Embajada de la República Federal de Alemania La Paz

Transcrição

Embajada de la República Federal de Alemania La Paz
La Paz
1
La Paz
2
z
Gemeinden deutscher Zuwanderung
Kurzeinführungen zu........................................... 5
Interviews
1- Erich Bauer Wildgrube...................................12
2-Bernhard Friedrich Christian Elsner................22
3- Ludwig Ernst.................................................30
4- August Ludolf Gerke.......................................36
5- Wilhelm Bernhard Kyllmann Afinger...............40
6- Ernst Schilling...............................................50
7 - Gerhard Zimmermann, Menno Smid Zimmermann..56
3
70
65
60
Bolivia
Boca do Acre
Porto
Velho
Ariquemes
Rio Branco
10
Guajar·-Mirim
Inapari
Ji-Parana
Riberalta
PANDO
Cobija
10
50
0
50
0
Brazil
Puerto
Maldonado
150 Kilometers
100
100
150 Miles
Politische Karte Bolivien
Santa
Ana
Peru
BENI
15
Juliaca
Trinidad
San Borja
LA PAZ
15
Lago
Titicaca
Puno
Caceres
Desaguadero
La Paz
Guaqui
Toquepala
Cochabamba
COCHABAMBA
Montero
Ilo
Tacna
Santa Cruz
Oruro
Putre
Arica
Aiquile
ORURO
Robore
Puerto
Suarez Corumba
Potosi
Iquique
South
Pacific
Ocean
Chile
POTOSI
San Josede Chiquitos
Sucre
Lago
Poopo
20
SANTA
CRUZ
Santa Rosa
del Sara
Chimore
Camiri
CHUQUISACA
Uyuni
Capitan
Pablo Lagerenza
20
General
Eugenio A. Garay
Tarija
Villazon
Tocopilla
TARIJA
La Quiaca
Calama
Mejillones
Tartagal
Mariscal
Estigarribia
Paraguay
San Ramon de la
Nueva Oran
Antofagasta
4
70
San Salvador
de Jujuy
Concepcion
Argentina
65
60
1
1910 zählte Bolivien 2.270,000 Einwohner mit dem
Regierungssitz La Paz, in der 78,856 Menschen lebten.
Das direkte Umland von La Paz auf dem Altiplano,
heute dicht besiedelt, war eine ländliche Gegend
und wurde erst 1970 per Dekret zur eigenständigen
Gemeinde El Alto deklariert. Vergleichszahlen aus
dem INE Zensus von 2012 geben für die Doppelstadt
Gemeinden deutscher
Zuwanderung
heutigen Department Pando, gegliedert war
(Santibañez, S. 37). Die Bevölkerung Boliviens
setzte sich nach Santibañez wie folgt zusammen:
“658.000 Weiße spanischer Abstammung; 614.000
Mestizen; 725.000 Indios; 3.000 Neger; 10.450
Ausländer, wovon die Hälfte Peruaner, Chilenen
und Argentinier sind.“ Das Territorium umfasste
damals noch 1.568.241 Quadratkilometer. Bolivien
war somit nach Brasilien, Argentinien, Mexico und
Peru das fünftgrößte der 20 Länder Lateinamerikas
(Santibañez, S. 56): Gegen Ende des 19. Jahrhunderts
sprach man von Bolivien als ein großes Land mit
wirtschaftlicher Zukunft, da die umfangreichen
Erzvorkommen ebenso wie die Existenz begehrter
Naturprodukte wie Chinarinde und Naturkautschuk
bekannt waren und ausgebeutet wurden.
Einsammeln der Kautschukmilch
La Paz 764,617 und El Alto 848,840 Einwohner an.1
Die Republik Bolivien war immer ein Einheitsstaat,
der um 1900 in acht Departments und einem
sogenannten
„nationalen
Territorium“,
dem
1 Statistische Angaben für Cochabamba, Santa Cruz und Tarija
konnte ich leider für die Epoche um die Jahrhundertwende nicht
finden, da das Statistische Amt in Bolivien (Instituto Nacional de
Estatística, INE) erst im Jahre 1936 eingerichtet wurde und seine
Arbeit aufnahm. Alle Bevölkerungsangaben aus früheren Epochen
beruhen auf Schätzungen oder sind Zitate.
Die vier Gemeinden Boliviens, in denen meine
Interviewpartner heute leben, sind Gründungen der
frühen Kolonialzeit: Cochabamba 1571, La Paz 1548,
Santa Cruz de la Sierra 1556 umgesiedelt an seinen
heutigen Standort 1601 und Tarija 1574. Diese Orte
waren bereits in der Kolonialzeit für ihr günstiges
Klima und die fruchtbaren Täler bekannt und so
wundert es nicht, dass auch deutsche Siedler in diese
Gemeinden zogen. Oftmals jedoch erst nachdem sie
die ersten Jahre im bolivianischen Hochland oder
im Amazonasgebiet verbracht hatten, da dies die
Standorte der wirtschaftlichen Aktivitäten waren.
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6
La Paz
L
PANDO
BENI
LA PAZ
La Paz
SANTA
CRUZ
COCHABAMBA
ORURO
CHUQUISACA
POTOSI
TARIJA
La Paz
La Paz wurde in der frühen spanischen Kolonialzeit
im Jahre 1548 gegründet. Die günstige geografische
Lage in diesem windgeschützten Talkessel
auf ungefähr 3600 müMN mildert das kalte
Hochlandklima ab. In vorspanischer Zeit befand sich
an diesem Ort die indigene Ansiedlung Churubamba,
das heutige Stadtviertel San Sebastian. Zudem
kreuzten sich hier schon seit Jahrhunderten wichtige
Handelswege in dieser bereits bei Ankunft der
Spanier von Aymaras besiedelten Region: Produkte
der tropischen Yungas wie Obst, Gemüse und Coca
gelangten aus dem Amazonasgebiet über La Paz in
das Altiplano. Von hier wurden in der Kolonialzeit vor
allem Cocablätter weiter nach Potosí transportiert,
um die Bergarbeiter der Silberminen mit den
stärkenden „heiligen Blättern“ zu versorgen. Das
gewonnene Silber wurde im Gegensatz hierzu aus
Potosí über La Paz an die peruanische Küste nach
Callao und dann in Richtung Spanien verschifft.
Wichtige Kolonialstädte wie Potosí, Arequipa, Cusco
(die beiden letzteren Städte liegen im heutigen Peru)
waren durch ein Wegenetz mit La Paz verbunden. In
den Flussläufen, die das Tal von La Paz durchziehen,
wurde zudem Gold gewonnen.
1899 wurde La Paz zum Regierungssitz bestimmt,
da sie als einzige größere Stadt nicht vom
wirtschaftlichen Niedergang Potosís betroffen
war. Sucre blieb formaljuristisch Landeshauptstadt
und Sitz des Obersten Gerichtshofes. Vor 1900
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siedelten in La Paz ungefähr 31.000 Einwohner.
Durch die Verlagerung des Regierungssitzes und der
Verwaltung nach La Paz wuchs die Stadtbevölkerung
rasch an. Bis 1902 verdoppelte sich ihre Zahl. Auch
auf die Wirtschaft wirkte sich der neue Sitz von
Regierung und Verwaltung positiv aus, so dass es
lukrativ war, ein Unternehmen in La Paz zu besitzen.
Manufakturwesen, Handelshäuser und Banken
entwickelten sich. Die Stadt fungierte verstärkt
als Verkehrsknotenpunkt zwischen Hochland und
Tiefland durch den beginnenden Ausbau des
Eisenbahnwesens. Eisenbahnlinien verbanden La
Paz mit den Bergbauzentren und den Häfen von Arica
und Antofagasta in Chile. Für den innerstädtischen
Personenverkehr wurde zwischen 1900 und 1915
die Neuerung einer Straßenbahn eingeführt.
Wirtschaftsaufschwung in der ersten Hälfte
des 20. Jahrhundert teilzuhaben. Sie gründeten
Betriebe, die bis heute mit ihren Zentralen in La Paz
bestehen und zum Teil im ganzen Lande operieren
(siehe Interviews Elsner, Ernst, Kyllmann & Bauer,
Schilling und Zimmermann). In diese Zeit fällt auch
die Gründung der Bierbrauerei „Cervecería Nacional“,
welche 1886 von vier Deutschstämmigen (Friedrich
Groenewald, Hugo Preuss, Eugen Strohmann und
Ludwig Ernst, siehe Interview) gegründet wurde
und sich zum größten Unternehmen Boliviens mit
Produktionsanlagen in La Paz, El Alto, Santa Cruz,
Cochabamba, Oruro und Tarija entwickelt hat.
Panorama vom Kirchturm der Kathedrale
in La Paz um 1915
Foto: Fundación Cultural Rodolfo Torrico Zamudio
Calle Comercio Ecke Ayacucho
Foto: Fundación Cultural Rodolfo Torrico Zamudio
Ende des 19. und zu Anfang des 20. Jahrhunderts
wurden große Stadthäuser im „fachadista“ Stil
modernisiert, d.h. mit neuen zeitgemäßen Fassaden
versehen, der Prado wurde als Promenade
ausgebaut und Parkanlagen wurden angelegt, um
das Stadtzentrum zu verschönern. La Paz wuchs
weiter und bis 1948 konzentrierte sich hier 75 % der
industriellen Produktion Boliviens.
Diese positive Wirtschaftsentwicklung zog auch
deutsche Einwanderer an. Ihnen gelang es, am
8
Die Nachfahren der deutschen Einwanderer
haben sich gut eingelebt. Zwar bestehen noch wie schon erwähnt - verschiedene Einrichtungen
deutschen Ursprungs in La Paz, aber der große
Teil der Nachfahren deutscher Einwanderer ist
der deutschen Sprache nicht mehr mächtig. Die
beiden
deutschsprachigen
Kirchengemeinden
haben nur noch wenig Zulauf im Gegensatz zum
Deutschen Club und zur Deutschen Schule, die
viel frequentierte Institutionen geworden sind.
Ihre Dienstleistungen werden zunehmend von
Bolivianern in Anspruch genommen.
Deutsche Schule La Paz
Bierbrauerei CBN Cervecería Boliviana
Nacional - Anlage La Paz um 1900
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Interviews
10
Interviews
Erich Bauer Wildgrube
Bernhard Friedrich Christian Elsner
Ludwig Ernst
August Ludolf Gerke
Wilhelm Bernhard Kyllmann Afinger
Ernst Schilling
Gerhard Zimmermann, Menno Smid Zimmermann
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La Paz
1
Interview
Erich
Erich Bauer Wildgrube
Geboren in Berlin am 16. April 1886
Gestorben in Cochabamba am 7. April 1965
12
Die Auswanderung nach Chile
Mein Großvater Erich wurde in Berlin geboren.
Sein Vater starb kurz nach der Geburt. So wuchs
er auf in einem Frauenhaushalt auf und wurde
im I. Weltkrieg nicht eingezogen, da er das
einzige männliche Familienmitglied war. Seine
Mama, aus gutbürgerlichem Haus, zwei ältere
und eine jüngere Schwester bildeten die
Kernfamilie.
Salpeter Mine im Norden Chiles zu arbeiten.
So kam er im Jahre 1918 nach Lateinamerika.
Viel habe ich über diese Lebensphase meines
Großvaters nicht erfahren. Er erzählte nur, dass
er in den ersten Jahren viel reiste. Meist auf dem
Rücken von Maultieren. So ging es kreuz und
quer durch Chile, er schlief in einfachen Lagern
und er lernte das Leben auf dem Lande kennen.
Und er lernte die spanische Sprache, die er gut
aber mit einem deutschen Akzent bis an sein
Lebensende beherrschte.
Ankunft und erste Jahre in Bolivien
So kam er in diesem zwei oder drei Jahren
der Wanderschaft auch in den Norden von
Chile. Dort erfuhr er, dass jenseits der Grenze
in Bolivien viel Geld in der Zinngewinnung
zu machen sei. Er war flexibel, wechselte das
Land und fand Arbeit in seinem Fach bei dem
baskischen Bergbauunternehmer Cupertino
Ortuño, Anteileigner der Mine Morococala in
Oruro. Großvater lebte in der Stadt Oruro. Er
hatte sich auf die Erkundung und Erschließung
neuer
Lagerstätten
spezialisiert. Seine
Arbeitswerkzeuge wie z. B. den Kompass, den
ich noch besitze, und vieles mehr hatte er
immer griffbereit zuhause. Er war sehr gut
mit den modernsten Werkzeugen seiner Zeit
ausgerüstet!
Unterwegs per Pferd und Theodolit – Pionier im
Erich mit Mutter und seinen drei Schwestern
Mutter Bauer – eine Frau aus dem bürgerlichen
Milieu der Stadt Berlin
Erich Bauer im Smoking 1911
Niemandsland
Großvater studierte in Heidelberg und
schloss das Studium als Bergbauingenieur
ab. Deutschland befand sich zu dieser Zeit
im I. Weltkrieg und es war schwierig, eine
qualifizierte Arbeit zu finden. Da ein chilenisches
Bergbauunternehmen
in
Deutschland
Fachkräfte suchte, verpflichtete er sich, in einer
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Großvater war ein Mensch, der sich ganz seiner
Arbeit widmete. Er war ein fröhlicher Mensch, ein
guter Tänzer, nie todernst oder humorlos. Er war
witzig, also gar nicht der ernsthafte „trockene“
Deutsche, wie man sich ihn stereotyp vorstellt.
Er konnte das Leben genießen. Er reiste viel,
arbeitete hart. Das Leben in Oruros gefiel ihm
vom ersten Moment an: Es gab eine zahlenmäßig
große deutsche Kolonie, das soziale Leben war
reichhaltig und abwechslungsreich und man
feierte gern. Seinen Junggesellenabschied
organisierte er im „Club Social“ auf die elegante
französische Art mit Champagner der Marke
„Pommery & Cremo“, deutschem Weißwein der
Marke „Liebfrauenmilch“, kubanischen Zigarren
der Marke „Partagas“, Trüffeln aus Frankreich,
Poulet a la Normandie, Petit Chautebriand, live
Musik....es fehlte an nichts! Das Leben war sehr
europäisch geprägt und komfortabel. Das gefiel
ihm gut.
Er hatte zwar nicht viel Freizeit aber genug
Zeit, um die Tochter seines Firmenchefs
kennenzulernen, so gut, dass sie die Frau
seines Lebens wurde. Sie, Franziska, „Panchita“
genannt, aus der High Society von Oruro war 22
Jahre jung, er 38 Jahre alt. Im Jahre 1924 wurde
geheiratet.
Hochzeitpaar Bauer
Einladungsliste, Musik und Speisenfolge anlässlich des Junggesellenabschieds
Meine Großmutter war zwar in Oruro geboren,
hatte aber ihre Schulausbildung in Buenos
Aires erhalten, spielte Geige und war begütert.
Hutschenreuter Goldrand,
unser Familienservice in Oruro
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Sie entstammte einer alteingesessenen
Bergbaufamilie englischen Ursprungs. Ihre
Mutter Maria Archer Soria Galvarro gehörte zu
den reichsten Familien der Stadt. Selbst eine
Straße wurde in Oruro nach den Soria Galvarro
benannt.
die sich voll nach ihrem Mann ausrichtete. Sie
führten zu dieser Zeit ein ungemein bequemes,
angenehmes Leben.
Minenanlage im kargen Hochland
Meine Großeltern wohnten im Stadtzentrum
in der „Calle Washington“ in einem eleganten
Wohnhaus. Großvater Erich arbeitete weiter
im Bergbau, aber er hatte sich selbstständig
gemacht, seine eigenen Minen erworben.
Abtransport des Minerals
Oruro und Umzug nach La Paz
Als der Zinnpreis sank und sich die politische
Situation in Bolivien verschlechterte, sahen sie
sich gezwungen, umzuziehen. Ich weiß nicht
genau, wann sie nach La Paz zogen. Ein weiterer
Grund für den Umzug war auch, dass meine
Großeltern für ihre beiden Kinder eine bessere
Sekundarschulausbildung suchten: Diese gab
es auf der Deutschen Schule in La Paz. Vorher
hatten sie beide Kinder schon auf Internate
geschickt: Meine Mutter auf das „Colegio
Irlandés Católico“ in Cochabamba und meinen
Onkel auf das britische Internat „St. George´s
1. Mai Feier in der Deutschen Schule La Paz
Sie bezogen im Stadtzentrum von Oruro ein
großräumiges Haus und bekamen hier ihre
beiden Kinder: Meine Mama Addy 1925 und
meinen Onkel Erich 1930. Das Haus war mit
persischen Teppichen, Gardinen aus Buenos
Aires und allem Luxus der damaligen Zeit
ausgestattet. Das Essen wurde auf weißem
Porzellan mit breitem Goldrand von der Firma
Hutschenreuther aus Deutschland serviert.
Meine Großeltern besaßen unglaubliche
Kristallleuchter und klassische Möbel, alles aus
Europa importiert. Das Haus war geschmackvoll
eingerichtet. Das Leben gestaltete sich äußerst
einfach. Großvater war glücklich. Meine
Großmutter gehörte der Frauengeneration an,
15
St. George´s College in Buenos Aires
College“ in Buenos Aires. Meine Großmutter
schätzte die britische Bildung! Zuhause wurde
aber Deutsch und Spanisch abwechseln
gesprochen. Mit meinem Großvater sprachen wir
Enkelkinder nur Deutsch, ebenso sprach unsere
Mutter nur Deutsch mit uns. Auch Großmutter
beherrschte die deutsche Sprache recht gut, nur
gefiel meinem Großvater ihr spanischer Akzent
nicht. Den fand er furchtbar. So wurde sowohl
die erste wie die zweite Generation Bauer in
Bolivien zweisprachig erzogen.
Kriegsjahre und Nachkriegszeit
Großvater fühlte sich sehr mit Deutschland
verbunden. Jeden Abend hörte er deutsche
Nachrichten mit seinem Grundig-Radio, einem
Weltempfänger. Er lauschte den Reden von Hitler
und glaubte an das Deutsche Reich. Der Frieden
von Versailles, der Demütigung Deutschlands
Erich Bauer zusammen mit Joaquin Bauer, Bernardo Elsner,
Walter Flossbach, Walter Schulz, Willy Decker, Ewald Hubert,
Gustavo Hubert, Erich Schulz, Herr Rudolf, Fritz Kübler und
anderen anlässlich einer NSDAP Veranstaltung in La Paz.
Erich mit schwarzem Trauerflor am Revier anlässlich des
Todes seiner Mutter.
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nach dem I. Weltkrieg und den darauf folgenden
schweren Nachkriegszeiten, trug dazu bei,
dass die deutsche Kolonie in Bolivien sich mit
dem wieder erstarkendem Hitlerdeutschland
identifizierte und solidarisierte. Alle Deutschen
taten das zur damaligen Zeit. Oft hörte man
die Radioübertragungen gemeinsam im
Deutschen Club.
Nach Kriegsende, als die grausamen Wahrheiten
über das Naziregime auch in Bolivien bekannt
wurden, verfiel mein Großvater in eine
Depression. Zudem starb gegen Kriegende
seine Mutter in Berlin. Seine Schwestern
überlebten den Krieg. Er weinte viel. Daran
kann ich mich noch gut erinnern, denn ich
lebte in dieser Zeit bei meinen Großeltern.
Meine Mutter hatte sich 1945 mit einem Militär
der bolivianischen Luftwaffe verheiratet,
1946 wurde ich geboren. Ab 1948 herrschten
bürgerkriegsähnliche Zustände in Bolivien,
die bis bis zum 9. April 1952 andauerten.
Meine Eltern flüchteten vor den politischen
Verfolgungen 1948 ins argentinische Exil und
ich blieb bis zu ihrer Rückkehr 1952 bei meinen
Großeltern. Mit dem Sieg des Movimiento
Nacionalista Revolucionario (MNR) und der
Präsidentschaft von Victor Paz Estenssoro
begann die erste und einzige Revolution
Boliviens.
Aber noch einmal zurück zu den Auswirkungen
des II. Weltkriegs auf unser Familienleben.
Meinen Großvater belastete es sehr, dass
seine Schwestern nach Kriegsende durch
die Teilung Berlins 1945 im Ostteil der Stadt
eingeschlossen waren. Er versuchte, sie da
rauszuholen. Sie hatten ihn schon einmal in
Oruro besucht, aber der Ort gefiel ihnen gar
nicht. Erst jetzt wollten sie nach Südamerika.
Er setzte sich dafür ein, dass sie aus der
Deutschen Demokratischen Republik (DDR)
ausreisen durften. Sie lebten später in Chile,
wo sie auch verstarben. Ich hatte 1970 noch
das Glück mit der jüngsten der drei Schwestern
eine Zeit in Santiago zu verbringen.
Alltagsleben
Großvater ging jeden Tag zur Arbeit, aber ich
weiß nicht wohin und was er genau tat. Er kaufte
und verkaufte Immobilien, baute Häuser und
verkaufte sie. Er unternahm viel in seinem Leben
und er tat es mit Erfolg. Meine Großmutter
war Hausfrau. Wir lebten in der Avenida
Arce in einem der ersten Apartmenthäuser.
Klassische Musik erfreute sie weiterhin.
Meine Großmutter spielte auf ihrer Geige und
beide liebten es, am Abend klassischer Musik
zu lauschen. Diesen Wohlstand und dieses
Wohlergehen wie in den Tagen in Oruro gab es
nicht mehr. Die politische und wirtschaftliche
Situation in Bolivien hatte sich verschlechtert.
Die politischen Verfolgungen, die Krise im
Nachkriegsdeutschland – das alles belastete
meine Großeltern sehr.
hartgekochte Eier, eingelegte saure Gurken
oder Silberzwiebeln und natürlich Schwarzbrot.
Wenn es diese Lebensmittel nicht zu kaufen
gab, wurden sie selbst hergestellt.
Unser Essen waren stark von deutschen
Einflüssen geprägt: Es gab Kartoffelpuffer
und jede Menge deutscher Kuchen, zu
Weihnachten einen gefüllten Truthahn –
das Rezept verwahre ich bis heute in meiner
Küche. Mit Leidenschaft haben wir Kinder
Hühnchen mit Mayonnaise und Zucker oder
Avocado mit Zucker gegessen. Nussmehl,
Zucker und Rosinen wurden viel in unserer
Küche verwand. Es war eine recht gesunde
Ernährung. Zu Trinken gab es zum Mittag oft
schon Schwarzbier mit einem Ei und Nussmehl
verquirlt. Meine Großmutter kochte so, wie
es ihrem Mann gefiel. Das erste Gebot in der
Küche lautete: Chili und starke Gewürze sind
absolut verboten. Chili tötet den Geschmack!
Mein Großvater fand es eine Barbarei, Chili zu
verwenden.
Freizeit und soziales Engagement der
Großeltern in La Paz
Porzellan Teller Rosenthal
In der Freizeit wurde musiziert und viel
gelesen. Während der Woche durften wir
Kinder nach Erledigung der Hausarbeiten mit
unseren Nachbarskindern, Paul und Monika
Rosenbaum, spielen. Die Rosenbaums waren
deutsch-jüdische Flüchtlinge, die sich als
Händler ihren Lebensunterhalt verdienten.
Sie leben schon lange nicht mehr in Bolivien.
Meine Großeltern verstanden sich sehr gut mit
ihnen.
Unser Alltagsleben war durch geregelte
Zeiten geordnet: Die Essenszeiten waren
meinen Großeltern heilig und wurden strikt
eingehalten. Abends aßen wir ein deutsches
Abendbrot und nicht wie die Bolivianer ein
warmes Abendessen. Um fünf Uhr gab es kalten
Aufschnitt oder Hühnchen mit Mayonnaise,
Am Wochenende fuhren wir Enkelkinder mit
unserem Großvater in seinem Ford zum Haus
von Verwandten, um mit deren Kindern zu
spielen. Meine Großeltern verbrachten ihre
Wochenenden häufig mit ihrem Sohn Erich
und seiner Gattin Grace Rowe, Tochter eines
englischen Bergbauunternehmers aus Oruro.
Das waren unsere Freizeiten! Ferien kannten
Aus den guten alten Zeiten in Oruro:
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wir nicht, erst später, als meine Großeltern
nach Santa Cruz zogen und dort eine Finca
bewirtschafteten, verlebten wir die Schulferien
auf dem Lande.
Die Großeltern verbrachten viel Zeit
im deutschen Club. Es gab ein großes
Zusammengehörigkeitsgefühl und so war der
Austausch innerhalb der deutschen Kolonie
sehr intensiv. Großvater war Mitbegründer
der Deutschen Schule und des deutschen
Friedhofs. Auch im Sport war er sehr aktiv.
Er liebte das Tennisspiel und organisierte
die ersten Tennismeisterschaften hier in La
Paz. Jedoch sein spezielles Hobby war die
Schreinerei. Er hatte sich eine Garage zu
einer Werkstatt umgebaut, in der er aus Holz
alles möglich fertigte. Er war ein exzellenter
Schreiner. So nutze ich bis heute Klappstühle,
die er aus Holz hergestellt hat.
Umzug nach Santa Cruz – ein
neuer Lebensabschnitt
1952 kehrten meine Eltern aus dem
argentinischen Exil nach Bolivien zurück.
Daher lebte ich ab 1953 nicht mehr bei
meinen Großeltern, sondern zusammen
mit meinen Eltern. Das war für meine
Großeltern ein einschneidender Moment.
Durch die Revolution des Movimiento
Nacionalista Revolucionario verloren sie
alles, ihre Ländereien in Cochabamba und im
Altiplano. Bis zu diesem Zeitpunkt erhielten
wir regelmäßig große Körbe mit frischen
Agrarprodukten aus dem Tal von Cochabamba
und aus dem Hochland. Meine Familie,
besonders meine Mutter, war für die Revolution
und sie unterschrieben freiwillig, dass das
Land unter den Bauern verteilt werden solle.
Auch die Bergbaulizenzen, die mein Großvater
noch besaß, wurden verstaatlicht und so hatte
er keine weiteren Einkünfte mehr.
Victor Paz Estenssoro, der damalige Präsident,
war ein guter Freund meines Großvaters und
ein großer Bewunderer der Deutschen. Er war
mein Onkel, verheiratet mit einer Schwester
meines Vaters, Carmela Cerruto. Nachdem mein
Großvater alles verloren hatte, fragte er ihn:
Was er mit 66 Jahren denn nun machen solle?
Paz meinte, dass die Zukunft Boliviens in Santa
Cruz läge und zwar in der Landwirtschaft. So
setzte sich mein Großvater mit der deutschen
Kolonie in Santa Cruz in Verbindung und
Im Deutschen Club in Santa Cruz
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Diese Jahre schwerer, körperlicher Arbeit
haben meinem Großvater sehr zugesetzt und
infolgedessen alterte er schnell.
Seine wenige Freizeit verbrachte er auch in
Santa Cruz mit seinen Landsleuten im Deutschen
Club. Seine Frau begleitete ihn selten dorthin,
da sie dem Kartenspiel nicht zugetan war. Die
Männergesellschaft spielte gerne um Geld, was
meine Großmutter verabscheute.
Reisekoffer aus Deutschland,
der ihn ein Leben lang begleitete
lernte die Familie Kempff kennen. Don
Manfredo Kempff half ihm, ein Stück Land zu
erwerben und die „Quinta Bauer“ zu errichten.
Eine Milchwirtschaft sollte es werden. Aus
Deutschland importierte er 14 Rasserinder der
Marke Holstein und einen Zuchtstier. Er war der
erste, der sich dies zutraute.
Dies bedeutet für meine Großeltern eine große
Umstellung! Sie hatten kein elektrisches Licht,
kochten mit Holz und wohnten weit entfernt
von Santa Cruz, das zu jener Zeit auch nur eine
asphaltierte Straße rund um den Hauptplatz
aufwies. Wenn es regnete, verwandelten sich
die Wege in Schlammpisten. Großvater besaß
einen der ersten Jeeps in Santa Cruz. Trotzdem
konnte man den Wagen nicht nutzen, wenn es
heftig regnete, sondern musste auf den Traktor
umsteigen oder zu Fuß bis in die Stadtmitte
waten. Den Traktor hatte er angeschafft, um
Alfalfa für die Rinder anzubauen. Aber er fand
keine willigen und fähigen Arbeitskräfte, die in
der Landwirtschaft arbeiten wollten. Wenn er
Arbeitskräfte aus dem Hochland holte, wurden
diese von den Einheimischen so schlecht
behandelt, dass diese sehr bald das Weite
suchten. Großvater arbeitete wie verrückt,
baute Unterkünfte mit Duschen für die Arbeiter,
brachte ihnen bei, Seife zu benutzen und sich
vor und nach der Arbeit gründlich zu reinigen.
Noch einschneidender war die Umstellung für
meine Großmutter! Sie, die aus einer vornehmen
Familie aus Oruro stammte, war plötzlich
eine Bäuerin, kaufte braune Rassehühner und
widmete sich deren Aufzucht. So wurde sie durch
die Umstände zur Bäuerin und der Lebensstil
gefiel ihr. Großmutter war sehr katholisch. Vor
ihrer Hochzeit wollte sie sogar in einen Orden
eintreten. Ihr Glaube ermöglichte es ihr, alles als
gottgegeben hinzunehmen. Aus dieser Zeit gibt
es eine nette Anekdote über meine Großmutter:
„Chubis“, Raubvögel, bedrohten wiederholt ihre
Hühner. Die Greifvögel raubten immer mehrere
Küken, ließen sie dann im Flug fallen, so dass
sie verendeten. Meine Großmutter konnte
dies eines Mittags nicht mehr mitansehen,
lief in den Flur, wo mein Großvater sein
Mausergewehr versorgt hatte, zielte, schaute
aber weg im Moment des Abzugs und traf
trotzdem die Räuber. Sie empfand Mitleid mit
den Raubvögeln, gleichzeitig wollte sie jedoch
ihre Hühner verteidigen. Also schaute sie
beim Schuss weg. Sie war zeitlebens eine sehr
praktische Frau.
Von 1954–1960 lebten wir, also die erste und
zweite Generation Bauer, hier in Bolivien. Dann
zogen meine Eltern mit uns nach Washington
D.C., da mein Vater als Militärattaché Bolivien
vertrat. So besuchte ich in den USA die
Grundschule.
Jetzt besuchten wir unsere Großeltern in Santa
Cruz nur noch in den Ferien. Dort lernte ich
auf Bäume zu klettern, Mangos vom Baum zu
essen, mit der Natur zu leben, Abenteuer mit
19
Schlangen zu überstehen. Unsere Ferien auf der
„Quinta Bauer“ in Santa Cruz habe ich in sehr
guter Erinnerung behalten.
wo Familienangehörige meiner Großmutter
wohnten und sich um sie kümmerten.
Bezug zu Deutschland
Mein
Großvater
hat
seine
deutsche
Staatsangehörigkeit
nie
aufgegeben.
Deutschland besuchte er während seiner Zeit
in Oruro noch regelmäßig. Später holte er
seine Schwestern nach Südamerika nach. Seine
Mutter war verstorben. So hatte er im Alter
keine nahen Verwandten mehr in Deutschland.
Freunde hatte er wohl auch nicht mehr, denn
ich erinnere mich nur, dass er über seine
bolivianischen Freunde redete.
Ein Andenken aus Deutschland,
das er in seinem Reisekoffer mitbrachte
Das Alter
Das Klima in Santa Cruz bekam meinem
Großvater nicht. Die kalten Südwinde machten
ihm zu schaffen und er erkrankte oft. Gute
Kliniken waren in Santa Cruz nicht vorhanden.
An Medikamenten herrschte oft Mangel. So
verabreichte er sich selbst die Injektionen,
wenn er mal wieder an tropischen Krankheiten
litt.
Bei einer der Fahrten während der Regenzeit
passierte ein Unfall. Großvater fuhr mit dem
Traktor nach Santa Cruz und Beifahrerin
Großmutter fiel während der Fahrt vom Gefährt,
landete aber Gott sei Dank im Schlamm
und wurde nicht von ihrem eigenen Traktor
überrollt. Nach diesem Unglück entschieden
sich meine Großeltern, das Leben auf der Quinta
aufzugeben. Sie zogen zuerst in ein hübsches
Haus in die Innenstadt von Santa Cruz. Und nach
einigen Jahren zogen sie wegen des milderen
Klimas weiter nach Cochabamba. Reisen
konnten sie jetzt nicht mehr, da Großvater stark
unter Arteriosklerose litt. Auch machte ihm
die Höhe von La Paz zu schaffen. Sie lebten
noch acht Jahre zufrieden in Cochabamba,
20
Charakter des Großvaters
Mein Großvater war sein Leben lang ein hart
arbeitender Mensch. Er war gut organisiert
und sehr ordentlich. So hat er auch alle
seine persönlichen Unterlagen gut sortiert
hinterlassen. Selbst seinen Reisepass aus den
40iger Jahren besitzen wir noch. Zeit seines
Lebens war er frohgemut, strikt im Umgang
mit sich selbst und mit seiner Familie. Da er
gleichzeitig sehr liebevoll mit seinen Kindern
und uns Enkelkindern umging, war er uns ein
Vorbild. Er hat nur das von uns verlangt, was
er auch von sich selbst verlangte. Er war Zeit
seines Lebens Lutheraner. Erst in seinen letzten
Lebensjahren trat er zum katholischen Glauben
über. Dies geschah als ein Zeichen des Respektes
und der Dankbarkeit an seine Gemahlin, die
sehr katholisch war und ihr Leben nach ihrem
Mann ausgerichtet hatte.
Das Interview wurde geführt mit Enkeltochter Sonia Cerruto
Bauer im Juli 2015 in La Paz geführt.
Die Fotos stellte Erich Bauer-Rowe bereit
Erich im Labor der Zinnschmelze
Aus den „goldenen“ Zeiten in Oruro: Arbeitsplatz von Erich
in der Zinnschmelze
21
La Paz
Interview
2
Bernhard
Bernhard Friedrich
Christian Elsner
Geboren in Norddorf, Schleswig Holstein, am 29. Juli 1894
Gestorben in Santa Cruz im September 1955
22
Auswanderung
Bernhard wanderte nach dem I. Weltkrieg zusammen
mit vier Brüdern Johannes, Heinrich, August und Hans
nach Lateinamerika aus. Sie waren 11 Geschwister.
Seine Brüder verließen Deutschland schon vor
1905. Bernhard war der Jüngste und besuchte zu
diesem Zeitpunkt noch die Schule, schloss diese
mit der mittleren Reife ab und absolvierte eine
Lehre als Metallwarenkaufmann bei seinem Onkel.
Er sollte nachkommen und vorher noch seinen
Militärdienst absolvieren. 1913 wurde er bei dem
613. Infanterieregiment in Schleswig Holstein
eingezogen.
Bis 1919 nahm er als Offizier am I.Weltkrieg teil, wurde
verwundet und in Carcassonne gefangengesetzt. Die
Zeit der Gefangenschaft nutzte er, um Spanisch zu
lernen und sich Buchhalterkenntnisse anzueignen.
Zwangsweise bereitete er sich sehr gründlich auf
seine Ausreise vor. Er kam erst Ende 1919 frei, da
die Alliierten die in Schleswig-Holstein Inhaftierten
festhielten, um zu verhindern, dass sie in der
Volksabstimmung gegen den Anschluss von Holstein
an Dänemark stimmen könnten. 1920 schiffte er
sich endlich in Hamburg ein. 1921 erreichte er über
Manaus die Kleinstadt Trinidad im bolivianischen
Tiefland.
Infanterieregiment Schleswig Holstein 163
Waffenreinigung
Familie Elsner um 1900
Anfangsjahre
Seine Brüder Johannes, Heinrich und August
hatten zwischenzeitlich in Trinidad bereits das
Handelsgeschäft „Elsner Hermanos“ gegründet. Ihr
Familienbetrieb widmete sich dem Tauschhandel.
Gummi und Chinarinde wurden exportiert und alle
gängigen Waren vom Fingerhut bis zum Klavier
importiert. Noch im gleichen Jahr entzweite sich
Bernhard mit seinen Brüdern. Seine drei Brüder
verließen Beni nie und verstarben noch vor dem
II. Weltkrieg in Trinidad. Sie waren zudem stille
Teilhaber der Firma „Kyllmann, Bauer & Co“ (siehe
Interview Wilhelm Gerhard Kyllmann).
Bernhard zog weiter nach Oruro ins bolivianische
Hochland, wo er beim deutschen Konsul Martins
23
(Großvater von Carlos Martins) eine Anstellung
bekam. Dort hielt er es bis zum Jahre 1925 aus. Ich
nehme an, sie haben mit Erzen gehandelt. Oruro
lebte zu dieser Zeit vom Zinn- und Goldexport.
nicht weiter geführt. In La Paz erblickten meine
Schwestern, Elli und Lina, das Licht der Welt. Erst
sieben Jahre später, 1935, wurde Hans Hermann und
1942 Terecita geboren – wir waren fünf Geschwister.
Familiengründung
Im Jahre 1924 traf die Dame seines Herzens, Elsa
Schweitzer. Sie stammte aus Santa Cruz und ihre
wohlsituierten Eltern besaßen das Handelshaus „La
Providencia & Co“.
Die Familie wächst
Geschäftsaufbau und Selbstständigkeit
Familie Philippe und Barbara de Schweitzer
Am 3. Oktober 1925 fand eine rauschende Hochzeit
in Santa Cruz statt. Meine Mutter, 10 Jahre jünger
als ihr Auserwählter, soll vor der Hochzeit zu ihren
Eltern gesagt haben: „Este o nadie“! (Er oder keiner!)
Bernhard
verließ
das
Handelsunternehmen
Martins und gründete im Einvernehmen mit seinen
Schwiegereltern in La Paz eine Niederlassung der
Firma „La Providencia“. Nach der Hochzeit zog das
junge Paar nach La Paz und von dort weiter nach
Deutschland, um Waren für die Firma zu bestellen.
Auf dieser Reise wurde ich, Bernhard Philipp Hans,
als sein ältester Sohn, in Hamburg am 3. August
1926 geboren. Vater war gerade auf Dienstreise in
Bradford, England, um Waren einzukaufen als ihn die
Nachricht meiner Geburt erreichte. Mit nur wenigen
Monaten kehrte ich nach La Paz zurück. Mein Vater
vermachte mir ein Tagebuch, das er anlässlich
dieser bewegten Tage zwischen Hamburg und
England verfasst hatte. Leider wurde es in Bolivien
24
Um
das
Geschäft
mit
einer
deutschen
Vertrauensperson auszuweiten, überzeugte er
seinen Neffen, Joachim Bauer, von Hamburg nach
La Paz zu ziehen und ins Geschäft als Teilhaber
einzusteigen. Die ältesten Schwestern von meinem
Vater Anna, Nide und Doris lebten zu dieser Zeit in
Hamburg. Joachim Bauer, ein Sohn von Doris, kam
dem Wunsch nach. Schon 1934 trennten sich mein
Vater, Bernhard Elsner mit Partner Joachim Bauer
vom Unternehmen seines Schwiegervaters Philipp
Schweitzer und eröffneten eine eigene Firma unter
dem Namen „Casa Bernardo“ ebenfalls mit Sitz in La
Paz. Bernhard Elsner und Joachim Bauer gelang es
unter hohen persönlichen Einsatz, die Firma relativ
schnell gut auf dem Markt zu positionieren.
Das Handelshaus „Casa Bernardo“ wächst
Der Erfolg der Firma, die auch „La tienda mejor
surtida de la República“ genannt wurde, lag aus
meiner Sicht in der Verkaufsorganisation, die
Bernhard Elsner anwandte. Er arbeitete mit bis zu 70
Handlungsreisenden im Haupthaus und 20 in den
Provinzen, was für damalige Verhältnisse ein hoher
Personalbesatz war. Über Handlungsreisende wurde
die Ware sozusagen an den Mann oder die Frau
gebracht. Sie fuhren mit Lastwagen in die kleinen
Dörfer und Städte, wo sie die Waren ablieferten und
gleich kassierten. Bernhard führte eine sehr strenge
Kassenorganisation ein. Da funktionierte alles am
Schnürchen. Als guter Manager hielt er an den
Handelsmodellen des 19. Jahrhunderts fest. Das war
den jungen Modernen schon viel zu arbeitsam, viel
zu kompliziert. 1935 bis 1942 waren die goldenen
Jahre der Firma „Casa Bernardo“. In den besten Zeiten
gab es wirklich alles in unserem Warensortiment,
von Haushaltsprodukten der damaligen Zeit bis
hin zu Luxusprodukten aus Deutschland. Das war
die Stärke der Firma, Rosenthal, Junghans Uhren,
Kosmetikprodukte von Wella und Margot Astor,
Wolfbestecke. Aus Finnland wurde von der Marke
„Arabia“ alles was Geschirr war, Teller, Tassen,
Schüsseln importiert. Im Jahre 1938 wurde das
Gebäude, in dem sich unser Handelshaus befand,
enteignet, um die Avenida Mariscal Santa Cruz
zu verbreitern. Als Entschädigung erhielt unsere
Familie ein Gelände in der Avenida Camacho Ecke
Colón, also in bester Lage, wo wir das neue Gebäude
der Firma „Casa Bernardo“ zwischen 1939 und 1941
errichteten.
nahe gelegt, Bolivien zu verlassen. So zog er sich
nach Buenos Aires zurück.
Nach Schulschluss im November des gleichen Jahres
zog die Familie nach. Die Auswirkungen des Krieges
legten praktisch alle deutschen Handelsaktivitäten
lahm. Während des Krieges, also in unserer Zeit in
Argentinien, wurde mein Vater, da er in Bolivien
finnische Produkte vertrieben hatte, zum finnischen
Konsul für Buenos Aires berufen. In Buenos Aires
lebten wir bis 1948.
Nationalsozialismus und II. Weltkrieg
Zu Beginn des Nationalsozialismus war mein Vater
Mitglied der NSDAP; 1933 trat er in die Partei ein.
Als 1935 die Judengesetze eingeführt wurden,
ist er wieder ausgetreten. Ich war als Junge sehr
eingenommen von den Nazis. Mein Vater hat immer
nur zugeguckt, was ich machte. Er hat sich an meiner
Entwicklung erfreut. Nie versuchte mein Vater, mich
zu überreden, auch Vorwürfe hat er uns nie gemacht.
Nach einem Jahr in einer Nazigruppe in Buenos Aires
bin ich ausgetreten. Da brauchten wir keine Fahne
mehr an unserem Haus aufzuhängen.
Auswirkungen des Krieges
Im Jahre 1942 erklärte Bolivien Deutschland den
Krieg. Unserem Vater wurde von Regierungsseite
Da die deutsche Nationalität beibehalten wurde,
wurde jährlich ein Führungszeugnis ausgestellt
Die Firma „Casa Bernardo“ wurde in diesen Jahren in
Bolivien verkleinert und ihr großes Firmengebäude
wurde an die „Banco Popular del Perú“ vermietet
und die oberen Stockwerke wurden zu Büroräumen
für andere Unternehmen umfunktioniert. Von dieser
Miete lebten wir in Argentinien. Unsere Familie war
zu diesem Zeitpunkt schon auf sieben Mitglieder
angewachsen. Während des Krieges hat mein Vater
unglaublich viele „Freßpackete“ an die Schwestern
und an die Freunde in aller Welt, besonders aber
25
nach Deutschland, versendet. Erst ab 1948 konnte
die Firma wieder unter Bernhard Elsner und Joachim
Bauer aufgebaut werden. 1949 wurde zudem Franz
Vedral in das Unternehmen aufgenommen.
1950 wurde von meinem Vater in La Paz eine
Tuchfabrik, Namens FATEJA S.A. (Fábrica de
Tejidos Jacard S.A) aufgebaut, um die Importe zu
substituieren. Die Fabrik spezialisierte sich auf
Polyester für die Fertigung der weiten Röcke der
„Cholitas“, den typischen Kleidungsstücken der
Tracht der „Pazeñas“, der Aymarafrauen in Bolivien.
Die Stoffe von FATEJA S.A. wurden auch in die
Nachbarländer exportiert.
FATEJA- Einweihung der Fabrik mit Ministern
Der Olympia Schreibmaschine
Die Nachkriegszeit
Nach der erfolgreichen Anfangsphase vor Ausbruch
des II. Weltkrieges hat sich die „Casa Bernardo“
langsam spezialisiert, mehr Dienstleistungen
wurden angeboten, aber auch zum Beispiel die
Schreibmaschinen von Olympia, die bis heute in
jedem öffentlichen Büro in Bolivien zu sehen sind,
wurden über viele Jahre von uns vertrieben.
FATEJA- Gebäudekomplex der Fabrik
FATEJA hat sich bis in die 70 Jahre sehr gut gehalten,
trotz den immer neuen Herausforderungen, die die
wechselnden Regierungen stellten. In den 70iger
Jahren verkaufte der jüngste Sohn Hans die Firma an
SAID, um so Arbeitsplätze zu retten, da sich FATEJA
nicht mehr gegen die Schmuggelware aus dem
Ausland - insbesondre Fernost - behaupten konnte.
Zudem fehlte es an Kapital, um auf Bauwollfasern
umzusteigen.
Aber noch einmal zurück zu unseren beiden
Unternehmungen in den 50iger Jahren: Die Inflation
1952 und 1956 trafen unsere Firmen schwer und
verminderten erheblich ihr Kapital. Ein schwerer
Schlag für unser Unternehmen war zudem der Tod
von Bernhard Elsner im Jahre 1955 in Santa Cruz.
Trotzdem gelang es uns, bis zum Jahre 1962 die
beiden Firmen wieder zu sanieren.
Ab 1963 veränderte sich die Verkaufsstruktur des
Handelshauses „Casa Bernardo“: Das Unternehmen
übernahm mehr und mehr Vertretungen deutscher
Unternehmen und rückte ab von dem Vertrieb von
26
Haushaltsgegenständen allgemeiner Natur. Die
wichtigsten Vertretungen waren Bayer A.G., Karl
Zeiss, PHYWE, Olympia, Wella und Margret Astor. Als
im Jahre 1968 der Mitbegründer der Firma Joachim
Bauer verstarb, ging die Firmenleitung an Franz
Vedral und die Söhne Bernhard und Hans Elsner
über.
1969 wurde im Rahmen der Vertretung von
Bayer S.A. ein neues Subunternehmen gegründet
die „Química Boliviana S.A.“. Im Rahmen einer
verwaltungstechnischen Rationalisierung waren
so drei Subunternehmen entstanden, die jeweils
einem der drei Geschäftsführer unterstellt wurden.
So wurde im Rahmen der „Gruppe Bernardo“
das Subunternehmen „Casa Bernardo“ von Franz
Vedral, die Textilfabrik „FATEJA S.A.“ von Sohn
Hans und die „Quimica Boliviana S.A.“ von Sohn
Bernhard Elsner geleitet. Bis 1980 existierte unsere
Unternehmensgruppe „Grupo Bernardo“ noch unter
unserer Leitung als Familienunternehmen.
Textilmaschinen und Arbeiterinnen
27
Das Familienleben
Profil meines Vaters
Bei uns Zuhause wurde Spanisch und Deutsch
gesprochen. Vater hielt uns Kinder immer an:
„Deutsch sprechen, Deutsch sprechen!“ Gute
deutsche Gewohnheiten wurden gepflegt. Der Alltag,
den wir lebten, erschien mir ziemlich deutsch und
ziemlich streng. Wir hatten zwar vier Dienstmädchen,
aber wenn Arbeiten im Haushalt anstanden, wurden
wir hinzugezogen. Die Küche war international,
Feste wie Weihnachten, Ostern oder Geburtstage
wurden nach deutschem Brauch gefeiert. Vater war
ein absoluter Familienmensch.
Rechtschaffenheit. Ein wunderbarer Mensch. Er war
absolut rechtschaffend, pünktlich ehrlich, genau,
gerecht in jeder Beziehung – ein Modellmann. Das
ist es, was er uns hinterlassen hat. Als Vater war er
streng und gleichzeitig sehr großzügig. Er war sein
Leben lang bekennender Protestant, meine Mutter
hingegen war sehr katholisch geprägt. Am meisten
hat sich mein Vater familiär dafür eingesetzt, daß
wir Kinder Deutsch sprechen.
Vater war sehr oft krank und litt unter seinen
Wunden aus dem I. Weltkrieg. Seine wenige Freizeit,
wenn er gesund war, verbrachte er in der deutschen
Kolonie. Er nahm sich praktisch nie eine Auszeit.
Sozial hat er sich für die deutsche Klinik stark
gemacht. Die deutschen Ordensschwestern, die
in dem Krankenhaus arbeiteten, wohnten bei uns
zuhause. Danach war er aktiv bei der Gründung der
Deutschen Schule und des Deutschen Vereins.
Nach Deutschland fuhr er nicht sehr oft - vielleicht
1926, 1932, 1942 und 1948. Dann ging es ihm
gesundheitlich schon so schlecht, dass er gar nicht
mehr ans Reisen denken konnte. Wir Kinder reisten
häufiger nach Deutschland, auch meine Frau und ich.
Familienfoto
28
Trotz seiner Krankheit hat er es sehr weit gebracht.
Meine Mutter war eher schüchtern und lieb.
Die katholische Kirche war für sie sehr wichtig,
besonders da wir Kinder später evangelisch erzogen
wurden. Mutter tat, was Vater wollte. Bernhard hatte
unter der Verletzung aus dem I. Weltkrieg über viele
Jahre sehr gelitten. Er verstarb mit 61 Jahren. Unsere
Mutter starb hingegen erst im Jahre 2000 mit 96
Jahren in ihrem Elternhaus in Santa Cruz. Meine
Eltern führten eine sehr gute Ehe. Für sich und seine
Holde hatte er 1935 das schönste Wohnhaus in
San Jorge, La Paz, auf einem Grundstück von 3000
Quadratmetern errichten lassen.
Dass er großzügig war, hatte ich ja bereits erwähnt.
Aber ich möchte es mit einem weiteren Beispiel
illustrieren: Anlässlich meines bestandenen
Unser Wohnhaus
deutschen Abiturs an der Goetheschule in Buenos
Aires hat er mir ein Auto geschenkt, einen Chevrolet.
Ich war fassungslos, weil niemand ein Auto hatte.
Damals gab es noch recht wenige Autos. Das war
1944. Wir feiern dieses Jahr 70 Jahre unseres
deutschen Abiturabschlusses in Buenos Aires.
Das Interview wurde mit Elli und Bernhard Elsner, genannt
„Tusch“, in Santa Cruz am 3.12.2014 geführt.
Zudem flossen Informationen aus der Schrift von Hans
Elsner über die „Geschichte der „Casa Bernardo S.A.“ und
seiner Subunternehmen“ aus dem Jahre 1974 ein.
Sein Sohn Richard Elsner, 4. Generation Elsner in Bolivien,
nahm das Interview im Namen der Familie ab und stellte
die Fotomaterialien zur Verfügung, die sein Vater Hans
aufbewahrt hatte.
29
La Paz
3
Interview
Ludwig
Ludwig Ernst
Geboren in Baden-Baden
Gestorben in Baden-Baden im September 1955
30
Auswanderung
Mein Großvater kam als sehr junger Mann gegen
Ende des letzten Jahrhunderts nach Bolivien. Er
suchte hier sein Glück, denn die Verhältnisse in
Deutschland waren schlimm. Die genauen Daten
kenne ich nicht, aber einer seiner Söhne arbeitete
schon zusammen mit dem deutschen General Hans
Kundt im I. Weltkrieg. Sein Sohn Raúl diente später
unter dem gleichen Kundt in der kriegerischen
Auseinandersetzung zwischen Bolivien und
Paraguay, dem sogenannten Chaco Krieg, 1932-1935.
Raúl wurde mit dem Verdienstkreuz ausgezeichnet,
da er sich freiwillig im I. Weltkrieg an die Front
gemeldet hatte und 1914 eine strategisch wichtige
Brücke sprengte. Er hat also für Deutschland wie für
Bolivien gekämpft.
und kam nach La Paz, wo er bis zu seiner
Rückkehr nach Deutschland lebte. (Anmerkung
CM: Erst im Friedensvertrag von 1904 besiegelte
die bolivianische Regierung die territoriale
Neuaufteilung des Küstenstreifens, die Ergebnis des
Salpeterkrieges 1879-1884 zwischen den Ländern
Chile, Peru und Bolivien war.)
Für Ludwig Ernst begann der wirtschaftliche Aufstieg
in der Neuen Welt in der Grenzstadt Puerto Pérez, am
Titicacasee gelegen damals Chililaya genannt. Dort
managte er die „Agencia Aduanera“, die Zollbehörde,
womit er viel Geld verdiente. Er heiratete Carmen
Rivera, Tochter einer wohlhabenden Familie dieser
Region, die Grundbesitz in die Ehe einbrachte.
„Don Luis“, so wurde Ludwig Zeit seines Lebens in
Bolivien genannt, hielt um die Hand seiner Holden
an, aber die künftigen Schwiegereltern erwiderten
nur: „Unmöglich, er wird wohl einer dieser
atheistischen Ausländer sein!“ Sie verweigerten ihre
Zustimmung zur Heirat und so flüchtete das junge
Paar und ehelichte sich heimlich. Die Ironie der
Situation liegt darin, dass Ludwig ein sehr gläubiger
Katholik war, nur das glaubte man ihm nicht, da
ja die meisten Ausländer der protestantischen
Glaubensgemeinschaft angehörten.
Familiengründung und einschneidende
Familienerlebnisse in Chililaya
Der deutsche General Kundt
Robert S. Brockman, 2012
Ich habe meinen Großvater nie kennen gelernt.
Da er im Alter an seinen Geburtsort Baden-Baden
zurückkehrte und dort verstarb. Ich weiß aber,
dass er zuerst nach Antofagasta kam und dort im
Handel arbeitete. Erst als Bolivien durch den Krieg
mit Chile Antofagasta verlor, verließ er Antofagasta
Mit der Zollagentur in Chililaya verdiente er, wie
schon erwähnt, seinen Lebensunterhalt. Zudem
importierte er peruanische Waren nach Bolivien.
Dort wurden seine ersten drei Kinder geboren, mein
Vater Hugo im Jahre 1888 und die zwei Töchter
Luisa und Carmen. Danach kamen noch zwei weitere
Kinder, nämlich Raúl, der im Chacokrieg kämpfte
und Ruiz der Jüngste, der Pilot, in La Paz zur Welt.
Aus dieser Zeit wurde mir eine für unsere
Familiengeschichte sehr einschneidende Episode
erzählt: Auf einer der Dienstreisen von Don Luis von
Chililaya nach La Paz begleitete ihn sein ältester
Sohn Hugo. Sie gingen in den Deutschen Club zum
Essen. Da trafen sie einen Deutschen, der alleine am
Tisch saß. Es stellte sich heraus, dass es ein Pädagoge
31
aus Deutschland war, der in La Paz eruieren sollte,
wie eine Deutsche Schule zu gründen sei. Dieser
Versuch scheiterte letztendlich, denn die erste
Deutsche Schule wurde in Oruro gegründet. Aber
dieser Pädagoge, ein Herr Professor, hat das Leben
meines Vaters nachhaltig beeinflusst.
Mein Vater ging nämlich in Chililaya mit den
Indiokindern in die Dorfschule. Da er sich
schämte mit Schuhen in die Schule zu gehen, alle
Klassenkameraden gingen barfuß, zog er sie an
der nächsten Wegbiegung aus, versteckte sie in
seinem Schulranzen und war so angepasst an die
armen Verhältnisse der Dörfler. Anfangs bereitete
das Barfußlaufen ihm zwar Mühe, aber er gewöhnte
sich daran. Ebenso erlernte er die Sprache der
Indiokinder, das Aymara, was er Zeit seines Lebens
perfekt beherrschte. Ein bisschen Spanisch brachte
ihm seine Mutter bei. Der Kleine konnte praktisch
nur Aymara. Deutsch sprach er gar nicht. Er war in der
Kultur der indigenen Kinder zuhause. Der deutsche
Pädagoge war entsetzt, als er beim Essen mitbekam,
dass Hugo, ein deutschstämmiger Junge, „wie ein
Indianer“ aufgezogen wurde. Don Luis rechtfertigte
sich zwar mit dem Argument, dass es in Chililaya,
wo er arbeitete, keine andere Möglichkeit gäbe und
er sein Kind bei sich haben wolle. Der deutsche
Pädagoge „outete“ sich darauf hin als Direktor einer
Schule in Deutschland und bot sich an, Hugo mit
nach Deutschland zu nehmen.
Don Luis stimmte zu, kaufte einen Koffer, ein paar
Schuhe und die notwendigsten Kleidungsstücke
und trennte sich von seinem Sohn. Mein Vater lebte
seit diesem einschneidenden Erlebnis 20 Jahre in
Deutschland. Das muss der Schock des Lebens für
klein Hugo gewesen sein: Ein Kind, das im Hochland
aufgewachsen war, das man nach Berlin mitnahm,
das kein Wort Deutsch sprach und das immer nur
mit den Jungen vom Land zusammen gewesen war.
Das muss eine sehr schwere Zeit für meinen Vater
gewesen sein, die Trennung von der Familie und das
neue ungewohnte Umfeld in Berlin.
In Chililaya ereignete sich aber noch etwas
Berichtens wertes: Don Luis holte sich zu seiner
Unterstützung aus Deutschland den jungen
Friedrich (Frederico) Martins als Vertrauensperson.
32
Dieser Friederich verheiratete sich mit einer
Bolivianerin und gründete ebenfalls eine große
Familie in Bolivien, Carlos Martins ist sein Enkelkind.
Die Schwester von Don Luis, Emma, war nämlich in
Hamburg mit einem Martins verheiratet. Und Emma
war die Mutter von Friederich, der so als ganz junger
Mann durch diese Familienbande nach Bolivien
kam. Friederich Martins war später auch mal Leiter
der Brauerei in La Paz – das war damals ein reines
Familienunternehmen!
La Paz – Aufbau der Bierbrauerei
Aber zurück zu unserem Großvater Don Luis. In
dieser Zeit, als er noch in Chililaya lebte, gründete
er in La Paz mit anderen Deutschen die Bierbrauerei,
„Cervecería Boliviana Nacional“, die bis heute existiert,
jetzt allerdings „La Paceña“ genannt wird. Das Logo
wurde über die Jahrzehnte beibehalten. Das Kapital
zu Unternehmensgründung hatte Großvater in der
Zollagentur in Chililaya erwirtschaftet. Er siedelte
nach la Paz um, arbeitete sehr viel, ging früh aus
dem Haus und kam spät abends wieder. Viele Jahre
schaffte er hart, denn zu Beginn war es eine kleine
Brauerei, die langsam wuchs.
Auf Anordnung meines Großvaters musste Hugo
nach dem Abiturabschluss in Deutschland nach
Bolivien zurückkehren und im väterlichen Betrieb
in La Paz arbeiten. Um Deutschland in Kriegszeiten
zu verlassen, musste mein Vater bei den deutschen
Behörden angeben, bolivianischer Staatsbürger
zu sein. Mein Vater hatte viele Ländern in Europa
besucht, sprach sieben Sprachen, aber hatte nie eine
Berufsausbildung abgeschlossen: Er lernte durch
das Leben. Auch er arbeitete hart. Und als Don Luis
nicht mehr arbeiten wollte, das war schon recht bald
um 1914 gewesen, übertrug er seinem Sohn die
Leitung der Brauerei.
Die zweite Generation
vermehrt erfolgreich den Reichtum
und Maria Louisa. Sie wurde in Baden-Baden neben
ihrem Mann beerdigt.
Während Großvater mit seiner Frau und seinen
jüngeren Kindern nach Berlin reiste, um ein gutes
Leben zu führen, musste sein Ältester, Hugo, Geld
anschaffen. Großvater wollte nicht mehr in der
Brauerei arbeiten und wieder in Deutschland
leben. Bolivien hatte ihm nie gefallen. Als mein
Großvater La Paz verließ, um nach Baden-Baden
zurückzukehren, war die Brauerei die größte im
Lande. Als er in Berlin mit seinen vier Kindern lebte,
hatte er ein wunderschönes Haus „Unter den Linden“.
Sie lebten wie die Könige. Aus Berlin kamen immer
die Kabel an meinen Vater: „Hugo, schick Geld! Hugo,
Mein Vater Hugo heiratete eine Argentinierin. Er
lebte mit ihr in La Paz und alle Kinder wurden in La
Paz geboren. Wir waren fünf Geschwister. Neben der
Leitung der Brauerei repräsentierte mein Vater in
Bolivien viele deutsche Firmen wie AEG, BadischeAnilin & Lode Fabriken, OSRAM, Hoffmann La Roche.
Er machte auch als Kaufmann gute Geschäfte und
investierte in Immobilien und Grundstücke. Dann
ging mein Vater in die Politik. Seine Geschäfte führte
sein Kompagnon Rottmann weiter.
Unsere Residenz in La Paz
Auch in seinen besten Zeiten in La Paz, als er schon
ein wohlhabender, angesehener Bürger war, pflegte
mein Großvater einen aufwendigen Lebensstil. Die
Ansichten des ehemaligen Wochenendhauses der Familie Ernst – heute Deutsche Residenz
Annonce des Handelshauses Ernst
schick Geld!“ Der aufwendige Lebensstil des Vaters in
Berlin ebenso wie der seiner Geschwister, die halbe
Hippies waren und nach Monaco ins Spielkasino
fuhren, verschlangen große Geldsummen. Und Hugo
musste das Geld für den luxuriösen Lebenswandel
in der deutschen Hauptstadt herbeischaffen. Daran
erinnere ich mich noch sehr gut.
Großvater kehrte nie mehr nach Bolivien zurück und
verstarb 1955 an seinem Geburtsort in Baden-Baden.
Seine Frau kehrte nach dem Tod ihres Mannes nach
La Paz zurück, was ihr aber nicht mehr gefiel und
so kehrte auch sie nach Deutschland zurück und
lebte dort mit ihren zwei jüngeren Töchtern, Carmen
33
Die Zeiten bis zur
Nationalen Revolution von 1952
Sowohl mein Vater Hugo wie Ernesto Fricke begaben
sich in die Politik. Mein Vater wurde 1939 nach
Berlin als bolivianischer Botschafter berufen, wo wir
bis 1942 lebten. Dort wohnten wir mit der ganzen
Familie in der Meineckestraße Nummer 111. Die
Schule besuchten wir in Dahlem. Sie wurde von den
Ursulinen betrieben. Damals sprach ich gut deutsch,
heute habe ich die Sprache verlernt.
Danach
bekleidete
er
den
Posten
des
Verteidigungsministers
1949-1950
und
des
Wirtschaftsministers
von
1950-1951. Unter
Hernando Siles Reyes war er Präfekt von La Paz
1938 und Bürgermeister während der nationalen
Revolution 1952. Unter Paz Estenssoro wurde er
inhaftiert und nach Peru exiliert. Fricke Lemoine
ereilte das gleiche Schicksal, nur dass er nach
Buenos Aires deportiert wurde.
Elena Sagarnaga de Ernst
heutige Deutsche Residenz wurde von Ludwig Ernst
zu Beginn des 20. Jahrhunderts als Wochenend- und
Ferienhaus gekauft und umgebaut. Er nutzte sie
nur wenig, da er ja schon 1914 nach Deutschland
zurückkehrte. Wir Enkelkinder haben mit unseren
Eltern in den Jahren 1930-1939 dort gelebt bis auch
wir nach Deutschland zogen. Als wir in Deutschland
lebten, gehörte uns das Anwesen noch. Mein Vater
dachte, dass das Haus nicht aufgeteilt, sondern
als Familienanwesen erhalten bleiben sollte. Die
unterschiedlichen Familienzweige sollten im
Wechsel das Anwesen bewohnen. Aber diese Idee
stellte sich als unrealistisch heraus. Als wir nach
Deutschland zurückkehrten, ging das Wohnrecht an
Carmen über, seine Schwester, verheiratet mit Ernst
(Ernesto) Fricke Lemoine, den sie auf einer ihrer
zahlreichen Besuche in Baden-Baden kennengelernt
hatte. Sie lebten lange Zeit darin, bis das Haus 1955
an die Deutsche Botschaft vermietet wurde, die es
auch heute noch als Residenz des Botschafters nutzt.
34
Eine der Gründe zur Exilierung der „Feinde der
Regierung“ war es, die ehemaligen Gutsherren
nicht mehr im Lande zu haben, damit sie keine
Unruhe stiften konnten. Mein Vater hatte nämlich 11
Haziendas aufgekauft. Sein Landbesitz wurde durch
die Regierung 1952 enteignet und an die ländliche
Bevölkerung verteilt, die Gebäude allerdings nicht.
Jedoch konnten wir unsere Gebäude nicht mehr
betreten, ohne Gefahr zu laufen, von der lokalen
Bevölkerung aufgeknöpft zu werden. Unsere
Haziendas waren „Fincas Modelos“, sogenannte
Musterbetriebe. Mein Vater hatte Grundbesitz in
Sorata erworben. Andere Ländereien besaß er
im Altiplano. Sein größter Grundbesitz lag in
Achacachi. Unser Geld kam zur damaligen Zeit schon
zu großen Teilen aus der Bewirtschaftung dieser
Haziendas. Das Handelshaus war schon aufgelöst.
Wir lebten von den Einnahmen der Haziendas,
die er modernisiert hatte. Er kaufte Traktoren und
Lastwagen für seine landwirtschaftlichen
Betriebe. Sie waren sehr modern für die damalige
Zeit. Heute sind alle Gebäude verfallen.
Leben im Exil
Als mein Vater 1952 exiliert wurde, siedelte auch
unsere Familie nach Peru über, wo er noch 12
Jahre bis zu seinem Tode im Jahre 1964 lebte. Ich
kann mich nicht erinnern, dass ich was geerbt
hätte. Mein Vater hat sein verbliebenes Vermögen
im Exil ausgegeben. Er ist mit der Idee gestorben,
nach Bolivien zurückzukehren. Einerseits hatte
er sehr unter den Umständen in Bolivien gelitten,
wollte manchmal nicht mehr zurück, andere Tage
dann wieder doch. Er hatte bis zu seinem Tod ein
zwiespältiges Verhältnis zu Bolivien.
Ernesto Fricke war in Buenos Aires exiliert. Als seine
Frau Carmen in Buenos Aires bei einem Raubüberfall
ermordet wurde, fuhr Fricke, damals schon sehr
krank, zur Untersuchung nach Deutschland. Die
Ärzte sagten, er müsse in die Wärme. So ging er nach
Madrid. Er machte viele Geschäfte, auch im Namen
Anderer. Als er starb, hatte er keinen Pfennig mehr,
war bettelarm. Da er ein „Feind“ der bolivianischen
Regierung war, konnte er nicht zurück. Sie fanden
ihn eines Tages tot in seinem Hotelzimmer auf.
Die Frage war, wer ihn beerdigt. Die bolivianische
Botschaft gab vor, ihn nicht zu kennen. Geld war
keins da, so kam er in Madrid ins Armengrab.
In dieser Zeit des Exils meines Vaters und des Exils
von Fricke vermietete die Familie unser Anwesen an
die Deutsche Botschaft. Fricke unterschrieb noch den
Vertrag. So blieb das Anwesen viele Jahre vermietet
bis ein Botschafter vorschlug, das Haus käuflich zu
erwerben. Das Geschäft wurde mit Maria Luisa, der
jüngsten Schwester von Hugo abgeschlossen. Sie
lebte damals in Cochabamba, wo sie vor acht Jahren
verstarb.
Das Interview wurde mit Clemencia Ernst, verwitwete
Montenegro, Enkelin von Ludwig Ernst
im Januar 2015 in La Paz geführt.
Siehe hierzu auch:
http://de.wikipedia.org/wiki/Hugo_Ernst_Rivera
35
La Paz
4
Interview
August
August Ludolf Gerke
Geboren in Hannover, am 30. Januar 1863
Gestorben in Ocuri, Potosí, am 24. November 1900
Foto: Ehepaar Gerke
36
Die Auswanderung
Schon Ende des 19. Jahrhundert prosperierte in Sucre
das deutsche Handelshaus „Morales & Bertram“.
Durch den Import von Präzisionsinstrumenten aus
Deutschland und sonstigem Zubehör für den Bergbau
gelang es, sich schnell einen Namen im blühenden
Handelsgewerbe zu machen. Zudem wurden Stoffe,
Geschirr, alles, was sich zu guten Preisen verkaufen
ließ, importiert. Nestor Gutierrez Bertram, auch „Tito“
genannt, gehörte zu den ersten deutschen Händlern in
Sucre, lange vor Ankunft der ersten Schütt.
Urgrosseltern in Hannover
Dieser emsige Geschäftsmann Bertram, Onkel meines
Großvaters, reiste nach Deutschland, um einen jungen
Verwandten einzuladen, ihn in das ferne Bolivien
zu begleiten. Herr Bertram suchte einen Buchhalter
seines Vertrauens und der junge August, mein
Großvater, hatte eine Lehre in Buchführung absolviert.
So verließen sie gemeinsam am 14. Februar 1883
auf dem Dampfschiff „Valparaíso“ mit anderen jungen
deutschen Auswanderern den Hafen von Hamburg
Richtung Montevideo. Weiter ging die Reise über
Buenos Aires auf direktem Weg nach Sucre, Bolivien,
höchstwahrscheinlich per Pferd oder Maultier.
In Sucre angekommen logierte man meinen Großvater
im Hause von guten Bekannten ein, der Familie des
Generals Urdinea, Angehöriger der „guten“ Gesellschaft
von Sucre und baskischer Abstammung, ein enger
Freund des Generals Mariscal Braun.
Der junge Gerke in Sucre
Das kurze Leben in Bolivien
Über den weiteren Werdegang meines Großvaters
ist uns wenig bekannt. Wir wissen, dass er sich nach
fünf Jahren mit der Tochter der Familie Urdinea so gut
verstand, dass geheiratet wurde. Am 28. Juni 1888 fand
die Hochzeit in der Pfarrei „Rectoral de San Lázaro“ in
Sucre statt.
37
Die Hochzeitsdokumente wurden beglaubigt von den
deutschstämmigen Trauzeugen Teodor Deuer, Ignacio
Moerch und Telésfofo Reinolds. Zu dieser Zeit lebte
eine große Gruppe junger Deutscher in Sucre.
Kurze Zeit später trafen zwei weitere junge Deutsche in
Sucre ein, Nicolas Jürgen Schütt und der junge Ahrens.
Beide fanden Anstellung im Handelshaus Bertram und
wurden bei der Familie Urdinea einquartiert. Und auch
hier verband die Liebe – Vater Urdinea hatte noch zwei
unverheiratete Töchter und in kürzester Zeit konnte er
sich über drei deutsche Schwiegersöhne freuen.
Auch die ersten Enkelkinder aus diesen Beziehungen
ließen nicht lange auf sich warten. Meinen Großeltern
wurde 1890 Rudolfo, 1896 Marisa und 1899 mein
Vater Carlos in Sucre geboren. Rudolfo, der Älteste,
studierte Ingenieurswesen in Deutschland, wurde als
Soldat im I. Weltkrieg eingezogen, kehrte in schlechtem
gesundheitlichen Zustand nach Sucre zurück und starb
als Junggeselle an den Kriegsfolgen kurze Zeit später
in seiner Geburtsstadt. Die beiden Kinder Marisa und
Carlos sprachen kein Deutsch mehr und besuchten die
Schule in Sucre. Marisa verließ nie ihre Geburtsstadt
und heiratete in Sucre einen Sprössling der Familie
Sainz. Das jüngste Kind meines Großvaters, Carlos, also
mein Vater, brach mit der Tradition der begnadeten
Händler und wählte das Leben des Akademikers. Er
wurde ein angesehener Anwalt. Zudem unterrichtete
er an der Universität in Sucre Rechtswissenschaft und
wurde Dekan dieser Fakultät. Sein Leben widmete er
den Geisteswissenschaften.
Familie Gerke mit deutschen Freunden in Sucre
38
Da mein Vater den akademischen Weg eingeschlagen
hatte und sich aus der Politik heraushielt, stand er
auch nicht auf der „schwarzen Liste“. Wir waren daher
weniger von den Auswirkungen des II. Weltkrieges
betroffen.
Mein Vater heiratete am 25. Juli 1931 Olga Mendieta
Alvarez in Sucre. Dieser Ehe entstammt ein Sohn und das
bin ich. Ich habe wiederum drei Kinder mit meiner Frau,
Marcela Siles Ormachea, Tochter unseres dreimaligen
Präsidenten Dr. Hernán Siles Zuazo, in die Welt gesetzt.
Auch ich habe mich für ein Leben als Akademiker
entschieden und leitete lange Jahre als Rektor die
Geschicke der Katholischen Universität in La Paz.
Wir haben nie unsere Nationalität gewechselt. Das war
aber auch nie ein Problem in unserer Familie. Mein
Großvater war Deutscher, wir Nachkommen fühlen uns
als gute Bolivianer. Wir haben uns ja auch immer mit
Bolivianerinnen verheiratet. Heute beherrscht keiner
mehr in unserer Familie die deutsche Sprache. Ich bin
aber froh, dass das Wissen über meinen deutschen
Großvater dokumentiert wird und diese schöne
Geschichte nicht verloren geht.
Interview mit seinem Enkel,
Carlos Gerke, La Paz im Oktober 2014
Erinnerungsstück: die Uhr meines
Grossvaters aus Deutschland
Ladengeschäft oder Büro um die Jahrhundertwende
(Autor anonym)
39
La Paz
5
Interview
Wilhelm
Wilhelm Bernhard Kyllmann Afinger
Geboren am 28.12.1871 in Berlin
Verstorben am 19.12.1961 in La Paz
Don Guillermo Kyllmann
40
Die Auswanderung
Mein Großvater erblickt in Berlin am 28.12.1871 als
zweites Kind einer großbürgerlichen preußischen
Familie das Licht der Welt. Sein Vater, Walter
Kyllmann, war ein angesehener Baurat zu Berlin.
Nach Beendigung der Schulzeit absolvierte er
eine Lehre als Handelskaufmann in Hamburg.
Bei Verwandten in Manchester sammelte er erste
Arbeitserfahrungen. 1895 reiste er zum ersten mal
nach Südamerika: Buenos Aires, die argentinische
Hauptstadt, war das Ziel. Die Kyllmann Familie
unterhielt gute Beziehungen zur dort ansässigen
Textilindustrie und der junge Kyllmann fand in einer
lokalen Zweigstelle des Berliner Handelshauses
Hardt & Co., einer Tuchmacherei, eine Anstellung.
Das Familienunternehmen Hardt, welches 1803 von
Johann Wolfgang & Sohn in Remscheid-Lennep und
Dahlerau-Wuppertal gegründet wurde, baute eine
Exportfirma für deutsche Textilien ab 1847 in New York
auf. Der Bürgerkrieg in den Vereinigten Staaten von
Nordamerika (1861–1865) wirkte sich unmittelbar auf
die Verkaufszahlen des Handelshauses aus: das Geschäft
lief schlecht. So kam es, dass sich die Firma Hardt & Co.
nach neuen gewinnbringenden Ufern umschaute und
diese in den Ländern Argentinien, Chile und Uruguay
fand. Hier wurden unter dem Namen E. & W. Hardt neue
Filialen aufgebaut und mein Großvater war mit von
der Partie. Auf einer seiner Geschäftsreisen von Buenos
Aires nach Montevideo lernte er seine spätere Frau,
Mathilde Leopold (1871 – 1947), eine deutschstämmige
Uruguayerin, kennen. Die Familie Leopold stammte
in direkter Linie von Prinz Leopold Maximilian von
Brunswick ab. Da Wilhelm bald darauf von seiner Firma
nach Berlin zurückbeordert wurde, fand die Hochzeit
nicht wie geplant in Montevideo sondern im Jahre
1901 in Berlin statt. Für die junge Familie begann einen
schwierige Zeit, da mein Großvater geschäftlich viel
unterwegs war und Mathilde sich nicht so leicht in das
Berlin der Jahrhundertwende einlebte. Zudem verloren
sie ihre ersten beiden Kinder kurz nach der Geburt bzw.
im ersten Lebensjahr.
In dieser Berliner Zeit beauftragte ihn seine Firma
Hardt & Co., die Exportchancen für deutsche
Textilien in Peru zu sondieren. Die Expertise meines
Großvaters fiel positiv aus und so gründeten die
Berliner Textilfabrikanten Engelbert und Walter
Hardt die peruanische Filiale E. & W. Hardt mit
Sitz in Arequipa. Im Frühling 1905 verließen meine
Großeltern Berlin in Richtung Südamerika. Nach
den üblichen Anfangsschwierigkeiten begann in
Arequipa eine glückliche Familienphase mit der
Geburt drei gesunder munterer Kinder, Helmut,
Gerhard und Maria Mercedes.
Im Jahre 1907 entschloss sich die Firma E. W. Hardt,
ihre Aktivitäten nach Bolivien auszuweiten. Sie
beauftragte Wilhelm Bernhard als ihren Vertreter
mit allen Vollmachten für die Firma, diese Aufgabe
zu übernehmen. E. W. Hardt war zu dieser Zeit
auch weiterhin ein reines Handelsunternehmen
für Textilien und entsprechendes Zubehör
(Stoffe, Nadeln, Scheren, etc.). Hardt verkaufte an
Großhändler - in erster Linie an arabischstämmige
Händler, die die Waren im Lande verbreiteten. Soweit
ich weiß, war die Firma Hardt zwar ein deutsches
Unternehmen, bezog aber einen Teil der Stoffe aus
England, der Rest kam aus Deutschland.
Die Einwanderung nach Bolivien
Die Firma E. W. Hardt wurde in La Paz, Bolivien, 1907
in das Register der bolivianischen Handelskammer
als GmbH eingetragen. Die Familie zog aber erst im
Jahre 1914 endgültig von Arequipa weg und siedelte
sich in La Paz an. Von La Paz aus, wo mein Großvater
seinen Hauptsitz einrichtete, gründete er weitere
Filialen: Oruro, Potosí, Sucre, Cochabamba, Santa
Cruz, Villazón (Grenzort und Handelscenter zwischen
Argentinien und Bolivien). Er reiste viel und
beschäftigte weitere Handelsreisende im Auftrag
der Firma E.W. Hard. Der Aufbau des Unternehmens
in Bolivien erfolgte zwischen 1907 und 1908. Die
Erweiterung des Handelshauses erstreckte sich über
die ersten zehn Jahre. Selbst zwischen 1967-1968
wurden noch Niederlassungen in Trinidad, Tupíza,
Camari und Atocha gegründet.
Früher kaufte man lokal ein, besonders kleine
und mittlere Bergbauunternehmen versorgten
sich in der Region. Nur ein Großunternehmer wie
41
Patiño konnte es sich leisten, direkt Güter aus
Deutschland oder England zu importieren. Als der
Bergbauunternehmer Aramayo zum Beispiel die
Mine „Atocha“ in Betrieb nahm – eine Gegend in
der viel Blei, Zinnerze und Silber abgebaut wurden
– eröffnete man eine Niederlassung an dem
nächsten Eisenbahnknotenpunkt, ebenfalls „Atocha“
genannt, der sich zum lokalen Versorgungszentrum
entwickelte.
Mein
Großvater
besaß
den
unternehmerischen Instinkt und eines hohes Maß
an Risikobereitschaft und sagte immer: In Bolivien
kann man gute Geschäfte machen! Ich glaube nicht,
dass man Bolivien als eine Nische bezeichnen kann,
es muss auch Konkurrenz gegeben haben. Aber es
gab viel „Oportunities“ und mein Großvater hatte ein
gutes Gespür, diese zu aufzuspüren.
dass mein Großvater und mein Onkel auch einige
Familienmitglieder der Elsner als stille Gesellschafter
aufnahmen, um das notwendige Kleingeld
zum Aufkauf aufzubringen. Die neugegründete
Gesellschaft „Kyllmann, Bauer & Co“ (steht für die
passiven Teilhaber, wären heute die Aktionäre)
wurde so schuldenfrei geboren. Wir Kinder erfuhren
wenig über die Geldgeschäfte unseres Großvaters.
Man war zu dieser Zeit in Finanzangelegenheiten
sehr diskret, darüber wurde nicht gesprochen.
Er erzählte, dass es alles sehr primitiv war, als sie
in Bolivien ankamen, teilweise wurden die Vertreter
mit Musterkoffern auf die Reise geschickt, um die
Kunden von Dorf zu Dorf zu besuchen. Sorata war
z.B. ein Hauptkundenplatz in der Nähe von La Paz, da
in der Nähe Gold gewaschen wurde. Man verkaufte
dort an andere deutsche Unternehmen. Die lokalen
Händler haben in erster Linie von deutschen Firmen
Waren auf Bestand gelagert und weiterverkauft
(Eisenwarenhandel und Agrarprodukte).
Mit Ehefrau im Garten 1933
Leben in La Paz
Vom Angestellten zum Firmeninhaber
Der Wechsel vom Angestellten zum Firmeninhaber
erfolgte 1933 oder 1934 als sich die Firma Hardt
entschloss, ihre Aktivitäten in Lateinamerika und
Afrika einzustellen. Diese Entscheidung wurde
in Berlin getroffen, da die Familie Hardt nicht
genügend Nachkommen hatte, um das Geschäft
als Familienunternehmen weiterzuführen. Die
zwei Erben konzentrieren sich auf die Hardt´schen
Unternehmungen in Asien und Australien.
Mein Großvater entschloss sich, zusammen mit
seinem Schwiegersohn Wilhelm Bauer Elsner,
verheiratet mit Tochter Maria Mercedes, der Firma
Hardt den Vorschlag zu unterbreiten, alle Aktiva
und Passiva käuflich zu erwerben. Wie der Verkauf
von statten ging, weiß ich nicht. Ich weiß aber,
42
Nach den ersten Jahren, in denen die Familie in einem
kleinem Häuschen der „Villa Lehnchen“ wohnte,
kaufte Großvater ein schönes Anwesen in Sopocachi
mit Köchin, Gärtner und Hausangestellten. Wilhelm
Kyllmann wurde immer respektvoll „Don Guillermo“
genannt. Schon 1920 fuhr Don Guillermo mit einem
der ersten Ford T durch die Stadt, später mit seinem
famosen Studebaker. Als er nicht mehr selbst fahren
durfte, liebte er es, per Chauffeur ausgefahren zu
werden.
Er kaufte gerne in den vielen kleinen Lädchen ein,
wo man alles kaufen kann, was man zum Leben
braucht. Viele dieser Geschäfte waren zu seiner
Zeit in Händen von deutschen Juden. Auch unser
Hausarzt, Dr. Schein, entstammte einer jüdisch
deutschen Familie. Sein Bruder begründete die erste
Sportorganisation in La Paz. Zudem war Großvater
ein guter Klavierspieler und Organisator von Festen.
Was wir Kinder wahnsinnig an unserem Großvater
mochten war, wenn er sagte: „Morgen fahren wir
zum Automobil Club“. Dieser lag damals außerhalb
der Stadt. Drei Häuser, eine Erdstraße, der wilde
Achumanifluß, das war damals Achumani. Dann
mußten zwei Bretter wurden über den Bach gelegt
werden, alle stiegen aus, und Opa steuerte das Auto
zielsicher über den Fluß. Das ging natürlich nur in
Freibad mit sehr kalten Wasser.
Zeit seines Lebens war unser Opa ein sehr sparsamer
Mensch. Er war bescheiden, gab wenig aus. Wenn wir
im Restaurant des Automobilclubs einkehrten, wurde
jede Rechnung genau nachgeprüft, nachgerechnet
und dann doch der höhere Betrag bezahlt. Wenn das
Auto mal nach einem Clubwochenende nicht mehr
ansprang, dann halfen alle Don Guillermo und die
Trinkgelder waren gut bemessen. Auf Reisen war
er großzügiger. In Berlin leistete er es sich schon
mal, im ersten Hotel am Platz dem „Kempinski“
abzusteigen. Er gab große Einladungen. In Berlin
wurde viel Geld ausgegeben, aber in La Paz wurde
jeder Pfennig umgedreht.
Großvater kam ohne große Spanischkenntnisse
nach Lateinamerika und sprach Zeit seines Lebens
das Spanische mit einem deutschen Akzent. Er
war perfekt zweisprachig und sprach auch sehr
gut Englisch, aber er konnte weder Aymara noch
Familie Kyllmann
in La Paz 1932
Die Kinder
der Trockenzeit. In Achumani verbrachten wir oft die
Wochenende mit einem Picnic im Flussbett. Später
als der deutschen Club dort ein weitläufiges Gelände
im oberen Flussbett erworben hatte, konnten wir
Kinder reiten und schwimmen – es gab ein kleines
Quetchua - er lebte halt in La Paz. Über diese ersten
Jahre in Bolivien weiß ich leider nicht soviel, da
er später bei seiner Tochter Mercedes wohnte und
wir nicht den Alltag mit ihm teilten. Wir Kinder
waren in der Schule oder auf der Straße zum
Spielen und haben daher nicht so viel mit dem
Opa geredet. Wir haben mit Opa Skat gespielt, um
ihn zu besiegen und ihm ein paar Piepen aus der
Tasche zu ziehen.
43
Schwere Zeiten
Unter mir nicht bekannten Umständen entwickelte
sich die Firma auch in diesen schwierigen Jahren
des 2. Weltkrieges weiter bis zum Jahr 1942, in dem
Bolivien Deutschland den Krieg erklärte. In diesem
Jahr wurde die Firma auf Strohmänner übertragen
und der Name in „Gumucio y Cia, Ltda.“ geändert.
Somit wurde die Firma „bolivianisiert“ und nicht
weiter den Repressalien der Alliierten ausgesetzt.
Die neue Firma wurde von Juan Gumucio und
Carlos Beller geleitet, einem Deutsch-Bolivianer,
der mit einer „Tanchi“ Elsner verheiratet war (Teil
der stillen Gesellschafter). Firmenteilhaber Wilhelm
Bauer wurde nach Amerika deportiert und später
im Austausch mit amerikanischen Gefangen nach
Deutschland geschickt. Er kehrte erst 1948 oder
1949 nach Bolivien zurück.
Mein Großvater blieb auch während des Krieges
mit seiner Frau und seiner Tochter in Bolivien. Er
wurde nie auf der „schwarzen Liste“ geführt, wohl
wegen seines Beitrags an die Lloyd Aéreo Boliviano,
der ersten bolivianischen Luftfahrtgesellschaft. Er
wurde von guten Freunden geschützt und versteckt,
ihm wurde nie ein Haar gekrümmt. Er ermöglichte
später, dass seine Kinder und Schwiegersöhne nach
Bolivien zurückkehren konnten. Mein Großvater
hatte - soweit ich weiß - seinen deutschen Pass
sein Leben lang behalten, seine deutsche Identität
nie aufgegeben, sich nicht aus politischen Gründen
„bolivianisiert“ wie andere Deutsche.
Großvater im gesellschaftlichen Leben
der Deutschen in La Paz
Mein Großvater war sehr sozial eingestellt, in dem
Sinne dass er die Belange der Deutschstämmigen
Zeit seines Lebens unterstützte und finanziell
förderte. Ob es das Deutsche Kulturzentrum, Centro
Cultural Aleman, CCA, der deutsche Friedhof oder
die deutsche Schule, war - er hatte immer zusammen
mit anderen die deutsch-schweizer-österreichische
„Kolonie“ gefördert. Er war lange deren erster
Vorsitzender. 1921 gründete er mit anderen
Deutschsprachigen die Deutsche Schulgemeinschaft
44
und wurde zu seinem ersten Präsidenten benannt.
1923 wurde die Schule eingeweiht. Zudem war
er Mitglied im Club Aleman, dem Deutschen Club,
und der evangelisch lutherischen Kirche deutscher
Sprache.
Die Deutschsprachigen hielten zusammen. Ihre
Kinder gingen ja auch alle auf die Deutsche
Schule, man traf sich im Deutschen Club. Das
Clubleben war was ganz anderes als heute. Man
traf sich am Abend auf ein Bier zum Klönen, man
spielte Skat und kegelte, - das war das soziale
Leben. Es gab ja kein Fernsehen. Der Deutsche
Club lag mitten in der Stadt, wo heute das Hotel
Europa steht. Neben dem Familienleben stand das
Vereinsleben im Mittelpunkt. Es war damals eine
Selbstverständlichkeit für einen Deutschsprachigen
dort Mitglied zu werden und auch aktiv zu sein,
anders als heute.
Pionier der Luftfahrt mit Familie vor
DC 4 „Guillermo Kyllmann“
Pionier der Luftfahrt
Anlässlich der Feierlichkeiten der bolivianischen
Unabhängigkeit 1925, hatte mein Großvater
zusammen mit anderen reichen Deutschen der
Regierung das erste Flugzeug geschenkt – eine
einmotorige Junker F 13. Sie wurde in Einzelteilen
zerlegt aus den Junker Betrieben in Dessau
importiert und in Bolivien zusammengebaut. Mein
Großvater sammelte das Geld zum Kauf ein. Das
Kassieren konnte er. Er besuchte alle vermögenden
Deutschen, immer wieder und kassierte das Geld. Die
Finanzmittel für den Kauf eines Junkerflugzeuges
zusammen zubekommen, war gar nicht so einfach.
Cochabamba, Santa Cruz, Curumba, Tarija waren die
ersten Strecken. Uyuni, Potosi und Sucre folgten.
Nur La Paz konnte nicht angeflogen werden auf
Grund der Höhe. Das war eine große Leistung der
deutschen Kolonie. Danach war mein Großvater
Jahre lang der erste Präsident der „Lloyd Aéro
Boliviano (LAB)“ zusammen mir Frederico Martins.
Sie gründeten sozusagen die erste Fluggesellschaft
Boliviens und waren ihr bis ins hohe Alter eng
verbunden. Im Jahre 1958 führte er im Alter von 88
Jahren eine Regierungsdelegation an, die mit einer
DC 4, zu seinen Ehren auf den Namen „Guillermo
Kyllmann“ getauft, die Flugstrecke La Paz - Buenos
Aires eröffnete. Er war gut vernetzt mit den wichtigen
Führungspersönlichkeiten seines Gastlandes und
hatte viele Freunde. Er war der große Initiator.
Geburtsstunde der HANSA
Als meine Eltern im Januar 1948 nach Bolivien
zurückkamen,
versuchten
sie,
die
Firma
zurückzukaufen. Die Bedingungen gestalteten sich
schwierig und dauerten bis 1953 an. Hier muss ich
Firmengebäude noch betitelt
mit Kyllmann, Bauer und Co.
kurz ausholen: Ich bin Jahrgang 1934, in Deutschland
geboren und erst nach Bolivien im Januar 1948
gekommen. Mein Vater hatte 1925 im „Colegio
Ayacucho“ sein Abitur abgelegt und ging dann nach
Berlin, um Bergbau zu studieren. Er arbeitete erst
bei den Vereinigten Stahlwerken, dann bei Krupp
in Essen. Er war nie aktiv im Krieg, da er in der
Verwaltung und der Beschaffung von Rohmaterial
beschäftigt war.
Erst 1953 wurde die Firma „Gumucio“ durch Verkauf
in die neu gegründete HANSA Ltda. überführt. Man
wollte zu dieser Zeit nicht die Nachnamen der
Besitzer im Firmennamen führen. Da alle Teilhaber
aus dem Norden Deutschlands stammten, entschied
man sich für den Namen HANSA in Anlehnung an
den Welthandel, der durch die Hanse im Mittelalter
begründet wurde. Die neuen Teilhaber waren mein
Vater Gerhard Kyllmann Senior, mein Onkel Wilhelm
Bauer und Elfriede Elsner, Tochter des ursprünglichen
Teilhabers Elsner. Die zweite Generation übernahm
als Gesellschafter das Unternehmen. Die Aktiven,
die das Geschäft gemanagt haben, waren mein Vater
und mein Onkel.
Es hat sich natürlich einiges geändert durch die
Kriegszeit im Geschäft: Die Textilexporte aus Europa
waren unterbunden und die HANSA handelte nun
mit bolivianischen Textilien zum Beispiel der Firma
„Said“. Said stellte Baumwollstoffe aus importierten
Garnen her, die in Bolivien zu Stoffen verarbeitet
wurden. Ebenso handelte HANSA mit Produkten der
Firma „Forno“, die sich auf Decken aus Schafwolle
spezialisiert hatten, ebenfalls in Bolivien gefertigt.
Feier der Silberhochzeit in Sorata 1957
45
Hinzu kamen als Handelsgüter Lebensmittel,
teilweise importierte wie Mehl, Reis, Speiseöl,
Schmalz, Gewürze, aber auch Produkte, die national
hergestellt wurden wie Quinoa, Salz, DillmanKonserven aus Cochabamba wie eingelegte Gurken,
Gemüse, Spargel. Aus Tarija wurden die Waren
der deutschen Firmen Kohlberg und Kuhlmann
vermarktet, die sich auf die Herstellung von Wein
und Singani spezialisiert hatten.
Nach dem Krieg waren es in erster Linie mein Onkel
Bauer und mein Vater, die die Firma managten. Mein
Großvater hatte sich aus dem Geschäft gezwungener
Maßen während des Krieges zurückgezogen. Er
war für das deutsche Gemeinschaftsleben schon
immer sehr aktiv eingetreten und kümmerte sich
jetzt ausschließlich um solche Aufgaben, wie
Volkswagen in Obrajes, La Paz
Aufbruch ins 21. Jahrhundert
1953 erhielten wir die alleinige VW-Vertretung in
Bolivien, denn es gab ja noch keine VW-Fertigung
in Brasilien oder Mexiko zu diesem Zeitpunkt
(Montage). Heutzutage werden die meisten
Produkte begünstigt durch Handelsabkommen
aus den lateinamerikanischen Ländern importiert
mit Ausnahme von Produkten aus dem höheren
Classement wie z.B. die Automarke AUDI. Bis
heute decken wir die Vertretung der Marken VW
und Audi ab.
Als stolzer Grossvater
den deutschen Kulturverein. Im Alter - seine Frau
verstarb 1947 - war er nicht mehr so ein Clubmensch.
Dies hielt ihn jedoch nicht davon ab, sich stark
beim CCA zu engagieren und große erfolgreiche
Sammelaktionen durchzuführen. Er sprach jeden an
und konnte jeden davon überzeugen, sein Scherflein
beizutragen. Er erreichte das stolze Alter von fast 90
Jahren und verstarb in La Paz am 21.12.1961.
46
Die Weiterentwicklung von einem reinen
Textilunternehmen hin zu einer stärker technisch
ausgerichteten Firma, die Marken wie Sony, Bosch,
Siemens, Elektrolux und Fazit-Schreibmaschinen,
Atlas Kompressoren für den Bergbau zusammen mit
den entsprechen harten Stählen zum Bohren vertrieb,
erfolgte durch die zweite und dritte Generation der
Familien Kyllmann-Bauer. Bis heute hat sich das
Gesicht der Firma ständig weiterentwickelt, um
erfolgreich mit dem Fortschritt mitzuhalten. Heute
gehören zum Portfolie der HANSA auch medizinische
und IT-Produkte (IT=Informationstechnologie).
HANSA hat den Großhandel nie verlassen. In vierter
Generation wird die Firma als Familienunternehmen
weitergeführt. Im Moment arbeiten aus der dritten
Generation Herr George´s Petit, Fernando und
Patricio Kyllmann sowie in der vierten Generation
Sven Kyllmann, Roland Kyllmann und Brigitte Petit.
La Paz, Santa Cruz, Cochabamba und Tarija sind
heute die Standorte des Unternehmens. In anderen
Gemeinden des Landes sind wir durch lokale
Vertreter präsent.
Profil meines Großvaters
Mein
Großvater
als
Gründer
unseres
Familienunternehmens
hatte
immer
eine
Vision, war zukunftsorientiert, sah den Erfolg
und setzte sich für diese seine Ziele ein. Er
war ein durchsetzungsfähiger, erfolgreicher
Geschäftsmann. Trotzdem vernachlässigte er nie
den sozialen Bereich, wenn es um die Belange
der deutschen Gemeinschaft ging. Dabei spielte
die Religionszugehörigkeit eine untergeordnete
Rolle. Wir gehören zwar alle der evangelischen
Glaubensgemeinschaft an und unser Großvater
setzte sich auch immer für die evangelische
Gemeinde ein, jedoch war sein Lebensstil nicht
so stark durch die protestantische Ethik geprägt,
soweit ich mich daran erinnere. Klar, er lebte die
guten deutschen Tugenden wie Pünktlichkeit,
Zuverlässigkeit, Gradlinigkeit und er war sehr
arbeitsam. In diesem Sinne hat er auch uns Kinder
erzogen. Er hat sich nie in den Vordergrund gestellt
und blieb immer eher ein bescheidener Mensch. Er
war ein Pionier - nicht nur in der Luftfahrt!
Das Interview wurde mit den Enkelkindern Gerhard und
Wolfgang Kyllmann (Kinder von Sohn Gerhard) im November
2014 in La Paz geführt. Enkelkind Klaus Bauer ergänzte
wertvolle Erinnerungen, da er als Sohn von Tochter Mercedes
seine Jugend im Haushalt mit dem Großvater verbrachte.
47
48
49
La Paz
6
Interview
Ernst
Ernst Schilling
Geboren in Hamburg im Jahre 1902
Verstorben in La Paz im Jahre 1986
Ernst Schilling als Unternehmer
50
Auswanderung
Mein Vater wurde als zweites Kind einer Hamburger
Kaufmannsfamilie geboren. Nach der Schulzeit in
Hamburg absolvierte er eine Apothekerausbildung.
Anfangs arbeitete er als Drogist, mit den Jahren
spezialisierte er sich auf das Apothekerhandwerk.
Die schwierige wirtschaftliche Situation in
seiner Heimat, jung verheiratet und noch
kinderlos bewogen ihn, 1925 auszuwandern. Ein
befreundeter Apotheker, Carlos Albrecht, hatte ihm
eine Arbeitsstelle in seiner Apotheke in La Paz
angeboten. Dieser übernahm auch die Kosten für die
Schiffsreise von Hamburg über den Panamakanal
nach Arica, von wo aus es per Bahn nach La Paz
weiterging. Meine Mutter, Lyssi Schilling, geboren
in Hamburg 1906, gestorben in La Paz 1992, folgte
unserem Vater zwei Jahre später.
Anfangsjahre
in La Paz
Mutter unterstützte ihn als Sekretärin beim Aufbau
des Geschäftes. Die finanziellen Mittel erhielt er
als Kredit von einer bolivianischen Bank, der Banco
Nacional de Bolivia. Im selben Jahr gelang es
Vater, von der Firma Merck, Darmstadt, die ersten
Produkte zu importieren. Weitere Firmen wie
Knoll, Nordmark und Bayer folgten, von denen er
die Vertretung für Bolivien übernahm. Die Banco
Nacional de Bolivia sollte ihn sein Leben lang
begleiten und die Expansion des Unternehmens
ermöglichen.
Schon zu dieser Zeit arbeitete ein weiterer
deutschstämmiger Kollege aus Hamburg in der
Firma mit Namen Heinz Abendroth. Er muss auch
in der Zeit um 1932 nach Bolivien ausgewandert
sein – wurde 96 Jahre alt und verstarb in Hamburg.
Sein Sohn ist Bernd Abendroth. Mein Vater trennte
sich irgendwann von Abendroth und überließ ihm
die Vertretung einiger Produkte, so dass dieser
eigenständig überleben konnte.
Mein Vater fühlte sich von Anfang an wohl in
seiner neuen Heimat. La Paz gefiel ihm. Der Tag
seiner Ankunft war der 15.09.1925, genau einen
Monat nach den Feierlichkeiten zum 100. Jahrestag
der Staatsgründung Boliviens. Vater lebte in
einer kleinen Wohnung im Stadtteil Miraflores
zur Untermiete und arbeitete im Zentrum in
unmittelbarer Nähe der Plaza Murillo in der
Apotheke „Carlos Albrecht“. Nur ein paar Meter
weiter von der Straße, in der er wohnte, kaufte er im
Jahre 1936 ein Terrain und baute für sich und seine
Familie ein kleines Häuschen. Dies fiel zusammen
mit meiner Geburt im Jahre 1936. Mein Bruder
folgte am 27. Mai 1938.
Beginn der
Selbstständigkeit
1938 verstarb das Ehepaar Albrecht und mein Vater
entschloss sich, eine eigene Drogerie aufzubauen.
Er nannte sie „Droguería Hamburgo“. In der Calle
Socabaya unterhalb der Plaza Murillo. Meine
51
In seiner neuen Firma hatte mein Vater einen loyalen,
vertrauenswürdigen bolivianischen Mitarbeiter,
Alfredo Rea Nogales, ebenfalls Apotheker. Er und
ein Freund im Ministerio de Gobierno informierten
ihn rechtzeitig und warnten vor den Implikationen
der „schwarzen Liste“. So nahm im Jahre 1942
unsere Familie von heute auf morgen den Zug nach
Buenos Aires, um einer Verhaftung zu entgehen.
Die Firma Merck war auch in Argentinien vertreten.
Mit einigen ihrer Vertreter verband mein Vater
ein freundschaftliches Verhältnis, so dass unsere
Familie dort aufgenommen wurde. Vater arbeitete
eine Zeitlang bei Merck als Angestellter bis er sich
selbstständig machte und Holzspielzeug, Bauernund Puppenstuben, anfertigte, was in Buenos
Aires guten Absatz fand. Diese handwerkliche
Geschicklichkeit hatte er von seinen Vater erlernt. Er
hatte eine große Gabe für feine Handwerksarbeiten.
In unserer Abwesenheit führte Vaters guter Freund,
Rea Nogales, zusammen mit Heinz Abendroth
die Firma weiter bis ins Jahr 1947. Abendroth
hatte die deutsche Nationalität aufgegeben und
sich bolivianisiert, so dass ihn das Arbeitsverbot
der Alliierten nicht traf. Mein Vater hat diesen
Schritt abgelehnt. Er hat immer vertreten: „Ich bin
Deutscher und bleibe auch Deutscher!“
Geburtsstunde der
Droguería INTI S. A.
Erst ein Jahr nach Kriegsende im Jahre 1946
durften wir endlich nach La Paz zurückkehren,
allerdings unter der Auflage nicht arbeiten zu
dürfen. Unsere Rückkehr am 21. Juli 1946 fiel
genau auf den Tag der Revolution gegen Präsident
Villarroel. Die konservativen Gegner von Villarroel
hatten zunehmend an Einfluss gewonnen und die
Gewerkschaften schöpften die Möglichkeiten ihrer
neu gewonnenen Rechte voll aus. So kam es am
21.07.1946 zu einem großangelegten Aufstand, in
dessen Verlauf der Regierungspalast gestürmt und
General Villarroel ermordet wurde. Seine Leiche
wurde von einem Balkon des Palastes geworfen
und an einem Laternenpfahl gegenüber dem Palast
52
aufgehängt. Soweit zu den politischen Umständen
in La Paz am Tag der langersehnten Rückkehr.
Trotzdem waren wir froh zurück in La Paz zu sein.
Vater stieg als Gesellschafter wieder bei Nogales
und Abendroth in das Geschäft ein. Er besaß die
Mehrheit der Geschäftsanteile. Da zwei bolivianische
Mitinhaber die Drogerie betrieben, durfte mein
Vater eher als andere deutsche Unternehmer
wieder in das wirtschaftliche Leben zurückkehren.
Sein bolivianischer Partner, Rea Nogales, ein Mann
aus dem Volke und indigenen Ursprungs hatte
zudem die gute Idee, das Geschäft im Jahre 1947
in „Drogueria INTI S.A.“ um zu benennen, was soviel
wie „Sonne“ auf Quechua und Aymara bedeutet –
eine für die weitere Entwicklung der Firma sehr
gute Entscheidung. Die juristische Körperschaft
unter der Bezeichnung INTI S.A. ist bis heute unsere
Firmenbezeichnung und kennzeichnet den Beginn
des unternehmerischen Aufschwungs.
Leben in La Paz
Für meine Eltern stand das Familienleben stets
im Mittelpunkt. Unser Familienleben war von
deutschen Gewohnheiten geprägt. Es wurde
zuhause nur deutsch gesprochen. Dies wurde bis zu
den Enkelkindern beibehalten. Auch die Ess- und
Tischgewohnheiten waren sehr deutsch. Mutter
und Vater haben immer darauf geachtet, dass die
Esssitten korrekt waren. Mein Vater hat von uns
verlangt, pünktlich und zuverlässig zu sein. Seine
beiden Söhne hat er auf die Deutsche Schule und
danach zum Studium nach Deutschland geschickt.
Beide haben nicht nur ein Apothekerstudium
absolviert, sondern in diesem Fach auch
promoviert. Er legte Wert auf eine gute Erziehung
und ermöglichte sie uns. In seiner Freizeit hat er
sich sehr um seinen Garten gekümmert. Er war kein
Kaffeehaus– oder Clubmensch. Er liebte die Natur
und hat sie uns Kindern näher gebracht.
Mein Vater nahm uns zudem immer mit in die Berge.
Aus welchem Grund? Um das Land besser kennen
zu lernen. Da sind wir zum Beispiel von La Paz aus
Richtung Illimani bis in den Yungas gewandert,
mein Vater zu Fuß, meine Mutter und wir Kinder
auf Maultieren. Den Inkaweg „Yunga Cruz“ haben
wir schon damals regelmäßig abgewandert. Mein
Vater nutzte diese Reisen, um in kleinen Apotheken
die Produkte der Firma Droguería INTI anzubieten
und auf dem Lande zu verbreiten. Das hat er sehr
gerne und regelmäßig gemacht. Auch in Santa
Cruz, Cochabamba, Sucre, Potosi, Oruro, Tarija
sind Vertreter der Droguería INTI für drei bis vier
Monate durch die ländlichen Gebiete gereist und
haben unsere Produkte vertrieben. Das war eine
sehr gute Werbestrategie. Die Handelsvertreter
der Firma Droguería INTI waren zu dieser Zeit zum
größten Teil Deutschstämmige – viele von ihnen
sind heute verstorben. Ihre Nachkommen leben
nicht mehr in Bolivien. Auch ich als Nachfolger
meines Vaters habe diese Reisetätigkeit später
fortgesetzt, allerdings nicht mehr per Maultier,
sondern per Jeep.
Mein Vater hat auf seinen Reisen auch viel gefilmt,
die Natur, die Gebräuche, unsere Familie. Leider
sind diese Dokumente verloren gegangen. In
Bolivien haben wir auch unsere Ferien verbracht, in
den Yungas oder am Titicacasee – mein Vater liebte
Bolivien. Wenn er schon mal eine Reise ins Ausland
unternahm, fuhren wir ans Meer nach Argentinien.
Alle drei Jahre spendierten sich die Eltern eine
Reise nach Deutschland, genauer gesagt nach
Hamburg, um die Familie zu besuchen. Besonders
meiner Mutter fehlte manchmal die Hamburger
Seeluft. Wenn sie es ermöglichen konnten, blieben
sie bis zu drei Monaten in der alten Heimat.
Aufbruch
ins 21. Jahrhundert
1948 war der Beginn der Entwicklung von einer
Drogerie, die hauptsächlich deutsche Produkte
vertrieb, hin zu einer industriellen Produktion der
Droguería INTI S.A. Mein Vater erwarb hinter unserem
Haus Land, auf dem er die erste Produktionsanlage
errichtete. Das ging relativ schnell von statten:
Schon 1950 war das Laboratorium fertiggestellt
und wurde mit Maschinen aus Argentinien
bestückt. Wir hatten einen deutschstämmigen
Apotheker, Heinz Throm aus Chile, der als
Produktionsleiter eingestellt wurde. „Mentisan“
war eines der ersten Produkte, die er nach eigener
Rezeptur entwickelte. Danach folgten Aspirin und
andere einfache Mittel, die einen breiten Absatz
fanden und Geld einbrachten. Darüber hinaus
importierten wir Erzeugnisse aus Deutschland
oder stellten sie unter Lizenz her. Auch Pharmaka
der argentinisch-deutschen Firma Römers wurden
hier in Lizenz hergestellt. Die Kontakte dazu hatte
er schon vor dem II. Weltkrieg geknüpft, aber
Das gesellschaftliche Leben meiner Eltern spielte
sich in der deutschen Kolonie ab. Eine Zeitlang
war mein Vater Vizepräsident des Deutschen
Kulturvereins, CCA. Auch hat er bei Aufbau und
Weiterentwicklung des Goetheinstituts eine
tragende Rolle gespielt. Meine Eltern waren
Mitglied der evangelischen lutherischen Gemeinde
deutscher Sprache und haben uns Kinder auch in
diesem Sinne christlich erzogen. Man kann sagen,
dass meine Eltern immer die deutsche Kolonie
unterstützten.
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nach dem Krieg intensiviert. Somit konnte er die
Produktion in seiner eigenen Firma in kurzer Zeit
aufbauen. Dank dieser deutschen Firmen konnten
wir Produktionsmaschinen für Pharmaprodukte
erwerben, hier aufbauen und somit eine moderne,
dem Fortschritt angepasste Industrie entwickeln.
Mein Vater versuchte immer, mit der Zeit zu gehen.
Er riskierte und gewann – Dank der Kredite seiner
Hausbank gelang es uns als Familienbetrieb, die
finanziellen Herausforderungen der Innovationen
zu meistern. Er pflegte den Kontakt zur Hausbank
sehr. Das halten wir bis zum heutigen Tage so.
Mein Vater hat bis zum letzten Tag in der Firma
gearbeitet. Oftmals hörte man ihn sagen: „Ihr
werdet mich eines Tages aus der Firma heraustragen
müssen“. Und so ist es geschehen. Er erlag mit 84
Jahren, einen Monat vor seinem Geburtstag, einem
nicht entdeckten Krebsleiden.
Mein Vater
Mein Vater war ein humorvoller Mensch. Seine
witzigen und gescheiten Formulierungen trafen
oftmals den Kern der Sache. Deutsche Tugenden
waren ihm wichtig, besonders die Pünktlichkeit.
Er hat sein Leben lang bis zu seinem Tode hart
gearbeitet. Mit seiner Zeit ist er sehr effizient
umgegangen. Ein Prinzip, das er sogar am
Wochenende betonte: „Heute ist Wochenende, da
reden wir nicht über das Geschäft. Am Montag könnt
ihr wieder über die Arbeit reden.“ Strikt trennte er
zwischen Freizeit und Arbeitszeit. Das konnte er
perfekt. Liebevoll verhielt er sich gegenüber seiner
Frau, uns Kindern und den Enkelkindern. Er war ein
Familienmensch.
Mein Vater war zudem auch der „Vater“ seiner
Angestellten. Wohlmeinend wurde er von ihnen
„El Papa“ genannt. Lief bei seinen Angestellten
mal was schief, so hat er geholfen und die Sache
in irgendeiner Form wieder hingebogen. Sein
größter Verdienst liegt wohl darin, dass er sehr
früh erkannt hat, dass sich Bolivien nur durch
den Aufbau einer Industrie weiterentwickeln
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kann. Die Pharmaindustrie, die durch meinen
Vater aufgebaut wurde, ist heute mustergültig für
andere Industriezweige. Droguería INTI S. A. hat
es geschafft, sowohl für den Export wie für den
nationalen Konsum zu produzieren und so einen
wichtigen Beitrag zur Volksgesundheit zu leisten.
Das Interview mit Sohn Dr. Ernst Schilling wurde im
November 2014 in La Paz geführt.
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La Paz
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Interview
Gerhard
Gerhard Zimmermann
Geboren in Leer, Ostfriesland im Jahre 1886
Gestorben in Luzern im Jahre 1966
Menno Smid Zimmermann
Geboren in Hannover am 30.3.1900
Gestorben in La Paz am 24.04.1954
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Eine Großfamilie zwischen Deutschland
und Bolivien
Mein Großonkel wanderte im Jahre 1920 nach La Paz
aus, da er von Simon Patiño ein Arbeitsangebot als
Buchhalter in seinem Firmensitz in der bolivianischen
Hauptstadt erhalten hatte. Die Freundschaft der
beiden wurde durch das Geschenk einer goldenen
Uhr besiegelt, die sich bis heute im Besitz meiner
Familie befindet.
Das Uhrengeschenk von Simon I. Patiño
mit Widmung für meinen Großonkel
Die Freundschaft mit dem Zinnbaron Patiño
war der Beginn einer bis heute andauernden
Migrationsgeschichte, denn mein Großonkel
Gerhard holte peu à peu weitere Familienmitglieder
aus Deutschland nach Bolivien. Da über das
Leben meines Großonkels nicht mehr so viele
Erinnerungen überliefert sind, werde ich mich in
meinen Erzählungen in erster Linie auf meinen Vater
beziehen.
Mein Großonkel – die Gründergeneration
Das Startkapital erwarb sich mein Großonkel durch
seine Arbeit als Buchhalter bei Patiño. Er hatte das
Vertrauen des Zinnbarons gewonnen und wickelte
bald auch die Verträge für Patiño vor allem auf
Englisch ab. Da Patiño der englischen Sprache nicht
mächtig war, mein Onkel sich aber mit Englisch recht
gut auskannte, gehe ich davon aus, dass er schon in
dieser Zeit zusätzliche Einkünfte erzielte und einige
Ersparnisse bei Seite legte.
1925, also schon fünf Jahre nach seiner Ankunft als
armer Schlucker in Bolivien, gründete Großonkel
Gerhard eine Druckerei in La Paz mit dem Namen
„Litografías y Imprentas Unidas S.A.“ Frühzeitig stieg
er auch als Aktionär in die Brauerei „Cervecería
Boliviana Nacional S.A., heute „La Paceña“, ein. Ein
Teil seiner Aktien wurde an uns Neffen vererbt. Zeit
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Eine der zahlreichen Patiño
Bergbauunternehmen
seines Lebens in La Paz blieb Gerhard Junggeselle.
Er zeugte zwei uneheliche Kinder, die den größten
Teil der Aktien der Brauerei erbten. So lange sie
minderjährig waren, wurden die Aktien von meinem
Vater verwaltet. Diese Kinder erfuhren nie von der
Vaterschaft, erbten die Aktien, kannten aber nicht
ihre Herkunft.
Zu dieser Zeit lebte mein Großonkel schon in
Chile, später dann in der Schweiz. Die Zeit des II.
Weltkrieges verbrachte er in Chile. Dort gründete
er eine Hemdenfabrik, die sich sehr gut entwickelte.
Die Hemdenmarke „Norton“ – eine Referenz an
seine alte Heimat Ostfriesland - war sehr bekannt
in Chile. Als Geschäftsführer „importierte“ er den
Bruder meines Vaters aus Deutschland, der die Firma
über viele Jahre leitete und erst vor kurzen in Chile
verstorben ist. Mit „Norton“ hat mein Großonkel
auch noch einmal viel Geld verdient.
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Bierbrauerei in La Paz, Anteileigner Gerhard Zimmermann
Die Gründe warum er Chile verließ und in die Schweiz
zog, sind mir nicht bekannt. Seine erste und einzige
Ehe schloss er mit einer italienischen Gräfin in der
Schweiz, die ihn um einige Finanzen erleichterte,
was ihn als guten Buchhalter recht bekümmerte.
Die Druckerei in La Paz hat ausreichend Geld
abgeworfen, um allen Kindern eine gute Ausbildung
in Deutschland zu gewähren. Zudem hatte mein
Großonkel im richtigen Moment Grundbesitz
erworben und in der Avenida Ballivian, Ecke Colón
ein sechsstöckiges Hochhaus errichtet, welches
Mieteinnahmen generierte. Ich erinnere mich noch
gut daran, dass wir Kinder dort hin geschickt wurden,
um die Mieten zu kassieren.
Die zweite Generation wächst heran: Vater
wandert nach Bolivien aus
Mein Vater, Menno Smid Zimmermann, erblickte
als Kind einer siebenköpfigen Lehrerfamilie Smid
Zimmermann in Hannover im Jahre 1900 das Licht
Neue Gebäude in der
Innenstadt von LP
der Welt. Meine Großeltern stammten aus dem
Norden Deutschlands: Die Smids kamen aus Leer
und die Zimmermanns aus Hannover. In der Familie
wählten die meisten Kinder den Beruf des Arztes,
aber mein Vater entschied sich für ein Jurastudium.
1923 in der Zeit der großen Depression beendete
er erfolgreich sein Studium in Hannover. Aber auch
für einen gut ausgebildeten jungen Mann wie
meinen Vater war es nach dem I. Weltkrieg schier
aussichtslos, eine gut bezahlte Arbeit zu finden.
In Deutschland herrschte eine Hyperinflation, die
Arbeitslosigkeit war hoch und so kam es meinem
Vater sehr gelegen, dass unser Großonkel ihn nach
La Paz rief. Der Großonkel finanzierte die Überfahrt
und unterstützte ihn in den ersten Monaten nach
seiner Ankunft.
Leben in La Paz
Als Junggeselle wohnte mein Vater in den ersten
Jahren im „Rancho“, bekannt für das Zusammenleben
einiger junger Leute, darunter vieler Einwanderer
aus Deutschland. Er arbeitete als Geschäftsführer
in der Druckerei meines Großonkels. Mein Vater
heiratete erst 1933 eine frisch aus Hamburg
eingereiste junge Frau, Lotte Evers, 1912 geboren.
In La Paz holten die Vorfahren der Familien
Delius und Harjes zu dieser Zeit junge Frauen
aus Deutschland nach Bolivien. Man heiratete
deutsch! Diese jungen Frauen zogen wiederum
ihre Schwestern nach. Das war das Glück meines
Vaters, der so meine Mutter kennen und lieben
lernte. Meine Mutter entstammte einer typischen
Hamburger Kaffeekaufmannsfamilie.
Ihre Ausbildung, eine Hauswirtschaftslehre, hatte
sie jedoch in Schlesien auf einem Landgut erhalten.
Menno und Lotte zeugten in den folgenden Jahren
sechs Kinder und zogen sie in La Paz groß.
Wir besuchten alle die deutsche Schule und
absolvierten hier das Abitur. Der Älteste studierte
in Deutschland, kehrte nach Studienabschluss aber
nach Bolivien zurück und unterstützte später meine
Mutter in der Leitung der Druckerei. Nach dem
Verkauf der Druckerei zog er nach Brasilien. Alle
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stand daneben ein dicker Polizist, aus dessen
Hosentasche ein Bündel Briefmarken hervorlugte
- anscheinend Fehldrucke, die er beiseitegeschafft
hatte. Meine Mutter flüsterte mir zu, ich solle
mich von hinten an ihn heranschleichen, um diese
Fehldrucke unbemerkt aus seiner Hosentasche zu
ziehen. Dies gelang mir auch. Daran kann ich mich
noch gut erinnern.
Ferner besaßen wir eine große Presse für die
Buchhaltungsbücher. Damals wurden die Unterlagen
der Buchhaltung erst gebunden und dann gepresst.
Es waren richtige Bücher und wir Knirpse durften
Famile Arend Smid 1949
in La Paz
meine Geschwister waren zeitweise in der Druckerei
tätig. Ich bin der zweitgeborene und fuhr nach der
Schulausbildung zur See für den Norddeutschen
Lloyd in Bremen (heute Hapag-Lloyd).
Unsere Druckerei – von Banderolen und
Briefmarken
Damals gab es schon die ersten Offsetdruckereien in
Bolivien, wir aber spezialisierten uns auf den Druck
von Briefmarken,Etiketten und Buchhaltungsbüchern.
Lange Zeit druckten wir die Briefmarken für Bolivien
wie auch die Etiketten für die deutsche Bierbrauerei.
Für den Druck der Briefmarken wurde das Motiv auf
Stein im Hochrelief gemeißelt. Die bolivianischen
Briefmarken wurden in großer Stückzahl produziert.
Das war unsere Spezialität. Papier und Maschinen
wurden aus Deutschland importiert. Daran kann
ich mich noch gut erinnern, da ich schon mit
sieben Jahren im Betrieb mitgeholfen habe. Wir
Kinder kontrollierten zum Beispiel, ob die Marken
fehlerfrei gedruckt waren. Briefmarken mit Fehlern
wurden im Beisein der Postbehörde verbrannt.
Ich erinnere mich an einen Fehldruck, bei der die
Tür des Eisenbahnwaggons nicht verschlossen
war, heute eine Marke mit hohem Sammlerwert.
Die Verbrennung fand in der Zentralbank statt, wo
Fehldrucke von Briefmarken und Geldscheinen in
einem speziellen Ofen verbrannt wurden. Einmal
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Bolivianische
Briefmarke
mithelfen, sie zu erstellen. Also Bücher für die
Buchhaltung waren ebenso unsere Spezialität. Des
Weiteren erwarben wir uns im Buchdruck Lorbeeren.
Damals gab es praktisch keine Konkurrenz.
Letztere kam erst in den fünfziger Jahren auf.
Diese Spezialisierung war unser Hauptgeschäft
in den vierziger Jahren. Der normale OffsetDruckereibetrieb entwickelte sich erst viel später.
Ich war Spezialist für das Pressen. Damals war einer
unserer Onkel, der Schiffsoffizier war, in Jamaika in
englische Gefangenschaft geraten. Als Deutschland
den Briten den Krieg erklärte, war er umgehend von
seinem Schiff - er arbeitete für die Hapag Lloyd in
Aruba - durch die Briten gefangengesetzt und in
Jamaika interniert worden. Ich beherrschte so gut die
Kunst des Pressens, dass ich eine ganze Schachtel
Derby Zigaretten in einen Briefumschlag pressen
konnte, so dass die Kontrollen des Gefängnisses die
Deutsche Schule La Paz
Fotografie: Familie Elsner
Kassenbuch einer der Unternehmen
der Familie Elsner aus den Jahren 1942-1944
Zigaretten nie entdeckten. Mein armer Onkel war so
immer mit frischen Zigaretten aus Bolivien versorgt.
Die Druckerei in schweren Zeiten
Den II. Weltkrieg hat unsere Druckerei gut
überstanden. Dies ist dem Umstand zu verdanken,
dass mein Vater nicht auf der „Schwarzen Liste“
stand. Er hatte nämlich einem deutschen Lehrer
während eines Tennisspiels gestanden, dass er nicht
an den von den Nationalsozialisten propagierten
Endsieg glaube. Der Lehrer benachrichtigte
umgehend den Gauleiter in Buenos Aires, der extra
wegen meinem Vater nach La Paz anreiste. Mein
Vater musste eidesstattlich erklären, dass er doch
wolle, dass Deutschland den Krieg gewinne. Dieser
Vorfall führte bei Einführung der „Schwarzen Liste“
dazu, dass man ihn schonte.
Damals lief die Druckerei noch auf den Namen
meines Onkels, der zu dieser Zeit schon in Chile
lebte. So wurde die Firma nicht enteignet. Erst
nach dem Krieg wurde die Druckerei auf meinen
Vater überschrieben. Sie wurde als „Litografía e
Imprintas Unidas S.A.“ auf meinen Vater übertragen.
Er war der Haupteigentümer. Mein Vater starb
1954 und meine Mutter leitete die Firma weiter.
Erst 1975 wurde die Druckerei verkauft, da meine
Mutter wieder geheiratet hatte und zwar den
Direktor der deutschen Schule, Günther Linder. Um
seine Pension zu beziehen, war mein Stiefvater als
deutscher Beamter gezwungen nach Deutschland
zurückzukehren. Damals war es nur möglich, mit Sitz
in Deutschland die Rente oder Pension zu beziehen.
Da meine Mutter mit ihm zusammen leben wollte,
war der Verkauf der Druckerei die Lösung. Damals
ließ sich die Firma gut verkaufen. Sie hat noch viele
Jahre unter einer Familie Otero weitergearbeitet.
Alltagsleben in La Paz
Wir wohnten zuerst in Sopocachi, ab 1948 in
Obrajes, Calle 7. Da hatte mein Vater am Hang ein
Grundstück erworben und ein großes Haus gebaut.
Wir sechs Kinder hatten alle ein eigenes Zimmer. Wir
konnten von unserem Haus auf die heutige deutsche
Residenz runterschauen, die Villa der Familie Fricke
Lemoine (s. Interview Ernst). Da mein Vater ein
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wohnte bei einer deutschstämmigen Familie. Der
einzige der in dieser Zeit in Frutillar der deutschen
Sprache nicht mächtig war, war der Polizist
des Ortes. Dieser Kontakt nach Frutillar wurde
durch den evangelischen Pastor Schünemann
hergestellt, der in Frutillar tätig war und von dort
aus auch unsere evangelische Gemeinde in La Paz
betreute.
Das Gesellschaftsleben in La Paz
Zum Spielen gings in Nachbarsgarten
der Familie Ernst Fricke Lemoine
guter Freund der Besitzer war, spielten wir oft in
diesem wunderbaren Garten. Die beiden Männer
verbrachten so manches Wochenende miteinander.
Bei uns zuhause wurde grundsätzlich nur
deutsch gesprochen. In der Küche wurden auch
bolivianische Gerichte zubereitet – heute würde
man das „cuisín fusión“ nennen – deutsche und
bolivianische Kochkunst wurde kombiniert. Die
Alltagsgewohnheiten dagegen waren sehr deutsch.
Man aß gemeinsam zu geregelten Tageszeiten
und am Abend gab es eine Brotzeit. Am Sonntag
kochte meine Mutter immer etwas Besonderes.
Familienausflüge wurden in den Yungas nach
Chulumani unternommen. Dort verbrachten wir
auch unsere Ferien. Wir haben uns unser Ferienhaus
im typisch deutschen Stil erbaut. Sogar die Möbel
waren im bayrischen Stil aus Holz gezimmert.
Die Zeiten des II. Weltkrieges
Als ich 12 Jahre alt war, wurden wir nach Frutillar,
Südchile, in die deutsche Schule geschickt, da es
in La Paz verboten war, Deutsch zu unterrichten.
Die deutsche Schule wurde geschlossen und mein
Vater wollte nicht auf eine deutsche Erziehung für
seine Kinder verzichten. Erst in den 50iger Jahren
durfte wieder Deutsch in Bolivien unterrichtet
werden. Dort war ich zwei Jahre in der Schule und
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Meine Mutter war sehr aktiv in der deutschsprachigen
evangelischen Gemeinde und Gründungsmitglieder
beim Kirchenbau. Auch im Deutschen Club und
im Deutschen Kulturverein waren wir Mitglied.
Hauptsächlich war meine Familie aber in der
deutschen Kirchengemeinde aktiv. Ich war später
sogar 22 Jahre im Kirchenvorstand und Präsident
dieser Gemeinde. Über zwei Generationen hinweg
waren wir Mitglied der deutsch-bolivianischen
Handelskammer. Durch die Arbeit in der Brauerei
und der Druckerei verbrachten wir aber auch viel
Zeit mit Bolivianern, ich würde sagen, das hielt
sich die Waage.
Alle
Feierlichkeiten
haben
wir
zuhause
verbracht, hundert Prozent nach deutschen
Gebräuchen und Sitten ausgerichtet. Es wurden
deutsche Weihnachtslieder gesungen, deutsche
Weihnachtskekse
gebacken
und
deutsche
Hausmusik gespielt. Mein Vater saß am Klavier
und begleitete uns. Wir Kinder wurden angehalten,
Musikinstrumente zu erlernen, z.B. Klavier und
Cello. Die Musikinstrumente wurden importiert. Wir
besuchten Konzerte, waren alle sehr musikalisch.
Die klassische Musik, die in Bolivien gespielt
wurde, war sehr von den Deutschen in La Paz
beeinflusst. Ich war so fanatisch, dass ich mir sogar
- als ich als Kapitän zur See fuhr - ein Pappklavier
mitgenommen habe.
Mein Vater liebte den Sport, er spielte Tennis und
war Mitglied im hiesigen Tennisclub in der Avenida
Arce. Meine Mutter teilte nicht die Liebe zum Sport,
aber umso mehr die Liebe zur Kunst, sie malte und
stickte wunderschön.
Beziehungen zu Deutschland
brechen nicht ab
Mein Vater, ein typischer Deutscher seiner
Zeit in Bolivien
Zeit unseres Lebens unterhielten wir enge
Beziehungen zu Deutschland, da dort viele
unserer Familienmitglieder lebten und leben.
Einige kamen nach Bolivien auf Besuch oder
blieben auch hier zum Leben. Zum Beispiel
arbeitete ein Bruder meiner Mutter in Pulacayo
in der Mine von Mauricio Hochschild, dem
mächtigen deutschstämmigen Zinnbaron, neben
Patiño und Aramayo, der Bergbauunternehmer,
der die Geschichte der Zinngewinnung in Bolivien
maßgeblich beeinflusste. Der Schwager meiner
Mutter, ebenfalls nach Bolivien ausgewandert,
eröffnete eine Hutfabrik mit Namen „Emusa“ und
leitete sie mit Erfolg. Andere Familienmitglieder
waren eng mit der Familie Harjes über die
Schwester meiner Mutter verbunden, die bis
heute in Bolivien leben und Handel treiben. Sie
hatte fünf Schwestern und zwei Brüder. Auch ihre
beiden Brüder lebten viele Jahre in Bolivien.
Die Deutschen waren hier in Bolivien gern gesehen.
Sie genossen einen sehr guten Ruf. Der I. Weltkrieg
hatte hier eine positive Resonanz hervorgerufen,
wie die Deutschen sich verteidigten, die Strategien
der Deutschen, das alles wurde bewundert. Einmal
führte mich zum Beispiel eine Dienstreise für die
Brauerei nach Santa Cruz. Am Eingang saß ein
älterer Bolivianer, wie sich herausstellte Sohn eines
Matrosen aus der Zeit des I. Weltkrieges. Er hatte
zuhause noch eine Mütze der kaiserlichen deutschen
Kriegsmarine. Er hat sie mir geschenkt. Leider passt
sie mir nicht, die Matrosen müssen damals sehr
kleine Köpfe gehabt haben.
Selbst die Großmutter kam 1949 nach der
Ausbombung in Hamburg für einige Jahre nach
La Paz und verstarb in Bolivien. Sie liegt auf dem
deutschen Friedhof in La Paz begraben. Andere
Familienmitglieder kehrten nach Deutschland
zurück, zwei Geschwister meiner Mutter, aber sie
waren die Ausnahme. Auch aus meiner Generation
sind zwei Geschwister nach Deutschland
zurückgekehrt, wir anderen aber leben alle hier
in unser neuen Heimat Bolivien.
Zudem waren die Deutschen für ihren Fleiß bekannt.
Ehrlichkeit, Pünktlichkeit, keine Überheblichkeit wie
bei den Engländern; Das waren die Tugenden, die man
bei den Deutschen in Bolivien bewunderte. Dieser
Ruf hat ihnen sehr geholfen. Die Spanier wurden
damals nicht so gerne in Bolivien gesehen. Klar, die
Engländer haben hier auch viel zur Entwicklung
beigetragen. Sie haben die Eisenbahnen gebaut.
Aber ich glaube, dass die deutschen Tugenden
die Hauptgründe sind, dass die Deutschen hier in
Bolivien so gut ankamen.
Das Interview wurde am 11.12.2014
Arend Smid Evers in La Paz geführt.
Politisch und kulturell haben wir uns über
Deutschland immer auf dem Laufenden gehalten.
Einerseits waren meine Eltern oft in Deutschland
zu Besuch, in der Regel alle zwei Jahre. Ich erinnere
mich noch genau daran, als ich zusammen mit
meiner Mutter, sie als Vertreterin der evangelischlutherischen Gemeinde deutscher Sprache, die
gestiftete Orgel von Bischof Dietzelbinger in
Ulm entgegen nahm. Später reiste mein Vater
häufig wegen seiner Krebsbehandlung in die
alte Heimat. Man war deutsch und blieb deutsch.
Auch wurde die deutsche Staatsangehörigkeit nie
aufgegeben.
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