Welt am Draht - Theater Dortmund
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Welt am Draht - Theater Dortmund
Begleitmaterial für Pädagogen zu Welt am Draht von Rainer Werner Fassbinder. Nach dem Roman SIMULACRON-3 von Daniel F. Galouye und Fritz Müller-Scherz am Schauspiel Dortmund Spielzeit 2012/13 Deutschsprachige Erstaufführung: 02. Juni 2013, im Schauspielhaus Besetzung: Herbert Siskins, Chef des Instituts f. Kybernetik u. Zukunftsforschung (IKZ): Ekkehard Freye Prof. Henri Vollmer, Leiter des IKZ-Simulationssystems : Sebastian Kuschmann Günther Lause, IKZ-Sicherheitschef: Sebastian Graf Fred Stiller, Vollmers Nachfolger Leitung SIMULACRON: Frank Genser Hans Edelkern, IKZ-Sicherheitschef: Sebastian Kuschmann Gloria Fromm, Sekretärin: Julia Schubert Kommissar Lehner: Uwe Schmieder Maja Schmidt-Gentner, Sekretärin: Julia Schubert Eva Vollmer: Bettina Lieder Hahn, IKZ-Psychologe: Uwe Schmieder Karl Rupp, Journalist: Sebastian Graf Fritz Walfang, IKZ-Programmierer: Björn Gabriel Hartmann, Vorstandsvorsitzender Vereinigte Stahl AG: Sebastian Kuschmann Einstein, Kontakteinheit im Simulacron: Sebastian Kuschmann Mark Holm, neuer IKZ-Mitarbeiter: Sebastian Kuschmann Staatssekretär von Weinlaub: Sebastian Graf Identitätseinheiten: alle mit allen Regie: Claudia Bauer Bühne: Bernd Schneider Kostüme: Patricia Talacko Musik: Martin Juhls Licht: Sibylle Stuck Dramaturgie: Anne-Kathrin Schulz Regieassistenz: Tilman Oestereich Bühnenbildassistenz: Jennifer Schulz Kostümassistenz: Saskia Seifert Dramaturgieassistenz: Dirk Baumann Bühnenbildhospitanz: Nicolai Neugebauer Inspizienz: Tilla Wienand Soufflage: Lara Haucke 1. Biographisches 2. Stückinhalt 3. Simulierte Welten 4. Interview mit Fassbinder 5. Filmwirkung 1973 - 2010 6. Szenenvergleich Film/Theater 7. Aussagen zu Welt 1-3 von Fassbinder Kontakt und theaterpädagogische Begleitung: Sarah Jasinszczak, Theaterpädagogin Schauspiel, Theaterkarree 1-3, 44137 Dortmund 0231/5022555 oder [email protected] 1.Biographisches Rainer Werner Fassbinder (*31. Mai 1945 in Bad Wörishofen) wuchs in München auf. Als er sechs Jahre alt war, ließen seine Eltern sich scheiden, und er wurde von seiner Mutter (1922-1993) erzogen, die damals als Übersetzerin tätig war und 1959 den Journalisten Wolff Eder heiratete (Später spielte sie unter ihrem Mädchennamen Lilo Pempeit in den Filmen ihres Sohnes mit.). Nach dem vorzeitigen Abgang vom Gymnasium im Mai 1961 verdiente Rainer Werner Fassbinder seinen Lebensunterhalt durch Gelegenheitsarbeiten und nahm ab 1963 Schauspielunterricht, bestand jedoch 1966 nicht die Aufnahmeprüfung der Deutschen Filmund Fernsehakademie in Berlin. Daraufhin engagierte er sich in verschiedenen Theatergruppen in München, bis er 1968 sein eigenes „antiteater" (ohne h) gründete und dafür Bühnenstücke schrieb. 1969 drehte Rainer Werner Fassbinder seine ersten beiden abendfüllenden Kinofilme: „Liebe ist kälter als der Tod" und „Katzelmacher". Mit anderen Regisseuren gemeinsam gründete Rainer Werner Fassbinder 1971 den „Filmverlag der Autoren". 1974/75 leitete er das „Theater am Turm" (TaT) in Frankfurt am Main. Fernsehgeschichte schrieb er 1979/80 mit seiner fünfzehnstündigen, vierzehnteiligen Verfilmung des Romans „Berlin Alexanderplatz" von Alfred Döblin. Am 10. Juni 1982 fand Fassbinders Lebensgefährtin, die Cutterin Juliane Lorenz (*1957), den Siebunddreißigjährigen tot in seiner Wohnung. Vermutlich hatte er sich mit einer Überdosis Kokain und Schlaftabletten selbst das Leben genommen. In der kurzen Zeit, die ihm zur Verfügung stand, verfasste Rainer Werner Fassbinder 17 Theaterstücke; er inszenierte 44 Filme, schrieb ebenso viele Drehbücher, spielte in zahlreichen Filmen mit, produzierte fünf Filme, stand bei zwei Filmen selbst hinter der Kamera und war bei 15 Filmen für den Schnitt verantwortlich. Um Fassbinders Werk zu pflegen, gründete seine Mutter Liselotte Eder die Fassbinder Foundation. Nach ihrem Tod am 7. Mai 1993 übernahm Juliane Lorenz den Vorsitz. 2. Stückinhalt Fred Stiller tritt die Nachfolge von Professor Vollmer als Leiter am "Institut für Kybernetik und Zukunftsforschung" (IKZ) an, nachdem sein Vorgänger unter mysteriösen Umständen ums Leben gekommen ist. Das wichtigste Projekt des Instituts ist Simulacron: Ein Computerprogramm, das eine Welt mit künstlichen Menschen simuliert – die allerdings nichts davon ahnen, dass ihre Welt und sie selber nur eine Simulation sind. Simulacron 1 soll präzise Zukunfts-Prognosen möglich machen, gesellschaftliche, ökonomische und politische Vorgänge exakt voraussagen – ein bahnbrechender Forschungsansatz! Doch wer soll Nutznießer dieser Forschungsergebnisse sein? Die Industrie? Und: Was genau geht im Institut vor sich? Fred Stiller jedenfalls versucht, Licht ins Dunkel um Professor Vollmers Ableben zu bringen. Bald deutet alles auf eine großangelegte Verschwörung hin, bei der sich die Grenzen zwischen Sein und Schein auflösen. Denn als auch noch IKZ-Sicherheitschef Günther Lause plötzlich verschwindet, kann sich keiner außer Stiller daran erinnern, dass Lause überhaupt existiert hat... Wer bin ich? Was bin ich? Krimi, Abenteuer, Zukunftsvision: Die Welt in der Welt, Überwachte und Überwacher, Simulationen von Wirklichkeit, Menschen gefangen zwischen Realität und Illusion – verfangen in der Frage, wie viel von ihrem Leben sie wirklich selber in der Hand haben: In seinem legendären Film-Zweiteiler Welt am Draht von 1973 (nach dem Roman Simulacron-3 von Daniel F. Galouye) beleuchtet Rainer Werner Fassbinder bereits vor dem eigentlichen Beginn des gegenwärtigen Informationszeitalters eine philosophische Fragestellung, die in den letzten zwanzig Jahren an Brisanz gewonnen hat – alleine im Kino gibt es zahlreiche Spurensuchen zum Thema, z.B. The 13th floor, Existenz, Dark City, Die Truman Show oder Matrix. (Quelle: Schauspielhaus Dortmund) 3. Fassbinder Interview mit Jaques Grant (Ausschnitt) Wollen Sie Filme im Sinne Brechts machen? Ich weiß nicht, was das bedeuten soll… Natürlich bin ich beeinflusst von Brecht, und ich bewundere ihn, wie jeder am Theater. Aber ich verstehe nicht, was damit sonst noch ausgesagt wäre. Sie machen politische Filme. Ja, aber nicht im gleichen Sinn wie Brecht oder eine Partei. Weil ich wirklich nicht weiß, was wahr ist in diesem Moment. Ich glaube, es gibt für meine Filme keinen wirklichen Bezugspunkt, ich kann nicht sagen, irgendwo auf der Welt gibt es eine Ideologie, die meinem Standpunkt oder meiner Unschlüssigkeit entspricht. Ich bin in einer Position, in der ich feststellen kann: Das ist falsch, das funktioniert nicht - aber das ist auch schon alles. Außerdem stelle ich fest, dass es im Kommunismus viel mehr richtige Dinge gibt als im Kapitalismus, aber es gibt da auch vieles, was inakzeptabel ist. Können Sie das präzisieren? Ich habe nicht die Absicht, Ihnen eine Lektion in politischer Ökonomie zu erteilen, ich versuche ganz einfach, Ihnen anzudeuten, warum meine Filme nicht ideologisch sind. Darin liegt der ganze Unterschied zu Brecht, er war ein kommunistischer Theaterautor. Brecht war sehr viel religiöser als ich es bin, er hat geglaubt. Aber ich wüsste nicht, woran ich glauben sollte. In meinen Filmen stelle ich die Fragen, die ich mir selbst auch stelle, und meine Technik besteht darin, die Zuschauer dazu zu bringen, sich diese Fragen ebenfalls zu stellen. Das heißt, es geht darum, sie zu sensibilisieren. Darin besteht das ganze Problem, denn alle Regisseure wollen die Zuschauer für das sensibilisieren, was sie sagen. Man sensibilisiert niemand, wenn man ihm seine Realität kopiert. Sie scheinen nicht zu denen zu gehören, die der Meinung sind, die Bourgeoisie würde sich selbst überleben? Sie kann sehr sehr lange leben: Sie klammert sich an ihre Existenz und hat die Mittel, sich anzuklammern. Muss man ihr beim Sterben helfen? Man muss ihr ganz einfach aufs Maul schlagen. (Quelle: Jaques Grant: Der Sinn der Realität, 1974) 4. Simulierte Welten Eine Welt in der Welt – Rainer Werner Fassbinder erschuf mit seinem legendären FilmZweiteiler Welt am Draht nach dem Roman Simulacron 3 von Daniel F. Galouye ein ScienceFiction-Szenario, das offenbar gar nicht so realitätsfremd ist. Seit einigen Jahren wird in der Philosophie und den Naturwissenschaften jedenfalls ernsthaft und offen über die „Simulations-Hypothese“ diskutiert – und so unwahrscheinlich scheint es gar nicht zu sein, dass wir alle schon längst in einer simulierten Welt leben. Der Mensch wie wir ihn kennen also ein Schaltkreis, ein elektrischer Impuls, ein Haufen von Bytes und Daten in einem Simulationscomputer? Also alles nur künstlich? Auch wir, die bereits simulierten Wesen, könnten eines Tages – wenn der technologische Fortschritt es erlaubt – selbst eine Simulation einer künstlichen Welt starten und so eine Welt in der Welt schaffen. Theoretisch lassen sich so unendlich viele Welten vorstellen, die ihrerseits wieder eine Welt simulieren: der Beginn der Multiversum-Theorie. Beim Gedanken an eine künstliche Welt kommt unmittelbar die Matrix-Trilogie in den Sinn, in der die Menschheit als riesiges Energie-Reservoir ausgebeutet wird, während den Menschen ein ‚normales’ Leben nur vorgegaukelt wird. Neo, der Auserwählte, führt den Kampf gegen die Ausbeuter und Unterdrücker an, um die Menschheit aus der künstlichen Matrix zu erlösen und in die echte Welt zu bringen. Aber auch dieses Vorgehen ist in der wissenschaftlichen Debatte um die Simulations-Hypothese umstritten: Wie sollte man sich in einer Simulation am besten verhalten? Wenn man unter ständiger Beobachtung der Programmierer aus der nächst höheren Ebene steht, lebt man doch zugleich in der ständigen Gefahr der Sanktionierung des eigenen Verhaltens – von der individuellen Belohnung oder Bestrafung bis zur Löschung des Einzelnen oder: der ganzen Welt. Klingt wie eine Religion? In gewisser Weise schon: Was sind die Programmierer einer simulierten Welt anderes als Götter? Sie haben die Bewohner der simulierten Welt erschaffen und haben die Macht über sie – so wie wir vielleicht eines Tages über die Bewohner der Welt, die wir selbst programmieren werden. (Quelle: Dirk Baumann, von schauspieldortmund auf Mai 6, 2013 Siehe auch: Nick Bostrom www.simulation-argument.com/ und „How to Live in a Simulation“ Aufsatz von US-amerikanischem Ökonom Robin Hanson) 5. Filmwirkung damals und heute Filmwirkung im Jahr 1973 Der Film wurde 1973 überwiegend sehr positiv aufgenommen. So schreibt „Die Zeit“ (1973), es handele sich um ein „Computer-Traumspiel, zelebiert als psychedelischer Sinnenrausch“ mit „suggestiven Kamerabewegungen in spröden, kahlen Vorstadt-Landschaften und im IBM Design, verfremdet zu einer Mixtur aus ‚2001‘, Jugendstil, Interlübke und Futurismus …“ In „Bild und Funk“ wird hervorgehoben, dass Fassbinder nach den „alten Stars“ greife und Fassbinder wurde gefragt, ob er auch künftig mit Stars aus früheren Filmen drehen wolle. Fassbinder: „Ja, da gibt es viele. Ich könnte mir auch vorstellen, mal mit Maria Schell zu arbeiten. Auch O. W. Fischer finde ich prima!“ Zum 25-jährigen Todestag von Fassbinder wird von der Stuttgarter Zeitung im Juni 2007 hervorgehoben, dass es sich bei Welt am Draht um einen prophetischen Science-Fiction-Film gehandelt hat, mit einem „Melodram als Grundperspektive der Existenz“ und einem „Existenzsprung nach oben“. Filmwirkung im Jahr 2010 Von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (18.2.2010) wird die auf der Berlinale gezeigte restaurierte Fassung regelrecht gefeiert und als „fabelhaft gelungen“ bezeichnet. Der Film sei hochaktuell geblieben. Zum Schluss des Films schenke Fassbinder dem Protagonisten „doch noch ein richtiges Leben, möglicherweise sogar jenseits der großen falschen Wirklichkeit“. Marie Andersen nimmt in „Kino-Zeit.de“ zur restaurierten Fassung Stellung und formuliert: „… seinerzeit vom WDR produziert birgt dieser ungeheuer dichte Film eine kuriose Schauspielertruppe, die in den Nebenrollen mit markanten Gestalten (…) besetzt ist. Das Spiel mit dem Spiel um Realitäten ist durch starke Bilder von einer Atmosphäre schwelender Eindringlichkeit bestimmt, die durch permanent präsente Elemente wie Videokameras, Spiegel und Glas verdichtet wird. Welt am Draht jongliert gekonnt mit den vielschichtigen Ebenen von Wahrnehmung, Bewusstsein sowie Konstruktion und demaskiert eine objektive Realität als Ausprägung einer Deutungshoheit – eine Erkenntnis, die in diesem Universum zunächst als Wahn deklariert wird … für die damalige Zeit, aber auch heute noch stellen diese philosophischen Betrachtungen ein immens spannendes, nachhaltig anregendes Territorium dar. Fassbinder war bezüglich dieser elektronisch-virtualisierten Lebensform ein Visionär: Menschen hängen ja heute z. T. wirklich „am Draht“. Sie sind im alltäglichen Leben verkabelt, hören ständig Musik und Unterhaltung und sind von Handys und I-Pads in ihrem Leben ständig unterbrochen, verschwinden z. T. im Internet (Facebook oder „World of Warcraft“) als computersüchtige Menschen. Sie leben – wie in diesem Film – in einer entfremdeten Realität und gehen oft achtlos aneinander vorbei. Sie sind wie unerlöste, unerwachte Monaden (Leibniz), wie die „Simulationseinheiten“, unpersönlich, austauschbar – dies im Sinne des gegenwärtigen Funktionalismus, in dem es nur noch um die Funktionen geht, die optimiert werden müssen, nicht aber um Personen.“ Im Interview mit Claudia Bauer, Regisseurin „Welt am Draht“ „Fassbinder hat sich schon früh mit dem Thema beschäftigt", erklärte Regisseurin Claudia Bauer." Es geht immer um die Frage: Gibt es einen Beweis, dass diese Welt real ist oder ist unsere Welt nur eine Welt in einer anderen Welt?" Fassbinders Film aus den siebziger Jahren enthält natürlich viel vom damaligen Zeitgeist. „Die klare Trennung zwischen Politik und Wirtschaft verschwindet. Heute gibt es diese Abgrenzungen nicht mehr", so Bauer. „Dazu passt, dass "Welt am Draht" hauptsächlich ein Wirtschaftskrimi ist .Denn die Marktforschungsdaten, die ,,Simulacron" sammelt, dienen natürlich den Wirtschaftsinteressen. Trotzdem stellt das Stück wichtige Fragen in den Vordergrund. Wer bin ich? Was bin ich? Was ist die Wirklichkeit? Auch wenn "Welt am Draht" ein Science-Fiction-Stück ist, kann der Zuschauer nicht erwarten im Theater eine Special-Effect-Show zu sehen wie im Kino. "Es wird eine reduzierte Bühne geben", erklärte Bauer. "lch habe mich sämtlicher Videotechnik enthalten. Man darf im Theater nicht mit dem Kino konkurrieren." Quelle: Ruhrnachrichten: 28.Mai 2013 aus: „Science-Fiction-Stück stellt Frage nach der Wirklichkeit“ WELT AM DRAHT spielt nicht hier, aber auch nicht woanders, spielt nicht in der Gegenwart, aber auch nicht in der Vergangenheit oder in der Zukunft. WELT AM DRAHT spielt in einer künstlichen Welt und in einer künstlichen Zeit – eine Fiktion, eine Hypothese, ein Denkmodell, nicht mehr. Und nicht weniger. Rainer Werner Fassbinder 6. Vergleich Filmszene / Theaterszene Strichfassung Schauspiel Dortmund Original Drehbuch: Walfang, der einen Stoß Papiere in der Hand trägt, geht auf die Tür zu. Gerade als er nach der Klinke greifen will, fliegt die Tür auf und Stiller stürzt herein. Er rennt mit Walfang zusammen, der seine Unterlagen fallen lässt. Stiller hält sich an Walfang fest. Stiller: Ich muss diesen Christopher Nobody sprechen. Kannst Du mich runterschalten? Stiller: Ich muß diesen Christopher Nobody sprechen. Kannst Du mich runterschalten? Walfang: Es gibt keinen Christopher Nobody mehr, Fred. Der ist schon im Himmel. Walfang: Es gibt keinen Christopher Nobody mehr, Fred. Der ist schon im Himmel. Stiller: Lass die Witze. Stiller: Laß jetzt die Witze. Walfang: Ich hab` ihn deprogrammiert. Es gibt ihn nicht mehr. Stiller: Scheiße! Scheiße! Scheiße! Scheiße! Walfang: Ehrlich - Ich hab’ ihn deprogrammiert. Es gibt ihn nicht mehr. Stiller: Scheiße! Scheiße! Scheiße! Scheiße! Walfang: Fred, was ist denn los? Was hast du denn? Walfang Warum denn? Stiller: Dann möchte ich mit Einstein sprechen, vielleicht weiß der was. Mach mir bitte sofort eine Projektionsschaltung. Stiller lässt Walfang los. Walfang geht in die Knie und sammelt die verstreuten Blätter auf. Walfang: OK. Stiller liegt auf der Couch im Transferierungsraum. Walfang setzt ihm gerade den Helm auf und geht dann zur Schalttafel hinüber, bedient einige Knöpfe, dreht sich dann zu Stiller um. Stiller: Wo treffe ich Einstein? Walfang: In einer Hotelhalle. Du hast nur fünf Minuten. Wenn du zurück willst, geh wieder in die Telefonzelle, durch die du ankommst. Die Idee, per Telefon von der Realität in die virtuelle Realität zu wechseln, macht durchaus Sinn, denn alles, was wir brauchen, ist ein Loch, durch das wir entkommen können. Aber vielleicht wäre die Toilette eine noch bessere Lösung gewesen: Ist nicht die Sphäre, in die die Exkremente verschwinden, nach dem wir die Klospülung betätigt haben, eine der Metaphern für das schrecklich erhabene Jenseits, des präonthologischen Ursprungschaos, in das die Dinge verschwinden? Stiller Dieser Christopher Nobody muss etwas wissen. Walfang Gewusst haben. Stiller Gewusst haben, das mich interessiert Walfang kriecht immer noch auf dem Boden herum und sammelt die verstreuten Papiere ein. Er schaut zu Stiller auf. Walfang Kann ich mir kaum vorstellen, Fred. Ich hab’ doch fast alles selber programmiert. Völlig normale Einheit. Ich versteh’ wirklich nicht, was du meinst. Stiller Nichts, Fritz, Nichts. Es war nur so ein Einfall von mir. Walfang richtet sich wieder auf. Stiller Ich möchte dann mit Einstein sprechen. Vielleicht weiß er etwas. Mach mir doch bitte sofort eine Projektionsschaltung. Walfang O.K. Ich sag dir dann Bescheid. 7. Aussagen zu Welt 1-3 von Fassbinder Ideologisches: Kann man sich vorstellen, dass Welt I sich seine Welt II nicht nur als Beobachtungsobjekt eingerichtet hat, sondern auch ganz konkret für sich arbeiten lässt? Also: Welt I, einmal hochentwickelt durch seine eigenen Leistungen, ist mittlerweile parasitär geworden, weil sie sich alles von Welt II machen lässt. Deshalb ist sie auch so sehr an der Erhaltung von Welt II interessiert – wenn Welt II seine Dienste aufkündigt und sich selbstständig macht, muss Welt I hilflos zugrunde gehen, weil sie selbst verlernt hat, sich selbst zu reproduzieren (oder sich selbst etwa ein neues Simulationsmodell zu bauen). Also Herr-Knecht-Parabel: Im gleichen Maß, wie der Herr seine Bedürfnisse verfeinert, es aber seinem Knecht überlässt, für deren Befriedigung zu sorgen, verfeinert sich auch der Knecht, während der Herr immer dümmer wird und ohne den Knecht nicht mehr leben kann, der Knecht aber wohl ohne ihn. Historisch wäre das Feudalismus, der die Bourgeoisie hervorbringt, von der er dann abgeschafft wird, die aber ihrerseits notwendig auch ihren eigenen Gegensatz erzeugt. (Quelle: Drehbuch, Welt am Draht, Anhang, Einige allgemeine Überlegungen, S.182) Erarbeitung des Materials: Sarah Jasinszczak (Theaterpädagogin Schauspiel) Leonie Lunkenheimer (FSKJ) Friedrich Lohmeier (studentischer Praktikant Theaterpädagogik)