Das Wasser schützen heisst, den Menschen ins Zentrum

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Das Wasser schützen heisst, den Menschen ins Zentrum
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Nr. 01 / 08 . 07. 2013
Das Wasser schützen heisst,
den Menschen ins Zentrum stellen
Um die globalen Wasserressourcen und die aquatischen Ökosysteme zu erhalten,
müssen Ökosystemleistungen einen angemessenen Wert bekommen. Es gilt zudem, die notwendige Abwägung zwischen verschiedenen Bedürfnissen und die
Konsequenzen daraus aufzuzeigen. Der Kern aller Bemühungen sollte sein, allen
Menschen eine adäquate Grundversorgung zu garantieren. Text: Janet Hering
NAHRUNG
NATURGEFAHREN
LUFT
BODEN
M
W EN
OH SC
LE HL
RG IC
EH HE
EN S
BIODIVERSITÄT
WASSER
ENERGIE
Es gibt gute Argumente, bei den Bemühungen um ein
nachhaltiges Ressourcenmanagement den Menschen ins
Zentrum zu stellen.
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Nr. 01 / 08 . 07. 2013
Den meisten Menschen ist ihr eigenes Wohlergehen und dasjenige ihrer Familien ein Grundanliegen – auch wenn es um die zukünftigen Generationen geht. Dabei wächst die Erkenntnis,
dass unser Gemeinwohl stark von der Intaktheit der Ökosysteme abhängt, weil diese für die
Gesellschaft praktisch unersetzliche Leistungen erbringen. Zunehmend erkannt wird auch,
dass verschiedene Ressourcennutzungen sich oft gegenseitig beeinflussen. So kann zum Beispiel eine Bewässerung landwirtschaftlicher Flächen bewirken, dass die Fischerträge sinken,
weil die Flüsse zu wenig Wasser führen: Eine Steigerung der Nahrungsmittelproduktion im einen Bereich hat eine Reduktion in einem anderen zur Folge [1]. Biotreibstoffe der ersten Generation standen in der Kritik, dass ihre Herstellung die Lebensmittelpreise in die Höhe treibe und
Wasser verbrauche [2]. Die Wasserkraftnutzung verändert die Abflussregimes von Gewässern
a)
dramatisch.
Flüsse können vollständig trockenfallen oder Auengebiete grossflächig geflutet
werden. Aus Stauseen kann das potente Treibhausgas Methan ausdampfen [3]. Die wachsende Besorgnis um den Zustand der Biodiversität hat dazu geführt, dass die Gesellschaft solche
Nutzungskonflikte, die zulasten der Umwelt gehen, immer weniger akzeptiert. Gleichzeitig ist
der Wille gestiegen, Mittel für die Wiederherstellung der Ökosysteme einzusetzen.
Zu erkennen, in welchem Ausmass und wie unnachhaltig der Mensch die Umwelt verändert,
kann einen überwältigen. Trotzdem lässt sich nicht bestreiten, dass die Wohlfahrt für den grössten Teil der Weltbevölkerung deutlich verbessert werden muss. Wie lassen sich vor diesem
Hintergrund überhaupt Fortschritte erzielen? Wie können wir verhindern, an den gigantischen
Herausforderungen zu scheitern? Welche Prioritäten sollen wir setzen? Wie lassen sich ungewollte Folgen verhindern?
Wie lassen sich Fortschritte erzielen?
Es gibt überzeugende Gründe, bei den Bemühungen um ein nachhaltiges Management der natürlichen Ressourcen das menschliche Wohlergehen ins Zentrum zu stellen [4]. Bis die ganze Welt
ein
wird dieses dringliche Bedürfnis Vorrang haben
b) angemessenes Wohlfahrtsniveau erreicht hat, c)
vor der Erhaltung der Ökosysteme. Gleichzeitig braucht es innovative Wege, um die negativen
Auswirkungen, die eine Nutzung der natürlichen Ressourcen mit sich bringt, möglichst zu reduzieren. Nur individuelle und kollektive Entscheide und Taten können die anthropogenen Aktivitäten,
welche die Belastbarkeit unseres Planeten strapazieren in eine positive Richtung verändern [5].
Der Index für menschliche Entwicklung der Vereinten Nationen ( in Englisch Human Development Index, HDI ) beschreibt den Wohlfahrtszustand der verschiedenen Regionen der Welt. Der
HDI wiederspiegelt Faktoren wie die Lebenserwartung oder die Alphabetisierungsrate sowie
konventionelle Indikatoren wie das Bruttoinlandprodukt [6]. Für das Jahr 2009 wiesen alle Länder mit einem hohen HDI von 0,8 oder mehr einen ökologischen Fussabdruck auf, der die mittlere globale Biokapazität übersteigt ( Abb. 1). So hatte die Schweiz zum Beispiel einen HDI von
0,96 und einen ökologischen Fussabdruck von 5,0. Es ist klar, dass auch weniger entwickelte
Länder bestrebt sind, ihren HDI zu verbessern. Dabei ist man zurzeit eindeutig auf nicht nachhaltigem Kurs. Als Kernfrage stellt sich, wie sich ein hoher Entwicklungsgrad innerhalb der öko-
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Naher Osten / Zentralasien
Asien-Pacifik
Südamerika
Zentralamerika / Karibik
14
12
10
Nordamerika
EU
Andere Europäische Länder
8
Schweiz
6
4
Biokapazität der Erde pro Einwohner 1961
Biokapazität der Erde pro Einwohner 2009
2
Bereich
nachhaltiger Entwicklung
0
0.2
0.4
0.6
0.8
1
ÖKOLOGISCHER FUSSABDRUCK (HEKTAREN PRO EINWOHNER)
Afrika
Sehr hohes
Entwicklungsniveau
Hohes Entwicklungsniveau
Global Footprint Network, United Nations Development Programme
logischen Grenzen der Erde realisieren lässt – ein Bereich in Abbildung 1, in dem die Punkte noch
ausserordentlich dünn gesät sind.
0
INDEX FÜR MENSCHLICHE ENTWICKLUNG
Abb. 1: Der Index für menschliche Entwicklung verglichen mit dem ökologischen Fussabdruck für verschiedene Länder. Der ökologische Fussabdruck gibt die Land- und Wasserfläche an, die ein Land pro Einwohner benötigt, um den
Lebensstandard unter den gegenwärtigen Bedingungen zu gewährleisten. Die Biokapazität ist umgekehrt ein Mass
für die Leistungsfähigkeit eines Ökosystems, die für den Menschen essenziellen Leistungen zu produzieren [7].
Wie ein Scheitern verhindern? Welche Prioritäten setzen?
Das Ziel einer nachhaltigen Welt ist eine grosse und komplexe Herausforderung, für die es
keine einfachen Lösungen gibt. Vielmehr braucht es gleichzeitig eine Vielzahl von Ansätzen
und Technologien [8]. Verschiedene Lösungsansätze bieten verschiedene Chancen und verlangen nach unterschiedlichen Talenten und Interessen. Obwohl die Probleme, die ein nicht
nachhaltiger Umgang des Menschen mit der Umwelt hervorrufen, eng miteinander verflochten sind, lassen sie sich schrittweise angehen, indem man jeweils die einzelnen Aspekte
spezifisch angeht.
Dabei die richtigen Prioritäten zu setzen, gelingt oft besser, wenn der Umgang mit Ressourcen,
die Bedürfnisse und Möglichkeiten auf lokaler Ebene beurteilt und angegangen werden. Dies
gilt besonders für die Wasserressourcen. So ist die Sicherstellung von genügend Frischwasser
in erster Linie eine lokale und regionale Aufgabe. Deshalb ist es wahrscheinlich erfolgverspre-
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chender und effizienter, spezifische lokale Lösungen voranzutreiben, statt die globalen Probleme als Gesamtes anzupeilen, insbesondere wenn dazu Mittel und geeignete Werkzeuge
fehlen. Die Ziele erst einmal nicht zu hoch zu stecken, ist unter Umständen effektiver und stimuliert weitere Anstrengungen besser.
Ebenso kann es zielführend sein, eine breitere Öffentlichkeit mit einzelnen Themen für einen
nachhaltigen Umgang mit den natürlichen Ressourcen zu sensibilisieren und zu eigenem Handeln zu inspirieren. Ein Beispiel dafür ist die Kampagne der Schweizerischen Umweltstiftung mit
ihrer Initiative für eine Gesellschaft mit einem täglichen Pro-Kopf-Wasserverbrauch von 2000
Liter [9]. Solche Ansätze bergen allerdings das Risiko, dass die Adressaten sich der Abhängigkeitsverhältnisse und der Konsequenzen von Interessensausgleichen zu wenig gewahr werden.
Wie lassen sich ungewollte Folgen verhindern?
Der erste Schritt zum Vermeiden ungewollter Folgen ist es, überhaupt zu erkennen, dass
solche auftreten können und wahrscheinlich werden. Das heisst, wir müssen akzeptieren,
dass unser Wissen über komplexe «sozio-technisch-ökologische» Systeme beschränkt ist
und damit auch unsere Möglichkeiten, vorherzusagen, wie sie auf Eingriffe oder sich verändernde Bedingungen reagieren. Unsicherheiten gilt es explizit zu benennen, und Managementstrategien müssen Anpassungen erlauben, wenn die Erwartungen sich nicht erfüllen.
Als zweites müssen die potenziellen Nutzungskonflikte und Interessenabwägungen, die der
Erschliessung von Wasser und anderen natürlichen Ressourcen innewohnen, sichtbar gemacht werden. Es ist wichtig zu realisieren, dass viele in der Kritik stehende Praktiken, zum
Beispiel der globale Transport von Nahrung, nicht neu sind und differenziert betrachtet werden müssen. Der Gütertransport über grosse Distanzen (insbesondere per Schiff) kann
durchaus energieeffizienter sein als die lokale Produktion und Distribution [10]. Will man die
Macht der Konsumentinnen und Konsumenten nutzen, um das Management von Wasserressourcen und den Wasserverbrauch zu beeinflussen, sollte man die Lebensumstände der
lokalen Bevölkerung mitberücksichtigen. So schliessen diverse Organisationen, die sich um
Umweltanliegen kümmern, menschliches Wohlergehen explizit mit ein. Fairtrade International beispielsweise bietet benachteiligten Produzenten und Arbeitern gerechte Verkaufskonditionen, verlangt dafür aber den Einsatz umweltverträglicher Techniken [11]. Goodguide
bewertet Konsumgüterhersteller und über 145‘000 Nahrungsmittel, Spielsachen, Pflegeund Haushaltprodukte hinsichtlich Umweltbelastung, Sozialverträglichkeit und Auswirkungen auf die Gesundheit [12].
Das Risiko ungewollter Folgen lässt sich auch verringern, wenn man mit bewährten Organisationen zusammenarbeitet und auf früheren Erfolgen aufbauen kann. Von erfolgreichen
Aktionen auszugehen und diese auszubauen, hilft, Arbeits- und Finanzressourcen effizienter
zu nutzen, als wenn man ständig von Grund auf neue Projekte entwickelt. Solche sollten
dadurch motiviert sein, dass damit gegenüber bestehenden Aktivitäten wirkliche Lücken
geschlossen werden.
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Nicht neu, aber rechtzeitig
Das Bewusstsein, dass die biophysikalische Kapazität unserer Umwelt begrenzt ist und dass
die Aktivitäten des Menschen die natürlichen Ressourcen übernutzen und Ökosysteme zerstören können, ist an sich keine Erkenntnis unserer Zeit. So hat etwa Svante Arrhenius bereits
1896 erkannt, dass die Verbrennung fossiler Treibstoffe die Zusammensetzung der Atmosphäre verändert und den Energiehaushalt der Erde und das Klima beeinflusst [13]. Neu ist hingegen, dass heute die breite Öffentlichkeit die weltweiten Implikationen menschlichen Wirkens
realisiert. Und dies hat entsprechende Reaktionen auf allen gesellschaftlichen Ebenen ausgelöst – von individuellen Kaufentscheidungen von Konsumentinnen und Konsumenten bis zu
internationaler Governance.
Trotz solcher Ansätze und neuer sparsamerer Technologien steigt der Energie- und Ressourcenverbrauch kontinuierlich an. Dafür verantwortlich sind teilweise die wünschenswerten
Verbesserungen im Bereich der menschlichen Wohlfahrt, aber auch die Tatsache, dass der
zunehmende Konsum die Einsparungen solcher Effizienzsteigerungen wieder zunichtemacht
(Rebound-Effekt [14]). Die wachsenden Ansprüche der Gesellschaften weltweit und die damit
verbundenen Auswirkungen auf die Umwelt bereiten mehr denn je Anlass zur Sorge. Umso
dringlicher ist es, bereits eingeleitete Massnahmen noch zu verstärken und auszubauen. Neue
Initiativen sollten sich auf noch nicht bearbeitete Bereiche beschränken oder auf neu entstehende Wirkungsfelder abzielen. Wichtig ist, die Probleme mit einem systemischen Ansatz
anzugehen, zum Beispiel indem man zum einen Entscheidungen und Handlungen der Individuen untersucht und zum anderen den Bedarf für kollektive Massnahmen identifiziert [15]. Damit
sich das Ziel eines maximalen Index für menschliche Entwicklung innerhalb der Leistungsgrenzen der Erde erreichen lässt, muss letztlich die Rolle, die der Konsum in unseren Gesellschaften spielt, grundsätzlich hinterfragt werden [16].
Janet Hering
Direktorin der Eawag
janet.hering @ eawag.ch
[1] Example: Klamath River fish die-off in summer 2002. http://
or.water.usgs.gov/pubs_dir/WRIR03-4099/)
[2] UNEP (2009): Towards sustainable production and use of re sources: assessing biofuels. www.unep.fr/scp/rpanel/pdf/Assess-
ing_Biofuels_Full_Report.pdf
[3] Wehrli, B. (2011): Renewable but not carbon-free. Nature Geos
Science 4, 585–586
[4] Clark S.G. et al. (2011): College and university environmental programs as a policy problem (part 2): Strategies for Improve-
ment. Environmental Management 47 (5), 716–726
[5] Rockström J. et al. (2009): A safe operating space for humanity, Nature 461, 472–475
[6] UNDP (2009): Human development report. http://hdr.undp.org/
en/reports/global/hdr2013
[7] www.footprintnetwork.org
[8] www.climate-leaders.org/climate-change-resources/climate-
change/preventing-climate-change
[ 9] www.2000litergesellschaft.ch/2000-liter-gesellschaft
[10] McMahon P. (2013): Feeding Frenzy: The New Politics of Food. Profile Books Ltd., London.
[11] www.fairtrade.net
[12]www.goodguide.com
[13] Rodhe H. et al. (1997): Svante Arrhenius and the Greenhouse
Effect. Ambio 26 (1), 2–5
[14]www.irgc.org/new-irgc-publication-the-rebound-effect
[15] Maniates M. F. (2001): Individualization: plant a tree, buy a bike, save the world? Global Environmental Politics 1 (3), 31–52
[16] Princen (1999): Consumption and environment: some conceptual issues. Ecological Economics 31 (3). 347–363