Kreisverwaltungsreferat

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Frau Zingler
Kreisverwaltungsreferat
Hauptabteilung I
Veranstaltungs- und
Versammlungsbüro (VVB)
KVR-I/332
Dürfen Neonazis am 9. November in München demonstrieren?
Antrag Nr. 2698 der Stadtratsfraktion Bündnis 90/Die
Grünen/RL vom 19.10.2005
1 Anlage
Beschluss des Kreisverwaltungsausschusses vom 25.10.2005 (SB)
Öffentliche Sitzung
I.
Vortrag des Referenten
Sachverhalt
Herr Hayo Klettenhofer meldete am 02.09.2005 für den 9. November 2005 eine Versammlung auf dem „Odeonsplatz, Feldherrnhalle“ mit 50 Teilnehmer/innen zum Thema „Ehre
den 16 Toten vom 9. November 1923“ an. Als Kundgebungsmittel sollen Transparente,
Fahnen, Musik und Fackeln zur Verwendung gelangen. Herr Klettenhofer soll selbst als
Versammlungsleiter fungieren.
Desweiteren meldete Herr Norman Bordin für Mittwoch, den 09.11.2005, in der Zeit von
18.00 Uhr bis 22.00 Uhr, eine Versammlung auf dem Marienplatz mit mindestens 20 Teilnehmern zu dem Thema „16. Jahrestag des Mauerfalls!“ an.
Als Kundgebungsmittel sollen Flugblätter, Fahnen, 16 Fackeln, Lautsprecheranlage, Megaphon, Lautsprecherfahrzeug, Musik von elektronischen Datenträgern via Lautsprecheranlage (u.a. „Schulhof-CD“), Stromgenerator, Scheinwerfer (zum Anstrahlen der Transparente) zur Verwendung gelangen.
Als Versammlungsleiter sollten Herr Norman Bordin, als Stellvertreter Herr Hayo Klettenhofer fungieren. Zwischenzeitlich wurden Herr Norman Bordin und Herr Roland Wuttke für
die Versammlungsleitung benannt.
Rechtliche Bewertung
Das Recht, Versammlungen abzuhalten, ist ein im Grundgesetz der Bundesrepublik
Deutschland verankertes Grundrecht (Art. 8 des Grundgesetzes -GG-).
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Versammlungen dürfen nur aus bestimmten, im Versammlungsgesetz definierten Gründen mit Auflagen versehen oder, wenn die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei der
Durchführung der Versammlung oder des Aufzuges unmittelbar gefährdet ist, verboten
werden.
Rechtsgrundlage für ein Verbot einer Versammlung ist § 15 Abs 1 VersammlG. Danach
kann eine Versammlung verboten werden, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung
der Versammlung unmittelbar gefährdet ist.
Eine unmittelbare Gefährdung liegt dann vor, wenn im konkreten Einzelfall auf Grund von
belegten Tatsachen erkennbar eine unmittelbare Gefährdung wichtiger Gemeinschaftsgüter droht und die dabei von der Behörde anzustellende Gefahrenprognose einen hohen
Grad an Wahrscheinlichkeit aufweist. Dabei dürfen insbesondere bei einem vorbeugenden Verbot keine zu geringen Anforderungen an die Gefahrenprognose gestellt werden,
da bei irriger Einschätzung durch die Behörde noch die Möglichkeit einer späteren Auflösung bleibt (Beschluss des VG München vom 07.11.1997, M 7 S 97.7479).
Die rechtliche Prüfung ergab, dass die für den 09.11.2005 auf dem sog. Odeonsplatz
(Platz vor der Feldherrnhalle) geplante Nazi-Kundgebung des Herrn Klettenhofer mit
dem Thema "Ehre den 16 Toten vom 9. November 1923" aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung in vollem Umfang zu verbieten ist.
Hierbei kommt der neu geschaffenen Strafrechtsnorm des § 130 Abs. 4 StGB eine besondere Bedeutung zu:
Nach § 130 Abs. 4 StGB wird bestraft, wer öffentlich oder in einer Versammlung den öffentlichen Frieden in einer die Würde der Opfer verletzenden Weise dadurch stört, dass er
die nationalsozialistische Gewalt- und Willkürherrschaft billigt, verherrlicht oder rechtfertigt. § 130 Abs. 4 normiert damit drei Tatbestandsmerkmale, bei deren Vorliegen eine Versammlung gemäß § 15 Abs. 1 VersammlG verboten werden kann.
Eine Nazi-Demo, die die „Blutzeugen der Bewegung“ des sog. „Hitlerputsches“ (Marsch
auf die Feldherrnhalle am 9. November 1923) huldigt - überdies am 9. November und am
damaligen Ort des Geschehens mit Fackeln, Fahnen und Musik -, ist eine ungeheuerliche
Provokation und Verhöhnung der Opfer des NS- Unrechtsregimes und deren Nachkommen sowie der Münchner Bevölkerung; die Rechtsradikalen stören hierdurch den öffentlichen Frieden.
Aus diesen Gründen verfügte das KVR ein Gesamtverbot der Versammlung vor der Feldherrnhalle und wird eine derartige Neonazi-Demo mit diesem Thema auch zu keinem Zeitpunkt dulden.
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Die für den gleichen Tag auf dem Marienplatz angemeldete Versammlung des Herrn
Bordin mit dem Thema "16. Jahrestag des Mauerfalls!" kann hingegen nicht vollständig
verboten werden.
Zwar hat das KVR erhebliche Zweifel, ob der Anmelder mit seiner Versammlung tatsächlich an den 16. Jahrestag des Mauerfalls erinnern will oder ob dieses Thema nur ein
Deckmantel für rechtsradikales Gedenken ist.
Insbesondere hat die Behörde nicht verkannt, dass die thematische Wahl „16. Jahrestag
des Mauerfalls!“ möglicherweise nur dazu dienen soll, einen anderen zeitlichen Bezug
zum 9. November zu konstruieren und sich hierdurch versammlungsrechtliche Vorteile
verschaffen zu wollen.
Nach der - im Zusammenhang mit der Heß-Ersatzveranstaltung in Nürnberg ergangenen aktuellen Rechtsprechung des VGH Bayern ist allerdings die Behörde bei dem Vorwurf einer Tarnveranstaltung in der Beweispflicht (BayVGH, Beschluss v. 19.08.2005; Az.: 24 CS
05.2217). Das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz hat auf die diesbezügliche
Anfrage des Kreisverwaltungsreferates mitgeteilt, dass keine Erkenntnisse vorliegen, wonach das vom Versammlungsanmelder Norman Bordin genannte Thema dazu verwendet
wird, über einen direkten Bezug der obengenannten Versammlung zur Reichspogromnacht oder den Hitlerputsch hinwegzutäuschen.
Aus diesen Gründen hat das KVR keine rechtliche Handhabe, auch diese Nazi-Demo vollständig zu verbieten. Rechtlich möglich und notwendig war aus Gründen der öffentlichen
Sicherheit und Ordnung (Symbolschutz des Marienplatzes vor dem historischen Hintergrund des sog. Hitlerputsches und der Reichsprogromnacht, Schutz der Gedenkveranstaltung der Israelitischen Kultusgemeinde) eine örtliche Verlegung der Versammlung auf den
Karlsplatz.
Sollte sich jedoch bei der Durchführung der Kundgebung auf dem Karlsplatz (Stachus)
herausstellen, dass das angemeldete Thema tatsächlich nur ein Deckmantel für die Verherrlichung des 09.11.1938 oder anderer nationalsozialistischer Gedenktage sein sollte,
wird die Polizei vor Ort gegen diese Demonstration in der erforderlichen Weise einschreiten.
Daneben wurden für die Versammlung des Herrn Bordin weitere umfangreiche Auflagen
verfügt, um möglichen Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu begegnen.
Insbesondere wurden die Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen, das Tragen von Uniformen, Uniformteilen und gleichartigen Kleidungsstücken als
Ausdruck einer gemeinsamen politischen Gesinnung (z.B. Springerstiefel, sog. Bomberjacken etc.), das Rufen von Parolen mit der Wortfolge „Nationaler Widerstand“ (z.B „Hoch
lebe der Nationale Widerstand“ oder „Hier steht der Nationale Widerstand“), das Skandieren der Parolen „Ruhm und Ehre der Waffen-SS“ oder ähnlicher Parolen sowie Äußerungen und Darbietungen, die gegen einschlägige Strafbestimmungen und den Jugendschutz
verstoßen, verboten.
II.
Antrag des Referenten:
1. Vom Vortrag des Referenten wird Kenntnis genommen.
2. Der Antrag Nr. 2698 der Stadtratsfraktion Bündnis 90/Die Grünen/RL vom 19.10.2005
damit geschäftsordnungsgemäß behandelt.
3. Dieser Beschluss unterliegt nicht der Beschlussvollzugskontrolle.
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III.
Beschluss
nach Antrag
Der Stadtrat der Landeshauptstadt München
Der/Die Vorsitzende
Der Referent
Ober-/ Bürgermeister/in
Dr. Blume-Beyerle
Berufsmäßiger Stadtrat
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IV. Abdruck von I. bis III.
über den stenographischen Sitzungsdienst
an das Direktorium – Dokumentationsstelle
an das Direktorium – HA II/V 1 (5-fach)
an das Direktorium - Stadtkämmerei
an das Polizeipräsidium München
jeweils mit der Bitte um Kenntnisnahme
V. Wiedervorlage bei Kreisverwaltungsreferat GL/111
zu V.:
1. Die Übereinstimmung vorstehenden Abdrucks mit dem beglaubigten Original wird bestätigt.
2.
Mit Vorgang zurück zu Kreisverwaltungsreferat HA I/332
zur weiteren Veranlassung.
Am __________________
Kreisverwaltungsreferat – GL/111
I.A.