V - Horizont

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V - Horizont
33
REPORT
HORIZONT 43/2015
22. Oktober 2015
www.horizont.net/report
BEWEGTBILD
WÄ H R U N G
WIRKUNG
INTERVIEW
D I G I TA L
Reichweitenkonvention von AGF
und Google ist anspruchsvoll
Interesse an Einfluss von TVKampagnen auf Online steigt
Andrea Malgara und Matthias
Dang über die Zukunft des TV
Mobile Video Advertising ist im
Markt angekommen
SEITE 36
SEITE 38
SEITE 40
SEITE 44
ILLUSTRATION: COLOURBOX
Hauptsache
anschaulich
W E L C H E N B E I T R A G K R E AT I O N F Ü R D I E
S P OT WA H R N E H M U N G L E I S T E N K A N N
S EITE 48
34 REPORT BEWEGTBILD
Im Bilde?
TV-Macher und vor allem Vermarkter
werden nicht müde, zu beweisen, wie gefragt ihre Inhalte auf dem großen Schirm
noch immer sind, und tatsächlich: Die
Fernsehnutzung hat in den vergangenen
Jahren nicht nachgelassen, im Gegenteil.
Doch wären sie davon überzeugt, dass es
auf lange Sicht zukunftsträchtig ist, ausschließlich auf TV zu setzen, die Vermarkter hätten nicht längst enorme Felder jenseits des Kerngeschäfts aufgebaut.
Digitale Dienste, Streaming- und Spieleplattformen, Beteiligungen an Unternehmen aus völlig anderen Branchen – die
Palette ist groß und bunt. Anhand dieses
Aus- und Umbaus lässt sich erahnen, welche Veränderungen dem Markt bevorstehen: TV-Konzerne werden viel mehr als
das sein und Fernsehen nur noch ein Angebot unter vielen. Das Ende der Möglichkeiten ist noch längst nicht erreicht,
obwohl heute das Gefühl überwiegt, eine
noch größere Fragmentierung der Bildschirmnutzung sei kaum möglich. Während immer neue Formate für Content
und Werbung entstehen, während beides
in vielen Fällen langsam eins wird, ist
nicht ausgeschlossen, dass bald eine fünfte, sechste und siebte Abspielmöglichkeit
in den Alltag dringen. Wer sagt denn, dass
die Geräte für virtuelle Formate wie Sonys Oculus Rift und Samsungs Galaxy
Gear nicht eines baldigen Tages bei vielen
den großen Bildschirm im Wohnzimmer
ersetzen? Dass drei Mitglieder einer Familie dann denselben Film aus unterschiedlichen Perspektiven sehen, während ein viertes ein Spiel spielt? Dass jedes
Familienmitglied dabei personalisierte
Werbung präsentiert bekommt? Tatsache
ist, dass bewegte Bilder in jeder Form
funktionieren, auf jedem Bildschirm. Die
Vielzahl der heute schon existenten Abspielmöglichkeiten und das, was noch
kommen wird, wird das bisher gewohnte
Massenphänomen ablösen.
„Parallelnutzung
gab es schon
immer, früher
wurde gebügelt
und telefoniert.
Der Unterschied ist,
dass sie jetzt besser
erfasst und sogar
zur Interaktion
genutzt
werden
kann“
Bettina Sonnenschein
Ressort Specials
Matthias Dang, IP
Deutschland, über die
Zukunft von TV Seite 40
IM FOKUS: HORIZONT Bewegtbild Gipfel 2015
Nach einem gelungenen Auftakt im vergangenen Jahr (siehe Fotos) kommen am 17. und 18.
November abermals Experten aus der TV- und
Onlinebranche zum 2. HORIZONT Bewegtbild
Gipfel in München zusammen. Unter dem
Motto „Megatrend Bewegtbild – Was ist Hype
und was ist Zukunftsmodell?“ diskutieren im
Sofitel Bayerpost hochkarätige Referenten
entscheidende Fragen rund um den Wachstumsmarkt Bewegtbild. So zum Beispiel über
das Potenzial von regionaler TV-Werbung, die
Relevanz der Kinowerbung, Perspektiven von
Programmatic Advertising und darüber, wie sich
der TV-Markt durch neue Player verändert.
Unter den Referenten sind unter anderem die
Chefs der beiden großen Vermarkter IP Deutschland und Seven-One Media Matthias Dang und
Thomas Wagner, Lars Lehne, Country Director
Agency von Google, RTL-2-Geschäftsführer
Andreas Bartl, und Elke Walthelm, Senior Vice
President Partner Channels bei Sky Deutschland. Das komplette Programm finden Sie
online unter Conferencegroup.de
22. Oktober 2015
INHALT
Konvergenz: Die Erhebung einheitlicher
Zahlen für lineares TV und Onlinevideos
kommt nur langsam in Gang.
36
Werbung: Vermarkter, Agenturen und
Dienstleister arbeiten an Nachweisen für die
Wirkung von TV auf Online.
38
Interview: Mediaplus-Geschäftsführer Andrea Malgara und IP-Chef Matthias Dang
über die Zukunft des Fernsehens.
40
Verlage: Nach teils intensiven Investitionen
in Bewegtbild ziehen die Medienhäuser eine
positive Bilanz.
42
Mobile: Klassische Anbieter sowie soziale
Plattformen wie Facebook und Youtube investieren in neue Formate.
44
Exklusivumfrage: Fernsehen bedeutet für
die Mehrheit der Deutschen nach wie vor die
lineare Nutzung.
45
Studie: IP Deutschland untersucht die emotionale Spot-Rezeption auf den verschiedenen Screens.
46
Kreation: Spots werden vor allem dann positiv wahrgenommen, wenn sie Lust auf den
Inhalt machen.
48
Gastbeitrag: Ewald Pusch, Geschäftsführer
von Neverest, über gelungenes Storytelling
in der Praxis.
49
Out-of-Home: Alle großen Vermarkter haben Bewegtbild im Portfolio, doch ihre Strategien unterscheiden sich stark.
50
Umfrage: HORIZONT hat Agenturvertreter
gefragt, welche Auswirkungen die vielen
Screens auf die Mediaplanung haben.
51
HORIZONTREPORT
ist ein Sonderteil von HORIZONT,
Zeitung für Marketing, Werbung und Medien
Chefredaktion: Dr. Uwe Vorkötter (V.i.S.d.P.),
FOTO GUIDO ENGELS
ZUM THEMA
HORIZONT 43/2015
Volker Schütz, Jürgen Scharrer
Ressortleitung: Dr. Jochen Zimmer
Telefon 069/7595-2695
E-Mail: [email protected]
Redaktion: Bettina Sonnenschein,
Anna Lisa Lüft, Giuseppe Rondinella
36 REPORT BEWEGTBILD
HORIZONT 43/2015
Ein Bund für
die Währung
Auf Druck der Werbekunden arbeiten AGF und Google an einer
Konvention für lineares TV und Online-Video. Das Vorhaben ist anspruchsvoll und langwierig
22. Oktober 2015
„Wir sind die Ersten,
die Nettoreichweiten
für TV und Youtube
ausweisen können“
Karin Hollerbach-Zenz, AGF
I
„Eine Zusammenarbeit
mit AGF und Google
wäre empfehlenswert“
Björn Kaspring, Agof
Von Guido Schneider
m April ereignete sich etwas, das viele in der heimischen Medienwelt für
undenkbar hielten: Das in der Arbeitsgemeinschaft Fernsehforschung
(AGF) organisierte TV-Lager und sein
Erzrivale Google, Eigner des Videoportals
Youtube, taten sich zusammen, um einen
gemeinsamen Standard zur Messung von
Bewegtbild im linearen TV und der Onlinevideo-Welt zu erarbeiten. Zuvor hatten sich beide mit konkurrierenden Messansätzen zu dieser Thematik bekriegt.
Dass sie doch zusammenfanden, war der
Organisation Werbungtreibende im
Markenverband (OWM) und ihren Vorständen Tina Beuchler und Uwe Storch
zu verdanken, die seit Herbst 2014 auf
einen Schulterschluss drängten und ihn
erreichten.
„Wir sind weltweit die Ersten, die Nettoreichweiten für lineares TV und Youtube unter einem Dach ausweisen können“,
tönte AGF-Vorstandsvorsitzende Karin
Hollerbach-Zenz schon kurz nach der Einigung (HORIZONT 18/2015). Tatsächlich
muss der Markt bis zum 1. Quartal 2016
auf die ersten konvergenten Zahlen warten. Dann wollen die Akteure Reichweiten für TV und Online-Bewegtbild vorlegen, die zunächst aber nur die Nutzung
an PC und Laptop berücksichtigen. Erst
danach sollen auch Mobile-Reichweiten
und die Bewegtbildnutzung an SmartTVs integriert werden. Das Vorhaben
drängt auch deshalb, weil immer mehr
Menschen Videos im Netz sehen. Laut
ARD/ZDF-Onlinestudie rufen inzwischen 26 Prozent der User ab 14 Jahren
täglich Bewegtbilder ab, vor zwei Jahren
waren es 14 Prozent. Bei den 14- bis 29Jährigen sind es mehr als die Hälfte.
Ein Anfang zur Videomessung ist getan. Die AGF stellt seit einiger Zeit wöchentliche Hitlisten nach Abrufzahlen sowie Strukturdaten für einzelne Sendungen ihrer Publisher zur Verfügung. Und
seit Montag können Nutzer die Angebote
von ARD, Pro Sieben Sat 1, RTL und ZDF
mithilfe eines Konfigurators über das
Dashboard Videostreaming individuell
nach Zielgruppe, Nettoreichweite oder
Strukturanteil auswerten. Bis zum Jahresende will die AGF dann einen PIN-Datensatz für das Streaming entwickeln und
damit einen weiteren wichtigen Schritt
auf dem Weg zur Konvergenzreichweite
tun. Diese PIN-Daten sollen in ihrer
Qualität denen des linearen TV entsprechen und in die Auswertungs- und Planungssysteme der AGF integriert werden.
Das Projekt ist eine forscherisch anspruchsvolle Sache, die durch den Beitritt
von Google noch komplizierter geworden ist. Um den zersplitterten Onlinevideomarkt valide abbilden zu können, hat
Junge stehen auf Videos bei Youtube und Facebook
täglich, in Prozent
Videonutzung im Internet
2013
Video gesamt
2014
2015
14+
14-29
14+
14-29
14+
14-29
14
32
14
32
26
54
darunter:
Videoportale (Youtube, Myvideo, Clipfish etc.)
10
25
10
27
14
32
TV-Sendungen zeitversetzt
2
3
1
2
2
5
TV-Sendungen live im Internet
1
2
1
2
1
3
Mediatheken der TV-Sender
1
1
1
2
2
3
9
21
Videos auf Facebook
Basis: deutschsprachige Onlinenutzer ab 14 Jahren (2013: n = 1389, 2014: n = 1343, 2015: 1432)
Quelle: ARD/ZDF Onlinestudie 2013-2015
HORIZONT 43/2015
Seichtes wird gestreamt
Hitliste der Videostreaming-Angebote nach Abrufen
Publisher
Titel der Sendung
RTL Now
Schwiegertochter gesucht - Raus aufs Meer, Teil 1
(Kalenderwoche 40/15)
Abrufe in Deutschland
312 544
233 408
RTL 2 Now
Köln 50667 - Folge 684, Teil 1
Das Erste*
Sturm der Liebe, Folge 2311
Pro Sieben**
Stars, Lena Gercke: Sexy auf dem Oktoberfest
ZDF-Verbund***
Heute Show
Vox Now
Die Höhle der Löwen, Folge 16, Teil 1
Sat 1**
Josephine im Glück - Allein unter Cops, Staffel 2
Sixx**
Vampire Diaries, Staffel 6, Episode 19: Weil ich dich liebe
26 610
Kabel Eins
Achtung Kontrolle: Kamikaze-Fahrt
25 814
3 Sat
Kabarett, Comedy: Hagen Rether, Liebe
RTL Nitro Now
Alarm für Cobra 11 - Schattenmann, Teil 1
4 909
Super RTL Now
The Glades - Kirsche süß-sauer
2 112
N-TV Now
N-TV Dokumentation: Mega Brands - Stihl
1 070
167 491
161 579
136 965
44 605
29 938
19 580
* nur Abrufe auf den Plattformen ARD Mediathek, Das Erste Mediathek und Daserste.de
** nicht enthalten sind die Abrufe von Myvideo, Maxdome, Special Sites
*** ZDF, ZDF Neo, ZDF Info, ZDF Kultur
Quelle: AGF
HORIZONT 43/2015
sich die AGF für einen Fusionsansatz entschieden, der einem Datencocktail
gleicht. So haben Google und das TVLager ein Mega-Panel geschaffen, in dem
die Zahlen aus dem Online-Panel von
Nielsen und die des GXL-Panels der GfK
zusammenlaufen. Die AGF-Sender nutzen das Nielsen-Panel mit seinen rund
28000 Personen, um Angaben zu Demographie, Nettoreichweite und Nutzungsdauer ihrer Angebote zu ermitteln. Google greift auf die Zahlen des GXL-Panels
(circa 19000 Teilnehmer) zu, das Mediennutzung, Demographie und Kaufverhalten aus einer Quelle erfasst.
Parallel findet für beide Panels eine
Zensusmessung statt, die die Abrufzahlen
für AGF-Angebote und Youtube über einen Messcode im Mediaplayer des jeweiligen Anbieters erfasst. Mithilfe der sogenannten Kalibrierung will die AGF
dann Niveauunterschiede zwischen der
Panel- und der Zensusmessung ausgleichen, die Daten über Außenvorgaben wie
die Media-Analyse gewichten und Leistungswerte ermitteln.
Um auch die wachsende Videonutzung über mobile Endgeräte abzubilden,
muss die AGF jetzt aber noch ein weiteres
Panel aufbauen. Es besteht aus einer technischen Messung in der App und im
Browser und ermittelt die Nettoreichweiten für die Nutzer mobiler Geräte, wie
Robert Schäffner erklärt. Der Leiter
Markt-Media-Forschung bei IP Deutschland, der auch im Fachreferat Messtechnik der AGF mitwirkt, hält dieses Vorgehen für sinnvoller und schneller, als die
Nutzung von Mobilgeräten zusätzlich im
bereits bestehenden PC-Panel mitzuerheben. Allerdings muss die AGF nun noch
mehr Fusionen vornehmen und verliert
so wieder an Tempo. Das will die Organisation abmildern, indem sie die Daten
aus allen drei Panels zunächst stärker aggregiert, um Aussagen über das Verhältnis von Online- und Mobile-Nutzung
treffen zu können.
N
ach dem Beitritt von Google
zum AGF-System wächst derweil
der Druck auf andere, internationale Videoanbieter, es dem Internetgiganten gleichzutun. Dazu passt, dass sich
die AGF stets offen für den Beitritt weiterer Anbieter gezeigt hat, allerdings zu
ihren Bedingungen. Für das Fernsehlager
steht die Frage im Vordergrund, wie sich
Online-Bewegtbild mit dem linearen TV
vergleichen lässt. „Dazu sind vergleichbare Content-Genres nötig, über die sich
bestimmte Zielgruppenprofile definieren
lassen“, betont Schäffner. Für TV und
Youtube gibt es die.
Ob Videos auf Facebook solche Anforderungen ebenfalls erfüllen, ist offen.
Das soziale Netzwerk hat sich lange vom
Projekt der AGF ferngehalten. Da Bewegtbild in seiner Strategie aber wichtiger
wird und die Kunden Druck machen,
zeigt es sich nun gesprächsbereit: „Den
Bemühungen der OWM, alle Marktpartner unter einen Hut zu bringen, um eine
gemeinsame, einheitliche Währung zu
etablieren, stehen wir grundsätzlich offen
gegenüber“, erklärt Sprecher Stefan Stojanow. Er verweist auf einen „offenen,
konstruktiven Austausch mit der AGF“,
sieht aber noch Klärungsbedarf, zum Beispiel bei der Frage, wie ein Video-View
genau definiert und verglichen werden
soll. Facebook wäre zwar ein weltweiter
Standard lieber, der Kampagnenerfolge
über alle Kanäle hinweg vergleichbar
macht, doch der ist nicht in Sicht.
T
rotzdem sollte Facebook über seinen Schatten springen und bei der
AGF mitmachen, findet Lars Lehne. Der Country Director Agency DACH
bei Google würde den Rivalen dort sofort
aufnehmen: „Google ist und war immer
ein Befürworter offener Systeme, dieses
Projekt bildet da keine Ausnahme.“ Auf
die ersten Zahlen der Konvergenzreichweite freut er sich bereits, weil dann „alle
aus der gleichen Datenquelle zitieren und
endlich eine faire Vergleichbarkeit der Ergebnisse haben“. Auch Christian Zimmer, CDO der Agentur OMD Germany,
würde es begrüßen, wenn es planbare
und belastbare Zahlen für die Bewegtbildnutzung über alle Bildschirme hinweg gibt und möglichst viele Marktteilnehmer erfasst werden. Dass deswegen
mehr Werbegeld von den linearen TVAnbietern zu Online-Video-Plattformen
fließt, glaubt er aber nicht.
Neben der AGF arbeiten auch die Onlinevermarkter unter dem Dach der
Arbeitsgemeinschaft Onlineforschung
(Agof) an einem Standard für Bewegtbild. Die Organisation erfasst laut Vorstand Björn Kaspring die Nutzung im
Rahmen ihrer Reichweitenstudie Digital
Facts und bietet dafür ein eigenes Planungstool an.
Anfang 2016 will die Agof auch Angaben zur Nutzungszeit liefern. Gleichzeitig hält Kaspring eine Zusammenarbeit mit der AGF und Google für empfehlenswert: „Wie diese im Einzelnen
aussehen kann, werden weitere Gespräche klären.“ Vorerst bleibt es also bei zwei
Ansätzen. Das ist ein Wettstreit, den
OMD-Mann Zimmer zwar gut findet,
der aber nicht von Dauer sein sollte: „Es
ist sinnvoll, zu überprüfen, welcher Ansatz am Ende die höhere Treffergenauigkeit aufweist und realitätsnäher ist.“
„Belastbare Zahlen für
die Bewegtbildnutzung über alle Screens
sind begrüßenswert“
Christian Zimmer, OMD
38 REPORT BEWEGTBILD
Vermarkter, Agenturen
und Dienstleister
arbeiten intensiv an
Nachweisen für die
Wirkung von TV auf
Online
HORIZONT 43/2015
22. Oktober 2015
Gerade
gesehen, schon
gekauft
Von Bettina Sonnenschein
T
V punktet mit Image, nicht mit
unmittelbarer
Umsatzsteigerung“, so die Aussage von Lothar Prison, Chief Digital Officer von Vivaki in Düsseldorf, vor rund
einem Jahr (HORIZONT 43/2014). Der
Mediaexperte warnte davor, die Wirkungsbeiträge von TV-Spots und OnlineSearch über einen Kamm zu scheren,
schließlich werde Werbung im TV einfach anders eingesetzt als abverkaufssteigernde Maßnahmen bei Google.
Anders vielleicht – doch mit dem Wirkungsbeitrag ist es so eine Sache: „Sowohl
unsere Erfahrung als auch alle Befunde
unserer Forschung zeigen, dass gerade TV
enorme Effekte auf den ROI von Marken
hat“, sagt Sabine Eckhardt, Geschäftsführerin von Seven-One Media und SevenOne Adfactory. Bei dem Vermarkter von
Pro Sieben Sat 1 (P7S1) ist dieser Effekt
inzwischen nicht nur aufgrund von Studiennachweisen verinnerlicht. Er bestätigt die Sendergruppe auch in ihren Aktivitäten abseits des klassischen Werbezeitenverkaufs: „Die Reichweite und
emotionale Kraft von TV lässt im Zeitalter der Multiscreens enorme Chancen
entstehen – vor allem im E-Commerce.
Das Wissen darum ist auch ein Grund für
unser Haus, eigene Handelsaktivitäten
aufzubauen“, sagt Eckhardt.
Worauf sie damit anspielt, ist klar:
Über zahlreiche Media-for-Equity-Deals
ist P7S1 längst eng mit dem Onlinehandel
verbunden. Wenn die Werbezeit, die der
Konzern seinen Partnern im Gegenzug
für die Beteiligung zur Verfügung stellt,
zu messbar mehr Abverkauf führt, macht
das die Verbindung für alle noch wertvoller. Die Start-ups erfahren, ob und wie
viel Traffic aus TV bei ihnen ankommt,
das Medienhaus weiß, wie viel Interesse
bei den Konsumenten besteht und ob es
sich lohnt, weiter zu investieren. Dass das
funktioniert, scheint klar, wenn Eckhardt
sagt: „Fernsehwerbung ist einfach ein un-
schlagbarer Hebel, Geschäfte schnell
wachsen zu lassen.“ Wie groß das eigene
Interesse daran ist, zeigt nicht zuletzt die
Übernahme des Berliner Adtech-Startup Rapidape im Frühjahr: Das TrackingUnternehmen, das auf Monitoring und
die Analyse von TV-Kampagnen spezialisiert war, ist im Segment Digital & Adjacent von P7S1 Media aufgegangen.
Immer wieder untersucht das Haus
für Werbekunden, wie sich ihre Spendings in TV auf Online auswirken. Der
bislang wenig bekannte Schuhversandhändler Gebrüder Götz in Würzburg, der
im Frühjahr erstmals im Fernsehen warb,
ist ein Beispiel. Der Händler entschied
sich für ein zweimonatiges Presenting des
Sat-1-Filmfilms am Dienstagabend sowie
eine anschließende dreiwöchige klassische Kampagne auf Sat 1 und Kabel Eins.
Die Entwicklung des Traffics zeigt Ausschläge nach oben, erzielt offenbar durch
TV-Engagement. Offenbar – denn die
Daten lassen keinen Rückschluss darauf
zu, wie viele User aus eigenem Antrieb
oder über andere Kanäle angeregt im Web
nach Schuhen suchten – und zufällig bei
Gebrüder Götz landeten. Es handelt sich
also eher um eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass TV der Auslöser war.
„TV-Werbung ist ein
unschlagbarer Hebel,
Geschäfte schnell
wachsen zu lassen“
Sabine Eckhardt, Seven-One Media
hörten unter anderem die Spotlänge, die
Position im Werbeblock, der Sender, das
Programmumfeld sowie kreative Elemente aus dem Spot zur Datenbasis.“
Die wichtigste Erkenntnis: „In 98 von
98 Fällen konnten wir einen Uplift feststellen“, so Park. Darüber hinaus zeigen
die Ergebnisse ein deutliches Bild der Parallelnutzung in deutschen Haushalten:
56 Prozent der zusätzlich gemessenen
Suchaktivität stammte von Smartphones,
mit deutlichem Abstand gefolgt von PCs
und Laptops mit 27 Prozent und Tablets
mit 18 Prozent.
Interessant sind die unterschiedlich
starken Auswirkungen im Netz: Es
scheint, als profitierten kleinere, eher unbekannte Marken stärker, zumindest was
den relativen Uplift angeht und unter Berücksichtigung des Werbedrucks: „Die
Stärke des TV-Effekts hängt auch mit
dem Grundsuchvolumen zusammen“,
erläutert Park. „Bei sehr bekannten Marken mit hohem Grundsuchvolumen ist
der absolute Zuwachs durch TV häufig
größer als bei Marken mit geringerem Basissuchvolumen. Diese gewinnen dafür
relativ gesehen oft mehr dazu.“ Für Günter Linke, Research Director bei Dentsu
Aegis Resolutions, ist außerdem eine wei-
D
eutlich umfangreicher ist die Datengrundlage, auf der eine aktuelle Studie von Google und
Dentsu Aegis Resolutions erstellt wurde
und die sich ebenfalls mit der Wirkung
von TV auf Online befasst. „The Impact
of TV on Search“ geht den Fragen nach,
wie, wann und wo TV Reaktionen in der
Suche auslöst. 98 Kampagnen aus zehn
Produktkategorien – darunter Food,
Consumer Electronics, Finanzen und Automobil – wurden zu diesem Zweck analysiert, unter anderem durch den Vergleich der TV-Schaltpläne mit Google
Search. „Natürlich haben wir dabei nicht
nur die Markennamen analysiert“, so
Thomas Park, Google Research EMEA.
„Auch zugehörige Begriffe und Testimonials wurden einbezogen. Außerdem ge-
tere Erkenntnis relevant: „Dass die Aktivierungsleistung von Kampagnen über
den Ausspielungszeitraum einer Sättigung unterliegt, wussten wir natürlich –
heruntergebrochen auf einzelne TVSpots lässt sich das jetzt genauer quantifizieren. Das könnte bei manchen Produkten zu einer Veränderung von Planungsvorgaben führen.“
Andreas Steinrücke, Geschäftsführer
von XAD, beobachtet all diese Aktivitäten
mit Interesse. Der Dienstleister befasst
sich schon lange mit TV-Tracking und
der Optimierung von TV-Kampagnen.
Gerade zur Messung der Werbewirkung
über das Verhalten der Besucher im Internet hat XAD viel Erfahrung gesammelt
und eigene valide Verfahren entwickelt.
Trotz dieses zeitlichen Vorsprungs sagt
Steinrücke rundheraus: „Im Moment ist
es für Kunden kaum prüfbar, welcher Anbieter wirklich verwertbare Ergebnisse
liefert. Schöne Grafiken sagen wenig über
die Qualität der Analysetechniken. Meistens ist schon die Datenbasis zu den Spotausstrahlungen ungenau oder unvollständig. Oft fehlt die Expertise aus dem
Medium TV.“
X
AD rechnet grundsätzlich mit
noch mehr Komponenten, als die
erwähnten Beispiele: Die direkte
Konkurrenz oder die Intensität von ECommerce-Unternehmen im selben
Werbeblock, Blocklängen und Positionen, um nur einiges zu nennen. Denn fest
steht für Steinrücke auch: Derzeit setzen
vornehmlich Performance getriebene ECommerce Unternehmen diese Crossmedia-Analysen ein, um den ROI und
andere KPI‘s zu ermitteln. In Zukunft
aber werde sich das ändern und nicht zuletzt deshalb sei es positiv, dass sich der
Markt und die Agenturen dafür öffnen
„Sie werden bald vermehrt damit kämpfen, TV-Werbung onlineoptimiert auszusteuern. Kunden werden zum Teil Millionen umbudgetieren – für sie objektive
Planungsparameter einzusetzen, wird die
Aufgabe der Mediaagentur 4.0 sein.“
Hohe Wirkung für wenig Geld
Websuche-Interesse Gebrüder Götz − Häufigkeit der Wortsuche in Indizes und TV-Spendings
100
500
Spendings in Tsd. Euro
Websuche
400
80
klassische Spots
Sponsoring Sat 1 Filmfilm
300
60
264
205
200
100
55
55
55
55
KW 6
KW 7
KW 8
KW 9
69
69
KW 10
KW 11
69
69
57
65
KW 14
KW 15
185
40
20
0
0
KW 2
KW 3
KW 4
KW 5
KW 12
KW 13
KW 16
KW 17
KW 18
Zeitraum: 04.01. -.02.05.2015
Quelle: Nielsen, Google Trends
HORIZONT 43/2015
40 REPORT BEWEGTBILD
HORIZONT 43/2015
22. Oktober 2015
„Wir brauchen
Mediapläne für heute“
S
Von Juliane Paperlein
ie sind zwei alte Hasen im TVGeschäft und wer könnte besser
einordnen, wo die Reise im Fernsehen gerade hingeht? In HORIZONT diskutieren Mediaplus-Geschäftsführer Andrea Malgara und IP-Chef Matthias Dang über die Zukunft von TV und
sind sich vor allem in einem einig: Aller
neuen technischen Möglichkeiten zum
Trotz, ist das lineare Fernsehen in den
nächsten Jahren noch nicht zu ersetzen.
Ein Expertengespräch.
Zukunft des TV: MediaplusGeschäftsführer Andrea Malgara
und IP-Chef Matthias Dang
im Expertengespräch
Matthias Dang, IP (l.),
und Andrea Malgara,
Mediaplus
Herr Malgara, Herr Dang, wie schauen
Sie persönlich fern?
Andrea Malgara: Ich schaue sehr selektiv, sowohl linear als auch non-linear.
Matthias Dang: Bei mir ist es ein totaler
Mix aus linearer und nichtlinearer Nutzung. Gestern Abend habe ich bei Amazon die letzte Folge von „The Walking
Dead“ gesehen und zwar in der App auf
dem Fernseher – und bin dann, immer
noch auf dem Fernseher, zu Vox gewechselt, um dort „Chicago PD“ zu sehen. Wir
beide sind allerdings nicht repräsentativ
in unserer Mediennutzung.
In der Tat. Wie hoch ist denn die nonlineare Nutzung in der Gesamtbevölkerung im Moment?
Dang: Laut unserer Fourscreen-Touchpoints-Studie erfolgen 86 Prozent der gesamten Bewegtbildnutzung der 14- bis
59-Jährigen im linearen Fernsehen. Auf
Onlinevideo entfallen in dieser Zielgruppe 6 Prozent, bei den 14- bis 25-Jährigen
sind es 15 Prozent.
Malgara: Der Großteil der Nutzung erfolgt damit immer noch linear. Und das
ist gut so, denn das lineare Fernsehen ist
der bessere Werbeträger. Dort haben Sie
12 Minuten Werbung in der Stunde.
Non-linear laufen meist kürzere Formate,
die dann gerade mal ein Pre-Roll haben.
Auch auf Mediatheken wird es nie einen 6
Minuten langen Werbeblock geben, sondern nur ein bis zwei Mid-Rolls. Damit
gibt es nichtlinear sehr viel weniger Werbekontaktmöglichkeiten als im klassischen Fernsehen. Diesen Punkt muss
man stark berücksichtigen, wenn man
das Medium als Werbeträger bewertet.
Andrea Malgara
Er ist Geschäftsführer und
Partner der Mediaplus
Gruppe und seit Oktober
2011 für die Münchner tätig.
Operativ verantwortet er
Andrea Malgara als Geschäftsführer den Einkauf in
Deutschland, Osterreich und
Italien. Übergreifend ist er
verantwortlich für die
Themen Forschung, Unternehmenskommunikation
und zudem Sprecher der
Mediaplus Gruppe. Malgara
kennt auch die andere Seite
des Mediageschäfts. von
1995 bis 2010 war er bei der
Seven-One Media.
Matthias Dang
Matthias Dang, Jahrgang
1967, steht seit September
2012 an der Spitze von IP
Deutschland, dem Vermarkter der Mediengruppe
RTL Deutschland. Dang
arbeitet seit 1993 für IP, seit
2004 verantwortet er den
Verkauf. In diesem Jahr hat
er IP umstrukturiert, um das
Unternehmen fit zu machen
für Multiscreen-Welt.
Seither werden alle Angebote auf allen Endgeräten
aus einer Hand verkauft.
FOTO: MYMUENCHENN
Noch mehr interessieren sie sich aber für
Facebook und Whatsapp.
Dang: Wir müssen sie uns in der Tat mit
anderen teilen. Man muss aber hinterfragen, was man miteinander vergleicht.
Im Unterschied zum
Telefon kann bei
Facebook aber
auch geworben
werden. In Konkurrenz um die
Werbegelder steht
Social Media damit allemal.
Malgara: Ich würde das gern von einer übergeordneten
Warte aus betrachten:
FOTO: GUIDO ENGELS
Wir haben da schon ganz andere Werbeblöcke mit drei bis vier Spots erlebt, die
sich auch noch von Block zu Block, gerne
auch innerhalb des Blocks wiederholen,
aber das nur am Rande. Um junge Menschen zu erreichen, spielt die non-lineare
Welt doch durchaus eine Rolle als Werbeträger.
Dang: Lassen Sie uns mal Aufklärung betreiben und weggehen von der Mediennutzung des eigenen Sohns oder der eigenen Tochter, die bei solchen Gelegenheiten gern als Kronzeugen angeführt
werden. Schauen wir stattdessen auf die
Fakten: Die 14- bis 29-Jährigen schauen
heute 116 Minuten am Tag lineares Fernsehen – das sind fast zwei Stunden! Die
Jungen sind mitnichten für die Gattung
verloren.
Social Media sind eher Kommunikationsplattformen als Medien und Whatsapp ersetzt, salopp formuliert, das
Telefon.
Die Aufgabe einer Mediaagentur ist, dass
der Kunde für jeden Euro, den er in Werbung investiert, mehr zurückbekommt
als sein Wettbewerber. Dazu müssen wir
Mediapläne machen, die heute funktionieren und nicht gestern oder in 15 Jahren. Das ist wichtig! Die Nettoreichweite
im Fernsehen ist bei den 14- bis 29-Jährigen seit 2000 um 10 Prozentpunkte zurückgegangen und liegt nur noch bei
knapp über 50 Prozent, verglichen mit 95
Prozent in der Gesamtbevölkerung. Dafür nutzen 88 Prozent der Jungen auch
Onlinevideo. Die Nutzung hat sich also
schon verändert. Das ist keine Disruption, aber etwas, worauf wir reagieren
müssen.
Was bedeutet das für die Planung im
Jahr 2015?
Malgara: Dass Bewegtbildkampagnen
heute nicht nur im TV vorkommen,
sondern auch auf anderen Videotouchpoints. Die wichtige Frage dabei
ist, was ist die richtige Dosis? In der
Planung geht es um Nettoreichweiten
von Kampagnen, nicht von Medien.
Bei Youtube ist die Nutzung jedoch
extrem geklumpt. Relativ wenige Leute machen extrem viel Nutzung aus.
Diese Extreme liegen in Online deutlich weiter auseinander, als bei den
Viel- und Wenigsehern im TV. Das
bedeutet, man muss darauf achten,
dass nicht immer die Gleichen erreicht werden, und braucht ein intelligentes System.
Dang: Da stimme ich zu 100 Prozent
zu. Entscheidend ist die Dosierung.
Wenn ein Jugendlicher einmal Youtube gesehen hat, zählt er schon zur
Nettoreichweite von Youtube. Aber
welche Chancen habe ich, ihn während eines bestimmten Kampagnenzeitraums tatsächlich zu erreichen?
Malgara: Die Definitionen dessen,
was ein Videoview ist, sind in der Tat
völlig unterschiedlich. Bei Youtube
muss der Spot mindestens 30 Sekunden lang gelaufen sein beziehungsweise bis zum Ende, wenn er kürzer
ist. Bei Facebook sind es nur 10 Sekunden und nur auf 50 Prozent des
Screens und auch noch ohne Ton. Ein
normaler Spot in der Timeline von Facebook wird deshalb keine Wirkung haben,
weil er kein Audio hat und der Packshot
am Ende kommt.
Herr Malgara, Facebook will aber ganz
klar ran an die TV-Budgets. Lassen Sie
das soziale Netzwerk in der Planung etwa außen vor?
Malgara: In der Nutzung dieser Angebote als Kommunikationsinstrument natürlich nicht. Man kann sehr zielgenau interessierte Zielgruppen mit dezidiertem
Bewegtbild ansprechen. Aber in der Verlängerung einer TV-Spotkampagne, also
in der Bewegtbild-Planung, schon. Bei
der Optimierung der Nettoreichweite
nützt das wenig. Denn da versuchen wir,
Onlineprofile von Leuten, die die TVKampagne wahrscheinlich nicht gesehen
haben, zu erreichen, oder bei Sehern, die
die Kampagne sehr wahrscheinlich wahrgenommen haben, bestimmte Botschaften aus dem TV zu vertiefen. Das Problem im Moment ist, dass wir nicht genug
Onlinevideonutzung haben, um die Nettoreichweite für alle TV-Kampagnen maximieren können.
HORIZONT 43/2015
22. Oktober 2015
Warum nicht?
Dang: Weil die Onlinevideonutzung zu
niedrig ist. Für ein Massen-Markenprodukt eine hundertprozentige Onlinevideo-Kampagne zu machen, ist sinnlos.
Man bräuchte knapp zwei Monate, um
die Hälfte der Bevölkerung zu erreichen.
Im TV baut man in drei bis vier Wochen,
was ein typischer Kampagnenzeitraum
ist, 80 bis 85 Prozent Reichweite auf. Und
trotz dieses Mankos wäre Online teurer.
Wenn man über Onlinevideo spricht,
muss man immer unterscheiden, was
man theoretisch erreichen kann und was
praktisch möglich ist.
Die Jungen schauen nicht nur mehr Onlinevideo, sie haben auch eine hohe Parallelnutzung mit dem Smartphone,
während sie fernsehen. Wie beeinträchtigt das die Wirkung von TV?
Dang: Parallelnutzung gab es schon
immer. Früher wurde gebügelt und telefoniert. Der größte Unterschied ist, dass
die Parallelnutzung jetzt besser erfasst
werden kann und man sie sogar zur
Interaktion mit dem Zuschauer nutzen
kann.
Malgara: Es gibt schon ein Problem dadurch, dass die Aufmerksamkeit wandert.
Während des Programms springen die
Augen nur 1,5-mal pro Minute zwischen
Smartphone und Big Screen hin und her,
während der Werbung aber 4,1 Mal.
Aber warum muss das negativ sein?
Dang: Man kann das auch positiv sehen:
Wenn sie so oft hinsehen, ist die Chance
doch auch da, dass sie an der Werbung
hängen bleiben.
Malgara: Ich sehe das anders: Wenn alle
abgelenkt sind, gibt es einen Wirkungsverlust.
Dang: Das stimmt nicht.
Malgara: Wenn Sie eine herausragende
Kreation haben, dann vielleicht nicht,
sonst schon. Bei einer durchschnittlichen
Kreation wirkt der Spot schon zu 70 Prozent schlechter. Das bedeutet, dass im TVSystem bis zu 300 Millionen Euro wirkungslos sind, die man über die Kreation
optimieren könnte.
Dang: Das führt direkt zu der Frage, was
eigentlich Aufgabe des Mediums ist und
was nicht. Mein holländischer Kollege
plädiert dafür, nicht nach Zeit abzurechnen. Er sagt, er bringt dem Werbungtreibenden den Kontakt und was der
dann damit macht, liegt in seiner Verantwortung. Wenn der Zuschauer bei der
Werbung wegzappt, dann liegt die Ursache in der Kreation des Kunden oder
auch in seinen Targeting-Parametern bei
Onlinevideo. Darauf haben wir als Vermarkter aber keinen Einfluss.
Kreation steht im Moment ebenso wenig
im Fokus der Wirkungsforschung wie die
Rolle des Umfeldes. Interessiert Letzteres
noch irgendeinen Kunden?
Malgara: Bei uns schon.
Dang: Bei euch mag das ja so sein, aber in
einer durchschnittlichen Agentur wird
doch ganz wenig nach Umfeld geplant.
Das ist schade, denn wir sind davon überzeugt, dass das Umfeld eine entscheidende Rolle für die Wirkung spielt.
Malgara: Und wir können das sogar belegen. Die Optimierung von Umfeld hat
einen enormen Impact. Die Passung zwischen Spot und Format beziehungsweise
Sender spielt eine Schlüsselrolle für die
Wirkung. Das bedeutet auch, dass es
nicht überall, wo man einen Spot schalten
kann, auch Sinn macht, ihn zu schalten.
Dang: Das ist in den letzten Jahren aber
in den Hintergrund getreten. Wir sprechen zwar oft und ausgiebig über Um-
REPORT BEWEGTBILD 41
felder und deren Qualität, das schlägt sich
aber nicht notwendigerweise in der Planung nieder.
Wie sieht es denn in der Onlinewelt aus?
Da hat man manchmal das Gefühl, dass
Umfeld eine noch geringere Rolle spielt.
Markenspots laufen mitunter in mehr
als fragwürdigen Umfeldern.
Malgara: Tatsächlich wird darauf zu wenig Acht gegeben. Der höchste Wirkungsbooster ist die Auswahl von Zielgruppen,
die aus der DNA des Produktes stammen.
Schon im TV erzielt man damit enorme
Effekte, dass man zum Beispiel nach
Käuferzielgruppen plant. Online ist der
Effekt noch höher.
Effizienz ist doch eigentlich ein schlagendes Argument, warum setzt es sich in
diesem Punkt nicht durch?
Dang: Weil Rabatte ein noch schlagenderes sind. Wir haben vor einigen Jahren
versucht, den „Impact Index“ einzuführen, der genau das abbilden sollte. Aber er
hat sich nicht durchgesetzt. Es gibt ja
noch viel mehr Faktoren, die einen Einfluss auf die Wirksamkeit haben, zum
Beispiel, wann der Spot läuft. PrimetimeSpots wirken besser als Spots in der Daytime, einfach weil die Nutzung fokussierter ist. Die TV-Welt wird immer komplexer und der Rabatt ist da eine recht
einfach zu beschreibende Größe.
Stichwort Komplexität: Mit HbbTV gibt
es seit einigen Jahren einen Standard, in
den die Industrie viel Hoffnung gesetzt
hat, weil der Zuschauer aus dem Spot
heraus via Red Button in die Onlinewelt
wechseln kann. Ist das für alle Seiten so
spannend, wie es zum Start klang?
Malgara: HbbTV ist für uns nicht richtig
skalierbar, da ist die Durchdringung noch
nicht hoch genug, um positive Netzwerkeffekte zu generieren, also fehlt auch dort
die Nettoreichweite.
Dang: HbbTV und das Thema Adressable TV sind kleine Pflänzchen, die zum
Teil noch nicht mal aus der Erde gesprossen sind. Die innovativen Themen haben
immer zwei Seiten: Man muss mitspielen,
um nicht als ewiggestrig zu gelten und
sich möglichst schnell an echten Projekten ein Bild machen zu können, was für
den großen Markt taugt. Andererseits
muss man realistisch bleiben: Es lässt sich
jetzt noch nicht absehen, welches von den
vielen Pflänzchen, die wir da haben, einen echten Stamm ausbildet und groß
wird. Das gilt auch für HbbTV. Wir haben
da einige Cases gemacht, aber es ist noch
weit davon entfernt, ein Massenphänomen zu sein.
Das bedeutet unterm Strich, dass man
viel Geld in Technik investiert, die aber
letztendlich kaum genutzt wird?
Dang: Technische Innovationen lassen
sich nicht aufhalten – und das ist gut so!
Man darf nur nicht vor lauter Euphorie,
was zukünftig gehen könnte, die Gegenwart aus den Augen verlieren. Die Planung wird mit jeder neuen Möglichkeit
komplizierter und teurer, nicht zuletzt für
die Agenturen. Und damit muss man
eben umgehen können.
Malgara: Die Welt ist komplexer geworden und erfordert deshalb einen kritischen Blick und mehr Auseinandersetzung mit den Details. Jedes Jahr werden
die Budgets geringer, aber die Medien
zahlreicher. Da muss man genau hinsehen, wie man die Wirkung erhöht, um
nicht plötzlich unter der Wahrnehmungsschwelle zu sein. Das gilt übrigens
auch für das ganz normale Fernsehen.
Die Anzahl der Sender hat sich in den
letzten zehn Jahren verdoppelt. Die Anzahl der relevanten Sender pro Person ist
aber konstant bei sechs. Für die Mediaplanung heißt das, dass man mehr Sender berücksichtigen muss, damit man in
allen Zielgruppen über die Sichtbarkeitsgrenze kommt. Auch so lassen sich Budgets optimieren.
Lassen Sie uns noch ein wenig weiter in
die Zukunft blicken. Werden die heute
14-Jährigen ins lineare TV zurückkehren, wenn sie älter sind, oder müssen Sie
sich darauf einstellen, diese Zielgruppen
doch alle im Netz einzusammeln?
Malgara: Die kommen zurück. Aber nonlineare Nutzung wird bei ihnen immer eine Rolle spielen, weil es so bequem ist.
Dang: Ich gehe auch davon aus, dass die
Jungen mit zunehmendem Alter wieder
mehr TV sehen, aber wir werden sie uns
immer mit anderen Medien teilen müssen
– auch weil immer mehr Angebote den
großen Screen erobern. Und wir werden
feststellen, dass für die Jungen „TV“ eine
andere Bedeutung hat: Total Video.
Aber warum sollte jemand, der sich an
Binge-Watching, also einen Serienmarathon, gewöhnt hat, wieder damit aufhören, nur weil er älter wird und einen
festen Tagesablauf und Familie hat?
Dang: Eine amerikanische Serie muss
man nicht mehr linear ansehen – musste
man übrigens schon seit dem Zeitalter
der DVD nicht mehr, und auch das hat
die Quote im linearen TV nicht wirklich
gedrückt. Bei Events ist das anders, die
möchte man live sehen, ob das nun große
Shows sind oder Sport, man muss es
förmlich sehen, weil man mit anderen am
nächsten Tag darüber reden möchte. Unser Fokus liegt aus diesem Grund darauf,
echte „Must-sees“ zu kreieren.
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42 REPORT BEWEGTBILD
HORIZONT 43/2015
22. Oktober 2015
In Bewegung: Auf Websites von Verlagen sind werbliche und redaktionelle
Videoformate inzwischen gang und gäbe
Bewegtbild war für die
Vermarkter von Verlagssites Neuland. Jetzt
ziehen sie Bilanz und
sagen: Die Investitionen haben sich gelohnt
S
Von Sara Weber
eit Jahren ist Video Advertising einer der Treiber im Online-Werbemarkt. Die Preise sind vergleichsweise hoch, die Nachfrage auch.
Doch vor allem für Vermarkter, die traditionell von Verlagsseite kommen und früher keine Videoinhalte produziert haben,
war der Boom eine Herausforderung.
IQ Digital Media Marketing vermarktet die Websites von Verlagen, die früher
keine Bewegtbildinhalte im Portfolio hatten. Das hat sich geändert: „Über Bewegtbild haben wir in den vergangenen Jahren
eine Vielzahl neuer Kunden gewonnen“,
sagt Geschäftsführer Christian Herp. IQ
Digital platziert In-Stream-Pre-Rolls vor
allem vor klassischem Bewegt-NewsContent. „Hier ist eine sehr hohe Nutzung zu verzeichnen“, so Herp. Zugleich
nehme auch die Nachfrage nach Outstream-Bewegtbild kontinuierlich zu, also
nach In-Page-Formaten, die unabhängig
von Videocontent auf den Websites laufen. „Hier scheint sich ein Paradigmenwechsel abzuzeichnen und die Grenzen
zu verschwimmen“, sagt Herp.
Weil für Outstream eben keine eigens
angefertigten Bewegtbild-Inhalte nötig
sind, liegen die Vorteile laut Herp auf der
Hand: hohe Verfügbarkeit, hohe Nettoreichweite, hohe Nutzung und ein sehr
gutes Kosten-Nutzen-Verhältnis. Wo genau die Anzeigen platziert werden, spielt
dennoch eine Rolle: „Die redaktionelle
Qualität der Inhalte, in denen Bewegtbild
platziert wird, ist für uns sehr wichtig“,
betont Herp. Das sei leider nicht bei allen
Anbietern der Fall.
Auch der Zeitungsvermarkter OMS
betrachtet die Investition in Bewegtbild
als lohnend: „Gerade die Umfelder der
OMS mit ihren überdurchschnittlichen
Verweildauern und der aktiven Beschäftigung der Nutzer mit unseren Inhalten
bieten eine perfekte Plattform für In-Page-Videoformate wie In-Read oder großflächige Werbeformen mit Bewegtbild-
inhalten“, sagt Geschäftsführer Dirk von
Borstel. „Diese Kombination sorgt für einen Großteil unseres Wachstums.“
Ähnlich sieht es bei Spiegel QC aus,
wie Leiter Norbert Facklam berichtet:
„Neben der mobilen Vermarktung haben
wir auch im Bewegtbildbereich bei Spiegel QC ein weiterhin sehr dynamisches
Wachstum. Unsere Anstrengungen beim
Ausbau der Videovermarktung werden
durch eine große Nachfrage von Agenturen und Werbungtreibenden honoriert.“
Spiegel QC vermarktet Facklam zufolge
alle Formen von In-Stream, von Shortform-Videobeiträgen bis zu 5 Minuten,
die hauptsächlich auf Spiegel Online zur
Verfügung gestellt werden, bis hin zu
Longform-Beiträgen wie Kinofilmen, die
an den Wochenenden über die Web-TVPlattform Spiegel TV ausgespielt werden.
Mit Spiegel TV sitzt bereits BewegtbildExpertise im Haus – ein Vorteil gegenüber anderen Verlagen und Vermarktern,
die hier erst aufbauen mussten. Doch diese Investition hat sich gelohnt, berichten
alle übereinstimmend.
F
ür den Vermarktungsarm von Gruner + Jahr ist Bewegtbild „ein strategisch relevantes Thema, wobei
wir hier vor allem auf hochwertige Eigenproduktionen und long-lasting Content
setzen“, so Stefan Schumacher, Executive
Director Digital bei G+J EMS. „Da immer mehr Markenartikler bei ihren crossmedialen oder crossdigitalen Kommunikationslösungen bei G+J EMS auch auf
die Integration von Bewegtbild setzen,
profitieren wir in der digitalen Vermarktung in der Folge von wachsenden Umsätzen im Bereich Video.“ Zudem entwickelt G+J EMS eigene Formate, die das
Vermarktungspotenzial bei hohen effektiven Tausend-Kontakt-Preisen steigern
und für das Unternehmen so ein attraktives Zusatzgeschäft zur Display-Vermarktung generieren. Diese eigenentwickelten
Formate haben sich laut Schumacher
„auch als sehr erfolgreich bei der Neukundengewinnung herausgestellt“.
Im Bereich Food, zum Beispiel für
Chefkoch.de, produziert G+J Rezeptvideos selbst, die dann mit Pre- und PostRolls, Presenterships und Video Advertorials beworben werden können. Ein
neues Feld, das zur Positionierung des
Verlags passt: Mit Magazinen wie „Essen
& Trinken“ und „Beef“ ist Gruner + Jahr
seit jeher in Food-Themen heimisch. Aktuell arbeitet G+J EMS mit sogenannten
Foodtubern, also Youtubern aus dem
Food-Bereich, zusammen und bringt unter dem Dach „Club of Cooks“ VideoInhalte von Youtube auf die eigenen Seiten. Geplant ist, in dieser Konstellation
„Bewegtbild wird für
viele auf jeder Plattform das bevorzugte
Werbemittel sein“
Carsten Schwecke, Media Impact
künftig auch Native-Kampagnen, Produktunterstützung, Verlosungen und
Branded Content zu produzieren. Vor allem mit den Presenterships hat G+J EMS
Schumacher zufolge „sehr gute Erfahrungen gemacht, weil sie Markenartiklern eine maximale Nähe zum Videocontent
und redaktionellen Umfeld bieten“. Außerdem steige das Interesse von Kunden
und Agenturen nach Bewegtbildformaten in redaktionellen Umfeldern. Video
Advertising kann also auch für die Vermarkter neue Geschäftsfelder erschließen
– die dem Markenkern treu bleiben.
Auch für Axel Springer Media Impact
(MI) haben sich die Investitionen in Bewegtbild „definitiv gelohnt“, sagt Carsten
Schwecke, Mitglied der Media-ImpactGeschäftsleitung. „MI konnte sowohl inventar- als auch umsatzseitig deutlich zulegen und hat durch die Schaffung der
entsprechenden Video-Infrastruktur in
Sales, Marketing und Technology beste
Voraussetzungen
für
signifikantes
Wachstum 2016.“ Bewegtbild hat MI laut
Schwecke viele Neukunden und zusätzlichen Umsatz gebracht. „Da das MediaVolumen in den Bereich Bewegtbild in
den nächsten Monaten und Jahren deutlich zunehmen wird, sehen wir weiterhin
große Potenziale für die Video-Vermarktung“, sagt Schwecke. „Für viele Werbungtreibende wird es in jedweder Art
und auf jedweder Plattform das bevorzugte Werbemittel sein, in einer Kombination aus TV und Digital.“
D
ie Ströer Digital Group, die unter
anderem „Auto Motor und
Sport“ vermarktet, nutzt Video
auch in der Out-of-Home-Kommunikation. CEO Christopher Kaiser sieht das
Smartphone als weiteren Treiber der Entwicklung: „Mobile Endgeräte führen zum
Durchbruch des Hochformats, weil man
das Handy meistens hochkant hält“, sagt
er. Dementsprechend setzen sich vermehrt auch Videoformate im Hochformat durch. „Das kommt uns zugute “, so
Kaiser. Rasmus Giese, Geschäftsführer
von United Internet Media, glaubt, dass
Bewegtbild weiter wachsen wird, „aber
die jährlichen Raten sind recht überschaubar, weil das Inventar in PremiumUmfeldern nicht in dem Ausmaß wächst,
wie viele Werbungtreibende es sich wünschen“. Deshalb reiche es nicht aus, die
gewohnte TV-Werbung eins zu eins per
Pre-Roll auf den digitalen Kanal zu übertragen. „Vielmehr muss man dem Medium gerecht werden und emotionale Video-Botschaften ergänzend auch in page
platzieren“, sagt Giese.
Dass Bewegtbildwerbung online
Trendthema bleibt, bestätigen auch die
Zahlen des Online-Vermarkterkreises : In
seinem aktuellen Report stehen Pre-Rolls
auf Platz 3 der beliebtesten Online-Werbeformen. Pre-Roll ist im 1. Halbjahr
2015 um 25 auf 149 Millionen Euro gewachsen – der größte absolute Zuwachs
im Vergleich zum 1. Halbjahr 2014.
FOTO: FOTOLIA, MONTAGE: HORIZONT
Der Boom geht weiter
44 REPORT BEWEGTBILD
A
Von Giuseppe Rondinella
uf dem Notebook die Nachrichten verfolgen, unterwegs mit dem Smartphone
die sozialen Netzwerke durchstöbern
und abends auf dem Sofa das Tablet als
Second Screen auf dem Schoß: Die Mediennutzung war noch nie so fragmentiert und so mobil
wie heute. Bewegtbildinhalte spielen in dieser Entwicklung eine wichtige, wenn nicht gar die entscheidende Rolle. „Mobile Video ist mittlerweile
ein ganz klar ausgeprägtes Konsumentenverhalten“,betonte etwa Oliver Busch, Head of Agency
bei Facebook, während eines Vortrages auf der
Dmexco vor wenigen Wochen.
HORIZONT 43/2015
so stark wie in den vergangenen beiden Jahren, der
Markt scheint sich langsam einzupendeln.“
Angesichts der aussichtsreichen Prognosen
bringen sich die verschiedenen Player in Stellung.
Die klassischen Publisher haben ihr mobiles Video-Inventar in den vergangenen Jahren erweitert
und Werbeagenturen lassen sich immer kreativere
Lösungen für Smartphones und Co einfallen. Einzig die Werbungtreibenden hinken ein wenig hinterher, beobachtet jedenfalls Dirk Kraus, Gründer
und Vorstand der Yoc AG: „Die Werbungtreibenden müssen viel mehr Herr über ihre Ausgaben
werden und verstärkt dorthin gehen, wo die Menschen sind.“ Mobile sei demnach noch immer
stark unterrepräsentiert. Martin Lütgenau, Geschäftsführer der Forward Ad Group (ehemals To-
ähnlich wie mit einer TV-Fernbedienung“, erklärt
Kraus. In Österreich, wo das Understitial im Mai
Premiere feierte, sei es komplett ausverkauft gewesen. Hierzulande verkaufe man nun eine Video-Kampagne nach der anderen, etwa für den
Ford Mustang. Scheinbar mit Erfolg: Kraus
spricht von hohen Klick-Raten, hoher Nutzerzufriedenheit und langer Verweildauer.
Doch es sind nicht nur die erwähnten Anbieter,
die die Bewegtbildvermarktung forcieren. Facebook etwa machte letzte Woche Schlagzeilen, als
man in den USA begann, mit einem eigenen Video-Feed zu experimentieren. Kein Wunder: Immerhin werden täglich drei Viertel der Videos auf
dem Smartphone konsumiert, so Facebook-Sprecher Stefan Stojanow auf Nachfrage. Mit Kunden
Kleine Screens
ganz groß
Mobile Video Advertising ist im Markt angekommen. Klassische Anbieter
und Plattformen wie Facebook und Youtube investieren in neue Formate
Die Marktentwicklung gibt Busch Recht. Laut
jüngster ARD/ZDF-Onlinestudie stieg der Anteil
derer, die mobiles Internet nutzen, auf 55 Prozent.
Auch die Reichweite der Bewegtbildangebote im
Netz erhöht sich stetig: Der Studie zufolge geben
fast zwei Drittel der Befragten an, Videos im Internet zu schauen. Und die Werbeindustrie wächst
mit. Die Research-Abteilung von Business Insider
BI Intelligence schätzt, dass die Erlöse aus Videowerbung in den USA bis 2020 um mehr als ein
Fünftel steigen werden (siehe Chart). Mobile soll
dabei mit einem Wachstum von 40 Prozent der
größte Treiber sein.
Auch hierzulande steigen Nutzung und Werbeumsätze immer weiter, beobachtet Christoph
Henning, stellvertretender Vorsitzender der Fokusgruppe Bewegtbild im Bundesverband Digitale Wirtschaft (BVDW), und muss dennoch beschwichtigen: „Der Boom ist aber nicht mehr ganz
morrow Focus Media), beobachtet, dass es vor allem Kunden mit einer jüngeren Zielgruppe sind,
die mobile Strategien entwickeln und hauptsächlich aus Branchen mit innovativen und hochwertigen Produkten kommen, etwa aus der Finanz- und
Automobilindustrie.
Seven-One-Media-Chef
Thomas Port widerspricht. Für alle seine Kunden
sei Mobile mittlerweile eine Selbstverständlichkeit.
Kraus, der mit der Gründung von Yoc vor 15
Jahren als Pionier für Mobile-Advertising-Lösungen gilt, scheint seiner Zeit wieder ein wenig voraus. Im September launchte sein Unternehmen
im Rahmen der O2-Kampagne „Zwei sind besser
als eins“ das Understitial Video Ad – ein neues
mobiles Werbeformat, bei dem die Anzeigenfläche
nativ unter dem redaktionellen Inhalt eingebettet
ist und vom User per Scrolling nach und nach
freigelegt wird. „Der Nutzer hat es selbst in der
Hand, ob er die Werbung sehen möchte oder nicht,
Unternehmen testen Mobile immer häufiger
Mobile wächst schneller
Werbespendings nach Medienklassen
Erlöszuwächse von Digital Video Advertising
in den USA
Jan. bis Sep. 2015
in Milliarden Euro
Veränderung
zum Vorjahreszeitraum
in Prozent
9,20
Fernsehen
3,30
Zeitungen
2,40
Publikumszeitschriften
2,10
Internet
5,1
0,2
+16,8%
+7,5%
+8,2%
+3,5%
–3,4
21,9
1
Out-of-Home
1,20
7,1
Radio
1,20
0,8
Fachzeitschriften
0,30
0,1
Mobile
0,20
57,2
Kino
0,10
9,7
Quelle: Nielsen
Angaben in Prozent
39,5
HORIZONT 43/2015
12,9
Mobile
Desktop
Total
Basis: zusammengesetzte jährliche Wachstumsraten 2015 bis 2020
Quelle: BI Intelligence
HORIZONT 43/2015
wie Zign, einer Zalando-Eigenmarke, habe die
Firma von Mark Zuckerberg bereits erfolgreiche
Bewegtbild-Kampagnen realisiert. Und auch
Twitter geht neue Wege. Die MikrobloggingPlattform steigt mit dem neuen alten CEO Jack
Dorsey seit Neuestem in die Video-Vermarktung
ein und setzt dabei auf den Ausbau seines Programms „Twitter Amplify“.
L
aufen Social Media Plattformen den klassischen Publishern also den Rang ab? BVDWExperte Henning sagt Jein. Die enorme
Reichweite und die Datenmenge seien zwar klare
Vorteile. Aber: „Was sozialen Netzwerken im Gegensatz zu Verlagen und Broadcastern fehlt, sind
originäre Qualitätsinhalte.“ Nicht ohne Grund
nähere sich Facebook nun durch Instant Articles
den Qualitätsinhalten der Verlage an; investiere
Youtube in hochwertige Produktionen. SevenOne-Media-Chef Port sieht in Social Media in
keiner Weise einen Konkurrenten, im Gegenteil:
„Die Plattformen verhelfen uns eher zu noch größerem Erfolg: Unsere Video-Angebote profitieren
enorm, sowohl im TV, als auch Online.
Port zufolge gibt es aber nach wie vor wichtige
Baustellen
im Bereich Mobile Video Advertising.
+7,5%
Er fordert: „Wir brauchen dringend technologische Standards, um eine Fragmentierung der Betriebssysteme und Devices zu vermeiden.“ Laut
Henning gibt es noch zu viele Werbungtreibende
ohne mobil optimierte Landing Page. Auch beim
Zukunftsthema Wearables herrsche Nachholbedarf. „Wir benötigen für Wearables eine neuartige
Werbeansprache, die es noch zu entwickeln gilt“,
sagt Lütgenau. Yoc-Gründer Kraus ist skeptischer
und prophezeit den tragbaren Devices keine rosige Zukunft: „Will ich als Nutzer auf der Smartwatch ein Video sehen, und dann auch noch Werbung? Nein. Nicht alles, was machbar zu sein
scheint, ist auch von Nutzen.“
22. Oktober 2015
HORIZONT 43/2015
REPORT BEWEGTBILD 45
22. Oktober 2015
Die Freiheit
nehm‘ ich mir
Laut einer HORIZONT-Exklusivumfrage ist lineares TV gefragt,
Nutzer von bezahltem Streaming genießen die Entscheidungsfreiheit
Von Bettina Sonnenschein
F
ernsehen – das bedeutet für rund
die Hälfte der Deutschen, einfach
das zu konsumieren, was die Programmmacher ihnen vorgeben:
Laut einer exklusiven HORIZONT-Umfrage beschreibt die Aussage „Ich sehe das,
was mir die Sender im Programm anbieten“, aus Sicht von 49,6 Prozent der Befragten ihr Fernsehverhalten am besten.
Doch auch das gezielte Aufnehmen ausgewählter Inhalte, die erst gesehen werden, wenn es zeitlich wirklich passt, ist für
einen großen Teil der Zuschauer (40,4
Prozent) ein gangbarer Weg. Allerdings:
Während 46,6 Prozent der Altersgruppe
ab 50 Jahren gern auf die Aufnahmemöglichkeit zugreifen, ist der Drang bei den
unter 30-Jährigen hierzu deutlich geringer (26,5 Prozent). Dafür erkennen sich
42,7 Prozent dieser jüngeren Befragten
am ehesten als überwiegend Streamingdienst-Nutzer wieder.
Im Rahmen der vom Frankfurter Link
Institut für Markt- und Sozialforschung
durchgeführten Onlinestudie wurden die
Teilnehmer auch gefragt, ob sie kosten-
pflichtige Streamingdienste nutzen. Fast
ein Drittel (30,4 Prozent) bejahten dies,
wobei der Anteil der männlichen Nutzer
im Vergleich zu den weiblichen höher
liegt: 37 Prozent der Männer bezahlen für
Streamingangebote, bei den Frauen sind
es nur 23 Prozent. Erwartungsgemäß sind
auch hier die Unterschiede zwischen den
Altersgruppen deutlich: Die Zustimmung liegt bei den 18- bis 29-Jährigen bei
51,3 Prozent und bei 30- bis 49-Jährigen
bei 31,1 Prozent. Ab 50 Jahre sind es nur
noch 12,8 Prozent, die kostenpflichtige
Streamingdienste nutzen.
Den Zeitpunkt selbst zu bestimmen,
wann sie Filme und Serien konsumieren
möchten, findet dabei ebenfalls erwartungsgemäß größte Zustimmung (72,4
Prozent) bei den zahlenden Nutzern.
Ähnlich positiv wird empfunden, dass
der Bezahldienst das werbefreie Sehen
von Inhalten ermöglicht: 68,4 Prozent
stimmen dieser Aussage voll und ganz zu.
Dabei fällt besonders ins Auge, dass die
Ablehnung mit dem Alter zu steigen
scheint. So liegt der Anteil der über 50Jährigen, die dieser Aussage zustimmen,
bei 78,9 Prozent, wohingegen 18- bis 29Jährige zu 66,7 Prozent zustimmen.
O
wohl sich diese Teilgruppe der
Befragten den kleinen Luxus eines kostenpflichtigen Dienstes
leistet, tun viele das nicht wirklich gern:
Der Anteil derer, die für Streamingplattformen Geld ausgeben und gleichzeitig
der Aussage zustimmen, gern bereit zu
sein, extra dafür zu bezahlen, liegt über
beide Geschlechter sowie über alle Altersgruppen hinweg bei etwa 20 Prozent.
Zwar hält sich umgekehrt auch die komplette Ablehnung mit gesamt 3,3 Prozent
in Grenzen, der größte Anteil der Nutzer
zeigt sich hierbei aber insgesamt eher unentschlossen.
Ähnlich verhält es sich mit der Beurteilung der Kosten für das eigens gewählte
Angebot. 19,7 Prozent aller zahlenden Befragten stimmen der Aussage zu, dass der
Preis für die Nutzung einer Streamingplattform angemessen sei, 4,6 Prozent
können sich damit überhaupt nicht identifizieren. Der größte Teil (30,3 Prozent)
steht unentschlossen in der Mitte. Dennoch scheinen die heutigen Nutzer einigermaßen zufrieden mit ihrer Wahl: 27,6
Prozent gaben an, in Zukunft noch häufiger über Bezahldienste Bewegtbildinhalte
konsumieren zu wollen.
Jüngere wechseln zwischen linearem TV und On-Demand
Welche Art des Fernsehens trifft am ehesten auf Sie zu?
Angaben in Prozent
18 bis 29 Jahre
30 bis 49 Jahre
50 bis 69 Jahre
41,9
Ich sehe das, was mir die Sender im Programm anbieten
26,5
Ich nehme gezielt Sendungen aus dem TV-Programm auf,
um sie dann anzusehen, wenn ich Zeit dafür habe
Ich nutze überwiegend das Angebot von Diensten
wie Netflix, Amazon und Co
5,4
Dank meines Smart-TV-Geräts wechsle ich gern zwischen dem
normalen TV-Programm und Video-on-Demand-Angeboten
6,1
47,7
58,8
43,4
46,6
19,8
17,9
12,3
11,8
7,7
6,4
6,8
Nichts davon
49,6
40,4
42,7
17,4
gesamt
6,8
Basis: Online-Umfrage im Oktober 2015, n = 500 Befragte von 18 bis 69 Jahre
Quelle: Link Institut für Markt- und Sozialforschung
HORIZONT 43/2015
Lieber bezahlen, als Werbung sehen
Einstellung zu kostenpflichtigen Streamingdiensten
Angaben in Prozent
18 bis 29 Jahre
30 bis 49 Jahre
50 bis 69 Jahre
gesamt (Top-Boxen)
Ich kann Filme und Serien sehen,
wann ich möchte
86,3
Ich kann Inhalte sehen, die das
normale Fernsehen gar nicht oder
erst viel später sendet
69,9
52,6
Ich kann Filme und Serien in
Originalsprache sehen
21,1
In Zukunft werde ich noch
häufiger auf diese Weise Inhalte
konsumieren
Ich finde den Preis der
Streamingplattform angemessen
Für das Angebot bin ich
gern bereit, extra zu bezahlen
71,7
53,4
52,6
42,1
43,3
50,7
50,7
66,7
60,3
58,3
57,9
94,7
86,7
81,7
Ich muss keine Werbung sehen
95,0
89,0
94,7
90,8
74,3
86,8
56,6
61,8
52,6
48,7
Basis: Online-Umfrage im Oktober 2015, n =1 52 Onlinebefragte zwischen 18 und 69 Jahren, die kostenpflichtige Streamingdienste nutzen;
Zustimmung auf einer Skala von 1 (trifft überhaupt nicht zu) bis 5 (trifft voll und ganz zu)
Quelle: Link Institut für Markt- und Sozialforschung
HORIZONT 43/2015
Anzeige
46 REPORT BEWEGTBILD
HORIZONT 43/2015
Einer für alle,
Eine Studie von IP
Deutschland untersucht
die unterschiedliche
Spot-Rezeption auf
verschiedenen Screens
alle für einen
Von Bettina Sonnenschein
M
an kann es kaum treffender
sagen als Cornelia Krebs,
Leiterin der Wirkungsforschung von IP Deutschland: „Bewegtbild ist in Bewegung.“ Dass
sich TV verändert hat, seit die Zahl der
Screens vielfältiger geworden ist, ist unbestritten. Die Entwicklungsstufen dieser
Veränderungen und vor allem, was sie für
Werbung bedeuten, beobachtet der RTLVermarkter seit Jahren in der Studienreihe „Kartografie von Bewegtbild“.
Die Nutzung der verschiedenen
Screens, die Effekte von parallelem Fernsehen und Surfen sowie die langsam zunehmende Bedeutung von Smart-TV
standen darin bereits im Fokus. In der
neuesten Ausgabe geht es nun um die
Wirkung von Spots je nach Endgerät –
oder anders gefragt: Ruft ein und derselbe
Spot auf unterschiedlichen Devices unterschiedliche Emotionen hervor? Und in
der Folge: Welche Screens eignen sich für
welche Spot-Kreation am besten?
Beeinflusst ist die Untersuchung nicht
zuletzt von der Erkenntnis, dass das Gehirn jedes Konsumenten in Sachen Entscheidung eigene Wege geht. Und dass
Werbung dabei zwar Einfluss nehmen
kann, allerdings nur, wenn sie sich deutlich stärker an dem orientiert, was die
Neurowissenschaft über bewusste und
unbewusste Entscheidungen herausgefunden hat. „Kartografie 8“ folgt also einem Trend (HORIZONT 34/2015), der die
Emotionen in den Mittelpunkt rückt.
Als Basis für das Setting dienten vier
Testspots, die die Forscher nach ihrer unterschiedlichen Tonalität ausgewählt hatten: Die etwas düstere Story um einen
Herrenduft, eine kindlich-spritzige Episode rund um die Limonade Orangina,
die Mischung aus Urlaubsfeeling und In-
formation für den E-Reader Tolino sowie
einen rein informativen, faktenorientierten Spot für ein Schmerzgel.
Nach der Einstimmung der Probanden auf die ihnen zugewiesene Nutzung –
zum Beispiel Wohnzimmeratmosphäre
für Fernsehen oder konzentriertes Arbeiten am Laptop – wurde per Eye Tracking
sowie mithilfe am Körper befestigter
Elektroden gemessen. Mimik, Gestik,
Hautwiderstand und der Puls gaben Auskunft über die Gefühlszustände. Je nach
Bildschirm bekamen die Studienteilnehmer eine Folge „Wer wird Millionär?“ zu
sehen, inklusive Werbeblock für TV, oder
zwei Prerolls und zwei Midrolls für Computer, Smartphone und Tablet. Eine anschließende Befragung rundete das Setting ab.
U
nd das Ergebnis? Zusammengefasst lässt sich sagen: TV ist nicht
das einzig wahre und glücklich
machende Werbemedium, die Kunst liegt
in der screenübergreifenden Aussteuerung je nach Absicht. „Ist es richtig, Bildschirme gemeinsam zu belegen? Mit der
Studie können wir das ganz eindeutig mit
Ja beantworten“, sagt Forscherin Krebs.
„Dabei ist TV der Turbo, der Mehrwert
kommt durch die zusätzlichen Screens.“
Diese Erkenntnis ist zunächst keine
ganz große Überraschung. Im Einzelnen
ist es jedoch durchaus interessant, wie
sich zum einen die unterschiedlichen Rezeptionssituationen bei der Nutzung verschiedener Screens auswirken, und dass
zum anderen eben auch die kreative Art
der Spots ganz unterschiedlich ankommt,
je nachdem, auf welchem Gerät sie konsumiert werden.
So befindet sich ein Zuschauer prinzipiell eher im entspannten, zufriedenen
Modus, solange er klassisch fernsieht,
deutlich angespannter, im positiven Sinne aber auch aufmerksamer ist sein Zustand beim Bewegtbildkonsum über einen PC oder Laptop. In der Folge funktionieren emotionale, atmosphärische
Spots wie das Beispiel Orangina im TV
sehr gut, während online faktenorientierte Kampagnen mit einer klaren Botschaft
besser wahrgenommen werden.
Auch auf den mobilen Endgeräten gibt
es Unterschiede: Ähnlich entspannt wie
beim klassischen TV werden Spots auf
Emotionale Spotwirkung je nach Screen
Tablet und Smartphone
TV und Laptop
positive
Valenz
positive
Valenz
Freude
Zufriedenheit
Freude
Zufriedenheit
Begeisterung
Entspannung
Begeisterung
Entspannung
Ideale Ergänzung,
um zu aktivieren und
Produktinteresse zu
stärken
Erregtheit
niedrige
Aktivierung
hohe
Aktivierung
Hohes Wirkpotenzial für
atmosphärische Spots
mit positivem Einfluss
auf die Markenwahrnehmung. Bereitet den
Boden für eine hohe
Brand-Awareness
Abschottung
Ideale Ergänzung für
faktenorientierte Spots
und zur Verankerung
rationaler Argumente
Langeweile
Abneigung
Verärgerung
Frustration
Quelle: IP Deutschland
negative
Valenz
Erregtheit
hohe
Aktivierung
niedrige
Aktivierung
Idealer Verstärker für
eine positive Markenwahrnehmung und
zur Steigerung des
Produkt-Interesses
Abschottung
Anspannung
Anspannung
Langeweile
Abneigung
Verärgerung
Frustration
negative
Valenz
HORIZONT 43/2015
22. Oktober 2015
dem Tablet wahrgenommen. die Markenwahrnehmung einer Kampagne ist
ähnlich positiv. Außerdem scheint die
Spot-Rezeption über dieses Gerät auch
das höchste Produktinteresse zu wecken.
Das Wirkpotenzial eines Spots erhöht
sich zudem verstärkt, wenn die Komplexität der Werbebotschaft reduziert ist und
zu dunkle Szenen vermieden werden.
Spots mit unterschiedlicher Tonalität – witzig, etwas
geheimnisvoll, entspannt und dennoch informativ
sowie faktenorientiert – dienen als Studienbasis
Letztere funktionieren auch auf dem
Smartphone nicht besonders gut, vermutlich liegt das in beiden Fällen am zu
kleinen Bildschirm. Die Spot-Rezeption
erfolgt auf dem kleinen Screen in einer
aufmerksamen Verfassung, allerdings
sind die Nutzer auch schnell abgelenkt.
Für die Kreation bedeutet das, dass positive Botschaften im Vordergrund stehen
sollten. Wenn es um Fakten geht, sollten
diese nicht auf allzu komplexe Art vermittelt werden.
A
us Sicht der IP-Forscher, die die
Untersuchung gemeinsam mit
dem
Münchner
Marktforschungsunternehmen Mindfacts aufgesetzt hat, belegen die Ergebnisse, dass
Fernsehen den Ausgangspunkt für das
Wirkungspotenzial
atmosphärischer
Spots liefert, dabei entsteht der größte
Einfluss auf die Markenwahrnehmung.
Tablets sorgen für eine Verstärkung dieser
Wahrnehmung, auf Laptops werden
rationale Argumente verankert und
Smartphones bilden die beste Möglichkeit, das Produktinteresse zu stärken. Im
optimalen Fall müssten Werbungtreibende demnach für jeden Screen einen eigenen Spot kreieren – da das aus vielerlei
Gründen kaum infrage kommt, rät IPForscherin Krebs: „Die Kunden sollten
sich die Frage stellen, mit welcher Emotion sie eine Botschaft platzieren möchten.
Darauf lässt sich die Zusammensetzung
der Screens austaxieren.“
48 REPORT BEWEGTBILD
HORIZONT 43/2015
22. Oktober 2015
Im Auge des Betrachters
Welchen Beitrag kann
Kreation für die Spotwahrnehmung leisten?
Im besten Fall sorgt sie
für viel Lust am Inhalt
D
Von Julia Bröder
ie Kreation ist zunächst einmal der wichtigste Wirkungshebel, den wir haben“,
sagte Jan Isenbart im Frühjahr, als es darum ging, wie sich Bewegtbildformate auf unterschiedlichen
Screens gegenseitig beeinflussen. Und er
würde heute wieder so antworten: „Was
wir in der Kreation verspielen, können
wir in der Media nicht mehr aufholen“,
so der Direktor Forschung bei IP
Deutschland.
Aber welche Geschichten sind es, die
den Unterschied machen? Was muss die
Kreation leisten, damit ein Spot beim
Publikum ankommt und am Ende auch
noch etwas für die Marke tut? Fest steht,
dass die Art, wie Bewegtbild rezipiert
wird, sich extrem verändert hat. Der Konsument entscheidet selbst, was er sehen
will und was nicht. Entsprechend groß
sind die Bemühungen von Marketern
und Kreativen, von penetranter Werbung
wegzukommen und stattdessen relevanten Content zu verbreiten. „Ich muss
mich heute noch intensiver fragen, wen
handwerklich gut gemachtes Bewegtbild
gerecht wird, nennt Schulte trotzdem: einen Film, in dem Manuel Neuer für Coke
Zero in die Rolle eines Angestellten
schlüpft und eine Lebensgeschichte erzählt, die unter anderen Umständen tatsächlich seine eigene hätte werden können. Schultes Lob geht in diesem Fall an
Plantage in Berlin. Aber auch im eigenen
Haus entstehen regelmäßig Filme, die in
der Kreativbranche gut ankommen. Bei
den diesjährigen Cannes Lions war Thjnk
die deutsche Agentur, die mit den meisten Preisen in der Kategorie Film nach
Hause fuhr, zwei davon gab es für „Mechanics“ im Auftrag von Audi Deutschland. „Der Spot hatte wahrscheinlich genau die Radikalität, die es heute braucht,
um sich von der Masse abzuheben“,
meint Schulte.
D
och lohnt sich das auch für die
Werbewirkung? Laut einer Inhaltsanalyse von IP Deutschland
ist es erfreulich, dass die Zahl emotional
aufgeladener TV-Spots zunimmt. Immer
öfter werde an das Gefühl der Kunden
appelliert, anstatt den Verstand nur mittels Sachinformationen anzusprechen.
dürfte nach wie vor das „Unskippable
Ad“ sein, in dem die amerikanische Versicherung Geico herrlich ironisch mit gelernten Werbebildern spielt und so quasi
aus der Not eine Tugend macht. Fabian
Frese, Geschäftsführer Kreation bei Kolle
Rebbe, erklärt: „Das Pre-Roll-Format ist
die mieseste Erfindung, seit es Mediaplanung gibt. Es gibt wohl kaum ein Format,
das Menschen mehr nervt als diese 20
Sekunden, bevor der eigentliche Film losgeht. Wenn man sich aber genau diese
Situation bewusst und sich dabei ernsthaft Gedanken darüber macht, wer da eigentlich gerade auf der anderen Seite des
Screens sitzt, kann man mit einer kreativen Lösung als Marke massenhaft Sympathiepunkte sammeln.“
Großes Interesse daran, zu verstehen,
welche Geschichten, Tonlagen und Längen beim Publikum am besten punkten,
haben Google und Facebook. Und auch,
wenn Marc Wirbeleit, Creative Strategist
bei Facebook, sich auf ein Patentrezept
ebenso wenig festlegen möchte wie seine
Kollegen in den Agenturen, hat er doch
ein paar Tipps: Mit einem starken visuellen Reiz beginnen, stark weitermachen
und nicht auf das Ende setzen. „Der
Um Storytelling für mobile Screens
geht es auch bei einem Experiment, das
Google im Juni zusammen mit BBDO
New York und der Getränkemarke
Mountain Dew durchgeführt hat. Anhand von drei Versionen eines Spots wollte das Team sowohl herausfinden, welche
Art der Inszenierung überhaupt angeschaut wird, als auch, was die Marke am
Ende davon hat. „Mobile Advertising.
Making unskippable Ads“ heißt der Case
und bezieht sich sicher nicht zuletzt auf
das Format True View, bei dem Google
seine Werbekunden nur zur Kasse bittet,
wenn ein Zuschauer einen Spot nach den
ersten Sekunden nicht per Klick überspringt.
D
ie Story handelt von ein paar
Freunden, die sich in einem Partykeller treffen, nach und nach
entsteht eine absurde Tanzszene. Die 30Sekunden-Version folgt einer klassischen
Narration, in der die Jungs sich einen
Drink nehmen und dann anfangen zu
tanzen.
Die zweite Variante beginnt mit einem
Standbild und hat eine ähnliche Dramaturgie. Der dritte Film schließlich zeigt 93
Coke Zero: Der Getränkehersteller überlegt, wie das Leben
eines Welttorhüters
auch aussehen hätte
können
Zalando: Die Facebook-Kampagne mit Model Cara Delevingne umfasst 1000 individualisierte Spots für den
Einsatz in unterschiedlichen
Kleinstädten
Mountain Dew: Google und
BBDO finden heraus, dass
die absurdeste Story
durchaus etwas für die
Marke tun kann
ich überhaupt erreichen und was ich ihm
sagen will“, meint Stefan Schulte, Geschäftsführer Kreation bei Thjnk in Berlin. Was für ihn vor allem zählt, ist der
inhaltliche Punkt, nicht die Darreichungsform. „Das ist ja gerade das Tolle
an den heutigen Möglichkeiten für Bewegtbild: Ich kann meine Botschaft in einen Erklärfilm verpacken oder ein fantastisches Zukunftsszenario entwerfen. Ich
kann aber genauso gut nach einer wahren
Geschichte suchen, ein Event dokumentieren oder die Vergangenheit wieder
zum Leben erwecken“, schwärmt Schulte.
Es überrascht nicht, dass er sich nicht auf
ein Stilmittel festlegen möchte, das derzeit auf dem Vormarsch ist, Kreative reden generell nicht gern über Trends.
Ein Beispiel, das in seinen Augen den
Ansprüchen an relevantes und noch dazu
Vor allem Humor, aber auch Rührung
und Action wirken sich positiv aus. Darüber hinaus, das zeigt eine separate Studie, hat die Länge eines Spots erheblichen
Einfluss auf die Werbewirkung. „Gute
Geschichten brauchen Zeit, um einen
Spannungsbogen aufbauen zu können“,
heißt es, durchaus vorhersehbar, im Fazit.
Die Erhebung bezieht sich auf das Medium TV und sicher lässt sich darüber
diskutieren, wie viel oder wenig Sinn ein
15-sekündiger Cut-down eines Werbefilms macht. Viel spannender sind aber
die Formate, mit denen Kreative jenseits
dessen experimentieren.
Dabei spielen nicht nur ganz andere
zeitliche Begrenzungen und technologische Möglichkeiten eine Rolle, sondern
auch der Umgang mit medienspezifischen Eigenheiten. Paradebeispiel dafür
Schlussgag ist tot“, so Wirbeleit. Immerhin habe Nielsen herausgefunden, dass 47
Prozent des Werts einer Kampagne – gemessen an Werbeerinnerung, Markenbekanntheit und Kaufabsicht – innerhalb
der ersten drei Sekunden eines Videos generiert werden, 74 Prozent innerhalb der
ersten zehn Sekunden.
W
ichtig sei außerdem, dass ein
Spot auch stumm funktioniert, weil er in der mobilen
Nutzung sonst keine Chance habe. Punkten dürften auf Facebook zudem Kreationen, die mit personalisiertem Content arbeiten, wie beispielsweise eine Spot-Serie,
in der das Model Cara Delevingne Nutzerinnen in 1000 verschiedenen Kleinstädten das Angebot von Top Shop und Zalando anpreist.
Sekunden lang die absurdesten Tanzbewegungen und hält das Produkt im Hintergrund. Das überraschende Ergebnis
des Experiments: Während alle drei Filme
auf dem Desktop etwa gleich gut ankamen, blieben bei der langen Version mobil ein Viertel mehr Zuseher bei der Stange. Auch hinsichtlich der Brand Awareness schnitt die eher Spaß-fokussierte Inszenierung nicht schlechter ab als die
anderen.
Greg Lyons, Marketingchef bei Mountain Dew, fasst zusammen, um was es in
der Ansprache über mobile Medien – und
deren Nutzung steigt bekanntlich weiter –
geht: „Nicht darum, sie mit einer Markenbotschaft zu unterbrechen, sondern
darum, Inhalte zu kreieren, die unterhalten und ihre Zeit und Aufmerksamkeit
wert sind.“
HORIZONT 43/2015
REPORT BEWEGTBILD 49
22. Oktober 2015
Den Klappstuhl ausgraben
Ewald Pusch, Geschäftsführer von Neverest, erläutert, wie gelungenes Storytelling in der Praxis aussehen kann.
Als Initialzündung zum Abverkauf dient es dabei nicht, wohl aber zur Emotionalisierung
Der Autor Ewald Pusch war
unter anderem zwei Jahrzehnte lang für Serviceplan tätig,
bevor er 2008 die Agentur für
Komplettfilm Neverest gründete. Seine bekannteste Kampagne ist „Mit dem Zweiten
sieht man besser“ für das ZDF.
M
ärchen, Sagen, Heldenepen
– Geschichten zu erzählen
ist so alt wie die Menschheit
selbst. Denn Menschen
brauchen Helden. Und sie suchen wahre
Gefühle. Deshalb müssen Marken immer
stärker in Bildern bewegen. Dieses Prinzip heißt heute „Storytelling“. Und aus
dem Weitererzählen wird Sharen, weil
Reichweite für gut gemachte Inhalte heute häufig über das Digitale kommt.
Da ist zum Beispiel dieser alte Mann,
der täglich auf seiner Lieblings-Parkbank
Tauben füttert. Nur einmal, da bekommt
er keinen Platz mehr, die Bank ist besetzt.
Am nächsten Tag bringt er sich deshalb
einen rosa Klappstuhl mit. Und wandert
ab sofort mit diesem Klappstuhl umher –
erst im Park, dann in der Stadt, schließlich in der Welt. Der Klappstuhl, so die
Botschaft, eröffnet ihm neue Horizonte,
ein neues Leben, bringt Farbe in sein Leben. Am Ende des Zweiminüters stellt der
Mann, wieder zuhause angekommen, seinen Freunden den verbeulten Klappstuhl
hin. Mit der unausgesprochenen Aufforderung: Macht selbst was draus!
Im Werbedeutsch heißt das „Start
Something New: The unlimited potential
of a chair“ und ist ein Werbefilm von Ikea
Spanien. Kein Preis, keine Kaufaufforderung, kein Smørrebrød. Einfach eine nette Geschichte, soziale Botschaft inklusive,
die man sich gerne anschaut. Ikea in Singapur hat in zweieinhalb Minuten eine
andere, sehr witzige Geschichte zu erzählen: Der Ikea-Katalog als „Bookbook“. So
präsentiert, als würde ihn Apple in einer
seiner typischen Produkt-Lobpreisungen
vorstellen. Zuletzt nahm sich sogar der
jüngst verstorbene Literaturkritiker Hellmuth Karasek des Möbelhauskatalogs an:
in einer selbstironischen Rezension.
W
arum erzählen Marken im
Web, aber nicht nur dort, diese durchaus aufwendig produzierten Geschichten, ohne nur einmal
Produkt und Preis zu nennen? Geht verkaufen auch ohne „Geiz ist geil“ und su-
perschrill? Es muss, denn in Zeiten von
Festplattenrekordern, Streaming-Angeboten oder Spot-Skippern stößt der 30Sekünder im Werbeblock des linearen
Fernsehens an seine Grenzen. Die Zeiten,
in denen TV-Spots zwingend RiesenReichweiten erzielten, sind out, die TVNutzung bekommt eine starke On-Demand-Komponente und die Parallelnutzung wächst dank Second und Third
Screen. Eine neue Generation von Mediennutzern, die mit Tablet und Smartphone als First Screen aufwächst, überspringt, wenn es möglich ist, klassische
Fernsehwerbung einfach. Stattdessen
nutzt sie verstärkt Online-Bewegtbild,
und das kanal- und geräteübegreifend.
Vor Streamingdiensten und Mediatheken rangieren dabei die Videoportale.
Und über Youtube und Co lässt sich ähnliche Aufmerksamkeit aufbauen wie über
klassische Mediaschaltungen. Ja, vor allem in jungen Zielgruppen, aber zunehmend auch bei den über 30-Jährigen. Nur
unterliegen die Inhalte, die dort verbreitet
Wie Marken versuchen, die Welt ein bisschen besser zu machen
Storytelling ist ein Investment in Marke und Kundenbeziehung, das sich auszahlt – dafür aber
länger braucht als die klassische Adwords-Kampagne. Viele große Marken setzen StorytellingAnsätze mittlerweile sehr gekonnt ein. Dabei gibt
es verschiedene Taktiken, dies zu tun. Hier eine
kleine Auswahl:
1. Der One Shot zum Großereignis
Weihnachten, Muttertag oder der Super Bowl – im
Laufe eines Jahres gibt es immer wieder saisonale
Highlights, die ein großes Thema sind. Warum
nicht diese Anlässe, die hohe Aufmerksamkeit
genießen, nutzen, um ein eigenes Thema draufzusetzen? Gute Beispiele dafür gibt es viele.
a) Nivea zum Muttertag
Ein Kleinkind erzählt aus seiner Perspektive in
einer Minute, warum es die eigene Mutter liebt.
DerMama-SpotvonNiveazumMuttertagliefso
erfolgreich,dassesFortsetzungenzumVatertag
und zu Weihnachten gab.
b) John Lewis zu Weihnachten
Mittlerweile gibt es fast einen Wettbewerb unter
großen Marken, wer das beste (sprich meistgeteilte) Weihnachtsviral produziert. Seit Jahren
vorn dabei: Die britische Kaufhauskette John
Lewis. Vergangenes Jahr räumte sie mit einer
Geschichte über einen kleinen Jungen und seinen Pinguin fast 24 Millionen Views im Web ab.
c) Budweiser zum Super Bowl
Auf fast 60 Millionen Views auf Youtube kommt
der Film, den Budweiser zum Super Bowl 2014
produzierte und in dem es um die Freundschaft
zwischen einem jungen Hund und einem Pferd
geht. Schon traditionell nutzt die amerikanische
Biermarke das US-Sport-Highlight, um im
meistgesehenen Werbeblock des US-Fernsehens zu Herzen gehende Geschichten mit Tieren
und Menschen zu erzählen. Der TV-Spot ist
dabei der Teaser für die spätere virale Verbreitung im Netz.
2. Der Oneshot als Newsjacker:
Pampers lieferte vor kurzem ein Paradebeispiel für
dieses taktische Vorgehen. Klar war: Demnächst
kommt das nächste Kind des britischen Prinzen
William. Es konnte sich nur noch um Tage handeln,
darauf war Pampers vorbereitet. Als Herzogin Kate
am 2. Mai ihr zweites Baby dann zur Welt brachte,
begleitete die Windelmarke am selben Tag mehrere nicht adlige Eltern bei der Geburt ihrer Kinder
und lud die Bilder aus dem Kreißsaal bereits am
kommenden Tag im Netz hoch. Unter dem Motto:
„Jedes Baby ist ein Prinz oder eine Prinzessin.“ So
nutzte Pampers ein royales und mediales
Großereignis clever, um die eigene Marke sympathisch und volksnah zu platzieren.
3. Der eigene Channel
Die britische Eismarke Cornetto erzählt in ihrer
Viral-Reihe „Two Sides“ unter dem Motto „Begierde“ einfühlsame Liebesgeschichten mit Happy
End. Eis kommt hier, wenn überhaupt, maximal
dezent am Rande vor. Stattdessen dominieren
junge Menschen und ihre Beziehungsnöte – solche, die sonst im Kino saßen.
4. Die Webisode
Hier erzählt das Unternehmen im Serienmodus.
Mit immer den gleichen Protagonisten, sodass der
User sich zunehmend mit den Figuren identifizieren kann. Die Telekom veredelte mit ihrer „Familie
Heins“ ihre Seeding-Strategie, indem sie die Charaktere der Webisode mit dem Kinofilm „Fack ju
Göhte 2“ vernetzte. Denn Heins-Töchterchen Clara
will an einem Casting zum Film teilnehmen – und
bekommt die Rolle.
und geteilt werden, anderen Gesetzmäßigkeiten. On Demand und freiwillig statt
gezwungenermaßen im Werbeblock, lautet die Vorgabe: Deshalb müssen Marken
nicht nur den Stil ihrer Kundenansprache
ändern. Sie müssen Geschichten erzählen, die bewegen. In der Regel tun sie das
mit viel Gefühl, viel Liebe und unter Einsatz von Tieren, Kindern und allem, was
unsere Gemüter sonst so bewegt.
D
abei funktioniert Storytelling
über Video eher seltener als platter Abverkaufs-Booster. Natürlich kann man damit auch kurzfristig beispielsweise Hämmer verkaufen, wie
Hornbach bewiesen hat. Im Mittelpunkt
stand aber auch damals die Geschichte:
Panzer zu Hämmern als Weiterentwicklung der bekannten „Schwerter zu Pflugscharen“-Analogie. Storytelling in bewegten Bildern hat eher den Charakter
eines charmanten Gesprächs mit einem
sympathischen Menschen, der einem
durchaus etwas verkaufen darf, wenn er
wirklich überzeugen kann.
Egal welche Taktik und welches Format die Unternehmen für Storytelling
nutzen, ein Trend zeichnet sich in vielen
Produktionen derzeit ab. Es reicht nicht
nur, Geschichten zu erzählen. Der Druck
steigt, die Welt mit den eigenen Produkten zumindest ein bisschen besser zu machen. „Don’t be Evil“ war gestern, heute
setzen sich diverse Brands verstärkt auch
für diverse gesellschaftliche Belange ein.
Kommunziert mit den Mitteln des Storytelling: Always plädiert unter dem Motto
„Rewrite the Rules“ für ein neues Frauenbild fern von Klischees, die Kosmetikmarke Dove erzählt den Frauen, dass sie
schöner sind, als sie sich selbst wahrnehmen. Und Coca-Cola Middle East rät unter dem Slogan „Labels are for cans, not
for people“, Menschen nicht zuallererst
nach ihrem Aussehen zu beurteilen – und
solche Geschichten gibt es noch viele.
DIE SPOTS ZU DEN BEISPIELEN UNTER
HORIZONT.NET/STORYTELLING4315
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50 REPORT BEWEGTBILD
HORIZONT 43/2015
22. Oktober 2015
Magische
Anziehungskraft
Alle großen Out-of-Home-Vermarkter haben inzwischen auch
Bewegtbild im Portfolio. Ihre Strategien unterscheiden sich jedoch stark
Von Joachim Thommes
M
otion-Designer brauchen
nicht länger in der Filmbranche oder Werbeagenturen auf Jobsuche zu gehen. Jetzt können sie auch Plakatvermarkter einbeziehen. Das Berliner Unternehmen Wall jedenfalls beschäftigt die
Gestaltungsspezialisten, um klassische
Plakate oder TV-Spots in 10 Sekunden
lange Videos zu verwandeln. „Damit greifen wir den Agenturen ein wenig unter die
Arme“, erklärt Andreas Prasse, Vorstand
Vertrieb und Marketing. Die Hilfe werde
gern angenommen.
Wall hat vor fünf Jahren den U-Bahnhof Friedrichstraße komplett mit digitalen Werbeträgern ausgestattet. Ende vergangenen Jahres hat der Außenwerber 25
U-Bahnstationen der Hauptstadt mit ins-
ten stärker auf sich zieht und ein bisschen
mehr Zeit für Präsentationen und Erklärungen bietet (siehe Interview). Allerdings wird Out-of-Home generell meist
ergänzend eingesetzt und „funktioniert
beiläufig“, wie Prasse erläutert. Ende dieses Jahres will Wall detaillierte Vergleichswerte zu analogen und digitalen Flächen
vorlegen.
Auch der Kölner Vermarkter Ströer
bietet seinen Kunden Unterstützung an,
wenn es darum geht, aus einem Plakat,
einem Online- oder TV-Spot ein Out-ofHome-Video zu machen. Hierzulande
hat der Konzern in Bahnhöfen, Einkaufszentren und am Flughafen rund 3500 digitale Werbeträger aufgestellt – größere
und kleinere, quer- und hochformatige.
Christian von den Brincken, Geschäftsführer Business Development, pocht darauf, dass die Art einer Botschaft auf den
Werbeträger zugeschnitten sein muss,
Werbung wird von Ströer- wie Wall-Kunden gleichermaßen erst wenig nachgefragt. Das Interesse regionaler Werbungtreibender für die dynamische Aussteuerung von Werbung nehme jedoch zu, berichtet
Alexander
Fürthner,
Geschäftsführer Infoscreen, München.
„Außenwerbung unterbricht nicht
und sendet kein Signal ans Schmerzzentrum des Konsumenten“, sagt von den
Brincken unter Anspielung auf psychologische Erkenntnisse über das, was Kunden vor und während eines Kaufs wehtut.
O
b seine Behauptung auf alle
111000 digitalen Screens in
Deutschland zutrifft, die Invidis
Consulting, München, zählt, darf allerdings bezweifelt werden – zu unterschiedlich ist die Qualität der Animationen und Videos. Vermarkter AWK in
Koblenz hat im Juni dieses Jahres das Por-
Barbara Evans, 44, Geschäftsführerin von Facit Media
Efficiency in München
„Kernbotschaft in
einer Sekunde“
Barbara Evans über die Wirkung
von Videos in Out-of-Home
FOTO: STRÖER
In der Außenwerbung sind tonlose Videos angesagt. Was spricht
dafür, sie einzusetzen?
Bewegte Bilder zwingen uns quasi,
hinzugucken. Das hat mit dem
Überlebensdrang zu tun, der tief in
uns verwurzelt ist: Wir müssen
überprüfen, ob wir gerade in Gefahr sind oder etwas zu verpassen
drohen. Diesem Drang können wir
uns praktisch nicht entziehen.
Wenn ich etwas beachte, heißt das
aber noch nicht, dass es mich auch
interessiert und mir im Gedächtnis haften bleibt.
Ja, sobald ich merke, dass etwas keine Relevanz für mich besitzt, verliere ich das Interesse daran gleich
wieder. Allerdings kann es auch unbewusst in mir weiterwirken, sodass die Werbung nicht umsonst
war. Das ist ein weites Feld. Festzuhalten bleibt aber: Die persönliche Relevanz entscheidet über die
Wirkung. Wenn ich kein Eis oder
keinen Glühwein mag, werden
mich kein Plakat und kein Video
dafür gewinnen.
Alles in Bewegung:
Screens im Berliner
Hauptbahnhof
Kein Mangel an Werbeträgern
Die wichtigsten Kennziffern zu
Digital Out-of-Home in Deutschland
Buchbare Displays
Vermarktete Standorte
Vermarktete Netzwerke
Bruttowerbedruck der
digitalen Außenwerbung
Anteil der digitalen
Außenwerbung an Out-of-Home
Quelle: Invidis Consulting
111 000
19 100
104
159 Mio. Euro
10 Prozent
HORIZONT 43/2015
gesamt 75 digitalen Werbeträgern zu einem Netz verknüpft. Inzwischen gibt es
in Berlin außerdem 36 digitale CitylightBoards mit einer Fläche von jeweils 9
Quadratmetern, in Hamburg zusätzlich
zehn. In Köln sollen Mitte November, in
Düsseldorf, Dortmund und Berlin im
kommenden Jahr weitere digitale Werbeträger in Top-Lagen dazukommen.
„Wir sind die Ersten, die Digital Out-ofHome an die Straße bringen“, sagt Prasse.
Die Strategie der Berliner: attraktive
und stark frequentierte Standorte in Städten mit mehr als einer halben Million Einwohner auswählen und – wenn möglich –
zu kleinen digitalen oder größeren digitalanalogen Netzen verbinden. Zu den Kunden, die davon Gebrauch machen, gehören alte Hasen wie H&M, Microsoft und
Unilever, aber auch Out-of-Home-Neulinge wie Amazon, Ebay und Netflix.
Digitale Außenwerbung bedeutet
praktisch immer Bewegtbild. Das hat den
Vorteil, dass es die Blicke der Konsumen-
um ihr Potenzial entfalten zu können.
Und hat gleich noch einen Seitenhieb auf
TV parat: „Die Konsumenten sind nicht
länger bereit, sich 30-Sekünder anzusehen – die Botschaft muss in 5 Sekunden
klar sein.“
A
m meisten gebucht werden von
den Brincken zufolge 10-Sekünder. Die Spots sind immer in
Nachrichten und Wettervorhersagen eingebettet – diese Idee wurde in Deutschland erstmals 1994 von Infoscreen realisiert, das seit 2004 zu Ströer gehört. Spätestens im kommenden Jahr werden die
Inhalte wohl vor allem von T-Online und
OMS, dem Digitalvermarkter der regionalen Tageszeitungen, beigesteuert werden. Beide Unternehmen hat Ströer im
Herbst gekauft. Wall hingegen setzt nur
gelegentlich auf die Unterbrechung der
Werbung durch redaktionelle Inhalte.
Die auf digitalen Medien mögliche
tagesaktuelle oder gar tageszeitaktuelle
tal Doohmakers.de gelauncht, auf dem
Interessenten nach seinen Angaben nahezu jeden davon buchen können.
Die Qualität der Bildschirme variiert
genauso stark wie die verfügbaren Netze
und Buchungsoptionen. Zudem ist das
Angebot derzeit offenkundig größer als
die Nachfrage. Ihr will Goldbach Germany, Unterföhring bei München, nachhelfen. Die Tochter der schweizerischen
Goldbach Group ist seit Anfang des Jahres auch auf dem deutschen Markt präsent. Laut Deutschland-Geschäftsführer
Winfried Karst vermarktet sie hierzulande rund 30000 Screens. Kürzlich hat
Goldbach einen Adserver installiert, der
die programmatische Auslieferung von
Spots auch in der Außenwerbung erlaubt.
Dass das Unternehmen damit zu weit vorauseilt, fürchtet Karst nicht. Er verweist
auf die Entwicklung beim Bewegtbild:
„Ein Großteil der Videospots wird heute
speziell für Out-of-Home entwickelt. Das
war vor anderthalb Jahren noch anders.“
Emotionalisieren bewegte Bilder
stärker als Standbilder und Kurztexte?
In puncto Werbewirkung lässt sich
das so pauschal nicht sagen. Auch
das klassische Plakat kann starke
Gefühle wachrufen. Was von beiden besser wirkt, hängt immer vom
Einzelfall – sprich der kreativen
Umsetzung – ab.
Eignet sich Bewegtbild besser für
erklärungsbedürftige Produkte?
Ja, denn es hat mehr Zeit zum Erklären – ob auf rationale oder emotionale Weise.
In der Regel trifft die Außenwerbung auf Passanten und Passagiere, also Menschen in Bewegung.
Können sie das ruhende Bild auf
dem klassischen Plakat nicht viel
leichter erfassen als ein Video?
Das ist so. Ein Video muss darum
die Kernbotschaft in wenigen Sekunden präsentieren, am besten
sogar in einer Sekunde. Denn je
länger es ist, umso geringer ist seine
Chance, sich wirksam zu verankern. INTERVIEW: JOACHIM THOMMES
HORIZONT 43/2015
REPORT BEWEGTBILD 51
22. Oktober 2015
Kein Weg vorbei an TV
Smartphone,
Notebook, Tablet:
Videos werden auf
vielen Devices
konsumiert.
HORIZONT hat
Agenturen gefragt,
wie sich die Mediaplanung verändert
M
it der Digitalisierung hat TV
seine Vormachtstellung verloren: Nahezu
alle Gattungen arbeiten
inzwischen mit bewegten
Bildern. Welche Auswirkungen hat die Vielzahl der
Bewegtbildkanäle auf die
Mediaplanung, welchen
Stellenwert hat TV inzwischen gegenüber Online, Mobile und Co?
Matthias Quittek, Leiter Beratung TV Pilot
Hamburg
Kirsten Nachtigall, Managing Director Carat
Deutschland
Christian Scholz, CEO Mindshare
Stefan Uhl, CEO Starcom Mediavest Group
TV war neben Kino lange das einzige
Bewegtbildmedium – das hat sich im
Zuge der Digitalisierung nachhaltig
geändert. Die Nutzung und das Angebot
an digitalen Plattformen steigt rasant.
Aber wenn wir uns anschauen, wie sich
schnell Reichweite aufbauen lässt, dann
ist TV immer noch essenzieller Bestandteil einer jeden größeren BewegtbildKampagne. Und das wird auch in Zukunft so bleiben. Zumal sich TV mit
digitalen Optionen wie Addressable TV,
HbbTV und Smart TV zunehmend
weiterentwickelt und natürlich auch
perfekt mit anderen Plattformen kombinieren lässt. Wichtig ist nur, dass die
einzelnen Kanäle gemäß ihrer jeweiligen
Stärken und im optimal aufeinander
abgestimmten Zusammenspiel eingesetzt
werden. Bei einer solchen Kampagne
geht dann auch die Rechnung 1+1=3 auf.
Für den Alltag in der Mediaplanung
bedeutet das, immer stärker verzahnt zu
denken und zu arbeiten – eine Maxime,
die wir bei Pilot schon seit Jahren leben.
Werbungtreibenden und Mediaplanern
eröffnet die neue Bewegtbildlandschaft
exzellente Möglichkeiten. Trotz schwächelnder linearer TV-Nutzung waren die
Voraussetzungen für reichweitenstarke
Bewegtbildkampagnen nie so gut wie
heute. Allerdings bedeutet dies für alle
ein Umdenken vom klassischen TV-Plan
mit wenigen Sendern und übersichtlichen Umfeldlisten hin zum konvergenten, Device-übergreifenden Bewegtbildplan. Aber gerade das intelligente
Zusammenspiel der klassischen und
digitalen Angebote macht Bewegtbildkampagnen heute noch erfolgreicher: TV
mit dem Vorteil der Kontaktstreuung
und Effizienz in breiten Zielgruppen,
Digitalvideo mit der zielgerichteten,
programmatischen Kontaktsteuerung
innerhalb der Consumer Journey, der
Möglichkeit zum Storytelling und zur
Content-fokussierten Ansprache. In
breiten Zielgruppen kommt eine reichweitenstarke Kampagne allerdings ohne
klassisches TV noch nicht aus. Aber die
digitale Konkurrenz holt rasant auf und
bindet Zuschauer über automatisierte
Playlisten und Audience Flow länger in
ihren Angeboten.
Der ausgeweitete Videomarkt ist zu
begrüßen, denn er bietet prinzipiell die
Möglichkeiten, bestimmte Segmente
zielgruppengerechter zu erreichen.
Trotzdem bleibt TV aktuell das Basismedium, wie es auch die Bruttoumsatzzahlen von Nielsen dokumentieren.
Warum ist das so? Kein anderes Medium
erzielt nach wie vor so hohe und schnelle
Nettoreichweiten wie das Fernsehen,
auch wenn diese tendenziell sinken. Die
additiven Reichweiten durch Onlinevideo konzentrieren sich vor allem auf
junge Zielgruppen. Dabei sind die additiven Reichweiten vom Volumen her
überschaubar und zum Teil nur unter
hohem Aufwand zu erzielen. Wie im TV
gibt es auch hier das Problem der Vielseher, also wenige Personen, auf die ein
großer Teil der Nutzung entfällt. Und
zum anderen haben wir eine große Nutzerüberschneidung der Kanäle TV und
Onlinevideo. Fazit: Onlinevideo kann
eine TV-Kampagne bei spezifischen (vor
allem jungen) Zielgruppen ergänzen
beziehungsweise effizienter gestalten,
eine eigenständige Alternative ist sie in
den nächsten zwei Jahren aber (noch)
nicht.
TV ist nicht mehr das einzige Medium,
das über die unschlagbare Kombination
von Bewegtbild und Audio verfügt. „The
future is about screens“ war Vision, nun
ist es Realität. Ob auf dem Smartphone,
dem digitalen OOH-Channel oder dem
Notebook: Wir sind von Bewegtbild
umgeben. Die Nutzung teilt sich dabei in
drei große Segmente: „On the go“, also
über die digitalen OOH-Kanäle – hier
muss ich versuchen, innerhalb von ein
bis zwei Sekunden meine Botschaft
anzubringen. Auf dem mobilen Device,
das heißt die Zielgruppe braucht kleine
Happen, die auch gern im eigenen Netzwerk geteilt werden. Und drittens die
Nutzung über den klassischen Fernseher.
Hier haben die großen Bilder nach wie
vor viel Kraft. Künftig wird sich die Nutzung von der „Berieselung“ des passiven
linearen TV zu einer aktiven Nutzung
von bewusst ausgewählten Live Events
(vor allem Sport) einerseits und Serien
oder Spielfilmen (die zum Teil auch der
Netflix- oder Amazon-Prime-Algorithmus für mich vorselektiert hat) andererseits entwickeln. Dafür gilt es jeweils
individuelle Strategien zu entwickeln.
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