inzwischen etwa verzehnfacht. Inzwischen stellen sie ca. zwei Drittel der
Investitionen in diesem Markt.
Neben Deutschen, Briten und
Schweizern sind auch Amerikaner
wie GE Real Estate, die über 80 000
Quadratmeter allein in La Défense
verfügt, aktiv geworden. Die Mieten
in der Bürostadt sind um etwa 25 %
niedriger als in den Bestlagen von Paris. Etwa ein Drittel des Büroangebots in La Défense gehört Investmentfonds, 18 % Versicherern und
23 % Immobiliengesellschaften.
Auf dem Wohnungsmarkt gibt es
nach den rasanten Steigerungsraten
der letzten Jahre teilweise Preisrückgänge, die sich fortsetzen könnten.
Der Mangel an Wohnraum dürfte jedoch einen zu starken und dauerhaften Einbruch verhindern, glauben
Experten. Auch hier sind verstärkt
ausländische Käufer präsent, vor allem im oberen Preissegment in Paris, das im Vergleich zu London noch
relativ günstig ist, sowie am Mittelmeer und in Südwestfrankreich, wo
meist höherwertige Zweitwohnsitze
nachgefragt werden. Neben Briten
und Schweizern sind hier vor allem
Italiener und Deutsche aktiv.
Foto: dpa
Sonnabend, 29. Dezember 2007
Nicolas Sarkozy
ten degradiert und regiert – umgeben von einem Stab enger Berater
– quasi im Alleingang. Seine Zwischenbilanz fällt indes gemischt
aus. Mit umfangreichen Steuersenkungen versuchte er zunächst
die Konjunktur anzukurbeln,
doch die Maßnahmen verpufften.
Zwar hat Sarkozy die 35-Stunden-Woche ausgehöhlt, abgeschafft hat er sie jedoch nicht. Im
Konflikt um eine Rentenreform
für die Beschäftigten der Staatsunternehmen ging er zwar als Sieger hervor, musste aber umfangreiche Zugeständnisse machen.
Seine erste ernste Bewährungsprobe steht Sarkozy nun 2008 bevor: Dann sollen die Krankenversicherung, der Arbeitsmarkt und
die Rentenversicherung grundlegend reformiert werden.
Während der neue Präsident innenpolitisch auf Versöhnungskurs gegangen ist und zahlreiche
frühere Sozialisten in die Regierung holte, fährt er außenpolitisch einen opportunistischen
Kurs. Regelmäßig greift er etwa
die Zinspolitik der Europäischen
Zentralbank (EZB) an, deren Unabhängigkeit ihm ein Dorn im
Auge ist. Sarkozy macht die Politik der EZB verantwortlich für das
hohe Außenhandelsdefizit seines
Landes. Ökonomen und Arbeitgeber sehen die Ursachen jedoch
eher in manifesten strukturellen
Problemen, zu denen die 35-Stunden-Woche in hohem Umfang beigetragen hat. Gegenüber Brüssel
macht der Präsident deutlich,
dass die Reduzierung des Haushaltsdefizits für ihn keine Priorität hat, obwohl er sich vorher darauf hat festlegen lassen. Und in
den WTO-Verhandlungen verteidigt er die Interessen der Agrarlobby des Landes. Die Beziehungen zu Deutschland sind deutlich
abgekühlt, während er den libyschen Diktator Khadafi mit Glanz
und Gloria empfängt und herzliche Beziehungen zu Russlands
Präsident Wladimir Putin sowie
China und anderen Regierungen
mit zweifelhaftem Ruf pflegt.
(Börsen-Zeitung, 29.12.2007)
30 Börsen-Zeitung Nr. 249
Jahresschlussausgabe
Schwellenländer deutlich
schockresistenter
Save-Haven-Etikett käme aber verfrüht
Von Jürgen Schaaf, Frankfurt
Börsen-Zeitung, 29.12.2007
Diese Krise ist anders. Der Zusammenbruch des Marktes für verbriefte
strukturierte Produkte, die am amerikanischen Markt für Hypothekenkredite zweitklassiger Bonität generiert
wurden, hat weltweit hohe Wellen
geschlagen. Das Austrocknen des Interbankengeschäfts und die Klemme
an den Anleihemärkten, die seit dem
Sommer des alten Jahres anhält,
sind dagegen fast ausschließlich auf
Nordamerika und Europa beschränkt. Andere Regionen, und damit die umfangreiche und heterogene Gruppe der Schwellenländer,
blieb weitgehend unbehelligt von
den Auswirkungen der Krise.
Die internationalen Finanzkrisen
der Vergangenheit liefen dagegen
immer unter Beteiligung der Schwellenländer ab. Selbst wenn sie nicht –
wie gleichwohl oft – Auslöser der
Verwerfungen waren, wurden sie
aber in Sippenhaft genommen. Ihre
nationalen Märkte und Währungen
gerieten unter Druck. Während die
Zahlungsausfälle
Russlands
(1998/99)
oder
Argentiniens
(2001) sowie die Südostasienkrise
(1997) vor allem hausgemachte Ursachen hatten und Investoren
zwangsläufig die entsprechenden Regionen abstraften, war der Crash an
den Aktienmärkten, ausgelöst durch
das Platzen der IT-Bubble im Frühjahr 2000, ein Ereignis, das reichlich
wenig mit den ökonomischen Fundamentaldaten in den Schwellenländern zu tun hatte, deren Märkte und
Wirtschaftswachstum aber gleichwohl mit in die Tiefe riss.
Dass die Schwellenländer bislang
von den Auswirkungen der jüngsten
Krise verschont blieben, mag zum einen daran liegen, dass sie Lehren
aus den Krisen der Vergangenheit gezogen haben. Die Wirtschaftspolitiken vor allem in den asiatischen
Schwellenländern waren in den vergangenen Jahren darauf ausgerichtet, deren Anfälligkeit gegenüber globalen Finanzkrisen zu reduzieren.
Marktwirtschaftliche Reformen, Intensivierung des Handels, der Abbau
von Leistungsbilanzdefiziten und
das Anhäufen von Devisenreserven
zur Sicherung der eigenen Währung
wurden als Strategien gewählt.
Nicht zuletzt die strengen Auflagen des Internationalen Währungsfonds (IWF) und dessen mitunter –
so empfanden es zumindest die betroffenen Staaten – öffentlichen Demütigungen in den 1990er Jahren
unter dem Geschäftsführenden IWFDirektor Michel Camdessus haben
viele der Schwellenländer zu diesen
Maßnahmen bewogen.
Gleichwohl sind damit noch nicht
alle Gefahren für die nicht industrialisierte Welt gebannt. Zum einen
gibt es nach wie vor Anfälligkeiten
und Ungleichgewichte auch in den
Schwellenländern. Mangelnde Investitionen in Infrastruktur und Bildung, zu niedrige Konsumquoten
oder Wechselkursmanipulationen
sind Problemfelder, die es mitunter
noch zu beackern gilt. Zudem ist die
Finanzkrise noch nicht abgeschlossen. Insofern ist es verfrüht, die
durchaus weniger anfälligen Schwellenländer als globalen Stabilitätsgaranten und Save Haven für Anleger
auszurufen.
Sonnabend, 29. Dezember 2007
Asiens Märkte zeigen sich selbstsicher
Solide makroökonomische Eckdaten schaffen Handlungsspielraum
Von Ernst Herb, Hongkong
Börsen-Zeitung, 29.12.2007
Wer sich dieser Tage auf den Einkaufsmeilen asiatischer Großstädte
umsieht, wähnt sich weit weg von
den Sorgen, die sich zurzeit in den
USA und Europa Banker, Investoren,
Ökonomen und Politiker über den
Zustand der Weltwirtschaft machen.
Für den vorherrschenden Optimismus gibt es eine ganze Reihe guter
Gründe. Die Erinnerungen an die
asiatische Finanzkrise, das Platzen
der Dotcom-Blase oder die Lungenseuche Sars, die zwischen 1997 und
2003 grassierte und das Wachstum
in der Region lähmte, sind angesichts der heute in den jungen asiatischen Wachstumsmärkten vorherrschenden Dynamik in weite Ferne gerückt.
Kein Zweckoptimismus
Dass dies nicht einfach Zweckoptimismus euphorischer Konsumenten
ist, lässt sich auch mit Daten untermauern. Die Asiatische Entwicklungsbank (ADB) auf alle Fälle geht
in ihrer jüngsten Wirtschaftsprognose davon aus, dass der asiatische
Wirtschaftsraum trotz der dunklen
Wolken am amerikanischen Konjunkturhimmel 2008 um rund 8 %
expandieren wird. Die Exporte gerade in Richtung USA haben zwar
leicht abgenommen, aber der Konsum wächst in der Region jährlich
um deutlich über 10 %. Damit wird
die Binnenwirtschaft gestärkt und
die Abhängigkeit von den Exporten
vermindert.
Trotzdem werden in dem Mitte Dezember veröffentlichten ADB-Bericht ähnlich wie auch in der Jahresvorschau internationaler Geschäfts-
banken sehr viel eindringlicher als in
den Vorjahren auch auf eine ganze
Reihe von möglichen Wachstumsrisiken hingewiesen. Galten noch im
Vorjahr eine möglicherweise pandemieartig um sich greifende Vogelseuche oder das Platzen der in vielen
Großstädten der Region entstandenen Blase an den Immobilienmärkten als größte Gefahr für das Wachstum, so wird jetzt der mögliche Einbruch der Konjunktur in den USA
einstimmig als Risikofaktor Nummer 1 genannt.
Denn trotz der an Bedeutung gewinnenden Binnenwirtschaften und
eines noch vor wenigen Jahren
vernachlässigbaren interregionalen
Handels gehen weiterhin 60 % der
Ausfuhren in die reichen Industriestaaten, wobei die USA weiterhin
der mit Abstand größte Markt bleiben.
Eine leichte Konjunkturabschwächung der USA könnte Asien wohl
leicht verkraften, eine ausgewachsene Rezession würde aber vor allem in kleineren, stark in die globale
Wirtschaft integrierten Ländern wie
Malaysia, Hongkong oder Singapur
stark gespürt werden. Auch an
China, das mit seinen 1,3 Milliarden
Einwohnern gemessen an der Kaufkraft nach den USA bereits heute die
weltweit zweitgrößte Volkswirtschaft ist, würde eine Rezession in
den USA sicherlich nicht spurlos vorbeiziehen.
Allerdings gibt es zu diesem Negativszenario durchaus auch plausible
Alternativen. Eine etwas langsamer
laufende Weltwirtschaft muss vor allem für die als teilweise überhitzt geltenden Konjunkturen Chinas oder
Hongkongs nicht einmal schlecht
sein. Sie könnte sogar zu einer weichen Landung verhelfen.
Asien hat zudem eine sehr hohe
Sparrate. In China etwa beträgt sie
40 %. Die makroökonomischen Eckdaten wie etwa öffentliche Schulden
oder Auslandsverbindlichkeiten sind
solide.
Das gibt den Wirtschaftsverantwortlichen erheblichen Freiraum in
der Gestaltung der Konjunkturpolitik. Mittels Steuererleichterungen
und der Lancierung von Infrastrukturprojekten könnten der Binnenwirtschaft wichtige Impulse gegeben
werden. Eine leicht nachlassende Dynamik würde nicht zuletzt die hartnäckig gewordenen inflationären
Tendenzen dämpfen.
Noch steht aus, wie stark sich die
amerikanische Konjunktur abkühlen
wird. Sollten die gegenwärtigen Probleme aber in einer handfesten Rezession enden, so wäre Asien gegen
die Folgen weit besser gerüstet als
noch vor fünf Jahren. Die Region
könnte am Ende sogar gestärkt dastehen.
US-Hypothekenkrise
verschont Lateinamerika
Risiko globaler Wachstumsabschwächung bleibt
Von Sandro Benini, Mexiko-Stadt
Börsen-Zeitung, 29.12.2007
Ökonomen und Analysten internationaler Ratingagenturen wie Standard & Poor’s, Moody’s oder Fitch Ratings sind sich einig: Die direkten
Auswirkungen der US-Hypothekenkrise auf Lateinamerika sind praktisch gleich null. Dies hängt damit
zusammen, dass der Anteil an Subprime-Krediten innerhalb der jeweiligen Hypothekarmärkte ungleich geringer ist als in den USA.
Bedeutend kleiner ist auch das Gesamtvolumen der Hypothekardarlehen. Es beläuft sich etwa in Chile auf
5 % und in Brasilien auf 11 % des
Kreditmarktes. Der Immobilien- und
der Bausektor gehören zwar zu Lateinamerikas Boombranchen, was
auch den Umfang der Kredite auf historische Höchststände getrieben hat.
Dennoch waren die Banken bei deren Erteilung wesentlich vorsichtiger als in den Vereinigten Staaten.
So kommt den mexikanischen Hypothekarschuldnern zugute, dass
65 % ihrer Darlehen feste Zinsen aufweisen. Der Anteil säumiger Schuldner liegt in dem mittelamerikanischen Land seit Jahren bei rund
2,5 %. Ein weiterer Grund für die
komfortable Situation lateinamerikanischer Banken liegt laut einer Analyse von Standard & Poor’s in der Tatsache, dass sie fast vollständig auf In-
vestitionen in amerikanische Hypothekenderivate verzichtet haben.
Dank der hohen Weltmarktpreise
für Rohstoffe und landwirtschaftliche Produkte verfügen die Notenbanken außerdem über umfangreiche
Währungsreserven. In Mexiko erreichten diese beispielsweise Ende
November mit rund 77,4 Mrd. Dollar einen historischen Höchststand.
Während lateinamerikanische Länder in der Vergangenheit immer wieder in den Strudel verheerender Finanzkrisen gerissen wurden, sind sie
deshalb gegenwärtig gegen externe
Schocks besser gewappnet denn je.
Der gewaltige Nachholbedarf an
staatlichen Investitionen in die Infrastruktur und der während der letzten Jahre in die Mittelschicht aufgestiegene an Immobilienkäufen interessierte Bevölkerungsanteil eröffnen den großen lokalen Bauunternehmen weiterhin attraktive Wachstumsperspektiven.
Sollte es infolge der SubprimeKrise zu einer Rezession in den Vereinigten Staaten oder einer generellen
Verlangsamung der Weltkonjunktur
kommen, so würden die in hohem
Maße rohstoffexportierenden lateinamerikanischen Volkswirtschaften
dennoch beträchtlich in Mitleidenschaft gezogen werden. Dies gilt insbesondere für Mexiko, das nahezu
90 % seines Außenhandels mit dem
nördlichen Nachbarn abwickelt.
Russischer Bär kommt
ungeschoren davon
Hausgemachte Probleme geben Anlass zur Sorge
Von Jens Hartmann, Moskau
Börsen-Zeitung, 29.12.2007
Die internationale Finanzkrise ist in
Russland bislang kaum zu spüren gewesen. Die Ruhe könnte jedoch trügerisch sein. Experten rechnen damit, dass im kommenden Jahr der
Druck auf Banken und Unternehmen wegen steigender Refinanzierungskosten zunehmen wird.
Die Wirtschaft wird in diesem
Jahr mit rund 7 % wachsen und damit das achte Jahr in Folge zulegen.
Treibende Kräfte bleiben die hohen
Rohstoffpreise – Öl- und Gasexporte
machen mehr als 60 % der Deviseneinnahmen aus – und der boomende
Konsumentensektor. Der Staat hat
sich im Stabilitätsfonds und bei den
Gold- und Devisenreserven ein mehr
als 600 Mrd. Dollar dickes Finanzpolster geschaffen.
So liegt also 1998, das Jahr, als
der Rubel-Crash Russland in die Zahlungsunfähigkeit riss, weit zurück.
Russland fühlt sich heute stark wie
nie zuvor. Zumal auch noch die leidige Nachfolgefrage, wer Wladimir
Putin als Präsident ablösen wird, geklärt zu sein scheint. Der wahrscheinliche Thronfolger Dimitri Medwedew steht für Kontinuität.
Problem Rubel-Abwertung
Russland bekommt die hohe Inflation und die Aufwertung des Rubel
nicht in den Griff. Die Inflation wird
in diesem Jahr mehr als 11 % betragen. Dabei hatte das Wirtschaftsministerium Anfang des Jahres noch
8 % prognostiziert. Hastig ergriffene
Maßnahmen wie das Einfrieren der
Lebensmittelpreise dürften jedoch
kaum geeignet sein, der Inflation
Herr zu werden.
Eine zweite Gefahr ist der Aufwertungsdruck auf den Rubel, der aus
den Exporterlösen und den stark ge-
stiegenen Kapitalzuflüssen als Folge
der 2006 eingeführten Konvertibilität des Rubel resultiert.
Die Krise am amerikanischen Hypothekenmarkt hatte bislang lediglich begrenzte Auswirkungen auf
Russland. Zwar stiegen die Zinsen
auf dem Interbankenmarkt stark an.
Die russische Zentralbank sah sich
gar veranlasst, Liquidität bereitzustellen. Schockwellen größeren Ausmaßes blieben aber aus.
Deshalb hat sich Selbstsicherheit
breitgemacht, die nicht allen gefällt.
„Die Sorglosigkeit, dass die Subprime-Krise Russland auch in Zukunft nichts anhaben kann, ist allzu
weit verbreitet“, glaubt der Direktor
einer westlichen Bank in Moskau. Er
sieht Probleme auf Banken zukommen, die sich für ihren Expansionskurs gerade bei Konsumentenkrediten auf den internationalen Finanzmärkten Geld geliehen haben und
nun mit höheren Refinanzierungskosten leben müssen. „Gerade auf
kleinere der rund 1 100 Banken
könnte der Druck so stark werden,
dass sie vom Markt verschwinden.“
Tatsächlich hatten einige Banken im
Herbst die Vergabe von Krediten zeitweilig gestoppt.
Das Portfolio der Auslandsverschuldung Russlands hat sich in den
vergangenen Jahren verändert. Der
Staat wird als Schuldner immer unwichtiger, dafür nehmen Banken
und Unternehmen mehr Geld im
Ausland auf. Der einheimische Finanzsektor wächst zwar rasant, hat
aber bei weitem noch nicht das Volumen, um Russlands Wirtschaft mit
ausreichend Kapital zu versorgen.
Zum 1. Juli war Russland laut Zentralbank im Ausland mit 384,4 Mrd.
Dollar verschuldet. Davon waren
40,8 Mrd. Dollar Staatsschulden,
130,3 Mrd. Dollar Verbindlichkeiten
der Banken und 184,3 Mrd. Dollar
Unternehmensschulden.
Jahresschlussausgabe
Billige Liquidität ist nicht genug
Seit über zehn Jahren hält Japans Notenbank den Leitzins unter 1 Prozent – Keine Hilfe für die Wirtschaft
Von Birga Böcker, Tokio
Börsen-Zeitung, 29.12.2007
Niedrigzinsen machen süchtig. Nicht
die Retailbanken, denen es unter solchen Bedingungen schwerfällt, für
Firmenkredite anständige Margen
zu verlangen. Und auch nicht die vielen Sparer, die sich mit mageren Einlagenzinsen begnügen müssen. Abhängig werden – das zeigt sich am
Paradebeispiel der japanischen Nullzinspolitik immer deutlicher – internationale Finanzjongleure, die hochriskante Geschäfte mit billiger Liquidität finanzieren. Wie sonst ist es zu
erklären, dass Japans Wirtschaftswachstum seit fünf Jahren bei rund
2 % liegt, die Arbeitslosigkeit mit
4 % halb so hoch ist wie in Deutschland, die Unternehmensgewinne das
fünfte Rekordjahr in Folge ansteuern, aber Nippons Notenbank dennoch ihrem Ziel einer „Normalisierung“ der Geldpolitik bisher kaum
nähergekommen ist?
Nach einer langen Phase der Nullzinspolitik, in der sie Japans Banken
zeitweise mit fünfmal so viel Liquidität überschüttete, als diese benötigten, drehte die Notenbank im Frühjahr 2006 erstmals den Geldhahn
wieder vorsichtig zu. Zunächst wurden den Finanzinstituten weniger
flüssige Mittel aufgezwungen, im
Juli 2006 dann folgte die erste Zinserhöhung seit sieben Jahren – auf damals 0,25 %. Seither sind fast eineinhalb Jahre vergangen, dennoch haben die Geldpolitiker nur ein weiteres Mal an der Zinsschraube gedreht. Der Leitzins liegt immer noch
bei nur 0,5 %, und die nächste Anhebung scheint in weiter Ferne. Manche Ökonomen erwarten inzwischen
angesichts der internationalen Kreditkrise sowie schwächerer Konjunk-
turdaten aus dem Inland für 2008
keine Zinserhöhung in Japan mehr.
Dabei ist unklar, wie stark die Extrempolitik der Zentralbank in Tokio
überhaupt zur Stimulierung der heimischen Wirtschaft beiträgt. Zwar
hat der „Nullzins“ die Bewältigung
der akuten Finanzkrise der neunziger Jahre unterstützt. Doch waren es
vor allem wirtschaftspolitische Maßnahmen wie eine vorteilhaftere Steuerbehandlung bei der Abschreibung
fauler Kredite, die das lange Siechtum der Banken beendeten. Auf die
Kreditvergabe im Inland hatte der
Nullzins wenig Auswirkungen. Denn
in den ersten Krisenjahren minimierten die Banken die Risiken in ihren
Büchern und kappten trotz nahezu
kostenlos verfügbarer Liquidität die
Kreditlinien ihrer Kunden. Und in
den folgenden Jahren hatten zumindest Japans große Industriekonzerne
die Hilfe der Banken kaum noch nö-
Die Schleifspuren der
Krise werden länger
Notenbank sorgt sich um kanadische Banken
Von Markus Gärtner, Vancouver
Börsen-Zeitung, 29.12.2007
Als fünf führende Notenbanken am
12. Dezember in der größten gemeinsamen Aktion seit den Terroranschlägen in New York massiv Liquidität für das globale Finanzsystem bereitstellten, war auch die Bank of Canada (BOC) mit im Boot. Doch die
eher kleine Tranche von 3 Mrd. kan.
Dollar (2,01 Mrd. Euro) der Zentralbank scheint zu belegen, dass das
heimische Finanzsystem gegen die
Turbulenzen der Subprime-Krise einigermaßen resistent ist. Das Problem ist aber, dass die Schleifspuren
auch in Kanada länger werden.
Anfangs deutete vieles tatsächlich
auf einen glimpflichen Ausgang hin.
Nur zwei der sechs führenden Geschäftsbanken berichteten beim
jüngsten Quartalsreigen Gewinnrückgänge oder Verluste. Die Bank
of Montreal (BMO) meldete für das
vierte Quartal ihres Finanzjahres einen Rückgang des Nettogewinns
von 35 %. Gegen das Debakel bei der
Sachsen LB oder der IKB nahmen
sich die negativen Meldungen aus
Kanada fast wie Randnotizen aus.
Doch nach dem Bailout der Citigroup für ihre sieben Zweckgesellschaften (SIV) rücken auch Kanadas
BMO und deren außerbilanzielle
Investmentvehikel Links Finance
Corp. und Parkland Finance ins Rampenlicht. Sie haben ein kombiniertes
Anlagevermögen von 15 Mrd. Euro.
Unbekannter „Aktionsplan“
Kanadas viertgrößte Bank arbeitet
noch an einem „Aktionsplan“, der
aber nicht näher konkretisiert wird.
Am schwersten hat es wohl die Canadian Imperial Bank of Commerce
(CIBC), die fünftgrößte Bank des
Landes, erwischt. Sie räumte Anfang
Dezember ein, dass in ihren Büchern
verbriefte Schuldverschreibungen
mit Subprime-Bezug in Höhe von
umgerechnet 6,6 Mrd. Euro stehen.
Die Wertberichtigungen der CIBC
summieren sich auf 670 Mill. Euro.
Doch Analysten erwarten bis zu dreimal so viel. Der Eindruck, dass Kanadas Banken vergleichsweise mit einem blauen Auge davonkommen,
könnte sich also noch ändern.
Wichtig war am jüngsten Liquiditätsangebot der Bank of Canada,
dass zusätzliche Sicherheiten für die
Refinanzierungsgeschäfte akzeptiert
werden. Neben Bundesanleihen will
die BOC jetzt auch Schuldscheine
der Provinzen sowie forderungsbesicherte Geldmarktpapiere (ABCP) akzeptieren. Denn als Investoren sich
in Scharen aus forderungsbesicherten Papieren mit Subprime-Bezug
verabschiedeten, brach der ABCPMarkt zusammen. Die Investmentbank Coventree in Toronto, größter
Player am ABCP-Markt, wenn man
die sechs großen Geschäftsbanken
nicht mitrechnet, brauchte dringend
1 Mrd. Euro, um Fälligkeiten ihrer
Papiere zu verlängern.
Vieles noch nicht deklariert
Eine Gruppe führender Banken
präsentierte das sogenannte Montreal Proposal. Es sah eine Umwandlung der nicht mehr absetzbaren
ABCP-Anleihen in längerfristige Papiere, im Extremfall bis zum Ablauf
der verbrieften Forderungen, vor.
Eine Stillhaltefrist bis zum 14. Dezember wurde vereinbart. Doch das
Komitee, das bis zum 14. Dezember
eine Lösung für die ABCP-Krise präsentieren sollte, ließ an diesem Tag
zum zweiten Mal eine Frist verstreichen. Inzwischen warnte der
scheidende Gouverneur der Notenbank von Kanada, David Dodge, vor
einem Fiasko. Denn mit den 35
Mrd. kan. Dollar aus dem Verkauf
der ABCP-Papiere haben die 22
Emittenten ihrerseits durch gehebelte Fremdfinanzierung langfristige
Wertpapiere im Umfang von bis zu
300 Mrd. kan. Dollar erworben.
Hinzu kommt: Viele Firmen haben
ihre
subprimeverseuchten
ABCP-Bestände noch gar nicht deklariert und müssen mit saftigen Verlusten rechnen. „Wir glauben, dass einige dieser Firmen signifikante Wertberichtigungen für das vierte Quartal vornehmen“, erwartet der Analyst Mark Rosen bei der Accountability Research in Toronto. Ein Indikator für die drohenden Verluste ist
der Untergrundmarkt, der sich in Kanada für illiquide ABCP-Papiere gebildet hat. Dort soll die Westaim
Corp. in Calgary, eine Geschäftsdatenbank, die Hälfte ihrer Papiere mit
einem Abschlag von 30 % losgeworden sein. Wie weit die Krise auch im
Ahornland inzwischen Kreise zieht,
zeigt ein anderer Fall. Der Pensionsfonds der Universität von West Ontario – Volumen 1,2 Mrd. kan. Dollar –
hat Anfang November einen Teil seiner Ausschüttungen für die 6 300
Uni-Beschäftigten eingestellt.
tig: Investitionen werden inzwischen
vorwiegend aus dem Cash-flow finanziert, für Akquisitionen werden
Wandelanleihen begeben und für Restrukturierungen ausländische Investmentbanken ins Boot geholt.
Japans Privathaushalte sowie
kleine Betriebe haben von der Nullzinspolitik ohnehin nie profitiert. Da
Nippons Banken ihr Geschäftsmodell jahrzehntelang fast nur auf
große Konzerne ausrichteten, müssen Verbraucher und Selbständige
für unbesicherte Kredite auch heute
noch Verbraucherkredite nutzen mit
Sätzen im zweistelligen Prozentbereich. Bis vor einem Jahr lag die Wucherzinsgrenze noch bei knapp
30 %, heute sind es 20 %. Die Politik
der Notenbank hatte darauf keinerlei Einfluss. Manche Ökonomen glauben gar, dass die Geldpolitik die Binnennachfrage mehr gedrückt als beflügelt hat. Denn statt eine anstän-
dige Verzinsung auf ihr Vermögen
von gut 1 500 Bill. Yen (9,2 Bill.
Euro) zu erhalten, überlassen Nippons Haushalte den Banken ihre
Spargelder seit Jahren fast ohne Gegenleistung. Das hat die Kauflaune
gedrückt, zumal andere Vermögenswerte wie japanische Immobilien
oder Aktien seit Anfang der neunziger Jahre an Wert verloren haben.
Um die magere Rente oder das
Haushaltsgeld aufzustocken, flüchten immer mehr Amateure in ausländische Finanzprodukte. So erfreuen
sich neben Aktien- und Anleihefonds
Devisenkonten großer Beliebtheit.
Spektakuläres Beispiel dafür war die
Verhaftung einer japanischen Hausfrau im vergangenen Sommer. Sie
hatte 2,5 Mill. Euro mit hochspekulativen Geschäften verdient, ihr Anlageglück aber dem Finanzamt verschwiegen. Auch eine andere Investorengruppe hat der seit 2004 zu
den USA und anderen Ländern
gewachsene Zinsunterschied angelockt: ausländische Institutionelle.
Weil Yen-Kredite billig und die Rendite andernorts hoch ist, geriet die
Währung des Landes unter Druck.
Doch nun scheint das Pendel am Devisenmarkt umzuschwingen, was Japans zuverlässigsten Konjunkturmotor – den Export – unter Druck setzt.
Die verzwickte Lage, in der sich Japan nach über einem Jahrzehnt der
Niedrigstzinsen noch immer befindet, sollte anderen Ländern eine
Warnung sein. Nur wenn Notenbanken und Politik in Krisensituationen
schnell handeln und an einem
Strang ziehen, kann ein Abrutschen
in eine anhaltende Stagnation verhindert werden. Ist das Kind erst einmal in den Brunnen gefallen,
braucht es mehr als billiges Geld, um
dort wieder herauszukommen.
Börsen-Zeitung Nr. 249
31
Köpfe des Jahres
Reformbremser
eh – Das endgültige Urteil über die
Leistung des chinesischen Premierministers Wen Jiabao steht noch
aus. Aber einen gewissen Erfolg
kann man ihm wohl nicht absprechen in Anbetracht dessen, dass
sich in seiner mittlerweile fünf
Jahre dauernden Amtszeit das
durchschnittliche Pro-Kopf-Einkommen der Bevölkerung von 1 200
auf 2 400 Dollar glatt verdoppelt
hat. Andererseits ist es ihm aber
nicht gelungen, die seit 2005 zu rasant expandierende Wirtschaft auf
ein nachhaltigeres Tempo zu drosseln. Vor drei Jahren wurde ein
jährliches Wachstum bis 8 % wünschenswert genannt. 2007 dürfte
es aber auf 11,5 % beschleunigt haben. Verbunden damit ist die ständige Gefahr einer harten Landung,
wie sie China bereits Mitte der
neunziger Jahre erlebte.
Wen, der 1942 in der nordöstlichen Küstenstadt Tianjing geboren
wurde, wird wahrscheinlich ähnlich wie Staatspräsident Hu Jintao
noch bis 2011 im Amt bleiben. Er
ist zwar der oberste Verantwortliche für die Wirtschaftspolitik, hat
aber relativ wenig Erfahrung in diesem Bereich. Nach einem Studium
der Geomechanik arbeitete er zunächst in seinem gelernten Beruf.
1965 trat er in die Kommunistische
Partei Chinas ein. Zwischen 1968
und 1978 war er politischer Sekretär und damit die „Nummer 1“ des
geologischen Amtes der zentralchinesischen Provinz Guansu.
Der spätere Aufstieg an die
Machtspitze Chinas war ihm nicht
in die Wiege gelegt. Zwar stammt
er nicht aus armen Verhältnissen,
doch waren die ersten Jahre seines
Lebens von japanischer Besatzung,
Bürgerkrieg und – nach Machtübernahme der Kommunistischen Partei 1949 – desaströsen wirtschaftlichen Experimenten geprägt. Seinem Vater wurden während der
Kulturrevolution kapitalistische Allüren vorgeworfen, weshalb dieser
ins Arbeitslager gesteckt wurde.
Jene traumatischen Erlebnisse
mögen erklären, dass der Verwal-
Foto: dpa
Sonnabend, 29. Dezember 2007
Wen Jiabao
tungsspezialist Wen Experimenten
gegenüber sehr skeptisch ist. Der
1979 begonnene gesellschaftliche
und wirtschaftliche Erneuerungsprozess hin zur Marktwirtschaft
läuft deshalb nur zögerlich ab.
Wirtschaftliche Reformen wie
die weitere Liberalisierung des Zahlungsverkehrs werden erst einmal
in begrenztem Rahmen getestet.
Auch wenn es noch zu früh ist,
seine Arbeit abschließend zu beurteilen, so kann dennoch jetzt schon
gesagt werden, dass Wen wohl
nicht als kühner Reformer in die
Geschichte seines Landes eingehen
wird. (Börsen-Zeitung, 29.12.2007)
32 Börsen-Zeitung Nr. 249
Jahresschlussausgabe
Sonnabend, 29. Dezember 2007
Nun ruht alle Hoffnung auf der privaten Konsumnachfrage
Auswirkungen der US-Subprime-Krise können die deutsche Konjunktur über zwei Kanäle erreichen – Hohe Unsicherheit in den Prognosen
Von Reinhard Kuls, Frankfurt
Börsen-Zeitung, 29.12.2007
Auguren sind besonders gefragt in
Zeiten der Unsicherheit, sonst fallen
sie dem Publikum eher lästig. Dieses
Urteil zur allgemeinen Wertschätzung seiner Zunft fällte jüngst Dirk
Schumacher, der Deutschland-Chefvolkswirt von Goldman Sachs. Demnach kann er sich derzeit kaum retten vor Anfragen. Denn selten zuvor
war die Unsicherheit über die Entwicklung der Volkswirtschaften weltweit so groß wie jetzt seit dem Ausbruch der Krise am US-Hypothekenmarkt und ihrem völlig überraschenden Übergreifen auf zentrale Teile
des Geldmarkts. Es knirscht hörbar
im gesamtwirtschaftlichen Getriebe,
aber niemand weiß, welches Rädchen als erstes blockieren wird.
Zyklischer Effekt verschärft
Die Unsicherheit geht sehr weit,
und mancher Ökonom räumt unter
der Hand schon mal ein, dass seine
Prognose im Moment eigentlich Makulatur sei. Denn solange die Bilanzen der Banken dies- und jenseits
des Atlantiks für 2007 nicht veröffentlicht seien und man nicht wisse,
welche weiteren Geldhäuser sich,
aus Renditegier und mangelhafter
Aufsicht, an Subprime und den Verbriefungsaktionen verhoben hätten,
könne man nicht sagen, welche Verspannungen noch im globalen Finanzsystem entstünden und die Konjunktur weltweit belasteten.
Dabei haben die Auguren bereits
vor dem Ausbruch der SubprimeKrise, aus zyklischen Gründen, mit
einer Abschwächung der Dynamik in
den USA und Euroland gerechnet.
Denn oft folgt starken Aufschwüngen ein Atemholen für den nächsten
Wachstumsgipfel, so dass konjunkturelle Zyklen die Form eines M erhalten. Der Unterschied ist inzwischen
aber, dass die Spitze des V, das sich
im M versteckt, weiter nach unten
ragt als bislang erwartet. Auch
könnte die Abkühlung länger dauern als angenommen.
Ob daraus dann eine Rezession
wird, hängt allerdings von einer
Reihe von Faktoren ab, und in den
USA sind es zum Teil andere als
etwa in Deutschland. In den USA ist
wegen der Abkühlung des Häusermarkts ein wichtiger Antrieb für den
Wachstumsmotor Nummer 1, den
Konsum, gefährdet. Bricht dieser
weg, droht wiederum am Arbeitsmarkt Ungemach, was dann sehr
wohl in eine rezessive Spirale münden könnte. Zudem könnte es bei einer Verschärfung der Krise am Interbankenmarkt auch zu einer echten
Kreditklemme kommen. Ansätze für
eine Verschärfung der Konditionen
gibt es bereits, auch wenn sie nach
Ansicht von Analysten von noch sehr
niedrigem Niveau ausgehen.
Deutschland ist dabei über zwei
Kanäle gefährdet, die wie kommunizierende Röhren zusammenhängen:
Eine US-Rezession würde sich direkt
auf den Export und indirekt auf die
Investitionen auswirken, eine Kreditkrise würde die Investitionen direkt
treffen und beides über den Arbeitsmarkt den Konsum in Mitleidenschaft ziehen. All dies hätte Effekte,
die über eine bloße Wachstumsdelle
des konjunkturellen M-Schemas
Deutsche Konjunktur
Median aus den Prognosen von Bankenvolkswirten und Forschungsinstituten;
Veränderung in Prozent
2006 2007 2008
BIP
2,9
2,5
1,9
Privatkonsum
1,0 – 0,1
1,9
Anlageinvestitionen 8,3
5,5
2,5
Exporte
12,5
8,1
6,2
Importe
11,2
6,3
6,8
Verbraucherpreise
1,7
2,1
1,9
Arbeitslosenquote *) 10,8
9,0
8,3
*) in Prozent
Quelle: ZEW
Börsen-Zeitung
weit hinausgingen, auch wenn sie inzwischen nicht mehr zwanghaft zur
tiefen Rezession führen müssen.
Früher galt, wenn die US-Wirtschaft hustet, bekommt Europa konjunkturell eine schwere Grippe. Dies
scheint sich etwas geändert zu haben. Die europäischen Volkswirtschaften, vor allem die deutsche, haben zum Teil erhebliche und erfolgreiche Anstrengungen unternommen, ihre Wettbewerbsfähigkeit zu
erhöhen. Die Schaffung der Eurozone sowie die Ausweitung der Europäischen Union nach Osten haben
zudem
sehr
aufnahmebereite
Märkte gerade für deutsche Produkte bei nicht existierendem oder
geringem Wechselkursrisiko geschaffen. Zudem glänzt die deutsche Exportindustrie genau mit denjenigen
Produkten, die in den aufstrebenden
Volkswirtschaften – Indien, China
und viele mehr – am dringendsten
gebraucht werden: hochmoderne Investitionsgüter. Und wenn die EuroLänder inzwischen weniger Anteil
an den deutschen Gesamtausfuhren
haben als noch 2000 (siehe Grafik),
so liegt das nicht an mangelnden Verkaufserfolgen der deutschen Expor-
teure. Schließlich erzielten sie in
dem Zeitraum satte 41 % mehr Erlös. Grund ist, dass die Lieferungen
in die Emerging Markets Osteuropas, in die GUS-Staaten, den Nahen
und Mittleren Osten sich gleichzeitig
mehr als verdoppelt haben.
Dabei ist die Wettbewerbsposition
der deutschen Exportindustrie so
gut, dass sie sogar Eurokurse von
knapp 1,50 Dollar wegstecken kann
– nicht locker, aber immerhin. Freilich spüren Betriebe, die vor allem in
den Dollarraum liefern, den festen
Euro stärker als andere: Die Grafik
zur unterschiedlichen Entwicklung
des Eurokurses in Dollar bzw. gesamt nach Handelsgewicht illustriert
dies eindrucksvoll. Wer hingegen einen hohen Importanteil in seiner
Wertschöpfungskette aufweist, kann
sich über Kostenentlastung freuen.
Auch wenn die deutsche Exportwirtschaft vor Robustheit zu strotzen
scheint, dürfte das Jahr 2008 wohl
einen Dämpfer für die Ausfuhren
bringen. Die akute Schwäche der
US-Wirtschaft trifft offenbar auf ein
globales zyklisches Abbremsen, nachdem die Weltwirtschaft über Jahre
hinweg überraschend hohe Wachstumsraten erzielt hatte.
Nun ruhen die deutschen Hoffnungen, auch diejenigen, die auf eine Abkoppelung von einer US-Rezession
setzen, auf der Binnennachfrage, vor
allem dem Konsum. Denn die Investitionen könnten eine Verschnaufpause einlegen: Sie laufen ohnehin
schon seit Jahren auf Hochtouren,
die globalen Absatzaussichten sind
nicht mehr ganz so fulminant wie zu-
vor, die Finanzierungskonditionen
werden etwas strikter (auch wenn
die Gewinnlage der deutschen Unternehmen insgesamt hervorragend ist
und so auch reichlich Eigenmittel
zur Verfügung stehen), und schließlich ändern sich mit dem Jahreswechsel 2007/2008 die Abschreibungsbedingungen, so dass eine
Reihe von Anschaffungen von den
Betrieben vorgezogen worden sind
und nun fehlen (wobei dieser Effekt
von manchen Volkswirten in Zweifel
gezogen wird).
Gutes Fundament
Bleibt also der Privatkonsum. Die
fundamentale Basis für ein Anspringen der Verbrauchsnachfrage ist vorhanden: Die Beschäftigung hat in
den zurückliegenden Jahren kräftig
zugenommen und steigt aller Voraussicht nach weiter, die Löhne dürften
etwas stärker zulegen als bislang
und es steht diesmal keine saftige Erhöhung der Mehrwertsteuer an. Ob
das alles ausreicht, um die deutschen Privathaushalte zu mehr Anschaffungen zu bewegen, muss sich
zeigen, wird ihnen im Allgemeinen
doch keine überbordende Konsumsucht nachgesagt. Und ob der Mehrwertsteuerschock von 2007 wirklich
gänzlich überwunden ist oder die
Konsumenten wegen dieser und anderer Erfahrungen mit der die Regierenden plötzlich überkommenden
Lust auf mehr staatliche Einnahmen
nicht doch erst einmal wieder mehr
sparen, muss man sehen.
Eine Garantie gibt es nicht, bleibt
also nur die Hoffnung – und die
kommt manchmal etwas bang daher. Denn wie sonst könnte aus der
Bundesbank heraus ein freundschaftlicher Weihnachtsgruß verschickt
werden, der die guten Wünsche für
das neue Jahr – nur halb scherzend –
mit dem Appell verbindet: „Und unbedingt den Konsum 2008 hochhalten bzw. höher halten!“ Möge dieser
Wunsch in Erfüllung gehen.

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