SZ-Archiv: SZ vom 8.Dezember 2010 Seite 2 München (GSID

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SZ-Archiv: SZ vom 8.Dezember 2010 Seite 2 München (GSID
Seite 2 / Süddeutsche Zeitung Nr. 284
1MG
Mittwoch, 8. Dezember 2010
THEMA DES TAGES
Um 9.30 Uhr Ortszeit ist Julian Assange, Gründer
Wikileaks-Chef Assange verhaftet
der Enthüllungsplattform Wikileaks, am Dienstag
in London festgenommen worden. Die schwedi- zwei Fällen vor. Julian Assange und seine Anhänsche Justiz hatte ihn zur Fahndung ausgeschrie- ger hingegen sprechen von einer Verschwörung
ben, sie wirft dem Australier Vergewaltigung in mit dem Ziel, ihn mundtot zu machen. Der Wiki-
leaks-Chef beherrschte zuletzt die Schlagzeilen
mit den mehr als 200 000 geheimen Depeschen
von US-Diplomaten, die er ins Internet stellen
lässt. Viele fragen sich nun, ob Wikileaks nach der
Festnahme von Assange noch eine Zukunft hat.
Das Nachspiel einer Bettgeschichte
Warum es Assange schwerfallen wird zu beweisen, dass hinter dem Stockholmer Verfahren politische Motive stecken
Von Gunnar Herrmann
E
s hat in den vergangenen Tagen
und Wochen viele Versuche gegeben, Julian Assange als Verbrecher
darzustellen. Der Wikileaks-Gründer habe sich des Verrats und der Spionage
schuldig gemacht, meinten einige. Andere halten ihn gar für einen Terroristen,
der „Blut an den Händen hat“, wie es die
US-Politikerin Sarah Palin kürzlich formulierte. Im Vergleich zu solchen Anschuldigungen sind die Vorwürfe, die
nun zur Festnahme von Assange in London führten, sehr intimer Natur. Die britische Polizei verhaftete den 39-jährigen
Australier am Dienstag, weil gegen ihn
in Schweden wegen Vergewaltigung, Nötigung und sexueller Belästigung ermittelt wird. Diese Vorwürfe haben mit den
vieldiskutierten Enthüllungen von Wikileaks eigentlich nichts zu tun. Unterstützer der Webseite vermuten aber, dass die
schwedische Affäre Teil einer von den
USA gesteuerten Verschwörung ist.
Julian Assange, der alle Vergewaltigungs-Vorwürfe bestreitet, hat diese
Konspirationstheorien selbst genährt.
Kurz nach Bekanntwerden der Verdächtigungen Ende August sagte er einmal
Es ist unbestritten, dass
er Sex mit zwei Frauen
hatte, die er kaum kannte.
der Zeitung Aftonbladet, er sei vor
„schmutzigen Tricks“ des Pentagon, insbesondere vor „Sex-Fallen“, gewarnt
worden. Allerdings nahm der WikileaksGründer solche Hinweise, sollte es sie
wirklich gegeben haben, offenbar nicht
besonders ernst. Jedenfalls ist unbestritten, dass er bei einem Stockholm-Besuch
Mitte August binnen weniger Tage Sex
mit zwei Frauen hatte, die er kaum kannte. Auf die Aussage dieser beiden Schwedinnen stützt sich nun der Verdacht der
Staatsanwältin.
Was genau in den fraglichen Sommernächten geschehen sein soll, verschweigen die Behörden mit Verweis auf die laufenden Ermittlungen. Bekannt ist, dass
es in beiden Fällen erst freiwillig zum Geschlechtsverkehr kam. Dann aber soll
Assange gegen den Willen seiner Partnerinnen ungeschützten Sex erzwungen haben. Als die beiden Frauen später feststellten, dass sie ähnlich schlechte Erfahrungen mit Assange gemacht hatten, gingen sie zur Polizei. Zunächst taten sie es
angeblich nur, um zu fragen, ob man den
Wikileaks-Chef zu einem Aids-Test zwingen könnte. Aber dann entwickelte die
Sache eine Eigendynamik.
Aktuelles Lexikon
Red Notice
In den internationalen Medien dominiert
Wikileaks-Gründer Julian Assange seit
Tagen die Schlagzeilen – für Interpol war
er einer von vielen. Nach dem Australier
wurde wegen „Sexualdelikten“ gefahndet, wie es in dem Steckbrief auf der Interpol-Seite lapidar hieß. Mit einer „Red
Notice“ hatte ihn die internationale Polizeiorganisation am 20. November in ihre
Fahndungsliste aufgenommen, neben
mutmaßlichen Dieben, Betrügern und
Menschenschmugglern. Immerhin war
der prominente Neuzugang Interpol eine
eigene Pressemeldung wert. Gesucht wurde der 39-Jährige, weil ihn die schwedische Justiz wegen Vergewaltigungsvorwürfen verhören will und deshalb Haftbefehl erlassen hat. Interpol unterstützt
mit seinen „roten Notizen“ die internationale Fahndung und informiert die 188
Mitgliedstaaten regelmäßig über Verdächtige – natürlich mit dem Ziel ihrer
Festnahme und Auslieferung. Eine Verhaftung anordnen kann Interpol jedoch
nicht. Zwar ist meist, der Einfachheit halber, von einem internationalen Haftbefehl die Rede, einen solchen aber gibt es
nicht. Im Jahr 2009 veröffentlichte Interpol insgesamt 5020 rote Notizen. Bekanntestes Gesicht in der Fahndungskartei ist
Al-Qaida-Chef Osama bin Laden. Die
Deutschen suchen außerdem noch immer
nach Said Bahaji; er wird der Hamburger Terrorzelle zugerechnet, die an den
Anschlägen vom 11. September 2001 beteiligt war.
psc
Julian Assange hat angeblich
zwei Frauen zum ungeschützten
Sex gezwungen. Als „Mann mit
einem verschrobenen Frauenbild“ bezeichnete ihn eines der
mutmaßlichen Opfer. Mittlerweile sind die beiden Frauen untergetaucht, weil sie im Internet als
Sex-Agentinnen der USA diffamiert werden. Julian Assange,
ein Opfer? Im Bild der Steckbrief
von Interpol. Foto: afp
Man muss dazu wissen, dass in der
schwedischen Öffentlichkeit seit Jahren
sehr intensiv über häusliche Gewalt und
einen besseren Schutz von Frauen gegen
männliche Übergriffe debattiert wird.
Die Gesetze sind streng, und Behörden
sind für diese Art von Vergehen besonders stark sensibilisiert. Die Staatsanwaltschaft schaltete sich also in den Fall
ein. Jedoch handelte sie nicht sehr konsequent. In Stockholm wurde zunächst ein
Haftbefehl gegen Assange erlassen,
dann nach wenigen Stunden aber wieder
zurückgezogen. Es gebe keine Beweise
für eine Straftat, hieß es damals. Doch in
der Berufungsinstanz der Anklagebehörde in Göteborg bewertete man den Fall
schließlich anders. Oberstaatsanwältin
Marianne Ny zog das Verfahren an sich
und nahm die Ermittlungen wegen Vergewaltigung erneut auf. Die beiden Frauen wurden zu Nebenklägerinnen und
nahmen sich einen Anwalt. Sie wehrten
sich anfangs noch in der Presse gegen Assanges Andeutungen, sie seien so etwas
wie Sex-Agentinnen der USA. Es gehe
„einzig und allein um einen Mann mit
einem verschrobenen Frauenbild, der
kein Nein akzeptieren kann“, sagte eine
der beiden noch im August einer Zeitung. Doch gegen die Verschwörungstheorien halfen solche Erklärung wenig.
In den vergangenen Wochen sahen sich
die Frauen im Internet einer regelrechten Diffamierungskampagne ausgesetzt.
Sie sind untergetaucht und für Interviews ihrem Anwalt zufolge nicht mehr
zu erreichen.
Oberstaatsanwältin Ny hat bislang
noch keine Anklage gegen Assange erhoben. Sie will ihn zunächst nur verhören.
Der Verdächtige weigerte sich allerdings,
dafür nach Schweden zu kommen. Er bot
stattdessen an, Ny könne ihre Fragen in
einer Videokonferenz stellen oder ihn in
England besuchen. Beides aber lehnte die
Oberstaatsanwältin ab. Vor einigen Wochen stellte sie dann den Haftbefehl aus
und bat Interpol um Hilfe. Assanges
Stockholmer Anwalt hat mehrmals versucht, gegen den Haftbefehl Einspruch
zu erheben. Aber alle Gerichtsinstanzen
in Schweden kamen zu der Auffassung,
dass der Verdacht gegen den Wikileaks-Gründer begründet ist.
Die britische Polizei ist in solchen Fällen zur Amtshilfe verpflichtet. Assanges
Londoner Anwalt Marc Stephens kündigte jedoch an, eine Auslieferung nach
Schweden mit allen Mitteln zu bekämpfen, was den Prozess um Monate verzögern könnte. Er fürchte, sein Klient solle
von Stockholm aus weiter in die USA
überstellt werden, sagte Stephens der
BBC und bezeichnete die schwedischen
Ermittlungen als „politischen Stunt“.
In den USA allerdings gäbe es derzeit
noch gar keine Grundlage, um eine Auslieferung Assanges zu beantragen.
US-Justizminister Eric Holder erklärte
zwar am Sonntag, er habe „eine Reihe
von Maßnahmen“ eingeleitet, um eine Anklage voranzutreiben. Bislang ist aber
noch nicht einmal klar, gegen welches Gesetz der Wikileaks-Chef mit der Enthüllung von Kriegsdokumenten und zuletzt
von geheimen Diplomaten-Depeschen
der USA verstoßen haben könnte. Berichten zufolge erwägen die Behörden, einen
Anti-Spionage-Paragraphen aus dem
Ersten Weltkrieg anzuwenden, der schon
den Versuch unter Strafe stellt, sich geheime Informationen zu beschaffen. Allerdings ist fragwürdig, ob sie damit Erfolg
hätten. US-Gerichte haben in den vergangenen Jahren in ähnlichen Fällen entschieden, dass das Veröffentlichen geheimer Dokumente prinzipiell zulässig sei;
im Zweifel genieße die Meinungsfreiheit
Vorrang. Unterdessen wird auch in Assanges Heimat Australien geprüft, ob der
39-Jährige mit seinen Internetveröffentlichungen irgendwelche Gesetze gebrochen hat. Konkrete Vergehen hat man
aber auch dort noch nicht entdeckt.
Mit Netz und doppeltem Boden
Programmierer, Philosoph, Geldbeschaffer: Noch ist Assange kaum zu ersetzen bei Wikileaks, doch er hat bereits begonnen, die Verantwortung auf mehrere Schultern zu verteilen
Von Janek Schmidt
M
it der Nachricht wollte Julian Assange seine Stärke demonstrieren.
Doch zugleich ließ der Wikileaks-Chef
durchblicken, wie verwundbar seine Internetplattform in Wirklichkeit ist. „Ich
bin Herz und Seele dieser Organisation,
dessen Gründer, Philosoph, Sprecher, erster Programmierer, Organisator, Geldgeber und noch alles weitere“, schrieb er
vor wenigen Monaten an einen internen
Kritiker und fügte an: „Wenn du ein Problem mit mir hast, dann verpiss dich.“
Nachdem Assange am Dienstag verhaftet
wurde, fragen sich nun viele Beobachter,
wie stark Wikileaks ohne seinen streitbaren Anführer ist.
Unterstützer des Internet-Aktivisten
verweisen darauf, dass Assange bald ge-
D
ie deutsche Politik hat in der Eurokrise bisher keine sehr konstruktive Rolle gespielt. Dies ist nicht
überraschend, da die meisten Bürger den
Euro nach wie vor ablehnen. Auch elf
Jahre nach Errichtung der Währungsunion sehnen sie sich noch immer nach der
scheinbar heilen Welt der D-Mark zurück. Dass die durchschnittliche Inflationsrate in der Phase des Euro mit 1,5 Prozent deutlich niedriger war als im Zeitalter der D-Mark (2,7 Prozent), stört dabei
wenig. Ausgeblendet wird auch, dass der
größte Teil der aktuellen Probleme nicht
auf unzureichende Etatdisziplin in Südeuropa, sondern auf die Finanzkrise zurückzuführen ist. Bei der Blindheit, mit
der Finanzmärkte geschlagen waren, hätten die Investoren ihr Geld auch dann in
Irland verbrannt, wenn es seine alte Währung behalten hätte – wie das Beispiel Island zeigt: Dieses Land musste ein noch
größeres Finanzdesaster erleben, obwohl
es nicht einmal EU-Mitglied ist.
Die Sehnsucht nach der D-Mark verkennt, wie gefährlich es ist, wenn man
sich als mittelgroßes Land in einer Welt
mit spekulativen Kapitalmärkten allein
zu behaupten versucht. Die in Deutschland in den vergangenen Jahren praktizierte Lohnzurückhaltung hätte unweigerlich zu Aufwertungsschüben der
D-Mark geführt, wie man das 1992 und
1993 beobachten konnte. Niedrige Lohnerhöhungen führen über niedrige Inflationssraten zu einer Verbesserung der
gen eine Kaution von mehr als 200 000 Euro freikommen und bis dahin auch in der
Untersuchungshaft arbeiten könnte. Um
sich zudem vor möglichen Repressalien
zu schützen, sagte Assange in einem Internet-Chat am Freitag mit dem Guardian,
er habe eine Datei mit dem Namen „insurance.aes256“ ins Netz gestellt, welche
die diplomatischen Telegramme „und zusätzliches wichtiges Material aus den
USA und weiteren Ländern“ enthalte.
Mehr als 100 000 Menschen hätten diese
Versicherungsdatei, die mit einem besonders sicheren 256-Bit-Code verschlüsselt
ist, bereits auf ihren Computern gespeichert. Falls ihm etwas passiere, drohte Assange, würde der Code zur Entschlüsselung automatisch veröffentlicht.
Auch die Struktur der eigenen Organisation begann Assange bereits vor meh-
reren Wochen umzubauen. So sagte er
dem SZ-Magazin im November, dass er
vier unabhängige Wikileaks-Abteilungen
gründen wolle: für Informantenschutz,
Dokumentenprüfung, Finanzen und Öffentlichkeitsarbeit sowie eine Einheit für
die Aufbewahrung unveröffentlichter Papiere. Mit einer solchen Struktur können
leichter neue Aktivisten integriert werden, ohne dass sie sofort Zugang zu allen
Passwörtern erhalten. Außerdem haben
einzelne Mitarbeiter nur Einblick in einen
bestimmten Bereich und können nach einem möglichen Ausstieg weniger preisgeben.
Eine solche Struktur stützt jedoch die
Vermutung vieler Kritiker, dass außer Assange niemand komplett weiß, was bei Wikileaks läuft. Der frühere Sprecher der
Plattform zum Beispiel, Daniel Dom-
Außenansicht
Ungeliebt
und wunderbar
Nur weil es den Euro gibt, geht es Deutschland so gut – nun
muss er gerettet werden, die Eurobonds wären ein Mittel dazu
Von Peter Bofinger
Wettbewerbsfähigkeit und damit auch
zu Überschüssen im Außenhandel. Diese
lösen früher oder später an den Devisenmärkten eine Aufwertung der heimischen Währung aus. Anstelle der Exporterfolge, die unter dem Schutz des Euro erzielt werden konnten, wäre es zu einem
Teufelskreis aus Lohnzurückhaltung
und Aufwertung gekommen, der zu einer
deflationären Entwicklung geführt hätte. Das Beispiel Japan zeigt die Gefahr einer solchen Konstellation: Durch die starke Aufwertung des Yen ist das Land seit
Jahren am Rand der Deflation, trotz der
puritanischen Ethik seiner Gesellschaft
sind die Staatsschulden extrem hoch.
Die deutsche Politik sollte den Mut haben, deutlich zu sagen, dass unsere Volkswirtschaft den Euro braucht. Dann wird
es auch möglich, Hilfen so zu gestalten,
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dass es dabei nicht um Bestrafung, sondern um echte Unterstützung der Problemländer geht. Wie notwendig das ist,
zeigt sich daran, zu welcher Verunsicherung auf den Finanzmärkten die bisherige Berliner Haltung geführt hat: Indem
von den Problemländern nicht nur radikale Einsparprogramme gefordert werden, sondern zugleich Strafzinsen für
den Zugang zu finanziellen Mitteln auferlegt werden, stiegen an den Märkten
zwangsläufig die Zweifel am Erfolg der
gesamten Strategie. Indem die Regierung zudem zum Ausdruck gebracht hat,
dass bei Störungen des Märkte grundsätzlich eine Beteiligung von Gläubigern
angestrebt wird, hat sie eine zentrale Regel des Kapitalmarkts in Frage gestellt.
Danach wird eine Staatsanleihe zum
Nennwert zurückbezahlt und nur in extremen Ausnahmen ein Abschlag vorge-
scheit-Berg, verließ die Gruppe im September im Streit über die Veröffentlichung von Irak-Papieren, die intern nicht
abgesprochen war. Sein Nachfolger ist
der isländische Journalist Kristinn
Hrafnsson, den einige für die Nummer
zwei hinter Assange halten.
Dafür spricht, dass Hrafnsson bereits
vor mehreren Monaten von Assange zu Recherchen in den Irak entsandt wurde und
damit eine wichtige Aufgabe für Wikileaks übernahm. Zudem saß er bei der Präsentation der Irak-Papiere Ende Oktober
in London als einziger Wikileaks-Vertreter neben Assange auf dem Podium und
schien dort auch im Umgang mit weiteren
Aktivisten klare Autorität zu genießen.
Doch Hrafnsson fehlt das Informatiker-Wissen, das Assange auszeichnet. Zudem ist er öffentlich so unbekannt, dass
ihn einige Medien wegen seines Vornamens noch immer für eine Frau halten und
ihn als „Sprecherin“ zitieren. Somit
steckt wohl weniger ehrliche Analyse als
Trotz hinter der Botschaft, die Wikileaks
am Dienstag per Twitter verkündete: „Die heutige Aktion gegen unseren
Chefredakteur Julian Assange wird unsere Arbeit nicht beeinträchtigen.“
Bereits beschädigt ist indes das Spendensystem der Gruppe. So teilte das Kreditkartenunternehmen Visa am Dienstag
mit, dass es die Zahlungsabwicklung für
Wikileaks eingestellt habe. Zuvor hatten
schon Master Card sowie der Online-Bezahldienst PayPal ihre Dienste für Wikileaks unterbrochen. Allerdings gab die
Wau Holland-Stiftung bekannt, die einen
Großteil der Zahlungen an Wikileaks verwaltet, es sei weiterhin möglich, an die Or-
ganisation zu spenden – etwa per Banküberweisung. Demnach sind in den vergangenen 13 Monaten etwa 800 000 Euro
bei der Stiftung eingegangen.
Wikileaks bezahlt seit einigen Monaten zehn der insgesamt 800 Mitarbeiter,
die zuvor alle ehrenamtlich für die Organisation gearbeitet hatten. Somit dürfte
der einstige Finanzbedarf von 150 000
Euro im Jahr deutlich gestiegen sein.
Wie heikel dabei die Zusammenarbeit
für Banken sein kann, erfährt derzeit
der Finanzdienstleister der Schweizer
Post, Postfinance. Erst am Montag hatte
Postfinance ein Konto, über das bislang
Spenden für Wikileaks im Internet liefen, geschlossen. Am Dienstag war die Internetseite von Postfinance dann schwer
überlastet – offenbar hatten Hacker den
Dienstleister angegriffen.
nommen. Dieser Fehler ist auch nicht dadurch geheilt worden, dass mittlerweile
über die Beteiligung privater Gläubiger
„fallweise“ entschieden werden soll. Die
Politik verkennt die selbstverstärkenden
Mechanismen des Finanzsystems: Unsicherheit über die Rückzahlung führt genau dazu, dass der Krisenfall eintritt.
und dass sie von den Märkten nicht mehr
gegeneinander ausgespielt werden könnten. Rechtlich kann das Instrument mit
Artikel 122 des Vertrags über die Arbeitsweise der EU begründet werden: Demnach kann einem Mitgliedstaat, der aufgrund von außergewöhnlichen Ereignissen, die sich seiner Kontrolle entziehen,
in Schwierigkeiten ist, finanzieller Beistand gewährt werden.
tiert wird. Für Deutschland bestünde
das Risiko, dass es etwas höhere Zinsen
bezahlen muss. Die Bonität der Währungsunion als Ganzes wäre ja etwas
schlechter als die der Bundesrepublik.
Da jedoch die USA trotz ihrer enormen
Etatdefizite als erstklassiger Schuldner
angesehen werden, dürfte die Währungsunion insgesamt nicht ungünstiger als
sie bewertet werden. Zudem wäre der
Markt für Eurobonds größer und damit liquider als der Markt für deutsche
Anleihen. Das macht ihn für Anleger attraktiver, das wirkt so zinssenkend.
Wie kann man die Problemländer wirksam unterstützen? Solange sie sich an die
ihnen vorgeschriebenen und durchaus
schmerzhaften Vorgaben halten, gibt es
keinen Grund, sie zusätzlich mit Strafzinsen zu belegen. Zugleich sollte für die Anleger klargestellt werden, dass ausstehende Anleihen zum Nennwert zurückbezahlt werden. Es trifft nur bedingt zu,
dass man damit Spekulanten belohnt,
die Papiere mit hohem Risikoaufschlag
erworben haben. Die große Mehrheit der
Investoren hat sich in der Phase 1999 bis
2009 engagiert, in der die Risikoaufschläge ausgesprochen gering waren.
Beide Ziele könnten mit dem Instrument der Eurobonds erreicht werden. Es
eröffnet den Mitgliedsländern die Möglichkeit, sich in einem Gemeinschafts-Wertpapier zu verschulden, das
nicht mehr nach der Nationalität des
Emittenten unterscheidet. Selbstverständlich wäre dabei jedes Land für die
Zinsen zuständig, die für von ihm emittierte Titel fällig werden. Eurobonds hätten den Vorteil, dass sich alle Länder zu
niedrigen Zinsen refinanzieren könnten
Um die Märkte zu stabilisieren, würde
es reichen, die Herausgabe von Eurobonds auf die Refinanzierung der bereits
bestehenden Staatsschulden zu beschränken. Dabei sollte für Anleihen, die in diesem Jahr mit einem hohen Zinsaufschlag
emittiert wurden, ein Abschlag vorgenommen werden. So würden weder
Zocker belohnt, noch käme es zu Ansteckungseffekten – da für alle anderen
Schuldtitel die volle Rückzahlung garan-
Peter Bofinger,
56, ist Professor
für Volkswirtschaftslehre in
Würzburg. Er
gehört dem Sachverständigenrat
zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen
Entwicklung
(„Fünf Weise“)
an. Foto: dapd
Zweifellos setzt solch ein Instrument
mehr wirtschaftspolitische Integration
voraus. Missbrauchspotentiale würden
vor allem dann geschaffen, wenn auch
die Neuverschuldung der Euroländer
über Eurobonds erfolgen würde. In diesem Fall würden die Regeln des Stabilitäts- und Wachstumspakts kaum reichen. Vielmehr müssten schon die nationalen Haushaltspläne grundsätzlich auf
europäischer Ebene gebilligt werden.
Das ist die Entscheidung, um die es
jetzt geht. Ohne die Bereitschaft zu deutlich mehr Integration gibt es nur den
Weg zurück zum D-Mark-Nationalismus. Wenn der Euro eine Zukunft haben
soll, müssen die Staaten über ihre Schatten springen und Kompetenzen an Europa übertragen. Es ist wie im richtigen Leben: Wer keine Kompromisse machen
will, muss mit sich alleine bleiben.
siwiesgrill
SZ20101208S1339340

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