V - Horizont
Transcrição
V - Horizont
33 REPORT HORIZONT 43/2015 22. Oktober 2015 www.horizont.net/report BEWEGTBILD WÄ H R U N G WIRKUNG INTERVIEW D I G I TA L Reichweitenkonvention von AGF und Google ist anspruchsvoll Interesse an Einfluss von TVKampagnen auf Online steigt Andrea Malgara und Matthias Dang über die Zukunft des TV Mobile Video Advertising ist im Markt angekommen SEITE 36 SEITE 38 SEITE 40 SEITE 44 ILLUSTRATION: COLOURBOX Hauptsache anschaulich W E L C H E N B E I T R A G K R E AT I O N F Ü R D I E S P OT WA H R N E H M U N G L E I S T E N K A N N S EITE 48 34 REPORT BEWEGTBILD Im Bilde? TV-Macher und vor allem Vermarkter werden nicht müde, zu beweisen, wie gefragt ihre Inhalte auf dem großen Schirm noch immer sind, und tatsächlich: Die Fernsehnutzung hat in den vergangenen Jahren nicht nachgelassen, im Gegenteil. Doch wären sie davon überzeugt, dass es auf lange Sicht zukunftsträchtig ist, ausschließlich auf TV zu setzen, die Vermarkter hätten nicht längst enorme Felder jenseits des Kerngeschäfts aufgebaut. Digitale Dienste, Streaming- und Spieleplattformen, Beteiligungen an Unternehmen aus völlig anderen Branchen – die Palette ist groß und bunt. Anhand dieses Aus- und Umbaus lässt sich erahnen, welche Veränderungen dem Markt bevorstehen: TV-Konzerne werden viel mehr als das sein und Fernsehen nur noch ein Angebot unter vielen. Das Ende der Möglichkeiten ist noch längst nicht erreicht, obwohl heute das Gefühl überwiegt, eine noch größere Fragmentierung der Bildschirmnutzung sei kaum möglich. Während immer neue Formate für Content und Werbung entstehen, während beides in vielen Fällen langsam eins wird, ist nicht ausgeschlossen, dass bald eine fünfte, sechste und siebte Abspielmöglichkeit in den Alltag dringen. Wer sagt denn, dass die Geräte für virtuelle Formate wie Sonys Oculus Rift und Samsungs Galaxy Gear nicht eines baldigen Tages bei vielen den großen Bildschirm im Wohnzimmer ersetzen? Dass drei Mitglieder einer Familie dann denselben Film aus unterschiedlichen Perspektiven sehen, während ein viertes ein Spiel spielt? Dass jedes Familienmitglied dabei personalisierte Werbung präsentiert bekommt? Tatsache ist, dass bewegte Bilder in jeder Form funktionieren, auf jedem Bildschirm. Die Vielzahl der heute schon existenten Abspielmöglichkeiten und das, was noch kommen wird, wird das bisher gewohnte Massenphänomen ablösen. „Parallelnutzung gab es schon immer, früher wurde gebügelt und telefoniert. Der Unterschied ist, dass sie jetzt besser erfasst und sogar zur Interaktion genutzt werden kann“ Bettina Sonnenschein Ressort Specials Matthias Dang, IP Deutschland, über die Zukunft von TV Seite 40 IM FOKUS: HORIZONT Bewegtbild Gipfel 2015 Nach einem gelungenen Auftakt im vergangenen Jahr (siehe Fotos) kommen am 17. und 18. November abermals Experten aus der TV- und Onlinebranche zum 2. HORIZONT Bewegtbild Gipfel in München zusammen. Unter dem Motto „Megatrend Bewegtbild – Was ist Hype und was ist Zukunftsmodell?“ diskutieren im Sofitel Bayerpost hochkarätige Referenten entscheidende Fragen rund um den Wachstumsmarkt Bewegtbild. So zum Beispiel über das Potenzial von regionaler TV-Werbung, die Relevanz der Kinowerbung, Perspektiven von Programmatic Advertising und darüber, wie sich der TV-Markt durch neue Player verändert. Unter den Referenten sind unter anderem die Chefs der beiden großen Vermarkter IP Deutschland und Seven-One Media Matthias Dang und Thomas Wagner, Lars Lehne, Country Director Agency von Google, RTL-2-Geschäftsführer Andreas Bartl, und Elke Walthelm, Senior Vice President Partner Channels bei Sky Deutschland. Das komplette Programm finden Sie online unter Conferencegroup.de 22. Oktober 2015 INHALT Konvergenz: Die Erhebung einheitlicher Zahlen für lineares TV und Onlinevideos kommt nur langsam in Gang. 36 Werbung: Vermarkter, Agenturen und Dienstleister arbeiten an Nachweisen für die Wirkung von TV auf Online. 38 Interview: Mediaplus-Geschäftsführer Andrea Malgara und IP-Chef Matthias Dang über die Zukunft des Fernsehens. 40 Verlage: Nach teils intensiven Investitionen in Bewegtbild ziehen die Medienhäuser eine positive Bilanz. 42 Mobile: Klassische Anbieter sowie soziale Plattformen wie Facebook und Youtube investieren in neue Formate. 44 Exklusivumfrage: Fernsehen bedeutet für die Mehrheit der Deutschen nach wie vor die lineare Nutzung. 45 Studie: IP Deutschland untersucht die emotionale Spot-Rezeption auf den verschiedenen Screens. 46 Kreation: Spots werden vor allem dann positiv wahrgenommen, wenn sie Lust auf den Inhalt machen. 48 Gastbeitrag: Ewald Pusch, Geschäftsführer von Neverest, über gelungenes Storytelling in der Praxis. 49 Out-of-Home: Alle großen Vermarkter haben Bewegtbild im Portfolio, doch ihre Strategien unterscheiden sich stark. 50 Umfrage: HORIZONT hat Agenturvertreter gefragt, welche Auswirkungen die vielen Screens auf die Mediaplanung haben. 51 HORIZONTREPORT ist ein Sonderteil von HORIZONT, Zeitung für Marketing, Werbung und Medien Chefredaktion: Dr. Uwe Vorkötter (V.i.S.d.P.), FOTO GUIDO ENGELS ZUM THEMA HORIZONT 43/2015 Volker Schütz, Jürgen Scharrer Ressortleitung: Dr. Jochen Zimmer Telefon 069/7595-2695 E-Mail: [email protected] Redaktion: Bettina Sonnenschein, Anna Lisa Lüft, Giuseppe Rondinella 36 REPORT BEWEGTBILD HORIZONT 43/2015 Ein Bund für die Währung Auf Druck der Werbekunden arbeiten AGF und Google an einer Konvention für lineares TV und Online-Video. Das Vorhaben ist anspruchsvoll und langwierig 22. Oktober 2015 „Wir sind die Ersten, die Nettoreichweiten für TV und Youtube ausweisen können“ Karin Hollerbach-Zenz, AGF I „Eine Zusammenarbeit mit AGF und Google wäre empfehlenswert“ Björn Kaspring, Agof Von Guido Schneider m April ereignete sich etwas, das viele in der heimischen Medienwelt für undenkbar hielten: Das in der Arbeitsgemeinschaft Fernsehforschung (AGF) organisierte TV-Lager und sein Erzrivale Google, Eigner des Videoportals Youtube, taten sich zusammen, um einen gemeinsamen Standard zur Messung von Bewegtbild im linearen TV und der Onlinevideo-Welt zu erarbeiten. Zuvor hatten sich beide mit konkurrierenden Messansätzen zu dieser Thematik bekriegt. Dass sie doch zusammenfanden, war der Organisation Werbungtreibende im Markenverband (OWM) und ihren Vorständen Tina Beuchler und Uwe Storch zu verdanken, die seit Herbst 2014 auf einen Schulterschluss drängten und ihn erreichten. „Wir sind weltweit die Ersten, die Nettoreichweiten für lineares TV und Youtube unter einem Dach ausweisen können“, tönte AGF-Vorstandsvorsitzende Karin Hollerbach-Zenz schon kurz nach der Einigung (HORIZONT 18/2015). Tatsächlich muss der Markt bis zum 1. Quartal 2016 auf die ersten konvergenten Zahlen warten. Dann wollen die Akteure Reichweiten für TV und Online-Bewegtbild vorlegen, die zunächst aber nur die Nutzung an PC und Laptop berücksichtigen. Erst danach sollen auch Mobile-Reichweiten und die Bewegtbildnutzung an SmartTVs integriert werden. Das Vorhaben drängt auch deshalb, weil immer mehr Menschen Videos im Netz sehen. Laut ARD/ZDF-Onlinestudie rufen inzwischen 26 Prozent der User ab 14 Jahren täglich Bewegtbilder ab, vor zwei Jahren waren es 14 Prozent. Bei den 14- bis 29Jährigen sind es mehr als die Hälfte. Ein Anfang zur Videomessung ist getan. Die AGF stellt seit einiger Zeit wöchentliche Hitlisten nach Abrufzahlen sowie Strukturdaten für einzelne Sendungen ihrer Publisher zur Verfügung. Und seit Montag können Nutzer die Angebote von ARD, Pro Sieben Sat 1, RTL und ZDF mithilfe eines Konfigurators über das Dashboard Videostreaming individuell nach Zielgruppe, Nettoreichweite oder Strukturanteil auswerten. Bis zum Jahresende will die AGF dann einen PIN-Datensatz für das Streaming entwickeln und damit einen weiteren wichtigen Schritt auf dem Weg zur Konvergenzreichweite tun. Diese PIN-Daten sollen in ihrer Qualität denen des linearen TV entsprechen und in die Auswertungs- und Planungssysteme der AGF integriert werden. Das Projekt ist eine forscherisch anspruchsvolle Sache, die durch den Beitritt von Google noch komplizierter geworden ist. Um den zersplitterten Onlinevideomarkt valide abbilden zu können, hat Junge stehen auf Videos bei Youtube und Facebook täglich, in Prozent Videonutzung im Internet 2013 Video gesamt 2014 2015 14+ 14-29 14+ 14-29 14+ 14-29 14 32 14 32 26 54 darunter: Videoportale (Youtube, Myvideo, Clipfish etc.) 10 25 10 27 14 32 TV-Sendungen zeitversetzt 2 3 1 2 2 5 TV-Sendungen live im Internet 1 2 1 2 1 3 Mediatheken der TV-Sender 1 1 1 2 2 3 9 21 Videos auf Facebook Basis: deutschsprachige Onlinenutzer ab 14 Jahren (2013: n = 1389, 2014: n = 1343, 2015: 1432) Quelle: ARD/ZDF Onlinestudie 2013-2015 HORIZONT 43/2015 Seichtes wird gestreamt Hitliste der Videostreaming-Angebote nach Abrufen Publisher Titel der Sendung RTL Now Schwiegertochter gesucht - Raus aufs Meer, Teil 1 (Kalenderwoche 40/15) Abrufe in Deutschland 312 544 233 408 RTL 2 Now Köln 50667 - Folge 684, Teil 1 Das Erste* Sturm der Liebe, Folge 2311 Pro Sieben** Stars, Lena Gercke: Sexy auf dem Oktoberfest ZDF-Verbund*** Heute Show Vox Now Die Höhle der Löwen, Folge 16, Teil 1 Sat 1** Josephine im Glück - Allein unter Cops, Staffel 2 Sixx** Vampire Diaries, Staffel 6, Episode 19: Weil ich dich liebe 26 610 Kabel Eins Achtung Kontrolle: Kamikaze-Fahrt 25 814 3 Sat Kabarett, Comedy: Hagen Rether, Liebe RTL Nitro Now Alarm für Cobra 11 - Schattenmann, Teil 1 4 909 Super RTL Now The Glades - Kirsche süß-sauer 2 112 N-TV Now N-TV Dokumentation: Mega Brands - Stihl 1 070 167 491 161 579 136 965 44 605 29 938 19 580 * nur Abrufe auf den Plattformen ARD Mediathek, Das Erste Mediathek und Daserste.de ** nicht enthalten sind die Abrufe von Myvideo, Maxdome, Special Sites *** ZDF, ZDF Neo, ZDF Info, ZDF Kultur Quelle: AGF HORIZONT 43/2015 sich die AGF für einen Fusionsansatz entschieden, der einem Datencocktail gleicht. So haben Google und das TVLager ein Mega-Panel geschaffen, in dem die Zahlen aus dem Online-Panel von Nielsen und die des GXL-Panels der GfK zusammenlaufen. Die AGF-Sender nutzen das Nielsen-Panel mit seinen rund 28000 Personen, um Angaben zu Demographie, Nettoreichweite und Nutzungsdauer ihrer Angebote zu ermitteln. Google greift auf die Zahlen des GXL-Panels (circa 19000 Teilnehmer) zu, das Mediennutzung, Demographie und Kaufverhalten aus einer Quelle erfasst. Parallel findet für beide Panels eine Zensusmessung statt, die die Abrufzahlen für AGF-Angebote und Youtube über einen Messcode im Mediaplayer des jeweiligen Anbieters erfasst. Mithilfe der sogenannten Kalibrierung will die AGF dann Niveauunterschiede zwischen der Panel- und der Zensusmessung ausgleichen, die Daten über Außenvorgaben wie die Media-Analyse gewichten und Leistungswerte ermitteln. Um auch die wachsende Videonutzung über mobile Endgeräte abzubilden, muss die AGF jetzt aber noch ein weiteres Panel aufbauen. Es besteht aus einer technischen Messung in der App und im Browser und ermittelt die Nettoreichweiten für die Nutzer mobiler Geräte, wie Robert Schäffner erklärt. Der Leiter Markt-Media-Forschung bei IP Deutschland, der auch im Fachreferat Messtechnik der AGF mitwirkt, hält dieses Vorgehen für sinnvoller und schneller, als die Nutzung von Mobilgeräten zusätzlich im bereits bestehenden PC-Panel mitzuerheben. Allerdings muss die AGF nun noch mehr Fusionen vornehmen und verliert so wieder an Tempo. Das will die Organisation abmildern, indem sie die Daten aus allen drei Panels zunächst stärker aggregiert, um Aussagen über das Verhältnis von Online- und Mobile-Nutzung treffen zu können. N ach dem Beitritt von Google zum AGF-System wächst derweil der Druck auf andere, internationale Videoanbieter, es dem Internetgiganten gleichzutun. Dazu passt, dass sich die AGF stets offen für den Beitritt weiterer Anbieter gezeigt hat, allerdings zu ihren Bedingungen. Für das Fernsehlager steht die Frage im Vordergrund, wie sich Online-Bewegtbild mit dem linearen TV vergleichen lässt. „Dazu sind vergleichbare Content-Genres nötig, über die sich bestimmte Zielgruppenprofile definieren lassen“, betont Schäffner. Für TV und Youtube gibt es die. Ob Videos auf Facebook solche Anforderungen ebenfalls erfüllen, ist offen. Das soziale Netzwerk hat sich lange vom Projekt der AGF ferngehalten. Da Bewegtbild in seiner Strategie aber wichtiger wird und die Kunden Druck machen, zeigt es sich nun gesprächsbereit: „Den Bemühungen der OWM, alle Marktpartner unter einen Hut zu bringen, um eine gemeinsame, einheitliche Währung zu etablieren, stehen wir grundsätzlich offen gegenüber“, erklärt Sprecher Stefan Stojanow. Er verweist auf einen „offenen, konstruktiven Austausch mit der AGF“, sieht aber noch Klärungsbedarf, zum Beispiel bei der Frage, wie ein Video-View genau definiert und verglichen werden soll. Facebook wäre zwar ein weltweiter Standard lieber, der Kampagnenerfolge über alle Kanäle hinweg vergleichbar macht, doch der ist nicht in Sicht. T rotzdem sollte Facebook über seinen Schatten springen und bei der AGF mitmachen, findet Lars Lehne. Der Country Director Agency DACH bei Google würde den Rivalen dort sofort aufnehmen: „Google ist und war immer ein Befürworter offener Systeme, dieses Projekt bildet da keine Ausnahme.“ Auf die ersten Zahlen der Konvergenzreichweite freut er sich bereits, weil dann „alle aus der gleichen Datenquelle zitieren und endlich eine faire Vergleichbarkeit der Ergebnisse haben“. Auch Christian Zimmer, CDO der Agentur OMD Germany, würde es begrüßen, wenn es planbare und belastbare Zahlen für die Bewegtbildnutzung über alle Bildschirme hinweg gibt und möglichst viele Marktteilnehmer erfasst werden. Dass deswegen mehr Werbegeld von den linearen TVAnbietern zu Online-Video-Plattformen fließt, glaubt er aber nicht. Neben der AGF arbeiten auch die Onlinevermarkter unter dem Dach der Arbeitsgemeinschaft Onlineforschung (Agof) an einem Standard für Bewegtbild. Die Organisation erfasst laut Vorstand Björn Kaspring die Nutzung im Rahmen ihrer Reichweitenstudie Digital Facts und bietet dafür ein eigenes Planungstool an. Anfang 2016 will die Agof auch Angaben zur Nutzungszeit liefern. Gleichzeitig hält Kaspring eine Zusammenarbeit mit der AGF und Google für empfehlenswert: „Wie diese im Einzelnen aussehen kann, werden weitere Gespräche klären.“ Vorerst bleibt es also bei zwei Ansätzen. Das ist ein Wettstreit, den OMD-Mann Zimmer zwar gut findet, der aber nicht von Dauer sein sollte: „Es ist sinnvoll, zu überprüfen, welcher Ansatz am Ende die höhere Treffergenauigkeit aufweist und realitätsnäher ist.“ „Belastbare Zahlen für die Bewegtbildnutzung über alle Screens sind begrüßenswert“ Christian Zimmer, OMD 38 REPORT BEWEGTBILD Vermarkter, Agenturen und Dienstleister arbeiten intensiv an Nachweisen für die Wirkung von TV auf Online HORIZONT 43/2015 22. Oktober 2015 Gerade gesehen, schon gekauft Von Bettina Sonnenschein T V punktet mit Image, nicht mit unmittelbarer Umsatzsteigerung“, so die Aussage von Lothar Prison, Chief Digital Officer von Vivaki in Düsseldorf, vor rund einem Jahr (HORIZONT 43/2014). Der Mediaexperte warnte davor, die Wirkungsbeiträge von TV-Spots und OnlineSearch über einen Kamm zu scheren, schließlich werde Werbung im TV einfach anders eingesetzt als abverkaufssteigernde Maßnahmen bei Google. Anders vielleicht – doch mit dem Wirkungsbeitrag ist es so eine Sache: „Sowohl unsere Erfahrung als auch alle Befunde unserer Forschung zeigen, dass gerade TV enorme Effekte auf den ROI von Marken hat“, sagt Sabine Eckhardt, Geschäftsführerin von Seven-One Media und SevenOne Adfactory. Bei dem Vermarkter von Pro Sieben Sat 1 (P7S1) ist dieser Effekt inzwischen nicht nur aufgrund von Studiennachweisen verinnerlicht. Er bestätigt die Sendergruppe auch in ihren Aktivitäten abseits des klassischen Werbezeitenverkaufs: „Die Reichweite und emotionale Kraft von TV lässt im Zeitalter der Multiscreens enorme Chancen entstehen – vor allem im E-Commerce. Das Wissen darum ist auch ein Grund für unser Haus, eigene Handelsaktivitäten aufzubauen“, sagt Eckhardt. Worauf sie damit anspielt, ist klar: Über zahlreiche Media-for-Equity-Deals ist P7S1 längst eng mit dem Onlinehandel verbunden. Wenn die Werbezeit, die der Konzern seinen Partnern im Gegenzug für die Beteiligung zur Verfügung stellt, zu messbar mehr Abverkauf führt, macht das die Verbindung für alle noch wertvoller. Die Start-ups erfahren, ob und wie viel Traffic aus TV bei ihnen ankommt, das Medienhaus weiß, wie viel Interesse bei den Konsumenten besteht und ob es sich lohnt, weiter zu investieren. Dass das funktioniert, scheint klar, wenn Eckhardt sagt: „Fernsehwerbung ist einfach ein un- schlagbarer Hebel, Geschäfte schnell wachsen zu lassen.“ Wie groß das eigene Interesse daran ist, zeigt nicht zuletzt die Übernahme des Berliner Adtech-Startup Rapidape im Frühjahr: Das TrackingUnternehmen, das auf Monitoring und die Analyse von TV-Kampagnen spezialisiert war, ist im Segment Digital & Adjacent von P7S1 Media aufgegangen. Immer wieder untersucht das Haus für Werbekunden, wie sich ihre Spendings in TV auf Online auswirken. Der bislang wenig bekannte Schuhversandhändler Gebrüder Götz in Würzburg, der im Frühjahr erstmals im Fernsehen warb, ist ein Beispiel. Der Händler entschied sich für ein zweimonatiges Presenting des Sat-1-Filmfilms am Dienstagabend sowie eine anschließende dreiwöchige klassische Kampagne auf Sat 1 und Kabel Eins. Die Entwicklung des Traffics zeigt Ausschläge nach oben, erzielt offenbar durch TV-Engagement. Offenbar – denn die Daten lassen keinen Rückschluss darauf zu, wie viele User aus eigenem Antrieb oder über andere Kanäle angeregt im Web nach Schuhen suchten – und zufällig bei Gebrüder Götz landeten. Es handelt sich also eher um eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass TV der Auslöser war. „TV-Werbung ist ein unschlagbarer Hebel, Geschäfte schnell wachsen zu lassen“ Sabine Eckhardt, Seven-One Media hörten unter anderem die Spotlänge, die Position im Werbeblock, der Sender, das Programmumfeld sowie kreative Elemente aus dem Spot zur Datenbasis.“ Die wichtigste Erkenntnis: „In 98 von 98 Fällen konnten wir einen Uplift feststellen“, so Park. Darüber hinaus zeigen die Ergebnisse ein deutliches Bild der Parallelnutzung in deutschen Haushalten: 56 Prozent der zusätzlich gemessenen Suchaktivität stammte von Smartphones, mit deutlichem Abstand gefolgt von PCs und Laptops mit 27 Prozent und Tablets mit 18 Prozent. Interessant sind die unterschiedlich starken Auswirkungen im Netz: Es scheint, als profitierten kleinere, eher unbekannte Marken stärker, zumindest was den relativen Uplift angeht und unter Berücksichtigung des Werbedrucks: „Die Stärke des TV-Effekts hängt auch mit dem Grundsuchvolumen zusammen“, erläutert Park. „Bei sehr bekannten Marken mit hohem Grundsuchvolumen ist der absolute Zuwachs durch TV häufig größer als bei Marken mit geringerem Basissuchvolumen. Diese gewinnen dafür relativ gesehen oft mehr dazu.“ Für Günter Linke, Research Director bei Dentsu Aegis Resolutions, ist außerdem eine wei- D eutlich umfangreicher ist die Datengrundlage, auf der eine aktuelle Studie von Google und Dentsu Aegis Resolutions erstellt wurde und die sich ebenfalls mit der Wirkung von TV auf Online befasst. „The Impact of TV on Search“ geht den Fragen nach, wie, wann und wo TV Reaktionen in der Suche auslöst. 98 Kampagnen aus zehn Produktkategorien – darunter Food, Consumer Electronics, Finanzen und Automobil – wurden zu diesem Zweck analysiert, unter anderem durch den Vergleich der TV-Schaltpläne mit Google Search. „Natürlich haben wir dabei nicht nur die Markennamen analysiert“, so Thomas Park, Google Research EMEA. „Auch zugehörige Begriffe und Testimonials wurden einbezogen. Außerdem ge- tere Erkenntnis relevant: „Dass die Aktivierungsleistung von Kampagnen über den Ausspielungszeitraum einer Sättigung unterliegt, wussten wir natürlich – heruntergebrochen auf einzelne TVSpots lässt sich das jetzt genauer quantifizieren. Das könnte bei manchen Produkten zu einer Veränderung von Planungsvorgaben führen.“ Andreas Steinrücke, Geschäftsführer von XAD, beobachtet all diese Aktivitäten mit Interesse. Der Dienstleister befasst sich schon lange mit TV-Tracking und der Optimierung von TV-Kampagnen. Gerade zur Messung der Werbewirkung über das Verhalten der Besucher im Internet hat XAD viel Erfahrung gesammelt und eigene valide Verfahren entwickelt. Trotz dieses zeitlichen Vorsprungs sagt Steinrücke rundheraus: „Im Moment ist es für Kunden kaum prüfbar, welcher Anbieter wirklich verwertbare Ergebnisse liefert. Schöne Grafiken sagen wenig über die Qualität der Analysetechniken. Meistens ist schon die Datenbasis zu den Spotausstrahlungen ungenau oder unvollständig. Oft fehlt die Expertise aus dem Medium TV.“ X AD rechnet grundsätzlich mit noch mehr Komponenten, als die erwähnten Beispiele: Die direkte Konkurrenz oder die Intensität von ECommerce-Unternehmen im selben Werbeblock, Blocklängen und Positionen, um nur einiges zu nennen. Denn fest steht für Steinrücke auch: Derzeit setzen vornehmlich Performance getriebene ECommerce Unternehmen diese Crossmedia-Analysen ein, um den ROI und andere KPI‘s zu ermitteln. In Zukunft aber werde sich das ändern und nicht zuletzt deshalb sei es positiv, dass sich der Markt und die Agenturen dafür öffnen „Sie werden bald vermehrt damit kämpfen, TV-Werbung onlineoptimiert auszusteuern. Kunden werden zum Teil Millionen umbudgetieren – für sie objektive Planungsparameter einzusetzen, wird die Aufgabe der Mediaagentur 4.0 sein.“ Hohe Wirkung für wenig Geld Websuche-Interesse Gebrüder Götz − Häufigkeit der Wortsuche in Indizes und TV-Spendings 100 500 Spendings in Tsd. Euro Websuche 400 80 klassische Spots Sponsoring Sat 1 Filmfilm 300 60 264 205 200 100 55 55 55 55 KW 6 KW 7 KW 8 KW 9 69 69 KW 10 KW 11 69 69 57 65 KW 14 KW 15 185 40 20 0 0 KW 2 KW 3 KW 4 KW 5 KW 12 KW 13 KW 16 KW 17 KW 18 Zeitraum: 04.01. -.02.05.2015 Quelle: Nielsen, Google Trends HORIZONT 43/2015 40 REPORT BEWEGTBILD HORIZONT 43/2015 22. Oktober 2015 „Wir brauchen Mediapläne für heute“ S Von Juliane Paperlein ie sind zwei alte Hasen im TVGeschäft und wer könnte besser einordnen, wo die Reise im Fernsehen gerade hingeht? In HORIZONT diskutieren Mediaplus-Geschäftsführer Andrea Malgara und IP-Chef Matthias Dang über die Zukunft von TV und sind sich vor allem in einem einig: Aller neuen technischen Möglichkeiten zum Trotz, ist das lineare Fernsehen in den nächsten Jahren noch nicht zu ersetzen. Ein Expertengespräch. Zukunft des TV: MediaplusGeschäftsführer Andrea Malgara und IP-Chef Matthias Dang im Expertengespräch Matthias Dang, IP (l.), und Andrea Malgara, Mediaplus Herr Malgara, Herr Dang, wie schauen Sie persönlich fern? Andrea Malgara: Ich schaue sehr selektiv, sowohl linear als auch non-linear. Matthias Dang: Bei mir ist es ein totaler Mix aus linearer und nichtlinearer Nutzung. Gestern Abend habe ich bei Amazon die letzte Folge von „The Walking Dead“ gesehen und zwar in der App auf dem Fernseher – und bin dann, immer noch auf dem Fernseher, zu Vox gewechselt, um dort „Chicago PD“ zu sehen. Wir beide sind allerdings nicht repräsentativ in unserer Mediennutzung. In der Tat. Wie hoch ist denn die nonlineare Nutzung in der Gesamtbevölkerung im Moment? Dang: Laut unserer Fourscreen-Touchpoints-Studie erfolgen 86 Prozent der gesamten Bewegtbildnutzung der 14- bis 59-Jährigen im linearen Fernsehen. Auf Onlinevideo entfallen in dieser Zielgruppe 6 Prozent, bei den 14- bis 25-Jährigen sind es 15 Prozent. Malgara: Der Großteil der Nutzung erfolgt damit immer noch linear. Und das ist gut so, denn das lineare Fernsehen ist der bessere Werbeträger. Dort haben Sie 12 Minuten Werbung in der Stunde. Non-linear laufen meist kürzere Formate, die dann gerade mal ein Pre-Roll haben. Auch auf Mediatheken wird es nie einen 6 Minuten langen Werbeblock geben, sondern nur ein bis zwei Mid-Rolls. Damit gibt es nichtlinear sehr viel weniger Werbekontaktmöglichkeiten als im klassischen Fernsehen. Diesen Punkt muss man stark berücksichtigen, wenn man das Medium als Werbeträger bewertet. Andrea Malgara Er ist Geschäftsführer und Partner der Mediaplus Gruppe und seit Oktober 2011 für die Münchner tätig. Operativ verantwortet er Andrea Malgara als Geschäftsführer den Einkauf in Deutschland, Osterreich und Italien. Übergreifend ist er verantwortlich für die Themen Forschung, Unternehmenskommunikation und zudem Sprecher der Mediaplus Gruppe. Malgara kennt auch die andere Seite des Mediageschäfts. von 1995 bis 2010 war er bei der Seven-One Media. Matthias Dang Matthias Dang, Jahrgang 1967, steht seit September 2012 an der Spitze von IP Deutschland, dem Vermarkter der Mediengruppe RTL Deutschland. Dang arbeitet seit 1993 für IP, seit 2004 verantwortet er den Verkauf. In diesem Jahr hat er IP umstrukturiert, um das Unternehmen fit zu machen für Multiscreen-Welt. Seither werden alle Angebote auf allen Endgeräten aus einer Hand verkauft. FOTO: MYMUENCHENN Noch mehr interessieren sie sich aber für Facebook und Whatsapp. Dang: Wir müssen sie uns in der Tat mit anderen teilen. Man muss aber hinterfragen, was man miteinander vergleicht. Im Unterschied zum Telefon kann bei Facebook aber auch geworben werden. In Konkurrenz um die Werbegelder steht Social Media damit allemal. Malgara: Ich würde das gern von einer übergeordneten Warte aus betrachten: FOTO: GUIDO ENGELS Wir haben da schon ganz andere Werbeblöcke mit drei bis vier Spots erlebt, die sich auch noch von Block zu Block, gerne auch innerhalb des Blocks wiederholen, aber das nur am Rande. Um junge Menschen zu erreichen, spielt die non-lineare Welt doch durchaus eine Rolle als Werbeträger. Dang: Lassen Sie uns mal Aufklärung betreiben und weggehen von der Mediennutzung des eigenen Sohns oder der eigenen Tochter, die bei solchen Gelegenheiten gern als Kronzeugen angeführt werden. Schauen wir stattdessen auf die Fakten: Die 14- bis 29-Jährigen schauen heute 116 Minuten am Tag lineares Fernsehen – das sind fast zwei Stunden! Die Jungen sind mitnichten für die Gattung verloren. Social Media sind eher Kommunikationsplattformen als Medien und Whatsapp ersetzt, salopp formuliert, das Telefon. Die Aufgabe einer Mediaagentur ist, dass der Kunde für jeden Euro, den er in Werbung investiert, mehr zurückbekommt als sein Wettbewerber. Dazu müssen wir Mediapläne machen, die heute funktionieren und nicht gestern oder in 15 Jahren. Das ist wichtig! Die Nettoreichweite im Fernsehen ist bei den 14- bis 29-Jährigen seit 2000 um 10 Prozentpunkte zurückgegangen und liegt nur noch bei knapp über 50 Prozent, verglichen mit 95 Prozent in der Gesamtbevölkerung. Dafür nutzen 88 Prozent der Jungen auch Onlinevideo. Die Nutzung hat sich also schon verändert. Das ist keine Disruption, aber etwas, worauf wir reagieren müssen. Was bedeutet das für die Planung im Jahr 2015? Malgara: Dass Bewegtbildkampagnen heute nicht nur im TV vorkommen, sondern auch auf anderen Videotouchpoints. Die wichtige Frage dabei ist, was ist die richtige Dosis? In der Planung geht es um Nettoreichweiten von Kampagnen, nicht von Medien. Bei Youtube ist die Nutzung jedoch extrem geklumpt. Relativ wenige Leute machen extrem viel Nutzung aus. Diese Extreme liegen in Online deutlich weiter auseinander, als bei den Viel- und Wenigsehern im TV. Das bedeutet, man muss darauf achten, dass nicht immer die Gleichen erreicht werden, und braucht ein intelligentes System. Dang: Da stimme ich zu 100 Prozent zu. Entscheidend ist die Dosierung. Wenn ein Jugendlicher einmal Youtube gesehen hat, zählt er schon zur Nettoreichweite von Youtube. Aber welche Chancen habe ich, ihn während eines bestimmten Kampagnenzeitraums tatsächlich zu erreichen? Malgara: Die Definitionen dessen, was ein Videoview ist, sind in der Tat völlig unterschiedlich. Bei Youtube muss der Spot mindestens 30 Sekunden lang gelaufen sein beziehungsweise bis zum Ende, wenn er kürzer ist. Bei Facebook sind es nur 10 Sekunden und nur auf 50 Prozent des Screens und auch noch ohne Ton. Ein normaler Spot in der Timeline von Facebook wird deshalb keine Wirkung haben, weil er kein Audio hat und der Packshot am Ende kommt. Herr Malgara, Facebook will aber ganz klar ran an die TV-Budgets. Lassen Sie das soziale Netzwerk in der Planung etwa außen vor? Malgara: In der Nutzung dieser Angebote als Kommunikationsinstrument natürlich nicht. Man kann sehr zielgenau interessierte Zielgruppen mit dezidiertem Bewegtbild ansprechen. Aber in der Verlängerung einer TV-Spotkampagne, also in der Bewegtbild-Planung, schon. Bei der Optimierung der Nettoreichweite nützt das wenig. Denn da versuchen wir, Onlineprofile von Leuten, die die TVKampagne wahrscheinlich nicht gesehen haben, zu erreichen, oder bei Sehern, die die Kampagne sehr wahrscheinlich wahrgenommen haben, bestimmte Botschaften aus dem TV zu vertiefen. Das Problem im Moment ist, dass wir nicht genug Onlinevideonutzung haben, um die Nettoreichweite für alle TV-Kampagnen maximieren können. HORIZONT 43/2015 22. Oktober 2015 Warum nicht? Dang: Weil die Onlinevideonutzung zu niedrig ist. Für ein Massen-Markenprodukt eine hundertprozentige Onlinevideo-Kampagne zu machen, ist sinnlos. Man bräuchte knapp zwei Monate, um die Hälfte der Bevölkerung zu erreichen. Im TV baut man in drei bis vier Wochen, was ein typischer Kampagnenzeitraum ist, 80 bis 85 Prozent Reichweite auf. Und trotz dieses Mankos wäre Online teurer. Wenn man über Onlinevideo spricht, muss man immer unterscheiden, was man theoretisch erreichen kann und was praktisch möglich ist. Die Jungen schauen nicht nur mehr Onlinevideo, sie haben auch eine hohe Parallelnutzung mit dem Smartphone, während sie fernsehen. Wie beeinträchtigt das die Wirkung von TV? Dang: Parallelnutzung gab es schon immer. Früher wurde gebügelt und telefoniert. Der größte Unterschied ist, dass die Parallelnutzung jetzt besser erfasst werden kann und man sie sogar zur Interaktion mit dem Zuschauer nutzen kann. Malgara: Es gibt schon ein Problem dadurch, dass die Aufmerksamkeit wandert. Während des Programms springen die Augen nur 1,5-mal pro Minute zwischen Smartphone und Big Screen hin und her, während der Werbung aber 4,1 Mal. Aber warum muss das negativ sein? Dang: Man kann das auch positiv sehen: Wenn sie so oft hinsehen, ist die Chance doch auch da, dass sie an der Werbung hängen bleiben. Malgara: Ich sehe das anders: Wenn alle abgelenkt sind, gibt es einen Wirkungsverlust. Dang: Das stimmt nicht. Malgara: Wenn Sie eine herausragende Kreation haben, dann vielleicht nicht, sonst schon. Bei einer durchschnittlichen Kreation wirkt der Spot schon zu 70 Prozent schlechter. Das bedeutet, dass im TVSystem bis zu 300 Millionen Euro wirkungslos sind, die man über die Kreation optimieren könnte. Dang: Das führt direkt zu der Frage, was eigentlich Aufgabe des Mediums ist und was nicht. Mein holländischer Kollege plädiert dafür, nicht nach Zeit abzurechnen. Er sagt, er bringt dem Werbungtreibenden den Kontakt und was der dann damit macht, liegt in seiner Verantwortung. Wenn der Zuschauer bei der Werbung wegzappt, dann liegt die Ursache in der Kreation des Kunden oder auch in seinen Targeting-Parametern bei Onlinevideo. Darauf haben wir als Vermarkter aber keinen Einfluss. Kreation steht im Moment ebenso wenig im Fokus der Wirkungsforschung wie die Rolle des Umfeldes. Interessiert Letzteres noch irgendeinen Kunden? Malgara: Bei uns schon. Dang: Bei euch mag das ja so sein, aber in einer durchschnittlichen Agentur wird doch ganz wenig nach Umfeld geplant. Das ist schade, denn wir sind davon überzeugt, dass das Umfeld eine entscheidende Rolle für die Wirkung spielt. Malgara: Und wir können das sogar belegen. Die Optimierung von Umfeld hat einen enormen Impact. Die Passung zwischen Spot und Format beziehungsweise Sender spielt eine Schlüsselrolle für die Wirkung. Das bedeutet auch, dass es nicht überall, wo man einen Spot schalten kann, auch Sinn macht, ihn zu schalten. Dang: Das ist in den letzten Jahren aber in den Hintergrund getreten. Wir sprechen zwar oft und ausgiebig über Um- REPORT BEWEGTBILD 41 felder und deren Qualität, das schlägt sich aber nicht notwendigerweise in der Planung nieder. Wie sieht es denn in der Onlinewelt aus? Da hat man manchmal das Gefühl, dass Umfeld eine noch geringere Rolle spielt. Markenspots laufen mitunter in mehr als fragwürdigen Umfeldern. Malgara: Tatsächlich wird darauf zu wenig Acht gegeben. Der höchste Wirkungsbooster ist die Auswahl von Zielgruppen, die aus der DNA des Produktes stammen. Schon im TV erzielt man damit enorme Effekte, dass man zum Beispiel nach Käuferzielgruppen plant. Online ist der Effekt noch höher. Effizienz ist doch eigentlich ein schlagendes Argument, warum setzt es sich in diesem Punkt nicht durch? Dang: Weil Rabatte ein noch schlagenderes sind. Wir haben vor einigen Jahren versucht, den „Impact Index“ einzuführen, der genau das abbilden sollte. Aber er hat sich nicht durchgesetzt. Es gibt ja noch viel mehr Faktoren, die einen Einfluss auf die Wirksamkeit haben, zum Beispiel, wann der Spot läuft. PrimetimeSpots wirken besser als Spots in der Daytime, einfach weil die Nutzung fokussierter ist. Die TV-Welt wird immer komplexer und der Rabatt ist da eine recht einfach zu beschreibende Größe. Stichwort Komplexität: Mit HbbTV gibt es seit einigen Jahren einen Standard, in den die Industrie viel Hoffnung gesetzt hat, weil der Zuschauer aus dem Spot heraus via Red Button in die Onlinewelt wechseln kann. Ist das für alle Seiten so spannend, wie es zum Start klang? Malgara: HbbTV ist für uns nicht richtig skalierbar, da ist die Durchdringung noch nicht hoch genug, um positive Netzwerkeffekte zu generieren, also fehlt auch dort die Nettoreichweite. Dang: HbbTV und das Thema Adressable TV sind kleine Pflänzchen, die zum Teil noch nicht mal aus der Erde gesprossen sind. Die innovativen Themen haben immer zwei Seiten: Man muss mitspielen, um nicht als ewiggestrig zu gelten und sich möglichst schnell an echten Projekten ein Bild machen zu können, was für den großen Markt taugt. Andererseits muss man realistisch bleiben: Es lässt sich jetzt noch nicht absehen, welches von den vielen Pflänzchen, die wir da haben, einen echten Stamm ausbildet und groß wird. Das gilt auch für HbbTV. Wir haben da einige Cases gemacht, aber es ist noch weit davon entfernt, ein Massenphänomen zu sein. Das bedeutet unterm Strich, dass man viel Geld in Technik investiert, die aber letztendlich kaum genutzt wird? Dang: Technische Innovationen lassen sich nicht aufhalten – und das ist gut so! Man darf nur nicht vor lauter Euphorie, was zukünftig gehen könnte, die Gegenwart aus den Augen verlieren. Die Planung wird mit jeder neuen Möglichkeit komplizierter und teurer, nicht zuletzt für die Agenturen. Und damit muss man eben umgehen können. Malgara: Die Welt ist komplexer geworden und erfordert deshalb einen kritischen Blick und mehr Auseinandersetzung mit den Details. Jedes Jahr werden die Budgets geringer, aber die Medien zahlreicher. Da muss man genau hinsehen, wie man die Wirkung erhöht, um nicht plötzlich unter der Wahrnehmungsschwelle zu sein. Das gilt übrigens auch für das ganz normale Fernsehen. Die Anzahl der Sender hat sich in den letzten zehn Jahren verdoppelt. Die Anzahl der relevanten Sender pro Person ist aber konstant bei sechs. Für die Mediaplanung heißt das, dass man mehr Sender berücksichtigen muss, damit man in allen Zielgruppen über die Sichtbarkeitsgrenze kommt. Auch so lassen sich Budgets optimieren. Lassen Sie uns noch ein wenig weiter in die Zukunft blicken. Werden die heute 14-Jährigen ins lineare TV zurückkehren, wenn sie älter sind, oder müssen Sie sich darauf einstellen, diese Zielgruppen doch alle im Netz einzusammeln? Malgara: Die kommen zurück. Aber nonlineare Nutzung wird bei ihnen immer eine Rolle spielen, weil es so bequem ist. Dang: Ich gehe auch davon aus, dass die Jungen mit zunehmendem Alter wieder mehr TV sehen, aber wir werden sie uns immer mit anderen Medien teilen müssen – auch weil immer mehr Angebote den großen Screen erobern. Und wir werden feststellen, dass für die Jungen „TV“ eine andere Bedeutung hat: Total Video. Aber warum sollte jemand, der sich an Binge-Watching, also einen Serienmarathon, gewöhnt hat, wieder damit aufhören, nur weil er älter wird und einen festen Tagesablauf und Familie hat? Dang: Eine amerikanische Serie muss man nicht mehr linear ansehen – musste man übrigens schon seit dem Zeitalter der DVD nicht mehr, und auch das hat die Quote im linearen TV nicht wirklich gedrückt. Bei Events ist das anders, die möchte man live sehen, ob das nun große Shows sind oder Sport, man muss es förmlich sehen, weil man mit anderen am nächsten Tag darüber reden möchte. Unser Fokus liegt aus diesem Grund darauf, echte „Must-sees“ zu kreieren. Anzeige 42 REPORT BEWEGTBILD HORIZONT 43/2015 22. Oktober 2015 In Bewegung: Auf Websites von Verlagen sind werbliche und redaktionelle Videoformate inzwischen gang und gäbe Bewegtbild war für die Vermarkter von Verlagssites Neuland. Jetzt ziehen sie Bilanz und sagen: Die Investitionen haben sich gelohnt S Von Sara Weber eit Jahren ist Video Advertising einer der Treiber im Online-Werbemarkt. Die Preise sind vergleichsweise hoch, die Nachfrage auch. Doch vor allem für Vermarkter, die traditionell von Verlagsseite kommen und früher keine Videoinhalte produziert haben, war der Boom eine Herausforderung. IQ Digital Media Marketing vermarktet die Websites von Verlagen, die früher keine Bewegtbildinhalte im Portfolio hatten. Das hat sich geändert: „Über Bewegtbild haben wir in den vergangenen Jahren eine Vielzahl neuer Kunden gewonnen“, sagt Geschäftsführer Christian Herp. IQ Digital platziert In-Stream-Pre-Rolls vor allem vor klassischem Bewegt-NewsContent. „Hier ist eine sehr hohe Nutzung zu verzeichnen“, so Herp. Zugleich nehme auch die Nachfrage nach Outstream-Bewegtbild kontinuierlich zu, also nach In-Page-Formaten, die unabhängig von Videocontent auf den Websites laufen. „Hier scheint sich ein Paradigmenwechsel abzuzeichnen und die Grenzen zu verschwimmen“, sagt Herp. Weil für Outstream eben keine eigens angefertigten Bewegtbild-Inhalte nötig sind, liegen die Vorteile laut Herp auf der Hand: hohe Verfügbarkeit, hohe Nettoreichweite, hohe Nutzung und ein sehr gutes Kosten-Nutzen-Verhältnis. Wo genau die Anzeigen platziert werden, spielt dennoch eine Rolle: „Die redaktionelle Qualität der Inhalte, in denen Bewegtbild platziert wird, ist für uns sehr wichtig“, betont Herp. Das sei leider nicht bei allen Anbietern der Fall. Auch der Zeitungsvermarkter OMS betrachtet die Investition in Bewegtbild als lohnend: „Gerade die Umfelder der OMS mit ihren überdurchschnittlichen Verweildauern und der aktiven Beschäftigung der Nutzer mit unseren Inhalten bieten eine perfekte Plattform für In-Page-Videoformate wie In-Read oder großflächige Werbeformen mit Bewegtbild- inhalten“, sagt Geschäftsführer Dirk von Borstel. „Diese Kombination sorgt für einen Großteil unseres Wachstums.“ Ähnlich sieht es bei Spiegel QC aus, wie Leiter Norbert Facklam berichtet: „Neben der mobilen Vermarktung haben wir auch im Bewegtbildbereich bei Spiegel QC ein weiterhin sehr dynamisches Wachstum. Unsere Anstrengungen beim Ausbau der Videovermarktung werden durch eine große Nachfrage von Agenturen und Werbungtreibenden honoriert.“ Spiegel QC vermarktet Facklam zufolge alle Formen von In-Stream, von Shortform-Videobeiträgen bis zu 5 Minuten, die hauptsächlich auf Spiegel Online zur Verfügung gestellt werden, bis hin zu Longform-Beiträgen wie Kinofilmen, die an den Wochenenden über die Web-TVPlattform Spiegel TV ausgespielt werden. Mit Spiegel TV sitzt bereits BewegtbildExpertise im Haus – ein Vorteil gegenüber anderen Verlagen und Vermarktern, die hier erst aufbauen mussten. Doch diese Investition hat sich gelohnt, berichten alle übereinstimmend. F ür den Vermarktungsarm von Gruner + Jahr ist Bewegtbild „ein strategisch relevantes Thema, wobei wir hier vor allem auf hochwertige Eigenproduktionen und long-lasting Content setzen“, so Stefan Schumacher, Executive Director Digital bei G+J EMS. „Da immer mehr Markenartikler bei ihren crossmedialen oder crossdigitalen Kommunikationslösungen bei G+J EMS auch auf die Integration von Bewegtbild setzen, profitieren wir in der digitalen Vermarktung in der Folge von wachsenden Umsätzen im Bereich Video.“ Zudem entwickelt G+J EMS eigene Formate, die das Vermarktungspotenzial bei hohen effektiven Tausend-Kontakt-Preisen steigern und für das Unternehmen so ein attraktives Zusatzgeschäft zur Display-Vermarktung generieren. Diese eigenentwickelten Formate haben sich laut Schumacher „auch als sehr erfolgreich bei der Neukundengewinnung herausgestellt“. Im Bereich Food, zum Beispiel für Chefkoch.de, produziert G+J Rezeptvideos selbst, die dann mit Pre- und PostRolls, Presenterships und Video Advertorials beworben werden können. Ein neues Feld, das zur Positionierung des Verlags passt: Mit Magazinen wie „Essen & Trinken“ und „Beef“ ist Gruner + Jahr seit jeher in Food-Themen heimisch. Aktuell arbeitet G+J EMS mit sogenannten Foodtubern, also Youtubern aus dem Food-Bereich, zusammen und bringt unter dem Dach „Club of Cooks“ VideoInhalte von Youtube auf die eigenen Seiten. Geplant ist, in dieser Konstellation „Bewegtbild wird für viele auf jeder Plattform das bevorzugte Werbemittel sein“ Carsten Schwecke, Media Impact künftig auch Native-Kampagnen, Produktunterstützung, Verlosungen und Branded Content zu produzieren. Vor allem mit den Presenterships hat G+J EMS Schumacher zufolge „sehr gute Erfahrungen gemacht, weil sie Markenartiklern eine maximale Nähe zum Videocontent und redaktionellen Umfeld bieten“. Außerdem steige das Interesse von Kunden und Agenturen nach Bewegtbildformaten in redaktionellen Umfeldern. Video Advertising kann also auch für die Vermarkter neue Geschäftsfelder erschließen – die dem Markenkern treu bleiben. Auch für Axel Springer Media Impact (MI) haben sich die Investitionen in Bewegtbild „definitiv gelohnt“, sagt Carsten Schwecke, Mitglied der Media-ImpactGeschäftsleitung. „MI konnte sowohl inventar- als auch umsatzseitig deutlich zulegen und hat durch die Schaffung der entsprechenden Video-Infrastruktur in Sales, Marketing und Technology beste Voraussetzungen für signifikantes Wachstum 2016.“ Bewegtbild hat MI laut Schwecke viele Neukunden und zusätzlichen Umsatz gebracht. „Da das MediaVolumen in den Bereich Bewegtbild in den nächsten Monaten und Jahren deutlich zunehmen wird, sehen wir weiterhin große Potenziale für die Video-Vermarktung“, sagt Schwecke. „Für viele Werbungtreibende wird es in jedweder Art und auf jedweder Plattform das bevorzugte Werbemittel sein, in einer Kombination aus TV und Digital.“ D ie Ströer Digital Group, die unter anderem „Auto Motor und Sport“ vermarktet, nutzt Video auch in der Out-of-Home-Kommunikation. CEO Christopher Kaiser sieht das Smartphone als weiteren Treiber der Entwicklung: „Mobile Endgeräte führen zum Durchbruch des Hochformats, weil man das Handy meistens hochkant hält“, sagt er. Dementsprechend setzen sich vermehrt auch Videoformate im Hochformat durch. „Das kommt uns zugute “, so Kaiser. Rasmus Giese, Geschäftsführer von United Internet Media, glaubt, dass Bewegtbild weiter wachsen wird, „aber die jährlichen Raten sind recht überschaubar, weil das Inventar in PremiumUmfeldern nicht in dem Ausmaß wächst, wie viele Werbungtreibende es sich wünschen“. Deshalb reiche es nicht aus, die gewohnte TV-Werbung eins zu eins per Pre-Roll auf den digitalen Kanal zu übertragen. „Vielmehr muss man dem Medium gerecht werden und emotionale Video-Botschaften ergänzend auch in page platzieren“, sagt Giese. Dass Bewegtbildwerbung online Trendthema bleibt, bestätigen auch die Zahlen des Online-Vermarkterkreises : In seinem aktuellen Report stehen Pre-Rolls auf Platz 3 der beliebtesten Online-Werbeformen. Pre-Roll ist im 1. Halbjahr 2015 um 25 auf 149 Millionen Euro gewachsen – der größte absolute Zuwachs im Vergleich zum 1. Halbjahr 2014. FOTO: FOTOLIA, MONTAGE: HORIZONT Der Boom geht weiter 44 REPORT BEWEGTBILD A Von Giuseppe Rondinella uf dem Notebook die Nachrichten verfolgen, unterwegs mit dem Smartphone die sozialen Netzwerke durchstöbern und abends auf dem Sofa das Tablet als Second Screen auf dem Schoß: Die Mediennutzung war noch nie so fragmentiert und so mobil wie heute. Bewegtbildinhalte spielen in dieser Entwicklung eine wichtige, wenn nicht gar die entscheidende Rolle. „Mobile Video ist mittlerweile ein ganz klar ausgeprägtes Konsumentenverhalten“,betonte etwa Oliver Busch, Head of Agency bei Facebook, während eines Vortrages auf der Dmexco vor wenigen Wochen. HORIZONT 43/2015 so stark wie in den vergangenen beiden Jahren, der Markt scheint sich langsam einzupendeln.“ Angesichts der aussichtsreichen Prognosen bringen sich die verschiedenen Player in Stellung. Die klassischen Publisher haben ihr mobiles Video-Inventar in den vergangenen Jahren erweitert und Werbeagenturen lassen sich immer kreativere Lösungen für Smartphones und Co einfallen. Einzig die Werbungtreibenden hinken ein wenig hinterher, beobachtet jedenfalls Dirk Kraus, Gründer und Vorstand der Yoc AG: „Die Werbungtreibenden müssen viel mehr Herr über ihre Ausgaben werden und verstärkt dorthin gehen, wo die Menschen sind.“ Mobile sei demnach noch immer stark unterrepräsentiert. Martin Lütgenau, Geschäftsführer der Forward Ad Group (ehemals To- ähnlich wie mit einer TV-Fernbedienung“, erklärt Kraus. In Österreich, wo das Understitial im Mai Premiere feierte, sei es komplett ausverkauft gewesen. Hierzulande verkaufe man nun eine Video-Kampagne nach der anderen, etwa für den Ford Mustang. Scheinbar mit Erfolg: Kraus spricht von hohen Klick-Raten, hoher Nutzerzufriedenheit und langer Verweildauer. Doch es sind nicht nur die erwähnten Anbieter, die die Bewegtbildvermarktung forcieren. Facebook etwa machte letzte Woche Schlagzeilen, als man in den USA begann, mit einem eigenen Video-Feed zu experimentieren. Kein Wunder: Immerhin werden täglich drei Viertel der Videos auf dem Smartphone konsumiert, so Facebook-Sprecher Stefan Stojanow auf Nachfrage. Mit Kunden Kleine Screens ganz groß Mobile Video Advertising ist im Markt angekommen. Klassische Anbieter und Plattformen wie Facebook und Youtube investieren in neue Formate Die Marktentwicklung gibt Busch Recht. Laut jüngster ARD/ZDF-Onlinestudie stieg der Anteil derer, die mobiles Internet nutzen, auf 55 Prozent. Auch die Reichweite der Bewegtbildangebote im Netz erhöht sich stetig: Der Studie zufolge geben fast zwei Drittel der Befragten an, Videos im Internet zu schauen. Und die Werbeindustrie wächst mit. Die Research-Abteilung von Business Insider BI Intelligence schätzt, dass die Erlöse aus Videowerbung in den USA bis 2020 um mehr als ein Fünftel steigen werden (siehe Chart). Mobile soll dabei mit einem Wachstum von 40 Prozent der größte Treiber sein. Auch hierzulande steigen Nutzung und Werbeumsätze immer weiter, beobachtet Christoph Henning, stellvertretender Vorsitzender der Fokusgruppe Bewegtbild im Bundesverband Digitale Wirtschaft (BVDW), und muss dennoch beschwichtigen: „Der Boom ist aber nicht mehr ganz morrow Focus Media), beobachtet, dass es vor allem Kunden mit einer jüngeren Zielgruppe sind, die mobile Strategien entwickeln und hauptsächlich aus Branchen mit innovativen und hochwertigen Produkten kommen, etwa aus der Finanz- und Automobilindustrie. Seven-One-Media-Chef Thomas Port widerspricht. Für alle seine Kunden sei Mobile mittlerweile eine Selbstverständlichkeit. Kraus, der mit der Gründung von Yoc vor 15 Jahren als Pionier für Mobile-Advertising-Lösungen gilt, scheint seiner Zeit wieder ein wenig voraus. Im September launchte sein Unternehmen im Rahmen der O2-Kampagne „Zwei sind besser als eins“ das Understitial Video Ad – ein neues mobiles Werbeformat, bei dem die Anzeigenfläche nativ unter dem redaktionellen Inhalt eingebettet ist und vom User per Scrolling nach und nach freigelegt wird. „Der Nutzer hat es selbst in der Hand, ob er die Werbung sehen möchte oder nicht, Unternehmen testen Mobile immer häufiger Mobile wächst schneller Werbespendings nach Medienklassen Erlöszuwächse von Digital Video Advertising in den USA Jan. bis Sep. 2015 in Milliarden Euro Veränderung zum Vorjahreszeitraum in Prozent 9,20 Fernsehen 3,30 Zeitungen 2,40 Publikumszeitschriften 2,10 Internet 5,1 0,2 +16,8% +7,5% +8,2% +3,5% –3,4 21,9 1 Out-of-Home 1,20 7,1 Radio 1,20 0,8 Fachzeitschriften 0,30 0,1 Mobile 0,20 57,2 Kino 0,10 9,7 Quelle: Nielsen Angaben in Prozent 39,5 HORIZONT 43/2015 12,9 Mobile Desktop Total Basis: zusammengesetzte jährliche Wachstumsraten 2015 bis 2020 Quelle: BI Intelligence HORIZONT 43/2015 wie Zign, einer Zalando-Eigenmarke, habe die Firma von Mark Zuckerberg bereits erfolgreiche Bewegtbild-Kampagnen realisiert. Und auch Twitter geht neue Wege. Die MikrobloggingPlattform steigt mit dem neuen alten CEO Jack Dorsey seit Neuestem in die Video-Vermarktung ein und setzt dabei auf den Ausbau seines Programms „Twitter Amplify“. L aufen Social Media Plattformen den klassischen Publishern also den Rang ab? BVDWExperte Henning sagt Jein. Die enorme Reichweite und die Datenmenge seien zwar klare Vorteile. Aber: „Was sozialen Netzwerken im Gegensatz zu Verlagen und Broadcastern fehlt, sind originäre Qualitätsinhalte.“ Nicht ohne Grund nähere sich Facebook nun durch Instant Articles den Qualitätsinhalten der Verlage an; investiere Youtube in hochwertige Produktionen. SevenOne-Media-Chef Port sieht in Social Media in keiner Weise einen Konkurrenten, im Gegenteil: „Die Plattformen verhelfen uns eher zu noch größerem Erfolg: Unsere Video-Angebote profitieren enorm, sowohl im TV, als auch Online. Port zufolge gibt es aber nach wie vor wichtige Baustellen im Bereich Mobile Video Advertising. +7,5% Er fordert: „Wir brauchen dringend technologische Standards, um eine Fragmentierung der Betriebssysteme und Devices zu vermeiden.“ Laut Henning gibt es noch zu viele Werbungtreibende ohne mobil optimierte Landing Page. Auch beim Zukunftsthema Wearables herrsche Nachholbedarf. „Wir benötigen für Wearables eine neuartige Werbeansprache, die es noch zu entwickeln gilt“, sagt Lütgenau. Yoc-Gründer Kraus ist skeptischer und prophezeit den tragbaren Devices keine rosige Zukunft: „Will ich als Nutzer auf der Smartwatch ein Video sehen, und dann auch noch Werbung? Nein. Nicht alles, was machbar zu sein scheint, ist auch von Nutzen.“ 22. Oktober 2015 HORIZONT 43/2015 REPORT BEWEGTBILD 45 22. Oktober 2015 Die Freiheit nehm‘ ich mir Laut einer HORIZONT-Exklusivumfrage ist lineares TV gefragt, Nutzer von bezahltem Streaming genießen die Entscheidungsfreiheit Von Bettina Sonnenschein F ernsehen – das bedeutet für rund die Hälfte der Deutschen, einfach das zu konsumieren, was die Programmmacher ihnen vorgeben: Laut einer exklusiven HORIZONT-Umfrage beschreibt die Aussage „Ich sehe das, was mir die Sender im Programm anbieten“, aus Sicht von 49,6 Prozent der Befragten ihr Fernsehverhalten am besten. Doch auch das gezielte Aufnehmen ausgewählter Inhalte, die erst gesehen werden, wenn es zeitlich wirklich passt, ist für einen großen Teil der Zuschauer (40,4 Prozent) ein gangbarer Weg. Allerdings: Während 46,6 Prozent der Altersgruppe ab 50 Jahren gern auf die Aufnahmemöglichkeit zugreifen, ist der Drang bei den unter 30-Jährigen hierzu deutlich geringer (26,5 Prozent). Dafür erkennen sich 42,7 Prozent dieser jüngeren Befragten am ehesten als überwiegend Streamingdienst-Nutzer wieder. Im Rahmen der vom Frankfurter Link Institut für Markt- und Sozialforschung durchgeführten Onlinestudie wurden die Teilnehmer auch gefragt, ob sie kosten- pflichtige Streamingdienste nutzen. Fast ein Drittel (30,4 Prozent) bejahten dies, wobei der Anteil der männlichen Nutzer im Vergleich zu den weiblichen höher liegt: 37 Prozent der Männer bezahlen für Streamingangebote, bei den Frauen sind es nur 23 Prozent. Erwartungsgemäß sind auch hier die Unterschiede zwischen den Altersgruppen deutlich: Die Zustimmung liegt bei den 18- bis 29-Jährigen bei 51,3 Prozent und bei 30- bis 49-Jährigen bei 31,1 Prozent. Ab 50 Jahre sind es nur noch 12,8 Prozent, die kostenpflichtige Streamingdienste nutzen. Den Zeitpunkt selbst zu bestimmen, wann sie Filme und Serien konsumieren möchten, findet dabei ebenfalls erwartungsgemäß größte Zustimmung (72,4 Prozent) bei den zahlenden Nutzern. Ähnlich positiv wird empfunden, dass der Bezahldienst das werbefreie Sehen von Inhalten ermöglicht: 68,4 Prozent stimmen dieser Aussage voll und ganz zu. Dabei fällt besonders ins Auge, dass die Ablehnung mit dem Alter zu steigen scheint. So liegt der Anteil der über 50Jährigen, die dieser Aussage zustimmen, bei 78,9 Prozent, wohingegen 18- bis 29Jährige zu 66,7 Prozent zustimmen. O wohl sich diese Teilgruppe der Befragten den kleinen Luxus eines kostenpflichtigen Dienstes leistet, tun viele das nicht wirklich gern: Der Anteil derer, die für Streamingplattformen Geld ausgeben und gleichzeitig der Aussage zustimmen, gern bereit zu sein, extra dafür zu bezahlen, liegt über beide Geschlechter sowie über alle Altersgruppen hinweg bei etwa 20 Prozent. Zwar hält sich umgekehrt auch die komplette Ablehnung mit gesamt 3,3 Prozent in Grenzen, der größte Anteil der Nutzer zeigt sich hierbei aber insgesamt eher unentschlossen. Ähnlich verhält es sich mit der Beurteilung der Kosten für das eigens gewählte Angebot. 19,7 Prozent aller zahlenden Befragten stimmen der Aussage zu, dass der Preis für die Nutzung einer Streamingplattform angemessen sei, 4,6 Prozent können sich damit überhaupt nicht identifizieren. Der größte Teil (30,3 Prozent) steht unentschlossen in der Mitte. Dennoch scheinen die heutigen Nutzer einigermaßen zufrieden mit ihrer Wahl: 27,6 Prozent gaben an, in Zukunft noch häufiger über Bezahldienste Bewegtbildinhalte konsumieren zu wollen. Jüngere wechseln zwischen linearem TV und On-Demand Welche Art des Fernsehens trifft am ehesten auf Sie zu? Angaben in Prozent 18 bis 29 Jahre 30 bis 49 Jahre 50 bis 69 Jahre 41,9 Ich sehe das, was mir die Sender im Programm anbieten 26,5 Ich nehme gezielt Sendungen aus dem TV-Programm auf, um sie dann anzusehen, wenn ich Zeit dafür habe Ich nutze überwiegend das Angebot von Diensten wie Netflix, Amazon und Co 5,4 Dank meines Smart-TV-Geräts wechsle ich gern zwischen dem normalen TV-Programm und Video-on-Demand-Angeboten 6,1 47,7 58,8 43,4 46,6 19,8 17,9 12,3 11,8 7,7 6,4 6,8 Nichts davon 49,6 40,4 42,7 17,4 gesamt 6,8 Basis: Online-Umfrage im Oktober 2015, n = 500 Befragte von 18 bis 69 Jahre Quelle: Link Institut für Markt- und Sozialforschung HORIZONT 43/2015 Lieber bezahlen, als Werbung sehen Einstellung zu kostenpflichtigen Streamingdiensten Angaben in Prozent 18 bis 29 Jahre 30 bis 49 Jahre 50 bis 69 Jahre gesamt (Top-Boxen) Ich kann Filme und Serien sehen, wann ich möchte 86,3 Ich kann Inhalte sehen, die das normale Fernsehen gar nicht oder erst viel später sendet 69,9 52,6 Ich kann Filme und Serien in Originalsprache sehen 21,1 In Zukunft werde ich noch häufiger auf diese Weise Inhalte konsumieren Ich finde den Preis der Streamingplattform angemessen Für das Angebot bin ich gern bereit, extra zu bezahlen 71,7 53,4 52,6 42,1 43,3 50,7 50,7 66,7 60,3 58,3 57,9 94,7 86,7 81,7 Ich muss keine Werbung sehen 95,0 89,0 94,7 90,8 74,3 86,8 56,6 61,8 52,6 48,7 Basis: Online-Umfrage im Oktober 2015, n =1 52 Onlinebefragte zwischen 18 und 69 Jahren, die kostenpflichtige Streamingdienste nutzen; Zustimmung auf einer Skala von 1 (trifft überhaupt nicht zu) bis 5 (trifft voll und ganz zu) Quelle: Link Institut für Markt- und Sozialforschung HORIZONT 43/2015 Anzeige 46 REPORT BEWEGTBILD HORIZONT 43/2015 Einer für alle, Eine Studie von IP Deutschland untersucht die unterschiedliche Spot-Rezeption auf verschiedenen Screens alle für einen Von Bettina Sonnenschein M an kann es kaum treffender sagen als Cornelia Krebs, Leiterin der Wirkungsforschung von IP Deutschland: „Bewegtbild ist in Bewegung.“ Dass sich TV verändert hat, seit die Zahl der Screens vielfältiger geworden ist, ist unbestritten. Die Entwicklungsstufen dieser Veränderungen und vor allem, was sie für Werbung bedeuten, beobachtet der RTLVermarkter seit Jahren in der Studienreihe „Kartografie von Bewegtbild“. Die Nutzung der verschiedenen Screens, die Effekte von parallelem Fernsehen und Surfen sowie die langsam zunehmende Bedeutung von Smart-TV standen darin bereits im Fokus. In der neuesten Ausgabe geht es nun um die Wirkung von Spots je nach Endgerät – oder anders gefragt: Ruft ein und derselbe Spot auf unterschiedlichen Devices unterschiedliche Emotionen hervor? Und in der Folge: Welche Screens eignen sich für welche Spot-Kreation am besten? Beeinflusst ist die Untersuchung nicht zuletzt von der Erkenntnis, dass das Gehirn jedes Konsumenten in Sachen Entscheidung eigene Wege geht. Und dass Werbung dabei zwar Einfluss nehmen kann, allerdings nur, wenn sie sich deutlich stärker an dem orientiert, was die Neurowissenschaft über bewusste und unbewusste Entscheidungen herausgefunden hat. „Kartografie 8“ folgt also einem Trend (HORIZONT 34/2015), der die Emotionen in den Mittelpunkt rückt. Als Basis für das Setting dienten vier Testspots, die die Forscher nach ihrer unterschiedlichen Tonalität ausgewählt hatten: Die etwas düstere Story um einen Herrenduft, eine kindlich-spritzige Episode rund um die Limonade Orangina, die Mischung aus Urlaubsfeeling und In- formation für den E-Reader Tolino sowie einen rein informativen, faktenorientierten Spot für ein Schmerzgel. Nach der Einstimmung der Probanden auf die ihnen zugewiesene Nutzung – zum Beispiel Wohnzimmeratmosphäre für Fernsehen oder konzentriertes Arbeiten am Laptop – wurde per Eye Tracking sowie mithilfe am Körper befestigter Elektroden gemessen. Mimik, Gestik, Hautwiderstand und der Puls gaben Auskunft über die Gefühlszustände. Je nach Bildschirm bekamen die Studienteilnehmer eine Folge „Wer wird Millionär?“ zu sehen, inklusive Werbeblock für TV, oder zwei Prerolls und zwei Midrolls für Computer, Smartphone und Tablet. Eine anschließende Befragung rundete das Setting ab. U nd das Ergebnis? Zusammengefasst lässt sich sagen: TV ist nicht das einzig wahre und glücklich machende Werbemedium, die Kunst liegt in der screenübergreifenden Aussteuerung je nach Absicht. „Ist es richtig, Bildschirme gemeinsam zu belegen? Mit der Studie können wir das ganz eindeutig mit Ja beantworten“, sagt Forscherin Krebs. „Dabei ist TV der Turbo, der Mehrwert kommt durch die zusätzlichen Screens.“ Diese Erkenntnis ist zunächst keine ganz große Überraschung. Im Einzelnen ist es jedoch durchaus interessant, wie sich zum einen die unterschiedlichen Rezeptionssituationen bei der Nutzung verschiedener Screens auswirken, und dass zum anderen eben auch die kreative Art der Spots ganz unterschiedlich ankommt, je nachdem, auf welchem Gerät sie konsumiert werden. So befindet sich ein Zuschauer prinzipiell eher im entspannten, zufriedenen Modus, solange er klassisch fernsieht, deutlich angespannter, im positiven Sinne aber auch aufmerksamer ist sein Zustand beim Bewegtbildkonsum über einen PC oder Laptop. In der Folge funktionieren emotionale, atmosphärische Spots wie das Beispiel Orangina im TV sehr gut, während online faktenorientierte Kampagnen mit einer klaren Botschaft besser wahrgenommen werden. Auch auf den mobilen Endgeräten gibt es Unterschiede: Ähnlich entspannt wie beim klassischen TV werden Spots auf Emotionale Spotwirkung je nach Screen Tablet und Smartphone TV und Laptop positive Valenz positive Valenz Freude Zufriedenheit Freude Zufriedenheit Begeisterung Entspannung Begeisterung Entspannung Ideale Ergänzung, um zu aktivieren und Produktinteresse zu stärken Erregtheit niedrige Aktivierung hohe Aktivierung Hohes Wirkpotenzial für atmosphärische Spots mit positivem Einfluss auf die Markenwahrnehmung. Bereitet den Boden für eine hohe Brand-Awareness Abschottung Ideale Ergänzung für faktenorientierte Spots und zur Verankerung rationaler Argumente Langeweile Abneigung Verärgerung Frustration Quelle: IP Deutschland negative Valenz Erregtheit hohe Aktivierung niedrige Aktivierung Idealer Verstärker für eine positive Markenwahrnehmung und zur Steigerung des Produkt-Interesses Abschottung Anspannung Anspannung Langeweile Abneigung Verärgerung Frustration negative Valenz HORIZONT 43/2015 22. Oktober 2015 dem Tablet wahrgenommen. die Markenwahrnehmung einer Kampagne ist ähnlich positiv. Außerdem scheint die Spot-Rezeption über dieses Gerät auch das höchste Produktinteresse zu wecken. Das Wirkpotenzial eines Spots erhöht sich zudem verstärkt, wenn die Komplexität der Werbebotschaft reduziert ist und zu dunkle Szenen vermieden werden. Spots mit unterschiedlicher Tonalität – witzig, etwas geheimnisvoll, entspannt und dennoch informativ sowie faktenorientiert – dienen als Studienbasis Letztere funktionieren auch auf dem Smartphone nicht besonders gut, vermutlich liegt das in beiden Fällen am zu kleinen Bildschirm. Die Spot-Rezeption erfolgt auf dem kleinen Screen in einer aufmerksamen Verfassung, allerdings sind die Nutzer auch schnell abgelenkt. Für die Kreation bedeutet das, dass positive Botschaften im Vordergrund stehen sollten. Wenn es um Fakten geht, sollten diese nicht auf allzu komplexe Art vermittelt werden. A us Sicht der IP-Forscher, die die Untersuchung gemeinsam mit dem Münchner Marktforschungsunternehmen Mindfacts aufgesetzt hat, belegen die Ergebnisse, dass Fernsehen den Ausgangspunkt für das Wirkungspotenzial atmosphärischer Spots liefert, dabei entsteht der größte Einfluss auf die Markenwahrnehmung. Tablets sorgen für eine Verstärkung dieser Wahrnehmung, auf Laptops werden rationale Argumente verankert und Smartphones bilden die beste Möglichkeit, das Produktinteresse zu stärken. Im optimalen Fall müssten Werbungtreibende demnach für jeden Screen einen eigenen Spot kreieren – da das aus vielerlei Gründen kaum infrage kommt, rät IPForscherin Krebs: „Die Kunden sollten sich die Frage stellen, mit welcher Emotion sie eine Botschaft platzieren möchten. Darauf lässt sich die Zusammensetzung der Screens austaxieren.“ 48 REPORT BEWEGTBILD HORIZONT 43/2015 22. Oktober 2015 Im Auge des Betrachters Welchen Beitrag kann Kreation für die Spotwahrnehmung leisten? Im besten Fall sorgt sie für viel Lust am Inhalt D Von Julia Bröder ie Kreation ist zunächst einmal der wichtigste Wirkungshebel, den wir haben“, sagte Jan Isenbart im Frühjahr, als es darum ging, wie sich Bewegtbildformate auf unterschiedlichen Screens gegenseitig beeinflussen. Und er würde heute wieder so antworten: „Was wir in der Kreation verspielen, können wir in der Media nicht mehr aufholen“, so der Direktor Forschung bei IP Deutschland. Aber welche Geschichten sind es, die den Unterschied machen? Was muss die Kreation leisten, damit ein Spot beim Publikum ankommt und am Ende auch noch etwas für die Marke tut? Fest steht, dass die Art, wie Bewegtbild rezipiert wird, sich extrem verändert hat. Der Konsument entscheidet selbst, was er sehen will und was nicht. Entsprechend groß sind die Bemühungen von Marketern und Kreativen, von penetranter Werbung wegzukommen und stattdessen relevanten Content zu verbreiten. „Ich muss mich heute noch intensiver fragen, wen handwerklich gut gemachtes Bewegtbild gerecht wird, nennt Schulte trotzdem: einen Film, in dem Manuel Neuer für Coke Zero in die Rolle eines Angestellten schlüpft und eine Lebensgeschichte erzählt, die unter anderen Umständen tatsächlich seine eigene hätte werden können. Schultes Lob geht in diesem Fall an Plantage in Berlin. Aber auch im eigenen Haus entstehen regelmäßig Filme, die in der Kreativbranche gut ankommen. Bei den diesjährigen Cannes Lions war Thjnk die deutsche Agentur, die mit den meisten Preisen in der Kategorie Film nach Hause fuhr, zwei davon gab es für „Mechanics“ im Auftrag von Audi Deutschland. „Der Spot hatte wahrscheinlich genau die Radikalität, die es heute braucht, um sich von der Masse abzuheben“, meint Schulte. D och lohnt sich das auch für die Werbewirkung? Laut einer Inhaltsanalyse von IP Deutschland ist es erfreulich, dass die Zahl emotional aufgeladener TV-Spots zunimmt. Immer öfter werde an das Gefühl der Kunden appelliert, anstatt den Verstand nur mittels Sachinformationen anzusprechen. dürfte nach wie vor das „Unskippable Ad“ sein, in dem die amerikanische Versicherung Geico herrlich ironisch mit gelernten Werbebildern spielt und so quasi aus der Not eine Tugend macht. Fabian Frese, Geschäftsführer Kreation bei Kolle Rebbe, erklärt: „Das Pre-Roll-Format ist die mieseste Erfindung, seit es Mediaplanung gibt. Es gibt wohl kaum ein Format, das Menschen mehr nervt als diese 20 Sekunden, bevor der eigentliche Film losgeht. Wenn man sich aber genau diese Situation bewusst und sich dabei ernsthaft Gedanken darüber macht, wer da eigentlich gerade auf der anderen Seite des Screens sitzt, kann man mit einer kreativen Lösung als Marke massenhaft Sympathiepunkte sammeln.“ Großes Interesse daran, zu verstehen, welche Geschichten, Tonlagen und Längen beim Publikum am besten punkten, haben Google und Facebook. Und auch, wenn Marc Wirbeleit, Creative Strategist bei Facebook, sich auf ein Patentrezept ebenso wenig festlegen möchte wie seine Kollegen in den Agenturen, hat er doch ein paar Tipps: Mit einem starken visuellen Reiz beginnen, stark weitermachen und nicht auf das Ende setzen. „Der Um Storytelling für mobile Screens geht es auch bei einem Experiment, das Google im Juni zusammen mit BBDO New York und der Getränkemarke Mountain Dew durchgeführt hat. Anhand von drei Versionen eines Spots wollte das Team sowohl herausfinden, welche Art der Inszenierung überhaupt angeschaut wird, als auch, was die Marke am Ende davon hat. „Mobile Advertising. Making unskippable Ads“ heißt der Case und bezieht sich sicher nicht zuletzt auf das Format True View, bei dem Google seine Werbekunden nur zur Kasse bittet, wenn ein Zuschauer einen Spot nach den ersten Sekunden nicht per Klick überspringt. D ie Story handelt von ein paar Freunden, die sich in einem Partykeller treffen, nach und nach entsteht eine absurde Tanzszene. Die 30Sekunden-Version folgt einer klassischen Narration, in der die Jungs sich einen Drink nehmen und dann anfangen zu tanzen. Die zweite Variante beginnt mit einem Standbild und hat eine ähnliche Dramaturgie. Der dritte Film schließlich zeigt 93 Coke Zero: Der Getränkehersteller überlegt, wie das Leben eines Welttorhüters auch aussehen hätte können Zalando: Die Facebook-Kampagne mit Model Cara Delevingne umfasst 1000 individualisierte Spots für den Einsatz in unterschiedlichen Kleinstädten Mountain Dew: Google und BBDO finden heraus, dass die absurdeste Story durchaus etwas für die Marke tun kann ich überhaupt erreichen und was ich ihm sagen will“, meint Stefan Schulte, Geschäftsführer Kreation bei Thjnk in Berlin. Was für ihn vor allem zählt, ist der inhaltliche Punkt, nicht die Darreichungsform. „Das ist ja gerade das Tolle an den heutigen Möglichkeiten für Bewegtbild: Ich kann meine Botschaft in einen Erklärfilm verpacken oder ein fantastisches Zukunftsszenario entwerfen. Ich kann aber genauso gut nach einer wahren Geschichte suchen, ein Event dokumentieren oder die Vergangenheit wieder zum Leben erwecken“, schwärmt Schulte. Es überrascht nicht, dass er sich nicht auf ein Stilmittel festlegen möchte, das derzeit auf dem Vormarsch ist, Kreative reden generell nicht gern über Trends. Ein Beispiel, das in seinen Augen den Ansprüchen an relevantes und noch dazu Vor allem Humor, aber auch Rührung und Action wirken sich positiv aus. Darüber hinaus, das zeigt eine separate Studie, hat die Länge eines Spots erheblichen Einfluss auf die Werbewirkung. „Gute Geschichten brauchen Zeit, um einen Spannungsbogen aufbauen zu können“, heißt es, durchaus vorhersehbar, im Fazit. Die Erhebung bezieht sich auf das Medium TV und sicher lässt sich darüber diskutieren, wie viel oder wenig Sinn ein 15-sekündiger Cut-down eines Werbefilms macht. Viel spannender sind aber die Formate, mit denen Kreative jenseits dessen experimentieren. Dabei spielen nicht nur ganz andere zeitliche Begrenzungen und technologische Möglichkeiten eine Rolle, sondern auch der Umgang mit medienspezifischen Eigenheiten. Paradebeispiel dafür Schlussgag ist tot“, so Wirbeleit. Immerhin habe Nielsen herausgefunden, dass 47 Prozent des Werts einer Kampagne – gemessen an Werbeerinnerung, Markenbekanntheit und Kaufabsicht – innerhalb der ersten drei Sekunden eines Videos generiert werden, 74 Prozent innerhalb der ersten zehn Sekunden. W ichtig sei außerdem, dass ein Spot auch stumm funktioniert, weil er in der mobilen Nutzung sonst keine Chance habe. Punkten dürften auf Facebook zudem Kreationen, die mit personalisiertem Content arbeiten, wie beispielsweise eine Spot-Serie, in der das Model Cara Delevingne Nutzerinnen in 1000 verschiedenen Kleinstädten das Angebot von Top Shop und Zalando anpreist. Sekunden lang die absurdesten Tanzbewegungen und hält das Produkt im Hintergrund. Das überraschende Ergebnis des Experiments: Während alle drei Filme auf dem Desktop etwa gleich gut ankamen, blieben bei der langen Version mobil ein Viertel mehr Zuseher bei der Stange. Auch hinsichtlich der Brand Awareness schnitt die eher Spaß-fokussierte Inszenierung nicht schlechter ab als die anderen. Greg Lyons, Marketingchef bei Mountain Dew, fasst zusammen, um was es in der Ansprache über mobile Medien – und deren Nutzung steigt bekanntlich weiter – geht: „Nicht darum, sie mit einer Markenbotschaft zu unterbrechen, sondern darum, Inhalte zu kreieren, die unterhalten und ihre Zeit und Aufmerksamkeit wert sind.“ HORIZONT 43/2015 REPORT BEWEGTBILD 49 22. Oktober 2015 Den Klappstuhl ausgraben Ewald Pusch, Geschäftsführer von Neverest, erläutert, wie gelungenes Storytelling in der Praxis aussehen kann. Als Initialzündung zum Abverkauf dient es dabei nicht, wohl aber zur Emotionalisierung Der Autor Ewald Pusch war unter anderem zwei Jahrzehnte lang für Serviceplan tätig, bevor er 2008 die Agentur für Komplettfilm Neverest gründete. Seine bekannteste Kampagne ist „Mit dem Zweiten sieht man besser“ für das ZDF. M ärchen, Sagen, Heldenepen – Geschichten zu erzählen ist so alt wie die Menschheit selbst. Denn Menschen brauchen Helden. Und sie suchen wahre Gefühle. Deshalb müssen Marken immer stärker in Bildern bewegen. Dieses Prinzip heißt heute „Storytelling“. Und aus dem Weitererzählen wird Sharen, weil Reichweite für gut gemachte Inhalte heute häufig über das Digitale kommt. Da ist zum Beispiel dieser alte Mann, der täglich auf seiner Lieblings-Parkbank Tauben füttert. Nur einmal, da bekommt er keinen Platz mehr, die Bank ist besetzt. Am nächsten Tag bringt er sich deshalb einen rosa Klappstuhl mit. Und wandert ab sofort mit diesem Klappstuhl umher – erst im Park, dann in der Stadt, schließlich in der Welt. Der Klappstuhl, so die Botschaft, eröffnet ihm neue Horizonte, ein neues Leben, bringt Farbe in sein Leben. Am Ende des Zweiminüters stellt der Mann, wieder zuhause angekommen, seinen Freunden den verbeulten Klappstuhl hin. Mit der unausgesprochenen Aufforderung: Macht selbst was draus! Im Werbedeutsch heißt das „Start Something New: The unlimited potential of a chair“ und ist ein Werbefilm von Ikea Spanien. Kein Preis, keine Kaufaufforderung, kein Smørrebrød. Einfach eine nette Geschichte, soziale Botschaft inklusive, die man sich gerne anschaut. Ikea in Singapur hat in zweieinhalb Minuten eine andere, sehr witzige Geschichte zu erzählen: Der Ikea-Katalog als „Bookbook“. So präsentiert, als würde ihn Apple in einer seiner typischen Produkt-Lobpreisungen vorstellen. Zuletzt nahm sich sogar der jüngst verstorbene Literaturkritiker Hellmuth Karasek des Möbelhauskatalogs an: in einer selbstironischen Rezension. W arum erzählen Marken im Web, aber nicht nur dort, diese durchaus aufwendig produzierten Geschichten, ohne nur einmal Produkt und Preis zu nennen? Geht verkaufen auch ohne „Geiz ist geil“ und su- perschrill? Es muss, denn in Zeiten von Festplattenrekordern, Streaming-Angeboten oder Spot-Skippern stößt der 30Sekünder im Werbeblock des linearen Fernsehens an seine Grenzen. Die Zeiten, in denen TV-Spots zwingend RiesenReichweiten erzielten, sind out, die TVNutzung bekommt eine starke On-Demand-Komponente und die Parallelnutzung wächst dank Second und Third Screen. Eine neue Generation von Mediennutzern, die mit Tablet und Smartphone als First Screen aufwächst, überspringt, wenn es möglich ist, klassische Fernsehwerbung einfach. Stattdessen nutzt sie verstärkt Online-Bewegtbild, und das kanal- und geräteübegreifend. Vor Streamingdiensten und Mediatheken rangieren dabei die Videoportale. Und über Youtube und Co lässt sich ähnliche Aufmerksamkeit aufbauen wie über klassische Mediaschaltungen. Ja, vor allem in jungen Zielgruppen, aber zunehmend auch bei den über 30-Jährigen. Nur unterliegen die Inhalte, die dort verbreitet Wie Marken versuchen, die Welt ein bisschen besser zu machen Storytelling ist ein Investment in Marke und Kundenbeziehung, das sich auszahlt – dafür aber länger braucht als die klassische Adwords-Kampagne. Viele große Marken setzen StorytellingAnsätze mittlerweile sehr gekonnt ein. Dabei gibt es verschiedene Taktiken, dies zu tun. Hier eine kleine Auswahl: 1. Der One Shot zum Großereignis Weihnachten, Muttertag oder der Super Bowl – im Laufe eines Jahres gibt es immer wieder saisonale Highlights, die ein großes Thema sind. Warum nicht diese Anlässe, die hohe Aufmerksamkeit genießen, nutzen, um ein eigenes Thema draufzusetzen? Gute Beispiele dafür gibt es viele. a) Nivea zum Muttertag Ein Kleinkind erzählt aus seiner Perspektive in einer Minute, warum es die eigene Mutter liebt. DerMama-SpotvonNiveazumMuttertagliefso erfolgreich,dassesFortsetzungenzumVatertag und zu Weihnachten gab. b) John Lewis zu Weihnachten Mittlerweile gibt es fast einen Wettbewerb unter großen Marken, wer das beste (sprich meistgeteilte) Weihnachtsviral produziert. Seit Jahren vorn dabei: Die britische Kaufhauskette John Lewis. Vergangenes Jahr räumte sie mit einer Geschichte über einen kleinen Jungen und seinen Pinguin fast 24 Millionen Views im Web ab. c) Budweiser zum Super Bowl Auf fast 60 Millionen Views auf Youtube kommt der Film, den Budweiser zum Super Bowl 2014 produzierte und in dem es um die Freundschaft zwischen einem jungen Hund und einem Pferd geht. Schon traditionell nutzt die amerikanische Biermarke das US-Sport-Highlight, um im meistgesehenen Werbeblock des US-Fernsehens zu Herzen gehende Geschichten mit Tieren und Menschen zu erzählen. Der TV-Spot ist dabei der Teaser für die spätere virale Verbreitung im Netz. 2. Der Oneshot als Newsjacker: Pampers lieferte vor kurzem ein Paradebeispiel für dieses taktische Vorgehen. Klar war: Demnächst kommt das nächste Kind des britischen Prinzen William. Es konnte sich nur noch um Tage handeln, darauf war Pampers vorbereitet. Als Herzogin Kate am 2. Mai ihr zweites Baby dann zur Welt brachte, begleitete die Windelmarke am selben Tag mehrere nicht adlige Eltern bei der Geburt ihrer Kinder und lud die Bilder aus dem Kreißsaal bereits am kommenden Tag im Netz hoch. Unter dem Motto: „Jedes Baby ist ein Prinz oder eine Prinzessin.“ So nutzte Pampers ein royales und mediales Großereignis clever, um die eigene Marke sympathisch und volksnah zu platzieren. 3. Der eigene Channel Die britische Eismarke Cornetto erzählt in ihrer Viral-Reihe „Two Sides“ unter dem Motto „Begierde“ einfühlsame Liebesgeschichten mit Happy End. Eis kommt hier, wenn überhaupt, maximal dezent am Rande vor. Stattdessen dominieren junge Menschen und ihre Beziehungsnöte – solche, die sonst im Kino saßen. 4. Die Webisode Hier erzählt das Unternehmen im Serienmodus. Mit immer den gleichen Protagonisten, sodass der User sich zunehmend mit den Figuren identifizieren kann. Die Telekom veredelte mit ihrer „Familie Heins“ ihre Seeding-Strategie, indem sie die Charaktere der Webisode mit dem Kinofilm „Fack ju Göhte 2“ vernetzte. Denn Heins-Töchterchen Clara will an einem Casting zum Film teilnehmen – und bekommt die Rolle. und geteilt werden, anderen Gesetzmäßigkeiten. On Demand und freiwillig statt gezwungenermaßen im Werbeblock, lautet die Vorgabe: Deshalb müssen Marken nicht nur den Stil ihrer Kundenansprache ändern. Sie müssen Geschichten erzählen, die bewegen. In der Regel tun sie das mit viel Gefühl, viel Liebe und unter Einsatz von Tieren, Kindern und allem, was unsere Gemüter sonst so bewegt. D abei funktioniert Storytelling über Video eher seltener als platter Abverkaufs-Booster. Natürlich kann man damit auch kurzfristig beispielsweise Hämmer verkaufen, wie Hornbach bewiesen hat. Im Mittelpunkt stand aber auch damals die Geschichte: Panzer zu Hämmern als Weiterentwicklung der bekannten „Schwerter zu Pflugscharen“-Analogie. Storytelling in bewegten Bildern hat eher den Charakter eines charmanten Gesprächs mit einem sympathischen Menschen, der einem durchaus etwas verkaufen darf, wenn er wirklich überzeugen kann. Egal welche Taktik und welches Format die Unternehmen für Storytelling nutzen, ein Trend zeichnet sich in vielen Produktionen derzeit ab. Es reicht nicht nur, Geschichten zu erzählen. Der Druck steigt, die Welt mit den eigenen Produkten zumindest ein bisschen besser zu machen. „Don’t be Evil“ war gestern, heute setzen sich diverse Brands verstärkt auch für diverse gesellschaftliche Belange ein. Kommunziert mit den Mitteln des Storytelling: Always plädiert unter dem Motto „Rewrite the Rules“ für ein neues Frauenbild fern von Klischees, die Kosmetikmarke Dove erzählt den Frauen, dass sie schöner sind, als sie sich selbst wahrnehmen. Und Coca-Cola Middle East rät unter dem Slogan „Labels are for cans, not for people“, Menschen nicht zuallererst nach ihrem Aussehen zu beurteilen – und solche Geschichten gibt es noch viele. DIE SPOTS ZU DEN BEISPIELEN UNTER HORIZONT.NET/STORYTELLING4315 Anzeige 50 REPORT BEWEGTBILD HORIZONT 43/2015 22. Oktober 2015 Magische Anziehungskraft Alle großen Out-of-Home-Vermarkter haben inzwischen auch Bewegtbild im Portfolio. Ihre Strategien unterscheiden sich jedoch stark Von Joachim Thommes M otion-Designer brauchen nicht länger in der Filmbranche oder Werbeagenturen auf Jobsuche zu gehen. Jetzt können sie auch Plakatvermarkter einbeziehen. Das Berliner Unternehmen Wall jedenfalls beschäftigt die Gestaltungsspezialisten, um klassische Plakate oder TV-Spots in 10 Sekunden lange Videos zu verwandeln. „Damit greifen wir den Agenturen ein wenig unter die Arme“, erklärt Andreas Prasse, Vorstand Vertrieb und Marketing. Die Hilfe werde gern angenommen. Wall hat vor fünf Jahren den U-Bahnhof Friedrichstraße komplett mit digitalen Werbeträgern ausgestattet. Ende vergangenen Jahres hat der Außenwerber 25 U-Bahnstationen der Hauptstadt mit ins- ten stärker auf sich zieht und ein bisschen mehr Zeit für Präsentationen und Erklärungen bietet (siehe Interview). Allerdings wird Out-of-Home generell meist ergänzend eingesetzt und „funktioniert beiläufig“, wie Prasse erläutert. Ende dieses Jahres will Wall detaillierte Vergleichswerte zu analogen und digitalen Flächen vorlegen. Auch der Kölner Vermarkter Ströer bietet seinen Kunden Unterstützung an, wenn es darum geht, aus einem Plakat, einem Online- oder TV-Spot ein Out-ofHome-Video zu machen. Hierzulande hat der Konzern in Bahnhöfen, Einkaufszentren und am Flughafen rund 3500 digitale Werbeträger aufgestellt – größere und kleinere, quer- und hochformatige. Christian von den Brincken, Geschäftsführer Business Development, pocht darauf, dass die Art einer Botschaft auf den Werbeträger zugeschnitten sein muss, Werbung wird von Ströer- wie Wall-Kunden gleichermaßen erst wenig nachgefragt. Das Interesse regionaler Werbungtreibender für die dynamische Aussteuerung von Werbung nehme jedoch zu, berichtet Alexander Fürthner, Geschäftsführer Infoscreen, München. „Außenwerbung unterbricht nicht und sendet kein Signal ans Schmerzzentrum des Konsumenten“, sagt von den Brincken unter Anspielung auf psychologische Erkenntnisse über das, was Kunden vor und während eines Kaufs wehtut. O b seine Behauptung auf alle 111000 digitalen Screens in Deutschland zutrifft, die Invidis Consulting, München, zählt, darf allerdings bezweifelt werden – zu unterschiedlich ist die Qualität der Animationen und Videos. Vermarkter AWK in Koblenz hat im Juni dieses Jahres das Por- Barbara Evans, 44, Geschäftsführerin von Facit Media Efficiency in München „Kernbotschaft in einer Sekunde“ Barbara Evans über die Wirkung von Videos in Out-of-Home FOTO: STRÖER In der Außenwerbung sind tonlose Videos angesagt. Was spricht dafür, sie einzusetzen? Bewegte Bilder zwingen uns quasi, hinzugucken. Das hat mit dem Überlebensdrang zu tun, der tief in uns verwurzelt ist: Wir müssen überprüfen, ob wir gerade in Gefahr sind oder etwas zu verpassen drohen. Diesem Drang können wir uns praktisch nicht entziehen. Wenn ich etwas beachte, heißt das aber noch nicht, dass es mich auch interessiert und mir im Gedächtnis haften bleibt. Ja, sobald ich merke, dass etwas keine Relevanz für mich besitzt, verliere ich das Interesse daran gleich wieder. Allerdings kann es auch unbewusst in mir weiterwirken, sodass die Werbung nicht umsonst war. Das ist ein weites Feld. Festzuhalten bleibt aber: Die persönliche Relevanz entscheidet über die Wirkung. Wenn ich kein Eis oder keinen Glühwein mag, werden mich kein Plakat und kein Video dafür gewinnen. Alles in Bewegung: Screens im Berliner Hauptbahnhof Kein Mangel an Werbeträgern Die wichtigsten Kennziffern zu Digital Out-of-Home in Deutschland Buchbare Displays Vermarktete Standorte Vermarktete Netzwerke Bruttowerbedruck der digitalen Außenwerbung Anteil der digitalen Außenwerbung an Out-of-Home Quelle: Invidis Consulting 111 000 19 100 104 159 Mio. Euro 10 Prozent HORIZONT 43/2015 gesamt 75 digitalen Werbeträgern zu einem Netz verknüpft. Inzwischen gibt es in Berlin außerdem 36 digitale CitylightBoards mit einer Fläche von jeweils 9 Quadratmetern, in Hamburg zusätzlich zehn. In Köln sollen Mitte November, in Düsseldorf, Dortmund und Berlin im kommenden Jahr weitere digitale Werbeträger in Top-Lagen dazukommen. „Wir sind die Ersten, die Digital Out-ofHome an die Straße bringen“, sagt Prasse. Die Strategie der Berliner: attraktive und stark frequentierte Standorte in Städten mit mehr als einer halben Million Einwohner auswählen und – wenn möglich – zu kleinen digitalen oder größeren digitalanalogen Netzen verbinden. Zu den Kunden, die davon Gebrauch machen, gehören alte Hasen wie H&M, Microsoft und Unilever, aber auch Out-of-Home-Neulinge wie Amazon, Ebay und Netflix. Digitale Außenwerbung bedeutet praktisch immer Bewegtbild. Das hat den Vorteil, dass es die Blicke der Konsumen- um ihr Potenzial entfalten zu können. Und hat gleich noch einen Seitenhieb auf TV parat: „Die Konsumenten sind nicht länger bereit, sich 30-Sekünder anzusehen – die Botschaft muss in 5 Sekunden klar sein.“ A m meisten gebucht werden von den Brincken zufolge 10-Sekünder. Die Spots sind immer in Nachrichten und Wettervorhersagen eingebettet – diese Idee wurde in Deutschland erstmals 1994 von Infoscreen realisiert, das seit 2004 zu Ströer gehört. Spätestens im kommenden Jahr werden die Inhalte wohl vor allem von T-Online und OMS, dem Digitalvermarkter der regionalen Tageszeitungen, beigesteuert werden. Beide Unternehmen hat Ströer im Herbst gekauft. Wall hingegen setzt nur gelegentlich auf die Unterbrechung der Werbung durch redaktionelle Inhalte. Die auf digitalen Medien mögliche tagesaktuelle oder gar tageszeitaktuelle tal Doohmakers.de gelauncht, auf dem Interessenten nach seinen Angaben nahezu jeden davon buchen können. Die Qualität der Bildschirme variiert genauso stark wie die verfügbaren Netze und Buchungsoptionen. Zudem ist das Angebot derzeit offenkundig größer als die Nachfrage. Ihr will Goldbach Germany, Unterföhring bei München, nachhelfen. Die Tochter der schweizerischen Goldbach Group ist seit Anfang des Jahres auch auf dem deutschen Markt präsent. Laut Deutschland-Geschäftsführer Winfried Karst vermarktet sie hierzulande rund 30000 Screens. Kürzlich hat Goldbach einen Adserver installiert, der die programmatische Auslieferung von Spots auch in der Außenwerbung erlaubt. Dass das Unternehmen damit zu weit vorauseilt, fürchtet Karst nicht. Er verweist auf die Entwicklung beim Bewegtbild: „Ein Großteil der Videospots wird heute speziell für Out-of-Home entwickelt. Das war vor anderthalb Jahren noch anders.“ Emotionalisieren bewegte Bilder stärker als Standbilder und Kurztexte? In puncto Werbewirkung lässt sich das so pauschal nicht sagen. Auch das klassische Plakat kann starke Gefühle wachrufen. Was von beiden besser wirkt, hängt immer vom Einzelfall – sprich der kreativen Umsetzung – ab. Eignet sich Bewegtbild besser für erklärungsbedürftige Produkte? Ja, denn es hat mehr Zeit zum Erklären – ob auf rationale oder emotionale Weise. In der Regel trifft die Außenwerbung auf Passanten und Passagiere, also Menschen in Bewegung. Können sie das ruhende Bild auf dem klassischen Plakat nicht viel leichter erfassen als ein Video? Das ist so. Ein Video muss darum die Kernbotschaft in wenigen Sekunden präsentieren, am besten sogar in einer Sekunde. Denn je länger es ist, umso geringer ist seine Chance, sich wirksam zu verankern. INTERVIEW: JOACHIM THOMMES HORIZONT 43/2015 REPORT BEWEGTBILD 51 22. Oktober 2015 Kein Weg vorbei an TV Smartphone, Notebook, Tablet: Videos werden auf vielen Devices konsumiert. HORIZONT hat Agenturen gefragt, wie sich die Mediaplanung verändert M it der Digitalisierung hat TV seine Vormachtstellung verloren: Nahezu alle Gattungen arbeiten inzwischen mit bewegten Bildern. Welche Auswirkungen hat die Vielzahl der Bewegtbildkanäle auf die Mediaplanung, welchen Stellenwert hat TV inzwischen gegenüber Online, Mobile und Co? Matthias Quittek, Leiter Beratung TV Pilot Hamburg Kirsten Nachtigall, Managing Director Carat Deutschland Christian Scholz, CEO Mindshare Stefan Uhl, CEO Starcom Mediavest Group TV war neben Kino lange das einzige Bewegtbildmedium – das hat sich im Zuge der Digitalisierung nachhaltig geändert. Die Nutzung und das Angebot an digitalen Plattformen steigt rasant. Aber wenn wir uns anschauen, wie sich schnell Reichweite aufbauen lässt, dann ist TV immer noch essenzieller Bestandteil einer jeden größeren BewegtbildKampagne. Und das wird auch in Zukunft so bleiben. Zumal sich TV mit digitalen Optionen wie Addressable TV, HbbTV und Smart TV zunehmend weiterentwickelt und natürlich auch perfekt mit anderen Plattformen kombinieren lässt. Wichtig ist nur, dass die einzelnen Kanäle gemäß ihrer jeweiligen Stärken und im optimal aufeinander abgestimmten Zusammenspiel eingesetzt werden. Bei einer solchen Kampagne geht dann auch die Rechnung 1+1=3 auf. Für den Alltag in der Mediaplanung bedeutet das, immer stärker verzahnt zu denken und zu arbeiten – eine Maxime, die wir bei Pilot schon seit Jahren leben. Werbungtreibenden und Mediaplanern eröffnet die neue Bewegtbildlandschaft exzellente Möglichkeiten. Trotz schwächelnder linearer TV-Nutzung waren die Voraussetzungen für reichweitenstarke Bewegtbildkampagnen nie so gut wie heute. Allerdings bedeutet dies für alle ein Umdenken vom klassischen TV-Plan mit wenigen Sendern und übersichtlichen Umfeldlisten hin zum konvergenten, Device-übergreifenden Bewegtbildplan. Aber gerade das intelligente Zusammenspiel der klassischen und digitalen Angebote macht Bewegtbildkampagnen heute noch erfolgreicher: TV mit dem Vorteil der Kontaktstreuung und Effizienz in breiten Zielgruppen, Digitalvideo mit der zielgerichteten, programmatischen Kontaktsteuerung innerhalb der Consumer Journey, der Möglichkeit zum Storytelling und zur Content-fokussierten Ansprache. In breiten Zielgruppen kommt eine reichweitenstarke Kampagne allerdings ohne klassisches TV noch nicht aus. Aber die digitale Konkurrenz holt rasant auf und bindet Zuschauer über automatisierte Playlisten und Audience Flow länger in ihren Angeboten. Der ausgeweitete Videomarkt ist zu begrüßen, denn er bietet prinzipiell die Möglichkeiten, bestimmte Segmente zielgruppengerechter zu erreichen. Trotzdem bleibt TV aktuell das Basismedium, wie es auch die Bruttoumsatzzahlen von Nielsen dokumentieren. Warum ist das so? Kein anderes Medium erzielt nach wie vor so hohe und schnelle Nettoreichweiten wie das Fernsehen, auch wenn diese tendenziell sinken. Die additiven Reichweiten durch Onlinevideo konzentrieren sich vor allem auf junge Zielgruppen. Dabei sind die additiven Reichweiten vom Volumen her überschaubar und zum Teil nur unter hohem Aufwand zu erzielen. Wie im TV gibt es auch hier das Problem der Vielseher, also wenige Personen, auf die ein großer Teil der Nutzung entfällt. Und zum anderen haben wir eine große Nutzerüberschneidung der Kanäle TV und Onlinevideo. Fazit: Onlinevideo kann eine TV-Kampagne bei spezifischen (vor allem jungen) Zielgruppen ergänzen beziehungsweise effizienter gestalten, eine eigenständige Alternative ist sie in den nächsten zwei Jahren aber (noch) nicht. TV ist nicht mehr das einzige Medium, das über die unschlagbare Kombination von Bewegtbild und Audio verfügt. „The future is about screens“ war Vision, nun ist es Realität. Ob auf dem Smartphone, dem digitalen OOH-Channel oder dem Notebook: Wir sind von Bewegtbild umgeben. Die Nutzung teilt sich dabei in drei große Segmente: „On the go“, also über die digitalen OOH-Kanäle – hier muss ich versuchen, innerhalb von ein bis zwei Sekunden meine Botschaft anzubringen. Auf dem mobilen Device, das heißt die Zielgruppe braucht kleine Happen, die auch gern im eigenen Netzwerk geteilt werden. Und drittens die Nutzung über den klassischen Fernseher. Hier haben die großen Bilder nach wie vor viel Kraft. Künftig wird sich die Nutzung von der „Berieselung“ des passiven linearen TV zu einer aktiven Nutzung von bewusst ausgewählten Live Events (vor allem Sport) einerseits und Serien oder Spielfilmen (die zum Teil auch der Netflix- oder Amazon-Prime-Algorithmus für mich vorselektiert hat) andererseits entwickeln. Dafür gilt es jeweils individuelle Strategien zu entwickeln. Anzeige