BAST_Programmheft_Wie Es Euch Gefaellt_Web
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was hältst du vom Verlieben? Wie es euch gefällt Komödie von William Shakespeare Deutsch von Jürgen Gosch & Angela Schanelec Herzog, der ältere, in der Verbannung Die Herzogin, seine Schwester Jaques, Edelmann, der den Herzog in die Verbannung begleitet Charles, Ringer der Herzogin / Lord am Hof und in der Verbannung Oliver, Sohn des Freiherrn Rowland de Boys Orlando, sein Bruder Rosalind, Tochter des verbannten Herzogs Celia, ihre Kusine, Tochter der Herzogin Touchstone, Narr Silvius, Schäfer Phoebe, Schäferin Eine Person, die Hymen vorstellt / Lord am Hof und in der Verbannung Regie Bühne Mitarbeit Bühne Kostüme Musik Video Licht Dramaturgie EVA DERLEDER EVA DERLEDER RONALD FUNKE GEORG KRAUSE FRANK WIEGARD SIMON BAUER JOANNA KITZL SOPHIA LÖFFLER MATTHIAS LAMP NATANAËL LIENHARD UTE BAGGERÖHR SHARI CROSSON* * Studierende der Staatlichen Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Stuttgart SEBASTIAN SCHUG NADIA FISTAROL VALERIA FELDER NICOLE ZIELKE JOHANNES WINDE NAZGOL EMAMI Christoph Pöschko NINA STEINHILBER Premiere 21.3.13 KLEINES HAUS Aufführungsdauer 2 ¼ Stunden, keine Pause Aufführungsrechte Verlag der Autoren, Frankfurt am Main 1 Regieassistenz MATHIAS HANNUS Bühnenbildassistenz Silvia Maradea Kostümassistenz Vlasta Szutakova Soufflage STEFANIE RADEMACHER Inspizienz JOCHEN BAAB Regiehospitanz Meike Müller, Hanna Kopp Bühnenbildhospitanz Friederike Zwölfer Kostümhospitanz Cynthia Lechner Technische Direktion Harald FaSSlrinner, Ralf Haslinger Bühne Hendrik Brüggemann, Edgar Lugmair Leiter der Beleuchtung Stefan Woinke Leiter der Tonabteilung Stefan Raebel Ton Jan Fuchs, Jan Palmer Leiter der Requisite Wolfgang Feger Requisite Clemens Widmann Werkstättenleiter guido schneitz Malsaalvorstand Dieter Moser Leiter der Theaterplastiker Ladislaus Zaban Schreinerei rouven bitsch Schlosserei Mario Weimar Polster- und Dekoabteilung Ute Wienberg Kostümdirektorin Doris Hersmann Gewandmeister/in Herren Petra Annette Schreiber, Robert Harter Gewandmeisterinnen Damen Tatjana Graf, Karin Wörner, Annette Gropp Waffenmeister MICHAEL PAOLONE, HARALD HEUSINGER Schuhmacherei Thomas Mahler, Barbara Kistner Modisterei Diana Ferrara, Jeanette Hardy Chefmaskenbildner Raimund Ostertag Maske Friederike Reichel, renate Schöner Technischer Produktionsassistent moritz salecker Wir danken der Barrel Trading GmbH & Co. KG für die Unterstützung lassen Sie Ihre schOnen Augen und sanften WUnsche mich zu meiner PrUfung begleiten 2 Eva Derleder, Joanna Kitzl 3 DREI MAL LIEBEN ZUM INHALT Besorgt überbringt Charles, der ungeschlagene Ringer der Herzogin, Oliver die Nachricht, Orlando habe ihn zum Ringkampf herausgefordert. Oliver wittert die Chance, seinen Bruder loszuwerden ohne sich die Hände schmutzig zu machen. Als Rosalind und Celia Orlando sehen, versuchen sie, ihn von dem gefährlichen Vorhaben abzubringen. Doch Orlando will kämpfen – und überraschend gelingt es ihm tatsächlich, Charles zu schlagen. Die Herzogin erfährt, dass Orlando der Sohn eines engen Vertrauten des verbannten Herzogs ist. Celia und Rosalind beglückwünschen Orlando zu seinem Sieg – und als ihre Kusine dem Unbekannten ihre Kette überreicht, erkennt Celia, dass Rosalind und Orlando sich auf den ersten Blick ineinander verliebt haben. Celia, Tochter der Herzogin, versucht ihre Kusine Rosalind aufzumuntern, die mit ihr am Hof der Herzogin lebt, seit diese ihren Bruder entmachtet und verbannt hat. Der alte Herzog, Rosalinds Vater, befindet sich mit einigen treuen Gefolgsleuten im Wald von Arden. Zu den Damen gesellt sich der Hofnarr Touchstone und kündigt den Ringkampf zwischen Charles und einem unbekannten Herausforderer an. Der Narr empfielt Orlando, den Hof zu verlassen. Aufgrund seiner Herkunft sei von der Herzogin keine Unterstützung zu erwarten, zudem trachte sein Bruder ihm nach dem Leben. Orlando kann an nichts anderes mehr denken als an Rosalind – und auch Rosalind ist überwältigt von ihren Gefühlen für den Fremden. Diesmal gelingt es Celia nicht, ihre geliebte Kusine auf andere Gedanken zu bringen. Shakespeares Komödie beginnt mit einem Streit der verfeindeten Brüder Oliver und Orlando, Söhne eines Edelmannes: Orlando wirft dem älteren Bruder vor, ihm gegen den Willen des Vaters sein Erbe vorzuenthalten. Er fordert sein Erbteil ein. 4 Die Herzogin fordert Rosalind auf, den Hof zu verlassen. Wie schon den Bruder, verbannt sie nun auch die Nichte. Als sie die Bitte ihrer Tochter, ihr die Freundin zu lassen, zurückweist, beschließt Celia, Rosalind in die Verbannung zu begleiten. Ziel ihrer gemeinsamen Flucht ist der Wald von Arden. Doch zunächst nehmen sie eine neue Identität an: Rosalind verkleidet sich als Mann und gibt sich selbt den Namen Ganymed, Celia wählt Aliena. Den Narren nehmen sie mit auf die Reise. Als die Herzogin erfährt, dass nicht nur Rosalind, sondern auch Celia und ihr Narr den Hof verlassen haben – und man zudem vermutet, Orlando sei ebenfalls dabei, jagt sie Oliver davon, um den verhassten Bruder und die Damen zu verfolgen. Im Wald philosophiert der alte Herzog mit seinen treuen Gefolgsleuten über die Vorzüge und Widrigkeiten des Lebens im Exil, fern des Hofes, in freier Natur. Der melancholische Edelmann Jaques klagt über die Menschen, die, Tyrannen die sie sind, die Hirsche im Wald jagen und sie in ihrem eigenen Revier ermorden. Orlando erreicht den Wald von Arden und die Gesellschaft um den alten Herzog. Erschöpft und ausgehungert bedroht er die vermeintlich Wilden – und wird von ihnen mit entwaffnender Freundlichkeit aufgenommen. Zur gleichen Zeit gelangen auch Rosalind und Celia mit Touchstone im Wald an. Sie begegnen dem jungen Schäfer Silvius, der mit Liebesschwüren die ihn zurückweisende Schäferin Phoebe verfolgt. Durch das Leid des Schäfers fühlt Rosalind sich an ihren eigenen Schmerz erinnert, liebend von der Liebe getrennt. Dann aber findet sie überall an den Bäumen Liebesverse, alle an Rosalind gerichtet – und trifft kurz darauf den Ur- heber der Gedichte: Es ist Orlando. Rosalind beschließt, ihre Verkleidung nicht zu lüften und als Ganymed ein Spiel mit ihm zu treiben. Um die Ernsthaftigkeit seiner Liebe zu prüfen, erklärt sie sich bereit, für ihn Rosalind zu spielen und ihn um sich werben zu lassen. Orlando lässt sich auf das Spiel ein – ob er die Maskerade durchschaut oder nicht, bleibt ungewiss. Bald darauf wird Rosalind erneut Zeuge, wie Silvius von seiner Angebeteten Phoebe zurückgewiesen wird. Sie warnt Phoebe, sich Silvius entgehen zu lassen, womöglich der einzige Mann, der sich je für sie interessieren werde. Fasziniert vom Zorn des ihr unbekannten jungen Mannes verliebt Phoebe sich in Ganymed. Während sie nun Silvius dazu missbraucht, einen Liebesbrief an Ganymed zu überbringen, sehnt Orlando sich zusehends nach der "echten" Rosalind. Die Ereignisse überschlagen sich: Anstelle von Orlando erscheint sein Bruder Oliver zum verabredeten Treffen mit Ganymed/Rosalind. Oliver entschuldigt das Fernbleiben des Bruders, der ihn vor einer Löwin gerettet hat und dabei verletzt wurde. Die Brüder sind versöhnt und Oliver und Celia verlieben sich. In Sorge um Orlando erkennt Rosalind, dass sie ihr Verwirrspiel auflösen muss. Sie bestellt alle zu einem Treffen im Wald, bei dem zueinander finden soll, was zusammen gehört. Am Ende feiern drei Paare Hochzeit: Silvius und Phoebe, Celia und Oliver, Rosalind und Orlando. Ein Abgesandter des Hofes erscheint bei der Gesellschaft und verkündet, die neue Herzogin, mit einer Großmacht in den Wald aufgebrochen, sei überraschend zum Guten bekehrt worden und bereit, dem verbannten Herzog alles zurückzugeben. Die perfekte Harmonie scheint wiederhergestellt. Folgeseiten Eva Derleder, Sophia Löffler, Joanna Kitzl, Georg Krause, Frank Wiegard, Simon Bauer 5 6 7 O ROSALIND ZUM STÜCK Die Entstehung von Wie es euch gefällt wird um 1599/1600 datiert, kurz nach Viel Lärm um nichts und vor Hamlet. Das Stück, über das der amerikanische Literaturwissenschaftler und Kritiker Harold Bloom schreibt, es sei „dasjenige, das am meisten in einer irdischen Welt des potentiell Guten spielt, und damit dem König Lear und dem Macbeth, deren Schauplätze irdische Höllen sind, genau entgegengesetzt“, zählt zu den hintergründigen Shakespeare-Komödien. Als Vorlage diente Thomas Lodges Prosatext Rosalinde aus dem Jahr 1590, in dem sich bereits große Teile der Handlung finden. Einige Aspekte hat Shakespeare allerdings zugespitzt, in dem er zum Beispiel mit den beiden Herzögen und den verfeindeten Brüdern Oliver und Orlando ein doppeltes Gut/Böse-Bruderpaar geschaffen hat. Als weitere Inspirationsquelle dürfte das klassische Schäferspiel gedient haben, dessen heiteren Liebesreigen, in dem Schäfer und Schäferinnen sich verlieben und verlieren und schließlich in einer zum Idyll überhöh8 ten Naturkulisse wieder zueinander finden, er hier parodiert – man denke nur an das ungleiche Schäferpaar Silvius und Phoebe. Heldin des Stücks ist Rosalind. „Ich bin eine Frau, wenn ich denke, dann muss ich sprechen“, lässt Shakespeare sie ironisch vermerken. Immerhin: Der Dichter lässt seine Rosalind mehr denken und sprechen als je eine andere weibliche Figur in seinen Stücken. „Vor etwa dreihundert Jahren hat Shakespeare seine Figuren, weil er mit ihnen nichts rechtes anzufangen wusste, zum Spielen in den Wald hinausgeschickt. Da zog er dann einem Mädchen Jungenkleider an und vertrieb sich die Zeit mit Spekulationen darüber, wie es wohl wäre, wenn die weibliche Neugier eine Stunde lang aller Rücksichtnahme auf die weibliche Würde entbunden wäre“, leitete G. K. Chesterton 1932 seine Gedanken zur Beliebtheit der weiblichen Hauptfigur ein. George Bernhard Shaw hatte sich bereits 1896 dieser Frage angenommen und die Popularität Joanna Kitzl 9 Rosalinds drei Ursachen zugeschrieben: „Erstens spricht sie nur ein paar Minuten lang Blankverse. Zweitens trägt sie nur ein paar Minuten lang einen Rock ... Drittens macht sie dem Mann den Hof, statt darauf zu warten, dass er ihr den Hof macht – ein Fortschritt in der Naturgeschichte der menschlichen Art, der das Überleben der Heldinnen Shakespeares gesichert hat, während Generationen korrekt erzogener junger Damen, denen man beigebracht hat, mindestens drei Mal Nein zu sagen, elend zugrunde gegangen sind.“ Rosalind war immer eine moderne Frau und sie ist es bis heute, eine Frau mit Weisheit, Witz und Charme, der man, so Bloom, gerne auch in der Wirklichkeit begegnen würde. „Wir befinden uns in einer Welt nach dem Fall, einem silbernen Zeitalter, wenn es hochkommt, und doch begegnen wir hier einer Frau, die mehr ist als Eva ... Eva, die Mutter aller Menschen, wird als Quell des Lebens und wegen ihrer Schönheit gepriesen, von ihrer Intelligenz ist seltener die Rede. Rosalind besitzt Überfluss an allen Dingen, ihre Seele, ihr Körper, ihr Geist ist ganz Lebenskraft und Schönheit.“ Und sie besitzt die „Fähigkeit, sich frei und bedenkenlos über soziale Beschränkungen hinwegzusetzen.“ Shakespeares Komödie spielt an zwei einander gedanklich radikal entgegen gesetzten Orten: Zu Beginn der Geschichte befinden wir uns am Hof der neuen Herzogin. Es herrscht eine Atmosphäre der Feindlichkeit unter den Menschen, zuallererst unter den Brüdern. Das Kain und Abel-Motiv blitzt auf, weitergedacht in all seiner Uneindeutigkeit, weil das Gute und das Böse sich nicht so einfach unter den Menschen aufteilen lässt. Womöglich gerade weil das Potential zu beidem des Menschen Schicksal ist, versucht Shakespeare zunächst, eine klare Trennung zu markieren zwischen den gu10 ten und den bösen Brüdern, zwischen der höfischen Welt und der des Waldes, dem zweiten zentralen Ort im Stück, in dem der verbannte Bruder sein Exil gefunden hat. Die Bösen bleiben am Hof, die Guten gehen in den Wald von Arden. Im Verlauf des Stücks versammeln sich dort immer mehr Menschen, alle auf der Suche nach Liebe und einem alternativen Platz in der Welt, einem Ort jenseits der höfischen Ordnung, an dem gesellschaftliche Zwänge aufgehoben sind. Bei Hofe zählen Macht und Besitz, zwischenmenschliche Gefühle spielen einzig in der Beziehung der beiden Frauen Rosalind und Celia, befreundete Töchter verfeindeter Eltern, eine Rolle. Zwar treffen die Liebenden des Stücks, Rosalind und Orlando hier erstmals aufeinander, doch dass sie in dieser feindlichen Atmosphäre nicht zusammenfinden werden, ist schnell klar. Als Rosalind vom Hof verbannt wird, geht ihre Kusine mit ihr – und auch Orlando muss fast zeitgleich fliehen. Der zweite Teil der Geschichte spielt vollständig im fiktiven "Zauberwald" von Arden, ein imaginärer Ort, eine Zwischenwelt. Gekonnt spielt Shakespeare mit der Sehnsucht nach einem Weg zurück in einen paradiesischen Urzustand, in dem – utopisch weitergedacht – selbst die Trennung der Geschlechter aufgehoben ist und der die Erkenntnis des Guten und Bösen noch nicht kennt. Doch in Wahrheit ist der Baum der Erkenntnis in diesem Wald längst gepflanzt. Shakespeare unterläuft die scheinbare Harmonie, es ist die Rückkehr in ein dunkles Paradies, denn das der vollkommenen Unschuld ist für den Menschen längst verloren. So lässt er den Melancholiker Jaques, der sich nach einem Narrenkleid und der damit verbundenen Narrenfreiheit sehnt, die seiner zynischen Analyse des Menschen einen Raum und seiner Exis- tenz einen Sinn geben würde, über das menschliche Verhalten philosophieren, das sich von Unterwerfungsmechanismen nicht befreien kann. Ob bei Hofe oder in der Natur: Der Mensch kann es nicht lassen, sich andere Lebewesen, Menschen wie Tiere, untertan zu machen. „Shakespeares Realitätssinn hätte es ihm gar nicht erlaubt, eine durchweg lichte Idylle zu gestalten“, so Bloom. Doch „nachdem ich dies einmal zugegeben habe, stelle ich dennoch mit Vergnügen fest, dass es sich im Ardenner Wald so gut leben lässt wie an keinem anderen Shakespearschen Ort. Natürlich kann man unmöglich beides haben: ein irdisches Paradies und eine anständige Komödienhandlung, aber Wie es euch gefällt kommt doch diesem paradoxen Ideal so nahe, wie es nur irgend möglich ist.“ Wenn am Hofe die realen Konflikte der Menschen im Zentrum standen, so ist der Wald eine Welt des Spiels, der Verwirrungen und des gelebten Spaßes an Maskerade und Verstellung. Ausgerechnet dem Narren Touchstone, dem die Maskerade seit jeher eigen ist, vergeht an diesem Ort der Spaß am Spiel. Er hat sich eine Position gesucht, die ihm in der höfischen Realität sein Überleben sichert, denn egal ob alter oder neuer Herzog – ein Narr wird bei Hofe immer gebraucht. Im Paradies hingegen wird seine Maske obsolet. Wo scheinbar alle gut werden und gleich sind und zudem eine unbequeme Ursprünglichkeit der Elemente herrscht, sehnt der Narr sich nach der höfischen Ordnung zurück. „Lieben und zugleich die Absurdität der Liebe sehen und fühlen“: Diese komplexe Fähigkeit bescheinigt Bloom Shakespeares Heldin Rosalind nicht umsonst. Sie kennt die Tücken und Kapriolen der Liebe, sie weiß, wie wenig zuverlässig liebende Men- schen sind. Und mag sie auch zunächst nicht freiwillig lieben – oder zumindest nur so weit lieben wollen, dass sie, wie Celia ihr rät, „mit einem anständigen Erröten auch wieder heil aus der Sache herauskommt“ – sie tut es dennoch. Kann Liebe geheilt werden? Wenn Rosalind Orlandos Liebe prüft, dann gaukelt sie ihm vor, sie könne – und hofft doch nur, dass er ihr das Gegenteil beweist. „Ich würde nicht geheilt werden“, bekennt Orlando. Auch der Schäfer Silvius ist unheilbar verliebt, während seine Angebetete sich in die als Mann maskierte Rosalind verguckt, gerade weil sie ihn beschimpft. Wo die Liebe hinfällt mag den, der den Liebenden aus der Distanz betrachtet, irritieren – doch auch das liegt in der paradoxen Natur der Sache. War Shakespeare ein tragischer oder ein heiterer, ein streitsüchtiger oder versöhnlicher Liebender? Der Liebesdiskurs jedenfalls zieht sich durch fast alle Stücke, Komödien wie Tragödien – und die Liebesprüfung wird zum Herzstück von Wie es euch gefällt. Die junge Generation um Rosalind, Orlando und Celia hat sich von den Eltern emanzipiert, sie hat gegen das Alte aufbegehrt, sich befreit und bevölkert nun in Gestalt moderner Liebender den Wald. Ein bisschen ist man auch in Ferienlaune, wissend, dass das Ende noch schnell genug kommt. „Shakespeare hat in dem Stück selbst unmissverständlich klargestellt, dass er keineswegs der Ansicht war, das Leben sollte ein einziges übermäßig ausgedehntes Picknick sein“, schreibt Chesterton. Er weiß es schon: Am Ende laufen die Beteiligten in den Hafen der Ehe ein und nicht mehr lange, dann werden sie auch wieder am Hofe sein. Zunächst dürfen sie sich aber noch für kurze Zeit im Wald Shakespeares „fröhlicher Anarchie“ hingeben – und so wie Shakespeare sich die Freiheit 11 nimmt, die Zeit in unterschiedlicher Geschwindigkeit vergehen zu lassen, mischt er in seinem Phantasiewald zum Spaß ein paar Löwen unter die Hirsche. Warum auch nicht? Gibt es doch für die Paradies-Utopie, und sei sie eine gebrochene, selbstverständlich auch die Schlange, mit der es übrigens Oliver zu tun bekommt. Allerdings kann die Schlange bei einem, der schon böse ist, wenig ausrichten. Sie überlässt Orlando das Feld und die Fähigkeit, den bösen Bruder wieder gut zu machen. Geht man vom Ende aus, so ist man in der Betrachtung des Geschehens ganz bei Harold Bloom: „In keinem Stück Shakespeares herrscht so viel heiteres Glück.“ Aus den Antagonisten Oliver und der neuen Her- zogin sind gute Menschen geworden, die lieben und geben können. Die Enterbten, Verbannten und Geflüchteten erhalten zurück, was ihnen zusteht, die Liebenden finden zueinander, das Spiel ist aus. Der Titel des Stücks macht vom Ende aus gedacht doppelt Sinn. Hier wendet Shakespeare sich direkt ans Publikum – bzw. er lässt es Rosalind für sich tun –, nimmt den Gedanken des Spiels im Spiel noch einmal auf und übergibt ihn an die Zuschauer: „Nehmt dieses Spiel wie's euch gefällt“, sagt Rosalind – und hört man hinein, dann steckt in dieser einfachen Aufforderung und hinter dem vordergründig heiteren (Liebes)-Spiel die melancholisch-reflektierende Weltsicht des Dichters, dem Harold Bloom „die Erfindung des Menschlichen“ zuschreibt. ZU LIEBEN heiSSt, aus Phantasie gemacht zu sein, Aus heftigem Verlangen und aus WUnschen, Aus Anbetung, aus Ehrfurcht und Gehorsam, Aus Demut, aus Geduld und Ungeduld, Aus Reinheit, FEstigkeit und Hingebung 12 Ute Baggeröhr, Natanaël Lienhard Folgeseiten Sophia Löffler, Joanna Kitzl, Simon Bauer 13 14 15 SHAKESPEARE FOREVER zum Autor „Der Reisende Shakespeare / Shakespeare the tourist / Von Stratford nach Stratford / From Stratford to Stratford / Via London / Via London / Im Herzschlag die Gier der Epoche / In his heartbeat the greed of the epoch / Im Blut eine spätere / In his bloodness a tiredness / Müdigkeit / To come / Ein Griff nach der Sonne / A grip for the sun / Ein Sprung in den Schatten / A jump in the Shadow.“ Heiner Müller, 1985 Wer war Shakespeare? Eine Frage, an der sich unzählige Literaturwissenschaftler, Biografen, Philosophen, Dichter und andere Experten über die Jahrhunderte abgearbeitet haben. Viel ist nicht bekannt, zumindest nicht verbürgt. Es fehlt das, was gewöhnlich sehr hilfreich ist, um sich einem berühmten Menschen zu nähern, seiner „inneren Biografie“ auf die Spur zu kommen: persönliche Briefwechsel, Tagebucheinträge, Memoiren. Sich an den Fakten zu orientieren, heißt, Detektivarbeit zu betreiben. Ein genaues Geburtsdatum 16 ist nicht bekannt, allerdings gibt es einen Eintrag ins Taufregister von Stratford, wo die Familie Shakespeares lebte. Dort ist die Taufe von William Shakespeare am 26. April 1564 dokumentiert, was Biografen veranlasst hat, die Geburt auf den 23. April zu datieren, eine schöne Zufälligkeit, denn das dokumentierte Todesdatum liegt ebenfalls auf einem 23. April, dem des Jahres 1616. Was in den 52 Lebensjahren dazwischen geschah, darüber gibt es ein paar Dokumente, ein großes dramatisches Werk (dessen Urheberschaft nach einigem Hin und Her inzwischen eindeutig geklärt sein sollte) und zahlreiche Legenden und Spekulationen. Einige Male scheint Shakespeare mit dem Gesetz in Konflikt geraten zu sein, u. a. weil er eine Ehe gestiftet und dabei eine Mitgift versprochen hatte, die dann nicht ausgezahlt wurde. Laut Heiratsregister von Stratford im englischen Warwickshire heiratete Shakespeares Mutter, Mary Arden, die jüngste Tochter eines wohlhabenden Gutsbesitzers, im Jahr 1557 John Shakespeare – eine Heirat, die dem Handschuhmacher einen gesellschaftlichen Aufstieg ermöglichte. Er bekleidete in den folgenden Jahren seines Lebens verschiedene wichtige Ämter in der Stadt, war zwischenzeitlich Bürgermeister und Friedensrichter. Während die Pest auch in Stratford wütete, wurde William Shakespeare geboren. Da sein Vater die Familie erst in den späten 1570er Jahren in finanzielle Schwierigkeiten brachte, liegt nahe, dass William aufgrund der zunächst guten sozialen Stellung der Familie eine ordentliche elisabethanische Schulbildung erhielt, mit Schwerpunkt auf lateinischer Sprache, Dichtung und Geschichte. Dieser Umstand dürfte sowohl die Spekulationen über einen angeblichen Analphabetismus Shakespeares widerlegen (er soll auf Dokumenten häufig mit drei Kreuzen unterschrieben haben), als auch – zumindest teilweise – die romantische Legende vom ungebildeten Naturburschen, der nach London ging, um sein Glück zu suchen. William Shakespeare, das weiß man, wuchs mit fünf Geschwistern auf (zwei waren früh verstorben) und dürfte schon in seiner Kindheit mit dem Theater in Berührung gekommen sein, vor allem im Rahmen von Volksbelustigungen und den berühmten Stratford-Jahrmärkten mit Darbietungen von Gauklern und Akrobaten. Zudem war es unter elisabethanischen Schülern üblich, von Zeit zu Zeit lateinische Stücke aufzuführen. Am 30. November oder 1. Dezember 1582 heiratete William Shakespeare eine Frau namens Anne Hathaway. Laut ihrer Grabinschrift wurde sie 67 Jahre alt und verstarb am 6. August 1623. Sie war also acht Jahre älter als ihr Mann, der zum Zeitpunkt der Heirat gerade einmal 18 Jahre alt war – und da ihr erstes gemeinsames Kind laut Taufregister bereits am 26. Mai 1583 getauft wurde, muss sie zum Zeitpunkt der Heirat schon schwanger gewesen sein. Beide Umstände haben in der Forschung zu zahlreichen Spekulationen um die Ehe Shakespeares geführt, aus der insgesamt drei Kinder hervorgingen: Susanna und 1585 die Zwillinge Judith und Hamnet, der im Alter von 11 Jahren aus unbekannten Gründen starb. Im Jahr 1597 kaufte William Shakespeare das zweitgrößte Haus in Stratford, "New Place", das bis zu seinem Tod Hauptwohnsitz blieb, zum Zeitpunkt des Erwerbs pendelte er allerdings schon eine geraume Zeit zwischen Stratford und London, wo er das erste Mal 1592 in einem Pamphlet des verarmten Schriftstellers Robert Greene namentlich erwähnt wird. Greenes Herausgeber Cheattle entschuldigte sich wenig später für dessen Warnung vor einem "Emporkömmling". In seiner Schmähschrift hatte Greene gegen "einen ungehobelten Bauern und Raben" gewettert, „der sich mit unseren Federn schmückt, der sich einbildet, ebenso gut Verse auszuschmücken wie der Beste von uns“. Die Jahre vor 1592 werden häufig als „lost years“ in der Biografie Shakespeares bezeichnet, es ist nichts über den Verbleib des Dichters in jener Zeit bekannt. "Die Biografen haben sich eifrig bemüht, diese sieben Jahre Dunkelheit aufzuhellen", schreibt Giuseppe Tomasi di Lampedusa in einem kurzen biografischen Abriss über das Leben Shakespeares. "Der eine lässt ihn durch Italien reisen, der andere lässt ihn an einer Universität studieren, ein dritter will ihn Soldat oder Prediger gewesen sein lassen ... In Wahrheit weiß 17 man einfach nichts. Und das ist schade, denn es waren die Jahre, in denen er sich formte." Greenes Schmähschrift zufolge muss Shakespeare jedenfalls schon vor 1592 für das Theater geschrieben haben. Und der Richtigstellung des Verlegers ist zu entnehmen, dass sich einige wichtige Personen für Shakespeares Rechtschaffenheit eingesetzt hatten, „die Anmut seiner Verse jedoch selbst das beste Zeugnis für sein Können ablegte.“ 1595 lässt sich Shakespeares Spur in Theaterkreisen weiter verfolgen. In Rechnungsbüchern des königlichen Schatzmeisters ist die Bezahlung von Hofvorstellungen der Lord Chamberlain's Men vermerkt, als prominente Mitglieder der Schauspieltruppe unter dem Patronat des Lord Chamberlain Henry Hunsdon sind der Hauptdarsteller Richard Burbage, der bekannte Clown William Kempe und William Shakespeare genannt. Die Schauspieltruppen Pembroke's Men und Lord Strange's Men (aus der später die Lord Chamberlain's Men hervorgingen) spielten einige der frühen Stücke Shakespeares wie Titus Andronicus und die Henry VI-Trilogie. Konkurrenz kam von den Lord Admiral's Men, allerdings spielte Shakespeares Truppe weit häufiger vor Königin Elisabeth, wurde nach deren Tod in die Dienste James I. übernommen und trug fortan den Namen King's Men. 12 Hofvorstellungen pro Jahr konnte die Truppe verzeichnen, am häufigsten wurden Shakespeares Stücke gespielt, man könnte ihn als "Hausautor" der Truppe bezeichnen. 1599 entstand der berühmteste Spielort der Schauspieltruppe um Shakespeare, das Globe-Theater, die tragenden Mitglieder kamen selbst für die Pacht von Grundstück und Gebäude auf. 18 Stücke wurden ausgewählt, Besetzungen gemacht, Schauspielschüler ausgebildet, Vorstellungen an Vor- und Nachmittagen organisiert. Auf einigen Besetzungslisten taucht auch Shakespeares Name auf, dass er allerdings eher Rollen in der Größenordnung des Geists in Hamlet spielte, veranlasste einige Forscher, ihm in Sachen Schauspielkunst ein eher geringes Talent zu bescheinigen. Möglicherweise blieb ihm aber neben seiner dichterischen Tätigkeit auch einfach zu wenig Zeit für die Schauspielerei. Am 23. April 1616 starb William Shakespeare – und hinterließ ein unglaubliches Werk. Zwischen 1590 und 1614 erschienen Der Widerspenstigen Zähmung, Heinrich VI, Titus Andronicus, Richard III, Die Komödie der Irrungen, Romeo und Julia, Ein Sommernachtstraum, Der Kaufmann von Venedig, Heinrich IV, Viel Lärm um nichts, Julius Caesar, Wie es euch gefällt, Hamlet, Was ihr wollt, Troilus und Cressida, die Sonette, Maß für Maß, Othello, König Lear, Macbeth, Antonius und Kleopatra, Cymbeline und Der Sturm, um nur einige der bekannteren Werke chronologisch zu nennen. Und bis heute sind seine Komödien und Tragödien wahrscheinlich der beste Schlüssel zu der Person Shakespeare. Hier mag man finden, was er dachte und fühlte, wie er lebte, welche Fragen ihn bewegten – und wie er auf das "Theater Welt" blickte. Immer wieder schafft er in seinen Stücken Verbindungen zwischen der Welt und dem Theater, lässt Figuren aus ihren Rollen heraustreten und blickt mit ihnen auf eine Welt die immer auch Bühne ist und lässt mit ihnen auf einer Bühne eine ganze Welt entstehen. Sein berühmtester Text über die Welt als Bühne stammt aus Wie es euch gefällt (siehe S. 24 in diesem Heft). Dass Shakespeare jenseits einiger biografischer Daten und Fakten als Persönlichkeit ein Geheimnis behält, macht die Auseinandersetzung mit dem Künstler und seinem Werk immer aufs Neue spannend. „Es gibt kein unbestreitbar authentisches Bild“, schreibt di Lampedusa: „Die Grabbüste, die aus sehr viel späterer Zeit stammt, ist unwürdig. Ein der Gesamtausgabe seiner Werke (1623) vorangestellter Kupferstich zeigt uns eine Maske, die das wahre, unsichtbare Gesicht verdeckt. Ein Portrait in der National Gallery ist sehr anziehend, doch von sehr zweifelhafter Authentizität. Persönliche Erinnerungen von Schriftstellern und Schauspielern, die ihn kannten, sprechen von seinem 'unermüdlichen Wohlwollen' von seinem 'überaus lebhaften Geist'. Alle, die ihm in der Mermaid Tavern zuhörten, wohin er jeden Abend ging, behielten ihn, wie sie sagen, in 'bezaubernder' Erinnerung.“ Im aktuellen Shakespeare-Handbuch vermerkt Ingeborg Boltz: „Weder geriet Shakespeare mit der Zensur in Konflikt wie Chapman oder Marston, noch tötete er jemanden im Duell wie Jonson und er kam auch nicht bei einer Messerstecherei ums Leben wie Marlowe. Er war ein geachteter Bürger seiner Heimatstadt Stratford, zeichnete sich durch Erwerbssinn und Geschäftstüchtigkeit aus und starb im Alter von 52 Jahren eines natürlichen Todes. Zwischen der Trivialität diesen mehr oder minder zufällig überlieferten Spuren einer Durchschnittsexistenz und der Außerordentlichkeit des dichterischen Werkes liegt eine Kluft, die zur Mythenbildung herausfordern musste.“ Kennzeichen Shakespearescher Kunst ist der Eindruck des Wirklichen. Ebenso wie von jedem anderen Schriftsteller, dessen Stimme seit langem verstummt und dessen Leib vermodert ist, sind uns nicht mehr geblieben als Worte auf dem Papier, aber noch bevor ein begabter Schauspieler Shakespeares Worte zum Leben erweckt, enthalten sie die lebendige Gegenwart wirklicher, gelebter Erfahrung ... Dieser Künstler war ungewöhnlich offen für die Welt und entdeckte die Mittel, mit denen er diese Welt in seine Werke eingehen lassen konnte. Um zu verstehen, wer Shakespeare war, ist es wichtig, die verbalen Spuren, die er hinterließ, in das Leben zurückzuverfolgen, das er führte, und in die Welt, für die er so offen war. Und damit wir verstehen, wie Shakespeare seine Phantasie gebrauchte, um sein Leben in seine Kunst zu verwandeln, ist es wichtig, dass wir von unserer eigenen Phantasie Gebrauch machen.“ Von Shakespeares Dichterkollegen Ben Jonson, der ihn posthum auf eine Stufe mit den Dichtern Euripides und Sophokles stellte, stammen die geflügelten Worte: „He was not of an age, but for all time.“ Und Stephen Greenblatt schreibt in seiner Lebensbeschreibung Shakespeares Will in der Welt: „Eines der wesentlichsten Folgeseiten Shari Crosson, Matthias Lamp 19 20 21 DAS LEBEN EIN SPIEL zur inszenierung Zwei Orte, zwei Welten, eine Bühne: Regisseur Sebastian Schug und Bühnenbildnerin Nadia Fistarol haben sich für ihren Raum an der traditionellen, auf Pfosten aufgebockten elisabethanischen Bühnenplattform orientiert. Eine Bretterbühne – oder besser: Shakespeares „Bretter, die die Welt bedeuten“ geben die Spielfläche vor, auf der die gegensätzlichen Welten des Stücks über das Spiel und die Phantasie der Spielenden entstehen. In Shakespeares Bühnenwelt ist das Theater immer wieder Thema, die Wechselwirkung zwischen Bühne/Spiel und echtem Leben/realer Welt. Das Spiel im Spiel ist der Komödie Wie es euch gefällt eingeschrieben, nicht erst wenn Shakespeare sich am Ende des Stücks durch Rosalind direkt ans Publikum wendet. Um die im Stück angelegte „Theater im Theater“-Situation zu verstärken, lässt Schug die Schauspieler das Spiel der anderen Figuren beobachten und aus der 22 Position des Zuschauers heraus wieder neu in das Geschehen einsteigen. Der Prolog am Hof der Herzogin „weist dieselbe Atmosphäre auf wie die Königsdramen“, schreibt Jan Kott, „die Luft ist stickig, und alle haben Angst ... Flucht ist die einzige Rettung.“ Um der Kälte und Bedrohlichkeit des Hofes zu entkommen, muss in Schugs Inszenierung der Gegenentwurf im selben Raum entstehen – die Veränderung der Atmosphäre, die Verwandlung des Raumes vom Hof in den Wald liegt im Spiel. Die Schauspieler präparieren sich, wechseln sichtbar die Verkleidung und lassen nach und nach auf der kargen Bretterbühne und unter den Augen der Zuschauer eine zweite Welt der veränderten Vorzeichen entstehen. Der Wald von Arden wird real durch die Sehnsucht derer, die ihn denken. Eigentlich ist es ein innerer Ort, ein erfundener, ausgedachter, der über die Mittel und Farben des Spiels, die Geräusche und Melodien nach außen hör- und sichtbar wird. Ein Ort, an dem Pathos und Ironie, Sarkasmus und Liebeslyrik gleichzeitig existieren, denn Wie es euch gefällt bleibt auch im Wald ein Spiel der Gegensätze. Wasser und Erde sind die ursprünglichen Elemente, die das Dasein im neuen Paradies markieren. Wenn das Spiel mit Identitäten, Verstellung und Geschlechterrollen seinen Lauf nimmt, kommen Bärte und Perücken, Hosenanzüge und Korsagen ins Spiel. Allerdings bleibt die Verkleidung zeichenhaft, denn Kostümbildnerin Nicole Zielke entscheidet bewusst gegen die perfekte Illusion. Der erste Anlass für Rosalinds Ganymed-Spiel ist schnell entkräftet – was bleibt und zählt, ist der reine Spaß an der Maskerade. Hier wie anderswo zeigt sich Shakespeares Vergnügen daran, den Logikern unter uns immer wieder ein Bein zu stellen und die Dinge einfach so zu behaupten, „wie es ihm gefällt.“ Ob und wann Orlando Rosalinds Spiel durchschaut bleibt sein Geheimnis, Oliver nennt Ganymed/Rosalind ganz selbstverständlich „schöne Schwester“, Phoebe ist so geblendet von dem schönen Schnurrbart, dass sie nicht weiter fragt. Als Urheberin aller Liebesverwirrungen, ist Rosalind Dreh- und Angelpunkt der Geschichte. Gespielt wird sie von Joanna Kitzl, die in der Regie von Sebastian Schug bereits die Lady in Orpheus steigt herab war. Hier spielt sie nun eine Frau, die einen Mann spielt, der angeblich nicht an die Liebe glaubt, sie sogar heilen kann – und sich bereit erklärt eine Frau zu spielen, die sich das Lieben trotz allem nicht austreiben lässt. Zu Shakespeares Zeit wurde die Schraube noch weiter gedreht. Damals spielten männliche Schauspieler auch alle Frauenrollen, was für Rosalind bedeuten würde: Ein Mann spielt eine Frau, die einen Mann spielt, der eine Frau spielt. Die beiden Herzöge, hier Bruder und Schwester, wurden beide mit Eva Derleder besetzt – sie spielt die gute und die böse Seite einer Figur. Um den verbannten Herzog schart sich ein Kreis von Vertrauten. Herausgefallen aus dem System, genießen sie die Freiheit der Lebenskünstler, philosophische Gespräche und Musik, haben sich eine neue Existenz als Hippies im Wald geschaffen. Auch die Lords am Hof und die verbannten Gefährten werden von den gleichen Schauspielern verkörpert. Sebastian Schug sucht in seiner Inszenierung nach dem Spaß am Verlieben genauso wie nach dem Wahnsinn, den Liebe auch bedeutet, nach dem Schmerz des Überwältigtseins, der Sprachlosigkeit, der unerfüllten Sehnsucht und verzweifelten Leidenschaft. Zu Beginn probiert Orlando, gespielt von Simon Bauer, sich auf der Suche nach einem Ausdruck für seine Liebe als Dichter – und scheitert. „Liebe ist unaussprechlich“, sie will raus und kann es nicht – man möchte schreien. Außerhalb der aufeinander prallenden Leidenschaften steht Matthias Lamp als Narr, der die Liebeskapriolen der Menschen um ihn herum kommentiert – auch musikalisch. Musiker Johannes Winde, der für Schugs Inszenierungen immer wieder eigene Kompositionen mit Popsongs oder zarte Klaviermusik mit Klassikern der Rockmusik kombiniert, hat für Wie es euch gefällt aus den Schauspielern eine kleine Hippie-Band zusammengestellt. Auf und neben der Bühne begleiten sie die Lieder des Narren und das Spiel und lassen das Liebeskarussell sich weiterdrehen – bis zur Hochzeit unter einem weißen Baldachin, den Bühnenbildnerin Nadia Fistarol als poetischen Rahmen für das Geschehen über und um die Spielfläche gespannt hat. 23 Die ganze Wel ist ei Und Männer, Frauen, alle sind bloSS Spieler; Sie gehen ab und treten wieder auf, Und spielen eine Rolle nach der Andern In sieben Akten bis zum Tod. Der Säugling, Der kläglich quäkt und kotzt im Arm der Amme. Das weinerliche Kind, mit seinem Ranzen Und im Gesicht die Morgenfrische kriecht es Lustlos zur Schule. Und dann der Verliebte, Der wie ein Ofen seufzt, mit einem Jammerlied Auf seiner Liebsten Braue. Ein Soldat, Voll fremder Flüche, bärtig wie der Panther, Auf Ehre scharf, zum Streiten jäh entflammt, Sucht er die Seifenblase seines Ruhms Noch im Kanonenschlund. Und dann der Richter 24 elt ine Bühne Den schönen, runden Bauch kapaungefüttert, Mit strengem Blick und würdevollem Bart, Voll kluger Worte und bekannter Sprüche, So tritt er auf. Das sechste Alter schlägt Zum hageren Pantoffelhelden um, Die Brille auf der Nase, Beutel seitwärts; die eine Welt zu weite Hose schlotternd Um die geschrumpften Schenkel, und sein Bass In kindlichen Diskant verrutscht, der pfeift Und quietscht sich eins. Der letzte Akt und Ende Des seltsamen, ereignisreichen Werks, Ist zweite Kindheit, gänzliches Vergessen, Kein Zahn, kein Auge, kein Geschmack, kein gar nichts. Folgeseiten Joanna Kitzl, Sophia Löffler, Matthias Lamp 25 26 27 sebastian schug Regie Geboren 1979, studierte Sebastian Schug Regie an der Hochschule „Ernst Busch“ in Berlin. Während des Studiums arbeitete er an den Berliner Sophiensaelen, am Tron Theatre in Glasgow und an der Berliner Volksbühne. Seine Diplominszenierung von Lorcas Sobald fünf Jahre vergehen wurde zum Internationalen Theaterfestival in Warschau und zur Bensheimer Woche junger Schauspieler eingeladen und mit dem Ensemblepreis ausgezeichnet. 2006 kürte ihn Kurt Hübner im Namen der Akademie der darstellenden Künste zum Nachwuchsregisseur des Jahres. Schug arbeitet u. a. am Schauspielhaus Wien und am Staatstheater Kassel. 2007-09 war er Hausregisseur in Heidelberg, wo er Shakespeares Was ihr wollt inszenierte und 2008 mit Idioten von Lars von Trier in die Vorauswahl zum Berliner Theatertreffen kam. Zuletzt brachte er in Kassel Drei Schwestern und Lulu, in Karlsruhe Orpheus steigt herab und Abgesoffen in Graz auf die Bühne. 28 Nadia Fistarol Bühne Geboren 1970 in Zürich, absolvierte Nadia Fistarol ein Architekturdiplom an der Eidgenössischen Technischen Hochschule in Zürich. Von 2003 bis 2005 war sie Ausstattungsassistentin an den Münchner Kammerspielen, wo auch eigene Arbeiten entstanden, u. a. mit Felicitas Brucker, Barbara Weber und Stephanie Sewella. Seit 2006 arbeitet sie als freie Bühnenbildnerin. Sie übernahm zahlreiche Ausstattungen für das Tanzteam pvc – Tanz Freiburg Heidelberg. Neben ihrer eigenen Produktion Geisterseher 2008 in Bern, entwarf sie u. a. Bühnenbilder für die Regisseure Marc Becker, Hanna Rudolph, Simone Aughterlony, Joachim Schlömer und Daniel Cremer, arbeitete am Hebbel am Ufer (HAU), Berlin, am Münchner Volkstheater, Staatstheater Oldenburg, Theater Heidelberg, für das Lucerne Festival und das Brüsseler Kunstenfestivaldesarts. In Karlsruhe übernahm sie die Ausstattung für Dylan – The Times they are a-changin' im Grossen Haus. Valeria Felder Mitarbeit Bühne Valeria Felder wurde 1986 in Madrid geboren und lebt seit 2005 in der Schweiz. 2011 schloss sie ihr Studium der Innenarchitektur und Szenografie in Basel ab. Nach dem Studium übernahm sie die Ausstattung für diverse Kurzfilm- und Musikvideo-Produktionen, assistierte bei Theater- und Ballettproduktionen und kuratierte Veranstaltungsdesigns. Neben einer regelmäßigen Zusammenarbeit mit Bühnenbildnerin Nadia Fistarol u. a. bei Raststätte/über Tiere von Peter Kastenmüller am Theater der Künste in Zürich, war sie zuletzt mit Dancelab: Al calor de Lucia von Javier Rodriguez Coboc am Theater Basel und mit Pasive Movement von Lucie Tuma am Theaterhaus Gessnerallee in Zürich tätig. nicole zielke Kostüme Geboren 1975 in München, studierte Nicole Zielke Bühnenkostüm an der Universität der Künste Berlin. Seit ihrem Diplom arbeitet sie als freie Kostümbildnerin für Theater, Film, Musikvideos, Kunstvideos und Werbung. Für das Kostümbild in Iwanow von Anton Tschechow in der Inszenierung von Sebastian Schug wurde sie in der Kritikerumfrage der Fachzeitschrift Theater heute als beste Nachwuchskünstlerin nominiert. Sie entwarf außerdem die Kostüme für Sebastian Schugs Inszenierungen Endstation Sehnsucht von Tennessee Williams und Shakespeares Was ihr wollt am Heidelberger Theater sowie für seine Arbeiten Antigone, Romeo und Julia, Peer Gynt, Drei Schwestern und Lulu am Staatstheater Kassel. Für Cilli Drexel entwickelte sie zuletzt am Nationaltheater Mannheim die Kostüme bei Molières Der Menschenfeind und Ibsens Nora. In Karlsruhe entwarf sie zuletzt das Kostümbild für Orpheus steigt herab. 29 johannes winde Musik Johannes Winde wurde 1978 in Weimar geboren. Er absolvierte ein Tonmeisterstudium und erhielt 2002 den Tonmeisternachwuchspreis „Goldener Bobby“. Johannes Winde verbindet eine intensive Zusammenarbeit mit dem Regisseur Sebastian Schug, für den er u. a. die Musik komponierte für Wir sind nochmal davongekommen am Staatsschauspiel Dresden, Außer Atem in den Berliner Sophiensälen, Früchte des Nichts am Theater Bremen, Don Juan am Staatstheater Hannover, Endstation Sehnsucht am Theater Heidelberg und zahlreiche Produktionen am Staatstheater Kassel, zuletzt Lulu und Drei Schwestern. Regelmäßig arbeitet Johannes Winde außerdem mit Regisseurin Schirin Khodadadian zusammen, u. a. am Staatstheater Mainz, Stadttheater Ingolstadt und Volkstheater Wien sowie mit Ulrich Rasche am Theater Bonn und Staatstheater Stuttgart. Neben der Theaterarbeit schreibt er Orchesterarrangements für den Popmusiker Clueso. 30 nazgol emami Video Geboren 1978 in Teheran, schloss Nazgol Emami 2008 ihr Studium der Visuellen Kommunikation an der Bergischen Universität in Wuppertal ab. 2009-2012 absolviert sie ein Postgraduierten-Studium an der Kunsthochschule für Medien in Köln im Bereich Audiovisuelle Medien mit Schwerpunkt Experimentalfilm und Dokumentarfilm. Seit 2006 arbeitet sie außerdem als freie Grafikerin u. a. für den WDR, den Kinderkanal, Disney Channel, Super RTL und QVC. 2009 übernahm sie diverse Live-Regie-Projekte u. a. für das Jazz Festival in Moers und das Traumzeitfestival. Seit 2010 ist sie wissenschaftliche Hilfskraft an der Kunsthochschule für Medien in Köln und leitet dort Workshops im Bereich Animation. In Karlsruhe entwarf sie in der Spielzeit 2011/12 das Video für Orpheus steigt herab. Eva Derleder, Ronald Funke, Shari Crosson 31 Ute BAggeröhr Phoebe Nach dem Studium spielte Ute Baggeröhr u. a. am Schauspiel Frankfurt, Staatsschauspiel Dresden, Thalia Theater Hamburg und Maxim Gorki Theater Berlin. Am Heidelberger Theater war sie u. a. Blanche in Endstation Sehnsucht. Seit 2011/12 in Karlsruhe engagiert, spielt sie derzeit in Der Vorname, Verrücktes Blut und die Arkadina in Die Möwe. SHARI CROSSON Hymen / Lord Die Karlsruherin Shari Crosson, Jahrgang 1988, studiert im letzten Jahr Schauspiel an der Staatlichen Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Stuttgart. Zusammen mit Stephanie Biesolt gehört sie zum Schauspielstudio am STAATSTHEATER und ist auch in der Karlsruher Medea von Mareike Mikat als Sekretär Kreons zu sehen. Eva Derleder Herzog in der Verbannung / Herzogin Eva Derleder war u. a. in Mannheim, Stuttgart, Neustrelitz und BadenBaden engagiert. In ihrer Zeit am Nationaltheater Mannheim war sie mit Onkel Wanja, Regie Harald Clemen, und Quai West, Regie Jürgen Bosse, zum Berliner Theatertreffen eingeladen. Seit 2002/03 im Karlsruher Ensemble spielt sie aktuell in Alice und Kreon in Medea. Joanna Kitzl Rosalind Joanna Kitzl spielte u. a. am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg, wo sie mit Jürgen Gosch arbeitete, am Landestheater Tübingen, am Theater Neumarkt Zürich, am Heidelberger Theater und am Staatsschauspiel Hannover. In Karlsruhe spielt sie u. a. in Verrücktes Blut, Dantons Tod und Alice und die Titelrolle in Minna von Barnhelm. SOPHIA LÖFFLER Celia Sophia Löffler, 1985 in Potsdam geboren, begann 2007 ihr Schauspielstudium in Leipzig. Von 2009 bis 2011 gehörte sie zum Studio am Staatsschauspiel Dresden. Seit 2011/12 fest in Karlsruhe engagiert, steht sie aktuell in Verrücktes Blut und Der Vorname sowie als Nina in Die Möwe und demnächst als Natalie in Prinz Friedrich von Homburg auf der Bühne. Simon Bauer Orlando Während seines Studiums an der Universität der Künste Berlin spielte Simon Bauer am Maxim Gorki Theater und am Deutschen Theater Berlin. 2010/11 gehörte er zum Ensemble des Theaters Heidelberg. In Karlsruhe spielte er u. a. den Titelhelden in Fiesco. Derzeit ist er in Dantons Tod, Verrücktes Blut und bald in Prinz Friedrich von Homburg zu sehen. 32 RONALD FUNKE Jaques Ronald Funke, 1954 in Berlin geboren, war in Magdeburg, am Nationaltheater Mannheim, Volkstheater Rostock, Hans Otto-Theater Potsdam und am Heidelberger Theater engagiert. In Karlsruhe spielte er die Hauptrollen in Der Mann der die Welt aß und Immer noch Sturm. 2012/13 ist er außerdem in Die Möwe und Der einsame Weg zu sehen. georg krause Charles, Ringer / Lord Georg Krause studierte Bildhauerei und Schauspiel in Stuttgart. Nach Engagements in Tübingen, Heilbronn und Münster kam er 2002/03 fest nach Karlsruhe, wo er den Mephisto in Faust und den Brandner Kaspar spielte. Zuletzt spielte er u. a. die Titelrolle in Jakob der Lügner und steht aktuell in Alice und Der einsame Weg auf der Bühne. MATTHIAS LAMP Touchstone, Narr 1981 in Heidelberg geboren, studierte Matthias Lamp Schauspiel an der Hochschule „Ernst Busch“ in Berlin. Während des Studiums spielte er am Maxim Gorki Theater und an der Schaubühne Berlin. In Karlsruhe ist er aktuell in Verrücktes Blut, Die Möwe und in Der Vorname zu sehen. Demnächst spielt er die Titelrolle in Prinz Friedrich von Homburg. NatanaËl Lienhard Silvius, Schäfer Nach seiner Ausbildung an der Frankfurter Hochschule gehörte Natanaël Lienhard ab Mai 2008 zum Ensemble des Heidelberger Theaters, wo er u. a. als Saint Just in Dantons Tod zu erleben war. In Karlsruhe ist er derzeit in Tschick in der INSEL sowie in Alice im KLEINEN HAUS und in seinem musikalischen Soloabend Brel – On n‘oublie rien zu erleben. FRANK WIEGARD Oliver Frank Wiegard spielte nach seinem Studium an der Hochschule „Ernst Busch“ in Berlin u. a. am Staatstheater Kassel, Schauspiel Frankfurt und Maxim Gorki Theater Berlin. Von 2007 bis 2011 war er fest in Heidelberg engagiert. In Karlsruhe spielt er aktuell die Titelrolle in Dantons Tod und ist demnächst als Kottwitz in Prinz Friedrich von Homburg zu sehen. Folgeseiten Joanna Kitzl 33 34 xxx 35 bildnachweise impressum Umschlag Felix Grünschloß Szenenfotos Markus Kaesler Herausgeber STAATSTHEATER Karlsruhe TEXTNACHWEISE Generalintendant Peter Spuhler Harold Bloom: Shakespeare – Die Erfindung des Menschlichen, aus dem Englischen von Peter Knecht, Berlin 2000. Jan Kott: Shakespeare heute, aus dem Polnischen von Peter Lachmann, München 1980. Giuseppe Tomasi di Lampedusa: Shakespeare, aus dem Italienischen von Maja Pflug, Berlin, 1994. Stephen Greenblatt, Will in der Welt, aus dem Amerikanischen von Martin Pfeiffer, Berlin, 2004. Heiner Müller: Die Gedichte. Werke 1, hrsg. von Frank Hörnigk, Frankfurt 1998. Ingeborg Boltz: Die Persönlichkeit, in: Shakespeare-Handbuch – Die Zeit – Der Mensch – Das Werk – Die Nachwelt; hrsg. von Ina Schabert; Stuttgart 2009. Nicht gekennzeichnete Texte sind Originalbeiträge für dieses Heft von Nina Steinhilber VERWALTUNGSDIREKTOR Michael Obermeier Schauspieldirektor Jan Linders Redaktion Nina Steinhilber Konzept Double Standards Berlin www.doublestandards.net Gestaltung Kristina Pernesch Druck medialogik GmbH, Karlsruhe BADISCHES STAATSTHEATER Karlsruhe 12/13 Programmheft Nr. 109 www.staatstheater.karlsruhe.de nehmt dieses Spiel, wie’s euch gefAllt 36 Joanna Kitzl, hinten: Simon Bauer, Shari Crosson Wer liebte je, und nicht beim ersten Blick?