Safari Spirit - Stefan Schomann
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Safari Spirit - Stefan Schomann
Ein Gespräch über Zäune Stefan Schomann*: Wer errichtete wohl den ersten Zaun? Und zu welchem Zweck ? Ich habe einmal eine Gruppe von Dorobo begleitet, Angehörige eines alten Jäger- und Sammlervolkes in Ostafrika. Wenn sie im Busch übernachteten, umgaben sie ihre Schlafplätze mit einer Dornenhecke. In der Mitte dieser Einfriedung lag die kleine Feuerstelle, darum herum lagerten die Menschen. Dieser elementare Zaun sollte nachtaktive Raubtiere fernhalten. Womöglich waren die ersten Lebewesen, welche die Menschen eingepfercht haben, sie selbst ? Daniel Kufner: Die ersten Zäune dienten dazu, den Menschen vor den Gefahren der Umwelt zu schützen. Interessant ist auch die Feuerstelle in der Mitte des Lagers. Das Feuer wird oft von einem Steinkreis umgeben. Bereits hier taucht die Idee einer Begrenzung auf. So soll der Entgrenzung, der unkontrollierten Ausbreitung eines Naturphänomens, vorgebeugt werden. Ein frühes Beispiel für einen gestalterischen Eingriff des Menschen, mit dem er versucht, die Natur seinen Bedürfnissen anzupassen. Am Anfang stand also der Schutz. Bis heute werden Zäune in Afrika weit eher unter diesem Schutzaspekt errichtet als in Europa. Bei uns haben Zäune viel mehr mit Besitz zu tun, definieren einen Hoheitsbereich. In Afrika dagegen dienen sie zum einen dazu, Mensch und Vieh vor Raubtieren zu schützen, und zum anderen, um in dieser weiten Landschaft Räume zu strukturieren. Was mich neben der archetypischen Einfachheit dieser Lagerplätze besonders berührt hat, war ihre Kreisform. Der Kreis ist eine sehr organische Form; die Grundform überhaupt. Es liegt nahe, daß die ersten menschengemachten Spuren aus der Natur hervorgingen. Die Landschaften, in denen die ersten Zäune standen, waren wenig strukturiert, es gab kaum klare Grenzen und mit Sicherheit keine rechten Winkel. Heute leben wir inmitten orthogonaler Strukturen, besonders als Stadtmenschen. Auch die afrikanischen Hütten sind ja traditionell rund. Im Prinzip braucht man diese Dornenhecke der Buschleute nur etwas höher zu ziehen und ein Dach darauf zu setzen – fertig ist ein Haus. Ich war fasziniert von der Dynamik, die in solchen Räumen herrscht. Runde Räume ermöglichen eine ganz andere Kommunikation. Das prägt die gesamte Gesellschaft. Für mich war es eine ausgesprochen angenehme Erfahrung, wie unbefangen die Menschen in Afrika einander begegnen. Es gibt keine Tabubereiche, keine dunklen Ecken. Eine der interessantesten Erscheinungen in Botswana war für mich, daß sich dort aus einer ursprünglichen Zaunstruktur ein Diskussionsforum entwickelt hat. In jedem Dorf findet sich die sogenannte ‚Kgotla‘ (sprich: chotla): ein Halbkreis aus Pflöcken, genauso aufgebaut wie ein Zaun, aber nach vorne hin offen. Hinzu kommen ein paar Stühle und ein schattenspendender Baum – so entsteht ein Auditorium. Also ein Zaun, in den man hineinkommen soll. Der zur einen Seite hin abschirmt, zur anderen jedoch einlädt. Dieser abgesteckte Bereich gilt als privilegiert, war früher heilig. Ursprünglich blieb er den Stammesältesten vorbe halten; Frauen durften ihn nicht betreten. Während sie überall sonst Kuhfladen aufsammelten, als Brennmaterial und für den Hausbau, klaubten in den Kgotlas die Männer die Fladen auf. Heute geht es demokratischer zu, jeder kann dort frei seine Meinung äußern. Entscheidungen auf kommunaler Ebene werden in der Kgotla getroffen: ein Ort der Basisdemokratie. Der Zaun schafft Gemeinschaft. Durch zunehmende Urbanisierung und Verwestlichung verändern sich allerdings auch die Kgotlas. Sie ähneln immer weniger einem Zaun, und man trifft zunehmend auch auf rechteckige Formen. Die Tradition wird jedoch hochgehalten. Wie das Beispiel der Frauen zeigt, arbeiten Menschen untereinander auch mit unsichtbaren Grenzen – durch eine gedachte Linie wird der Zaun vervollständigt. Bemerkenswert finde ich auch, daß selbst in dieser stark modifizierten Form der Schutzaspekt des Zaunes fortbesteht. Von hinten droht keine Gefahr, nach vorne kann ich das Feld überblicken. Da läßt es sich dann getrost frei sprechen. Theoretisch könnte man zu diesem Zweck auch einen Platz mitten im Busch benutzen. In dieser nach allen Seiten hin offenen afrikanischen Weite versucht man automatisch, sich bestimmte Fixpunkte zu setzen. Man braucht einen Halt, um sich nicht zu verlieren. Zäune dienen dazu, das eigene Umfeld zu strukturieren. Wie legt man in Botswana Zäune an ? Zuerst wird ein Graben gezogen, der den Verlauf vorgibt und als Halterung für die Holzpflöcke dient. Darin steckt dann ein Stock neben dem anderen, so daß eine sehr dichte, palisadenähnliche Zaunstruktur entsteht, die zusätzlich mit Dornen oder Gestrüpp verstärkt wird. Es wird erstaunlich viel Holz dafür aufgewendet, immerhin ist es ja nicht im Überfluß vorhanden. Das Ergebnis ist eine ausgesprochen dauerhafte Konstruktion. Durch das trockene Klima verrottet das Holz auch langsamer als bei uns in Europa. Wir denken beim Stichwort Zaun als erstes an einen Weide- oder Gartenzaun. Vermutlich sind Zäune aber entwicklungsgeschichtlich erheblich älter als Viehhaltung und Feldbau. Schon die frühen Wildbeuterkulturen dürften Fangzäune errichtet haben, vielleicht analog zu den Reusen für den Fischfang. Das Wild wird in unübersichtlichem Gelände in eine Sackgasse getrieben, wo es sich dann leicht erlegen läßt. Hat man mehrere Tiere auf einmal gefangen, wäre es unvernünftig, alle sofort zu töten, da man so viel Fleisch beim besten Willen nicht auf einmal essen kann. Es läge daher nahe, den Zugang zum Fanggehege zu verschließen, um die Beute ein paar Tage lang verfügbar zu halten. Auch so entsteht ein Zaun. Das hat noch nichts mit Domestikation zu tun, ist erst einmal eine Kombination aus Falle und Vorratshaltung. In Lascaux wie auch in anderen steinzeitlichen Höhlen finden sich etliche Darstellungen von Gitterstrukturen. Ganz ähnliche Muster habe ich jetzt auch bei den Tsodilo Hills im Norden Botswanas gesehen, auf Felsbildern der Buschmänner. Stellen diese Gitter Zäune dar, Korrale, Fallgruben ? Im Nationalmuseum in Gaborone bin ich auf Bücher gestoßen, denen zufolge schon die Buschleute ki- lometerlange Zäune errichtet haben, um Tiere auf Fallgruben zuzutreiben. Mit diesen Konstruktionen lenkten sie die Bewegungen der Wildtiere. Ein prähistorisches Verkehrsleitsystem. Für eine so komplexe Operation benötigt man viele Leute, genug Material und Logistik. Ich vermute daher, daß sich schon bei diesen Treibjagden mehrere Buschmann-Gruppen zusammentaten. Da man auch zahlreiche Beute machte, zahlte die Kooperation sich aus. Mit fünf Zebras in einer solchen Einfriedung konnte man es sich schon für eine Weile gemütlich machen. Eine vorübergehende Seßhaftigkeit wäre die Folge gewesen, als erster Vorgeschmack auf künftige Zeiten. Interessanterweise benutzt man in afrikanischen Schutzgebieten bis heute diese Technik, um Wildtiere lebend zu fangen. Dafür werden Zäune aus Plastikfolie durch die Wildnis gezogen und die Operationen mit entsprechend zeitgemäßen Mitteln durchgeführt. Hubschrauber treiben die Tiere zusammen, bevor sie am Ende des Korrals über eine Rampe direkt in den geöffneten Lastwagen laufen. Kommen wir noch einmal auf die Entwicklungsgeschichte zurück. Mit der Domestikation von Nutztieren kam es dann sicher zu einem Boom im Zäunebau. Obwohl auch hier zunächst die ‚nomadische Alternative‘, wie Bruce Chatwin einmal einen Aufsatz überschrieben hat, vorgeherrscht haben dürfte. Also mit Hirten statt Zäunen. Außerdem kamen noch Hunde als Helfer hinzu. Selbst die Domestikation bedingte also nicht notwendigerweise das Aufstellen von Zäunen. Die dürften dann irgendwann eher als Notlösung aufgetaucht sein. Mit allen Konsequenzen. Nun mußte man das Futter zum Vieh bringen, man brauchte eine Wasserstelle, mußte pflanzliche Nahrung für Mensch und Tier planmäßig anbauen, statt sie auf Streifzügen durch den Busch zu sammeln. Zäune erlauben uns, Energie zu sparen. Zugleich bedeuten sie eine grundsätzliche Trennung zwischen Mensch und Natur. Mit umgekehrten Vorzeichen kehrt diese Scheidung im heutigen Naturschutz wieder. Dort dienen Zäune dazu, überhaupt noch ein Nebeneinander beider Nutzungsformen zu ermöglichen. Auch das wiederum eine Notlösung. Zäune machten aus einem ‚sowohl-als-auch‘ ein ‚entweder-oder‘. Nomadische Viehhaltung ermöglicht die Koexistenz von Menschen, Haus- und Wildtieren, seßhafte Viehhaltung dagegen bedingt eine Trennung. Auf den Felsmalereien in den Tsodilo Hills stehen Haus- und Wildtiere noch einträchtig beieinander. Ich habe bei den Massai des öfteren beobachtet, wie Zebras und Antilopen sich mit einer Rinderherde vergesellschafteten. So profitierten sie von der Geborgenheit in der Gruppe und dem Wächteramt des Menschen. Aus Sicht des Zebras ist eine Rinderherde allemal besser als gar keine Herde. Der Herdentrieb scheint der Domestikation bestimmter Tierarten in die Hände gearbeitet zu haben. In Botswana hast du dich nun vor allem mit den sogenannten ‚Veterinärzäunen‘ beschäftigt, die das Land über Hunderte von Kilometern durchziehen. Als diese Zäune im großen Stil installiert wurden, begründete man das mit der Gefahr von Seuchen, die vom Wild auf Haustiere übertragen werden könnten. Das ist allerdings umstritten; mittlerweile gibt es etliche Wissenschaftler, die eine umgekehrte Übertragungsrichtung für wahrscheinlicher halten. Dann wären diese Zäune ja tatsächlich ein gewisser Schutz für die Wildtiere, wenn auch wider Willen. In der Praxis hatten sie verheerende Auswirkungen auf das Wild. Plötzlich stießen etwa die Gnus bei ihren Wanderungen auf ein unüberwindbares Hindernis. Gezwungenermaßen folgten sie seinem Lauf, in der vergeblichen Hoffnung, es irgendwo passieren zu können. Sie sind fast alle verdurstet. Mittlerweile haben die Raubtiere sogar gelernt, ihre Beute gezielt in die Zäune zu treiben. Die Tiere laufen ins Verderben. Ich glaube schon, daß das von Anfang an billigend in Kauf genommen wurde. Die klassische Projektion: das Wilde als das Böse, das Zivilisierte als das Gute. Der Krankheitsaspekt wird meiner Erfahrung nach gern vorgeschoben, während die harte Konkurrenz um Wasser und Weiden diskret verschwiegen wird. Man hätte die Zäune auch wildtierfreundlicher gestalten können. Indem man zumindest leichteren Arten wie Antilopen ermöglicht, sie an geeigneten Stellen zu überwinden. Die einzigen, die sich überall ihre Bahn brechen, sind die Elefanten. Obwohl diese Zäune massiv gebaut und teilweise elektrisch geladen sind. Elefanten bereiten den Verwaltern der Veterinärzäune denn auch das meiste Kopfzerbrechen. Wo sie einmal eine Bresche geschlagen haben, folgen bald Raubtiere und schließlich Wildtiere aller Art. Die Elefanten verkörpern dort das chaotische Prinzip. Zugleich gelten sie als Inbegriff von Wildnis und Freiheit, und wir bewundern sie gerade, weil sie sich nicht einengen lassen. Was die Konkurrenz um Wasser angeht, gibt es ein markantes Beispiel an der Westgrenze des ‚Makgadikgadi‘ Nationalparks: dort wurde entlang des Boteti–Flusses ein neuer Zaun gebaut. Der Fluß bildet die natürliche Grenze des Parks und stellt für Wildtiere wie Haustiere der Region die wichtigste Wasserquelle dar. Leider wurde der Zaun so geführt, daß nur die Hausrinder ans Wasser kommen. Dabei wäre eine einvernehmliche Lösung so einfach gewesen: man bräuchte den Zaun nur mäandrieren zu lassen, so daß er mal diesseits, mal jenseits des Flusses verläuft. Parallel zu dieser Entwicklung läßt sich in Botswana, wie anderswo auch, ein überproportionaler Rückgang großer Raubtiere feststellen. Sie werden durch die Trophäenjagd dezimiert, aber auch als Jagdkonkurrenten und Feinde des Weideviehs mit Ködern vergiftet. In der Folge funktioniert dann die natürliche Gesundheitspolizei (Hyänen, Geier) nicht mehr, weil viele davon ebenfalls durch das Gift sterben. Wenn die Kadaver nicht mehr ‚verputzt‘ werden, können Krankheitserreger ins Grundwasser gelangen und Seuchen hervorrufen, die die Bestände weiter dezimieren. Im ‚Chobe‘ Nationalpark mußten etliche tausend Büffel abgeschossen werden, weil sie mit Anthrax-Bakterien verseucht waren. Noch so ein Fall von biologischer Kriegsführung. A propos: die Grenze nach Angola sperrt ein Minengürtel. Auch er bildet eine Art von Zaun. All diese Eingriffe führen dazu, daß die früher ständig wandernden Herden immer statischer werden. In den Schutzgebieten versucht man deshalb, Wasserlöcher zu bohren, um die Wanderungen überflüssig werden zu lassen. Natürlich werden die Tiere um so mehr vom Management abhängig. Im Grunde passiert mit ihnen das gleiche, was mit uns im Laufe unserer Kulturgeschichte passiert ist: Verlust von Bewegungsfreiheit zugunsten der Seßhaftigkeit. Trotz alledem muß man sich immer wieder vergegenwärtigen, daß in Afrika viel größere Bereiche existieren, wo die Natur in all ihrer natürlichen Dynamik ablaufen darf. In Botswana stehen zwanzig Prozent des Staatsgebiets unter Schutz. Bei uns sind es weniger als fünf Prozent. Diese Veterinärzäune sind ja gewaltige Strukturen, zumal in einem menschenleeren Land, in dem sonst so gut wie gar nichts steht. Das gemahnt an die Chinesische Mauer, die über 5.000 Kilometer hinweg durch Wüsten und Berge verläuft. Historisch wohl das extremste Beispiel des Zaunprinzips. Interessanterweise richtete auch sie sich insofern gegen tierische Invasoren, als die Mongolen China ja gerade durch ihre überlegene Reiterei bedrohten. Obwohl die Große Mauer, mit enormen Opfern erkauft, ihren Zweck nur teilweise erreichte, veränderte sie letzlich doch erfolgreich historische Bewegungsmuster. Wie die Gnus am Veterinärzaun, wurden die Reiterscharen dadurch nach Westen abgelenkt. So kam es zu den ‚Mongolenstürmen‘ auf Europa. In China wirkt dieses Mammutunternehmen bis heute nach; ein ganzes Volk hat seine Identität aus dieser Grenzbefestigung bezogen. Selbst die elektronische Zensur, wie sie dort heute aufs Internet ausgeübt wird, ließe sich als ein virtueller Zaun begreifen. Jetzt müssen wir natürlich noch über die Berliner Mauer reden. Nicht von ungefähr bezeichneten sich DDR-Bewohner scherzhaft als ‚Gatterwild‘. Wobei die Mauer selbst eher mit Gefängnis- und Lagerarchitektur zu tun hatte als mit einem idyllischen Wildgehege. Wenn die Berliner Mauer nur ein Berliner Zaun gewesen wäre, hätte man sie nicht derart als Skandal empfunden. Ein Zaun markiert eine Grenze, die Mauer aber zementiert sie. Die einen werden ein-, die anderen ausgesperrt. Über einen Zaun hinweg kann man sich immer noch sehen, sprechen und berühren. Die Mauer hingegen sollte jeden Austausch unterbinden. Sie wirkte zugleich als Sichtblende. Was dann wieder kuriose Folgen hatte, etwa das Wettrüsten der Hochhäuser oder diese Aussichtsplattformen auf der westlichen Seite. Die fehlende Transparenz wurde als Affront empfunden. Welches Verhältnis besteht zwischen Zaun und Mauer ? Von der Wirkungsweise her sind sie erst mal unterschiedlich. Ein Zaun erlaubt eine gewisse Durchlässigkeit. Eine Mauer ist dagegen sehr hermetisch. Deshalb hat man schon früh das Fenster erfunden, um Kontakt nach draussen zu halten. In diesen Zusammenhang gehört wohl auch eine Installation, die ich in Villingen-Schwenningen gemacht habe. Dort stand ein Trampolin an der alten Stadtmauer, auf dem man hochspringen und über die Mauer blicken konnte. Es ging um das Überwinden von Grenzen. Damals war mir der Bezug zu meinen anderen Arbeiten, die sich vor allem auf Rinder bezogen, gar nicht so bewußt. Warum setzt du dich überhaupt so intensiv mit Zäunen auseinander ? Dazu kann ich sagen, daß sie mich schon sehr früh be- schäftigt haben. Nicht nur das, was sie einschließen, sondern auch das, was dahinter liegt. Oft mußte man zum Beispiel, um auf dem kürzesten Weg in den Wald, ‚die Natur‘ zu kommen, eine Viehweide überqueren und über den Zaun klettern. Das war jedenfalls einfacher, als außen herum zu gehen. Bezeichnenderweise geht die Beschäftigung mit Zäunen bei mir eng mit der Beschäftigung mit Wildnis einher. Wie entsteht Wildnis, wo endet sie, wieviel Wildnis ist heutzutage überhaupt noch möglich ? Damit habe ich mich in einer Reihe von Projekten auseinandergesetzt. Ein Ergebnis ist der Slogan ‚wilderness as usual‘. Wildnis kann heute nur mehr dort bestehen bleiben oder neu entstehen, wo der Mensch sein Verhältnis zu ihr reflektiert. Das beinhaltet auch, daß er sich selbst Grenzen zieht. Zäune können dabei als Modell dienen. Sie sind ihrer Natur nach ambivalent. Sie setzen eine Grenze, darüber hinweg ist aber auch Kommunikation möglich. Grenzen sind nicht per se etwas Negatives; sie geben vor, in welche Richtung man sich bewegen kann, wohin es weitergeht. Der Zaun als ein persönliches Leitsystem, ein Filter. Vielleicht neigen wir generell dazu, die Figur des Zauns zu negativ zu sehen. Als Freiheitsberaubung und etwas Einengendes. Du hebst eher auf die Steuerungsfunktion ab. Der Zaun reguliert, ordnet, orientiert. Man kann vielleicht auch sagen: er zivilisiert. Wie siehst du das Verhältnis zwischen Zaun und Freiheit ? Ich denke, sie brauchen einander. Ohne den einen hätte man keinen Begriff vom anderen. Freiheit als völlige Entgrenzung würde zur Qual, bedeutet totale Beliebigkeit, ohne Halt, ohne Form. Deshalb finde ich Gestaltung so wichtig. Das ist etwas Wunderbares: sich eine Situation zu schaffen, in der man Gestaltungsfreiheit hat. Selbst unter starken Einschränkungen gelingt dies noch. In der Kunst kommt Freiheit gerade über die entwickelte Form zum Ausdruck. Wäre deine Beschäftigung mit Zäunen so gesehen der Versuch, mittels der Grenze zu einer höheren Freiheit zu gelangen ? Der Weg ist offen. Derzeit will ich dem Zaun eher noch folgen als ihn überwinden. Ich hoffe, daß er mich irgendwohin führen wird, wo ich dieses spezielle Verhältnis besser zum Ausdruck bringen kann. Der Weg ist der Zaun. Ich bleibe ihm weiter auf der Spur. Im Jahr 1999 schrieb Stefan Schomann einen Artikel über ‚Auerochsen‘ für das GEO-Magazin. Im Rahmen seiner Recherche kreuzten sich unsere Wege zum ersten Mal. Gemeinsam besuchten wir die Originalhöhle von ‚Lascaux‘. Aus einem gemeinsamen Interesse für das Verhältnis von Mensch und Natur ist ein regelmässiger Dialog und eine wertvolle Freundschaft geworden. Das Gespräch wurde aufgezeichnet im Dezember 2005. *Stefan Schomann (43) freier Journalist und Autor (Berlin): Geo, Die Zeit, Frankfurter Rundschau. In zahlreichen Reportagen und Essays hat er sich mit dem Verhältnis zwischen Mensch und Natur auseinandergesetzt (www.autoren-reporter.de). Daniel Kufner (32) Agentur für Naturschutz (www.ecotopics.de)