Predigt über Johannes 8,3-11 - Vergebung gibt Kraft zum Neuanfang
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Predigt über Johannes 8,3-11 - Vergebung gibt Kraft zum Neuanfang
Predigt über Johannes 8,3-11 „Wer ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein“ - dieser Kernsatz aus dem Bibelabschnitt für die heutige Predigt ist ebenso zum geflügelten Wort geworden wie unser Sprichwort: „Wer im Glashaus sitzt, soll nicht mit Steinen werfen.“ Wir hören die biblische Erzählung im Zusammenhang; sie steht im achten Kapitel des Johannesevangeliums ab Vers 3: 3 Die Schriftgelehrten und Pharisäer brachten eine Frau zu Jesus, beim Ehebruch ergriffen, und stellten sie in die Mitte 4 und sprachen zu ihm: Meister, diese Frau ist auf frischer Tat beim Ehebruch ergriffen worden. 5 Mose aber hat uns im Gesetz geboten, solche Frauen zu steinigen. Was sagst du? 6 Das sagten sie aber, ihn zu versuchen, damit sie ihn verklagen könnten. Aber Jesus bückte sich und schrieb mit dem Finger auf die Erde. 7 Als sie nun fortfuhren, ihn zu fragen, richtete er sich auf und sprach zu ihnen: Wer unter euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein auf sie. 8 Und er bückte sich wieder und schrieb auf die Erde. 9 Als sie aber das hörten, gingen sie weg, einer nach dem andern, die Ältesten zuerst; und Jesus blieb allein mit der Frau, die in der Mitte stand. 10 Jesus aber richtete sich auf und fragte sie: Wo sind sie, Frau? Hat dich niemand verdammt? 11 Sie antwortete: Niemand, Herr. Und Jesus sprach: So verdamme ich dich auch nicht; geh hin und sündige hinfort nicht mehr. I. Vergebung oder Strenge des Gesetzes? Liebe Gemeinde, wie liberal ist Jesus? Diese Frage stellen sich Menschen nicht nur heute, sondern sie wurde offenbar auch von seinen Zeitgenossen erörtert. Die Menschen damals hatten ihre Erfahrungen mit Jesus gemacht - und die führenden Vertreter der jüdischen Glaubensgemeinschaft auch. Da hat sich Jesus von einer stadtbekannten Hure die Füße küssen lassen und ihr die Sündenvergebung zugesprochen. 1 Er hat das Gleichnis vom verlorenen Sohn erzählt, den der Vater wieder bei sich aufnimmt 2 - und er war beim Oberzöllner Zachäus eingekehrt, den alle anderen einhellig als unreinen Sünder verurteilten.3 Die Erzählung von Jesus und der Ehebrecherin steht in vielen Bibelausgaben in eckigen Klammern. Der Grund dafür ist, dass die Geschichte in den alten Abschriften und Handschriften des Neuen Testaments noch nicht auftaucht, sondern erst später. Die Forscher billigen der Erzählung dennoch ein hohes Alter zu - doch sind sie sich uneins, ob sich darin eine tatsächliche Begebenheit aus dem Leben von Jesus wieder findet. Wie auch immer diese Frage zu entscheiden ist - in dieser Geschichte spiegelt sich ganz deutlich das Verhalten von Jesus, wie es auch bei anderen Gelegenheiten von ihm berichtet wird. Wenn es um die Frage geht, wie eine Glaubensgemeinschaft mit Verfehlungen ihrer Mitglieder umgeht, beantwortet die Erzählung ganz klar die Frage: „What would Jesus do?“, wie es junge Leute ausdrücken: „Was würde Jesus tun?“ Jeder, der nach den Worten von Jesus leben möchte, wird sich diese Frage immer wieder stellen - und deshalb ist diese Geschichte auch für uns heute hochaktuell. Wird Jesus bei dieser Frau, die offenbar auf frischer Tat beim Ehebruch ertappt wurde, dieselbe Großmut zeigen wie bei der Hure oder dem Zöllner? Diese Frage interessiert diejenigen, welche die Frau zu Jesus bringen, viel mehr als das Schicksal der Frau selbst. Aufgrund der liberalen und toleranten Haltung, die Jesus gegenüber Außenseitern und Gesetzesübertretern an den Tag legt, erwar1 Lukas 7,36-50. Lukas 15,11-32. 3 Lukas 19,1-10. 2 1 ten die Religionsvertreter offenbar, dass Jesus auch den Ehebruch nicht zu streng bewertet. Wofür wird Jesus sich entscheiden: Vergebung oder Strenge des Gesetzes? Die Männer, die jene Frau zu Jesus bringen, stellen ihm nicht nur eine Frage, sondern eine Falle: Wenn Jesus jetzt nicht die vom biblischen Gesetz vorgeschriebene Todesstrafe fordert, können sie ihn anklagen, er habe gegen das Gesetz des Mose4 verstoßen. Entweder widerspricht Jesus der klaren Aussage des Gesetzes - oder er verleugnet seine Botschaft der Vergebung. In beiden Fällen steht er ganz schlecht da, und seine Gegner können ihm einen Strick daraus drehen. Die Ankläger sprechen Jesus mit dem Ehrentitel „Meister“, also als Lehrmeister an. Damit wollen sie wohl kaum seine geistliche Lehrbefugnis anerkennen, sondern die Anrede ist eher ironisch gemeint. Sie wollen mit ihrer Anfrage nach einer Stellungnahme von Jesus zum Ehebruch überprüfen, ob ihm dieser Titel eines bevollmächtigten Gesetzesauslegers wirklich zusteht. Wofür wird sich Jesus entscheiden: Vergebung oder Strenge des Gesetzes? II. Vergebung heißt nicht „Schwamm drüber!“ Jesus entscheidet sich für beides. Denn mit seinen Antworten an die Ankläger und an die Angeklagte sagt er ganz klar: Das Gesetz bleibt in Geltung, doch die Strafe wird erlassen. Mit diesem salomonischen Urteil landet Jesus einen diplomatischen Coup, wie es die Politiker heute nennen würden. Denn Jesus gewährt der Frau Vergebung, indem er ihr die vom Gesetz vorgeschriebene Strafe erlässt. Doch damit schafft er das Gesetz nicht ab, sondern bekräftigt seine Gültigkeit. Denn am Ende sagt er zu der Frau, die des Ehebruchs angeklagt wurde: „Geh hin und sündige hinfort nicht mehr.“ „Sündige nicht mehr“ - damit sagt Jesus: Was die Frau getan hat, war Sünde! Er gewährt ihr für diese Sünde Vergebung - doch Vergebung heißt nicht einfach „Schwamm drüber!“ Wenn sich eine verheiratete Frau oder ein verheirateter Mann mit einem anderen Partner oder einer anderen Partnerin einlässt, dann wird das vom biblischen Gesetz ganz klar als Sünde bezeichnet und von Jesus auch! Als Randnotiz sei bemerkt: Die Ankläger behaupten, die Frau sei auf frischer Tat beim Ehebruch ertappt worden - also mit einem anderen Mann. Die biblischen Gebote im Alten Testament fordern ganz klar die Todesstrafe für beide, den Mann und die Frau - doch angeklagt wird hier nur die Frau. Damit liegt in dieser Geschichte auch eine deutliche Kritik daran, wenn bei Männern und Frauen (oder anderen unterschiedlichen Personengruppen) mit zweierlei Maß gemessen wird - vor Gott sind alle gleich! Zu den Anklägern, die Jesus mit ihrem Fall bedrängen, sagt Jesus nur einen einzigen Satz: „Wer unter euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein auf sie.“ Die Fragesteller antworten auf diesen herausfordernden Satz von Jesus durch die Tat. Keiner kann ehrlich von sich behaupten, sündlos zu sein. Deshalb gehen zuerst die Ältesten und danach alle anderen nach und nach hinaus, und keiner wirft einen Stein. Jesus bleibt allein mit der Frau zurück. Damit hat Jesus allen sehr eindrücklich deutlich gemacht: Letztlich kann kein Mensch die hohen Anforderungen der biblischen Gebote erfüllen; alle versündigen sich immer wieder dagegen. Und weil alle Menschen immer wieder gegen Gottes Gebote verstoßen, ist können wir vor Gott nur dann bestehen, wenn uns wie der Frau durch Jesus Vergebung zugesprochen wird. Als Jesus mit der Frau allein zurückbleibt, fragt er sie, wo ihre Ankläger geblieben sind: „Wo sind sie, Frau? Hat dich niemand verdammt? Sie antwortete: Niemand, Herr. Und Jesus sprach: So verdamme ich dich auch nicht.“ Anstatt die Frau bei ihrer Schande zu behaften, lenkt Jesus den Blick auf die Schuldverfallenheit aller Menschen. Dadurch, dass sich alle Ankläger kleinlaut davonschlei- 4 Vgl. 3. Mose 20,10 und 5. Mose 22,22-24. 2 chen, wird auf beeindruckende Weise deutlich: „Keiner wagt es, über der Sünderin den Stab zu brechen, alle wissen sich schuldig - so oder so!“ 5 Zu der Frau sagt Jesus: „Geh hin und sündige hinfort nicht mehr.“ Damit macht Jesus wie gesagt deutlich: Die Bibel sagt nach wie vor ganz klar, welches menschliche Verhalten Gott gutheißt und welches nicht. Für ihr Fehlverhalten erfährt die Ehebrecherin Vergebung von Jesus, der ihr eine neue Chance gibt. Doch Vergebung heißt nicht einfach „Schwamm drüber!“ Die Frau erhält durch Jesus die Gelegenheit zum Neuanfang und soll ihr Verhalten ändern: In Zukunft soll sie so leben, dass sie Gott Freude macht und ihren Mitmenschen kein Leid zufügt. Jesus schenkt dieser Frau Gnade und Vergebung, doch seine Vergebung ist keine billige Gnade - so hat es Dietrich Bonhoeffer ausgedrückt: „Billige Gnade heißt Gnade als Schleuderware, verschleuderte Vergebung ...“ 6 Gott ist nicht einfach ein gutmütiger alter Mann mit Rauschebart, der großherzig über alles hinwegsieht. Einen solchen Gott bräuchte niemand mehr ernst zu nehmen. Mit seiner Vergebung für die Ehebrecherin befördert Jesus keine postmoderne Gleichgültigkeit, wie sie in unserer heutigen Gesellschaft anzutreffen ist nach dem Motto: „Ist doch alles wurscht - Jeder soll so leben, wie er will“! Jesus sagt zu der Frau: „Geh hin und sündige hinfort nicht mehr.“ Auch Jesus hat ganz klare Vorstellungen, wie unser Leben in Gottes Augen gut wird und wie es für uns und unsere Mitmenschen förderlich und heilsam ist. Die Zusage der göttlichen Vergebung ist ungeheuer entlastend - sie befreit uns von dem Druck, immer alles richtig machen zu müssen. Und wenn wir es wieder einmal nicht geschafft haben, nach Gottes Willen zu leben, dann lässt Gottes Vergebung uns neu anfangen. Doch Gottes Gnade und Vergebung ist nicht billig - sie ist teuer, denn sie hat Gott seinen Sohn gekostet. Jesus hat am Kreuz unsere Sünde getragen, damit wir Vergebung erfahren und unsere Beziehungen zu Gott und zu unseren Mitmenschen geheilt werden. Jesus bekräftigt die Gültigkeit des Gesetzes, das für die Sünde des Ehebruchs die Todesstrafe vorsieht; „der Sünde Sold ist der Tod“, so schreib es der Apostel Paulus im Römerbrief.7 Doch vollstrecken darf dieses Gesetz nur derjenige, der selbst sündlos ist - also letztlich nur Gott selbst. Und Gott ist auch der Herr, der Vergebung schenkt, wie es der Psalmbeter ausdrückt: „Wenn du, Herr, Sünden anrechnen willst — Herr, wer wird bestehen? Denn bei dir ist die Vergebung, dass man dich fürchte.“ 8 Die Vergebung hat deshalb mit Gottesfurcht zu tun, weil Gottes Gesetz in Geltung bleibt. Denn die Vergebung geht aus der freien Gnade Gottes hervor, der die Sünde vergibt und das Gesetz nicht vollstreckt - wir brauchen ihn nur darum zu bitten. Auch die angeklagte Frau spricht Jesus ehrfürchtig mit dem Titel „Herr“ an. Damit erkennt sie Jesus als geistlichen Lehrer an, der Gottes Gesetz verbindlich auslegen kann. Und sie preist ihn als den Herrn, der eine Verurteilung oder die Zusage der Vergebung aussprechen kann. Und Jesus spricht ihr Vergebung zu. Vergebung heißt nicht „Schwamm drüber!“ - aber: III. Vergebung gibt Kraft zum Neuanfang Jesus gibt der Frau eine neue Chance. Mit der Aufforderung „Geh“ entlässt er sie in ein neues Leben. Aufgrund der Vergebung, die sie von Jesus erfahren hat, soll und kann sich in ihrem Leben etwas ändern. Gottes Gebot, das sie übertreten hat, bleibt in Geltung; doch aus lauter Gnade erlässt ihr Jesus die Strafe. Aus Dankbarkeit für die erfahrene Vergebung kann und wird sie nun in ihrem Leben dem guten Willen Gottes folgen. Das traut ihr Jesus zu. Die Vergebung für ihre Sünde schließt es schlichtweg aus, dass sie ihr sündiges Verhalten einfach fortsetzt. Doch erst aus der erfahrenen Vergebung erwächst die Kraft zum Neuanfang. Nur durch 5 MICHAEL THEOBALD, Das Evangelium nach Johannes. Kapitel 1-12, Regensburger Neues Testament, Regensburg 2009, 560. 6 DIETRICH BONHOEFFER, Nachfolge, hg. v. MARTIN KUSKE u. ILSE TÖDT, DBW 4, München 1989, 29f. 7 Römer 6,23. 8 Psalm 130,3f. 3 Vergebung wird einem Menschen wirksam geholfen, der schuldig geworden ist. Denn ein schuldiger Mensch wird mit der Befreiung von seiner Schuld befähigt, die frühere Verfehlung hinter sich zu lassen. So kann er oder sie zu einem verantwortlicheren Leben finden. Und im Fall des Ehebruchs wird durch Vergebung und Neuanfang die Ehe unvergleichlich besser geschützt als durch die Tötung des Ehebrechers. Das ist der Weg, den Jesus gezeigt hat: Vergebung gibt Kraft zum Neuanfang. Das ist heute nicht anders: Vielleicht ist mir ja schon längst bewusst, dass sich in meinem Leben manches ändern muss - in Ehe und Familie, in meinem Verhalten gegenüber anderen Menschen, in meinem Umgang mit Gottes Schöpfung, in der Wahrnehmung meiner Verantwortung, in der Gestaltung meiner Zeit und und und ... Nur wie schaffe ich es, in meinem Leben das Ruder herumzureißen? Indem ich alle meine Kräfte zusammenreiße und mir selbst einen moralischen Tritt in den Hintern verpasse? Nach dem, was Jesus uns hier zeigt, wird das nicht funktionieren. Nur Vergebung gibt Kraft zum Neuanfang. Die Kraft zur Veränderung in meinem Leben empfange ich dadurch, dass ich mir immer wieder ganz bewusst von Jesus diese Vergebung zusprechen lasse: indem ich die Zusage seiner Gnade im Gottesdienst im Glauben höre und annehme, indem ich die Vergebung von Jesus im Abendmahl sehe und schmecke, oder indem ich in einem Seelsorge-Gespräch meine Schuld bekenne und mir die Vergebung durch einen Seelsorger im Namen von Jesus zusprechen lasse. Das geht nicht nur beim Pfarrer oder bei der Pfarrerin, sondern auch im vertraulichen Gespräch mit anderen Mitchristen. Dann werden wir auch unter Christen anders miteinander umgehen. Eine Bekannte, die weiter weg wohnt, erzählte mir von einem Erlebnis in ihrer Kirche: Sie hatte sich gerade von ihrem Mann getrennt. Als sie eines Sonntags zum Gottesdienst kam, sagte jemand in der Kirche zu ihr: „Dass du überhaupt noch hierher kommst! Du weißt doch, wie hier alle über dich denken!“ Meine Bekannte zeigte nur nach oben und sagte: „Weißt du, eigentlich bin ich ja wegen ihm hier.“ Inzwischen geht sie zu einer Freikirche. Und ich kann sie sogar verstehen. Wie gehen wir in der Kirche miteinander um - und mit den Verfehlungen der anderen? Nageln wir Glaubensgeschwister auf ihre Verfehlungen fest - und geben ihnen zu verstehen, dass sie in unserer Gemeinschaft der Heiligen eigentlich nichts zu suchen haben? „Wer unter euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein.“ Wenn wir die Geschichte von Jesus hören - ergreifen wir dann nicht schnell Partei für die bloßgestellte Ehebrecherin und ärgern uns über ihre unerbittlichen Ankläger? Aber wie viel von den Schriftgelehrten und Pharisäern steckt in uns? Machen wir es wie sie, wenn wir bei anderen ein Fehlverhalten feststellen - oder folgen wir dem Beispiel von Jesus? In letzter Zeit hatte ich viele Trauungen hier in der Kirche. Die meisten Männer und Frauen, die hier vor den Altar traten, waren ledig. Aber es waren auch Geschiedene darunter. In Gesprächen mit solchen Brautpaaren weise ich darauf hin, dass nach den Aussagen der Bibel die Ehe unauflöslich ist. Aber ich spreche mit ihnen auch von der Kraft der Vergebung, und ich möchte ihnen gern einen Neuanfang ermöglichen. Und dass wieder verheiratete Geschiedene in der evangelischen Kirche zum Abendmahl zugelassen sind, ist nur folgerichtig, wenn wir uns das Beispiel von Jesus anschauen. Denn die Gnadenzusage im Abendmahl ist eine wirksame Hilfe für den Neuanfang, den das Vergebungswort von Jesus gerade ermöglichen will. Vergebung gibt Kraft zum Neuanfang. Zum Abschluss wollte ich Ihnen noch eine Geschichte erzählen, die den Kern der Erzählung von Jesus und der Ehebrecherin anschaulich macht. Ich habe zwei Geschichten dazu gefunden und konnte mich nicht zwischen den beiden entscheiden. Deshalb erzähle ich sie einfach beide - denn vielleicht ist die erste eher für Ältere, die zweite eher für Jünger geeignet. Die erste ist die Novelle "Das Netz" (1956) von Werner Bergengruen. „Sie spielt auf einer kleinen Mittelmeerinsel. Die Frau eines Fischers hat in Abwesenheit ihres Mannes Ehebruch mit einem Steuermann begangen: "Wie in einem Netz hat er mich gefangen." Während der Ehebrecher ... nicht behaftet wird, soll sie mit dem Tode bestraft und vom sog. Schwarzen Felsen hinabgestürzt werden. 4 Zwar möchte sie vorher noch die Vergebung ihres Mannes erlangen, aber der - obwohl inzwischen von der See heimgekehrt - lässt sich nicht blicken. In Wirklichkeit hat er während der ganzen Nacht unterhalb der Steilklippe Netze gespannt, die dann der Hinabgestoßenen das Leben retten. "So bist du jetzt deinem Manne ins Netz gegangen", heißt es am Ende. Zudem erkennen darin die Bewohner der Insel ein wundersames Eingreifen Gottes. Jedenfalls weiß nun diese Frau, dass sie in der Liebe und Vergebung ihres Mannes für immer geborgen sein wird - so wie [Jesus] uns Sündern immer wieder einen neuen Anfang schenkt.“ 9 Das war eine erfundene Geschichte. Die zweite ist eine wahre Geschichte - in ihr erzählt ein Mann von einem Erlebnis als Jugendlicher: »Ich war vielleicht 12 oder 13 Jahre alt und hatte einen heißen Wunsch. Eine fette CB-Funk-Antenne am Haus meiner Eltern. Das wär's! Möglichst hoch sollte sie über unser Haus ragen, damit der Empfang möglichst genau ist. Also machte ich mich an die Arbeit, verschraubte Winkelprofil mit Winkelprofil, bis eine gute Höhe erreicht war. Nur noch schnell an die Hauswand gedübelt ... Fertig war meine eigene CB-Funk-Station. Das Dumme war nur: Meine Eltern wussten von der Hausdübel-Aktion nichts. Die waren nämlich im Urlaub. Noch dümmer war es, dass ich mich am Telefon verplapperte, als mein Vater aus dem Urlaub anrief. Am anderen Ende der Leitung machte sich eine gewisse Verärgerung bemerkbar - doch zu spät: Die Antenne war an die Hausmauer gedübelt. Das würde Ärger geben, wenn der Urlaub zu Ende war. Schaudernd wartete ich auf die Rückkehr meiner Eltern und war - durch die Schadenfreude meiner Schwester bestärkt - auf jede Strafe gefasst. Doch dann passierte etwas, womit ich nicht gerechnet hatte: Meine Eltern kamen zurück. Mein Vater schaute sich die Mauer an, die ich mit der Antenne verunstaltet hatte, und sagte nur einen Satz: »Das war nicht gut! - Wir bauen einen höheren Mast, direkt an die Garage!« Ich war verwirrt und glücklich zugleich. Was war passiert? Mein Vater hatte gemerkt, dass ich meinen Fehler bereute, und mir deutlich gemacht: Vergebung ist der erste und wichtigste Schritt, danach erfolgt die Veränderung. Das ist mir bis heute bleibend ins Herz geschrieben!« 10 Vergebung oder Strenge des Gesetzes? Vergebung heißt nicht „Schwamm drüber!“ Vergebung gibt Kraft zum Neuanfang Amen. 9 Zitiert nach: S. BERGLER, Predigtmeditationen im christlich-jüdischen Kontext V, Wernsbach 2012, S. 245. Übertragen aus: KARSTEN BEEKMANN, Crosschannel Andachten des ERF »Worauf du dich verlassen kannst«; zitiert nach DERS., 23.06.2013 4. Sonntag nach Trinitatis - Johannes 8,3-11, Zuversicht und Stärke, Reihe V/4, Holzgerlingen 2013, S. 39f. 5 10