Urlaub auf Malle
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Urlaub auf Malle
1 Eine Woche Spanien E-Book Version 4 - August 2012 Umschlaggestaltung: Steffi Infos unter: www.schnickschnackblues.de 2 Viel Ruhe in Cala Ratjada wünschen sich der schon etwas in die Jahre gekommene Autor Dieter und seine junge Freundin, als die beiden eine Flugpauschalreise nach Mallorca buchen. Eine wild gewordene Horde von tschechischen Cellisten verwüstet jedoch dort die Hotelzimmer, das bedeutet Arbeit für Sarah Sackmann. Die sexy Reiseleiterin kümmert sich auf eine ganz reizende Art und Weise um das Wohl ihrer Feriengäste. Allerdings mehr um das der männlichen ... 3 „Es ist nicht gut, dass der Mensch so allein ist. Ich will ein Wesen schaffen, das ihm hilft und das zu ihm passt.“ Gedanken eines Künstlers, die in die Tat umgesetzt wurden 4 Vorwort: Nicht jeder, der Deutsch spricht, kommt aus Deutschland, wie auch nicht jeder Amerikaner in den USA geboren wurde. Bruce Willis ist in Deutschland geboren. Sandra Bullock kam in Arlington, Virginia, als Tochter einer deutschen Opernsängerin zur Welt. Sie lebte später eine Zeit lang in Deutschland sowie in Österreich. Dieses kleine Land gehörte mal so gut wie zu Deutschland. Das war zu der Zeit, als wir Deutschen noch eroberungslustig waren und bereits mehr als 60 Jahre vor der Einführung des Euro für eine einheitliche europäische Währung sorgen wollten, koste es, was es wolle. Österreich, das Land der Berge und Täler. Früher wurde dort mit dem Alpendollar, dem Schilling, bezahlt. Doch leider nahm der Euro dem Österreicher dieses letzte Stück Nationalstolz weg. Und aus diesem Land kam auch dieser größenwahnsinnige Terminator, dieser Zerstörer, her, der die Welt erobern wollte. Das lag meines Erachtens an seinem gigantischen Minderwertigkeitskomplex, das sagt der Psychiater in mir. Mit Terminator meine ich nicht Arnold Schwarzenegger, sondern Adolf Hitler. Schwarzenegger hat lediglich die Kinoleinwände erobert und nun jobbt er in Kalifornien als Gouverneur und ruft den Notstand aus, weil es dort laufend anfängt zu brennen. Womöglich hat er die Brände selber gelegt, damit ihm sein Image als Bösewicht nicht verloren geht. Liebe Neonazis, Hitler war Ausländer und kam in Österreich zur Welt. Deshalb gelten für den deutschen Otto-Normalverbraucher alle Männer aus Österreich als gefährlich und wir sind froh, dass der Arnold sich nach den Staaten verpisst hat. Anders verhält es sich bei den österreichischen Frauen, die sind sehr beliebt bei uns in Deutschland. Dazu gehören das Wiener Freudenmädchen Josefine Mutzenbacher und die Kaiserin Sissi, gibt´s alles auf DVD. Männer schauen bevorzugt die Josefine, Frauen mehr die Sissi. Bei dieser kitschigen Romantik greifen die Damen oft zu einem Taschentuch, um sich die Tränen abzuwischen. Warum Männer bei der Josefine zum Taschentuch greifen, hat einen anderen Grund. Übrigens, Sissi, oder Sisi, war kein richtiger Vorname, sondern die Kaiserin hieß Elisabeth und streng genommen ist sie in München geboren worden. München kennt jeder, denn hier solidarisieren sich die Alkoholiker dieser Welt im Hofbräuhaus oder beim Oktoberfest. 5 Dass Nachbar Österreicher dazu neigt, Dinge in Brand zu stecken, hatte schon Niki Lauda 1976 eindrucksvoll in der Eifel bewiesen. Zum Glück ist er mit einem blauen Auge und einem verbrannten Öhrchen davon gekommen. Es hätte schlimmer enden können, dann läge der gute Niki nun bereits in einem von Enzo Ferrari gesponserten Holzpyjama, so nennt der Österreicher liebevoll den Totensarg. Tja, der Österreicher hat halt den Humor. Für die deutsche Frau mit Sinn für Humor ist nach der Geburt von Mario Barth und dem Tod von Heinz Erhardt das herzhafte Lachen doch schon lange vergangen. Was den Krieg betrifft, so haben wir Deutschen uns gebessert und wollen nichts mehr davon wissen. Denn wer zwei Mal hintereinander heftig einen verloren hat, der hat keine Lust mehr darauf. Trotzdem ist es uns nach dem Untergang des Dritten Reiches gelungen, auch ohne militärische Invasion einen Fleck auf der Landkarte zu besetzen, wo mittlerweile alles deutsch geworden ist und wo man nicht lange nach Weißbier, Schweinshaxe und Sauerkraut suchen muss, weil es dies alles an jeder Ecke gibt. Diesen Fleck findet man im Mittelmeer, ich spreche von der Insel Mallorca. Der Führer hätte besser mal in die Touristikbranche investieren sollen, anstatt in die Rüstungsindustrie, um seinen Traum vom Großdeutschen Reich zu verwirklichen. Durch den Massentourismus wurde der Spanier zur Minderheit auf der Insel gemacht. Der sprachliche und kulturelle Identitätsverlust begünstigte die Verbreitung des deutschen Lebensstils. Deutschland, das Land der Dichter und Denker. Wundern Sie sich bitte nicht, wenn Sie bislang nur Schlechtes von mir gelesen haben. Elvira Frankenheim ist für einen Schriftsteller ungefähr das gleiche wie das Pseudonym Alan Smithee für einen Filmregisseur, der seinen richtigen Namen nicht mit dem Werk in Verbindung bringen möchte. Deshalb erwarten Sie von meinen Texten bitte nicht etwas in Richtung Goethe oder Schiller, nein, erwarten Sie alles, bloß kein Niveau! Denn ich orientiere mich eher an Charles Bukowski, und Hank kam bekanntlich in einer kleinen deutschen Stadt am linken Ufer des Rheins zur Welt. Und außerdem, wenn Sie mit dieser Geschichte nichts anfangen können, geben Sie dieser unlustigen Ziege von Lektorin die Schuld, die hat die besten Stellen streichen lassen. Eines muss ich der Frau Lektorin aber lassen, wenn sie behauptet: Satire ist im Grunde eine ziemlich ernste Angelegenheit. Und damit hat sie recht. 6 Haben Sie die Bibel gelesen und den Stoff verinnerlicht? Das ist nämlich auch eine sehr, sehr ernste Angelegenheit. Denn es gibt nur zwei Möglichkeiten, wo Sie am Ende aller Dinge landen werden; im Himmel oder in der Hölle. Lektüre, die nicht in Einklang mit der Heiligen Schrift steht, ist äußert ungesund für den Menschen. Glauben Sie mir! Das Wesentliche vom Unwesentlichen unterscheiden, darauf kommt es an. Also nicht auf den Schreibstil der Bibel, sondern auf ihre Botschaft. Gott ist gut, aber der Mensch ist böse. Zuerst war die Sünde, und dann erst kamen die Probleme für den Menschen. Jesus Christus hat uns durch sein Blut von unseren Sünden erlöst. Jesus Christus, der Herrscher über die gesamte Schöpfung, das Alpha und das Omega. Glauben Sie mir! Alpha ist der erste Buchstabe des griechischen ABC´s, Omega der letzte. Elvira Frankenheim 7 Düsseldorf, 5. Mai 2009 - 3.55 Uhr Jesus Christus, der ist vom Teufel besessen! Mit 95 Sachen durch die geschlossene Ortschaft. Zum Glück hab ich meinen Personalausweis gerade in meiner Handtasche gefunden, denn vor zehn Sekunden wollte ich noch „Kehren Sie um!“, zum neuen Michael Schumacher schreien. Unser in Anatolien geborener Taxifahrer stinkt zu allem Übel noch heftig nach Rasierwasser von Atatürk, das mit Knoblauch. Na fabelhaft! Dieter sitzt vorne und döst ´ne Runde. Es ist kurz vor vier morgens. Zu dieser unchristlichen Zeit zwitschert weder Nachtigall noch Lerche, nur einige wenige Mädels werden noch am Zwitschern sein. Beim Vögeln mit ihrem Lover oder mit ihrem rechtmäßigen Ehemann. „Wenn du verheiratet bist, dann wird weniger gevögelt, dafür um so mehr gezankt“, warnt mich meine ältere Schwester immer. Ja, meine Schwester. Die hatte sich rührend um mich gekümmert, nachdem unsere Mutter an einer heimtückischen Krankheit gestorben war, das kam alles sehr unerwartet für uns. Ich war damals acht, sie vierzehn. Es war ein schwerer Schock für uns alle gewesen, besonders mein Vater litt schwer darunter. Für ihn gab es in dieser Krise keinen Sinn des Lebens. Er trank in einem Monat mehr Alkohol als Charles Bukowski in seinem ganzen Leben und verlor dadurch seinen Job. Zwei Jahre nach dem Tod meiner Mutter mussten wir unsere alte Wohnung verlassen und zogen in eine preiswertere mitten in einer Betonsiedlung. Die Menschen dort waren verstrickt in vielerlei Süchte und kämpften mit den Zigaretten, dem Alkohol, den Drogen, mit der Spielsucht und der Unzucht. Dieses Milieu hatte meine Schwester geprägt. Die war nun wie eine Mutter zu mir. Als sich bei mir die Brüste entwickelten und ich langsam zu einer Frau wurde, warnte sie mich vor dem Rauchen, dem Alkohol und vor Jungs. All die Dinge, für die sie in ihrer Teenagerphase berüchtigt gewesen ist. Was Jungs betrifft, so war meine Schwester mal ganz kurz mit einem kleinen Ganoven zusammen, den sie alle nur Desaster Detlef nannten, weil er eine Koryphäe in Sachen Unglück war. Alle krummen Dinger, die er versuchte, gingen schief. Detlefs Wortschatz war nicht sehr groß, er beinhaltete gerade mal knapp fünfzig Wörtern, wobei ein Drittel davon umgangssprachliche Verben für den Geschlechtsakt waren. Darüber hinaus bestanden seine Sätze meist nie mehr als aus zwei Wörtern, wie zum Beispiel: Ein Bier in der Kneipe, Zwei Brötchen beim Bäcker oder 8 Drei Hamburger bei McDonalds. Da er dauernd pleite war, sagte er immer Nächste Woche zu seinem Vermieter, Hände hoch im Laden an der Ecke und Nicht schuldig vor Gericht. Desaster Detlef hab ich übrigens nie persönlich kennen gelernt, nur seine Storys sind mir wohl bekannt. Schon damals war er eine lebende Legende, seine Grammatik genauso lückenhaft ist wie sein Gebiss. Ja, meine Schwester. Mein Freund passt nun auf mich auf. Wir beide fahren in Urlaub, um endlich mal eine ganze Woche etwas Gemeinsames zu erleben, weil wir noch nie das Glück hatten, länger als ein Wochenende zusammen zu verbringen. Außerdem haben wir letzte Nacht in der Kiste dermaßen vorgelegt, dass ich mich davon sieben Tage richtig gut erholen muss. Dieter ist ein prima Lover. Als er mir an seinem Geburtstag zum ersten Mal den Slip heruntergerissen hat, vor drei Monaten war das, dachte ich, jetzt kommt die schnellste Nummer deines Lebens. Hier wurde ich eines Besseren belehrte. Bereits sein Vorspiel war so prickelnd, wie ich es vorher nie im Bett erlebt hatte. Weder Potenznoch Prostataprobleme scheinen ihm Schwierigkeiten zu bereiten, bei Männern um die Fünfzig sicher eine Seltenheit. Aber Erfahrungen mit Liebhaber, die doppelt so alt sind wie ich, hatte ich bisher noch nicht gesammelt. Bei Dieter zeigen sich erste graue Haare, die verstärken angeblich den Charakter. Mein Vater lässt immer einen weisen Spruch vom Stapel: Der wahre Charakter eines Menschen zeigt sich erst, wenn jemand auf die Probe gestellt wird. Der Taxifahrer fragt mich, ob ich Musik aus seiner Heimat hören möchte. Unüberlegt sage ich zu. Das Gedudel ist schrecklich, dazu singt der noch, zumindest versucht er es, diese Nervensäge. Mein Schatz zeigt sich wieder als die Ruhe in Person und döst unbeeindruckt weiter. Als das Lied zu Ende ist, verrät mir der chaotische Karaoke-Amateur, seinem Schwager gehört die Imbissstube Istanbul, dort gibt es den besten Döner Kebab in der ganzen Düsseldorfer Altstadt. Den Spruch hat er aus amerikanischen Spielfilmen geklaut, allerdings geht´s da immer um die besten Hamburger in der ganzen Stadt, auch wenn es sich nur um ein verschlafenes Provinznest handelt, häufig im texanisch-mexikanischen Grenzgebiet. Der Fremde, der das Restaurant betritt, jagt entweder einen entflohenen Sträfling, ein Alien oder ist einem Umweltskandal auf der Spur. Oder er ist der entflohene Sträfling. 9 Unser Chauffeur wechselt in einem Tunnel auf die linke Spur, weil er ein Überholmanöver startet. Bei seinem Schwager werde ich wohl kaum einen Happen essen, ich ziehe Sushi als auch Gerichte mit Curry vor. Wer kann schon sicher sagen, dass seine Speisen die besten sind? Was mich bei der Ratesendung Wer wird Millionär? mit Quizmaster Günther Jauch immer zum Schmunzeln bringt, ist Günthers folgende Frage: Zu wie viel Prozent sind Sie sich sicher? Ha! Entweder bin ich mir sicher oder nicht! Dazwischen liegt bei mir nichts. Oder doch? Ein bisschen schwanger gibt´s auch nicht, oder? Wenn jemandem alle vier Antworten spanisch vorkommen, und er entscheidet sich für eine, dann müsste er sich im Grunde genommen zu 25 Prozent sicher sein. Ich weiß nicht, wie die alle auf ihre 10, 20, 30 Prozent und so kommen, keine Ahnung. Na ja, Mathematik war, im Gegensatz zu shoppen gehen und Mangas zeichnen, noch nie so richtig mein Ding. Das Leben ist ganz schön kompliziert, und mit binomischen Formeln wird´s einfach noch komplizierter, findet ihr nicht? Die Menschen wissen heute immer mehr, aber die Probleme dieser Welt sind dadurch nicht weniger geworden. Wir sind am Terminal angekommen. Dieter darf den Taxifahrer bezahlen. Vor acht Jahren ist mein Vater mal nach Venedig geflogen, in einem Billigflieger. Die anschließenden dreizehn Meilen Taxifahrt zur Stadt war teurer als der Hin- und Rückflug zusammen. Dieter muss die 35 Euro Taxifahrt bezahlen, weil wir gestern Abend darum geknobelt haben und einer kann dabei nur gewinnen. Pech für ihn, Glück für mich! Für das gesparte Geld kauf ich mir im Urlaub was Heißes zum Anziehen, geil!!! Hand aufs Herz, wir Frauen haben doch alle diesen Klamotten-Tick. Und alles Haben-Wollen wäre noch besser. Na ja, warum nicht gleich ein kleines Häuschen im Grünen mit Garten und Obstbäumen, ich will Kirschen. Habsucht hin, Habsucht her. Aber wer träumt nicht davon? Dieter ist es übrigens egal, wie viel ich für Kleidung ausgebe, mein Modebewusstsein wäre ganz nett, er schätzt meinen tollen Geschmack. Mein Vater hat, als ich noch jünger war, oft geschimpft, wenn ich mein ganzes Geld für Klamotten verjubelt hatte. Er hielt nix von meinem Modebewusstsein. Die Menschen sollten besser mal ein Gottesbewusstsein entwickeln und warnte andauernd vor der Habsucht. Mein Vater ist Christ geworden, nachdem er seine Krise nach dem Tod meiner Mutter überwunden hatte. Und der Glaube an Jesus Christus hat ihn vollkommen verändert, natürlich nur zum Positiven. Er konnte in seinem Beruf wieder Fuß fassen 10 und ist nun ein sehr erfolgreicher Unternehmer. Geld für Alkohol gibt mein Vater keins mehr aus, stattdessen unterstützt er finanziell Projekte für hilfsbedürftige Menschen. Es macht ihm Spaß, anderen zu helfen. Mein Vater ist Christ und seiner Ansicht nach stinkt es in vielen Kirchen gewaltig nach religiöser Heuchelei. Da finden sich zum Beispiel Menschen, die das Wort Gottes lesen, hören, predigen, aber es nicht befolgen und somit keinen Nutzen daraus ziehen. Warum jammert ein Christ? Warum suhlt ein Christ sich in Selbstmitleid? Entscheidend ist, wie ein Gottesdienstbesucher sich verhält, wenn er nicht gerade in der Kirche ist. Ein richtiger Christ genießt sein Leben, egal, wo er sich aufhält. Solche Menschen sind voller Freude und das ist ein Zeichen, dass der lebendige Gott Jesus Christus in ihm wohnt, sagt mein Vater immer. Ähnlich verhält es sich bei Karnevalsjecken. Zur Saison sind sie auf Kommando lustig, aber den Rest des Jahres können es ziemlich ungemütliche Zeitgenossen sein. Mit dem türkischen Rasierwasser wird unser Fahrer keine Frauen anziehen können, aber vielleicht ist das gerade der Sinn. Schnell raus aus dem Wagen, der Geruch ist schon ein wenig penetrant, und erst mal einchecken und so. Das kann dauern. „Hoffentlich zeigen die im Flieger nicht wieder die Mr Bean Folge beim Zahnarzt“, sagt mein Schatz zu mir, als wir uns am AIRBERLIN Schalter anstellen. Mit dieser Gesellschaft ist Dieter schon des Öfteren nach Mallorca geflogen. Und mit meinem Dentisten hatte ich lange kein Rendezvous mehr, fällt mir dazu ein. Ich sollte ihm nach meinem Urlaub einen Besuch abstatten. Von einer solchen netten Kapazität von Doktor, der dazu noch atemberaubend aussieht, lasse ich mir jedes Mal mit Freude die virtuose Anwendung von Zahnseide beibringen. Haare auf den Zähnen hab ich keine, aber dafür Dieter um so mehr. Eigentlich ist der in vieler Hinsicht das genaue Gegenteil von mir, schon optisch. Wenn ich mir die richtigen Klamotten anziehe, dann sehe ich dermaßen scharf aus, das sollte einen Novizen, der in einen Orden eintreten möchte, dazu veranlassen, diesen Schritt neu zu überdenken. Nun gut, Eitelkeit hin, Eitelkeit her, wir Mädels machen uns doch gerne für Männer schick. Wir Mädels wollen doch gerne im Mittelpunkt stehen, oder nicht? Wir Mädels genießen es doch, wenn sich alles nur um uns dreht. 11 Was die Optik betrifft, so könnte Dieter hingegen keinen Blumentopf bei einem Schönheitswettbewerb gewinnen. Und wer auf wortkarge und mürrisch dreinschauende Typen steht, der sollte sich meinen Schatz mal morgens vor seiner dritten Tasse Kaffee ansehen. Nun gut, jedoch war The Beauty and the Beast schon immer ein Klassiker gewesen. Dieter meint, die beste Waffe eines Mannes ist die Attraktivität seiner Frau. Mein Vater macht mich heute noch darauf aufmerksam, dass meine Schönheit vergänglich ist, nur eine gottesfürchtige Frau erhält ihren Lohn. Akustisch wiederum ist mein Romeo wesentlich auffälliger als ich es bin, aber es gibt auch Ausnahmen. Morgens vor der dritten Tasse Kaffee und beim Sex, da werde ich recht laut. Oder wenn ich auf der Theaterbühne stehe. Das ist ebenfalls mein Ding - Theater spielen! Dieter wohnt in einer Stadt am Rhein, wo sich triumphale Siege der Handballmannschaft und Störfälle eines bekannten Chemiewerkes in etwa die Waage halten. Sie kommen, zum Glück oder leider, selten vor. Bekannt wurde diese Stadt Mitte der Neunziger Jahre, als irgend so ein Komiker an einem Badesee sein Krokodil verloren hatte, was damals bundesweit für Schlagzeilen sorgte. Ich kenne Dieter seit fünf Jahren. Er suchte übers Web eine Zeichnerin und fand mich. Zufall? Schicksal? Göttliche Fügung? Gott hat überall seine Finger mit im Spiel, belehrt mich mein Vater heute noch. Das könnte man auch Schicksal nennen, Zufall ist nichts anderes als ein Synonym für den Allmächtigen. Die ersten vier Jahre kommunizierten Dieter und ich ausschließlich übers Internet und Telefon. Auf der Arbeitsebene haben wir uns von Anfang an gut verstanden. Für seine verrückten Bücher durfte ich die Coverfiguren zeichnen. Seine Ideen grafisch umzusetzen, bereitete mir viel Spaß und gab mir Bestätigung, denn Dieter war äußerst zufrieden mit meiner Arbeit. Wir ergänzten uns, und so ist das auch geblieben. Apropos verrückt. Dazu fällt mir ein interessanter Spruch von Dieter ein, der wie folgt lautet: Die höchste Form des Glückes ist ein Leben mit einem gewissen Grad an Verrücktheit. Ziemlich krass was, oder? Von einigen Ticks abgesehen, halte ich mich für relativ normal. 12 Letztes Jahr im Juli hatte Dieter etwas in Osnabrück zu erledigen und wir nutzen diese Chance, um uns endlich mal in die Äuglein zu schauen. Bei diesem ersten Treffen in einem Restaurant zog er mich sofort magisch an. Zur Begrüßung wurde ich überhäuft mit Komplimenten, die charmant, witzig und einfallsreich waren. Ich kam auf meine Kosten, er kam auf seine Kosten. Sein Selbstbewusstsein gab mir Sicherheit, ich fühlte mich in seiner Anwesenheit geborgen, er wurde mir sympathisch. Wir respektierten uns. Ach ja, bevor ich´s vergess. Später gingen wir noch in eine Disco, wo wir auf Freunde von mir trafen. Dieter gab zu dröhnender Punkmusik auf der Tanzfläche einen Pogo zum Besten, knickte dabei aber blöde mit dem Fuß um. Eine Freundin von mir fuhr ihn dann netterweise mit ihrem Auto in sein Hotel. Mitte Oktober trafen wir uns zum zweiten Mal, wieder kam er nach Osnabrück. Beim dritten Treffen an seinem Geburtstag bei ihm zu Hause war es endlich an der Zeit, unsere Beziehung zu vertiefen. Wir stellten fest, dass wir beide unterhalb der Gürtellinie fantastisch zusammenpassen. Die Schlange vor der Fluggastkontrolle ist nicht lang. Dieter legt sein Handgepäck zum Durchleuchten in eine Kunststoffschale. Alles, was ich in Verbindung mit Metall bringe, kommt zunächst in meine DesignerHandtasche. Die kleine Uhr, die Halskette und das Goldene Blatt. Das Täschchen tue ich in die Schale und schiebe diese aufs Fließband. Mit beiden Händen hält Dieter sich die Ohren zu, so spaziert der vor mir durch den türlosen Rahmen. Ein akustisches Signal ertönt keins. Ich folge ihm und hoffe, die Metalldetektoren sprechen nicht auf mein Bauchnabelpiercing an, an das ich nicht mehr gedacht habe. Sie tun es zum Glück nicht. Dieter nimmt mich in Empfang und legt seinen rechten Arm um meine Schulter. „Alles Okay?“, will er komischerweise nicht von mir, sondern vom Sicherheitsbeamten wissen, der nur wortlos nickt. „Wie ist ihr Name Soldat?“ lautet seine nächste Frage. Aber zum Glück hat Dieter vorher seinen Kopf zu mir gedreht, damit es den Anschein hat, er würde mit mir reden. Nach einem Schmatzer auf meine Wange nimmt er seinen Arm weg von mir. Ich bin wieder frei und hole rasch Emporio Armani vom Röntgen ab. Der Beamte wird den Spruch mit dem Soldaten nicht mitgekriegt haben, denn der reagiert gar nicht darauf. Unüberhörbar ist jedoch ein Scheich, der beschallt mit seinem Handygespräch die Halle. Der wird sicher Richtung Mekka fliegen. Neben ihm steht ein voll in schwarzen Stoff gehülltes Wesen - seine Gattin? Die Stimme des Scheichs wird immer 13 lauter, immer aggressiver. Entweder schimpft er mit seinem Vater, einem seiner sechs Brüder, seiner Schwester, seinem Schwager oder mit einer seiner 33 Schwägerinnen. In und um Mekka herum werden die Ehen noch arrangiert, und so kann er sich zumindest bei seinen Eltern beschweren, wenn das Weib Ärger macht. Oder er heiratet noch ein paar Frauen dazu. Konkurrenz belebt das Eheleben. Im Handyterror des Wartebereiches suchen wir uns flink ein ruhiges Plätzchen. Ich pack dort meine Zeitschrift aus, während Dieter sich um Kaffee kümmert. Als er mit zwei Bechern zurückkommt, wundert er sich. „Seit wann liest du das Goldene Blatt, Zaubermaus?“ Die hab ich mir gekauft, weil ein Artikel über Bruce Willis drin steht, deshalb! „Die hat mir meine Oma vererbt“, scherze ich. Mein Lover ist neugierig geworden. „Eine bessere Ausrede fällt dir nicht ein?“ „Na gut, um ehrlich zu sein. Ich hab sie mir nur gekauft, weil ... weil die was über Lady Gaga ... Lady Di geschrieben haben“, lüge ich und laufe immer mehr im Gesicht rot an. Aber eine Frau muss ihre Geheimnisse hüten, so bleibt sie ewig interessant für den Mann. „Ich schreib bald einen Artikel über die Seitensprünge prominenter Reitlehrer in königlichen Reitställen“, spricht mein geliebter Autor und grinst mich an. Wer die Geschichte um Lady Di kennt, weiß, wie desillusionierend dies alles für die Leser der Regenbogenpresse gewesen sein muss. Erst Traumhochzeit, dann Scheidung und ganz am Schluss ein mysteriöser Tod. Ist die heile Welt nur eine Illusion? Als der Flug nach Palma aufgerufen wird, springt Dieter auf, packt zärtlich mein rechtes Händchen und zieht mich mit den Worten „Du bist meine Zaubermaus, mein Ein und Alles“ sanft aus dem Sitz. Wie höflich, wie zuvorkommend. Gähnend stakse ich Händchen haltend mit meinem Kavalier zum Boarding-Gate. Zehn Minuten später sitze ich im Flugzeug auf dem Fensterplatz 12 F. Zu meiner rechten befindet sich das Bordfenster, zu meiner linken ein toller und erfahrener Mann. 14 5. Mai 2009 - 5.30 Uhr Neben meinem Süßen pflanzt sich einer mit längeren, ungepflegten Haaren. Dieser schmächtige Typ trägt ein schwarzes T-Shirt über seinen Jeans und ich schätze ihn auf Anfang dreißig. Dieter dreht sich zu mir und flüstert mir ins Ohr: „Boah, der Freak duftet voll nach Bukarester Bahnhofstoilette, riechst du das auch?“ „Zum Glück noch nicht“, und ich ziehe ein paar Mal mein Näschen hoch. Wo liegt noch mal Bukarest? Ist das nicht die Hauptstadt von Bulgarien? Nein, die hieß doch Budapest, oder? Jetzt riecht es doch ein wenig merkwürdig. Dieter wird von seinem Nebenmann angesprochen, der wohl in den letzten drei Tagen kein Rendezvous weder mit einer Dusche noch mit ´nem Rasierapparat gehabt haben wird. „Wo fliegt denn der Vater mit seiner Tochter denn hin?“ werden wir gefragt. „New York? - Rio? - Tokio?” Der Bursche grinst und zeigt dabei sein Gebiss, welches in den letzten 30 Jahren kein Date mit einer Zahnbürste gehabt haben wird. Gegen meine makellosen Zähnchen sind seine das reinste Kariesimperium. Dieter schaut mich verwundert an. Ohne eine verbale Reaktion von uns abzuwarten, stellt er, schneller als ein Politiker lügen kann, plötzlich eine neue Frage. „Soll ich euch mal einen Witz erzählen?“, fragt der Typ nun und fängt schon wieder sofort an. „Hab ich mal in Italien gehört. Hört zu, ein Pastor und ein rabiater Busfahrer, der für seine waghalsigen Fahrstil bekannt war, stehen nach ihrem Tod vor der Himmelstür. Da sagt Petrus zum Pastor. „Tut mir leid, du kommst ich nicht rein, aber Enzo darf rein.“ Der Geistliche ist empört und fragt nach dem Grund. „Tja, lieber Herr Pastor, bei deiner Messe, da haben alle nur geschlafen, aber bei Enzo im Bus, da waren alle am Beten.“ Ich muss schmunzeln, der Stinker ist nicht gerade unwitzig. „Ich bin übrigens Karl-Heinz“, stellt sich der Pausenclown uns vor. „Ihr könnt auch Kalle zu mir sagen.“ Wir verraten ihm darauf unsere Vornamen. Mit Kalle nach Malle, das passt ja irgendwie! Alle Passagiere sind jetzt an Bord und eine Stewardess, die was Besonderes sein muss, gibt uns die Sicherheitsbelehrung. Die was Besonderes sein muss heißt Marina und spricht mit einem osteuropäischen Akzent. Karl-Heinz meint zu uns: „Wisst ihr, wie die sich anhört? Wie Teresa Orlowski. Ihr wisst, wen ich meine?“ „Wer war das noch mal?“ frag ich und hab wirklich keine Ahnung. „Eine ehemalige Porno-Produzentin, die war auch Darstellerin“, antwortet Dieter. „Hey super. Du bist wirklich voll der Checker“, stellt Karl-Heinz mit Begeist15 erung fest und witzelt weiter: „Wenn diese Queen of Hardcore an Bord wäre, würde die sicher sagen: Die Gummipuppen befinden sich unter dem Sitz. Blasen sie diese bitte erst nach dem Verlassen des Flugzeuges auf. Zur Stimulation zeigen wir ihnen heute einen erotischen Film aus meinem Programm. Bei Potenzproblemen servieren wir ihnen die Getränke auf Wunsch mit Viagra. Es wird dann der Moment folgen, wo man zollfrei das neue Rasierwasser von Lindsay Lohan kaufen kann.“ „Seit wann brauchen Frauen Rasierwasser?“, will Dieter wissen und ich bin neugierig auf Karl-Heinz Antwort. „Nach der Intimrasur, natürlich.“ „Ja, komm jetzt, ist gut“, unterbricht Dieter ihn und fängt an zu grinsen. „Welchen Ort machst du denn auf der Insel unsicher?“ „Weiß ich selber noch nicht, ich hab ´ne Roulette-Reise gebucht. Und ihr?“ „Cala Ratjada ...“ Der Kapitän stellt sich vor und gibt die Flugzeit mit einer Stunde und fünfundfünfzig Minuten bekannt. Das sagen die jedes Mal immer so sicher, als ob nichts passieren könnte. Angenommen, wenn ein total durchgeknallter Günther Jauch mit einer Handgranate in den Fingern und dem Koran unterm Arm sich auf diese Weise Zugang zum Cockpit verschaffen würde, dann wäre ich aufs Äußerste gespannt, ob wir überhaupt irgendwo sicher landen würden. 5. Mai 2009 - 6.30 Uhr Wir sind bereits etwas über eine Viertelstunde in der Luft. „Auf der rechten Seite befindet sich Paris“, teilt uns der Flugkapitän mit. Ich seh nur eine Decke aus Wolken, selbst die Spitze des Eiffelturmes ist nicht zu erkennen. Für eine Million Euro wäre die Frage nach der Höhe des Turmes ein wenig zu einfach. Das exakte Gewicht zu erraten hingegen wäre wesentlich schwieriger. Das interessiert uns Frauen sowieso mehr, das Gewicht. Insbesondere Kitty, meine beste und leicht übergewichtige Freundin, die am liebsten zwischen den Mahlzeiten isst. Kitty verfeinert all ihre Lieblingsspeisen mit Schokoladensoße. Meine Güte, und quatschen kann die ohne Ende. Das mollige Plappermaul heißt richtig eigentlich Michaela Kittner. Sie hat ihren Kosenamen also ihrem Familiennamen zu verdanken. Wir kennen uns seit ungefähr drei Jahren durch die Theatergruppe. Kitty steht nicht nur auf der Bühne, sondern souffliert manchmal auch. Sie hatte vor drei Tagen ihren 24. Geburtstag und ist durch ein großzügiges Geldgeschenk ihrer Mutter nun jederzeit in der Lage, sich eine Last-Minute-Pauschalflugreise zu gönnen. Sie wird mich sofort ansimsen, sobald sie etwas festgemacht hat. Sollte sie ebenfalls nach Mallorca fliegen, könnte ich mich mit ihr treffen. Dieter 16 hat Kitty einmal kennen gelernt, und zwar an diesem Abend in der Disco, wo er sich den Fuß verknackst hatte. Ich glaub Kitty war´s sogar, die den Verletzten sicher zum Hotel chauffiert hat. Ist Frankreich größer als Deutschland, Herr Jauch? Wir sollten den Franzosen das Saarland zurückgeben. Dafür bekommen die Spanier den französischen Teil des Baskenlands, das dann endlich komplett ist und unabhängig wird. Spanien ist den ETA-Terror los, das Volk atmet auf und wir erhalten dafür als Dank Mallorca als neues deutsches Bundesland. Erster Ministerpräsident auf der Sonneninsel wird dann keinesfalls Müntefering oder Gysi, sondern Bodo Ballermann. Karl-Heinz bewertet das von Marina servierte kalte Putenbrust-Sandwich mit vier Spucktüten. Dafür lobt er die hübsche Visage sowie die Oberweite der Stewardess. Diese Lutschglocken, so Karl-Heinz, wären das genaue Gegenteil einer Hühnerbrust. Karl-Heinz erzählt uns, wo er herkommt. Aus Gelsenkirchen. Karl-Heinz erzählt uns, wo sein Lieblingsplatz ist. Im Fußballstadion. Karl-Heinz erzählt uns, wo sein Lieblingsplatz nach Mitternacht ist. Unter der Theke. Weil er sich mit Bier die Wunden ausspült, die ihm das Leben geschlagen hat. Weil er noch nicht seine Traumfrau gefunden hat, darum. Warum betrinken sich die Leute, wenn ihre Wünsche nicht in Erfüllung gehen? Dann erzählt uns Karl-Heinz noch, was er bald gerne tun würde. Auswandern, um endlich sein Glück zu finden. Goodbye Deutschland? Warum bleibt er nicht in seiner Heimat? Wenn der mal richtig geputzt und gepflegt werden würde, hätte er dort gute Chancen, eine passende Partnerin zu finden. Mein Vater sagt immer, wer zu Hause nicht glücklich ist, der wird es auch nicht woanders. Oder anders ausgedrückt: Das Gras auf der anderen Seite ist nicht grüner. Das weiß auch der Psychiater in mir. Bei Unglücklichen stimmt nämlich die innere Einstellung nicht. In der Fremde gibt es vieles Neues zu entdecken. Und von neuen Dingen oder neuen Personen ist man schnell begeistert, aber oft hält diese Begeisterung nicht lange an, sie ist wie ein Strohfeuer. Dass, von dem mein Vater ewig begeistert sein wird, ist der Retter der Menschen, der Gott des Lebens und der innerlichen Erneuerung. Und weil mein Vater von Jesus Christus so begeistert ist, muss er auch allen anderen Menschen davon erzählen. Jesus verändert die Menschen von innen und schenkt ihnen so eine neue Persönlichkeit, sodass sie glücklich werden. Ja, wer kennt sie nicht, die Suche nach dem passenden Partner, der bei uns Mädels immer 17 Mr Right genannt wird? Mein Vater sagt immer, Mr Right ist der, den man vor 2000 Jahren ans Kreuz geschlagen hat. Und in den muss man sich zunächst verlieben. Der Mensch kann nichts über Gott stellen, das wäre Götzenverehrung. Ich finde, wer einen Partner sucht, damit er glücklich wird, hat die falsche Einstellung. Genau umgekehrt ist es richtig, man muss seinen geschätzten Partner froh und zufrieden machen. Wer sich selbst nicht liebt, kann auch niemand anderen mit Liebe anstecken. Wer sich schon mal die Frage gestellt hat, warum sich stinkreiche Menschen, die so viel Geld besitzen, auf das andere heiß sind, das Leben nehmen, dazu kann der Psychiater in mir eine Antwort geben. In solchen unglücklichen Menschen herrscht ganz einfach eine innere Leere, ihnen fehlt der lebendige Geist. Palma liegt an der Südwestküste und ist die Hauptstadt von Mallorca. Palma ist eine lebendige Großstadt mit vielen architektonischen Juwelen, allen voran die dominierende gotische Kathedrale La Seu. Das Zentrum der Stadt bildet die historische Altstadt, und schöne Farbtupfer dort bilden die zahlreichen Jugendstil-Häuser. Gleich neben der viel befahrenen Hauptstraße am Hafen verläuft eine tolle Promenade zum Bummeln und Fummeln, Sehen und Gesehenwerden, Fressen und Gefressenwerden. Nachtschwärmer können sich hier amüsieren, denn hier finden sich die meisten Cafés, Bars und Restaurants der Stadt. 5. Mai 2009 - 8.05 Uhr Niemand applaudiert, nachdem wir ohne Probleme gelandet sind. Niemand hat für den Piloten Geld gesammelt, so wie es bei Busfahrten üblich ist. Beim Erreichen der Parkposition werden Handys aus allen erdenklichen Taschen gezaubert und flink eingeschaltet. Ich mach es nicht anders. Das Display zeigt mir eine neue SMS an, und die ist von meinem Mobilfunkanbieter, der mich auf seine günstigen Auslandstarife aufmerksam macht. Wir verlassen alle den Flieger. Karl-Heinz wünscht uns einen schönen Urlaub und verschwindet auf dem nächsten Klo. Wir reihen uns in das Heer der Touristen ein und schieben uns zur Gepäckausgabe. Lange müssen wir nicht warten, bis wir unsere Gepäckstücke entdecken, nur Karl-Heinz entdecken wir nirgends mehr. Am Ausgang der Ankunftshalle wartet bereits eine Dame vom Reiseveranstalter Meckermann auf uns. „Sie haben Glück, dass sie nicht gestern angereist sind“, meint sie zu uns. „Bei dem verheerenden Unwetter mussten teilweise die Flüge nach Ibiza 18 umgeleitet werden, weil dieser Flughafen gesperrt war.“ Die Dame teilt uns die Nummer vom Bus mit, wünscht einen schönen Urlaub und drückt mir flink noch ein Exemplar der Ferienzeitung Mallorca aktuell in die Hand. Draußen stößt Dieter leicht mit einem jungen Engländer zusammen, dem vor Schreck die Dose San Miguel aus der Hand fällt. Das auslaufende Bier bildet schnell auf dem Boden eine schäumende Pfütze. Der Brite guckt Dieter böse an, so wie mein Vater früher, als ich ihm meine vermasselten Mathearbeiten vorlegte. „Sorry“, entschuldigt sich Dieter und drückt ihm schnell eine 2-Euro-Münze in die Hand, um ihn zu beruhigen, damit er sich ein neues Lunchpaket kaufen kann. „Scheiß Ausländer!“, meint er dann zu mir, als der Typ außer Reichweite ist. Eine Dose Bier in der Hand gehört hier auf Mallorca für den englischen Touristen genauso zur Grundausrüstung wie damals die Winchester eines Siedlers, der sich aufmachte, den Westen der USA zu erschließen. Das Wetter ist heute am Morgen typisch deutsch, kühl und leicht regnerisch. „Kalt in Deutschland“, stellt Dieter fest und wir schleppen unser Gepäck zum Bus. Drei Mädels stehen auf dem Parkplatz rum und fragen ihre Handys ab. Dem Gesichtsausdruck nach zu urteilen, hat die kleine Blonde im kurzen Jeansrock gerade per SMS die Kündigung von ihrem Freund erhalten oder sie kann sich nicht für das Wetter begeistern, weil in der Heimat die Sonne lacht. Der Busfahrer möchte unser Hotel wissen, um meinen Koffer und Dieters Reisetasche strategisch optimal im Laderaum zu platzieren. Wir müssen eine halbe Stunde warten, bis endlich alle da sind und der Bus losfährt. Von Karl-Heinz fehlt jede Spur. Wo seine Reise hingeht, wissen wir somit nicht. Der Transfer kann dauern, je nachdem, an welchen Ferienorten und Unterkünften unterwegs der Busfahrer die Urlauber alle rausschmeißen muss. Cala Ratjada liegt im Nordosten von Mallorca. Der Ort mit seinem zauberhaften Hafen ist ein beliebtes Ferienziel und verfügt über fünf ausgezeichnete Strände. Dort kann man gut seinen Rausch ausschlafen und gleichzeitig sonnen. Manche Touris mit viel Alkohol im Blut liegen auch bis tief in die Nacht dort. In Cala Ratjada ist es erfolgreich gelungen, den Ort in seiner Ursprünglichkeit zu erhalten. Die attraktive Uferpromenade oberhalb der Felsküste wird gerne von rücksichtslosen Radfahrern genutzt, um friedliche Spaziergänger in Angst und Schrecken zu versetzen. Jeden Samstag bietet sich dem Urlauber auf dem 19 Wochenmarkt von Capdepera die Gelegenheit, seine Geldbörse von geschickten Dieben aus der Tasche ziehen zu lassen. Kriminelle gibt´s halt überall. 5. Mai 2009 - 10.35 Uhr Wir sind da! Das ist also unsere Bleibe mit 92 Prozent Weiterempfehlung. Nun ja, von außen hat es eher den Charakter eines Schullandheims. Aber die Sonne zeigt sich nun mit einem strahlenden Gesicht und so kann´s die nächsten Tage auch bleiben, da hätt´ ich nix dagegen. Beim Betreten des Hotels begutachte ich die Blumen im Pflanzenwagen, die scheint man hier mit Zigarettenstummeln zu düngen. Kein Wunder, dass einige schon verwelkt sind. Das gibt Punktabzug. Wenn die keine Ahnung von Botanik haben, sollen die besser den Eingangsbereich mit einem Ensemble aus tropischen Plastikgewächsen zieren. Im Internet findet man einige Portale, wo man Hotels eine Note geben kann. Hotelbewertungen sind echt lustig, da gehen die Meinungen ziemlich auseinander. Während Annika und Kevin sich beschwerten, im Hotel wäre abends zu wenig Party, empfanden Ingeborg und Ottokar die Ruhe in der Anlage als sehr angenehm. Für den einen war der Kaffee einsame Spitze, für den anderen nur eine ungenießbare braune Flüssigkeit. Wer nach Portugal fährt und sich beschwert, dass kaum jemand Deutsch spricht, der hätte sich besser auf diese Reise vorbereiten sollen. Portugal wurde von den Engländern als Urlaubsland entdeckt, und wer kein Englisch kann, wird hier seine Schwierigkeiten haben. Gäste in einem preisgünstigen Zwei-Sterne-Hotel bemängeln den schlechten Komfort und Service des Hotels, vom Berliner Ritz her sind sie Besseres gewohnt. Wer seine Erwartungen hoch steckt, der kann auch schnell enttäuscht werden. Wer bescheiden bleibt, wer keine großen Erwartungen hat, wobei auch immer, ja den kann man auch nicht so schnell enttäuschen. Selbst Einstein wusste: Der Horizont mancher Menschen gleicht einem Kreis mit Radius Null, und das nennen sie ihren Standpunkt. Wer bereits einen Urlaub in einem nordafrikanischen Land am Mittelmeer verbracht hat und fährt noch einmal in ein moslemisches Land, der ist es doch selber schuld! Wie kann sich dann wiederholt über die Aufdringlichkeit der Araber beschweren, die einem allen möglichen 20 Nippes verkaufen wollen, sorry, aber wusste man doch vorher schon! Und wenn Leute mit meinen Texten nichts anfangen können, wenn man meinem Humor nicht gewachsen ist, dann hören Sie bitte jetzt auf zu lesen, denn ich versichere Ihnen, meine Sprache ändert sich nicht, und wenn Sie diese Satire trotzdem bis zum Ende lesen, sorry, dann brauchen Sie sich auch nicht beschweren, dann sind Sie es doch selber schuld! Ich habe Sie nicht gezwungen, diese kleine Geschichte zu lesen, und wer damit nichts anfangen, das ist dann ein Problem des Lesers und nicht das des Verfassers. Bei der Satire von meinem Freund ist es ähnlich wie bei Hotelbewertungen, da gehen die Meinungen ziemlich auseinander. Umstritten in der Fachwelt, in der Szene ein Star: Dieter Dobrowolski, ein Literaturpunk, spaltet die Leser in Verehrer und Verächter. Sein Stil: Schnell, hart, konzentriert, ehrlich und antiakademisch. Wenn ich auf besserwisserische Kritiker gehört hätte, hätte ich meine Identität verleugnet und mich zu einer Marionette gemacht, hat Dieter zu mir mal gesagt. Eine Rosamunde Pilcher Fangemeinde wird keinen Gefallen an seiner Lektüre finden. Dieter findet ja auch keinen Gefallen an diesem Geschreibsel über leidenschaftliche Liebe, Glück, Vermögen und Happy End, wo die idyllische Landschaft von Cornwall mit ihrem typischen Wetter als ideale Kulisse dient. Doch die Idylle trügt, wie so oft. Die Autorin sollte man wegen Vortäuschung falscher Tatsachen vor Gericht stellen, meint Dieter. Sie bringt lediglich Wunschvorstellungen zu Papier, was gerade bei Frauen gut ankommt, sehr beliebt ist. Der Psychiater in mir stimmt da zu, Frau Pilcher leidet unter Realitätsverlust. Aber es fällt mir schwer, dies anzuerkennen. Der Hotelmanager hat ein auffällig dickes Riechorgan als auch ein exzellentes Sprachorgan. „Grande catastrofe! Grande catastrofe!“, schimpft er heftig zur Begrüßung, als wir uns mit dem Reisegepäck der Rezeption nähern. „Meckermann-Reisen? Sie sind Meckermann-Reisen?“ „Korrekt“, antwortet ihm Dieter mit einer Ruhe, obwohl auch er ahnt, dass eine Hiobsbotschaft wie ein Damoklesschwert am seidenen Faden über unseren Köpfen schwebt. „Kaputt, kaputt, kaputt ...“, jammert unser Empfang weiter. Was ist kaputt? Ich brauch eine Erklärung. 21 Eine blonde Dame stürmt ins Hotel. Sie ist außer Atem und trägt einen knappen, engen, roten Rock sowie eine gelbe Bluse, die weit aufgeknöpft ist, sodass man beinahe ihren ganzen schwarzen BH sehen kann. „Wer ist das?“ frage ich Dieter, doch dem scheint es den Atem verschlagen zu haben, der bleibt stumm. Hoffentlich ist das die Erklärung. „Hallo“, keucht die Atemlose, „ich muss erst mal Luft holen.“ „Sind Sie die Reiseleiterin?“ frage ich, nachdem sie sich wieder einigermaßen erholt hat. „Ja, mein Name ist Sarah Sackmann. Ich bin die oberste Reiseleiterin von Meckermann, zuständig für den Nordosten der Insel. Sie haben bei uns gebucht?“ „Genau!“, sagt Dieter. Frau Sackmann schaut auf ihr Klemmbrett und muss noch mehr wissen. „Dann müssen Sie Herr Dobrowolski mit Begleitung sein, ist das richtig?“ Wir beiden nicken nur kurz, gucken uns dumm an und warten gespannt auf weitere Infos. Das Unerwartete ist der Feind des Menschen, auf das man vorbereitet sein sollte. Wir werden noch mehr ausgequetscht. „Okay, Sie hatten jetzt genau was gebucht?“ „Eine Woche Mallorca, drei Sterne, All inclusive“, sag ich und drück mich dabei klar und deutlich aus. „Folgendes, diese Nacht haben Mitglieder eines Prager Streichorchesters sechs Zimmer ...“ „Siete!“, unterbricht der Manager die Reiseleiterin unüberhörbar. „Nun gut, dann eben sieben Zimmer schwer verwüstet.“ „Wie? Keine Rockmusiker? Kein Kegelklub aus Wuppertal? Keine besoffenen Engländer?“ wundert sich Dieter und nicht nur der. Ein Rudel Musikanten darf man auf gar keinen Fall unterschätzen, egal ob sie sich an Mozarts kleiner Nachtmusik versuchen oder Heavy Metal lärmen. Eventuell gelingt es ja dieser wild gewordenen Horde von tschechischen Cellisten, den Ort schwer zu verwüsten und ihm so seine Ursprünglichkeit zu nehmen. „Das Orchester ist heute Morgen abgereist, allerdings dauert die Renovierung der Zimmer mindestens zwei Tage.“ „Tres dias!“ Wieder wird unsere Reiseleiterin lautstark vom Hotelmanager korrigiert. Wenn die Größe seiner Nase auf das Kaliber seines Johannes schließen lässt, dann aber hallo! „Da hier alles total ausgebucht ist, kann ich sie nur woanders unterbringen. Ich kümmer mich nun um alles.“ Sarah Sackmann stellt sich neben Dieter und spendet Trost, indem sie mit ihrer rechten Hand über seinen Rücken rubbelt und zu ihm meint: „Keine Panik, ich bin ja da. Jetzt wird alles gut.“ Dann gleitet sie mit ihrem Händchen tiefer und tätschelt an seinem Hintern rum. Hey! Moment mal, Finger weg von dem, der gehört mir, das ist meiner, absolut! Als ob sie meine Gedanken 22 gehört hätte, lässt sie ihre Pfoten davon weg und stellt fest, dass sie ihr Handy in ihrem gelben Renault Twingo gelassen hat. Ja Handy, das ist gut. Ich schau nach, ob sich in der Zwischenzeit was getan hat. Zwei SMS´ sind eingegangen. Die erste ist von meinem Mobilfunkanbieter, der mich wiederholt auf seine günstigen Auslandstarife aufmerksam macht, die zweite ist von Kitty. Hi suesse, fliege morgen nach malle, gut angekommen? Ich werde ihr später antworten, im Augenblick ist mir nicht danach. Ich brauch ein Bier. Und dann eine Dusche. 5. Mai 2009 - 11.10 Uhr Der von der Reiseleiterin organisierte Transfer ist da, ein gelber Fiat Punto mit einem spanischen Fahrer, der ein Silberkettchen mit einem Kreuz um den Hals trägt. Der ist sehr freundlich und hilft uns beim Gepäck einladen. Dieter setzt sich nach vorne, wir sind die einzigen Fahrgäste. „Einmal Dreiundachtzigste, Ecke Madison“, scherzt mein Freund und zu mir sagt er. „Drei Tage für das Renovieren? Chefingenieur Scott von der Enterprise hätte das in drei Stunden hingekriegt. Hast du gesehen, den schwarzen Büstenhalter von der Sackmann?“ „Klar“, antworte ich schnippisch, „das dir das wieder aufgefallen ist, diese sexuelle Einladung.“ Ich verschränke die Arme vor meiner Brust und ziehe eine Grimasse. „Hey, sei doch nicht gleich so zickig.“ „Denk ja nicht, ich hab nicht bemerkt, wie die dir am Arsch rumgespielt hat.“ „Hm-mh, sie war halt besorgt um unser Wohl.“ Eher um dein Wohl ... Ich bin sauer und kann die angenehme Fahrt nicht wirklich genießen. Und zu allem Unglück fängt der Motor kurz hinter Porto Cristo noch an zu stottern, so wie ich, wenn mir keine passende Ausrede einfällt. Der Spanier stoppt den Punto ganz rechts am Rand der Landstraße. Schon wieder eine „Grande catastrofe?“ möchte Dieter wissen. Der Spanier schüttelt mit dem Kopf, weiß aber selber nicht so recht. Er steigt aus und öffnet die Motorhaube. „Boah ey, können die Scotty nicht eben runter beamen, der findet den Fehler sofort“, witzelt Dieter, aber so richtig kommt der Gag bei ihm selber nicht an. Unser Fahrer zieht sein Hemd aus, damit er es nicht dreckig macht. Zum Vorschein kommt ein unerotisches weißes Unterhemd, aus dem äußerst dekorativ schwarze Brusthaare hervorquellen. Durch die geöffnete Motorhaube ist uns die Sicht auf den Arbeiter genommen. Nach zwei Minuten kommt der Spanier wieder zum Vorschein, er trägt ein dreckiges weißes Unterhemd, auf dem sich höchst dekorativ schwarze Ölflecke befinden. 23 Die Haube wird wieder geschlossen und der Fahrer versucht den Motor zu starten. Der Anlasser scheint zu funktionieren, aber der Motor will nicht so richtig anspringen. Nun schickt der gottesfürchtige Spanier ein Stoßgebet gen Himmel und versucht es auf ein Neues sein Glück. Halleluja, der Motor springt sofort an, wer hätte das gedacht? Was nicht nur meinem Vater aufgefallen ist, dass sich Menschen erst an Gott wenden, wenn eine Notsituation eingetreten ist. So etwas sieht man sogar in Filmen von Alan Smithee. Mit der dummen Frage „Warum hat Gott das zugelassen?“ setzt man den Allmächtigen auf die Anklagebank. Aber da gehört der Mensch hin, weil wir alle mit Sünde befleckt sind, so wie das Hemd mit Öl, und deshalb darf man diese Frage nicht stellen. Gott ist schließlich niemanden Rechenschaft schuldig, hat mir mein Vater beigebracht. Wer sich die Frage stellt „Warum musste diese Person sterben?“, der hat die Frage falsch gestellt. Richtig muss es heißen: „Warum bin ich noch am leben?“ Der Normalzustand von Gott ist die Vernichtung von Sünde, weil Gott Sünde hasst. Der Ausnahmezustand von Gott ist, wenn mal kein Unglück passiert, wenn Gott aufgrund seiner Barmherzigkeit den Menschen so Zeit gibt, sich zu bekehren. Wer das nicht glaubt, sollte sich die ersten Seiten der Heiligen Schrift zur Brust nehmen, da findet man alles. Wir drei schicken ein Dankgebet gen Himmel. Die Tour geht weiter, meine Laune bessert sich. Porto Colom liegt an der Ostküste Mallorcas und ist benannt nach Christoph Kolumbus, der angeblich hier geboren sein soll, was aber nicht der Wahrheit entspricht. Früher dachte ich auch immer, Kolumbus wäre Spanier, aber er stammt aus der heute zu Italien gehörenden Stadt Genua. Dieser Weltensegler machte sich einst auf den Weg nach Westen, um nach Indien zu gelangen, kam aber in Amerika an. So ungefähr kenn ich das von meiner Freundin Kitty. Wenn die sich auf den Weg ins FitnessCenter Uncle Sam macht, schafft sie es immer nur bis ins Eiscafé Italia. Diskotheken oder einen Ballermann kennt man in Porto Colom nicht, hier geht es insgesamt noch recht ruhig zu. Interessant sind die Altstadt und auch der Hafen. Hier befinden sich zahlreiche gute Fischrestaurants neben bunten Fischerhütten und kleinen, weiß gekalkten Häuschen. 24 5. Mai 2009 - 12.25 Uhr Wir sind da! Das ist also unsere Unterkunft mit - keine Ahnung - wie viel Prozent Weiterempfehlung. Das Hotel wird von einem Schweizer geführt und ich hoffe, hier geht es auch so ruhig und entspannt zu wie in der Schweiz. Wir erhalten den Schlüssel für ein Zimmer im fünften Stock, darüber wäre nur noch der Spa-Bereich. Ein billig anmutendes Armband ist die Akkreditierung für kostenlose Getränke bis 23.30 Uhr. Hier täuscht der Schein gewaltig, denn dieses Teil ist von Wert! Endlich komm ich zum Bier. Ich lass Dieter und mein Gepäck an der Rezeption alleine, eile zur Bar und geb meine Bestellung auf. Nachdem ich an der Theke mit zwei gierigen Schlückchen das Glas geleert habe, spricht mich jemand von der Seite an. „Hey, was machst du denn hier?“ Ich schau mir etwas verwundert den Typen an, der frisch geduscht aussieht und eine coole Sonnenbrille trägt. Irgendwie bekannt kommt er mir ja vor. Woher kenn ich den nur? „Ich bin´s doch nur, Karl-Heinz“, so hilft er mir. „Ah, Kalle du. Ich hab dich zuerst gar nicht erkannt. Hast dich optisch schon sehr verbessert.“ Jetzt noch die Haare ab und die Karies raus, dann ist der ganz akzeptabel. „Klar, ich hab die gestrige Nacht in der Düsseldorfer Altstadt verbracht, in einer verqualmten Kneipe und Bier gesoffen, um die Zeit zu überbrücken. Das hinterlässt Spuren. Den Koffer hatte ich bereits am Vorabend aufgeben, und so kam ich nicht an frische Klamotten zum Wechseln ran, an dies hatte ich nicht gedacht. Dann hatte ich mir vor der Reise sicherheitshalber ein kleines Lunchpaket zubereitet, und du glaubst es nicht, stattdessen hab ich nur die Frischhalte-Folie eingepackt. Hier am Flughafen, als ich den Koffer danach durchsucht habe, ist mir das erst aufgefallen.“ „Mein Vater war mal vor Jahren in Venedig und erst zu Hause hatte er gemerkt, dass kein Film in der Kamera.“ „Von mir solltest du mal ein altes Foto sehen. Früher, du wirst es nicht für möglich halten, war ich ein Adonis, da wurde mein athletischer Körper von Parisern Künstlern ohne Ende in Stein gemeißelt.“ „Ich glaube, du übertreibst ein wenig, aber ich find´s lustig“, sage ich, fange an zu lachen und stecke ihn damit an. Nach dieser Einlage werde ich gefragt: „Aber was mich wundert, dass du hier bist. Ich dachte, ihr seid in Cala Ratjada. Und wo ist überhaupt Dieter, dein Vater?“ „Mein Vater? Männer in den Wechseljahren haben eine Leidenschaft für Mädels, die ihre Töchter sein können“, offenbare ich ihm. „Er ist mein Freund.“ „Ich glaube, jetzt übertreibst du ein wenig, aber ich find´s lustig“, meint Karl-Heinz und ich bin mir nicht sicher, ob er das mir abnimmt. 25 5. Mai 2009 - 14.00 Uhr Gibt es etwas Schöneres als eine wohltuende, erfrischende Dusche? Klar, aber nicht, wenn man vollkommen durchgeschwitzt ist und die Klamotten unangenehm am Körper kleben. Da hat man nicht groß Lust auf irgendetwas anderes, da freut man sich aufs Duschen. Erst nach dem Duschen freut man sich aufs Essen, das sich als äußerst genießbar herausstellt. Es ist zwei, wir haben uns den Bauch vollgeschlagen, und die Sondierung der Hotelanlage steht nun auf unserem Plan. Wir stellen fest, das alles liegt direkt an der Felsenküste. Wir stellen fest, Karl-Heinz hat sein Zimmer direkt neben uns. Wir stellen fest, die zweibeinige blonde Nymphenschnepfe Frau Sackmann, wahrscheinlich die absolut heißeste Reiseleiterin auf der ganzen Insel, kommt morgen um 11 Uhr zur Sprechstunde ins Hotel. Und hier gibt es nur einen einzigen Animateur und der heißt Toshiba. Der ist Japaner und spricht fließend spanisch, deutsch, englisch und was weiß ich alles. Kommt immer drauf an, welchen Kanal man eingeschaltet hat. Am Mittwoch zeigen uns seine LCDs das unter Fußballfreunden mit Spannung erwartete Championsleague-Halbfinalrückspiel Chelsea gegen Barcelona. Chelsea, so heißt nicht nur die Tochter von Bill Clinton, sondern das ist ein englischer Fußballklub, das weiß selbst ich. Womöglich wurde die Tochter vom ehemaligen US-Präsidenten einst im westlichen Stadtteil von London gezeugt. Spätere Versuche von Bill, Kinder zu zeugen, scheiterten am zuverlässigen Verhütungsschutz von Hillary. Und an den sicheren Verhütungsmitteln der Praktikanten. Fußball wurde ja in England erfunden. Was noch alles auf dieser Insel erfunden wurde, weiß ich leider nicht. Vielleicht noch Reitlehrer? Ich kenn englische Fans. Im Jahre 2006 fand die Fußballweltmeisterschaft bei uns in Deutschland statt. Die Engländer saßen im Rudel mit nacktem Oberkörper in Biergärten und belästigten Personal und Passanten. Sie tranken Bier aus großen Krügen und schütteten sich aus Spaß gegenseitig das Gebräu über den Kopf. Das haben sie bei den deutschen Touristen auf Mallorca abgeguckt. Statt die Rechnung zu begleichen, zertrümmerten sie lieber Tische und Stühle und versuchten sich zu verpissen, bevor die Polizei sie verhaften konnte. Das müssen sie bei Desaster Detlef abgeguckt haben. 26 Autorennen interessieren mich nicht, mir hat schon die Taxifahrt zum Flughafen gereicht. Heutzutage amüsieren sich die sich die Menschen vor der Mattscheibe zu Tode. Vieles, was gezeigt wird, find ich überhaupt nicht lustig. Wenn ich eins nicht mag, dann sind es intelligente Leute, die im Fernsehen witzig sein wollen und dabei einen auf blöd machen. Primitiv! Genau wie die Witze eines Berliners über die Begriffsstutzigkeit der Frau. Das ist unterste Schublade, Heinz Erhardt würde sich im Grabe umdrehen. Nicht nur ich scheine begeistert zu sein über diese tolle Hotelanlage. „Hör mal Zaubermaus, mir kommt da so eine Idee. Sollen wir nicht die Reiseleiterin fragen, ob wir hier unser Zimmer behalten können? Die Anlage hier ist doch toll, sie hat eine bessere Lage als die in Ratjada. Und dieser Ferienschreck Kalle sorgt mit seinen Kommentaren für ein wenig Abwechslung. Ich hatte schon Befürchtungen, wir müssten hier in einem dunklen, deprimierenden Loch die Aussicht auf einen Hinterhof genießen. Wir haben hier ein Meerblick, auf den hätten wir in Cala Ratjada verzichten müssen. In dieser Absteige war der erste Eindruck schon nicht besonders und der Nasenbär von Hotelmanager hatte den Charme eines Herbergsvaters.“ „Ja“, stimme ich zu. „So sehe ich das auch. Mir ist unklar, warum diese Absteige so gut bewertet wurde?“ „Womöglich durch Manipulation. Es gibt PR-Agenturen, die sind darauf spezialisiert, denn positive Bewertungen locken Urlauber an und steigern somit den Umsatz. Aber negative Bewertungen sind wesentlich aussagekräftiger für jemanden, der sich für eine Unterkunft interessiert.“ „Daran hatte ich gar nicht gedacht“, murmel ich. „Ich find das hier auch super, Zaubermaus, und das Essen schmeckt. Versuchen wir, hier zu bleiben?“ „Jo ...“ Wir verlassen das Hotel, um uns die nähere Umgebung ein bisschen anzuschauen. Hoppla, wer kommt uns denn da kurz vorm Hafen entgegen? Sein kurzärmliges rotes Hemd trägt er offen, über seine tief sitzende schwarze Caprihose kommt sein muskulöser Oberkörper wunderbar zur Geltung. Mmmh - sexy. Seine Haut ist leicht gebräunt und auf seinem linken Oberarm hat er sich eine schwarze Rose tätowieren lassen. Mein Höschen schmilzt! „Guck mal, der sieht aus wie Bruce Willis anno 1990“, meint Dieter zu mir. Sag bloß! „Jo ...“, sag ich nur und mehr krieg ich schon nicht mehr raus. Ich bin baff! Dieter mag den Schauspieler nicht. Er ist neidisch, weil am Ende vom Spielfilm Keine halbe Sachen Bruce Willis seine Zunge in den Rachen der Sprechstundenhilfe und Auftragskillerin Jill, gespielt von Amanda Peet, 27 schieben darf. Dieters Lieblingsschauspielerin fangen alle mit A an: Amanda Peet, Andie McDowell, Anne Heche und die schärfste Braut für ihn ist Anne Hathaway. Bei mir ist es übrigens umgekehrt, mein Vorname hört mit A auf. Beim Anblick von Anne Hathaway fängt bei Dieter das heftige Pochen seines verfetteten Cholesterinherzes an, und er wird es einfach nicht los. Das lässt sich vergleichen, wie wenn jemand heute versucht, eine CD von Big-Brother-Veteran Zlatko zu verkaufen, man wird sie einfach nicht los. Bruce passiert uns und ich drehe mich kurz um, ob der Adonis, der glatt als jüngerer Klon von Bruce Willis durchgehen könnte, in unser Hotel biegt. Nein, das tut er nicht. Er marschiert weiter geradeaus. Das Einzige, wofür ich ohne mit der Wimper zu zucken einen Mord begehen würde, wäre ein Date mit Bruce Willis. Mit dem Echten natürlich! 5. Mai 2009 - 19.30 Uhr Das Restaurant ist bereits seit einer halben Stunde geöffnet, aber wir sind noch auf unserem Zimmer. Ich kann mich nicht so recht entscheiden, welche Klamotten ich beim Abendessen tragen soll. Endlich hab ich meine Garderobe gefunden, mit dem ich mich auch in der Bar sehen lassen kann. Denn da geht´s hinterher hin. Auffie! Dieter und ich verlassen fluchtartig das Zimmer und verzichten auf den Fahrstuhl, springen stattdessen munter die Treppen runter. Im Speisesaal winkt uns Karl-Heinz zu und nehmen sein Angebot an, ihm an seinem Tisch Gesellschaft zu leisten. Das Büfett schreit gerade zu nach Völlerei, Kitty käme hier voll auf ihre Kosten. Völlerei hin, Völlerei her. Egal, leisten wir uns die Todsünde, wir sind ja im Urlaub! Dieter ist hin und hergerissen von den kulinarischen Genüssen und spuckt große Töne. „Wenn wir wieder zu Hause sind, mein Schätzchen, verwöhne ich dich mit einer selbst gemachten Paella.“ Ein enorm ehrgeiziges Projekt für jemanden, der sich meist nur von Fertigmahlzeiten ernährt, die er mit Hilfe von Mikrowellen erhitzt. Wir unterhalten uns mit Karl-Heinz, dessen Hang zur Übertreibung uns blendend amüsiert. Nach dem ausgiebigen Essen beschließen wir, die Bar zu belagern. 28 5. Mai 2009 - 22.45 Uhr Dieter möchte noch eine Runde ausgeben, kostet ja nichts, die meisten Getränke sind eh gratis. „Hey Kalle, schaffen wir noch ein Bier?” Unser neuer Bekannter antwortet begeistert mit Barack Obamas Parole „Yes we can!“ Die beiden Männer ordern im Chor drei Bierchen, die prompt frisch gezapft zu uns finden. Das gute Dutzend an Urlaubern, die mit uns die Bar belagern, befinden sich in unterschiedlichen Stadien der Betrunkenheit, scheinen aber alle aus Deutschland zu kommen. Das wievielte Bier ich jetzt runterspüle, weiß ich nicht, aber es wird eines der Letzten sein. Hier nüchtern zu bleiben ist äußerst schwierig, weil die anderen mit aller Gewalt genau dieses vermeiden wollen. Alkohol dient aber auch irgendwie als soziales Schmiermittel. Ein älterer Mann in einem weißen Sommeranzug, einem Hut auf dem Kopf und einer Frau an seiner Seite kommt auf uns zu. Er trägt ein weit aufgeknöpftes Hemd, das eine Goldkette zur Schau stellt. Die Dame scheint schon betrunken zu sein, ich schätze sie auf Mitte 30, gut 20 Jahre jünger als ihr Begleiter. Sie trägt einen kurzen weißen Rock und ein schwarzes Top, wo Fluchtgefahr für ihre Brüste besteht. Ihre Titten nicht zu beachten, erweist sich deshalb als äußerst schwierig. Dieter und KarlHeinz scheinen Gefallen daran gefunden haben. „Schon den Prosecco probiert?“, werden wir vom Mann gefragt. Nein, nicht alle kommen aus Deutschland, mein sensibles Öhrchen hat just einen österreichischen Dialekt wahrgenommen. „Prosecco hab ich aufgehört zu konsumieren, als bei mir die Pubertät anfing“, gibt KarlHeinz als Antwort. Meinem Dieter ist der Dialekt ebenfalls aufgefallen und er ist neugierig geworden. „Ihr seid aus Österreich, nicht wahr?“ „Ich bin aus Wien, sie aus Tirol.“ „Ich bin aus Imsterberg - hicks“, lallt die Tirolerin und setzt sich auf einen Hocker. „Du bist betrunken und gehst gleich schlafen“, befiehlt der Mann. „Ich bin überhaupt nicht betrunken“, lallt sie weiter und macht einen Schmollmund. Den Inhalt ihrer Handtasche, ein Potpourri aus Geldmünzen, angeschnäuzten Papiertaschentüchern, Kosmetika und Stiften, schüttet sie auf den Tresen und verzieht ein ungläubiges Gesicht. „Wo sind die ... Ziga...retten?“ „Die hab ich eben für dich eingesteckt.“ Der Mann im weißen Anzug fischt eine Packung aus seinem Jackett und reicht ihr eine Kippe. Als er ihr Feuer gibt, fällt sie ihr die Zigarette aus dem Mund und landet auf ihrem Rock. Bevor sie herunterrollt, schafft sie es noch, ein Loch in den Stoff zu brennen. 29 „Wo kommt eigentlich dieser Schwarzenegger her?“, fragt Dieter. „Der kommt aus der Steiermark, da wo Graz liegt.“ „Mein Körper ist ein Wunder der Natur, während Arnolds Body bestenfalls ein Wunder von Anabolika gewesen war.“ Karl-Heinz macht Witze. „Cómico!“, meint der Österreicher, dem es wohl nicht passt, dass sich jemand über seinen Landsmann lustig macht. Karl-Heinz sieht sich herausgefordert. „Cómico? Ah, unser Mann aus Wien kann spanisch. Dann verrat mir bitte, wie Handschellen auf Spanisch heißen?“ „Handschellen auf Spanisch? Keine Ahnung“, meint der Österreicher und schüttelt kurz mit dem Kopf. Ich glaube, Desaster Detlef hätte diese Frage locker beantworten können. Den hat man mal auf einer geklauten Kawasaki erwischt, als er in Katalonien durch die Dörfer an der Costa Brava gerast ist. „Esposas.“ „Esposa bedeutet Ehefrau und esposas sind somit die Ehefrauen“, erklärt der Österreicher. „Stimmt ebenfalls“, meint KarlHeinz, „es ist ein Teekesselchen.“ Bei Quizmaster Kalle haben wir wieder was gelernt. Das ist ja hier der reinste Bildungsurlaub, den sollte man von der Steuer absetzen. Der Österreicher bestellt zwei Prosecco, während seine betrunkene Begleiterin davon begeistert ist, das Mallorca nach Mykonos die schönste aller italienischen Inseln ist. „Hier in Spanien gilt eine Ehe bereits als erfolgreich, wenn sie nicht geschieden wird. Scheidung ist hier die Normalität“, erklärt uns der Österreicher. „Das hört sich nach Volkssport an. In Griechenland ist es die Steuerhinterziehung und in Spanien die eheliche Trennung“, stellt Karl-Heinz belustigt fest. „Der feurige Spanier und die feurige Spanierin sind für eine dauerhafte Beziehung gar nicht geschaffen. Gut drei von vier Ehen werden in Spanien wieder geschieden.“ Der Herr aus Österreich scheint einiges zu wissen über die Ehe, das fröhliche Grab der Liebe. Mein Vater macht mich immer drauf aufmerksam, dass es vielen Menschen nicht richtig bewusst ist, dass die Institution Ehe eine Erfindung von Gott ist, man spricht ja hier von einem heiligen Bund. Wenn beide Ehepartner eine enge Beziehung zu ihrem Schöpfer haben, festigt das diesen Bund und niemand kann diese Ehe zerstören. Andernfalls besteht die Gefahr, dass Sünde in die Beziehung bricht und die Ehe zerrüttet, sodass sie über kurz und lang auseinanderbricht. Das eigentliche Problem liegt also weniger im Alter der Eheleute, weil viele sich heutzutage jung vermählen, sondern in der Reife des Glaubens an Gott, der über kurz oder lang diesen Bund prüfen wird. 30 „Hör ich da ein großes Interesse an Scheidung?“, fragt Karl-Heinz den Österreicher. „Durchaus. Ich bin selber zwei Mal geschieden. An meine erste Hochzeit kann ich mich noch gut erinnern. Da waren haufenweise Leute, die sich auf meine Kosten besaufen wollten. Bei der zweiten Hochzeit war ich schlauer, wir heirateten heimlich.“ „Und die Dame ist die neue Kandidatin? Alle guten Dinge sind bekanntlich drei.“ KarlHeinz ist scharf auf Details, weil ihm die Braut zu interessieren scheint. „Wer zwei Mal hintereinander heftig viel Geld bei einem Scheidungskrieg verliert, der hat die Lust auf Heirat verloren“, meint der Österreicher. Der Barkeeper bringt die beiden bestellten Prosecco und der Österreicher prostet uns zu. Seine Freundin schwenkt heftig das Glas. Dass dabei ein Schwall auf ihren Rock schwappt, scheint sie nicht mitzukriegen. „So“, meint der Österreicher, nachdem er ausgetrunken hat, „wir gehen jetzt, du brauchst Schlaf. „Ich bleibe un... ich bin kein ... Schaf.“ Sie scheint nicht mit einer raschen Auffassungsgabe gesegnet zu sein. Aber kein Wunder, bei der Menge hochprozentiger Glückseligkeit in ihren Adern. Das Paar aus Österreich macht sich auf. Beim Verlassen der Bar bringt die Frau noch ein „Ich bin nicht be...“ heraus, um dann noch einen Teil ihres Mageninhalts hinterher zu schicken. Kurze Zeit später ist alles wieder von einer Personalkraft gesäubert worden. Dieser Angestellte hat nun gute Chancen, im Hotel Mitarbeiter des Monats zu werden. „Die Stute war doch nicht schlecht“, freut sich Karl-Heinz. „Das Dekolleté war nicht schlecht“, meint Dieter und „Schlecht war ihr Zustand“, sage ich ernst und mein es auch. Sind in einer Runde alle fröhlich und betrunken, geht ein ernstes Wort schnell unter. Männer sind generell bereit, viel zu tolerieren, wenn der Anblick einen dafür entschädigt. Und wenn da auch Abgründe von Dummheit sind, die man nicht beseitigen kann, scheint das für einen männlichen Jäger keine Bedeutung zu haben. Daniela Katzenberger zum Beispiel ist eine Frau mit einer aufregend guten Figur, die wieder mal bewiesen hat, dass die Kombination dünner Verstand und dicke feste Euter schnell zum Erfolg führen kann. Studentinnen ohne intellektuelle Defizite mit Körbchengröße 70A träumen von so einer Karriere. Denen fehlen halt die Schlüsselreize. Es ist nicht ausgeschlossen, dass Daniela bald das gleiche 31 Schicksal ereilt, wie ehemaligen Big Brother Bewohnern. In einiger Zeit interessiert sich keine Sau mehr für sie. „Oh Mann, war die voll.“ Dieter nimmt einen Schluck und meint dann weiter: „Ich bin nicht betrunken. Das klang genau so glaubwürdig, als wenn die Rolling Stones schwören würden, sie hätten noch nie im Leben Drogen genommen. Die konnte doch nicht mehr richtig stehen.“ „Bei mir steht immer alles, wenn es stehen soll. Beim Hühnerauge meiner Mutter, bei mir steht immer alles, wenn es stehen soll“, verrät uns Karl-Heinz „Nur fehlt mir eine Frau, damit ich es beweisen kann.“ Ein blondes Weib Mitte 40 mit dicken Gläsern auf der Nase gesellt sich zu uns. „Männer geben oft mit ihrer Potenz an, als können sie mit ihrem Schwanz halb Tokio zum Einsturz bringen, aber versagen im Bett. Ein Angeber mit einem Schlappschwanz ist ungefähr so wie ein fettes Portemonnaie, welches nur mit Kleingeld gefüllt ist. Man kann sich nicht viel dafür kaufen, man hat nicht lang davon. Und dann noch was. Um eine Frau ins Bett zu bekommen, wird jeder Mann zu einem Politiker, der eine Wahl gewinnen möchte, er verspricht ihr alles.“ „Wo du gerade Geld erwähnst ...“ Karl-Heinz nippt kurz an seinem Glas, wirft der Dame einen kurzen Blick zu und meint dann weiter: „Kennt einer ´ne gute Bank, wo ich mir Kohle leihen kann, damit ich schuldenfrei werde? „Beim Geld hört die Freundschaft auf“, findet Dieter und Karl-Heinz schwatzt weiter: „Aber beim Geld fängt sie manchmal auch an. Kannst du mir eventuell 5000 Euro leihen? Es wäre der Beginn einer wunderbaren Freundschaft“, fragt Karl-Heinz die Brillenschlange. Die verschüttet vor Schreck ihren Vino tinto über ihr hellblaues Top. „Prima kannst du das“, findet Karl-Heinz sichtlich amüsiert, „zum Glück war´s nur Rotwein und kein klares Wasser.“ „Hey“, zischt die Natter, „was sollen die dummen Bemerkungen?“ „War doch nur ironisch gemeint“, entschuldigt sich KarlHeinz mit einem Grinsen im Gesicht. „Ein ironischer Kommentar ist eine lächelnd vorgetragene Beleidigung“, behauptet die Giftschlange ernst. „Aber nur für Menschen, die keinen Humor besitzen“, philosophiert Dieter und ist sich dabei hundert Prozent sicher, dass es so ist. „Ihr seid doch alle besoffen!“, regt sich der Drachen im nassen Top auf. „Nicht ihr, sondern wir sind alle besoffen“, korrigiert Karl-Heinz, „wir sind alle ...!“ Dieter meint dazu: „Stimmt. Selbsterkenntnis ist der erste Weg zur Besserung.“ „Zum Glück reise ich morgen ab!“, faucht Luzifers Braut. „Wohin soll´s denn gehen?“, fragt Karl-Heinz nach. „New York? Rio? - Tokio?” „Leck mich! Besser ein Glas in der Hand, als eine Flasche 32 im Bett“, sagt sie scharf und guckt dabei Karl-Heinz böse an. „Besser ein Glas in der Hand, als eine Flasche unerreichbar im Regal, so geht der Spruch“, kontert Karl-Heinz. Die Brut Satans sucht das Weite, stößt aber vorher noch mit unserem Freund zusammen, sodass der restliche Wein aus ihrem Glas nun Karl-Heinz Hose rot färbt. Das wird sie nicht absichtlich gemacht haben, aber der Psychiater in mir weiß, wie das Unterbewusstsein arbeitet. „Hoppla, hast du noch andere Hobbys Spaßbremse?“ verabschiedet sich Karl-Heinz von ihr. „Der Klügere kippt um“, kommentiert Dieter das Geschehen. Ein weiteres Bier riskier ich nicht mehr. Ich sag kurz den Phrasendreschern tschüss und verlasse die Bar Richtung Aufzug. Als ich aufs Knöpfchen drücke, höre ich noch, wie der ganze Mob an der Theke brüllt „Yes we can!“ Das erinnert mich an vergangene Nacht. Nachdem Dieter und ich abends das erste Mal zusammen geschlafen hatten, legte ich meinen Kopf auf seine Brust. Er spielte mit meinen langen Haaren und legte danach seine Hand unter mein Kinn, um mich zu küssen. Und um mich zu fragen: „Schaffen wir noch ne Runde?“ Ohne meine Antwort abzuwarten, meinte er dann stolz „Yes we can!“ und legte wieder los, alles andere als dürftige genitale Fähigkeiten, sag ich nur. Das ging dann noch einige Male so weiter mit diesem „Yes we can!“ - „Yes we can!“ „Yes we can!“ Mittlerweile glaube ich, dass die Frage gar nicht mir gegolten hat, sondern seinen Schwanz. Sein bestes Stück scheint ihm ein prima Ersatz für einen turbo-affengeilen Sportwagen zu sein, den er deshalb auch nicht nötig hat. Wenn Dieter im Bett mit einer dieser unmöglichen koreanischen Knotenstellungen anfängt, wünschte ich mir immer, er hätte einen. In meinen Gedanken kurvt er dann mit mir bei Sonnenschein und wolkenlosen Himmel über Landstraßen - herrlich! Das Verdeck ist offen, mit meinem Haar spielt der Wind und ich genieße den Hauch von Freiheit und Abenteuer. Puh, ich bin todmüde. Die Strapazen des Tages machen mir zu schaffen. Das frühe Aufstehen, die turbulente Nacht davor, der viele Alkohol. Ich zieh mich langsam aus. Auf meinem Bett liegt noch ein chaotischer Berg aus Tops, Röcken und Hosen, die drauf flogen, bevor ich mein abendliches Siegeroutfit gefunden hatte. Die Klamotten werfe ich in den Schrank und mich ins Bett. 33 Kaum liege ich zehn Minuten im Bett, da nehme ich Schritte im Flur wahr. Und Stimmen. Dieter und Karl-Heinz scheinen sich zu verabschieden. Genau, die Tür geht auf und mein Liebster ist da, der verschwindet aber gleich wieder im Klo. Nebenan höre ich, wie KarlHeinz in sein Zimmer poltert. Ziemlich hellhörig, das Ganze hier. Aber für südeuropäische Verhältnisse schon irgendwie normal. Ich hör, wie Karl-Heinz einen tierisch fahren lässt. Oder war´s mein Freund? Ich höre, wie Karl-Heinz den lauten Fernseher anstellt. Hoffentlich kommt Dieter nicht auf die Idee mit mir was anzustellen, ich brauch ´ne ordentliche Mütze voll Schlaf. Falls er zu Fummeln anfangen sollte, werde ich ihm direkt die Prokura wieder streichen. 6. Mai 2009 - 9.10 Uhr Über das Frühstück kann ich nicht meckern, nur Dieter murrt, ihm passt der Kaffee nicht, der wäre ihm zu dünn, wie die Wände im Hotel. Er trinkt ihn trotzdem und seine Stimmung bessert sich erst nach der fünften Tasse. Nebenbei testet er, ob er auch sieben Eier schafft, soll ja gut für die Potenz sein. Das bewahrt ihn vor Aussetzern bei Lust und Liebe. Mir kann es nur recht sein. Angeblich hatte der selbst gebrannte Lakritzschnaps von meinem Opa die gleiche Wirkung. Opi war immer der Ansicht, dass sein Schnaps die Potenz steigert, die Sinne schärft und dazu noch für einen gesunden Stuhlgang sorgt. Meine Oma behauptete, nur das Letztere würde stimmen. Trotzdem erfreute sich dieses Eigenprodukt großer Beliebtheit, der Schnaps schmeckte besser, als jeder andere, den man im Laden kaufen konnte. Bei der Herstellung hatte mein Opa immer wieder was Neues ausprobiert, bis er das optimale Ergebnis hatte. Probieren geht halt über Studieren, und Selbermachen macht mehr Spaß als Kaufen. Ich halte Ausschau nach Karl-Heinz, kann ihn aber nirgends entdecken. Ein paar Tische weiter hat sich eine dicke hässliche Frau mit einem Mann, ebenfalls nicht unbedingt eine erotische Zierde, und zwei Kindern breitgemacht. „Und ihr benehmt euch hier im Urlaub!“, befiehlt sie dem Sohn und der Tochter, als sie sich ein Pfund Zucker in den Kaffee rührt. Nach einer halben Stunde verlassen Dieter und ich gut gestärkt und gut gelaunt den Speisesaal, während unterdessen der Knabe seiner Schwester ein Büschel Haare ausgerissen hat. Und die versucht nun, ihm die Augen auszukratzen, wobei sie sich gerade Messer und Gabel zu Hilfe genommen hat. 34 „Die kenn ich doch! Ist das nicht deine Busenfreundin Kitty?“, fragt mein Schatz mich, als wir uns der Rezeption nähern. Natürlich ist sie das! Welch Zufall, das Moppelchen quartiert sich in unserem Hotel ein. Leise steuern wir auf Kitty zu und ich spreche sie von der Seite an. Kitty hat mich nicht kommen gesehen, da sie das Anmeldeformular am Ausfüllen ist. „Hallöchen ...“ Meine beste Freundin ist kurz verdutzt und fällt mir dann kreischend vor Freude um den Hals. „Aber, aber, aber ...“, stottert sie und kriegt vor Aufregung zunächst keinen ganzen Satz raus. Ich erzähl die Story, warum wir hier sind. Hatte ich ihr ja auch noch nicht mitgeteilt, weil ich vergessen hatte, auf ihre SMS zu antworten. „Stell dir vor, ich hab beim Transfer hier hin im Bus einen süßen Typen aus Berlin kennen gelernt“, schnattert Kitty, die sich schnell wieder gefasst hat. „Einen Berliner? Wie heißt der denn?“ „Das möchte ich selber gern wissen, bin noch gar nicht dazu gekommen, ihn zu fragen. Aber der macht in Werbung. Oh hi, Didi.“ „Hi Kitty, du hier und nicht in Bollywood?“, flachst Dieter, grinst und macht weiter Konversation. „Soso, da hast du bereits einen kennen gelernt. Aus Berlin auch noch, tolle Stadt.“ Seine „tolle Stadt“ ist gelogen. Unsere Hauptstadt gefällt meinem Freund nicht, hat er mir mal verraten. Und die Leute, die dort leben, mag er auch nicht, mit Ausnahme von Peter Frankenfeld. Na ja, man darf nicht pauschalieren. Berlin ist nicht gleich Berlin, und Berliner sind nicht gleich Berliner. Es ist schon ein Unterschied, ob man gewöhnlich in Kreuzberg randaliert, im Schloss Bellevue residiert oder wenn man sich als Komiker probiert. Das sind dann Berliner, welche Mario mit Vor- und Barth mit Nachnamen heißen. Berlin gefällt meinem Freund nur, wenn es von Fischer-Z gespielt wird. Kennedy hatte einst behauptet: Ich bin ein Berliner. Eine glatte Lüge, Kennedy war niemals Berliner. Nach dem Mauerbau wollte er damit nur die Solidarität mit der Bevölkerung von West-Berlin zum Ausdruck bringen. Mit Kitty verabreden wir uns um 13 Uhr zum Mittagessen. Um 14 Uhr käme ihr neuer Bekannter, der in einem anderen Hotel in diesem Ort untergebracht wurde, sie hier abholen. Diesem Rendezvous fiebert sie bereits vor Spannung und Erwartung entgegen. Gute Chance für Kitty, ihrem Single-Dasein endlich auf Wiedersehen zu sagen. Dieter meinte dazu mal: „Entweder findet Kitty bald einen Dummen, der ihr drei Kinder macht, ansonsten wird man sie in fünfzehn Jahren einsam und breitbeinig auf Parkbänken sitzen finden, den Rock weit hochgeschoben, damit alle 35 ihren Liebestöter bewundern können. Oder wenn alle Stricke reißen, kann sie immer noch lesbisch werden.“ Der Psychiater in mir ist der Ansicht, dass tief in Kitty eine schlanke Figur schlummert, die sie sich aber durch Schokolade vom Leib hält. Mit der Schokolade will sie eigentlich den Frust über ihr einsames Single-Dasein bekämpfen. Ein Teufelskreis, aus dem sie nur der Traumprinz retten kann. 6. Mai 2009 - 9.55 Uhr Wenn es möglich sein sollte, bleiben wir in diesem Hotel. Soll sich Dieter um alles kümmern. Der giert ja schon danach, der Sackmann wieder in die Bluse zu glotzen. Soll der mit der um elf Uhr alles klären, ich geh zum Strand. In der Nähe der Rezeption bespreche ich mit ihm alles. Okay, er versucht, mit der Reiseleiterin zu reden, ob wir hier in diesem Hotel bis zur Abreise bleiben können, mich findet er am Strand. Dieter verabschiedet sich mit einem Wangenküsschen von mir und rennt nach draußen. Keine Ahnung, wo der hin will. Ich bummel noch ein wenig durchs Hotel. An der Bar sitzt einsam KarlHeinz. Er zischt ein Bier, anscheinend um die Spätfolgen der letzten Nacht ein wenig zu lindern. „Na Kalle, alles klar? Schon das Angebot an alkoholischen Getränken unter die Lupe genommen? Wie geht´s dir?“ Als Antwort erhalte ich zunächst einen nett gemeinten leisen Rülpser, dann meint er: „Hab einen gepflegten Kater.“ Das scheint für ihn der Startschuss für eine alkoholische Eskapade zu sein. „Soso, einen gepflegten Kater hast du, hab ich mir es doch gedacht. Was machst du eigentlich beruflich so, Kalle?“ „Warten. Auf eine Chance. Auf bessere Zeiten warten.“ „Also nix?“ „Ja, genau.“ „Und wie finanziert man so einen Urlaub, wenn ich mal fragen darf?“ „Durch Schulden machen“, lacht Karl-Heinz und kommt dann zum Thema. „Glücklicherweise hab ich eine reiche Tante, von der gibt´s ab und zu eine kleine Finanzspritze. Aber die Schulden bleiben, ich verjubel das Geld lieber.“ „Sieh an, deswegen willst du dich also bald ins Ausland verpissen? Soso ... Und mit Arbeiten gehen ist nix? Schon mal versucht?“ „Arbeiten ist nicht gerade mein Steckenpferd“, gibt Karl-Heinz ehrlich zu und bestellt noch ein Bier. Faulheit hin, Faulheit her. Der Mensch muss arbeiten, muss sich sinnvoll beschäftigen. Arbeiten ist etwas für andere zu tun. Irgendeine Gabe hat jeder von Gott bekommen, weiß mein Vater. Das Einzige, was er nie machen würde, wäre Nichtstun. 36 „Für mich ist das Leben nur ein Flechtwerk von Absurditäten“, schluchzt Karl-Heinz. Bei einer solchen Feststellung hätte mein Vater sich damals während seiner Lebenskrise in einer verqualmten Kneipe auf einen Barhocker gestellt und begeistert diesem Tresenphilosophen Szenenapplaus gespendet. Ich bestell mir eben noch schnell eine Cola. Aus dem traurigen Unterton schließt der Psychiater in mir, dass Karl-Heinz mit seiner Sprücheklopferei nur seine Unzufriedenheit überspielen will. Aber immer noch besser noch als Miesepeter, die ihre eigene Unzufriedenheit über ihr Leben an anderen auslassen müssen. Man tratscht auch deshalb gerne über andere, weil man sich dadurch in ein besseres Licht stellt. „Ob jemals Kokain in Coca Cola enthalten war, wird wohl immer ein Rätsel bleiben“, fragt sich Karl-Heinz, der plötzlich wieder fröhlich gestimmt ist. „Und die Gedanken einer Frau werden ebenfalls für mich immer ein Geheimnis bleiben“, gibt er zu. „Kleine Geheimnisse sind ein gutes Aphrodisiakum. Ich geh gleich zum Strand. Was hast du vor?“ „Ich trink noch was, kost ja nix, und dann werde ich vielleicht am Pool mit dem Badetuch bewaffnet einen Urlauber zum Duell um den letzten noch freien Liegestuhl herausfordern.“ Ich honoriere diesen Spruch mit einem Grinsen, welches ich mir überdies auch nicht verkneifen kann. Um die Intelligenz von Karl-Heinz ein wenig auf die Probe zu stellen, frage ich ihn nach Bukarest. „Bukarest ist die Hauptstadt von Rumänien. Das weiß ich zufällig.“ „Stimmt, hatte ich glatt vergessen“, sage ich und nestel in meinen Haaren. „Obwohl Schule, Geografie, was sage ich, Lesen im Allgemeinen war überhaupt nie mein Ding gewesen. Das intellektuellste Druck-Erzeugnis bei mir daheim ist lange Zeit der Kicker gewesen. Später kam noch ein Wörterbuch in Spanisch dazu. Was Lernen angeht, dafür kenn ich die festgelegten Schemata bei Taekwon-Do Gürtelprüfungen nahezu auswendig.“ Ein Herr in feiner Schale gesellt sich zu uns an die Bar. Ein betörender Duft steigt mir in mein Näschen, eine Mischung aus teurem Shampoo und exklusivem Rasierwasser. Er scheint so alt wie Dieter zu sein und will uns nun ein Gespräch aufzwingen. „Schön hier, aber in Sevilla ist mehr los. Kennt einer von euch Sevilla? War einer von euch schon mal da?“ Weder Karl-Heinz noch ich können diese Frage beantworten. „Das ist schön da, wirklich. Sevilla ist die Hauptstadt von Andalusien und viert größte Stadt Spaniens.“ „Da hat der Barbier die Frisur erfunden“, meint Karl-Heinz trocken. Der Mann ignoriert diese Bemerkung und lehrt uns 37 weiter: „Sevilla ist die Heimat von Carmen, Don Giovanni und Don Juan.“ „Und von Donald Duck“, ergänzt Karl-Heinz die Liste und stellt eine Frage. „Was ist mit Don Quijote, dem Ritter der traurigen Gestalt? Kam der nicht auch aus Spanien?“ „Natürlich, aber der kam aus CastillaLa Mancha. Geschrieben schon in Sevilla, im Kerker. Ja, Don Quijote, der Antiheld. Er stirbt am Schluss an Melancholie.“ „Und ich sterbe am Schluss an Wassermangel“, befürchtet Karl-Heinz und nimmt deshalb einen kräftigen Schluck Bier. „Du kennst dich in der Welt aus?“, möchte Karl-Heinz wissen. „Ich war schon in vielen Ländern dieser Welt“, versichert er uns. Unter anderen elf Mal in den USA“, gibt er stolz an. „Das ist aber nur ein Land“, korrigiert Karl-Heinz und stellt ihm eine Frage: „Warst du in New York? - Rio? - Tokio? Dann wären es drei Länder.“ „New York war ich schon zwei Mal, an der Copacabana war ich auch mal und hab dort die heißen kaffeebraunen Brasilianerinnen bewundert.“ „Heiße Frauen gibt es überall“, erzählt Karl-Heinz. „Ich kannte mal eine Schwarzhaarige aus unserer Nachbarschaft, die war ein Geheimtipp, ihre Merkmale im Bett waren: perfekte Raumaufteilung, hohe Beweglichkeit, herausragendes Stellungsspiel und blitzschnelle Reflexe.“ Hey, das hört sich eher nach Oliver Kahn mit Perücke an! „Du, die die war so was von heiß, die steckte ihren Zeigefinger wie einen Tauchsieder in eine Kanne und brachte so das Wasser zum Kochen. Aber naiv war die. Sie heiratete einen Blender. Könnt ich einer Frau etwas vormachen, wäre ich schon längst verheiratet, aber ich bin ein miserabler Schauspieler. Als Jugendlicher war ich der Meinung, jede schwarzhaarige Frau wäre eine nymphomane Sexbestie. Ich habe sechszehn Jahre gebraucht, um herauszufinden, dass es wirklich so ist. Dann noch was, bevor ich es vergess. Glücklicherweise bin ich nach diesem Schäferstündchen mit einem blauen Auge davon gekommen, weil ich geschickt Faustschlägen und diversen Wurfgeschossen ausweichen konnte.“ „Wieso, was war passiert?“ Ich bin neugierig geworden. „Mitten in der Nacht kam der Freund nach Hause. Von dem wusste ich überhaupt nichts, und deshalb war der mir so willkommen wie der Kontrolleur in der Straßenbahn.“ „Bereits nächsten Monat fahr ich nach Dänemark. Dort mach ich nicht nur Urlaub, sondern lass mir gleich in einer Akupunktur-Privatpraxis mein Augenleiden behandeln“, erzählt der gut gekleidete Mann. „Du fährst nach Dänemark, das zeugt von viel Fantasie. Nächsten Monat fahr ich zu unserem heimischen Baggersee und lass mich dort von Mücken 38 stechen.“ Nach diesem Spruch bestellt Karl-Heinz sich einen Schnaps, damit das Bier in seinem Magen sich nicht so allein fühlt. „Sind Sie alleine hier?“ frage ich den Mann, von dem ich weder Namen weiß noch woher er kommt. „Ich bin verheiratet, und zwar zum zweiten Mal, aber die Frau hab ich daheim gelassen. Meine erste Frau starb vor sieben Jahren, sie kam von den Philippinen. Als die Tränen getrocknet waren, hab ich mich drei Tage später auf die Suche gemacht, eine Neue zu finden.“ „Also hast dich in den Flieger gesetzt und bist auf nach Asien zu den Inseln geflogen“, meint Karl-Heinz. „Nein, ich hab mir den aktuellen Katalog zeigen lassen.“ Eine Ehefrau aus dem Katalog, die man kaufen kann, was sind das denn für Scherze? Der Mann zeigt uns stolz seine Armbanduhr. „Schaut mal, eine echte Rolex, kein Imitat aus der Türkei.“ „Schau mal“, sagt Karl-Heinz und zeigt auf seinen Mund, „echte Zähne, kein Imitat aus Gold.“ Der Mann lässt sich nicht aus dem Konzept bringen und plaudert weiter, gibt weiter munter an. Mir macht das Zuhören keinen Spaß, es nervt. Mein innerer Mangel an Begeisterung treibt mich zur Flucht. Ich möchte den Morgen an einem ungestörten Ort ausklingen lassen, und so verabschiede ich mich von den beiden, und geh hoch aufs Zimmer, alles Packen fürs Sonnenbaden. Eine Person, die sich einen Ehepartner kauft, ist mir suspekt. Meine Schwester erzählte mir mal von Desaster Detlefs Schwester, bei der war alles irgendwie suspekt, nicht nur der Bruder, selbst der Putzlappen. Mit diesem Lappen wurde innerhalb einer halben Stunde das Geschirr abgewaschen, die Badewanne gescheuert und das Katzenklo gesäubert, zeitlich betrachtet alles aber in umgekehrter Reihenfolge. Und was den Stolz angeht, Stolz ist die Krücke der Unsicheren. 39 6. Mai 2009 - 10.00 Uhr Auf Flip Flops trödel ich in einer langen weißen Baumwollhose und einem pink geblümten H&M-Top von unserem Hotel zum Strand. Eine kurze Zeit werde ich von einem Schwarm winziger Insekten eskortiert, die um meinen Kopf herumschwirren. Zum Strand Cala Marsal brauch ich gut eine Viertelstunde. Die Badebucht wird seinen Namen von diesem Hotel erhalten haben, welches nur durch eine Straße vom Strand getrennt ist. Ungefähr so, wie die Metropole Istanbul benannt worden ist nach dieser Bude mit dem außergewöhnlichen delikaten Döner. Oder wie ein Zellentrakt einer Justizvollzuganstalt nach Desaster Detlef benannt worden ist. Für einen Knacki hat dies den gleichen Stellenwert, als wenn ein Künstler mit einem Stern auf dem Walk of Fame geehrt wird. Ein freies Plätzchen zu finden ist nicht allzu schwer, es ist ja auch noch früh und Vorsaison sowieso. Aus meiner Strandtasche hole ich das große Handtuch hervor und breite es aus. Dann zieh ich Hose und Top aus und mach es mir bequem. Da liege ich nun auf dem Rücken in einem gelben Bikini und denke über meine Zukunft nach, mit der Erkenntnis, dass alles meist anders kommt, als man denkt. Stimmt´s, Herr Kolumbus? Der Mensch denkt, Gott lenkt. Dieser Spruch dürfte bekannt sein. Warum ist das so? Menschen, die Gott lieben, so mein Vater, sind der festen Überzeugung, dass Gott immer noch einen besseren Plan hat, als den, den man gerade im Kopf hat. Es ist aber immer eine Frage der Zeit, wann einem dies klar wird. Das kann Wochen, Monate, Jahre, ja durchaus ein ganzes Leben dauern. Manchmal wird es auch einem nie klar, die Wege des Herrn sind halt unergründlich. Das ist ungefähr genauso, wenn Männer alles verstehen müssten, was im Kopf eines Mädchen vorgeht, kämen sie nie zu einem Ende. Rechts von mir liegt ein Typ auf dem Bauch und hat eine wahnsinnige Traumfigur. Seine Visage kann ich nicht erkennen. Ich frage mich, hält das Gesicht, was der Körper verspricht? Sein fetter Kumpel scheint ziemlich das Gegenteil von ihm zu sein, zumindest von der Figur. Der liegt da wie ein gestrandeter Wal und sieht dazu auch noch mies aus, ein grauenvoller Mutant der Spezies Mann. Links neben mir, in einigen Metern Entfernung, ziehen sich zwei deutsche Mädels ihr Bikini-Oberteil aus. Die mit den dickeren Möpsen trägt einen Stringtanga. Wenn der was unangenehm zwischen den Zähnen klemmt, kann die zur Not ihren Tanga zu Hilfe nehmen, der ist genau so 40 dünn wie Zahnseide. Oben ohne ist nix für mich. Besser schneeweiße Titten, die von einem Mann zärtlich massiert werden, als braun gebrannte Brüste, um die sich keiner kümmert und die lediglich von notgeilen Männeraugen angestarrt werden. Oder von neidischen Damenaugen. Eifersucht hin, Eifersucht her. Auf meine optimale Oberweite bin ich stolz, da hat es die Natur besonders gut mit mir gemeint. Allerdings unterliegen meine Brüste auch der Schwerkraft. Meine Schwester sagt immer dazu, je älter man wird, desto mehr macht sich das bemerkbar. Die Zeit ist Gift für die Schönheit einer Frau. Der Walfisch nebenan hat sich mittlerweile hingesetzt. Jetzt fängt er an zu rauchen, zieht mit der Verzweiflung eines Cracksüchtigen an seiner Zigarette und nimmt mich ins Visier. Womöglich hofft er, dass ich ein bisschen von meinem Urlaub in seinem Bett verbringe. Nur wenige haben bislang meine Brüste unbedeckt betrachten können. Meinem letzten Lover hätte ich sie am besten nie gezeigt. Zuvor hatte ich mich nach fast sechs Jahren von einem Freund, mit dem ich schon in meiner Jugendzeit zusammen war, getrennt, weil die Liebe verblüht war und ich mich bei ihm nicht mehr wohlgefühlt hatte. Das Ganze endete ziemlich krass für mich, sodass ich kaum atmen konnte. Okay, aber lassen wir das. Viel zu überstürzt und unüberlegt fing ich kurz danach eine neue Beziehung an. Es war Liebe auf den ersten Blick bei mir. Das ist mein Traumboy in alle Ewigkeit, das hatte ich im Gefühl. Aber Gefühle lügen auch und Liebe macht blind, sowieso. Als mir vier Wochen später die Augen aufgingen, auf was für einen Idioten ich da reingefallen bin, war´s natürlich bereits zu spät, da war schon was gelaufen. Ich trennte mich rasch von dem Typen, der Frauen auf Titten, Arsch und Beine reduzierte. Darüber hinaus hielt er sich für unwiderstehlich. Eine Meinung, die er exclusiv besaß. Okay, lassen wir auch das. Dies alles war wieder ein derber Rückschlag für meine Fantasien vom Traumboy und hab das als schmerzhafte, aber wichtige Erfahrung verbucht. Wenn Männer eine Partnerin suchen, werden sie zum Jäger und legen nur so lange ein gutes Benehmen an den Tag, bis sie ein Opfer erlegt haben. Danach offenbart sich ihre wahre Identität. Dieter ist da anders, er ist verständnisvoll, sensibel und leidenschaftlich. Diese Mischung ist schon außergewöhnlich. Gefühle lügen nicht, hört man oft in deutschen Schlagern. 41 Angenommen Gefühle würden nicht lügen, erklärt mein Vater mir immer, wäre er früher durch Wetten auf dem Pferderennplatz schon längst zum Millionär geworden. Man sollte unterscheiden zwischen einer inneren Gewissheit und einem Gefühl. Ein Gefühl verschwindet meist wieder ganz schnell, wie es gekommen ist. Außerdem, so mein Vater, ist ein Mensch, der sich von seinen Gefühlen leiten lässt, ein Mensch ohne Prinzipien. Wahre Liebe basiert nicht auf Gefühlen. Ach ja, dann war da noch Tim, mein erster fester Freund. Tim war der erste Junge, der mir seine Zunge in den Mund stecken durfte. Gerne hätte er mir auch andere Teile in meinen Körper gesteckt, aber dies ließ ich damals nicht zu. Ich trennte mich von ihm, als er mit Caro rummachte, die war zu dieser Zeit meine engste Freundin und gleichzeitig aber auch meine schärfste Rivalin. An dem Tag, als Caro zum ersten Mal wild auf meinen Tim getroffen ist, verlor sie drei Dinge auf einmal: ihr Zungenpiercing, ihre Unschuld und mich als Freundin. Aber das ist schon ein paar Tage her, da war ich noch sehr blauäugig. Eine Frau verliert zwar in einem gewissen Alter die Fähigkeit, Kinder zu gebären, aber ihre Naivität verliert sie nie ganz. Caro soll heute ihren Lebensunterhalt mit Fellatio verdienen, hab ich mir sagen lassen. Die Sonne brennt mir auf die Haut und es wird Zeit mich einzucremen. Mein Bauchnabel ist zum Hochofen geworden und es dauert nicht mehr lange, bis sich das Piercing verflüssigen wird. Ich richte mich auf und greife zur Sonnenmilch und fange an. Während ich mich einreibe, schaue ich kurz nach links. Er kommt auf mich zu, aber er sieht mich nicht. Bruce Willis, zumindest seine zwanzig Jahre jüngere Ausgabe. Diesmal trägt er nicht nur eine schwarze Hose, sondern auch noch ein T-Shirt in Schwarz. Er sieht mich nicht, weil sich seine Augen an den beiden ObenOhne-Miezen festsaugen. Jetzt registriert er mich und nimmt mich ins Visier. Er lacht mich an. Er steuert auf mich zu. Mein Herz fängt wild an, zu pochen. „May I help you?“ Oh Gott, doch kein Engländer? Dazu fehlt ihm die Dose Bier in der Hand. Wobei will er mir helfen? Ach ja, beim Auftragen von Sonnenschutzmittel, war ja auch unschwer zu erraten, was ich gerade am Machen bin. Mh-hm ... Warum nicht? Beim Rücken kann er mir helfen. Wenn Dieter sich von der Reiseleiterin am Hintern rumspielen lässt, dann kann der mir ohne Weiteres den Rücken einschmieren, why not? 42 „My name is Jack and I´m from Manchester. What´s your name?“ Doch einer! Leider hat die globale Erderwärmung noch nicht dazu geführt, dass auf der britischen Insel ein subtropisches Klima herrscht, und der Engländer auf einen Urlaub am Mittelmeer glatt verzichten könnte. Ich piepse ihm meinen Namen und Jack in black will mehr Eckdaten von mir wissen. „You are from Russia, aren´t you?“ „No, German … from Germany”, nuschel ich. „Oh, nice German girl. Give me the sunblocker.” Er hockt sich neben mich. Ich reich ihm die Sonnenmilch und er kleckst was davon auf meine Schultern. „Do you want to ride my cock tonight?” Hä? Was soll ich diese Nacht? Ride my cock? War Cock nicht ein Tier auf dem Bauernhof? Meine letzte Englischstunde ist schon ein bisschen her. Ich brauch Nachhilfe, und deshalb werde ihn nach der Bedeutung fragen. „Äh ... Jack. What is the meaning of to ride a cock?“ Ich habe gar nicht registriert, dass sich Karl-Heinz zu uns gesellt hat und der hat die Unterhaltung mitgekriegt. „Who are you?”, will Jack wissen. Das fragt er ziemlich unfreundlich, der fühlt sich durch Karl-Heinz Anwesenheit sichtlich gestört bei seinem Unterfangen. „This is a friend of mine“, erkläre ich. „Yes, and if you want to ride a cock tonight, take a british bitch”, warnt Karl-Heinz ihn. Bitch habe ich verstanden, aber den kompletten Sinn noch nicht. „Piss off, or I will kick your ass“, droht Jack und fängt an, mich einzureiben. „Finger weg von der Frau, sonst radier ich dir gleich das Tattoo weg“, droht auch Karl-Heinz meinem englischen Nachhilfelehrer und zeigt ihm den hochgestreckten Mittelfinger der rechten Hand, den klassischen Stinkefinger also. Jetzt geht´s rund. Jack versucht, sich das Objekt der vulgären Geste zu schnappen, schafft es aber nicht. Nach dieser misslungenen Attacke erhebt sich der Brite und schwingt nun blitzartig seine geballte Faust Richtung Karl-Heinz Gesicht, doch der kann dem Schlag ausweichen. Angriff war schon immer die beste Verteidigung, das weiß auch KarlHeinz, und der tritt dem Jack gegen elf Uhr voll heftig in die Zwölf, da wird´s wohl dreizehn geschlagen haben beim Engländer. Wenn da mal nicht die Hydraulik einen Schaden genommen hat und nun lebenslang für eine sexuelle Dysfunktion sorgt. Jack kippt um wie ein nasser Sack Kartoffeln und wälzt sich krümmend im Sand. Die anderen Leute am Strand sehen tatenlos dieser Auseinandersetzung zu. Der Freund vom dicken hässlichen Wal nebenan scheint überhaupt nichts mitbekommen zu haben, der liegt immer noch genauso da wie vor paar Minuten. 43 Ich pack flink meine Siebensachen zusammen und rede Karl-Heinz gut zu, den Strand ebenfalls schleunigst Richtung Hotel Marsal zu verlassen. Doch Karl-Heinz kann nur humpeln. „Verdammt, ich glaub, ich hab mir den Fuß gebrochen“, meint er und verzieht dabei schmerzhaft sein Gesicht. Ein Arzt wäre jetzt nicht schlecht. „Wird schon wieder. Im Hotel sollen die dir einen Krankenwagen rufen“, tröste ich ihn. „Dieser blöde Wichser, soll der noch mal ankommen, dem wird ich´s richtig geben.“ Karl-Heinz ist zornig, nicht ohne Grund. Rachsucht hin, Rachsucht her. Mein Vater würde wohl sagen: „Lass das sein mit der Vergeltung, der liebe Gott wird´s schon richten. Menschen, die sich beherrschen können, sind starke Persönlichkeiten, denn Selbstbeherrschung ist kontrollierte Kraft.“ 6. Mai 2009 - 13.05 Uhr „Dann kam der Krankenwagen und man hat ihn nach Manacor in die Klinik gefahren“, erzähl ich Dieter und mehr weiß ich im Moment auch nicht. „Kalle hat aber einen Fehler gemacht. Er hätte sich besser die Zähne rausschlagen sollen, damit er´s endlich zum Zahnklempner schafft“, findet Dieter und guckt mich grinsend an. „Find ich gut, dass du das mit der Sackmann alles so unkompliziert regeln konntest, das wir hier in diesem Hotel bleiben können.“ „Ja“, freut sich Dieter, „find ich selber gut, dass das alles prima geklappt hat.“ Kitty tapst ins Restaurant. Warum tragen ausgerechnet solche molligen Frauen wie Kitty Leggins, die sie besser nicht tragen sollten? Das hat mit modischer Verzweiflung nichts zu tun, das ist für mich eine optische Todesstrafe, das Ende der Erotik. Meine Freundin setzt sich zu uns und trällert den Refrain vom neuesten Hit der Kelly Clarkson. Ich berichte ihr von der Sache mit Karl-Heinz. „Der tut mir aber Leid“, sagt Kitty mitfühlend. Kurz nach 14 Uhr erscheint Kittys Verabredung, der Berliner. Der stellt sich kurz vor und Kitty stellt uns kurz vor. Man merkt schon, wie Kitty es drängelt, mit dem Typen alleine zu sein. Die beiden verduften auch flink. „Ich möchte wetten, dass bei Kitty diese Nacht noch was läuft. Die ist so heiß ...“ „Hey, du spinnst wohl!“, schnauze ich Dieter an. „Kitty ist ein anständiges Mädchen. Die ist nicht so einfach zu bekommen. Die kriegt man nicht von heute auf morgen rum.“ „Zu wie viel Prozent bist du dir dabei sicher? Komm, ich werde morgen diesen Berliner fragen, ob der die flachgelegt hat. Ich sag ja. Um was wetten wir?“ Verdutzt schaue ich 44 meinen Freund an, solch eine ausgefallene Wette hatten wir bisher noch nie. „35 Euro!“ schlage ich vor. „Abgemacht!“ 6. Mai 2009 - 19.10 Uhr Kitty, Karl-Heinz, Dieter und ich sitzen im Restaurant und sind am Futtern. Kitty freut sich auf ihr zweites Treffen mit dem Berliner um 20 Uhr. Karl-Heinz freut sich, dass sein Fuß nicht mehr so heftig wehtut. Da hat er noch mal Glück gehabt, gebrochen sei nix, diagnostizierte der balearische Röntgenexperte. Kommunikation war problemlos möglich, da dieser Arzt in Deutschland studiert hatte. Der Nachteil war nur, dass er ein halbes Semester auf ihn warten musste, so Karl-Heinz. Da zahlt eine Versicherung ja noch schneller. Man hat sein Füßchen im Krankenhaus lediglich eingesalbt und danach dick verbunden. Kurz nach acht machen Dieter und ich uns auf. Wir lassen die beiden allein. Kittys Berliner hat sich noch nicht blicken lassen, und deshalb ist meine Freundin bereits ein wenig beunruhigt. Sich Sorgen machen bedeutet, Angst davor zu haben, dass sich Erwartungen nicht erfüllen, das weiß mein innerer Psychiater. Händchen haltend schlender ich mit Dieter zum Hafen runter. Die Temperatur ist noch angenehm und vom Meer her weht nur eine schwache Brise. Wir genießen diesen wundervollen Abend, schauen uns am Wasser um, flanieren durch die Altstadt. Wir finden eine Bank und machen uns dort breit. Nur ein einziges Wölkchen ist am Himmel zu sehen, und ich stell mir vor, es ist der Schleier einer zauberhaften Fee. Gegen halb zehn machen wir uns auf den Weg zurück in unser Hotel. 6. Mai 2009 - 22.15 Uhr Ohne noch einen Abstecher an die Bar zu machen, fahren wir mit dem Aufzug hoch aufs Zimmer. Just als Dieter unter der Dusche ist, klopft es an der Tür. Ich mach auf und mir offenbart sich ein leicht alkoholisierter Karl-Heinz, der eine Bitte an mich richtet. „Hört mal ... habt ihr eventuell ... ein Kondom zu viel? Oder auch zwei ... drei?“ Ich bin einen Moment perplex. „Äh ... nein“, antworte ich leise. „Da können wir dir leider nicht mit dienen.“ „Mist ...“ Karl-Heinz ist enttäuscht, aber wünscht mir noch eine gute Nacht, bevor er hinkend in seinem Zimmer verschwindet. Schamlos nackt wie Adam vor dem Sündenfall kehrt Dieter aus dem Bad zurück. Ich schiele kurz auf ein interessantes Teil an seinem Körper, dass ich bei mir nicht vorweisen kann. „Mit wem hast du denn gerade ge45 sprochen, Zaubermaus?“ Er scheint was mitbekommen zu haben. „Es war nur Karl-Heinz.“ „Karl-Heinz? Was wollte der denn?“ Ich überlege, ob ich ihm den wahren Grund sagen soll, aber ich lasse es zunächst. „Nix ...“ „Wie nix? Da klopft es spät abends an unserer Tür und der wollte nix?“ „Äh ... na gut. Ich sag´s dir. Er wollte ... ähem, er wollte ein Präservativ.“ „Einen Pariser? Kalle, der verzweifelte Wichser, wollte einen Pariser, eine Lümmeltüte? Ha, was ist los? Hat der eine abgeschleppt?“ „Woher soll ich das denn wissen? Ich hab niemanden bemerkt.“ „Moment mal, ich glaub, in meiner Reisetasche könnte noch eine Packung sein.“ Erneut bin ich perplex. „Seit wann hast du Kondome dabei? Davon hast du mir noch nie erzählt?“ Dieter gibt mir keine Antwort und durchsucht schweigend sein Gepäck. „Voilá, ich hab sie, die Packung. Einer ist noch drin.“ „Wieso ist da nur noch einer drin? Wo ist denn der Rest geblieben? Du schuldest mir eine Erklärung!“ Das fordere ich akustisch sehr auffällig von ihm und schaue ihn dabei mit ernster Miene an. „Hey, reg dich ab, ja. Die hab ich mir letztes Jahr vorm Sommerurlaub gekauft, da waren wir noch nicht zusammen.“ Okay, das muss ich schlucken. Da hat er möglicherweise eine blonde Rucksacktouristin aus Skandinavien mit Alkohol gefügig gemacht und am Strand durchgebumst. Oder er ist mit einer Angestellten eines unmöglichen schwedischen Möbelhauses im Schlafsack zusammengestoßen, hat den Elchtest geprobt.. Okay, Schluss damit. Die Fantasie einer Frau ist der beste Dünger für ihre Eifersucht. Immerhin scheint er vernünftig genug zu sein und legt Wert auf geschützten Verkehr, benutzt Gummis. Viel mit echter Liebe wird das Ganze nicht zutun gehabt haben, denk ich mal. Sex ohne wahre Liebe wäre für mich rohe Gewalt. Deshalb hatte ich noch nie einen One-Night-Stand. Eine wilde Bekannte von mir schon. Sie spricht dann immer von einer fabulösen, heißen, spontanen Affäre. Für mich sind das Biester, die Männer wie Trophäen behandeln. Viel Spaß und Abwechslung im Bett wollen diese Unersättlichen haben, deswegen heiraten sie auch nie. Besagte Bekannte hat sich in einem großen Konzern innerhalb von nur 48 Stunden von der Klofrau bis zur Chefsekretärin hoch geschlafen. „Komm, gib her. Ich bring es ihm, husch du schon mal ins Bettchen.“ Dieter wirft mir die Schachtel zu, und ich werfe einen kurzen Blick drauf. Gefühlsecht - Hauchdünn - Inhalt drei. Moment mal, hat er mich nicht an seinem Geburtstag gebeichtet, er hätte im Jahr 2000, da wo ich meinen ersten richtigen Sex hatte, seinen Letzten gehabt? Ich weiß nicht, was du 46 letzten Sommer getan hast, aber ich möchte es schon wissen, mein Freund und Kupferstecher. Ich geh raus und klopf an die Tür nebenan. „Hey Kalle, mach mal auf. Ich bin´s.“ Die Tür öffnet sich. „Schau mal, was ich ...“ Eine strahlende Kitty glotzt mich mit großen Augen an und reißt mir gierig die Packung aus der Hand. Ohne ein Wort mit mir gewechselt zu haben, schließt sie schnell wieder die Tür und ich krieg die Tür nicht zu. Zurück im Zimmer werde ich sofort von im Bett liegenden Dieter gefragt, wie Kalle reagiert hat. „Äääääh ... ja“, stotter ich. „Kalle ... Kalle hat sich natürlich gefreut“, lüge ich und knipse schnell das Licht aus, damit er nicht sieht, wie ich im Gesicht knallrot anlaufe. Zwanzig Minuten später, wir versuchen zu schlafen, fängt das Gestöhne an. „Hör mal, Kalle hat tatsächlich eine gefunden, die sich von ihm pimpern lässt.“ „Na und?“, knurr ich und dreh meinem Freund den Rücken zu. Mich wurmt es, das Kitty sich so schnell auf eine Bettgeschichte mit Karl-Heinz eingelassen hat. Für mich war sie eine hoffnungslose Romantikerin und schwärmte von inniger Liebe, und die braucht Zeit, muss sich entwickeln. Aber sie benimmt sich wie ein schlampiges Flittchen. Sex ist der Anfang vom Ende jeglicher Romantik, die Ehe das Ende des Sexlebens. Kittys Gestöhne wird immer heftiger und lauter, dass es den Nachtportier im Erdgeschoss noch unterhalten wird. „Galaktisch, die geht ab wie Lucy“, kichert Dieter und ist neugierig geworden. „Mit was für einer Tussie treibt der es?“ „Keine Ahnung, ich hab nix gesehen“, schwindel ich und füge gähnend hinzu: „Und du lass dich nicht anstecken und bleib bloß schön brav.“ Oh Gott, Kitty geht wirklich ab wie Lucy, da kann ich akustisch nicht mithalten. Sie ist mit Sicherheit nicht nur eine prima Souffleuse, sondern hat das Zeug zur Synchronsprecherin, am besten für den neuen Josefine Mutzenbacher Film. Nun gut, trotzdem, von ihr hätte ich es am wenigsten erwartet, dass sie sich von einem Typen flachlegen lässt, von dem sie noch nicht einmal den vollständigen Namen kennt. Ich hielt dies für unwahrscheinlich, genau wie damals in den Zeiten des Kalten Krieges eine 6,0 von einem ostdeutschen Punkterichter für eine bundesdeutsche Eiskunstläuferin. 47 Wollust hin, Wollust her. Mein Vater macht mich noch heute drauf aufmerksam, dass Sexualität ein genialer Baustein der Schöpfung ist, sonst käme der Mensch nicht auf die Idee, sich fortzupflanzen. Aber außerehelicher Sex ist Sünde. Ich glaube ihm, aber ich halt mich nicht daran. Kein Sex vor der Ehe, wer schafft das schon? Krampfhaft versuchen, den natürlichen Sexualtrieb zu unterbinden, hat doch auch keinen Sinn. Mein Vater sagt, dass so etwas nur Menschen gelingt, die eine tiefe Beziehung zu ihrem Schöpfer haben, der ihnen die nötige Kraft dazu gibt. Wenn die Beziehung von jemandem zu Gott nur so oberflächlich ist, wie die zu einem von vielleicht hundert FacebookFreunde, die manche so im Durchschnitt haben, dann gelingt das auch nicht. Indische Gurus wissen von Ojas, einer spirituellen Kraft, die die Frucht der Keuschheit ist. Je mehr ein Mensch von dieser Kraft in sich habt, desto gesünder ist er. Solche Gurus sind voll mit dem Geist Gottes und werden ihm dadurch immer ähnlicher. Gott ist ein Geistwesen und hat den Menschen nach seinem Abbild erschaffen. Das Interesse an Dingen wie Reichtum, Ruhm oder Lustbefriedigung verschwindet für solche Gurus immer mehr. Mein Vater sagt, dass ist für einen vom dunklen Weltengeist beeinflussten Erdenbürger nicht zu verstehen. Aber wer keine innige Beziehung zu seinem Schöpfer hat, braucht sich nicht zu wundern, wenn es Gott zulässt, dass man unerwartet in Not gerät. Mein Vater hält sich selbst für einen Heiligen und Sünder gleichzeitig. Ein Widerspruch, aber eine eindeutige Erkenntnis. Kein Mensch ist auf dieser Welt ohne Sünde, denn jeder hat Tricks auf Lager, das weiß ich selber. Man lügt, betrügt, täuscht, manipuliert, hat Ausreden. Eine Ausrede ist nichts anderes als eine Lüge. Dieter hat mir mal von seinem schweren Verkehrsunfall erzählt, wo er seinen ersten Wagen zu Schrott gefahren hatte. Für das Auto musste er damals 3000 Mark hinlegen. Er war achtzehn Jahre alt und seinen Führerschein besaß er keine zwei Wochen. In einem heiteren und erregten Gemütszustand, der durch Enthemmung und Selbstüberschätzung gekennzeichnet war und durch einen Joint verursacht wurde, nahm er eine Kurve zu schnell und überschlug sich. Er lag sechs Wochen im Krankenhaus. Dieter meinte, wenn du schwer verletzt im Krankenhaus liegst, dann möchtest du nur eins, und das ist gesund werden. Der Verlust des Wagens wird dir egal sein, andere Dinge wie Fußballergebnisse zum Beispiel verlieren ebenfalls ihren Stellenwert, sie interessieren dich nicht mehr. Was dich interessiert ist, dass du dem Tod von der Schippe gesprungen bist und wieder gesund wirst. 48 Gott sei Dank sehen die beiden sich nicht sportlich herausgefordert und arbeiten sie sich nicht durch das Kama Sutra, die Bettakrobatik hört zum Glück auf, die Gummis sind wohl alle und auf die Idee mit der Frischhalte-Folie scheinen sie nicht zu kommen. Ich falle in einen tiefen Schlaf. Allerdings werde ich mitten in der Nacht kurz wach, als sich heimkehrende Hotelgäste im Flur dermaßen laut unterhalten, sodass es auch unbedingt alle mitkriegen müssen, insbesondere diejenigen, die bereits am fest Ratzen sind. 7. Mai 2009 - 8.00 Uhr Insgesamt haben Dieter und ich vergangene Nacht gut geschlafen. Um die letzte Müdigkeit zu vertreiben, hopsen wir lieber die Treppen runter ins Erdgeschoss. Statt rechts zum Frühstücksbüfett zu gehen, biegen wir nach links und verlassen das Hotel, weil mein Liebster einen spontanen Spaziergang zum Meer vorgeschlagen hat. Dem schließe ich mich an, denn so richtigen Appetit habe ich nicht, es ist noch früh. Obwohl Dieter noch keinen Schluck Kaffee zu sich genommen hat, besitzt er bereits eine blendende Laune. Ein schöner Urlaub wirkt doch Wunder. Am Strand ist noch kein Mensch. Wir genießen die Ruhe und Einsamkeit. Es ist einfach herrlich, fantastisch. So schön, ja noch schöner, muss es im Garten Eden gewesen sein. Leider ist dieser Fleck hier seit gestern kein Paradies mehr für mich dank diesem brutalen Arsch von Engländer. Ich glaube, den Himmel auf Erden zu suchen ist auch so ´ne Sache, die sich früher oder später als Illusion entpuppen wird, bei den vielen bösen Menschen und den vielen Krisen in dieser Welt. Und nicht, dass sich auch noch der echte Bruce Willis als Ekelpaket erweist, wenn man mal das Glück haben sollte, ihn privat kennen zu lernen. Aber auf dieses Glück kann ich seit gestern gut verzichten, es könnte mir meine Träume zerstören. Erneut macht Dieter einen Vorschlag, den ich annehme. Wir erkunden einfach das Hotel Marsal. Okay, ein Schild macht uns drauf aufmerksam, dass der Zutritt nur Gästen gestattet ist. Der Hinweis wird ignoriert und wir gehen am großen Pool vorbei, dann Treppen hoch auf den Eingang zu. Vor dem Hotel hält ein französischer Kleinwagen. „Guck mal“, meint Dieter, „das ist doch das Auto von unserer Reiseleiterin.“ „Klar, was du nicht schon alles von der weißt“, maule ich. Meine Stimmung ändert sich jedoch schlagartig zum Positiven, als der Berliner aus dem Fahrzeug springt und seinem Chauffeur zum Abschied ein Dutzend Küsschen 49 zuwirft. Besser gesagt Chauffeurin, denn hinterm Lenkrad hockt die zweibeinige blonde Nymphenschnepfe Sackmann ohne Frage. „Da kannst du von Ausgehen, das zwischen den beiden diese Nacht was gelaufen ist“, analysiert Dieter die Lage. „Da kannst du mal sehen, wie die sich um das Wohl ihrer Feriengäste kümmert.“ „Ja klar, aber scheinbar nur um das Wohl der männlichen Gäste“, verbesser ich meinen Liebsten. „Der Berliner wird gestern Abend Kitty versetzt haben, geh ich von aus. Ich denke, deine Busenfreundin was not amused.“ Von wegen, wenn der wüsste, was da gelaufen ist. Im fremden Hotel schauen wir uns ein bisschen um und stellen fest, dass die Frau Sackmann gestern um 11.30 Uhr hier gewesen muss, denn gestern war Mittwoch. „Ich glaub, die hat bei ihrem Termin den Berliner kennen gelernt und sich an den gleich ran gemacht“, vermute ich. „Da wird unsere kleine Kitty die Nacht wohl alleine verbracht haben, und ich hätte schwören können, die angelt sich den Typen und kriegt ihn schnell rum. Somit hast du ja die Wette gewonnen, Zaubermaus.“ „Welche Wette?“, nuschel ich und tue nur so, als ob ich es vergessen hätte. „Unsere 35-Euro-Wette. Na, bei deiner anständigen Kitty lief nix diese Nacht. Somit hast du recht behalten.“ „Ja ...“, krieg ich grad so raus und spüre einen fetten Kloß im Hals. Ich mag Katzen, Kitty mag Katzen. Ich halt nix von One-Night-Stands, Kitty hält angeblich ebenfalls nix davon. Hat sie mir nun andauernd etwas vorgemacht? Frauen haben ihre Geheimnisse, aber alles kommt irgendwann ans Licht, pflegt mein Vater zu sagen. Missbrauchsfälle und CDs mit Kontoguthaben deutscher Bürger auf Schweizer Banken waren Themen bei der Tagesschau. Im Internet wird auch immer mehr veröffentlicht, wer kennt nicht Wikileaks? Dass mir mein Handy letzten Monat ins Klo gefallen ist, weiß bislang noch kein Mensch. Das Ganze ist mir immer noch ziemlich peinlich und ich behalt es lieber für mich. Ich dachte, Kitty wäre ein anständiges Mädchen. Na ja, aber auch brave Mädels wollen mal ihren Spaß mit Jungs haben, ich bin ja auch ein braves Mädchen. War´s jetzt für meine Freundin nur ein Ausrutscher oder hat die Liebe Kitty wie ein Blitz getroffen? Soll ich das gewonnene Geld von Dieter annehmen oder nicht? Kitty wird ihre Nacht mit Karl-Heinz bestimmt nicht meinem Freund beichten, aber Karl-Heinz wird damit wohl unter Männern angeben, und dann ist es raus. Spätestens heute Abend an der Bar. Falls es mehr zwischen den beiden werden sollte, 50 wenn das Herz noch im Spiel ist, ist es nur eine Frage der Zeit, wann es an die Öffentlichkeit kommt. Spätestens heute Abend an der Bar, sollten die beiden am Turteln sein wie die Täubchen. „Hier die 35 Euro.“ Mist, was mach ich nur? Wie komm ich da wieder raus? „Äääh..., ja ..., ja ..., ja ... Weißt du was, mein Schatz? Wir vergessen die Wette einfach.“ „Wie vergessen?“ „Ja, wir vergessen die Wette und du behältst die Scheine. Steck sie wieder ein. Aber eine Frage musst du mir dafür beantworten, abgemacht?“ Dieter steckt die Knete wieder ein. „Okay, schieß los, bin gespannt.“ „Also, mein Bester. Was ist passiert mit den beiden fehlenden Kondomen? Das möchte ich nur wissen.“ Dieter fängt an zu lachen. „Nein, das ausgerechnet! Oh Mann! Na gut, du willst es wissen. Früher oder später hätte ich es dir eh verraten. Ich hab Kitty gebumst.“ „Was??? Du hast Kitty ...?“ „Klar!” „Und wann war das Bitteschön???“ „Wann das war? Hey, wir hatten nur eine Frage ausgemacht.“ „Raus mit der Sprache“, fahr ich ihn scharf an und drohe mit der rechten Faust. „Okay, is´ ja gut. Ich sag´s dir ja. Das war in der Nacht, als sie mich von der Disco ins Hotel gefahren hat, weil ich mir den Fuß verletzt hatte. Letztes Jahr im Sommer in Osnabrück war das, weißt du doch.“ Kitty spielt wohl gerne das wilde Luder von Krankenschwester mit einem Faible für Fußverletzte. Jetzt wird mir auch die Wette klar. Dieter wusste ganz genau, dass man Kitty problemlos in die Kiste bekommt, wenn man nur will. „Augenblick noch, die Kondome waren nicht für Kitty eingeplant, sondern für mich. Du wolltest mich gleich bei unserem ersten Treffen flachlegen, hast stattdessen meine beste Freundin vernascht.“ Es kommt immer anders, als man denkt. Sag ich doch! „Ich bin es eigentlich nicht schuld, sondern Kitty. Sie hat die Lage kaltblütig ausgenutzt. Um zu beweisen, dass ich keine Schwuchtel bin, hatten wir wilden, verschwitzten und tierischen Sex.“ Okay, ich halt ich nun besser geschlossen. Bei einer Theaterprobe hatte ich mal erwähnt, dass der Schriftsteller, für den ich zeichne, schwul sein muss, weil er mich noch nicht angebaggert hat. 7. Mai 2009 - 9.15 Uhr Wieder in Eintracht nach diesem kleinen Zwist hocken meine bessere Hälfte und ich am Tisch und sind am Frühstücken. Eine fröhlich gestimmte Kitty kommt in den Saal hereinstolziert und ein fröhlich gestimmter Karl-Heinz hereingehumpelt. Ich begrüße sie: „Na, ihr Hübschen - gut geschlafen? Heiß gewesen diese Nacht.“ Die beiden strahlen mich an kurz und plündern erst mal das Büfett, während Dieter 51 meine Anspielung nicht versteht und sich über die nächtliche Hitze wundert. „So heiß war doch das gar nicht die Nacht?“ „Ach ja, Kalle“, frage ich ihn, „was war das noch mal, was dieser Engländer mit mir tonight vorhatte? Irgendwas mit Ride my cock, oder vertue ich mich da jetzt?“ „Ich kann dir sagen, was der mit dir machen wollte, aber ich sag´s dir nicht. Normalerweise hätte ich auch nicht gewusst, was das bedeutet, aber durch meinen starken Konsum von englischsprachigen Pornos aus dem Internet weiß ich es mittlerweile.“ Na, der Kerl gibt es wenigstens zu, dass er Pornos guckt. Schonungslos, gnadenlos, ohne Rücksicht auf Verluste. Da muss ich meinem Vater recht geben, besser eine ehrliche Antwort, ein klares Ja oder Nein, als dass immer nur um den heißen Brei herum geredet wird. Besser ein Mensch, der ehrlich zu sich ist, als jemand, der sich andauernd was vormacht. Was Karl-Heinz Pornokonsum betrifft, so wird Kitty in Bett noch rauskriegen, ob er noch mehr davon profitiert hat. Selbst ein Blinder würde sehen, dass zwischen Kitty und Karl-Heinz was im Busch ist. Ihr Verhalten lässt nicht leugnen, dass die beiden schwer verknallt sind. Das merkt natürlich auch Dieter, und nachdem sich das neue Paar wieder verzogen hat, meint er zu mir: „Ist dir das auch aufgefallen, das zwischen den beiden was läuft, Zaubermaus?“ „Da lief letzte Nacht schon allerhand.“ Dieter fängt an zu lachen. „Nein, das war also unser Pummelchen Kitty, die gestern Nacht abging wie Lucy.“ „Genau mein Lieber, der Berliner hat Kitty versetzt und Kalle hat sie getröstet.“ „Und bei jedem Glas Alkohol sind die beiden sich dann gestern am Abend näher gekommen.“ „So wird´s gewesen sein.“ Hey, Momentchen mal du Schlunz, dann hab ich die Wette doch gewonnen!“, freut sich Dieter. „Welche Wette?“ sage ich, „die wollten wir doch vergessen ...“ 7. Mai 2009 - 10.20 Uhr Wenn man dem Wetterfrosch Glauben schenkt, soll es die ganze Woche schön bleiben. Ohne die beiden frisch Verliebten nehmen Dieter und ich den Linienbus nach Porto Cristo. Sehenswert sind dort die Cuevas del Dra, die „Drachenhöhlen“. Sie sind die größten und ältesten Tropfsteinhöhlen von Mallorca und nach einem sagenhaften Drachen benannt, der dort angeblich einen Schatz bewacht haben soll. Bei uns in Deutschland gibt es auch sagenhaft viele Drachen von Frauen, die ihren Schatz von Mann bewachen, damit er sich nicht in der Kneipe oder bei 52 einer Sportveranstaltung amüsiert. Ein Mann, der immer tut, was eine Frau will, wird jedoch mit der Zeit für das Weib uninteressant, glaubt mir. Nach dem Besuch der Höhlen, die Respekt und Staunen weckten, sind wir runter zum Hafen gebummelt, da ist es ganz hübsch. Nachmittags fahren wir zurück und genießen noch den Rest vom Tag, und das herrliche Wetter macht es uns auch nicht allzu schwer. 8. Mai 2009 Der Wetterfrosch scheint recht zu haben, der Tag beginnt mit viel Sonne und kaum Wolken. Wieder ohne unsere frisch Verliebten, unternehmen wir eine Wanderung zu den Ruinen des Castell de Santueri, die sich auf einer 400 m hohen Erhebung befinden. Für den Hinweg brauchen wir gut drei Stunden, lohnt sich aber, denn wir haben oben einen fantastischen Blick über den Osten der Insel. 9. Mai 2009 Wetterfrösche lügen scheinbar doch nicht, zumindest in Spanien. Ein wunderbarer Tag bricht an, wieder mal. Um es uns von nun an etwas bequemer zu machen, mieten wir für zwei Tage einen Seat Ibiza Diesel. Mit dem Leihwagen tuckern nur Dieter und ich zunächst nach Cala D´or. Dieser nette Ort gehört zu den wenigen Flecken auf dieser zauberhaften Insel, die noch fest in britischer Hand ist. Hier ist neben dem einheimischen Spanier auch der deutsche Tourist die bedrohte Spezies. Onkel Meckermann, der alte Landser, sollte hier einen Blitzkrieg starten und mit Dumpingpreisen Deutsche in diesen netten Ort locken, dann wird es nur eine Frage der Zeit sein, wann wir in Cala D´or das Kommando übernehmen. Von diesem Ort ist es nicht mehr weit zu den traumhaften Stränden der Cala Mondragó. Das Fischerdörfchen Cala Figuera liegt einige Kilometer weiter südlich von Cala Mondragó und gehört zu den malerischsten Orten der Insel. Es liegt an einer fjordartigen, tief ins Land hinein ragenden Bucht, in denen jede Menge niedliche Fischerboote und Segelschiffe ankern. Wir halten uns weiter Richtung Süden und machen am schönen Strand von Cala Santanyí eine längere Pause. Die Bucht, die tief ins Land reicht, wird von bewaldeten Felsen eingerahmt. Rechts vom Strand kraxeln wir die Treppen hoch und finden die Stelle, von wo man aus das im Meer befindliche bizarre Felstor Es Pontas bewundern kann. 53 Bei Colonia St. Jordi gleicht die Küste einer Dünenlandschaft, wie ich es von der Nordsee her kenne. Wir fahren bis Cala Pi und drehen dann um und fahren lieber zurück, denn wir haben keinen Bock auf die Partyhochburg El Arenal, eine frühe Bastion des Massentourismus. Dort kann es sehr gefährlich werden, gerade wenn man in die Aura des gefürchteten Ballermanns kommt. 10. Mai 2009 An diesem Tag schaffen es endlich Kitty und Karl-Heinz auch wieder aus den Federn, denn die Leidenschaft von ungeteilter Aufmerksamkeit verliert irgendwann auch ihren Reiz. Die beiden zu einer Spritztour zu überreden fällt nicht schwer, da das Programm von Herrn Toshiba, Formel Eins aus Barcelona, keine ernst zu nehmende Alternative für das frische Traumpärchen ist. Karl-Heinz hat mittlerweile den Verband abgenommen. Er kann wieder ganz gut laufen, was nicht an seinen dynamischen Sportschuhen liegt, sondern weil es seinem Fuß einfach besser geht. Aber Kitty scheint sich erst wieder an eine aufrechte Position gewöhnen zu müssen. Kein Wunder, wenn man fast 24 Stunden nur auf der Matratze liegt. Wir machen uns am Vormittag bei herrlichem Wetter mit dem Auto auf den Weg nach Sa Coma, um dort in der Punta de n'Amer ein wenig spazieren zu gehen. Die Punta de n'Amer ist ein Naturschutzgebiet, welches zwischen den Orten Cala Millor und Sa Coma liegt. Heute besteht hier ein striktes Bauverbot. Mitten in diesem Gebiet hat man einst einen alten Wehrturm gebaut, das Castell de sa Punta. Vor diesem Castell befindet sich die Bar es Castell mit ihrem schönen Biergarten, wo man herrlich über die Küste nach Cala Millor blicken kann. Die Sonne, das Meer und das Castell, das sieht alles aus wie eine Illustration zu einem Märchenbuch. Im Märchen lebt das Pärchen glücklich bis zum Lebensende. Ja, die romantische Liebe, die ewige Liebe. Ist sie aber nur eine Lüge, eine Illusion, ein moderner Mythos? Gibt es sie wirklich nur in Liedern, Büchern oder Filmen? Ist das, was man auf der Leinwand sieht, nur eine Illusion, hervorgebracht von hoch qualifizierten Gewerkschaftlern unter der Regie von Alan Smithee. Wir ruhen uns ein wenig im Biergarten aus, trinken etwas, genießen das süße Nichtstun, um dann gut gelaunt nach Cala Ratjada zu fahren. Hier hat man im Hafen die Möglichkeit, eine Schiffstour zu unternehmen. Man kann mit dem Boot die Küste entlang entfahren, oder aber auch eine 54 Angeltour buchen. Mit etwas Glück zeigen sich Delfine im Meer, die hier scheinbar noch nicht vom Aussterben bedroht sind, im Gegensatz zu verständnisvollen, sensiblen und leidenschaftlichen Männern. Mein Vater ist übrigens darüber verärgert, dass so viel Geld zur Rettung von Tieren investiert wird, obwohl eine Milliarde Menschen auf dieser Welt an Hunger leiden. Zufälligerweise entdecke ich den Mann, der sich Ehefrauen kauft, mit einer mir unbekannten Dame an seiner Seite. Nach einer kurzen erotischen Balgerei darf der Suspekte als Sieger des Wettkampfes seine Zunge in das Ohr seiner Begleiterin schieben. Seine philippinische Frau hockt wahrscheinlich gerade zu Hause vor der Glotze und schaut sich eine Soap an, wo jemand seine Ehefrau am betrügen ist. Betrüger korrigieren das Glück, dies wusste bereits Casanova. Alles Kaufen können macht noch lange nicht glücklich, dies wusste bereits mein Opa. Als wir mit dem Wagen durch den Ort fahren, entdecken wir kurz vor dem Supermarkt EROSKI folgendes Schild: Sie sind im Urlaub und nicht auf der Flucht. Alle Menschen haben Zeit. Der Deutsche hat die Uhr. Der Besitzer einer Imbissstube will damit auf seine Angebote aufmerksam machen. Wir unterbrechen die Fahrt und stärken uns mit Thüringer Bratwurst und Pommes. Von Cala Ratjada geht es dann westwärts weiter bis zur großen Bucht von Alcúdia. Eine längere Rast machen wir in Ca'n Picafort. Dieser Ort war in früheren Jahren ein Fischerdorf und ist heute ein Ferienort mit allem, was das Urlauberherz begehrt. Zahlreiche Cafés und Restaurants säumen die Promenade. Ein freilaufender Hund pinkelt an eine Sonnenliege und beschnüffelt anschließend zufrieden das Resultat. Dann macht er mir am langen Strand das Leben schwer, der freche Köter bellt mich dauernd an und hält mich so in Schach. Glücklicherweise verpisst sich der Hund nach einer Weile wieder. 55 Über Manacor fahren wir zurück Richtung Porto Colom und als wir kurz hinter Felantix der Wegweiser nach Sant Salvador ins Auge springt, biegt Dieter den Wagen rechts in die schmale Straße und nach einer Million Kurven erreichten wir das Kloster. Von hier hat man sogar einen noch besseren Rundblick über die Insel als von den Überresten des Castell de Santueri, wo ich mit Dieter vor zwei Tagen hingelatscht bin. Den Stress hätten wir uns also sparen können. 11. Mai 2009 Nach dem Frühstück geben wir den Mietwagen zurück und genießen den letzten Tag vor der Abreise. Wieder überrascht uns der Tag mit Sonne. So etwas kennt man bei uns daheim kaum. Längere Perioden ohne Niederschlag sind bei uns Seltenheit. Der Deutsche hat den Regen. Wir gehen früh schlafen, da wir morgen bereits um sechs Uhr für den Transfer zum Flughafen bereit sein müssen. Dann geht´s wieder Richtung Heimat und das Alltagsleben hat einen wieder schnell. Sechs Uhr morgens ist für Langschläfer eine unchristliche Zeit. Gibt es eigentlich auch eine unmoslemische Zeit? 12. Mai 2009 - 11.55 Uhr Sicher ist unsere Boeing in Düsseldorf gelandet. Während ich beim Flug die Landschaft von oben bewundert habe, insbesondere die majestätischen Gipfel der Alpen, die aussahen wie mit Sahne dekorierte Tortenstücke, war Dieter kreativ und hat gedichtet. Was? Du findest meine Geschichte schlecht? Das ist mir aber gar nicht recht! Und du hast überhaupt nicht gelacht? Was hast du eigentlich zustande gebracht? Welche Reime sind dir gelungen? Was ist aus deinem Geiste entsprungen? Welche Geschichten hast du geschrieben? Ach so keine, du hast es vermieden. Hast wohl Angst vor negativer Wertung? Hast beim Lesen kaum gelacht, und bist nun der Meinung: „Das hätte ich alles ganz, ganz anders gemacht!“ Dann mach es doch besser, hopp, und schreib einen Bestseller, oder Flop. 56 Aber: Praxis ist nicht gleich Theorie, mein Freund. Das Was bedenke, mehr bedenke Wie! Ob malen, schreiben oder Lieder komponieren, es gibt Kritiker, die werden es nie kapieren. Sie meckern, nörgeln, tadeln, und sticheln wie mit Nadeln. Zahlt der Kunde hingegen lukrativ, bewerten Kritiker gerne positiv. Der Künstler, er war wirklich tüchtig, der Kritiker hingegen selbstsüchtig. Wenn ihre Stund dann geschlagen, und Kritiker sich ins Grab verpissen, da wo sie nichts mehr können sagen, na und? Keiner wird sie vermissen! Weder ihre vielen Worte, noch jemand anderen von dieser Sorte. Ja, mein Dieter, der Dichter. Mein Vater, der Christ, würde in etwa folgende Reime dazu fügen, denn am Schluss wird immer noch abgerechnet. Mache deshalb nie eine Rechnung ohne den Wirt! Nach dem Sterben folgt noch das Gericht, liebe Leute, vergesst das bitte nicht! Wer strebte nach Weltenruhm und Geld, landet in der Unterwelt. Solche haben im Himmel nichts verloren, sie werden ewig in der Hölle schmoren. Als Dieter seine Reisetasche auf dem Gepäckband entdeckt, meint er. „Die dreckigen Klamotten werden gleich erst mal gewaschen.“ Er legt einen Arm um mich und legt wieder los. Mann, ist der heute kreativ! 57 Mit beiden Beinen auf der Erden, Enorm in Form und braungebrannt, Heute wird die Socke sauber werden, Vollwaschmittel muss zur Hand. Das Wasser vierzig Grade heiß, Und rinnen wird kein Schweiß. Soll der Mann die Waschmaschine loben, Ist sie defekt, dann wird er toben. Für dieses Gedicht verdient Dieter ein Küsschen von mir. Das Folgende ist aus meiner Feder. Es ist entstanden, nachdem jemand sich abwertend über meine geile Garderobe geäußert hatte. Neider gieren nach des anderen Besitz, doch leugnen tun sie dies. Welch Selbstbetrug! Welch Witz! Ich muss an den Witzbold Karl-Heinz. Karl-Heinz bleibt noch eine Woche und kann sich heute noch mit Kitty vergnügen, die sich morgen von Mallorca verabschieden muss. Wie das mit den beiden weiter geht, wird sich zeigen. Körperliche Leidenschaft ist zwar keine feste Basis für eine gesunde Beziehung, aber die Beziehung hat ja gerade erst angefangen und ist ein Prozess. Deshalb ist alles möglich, bis hin zu Nachwuchs, zu Dauer plärrenden kleinen Bazillenschleudern. Die Zuneigung kann sich auch schnell wieder verflüchtigen. Warten wir es ab. Unbestritten ist, dass ein warmer, weicher Frauenkörper für einen Mann ein ordentlicher Zugewinn an Lebensqualität ist. Unbestritten ist zudem, dass Karl-Heinz seine Sprücheklopferei stark reduziert hat und Kitty das Schnattern überlässt. Eine Beziehung ist auch eine Chance. Vielleicht schafft es Karl-Heinz durch Kittys Einfluss endlich mal, beruflich in die Pötte zu kommen. Und Trost spendenden Alkohol konsumieren wäre bei einer intakten Beziehung nicht mehr nötig. Alkohol führt sowieso zu nix, außer in die Abhängigkeit und zur Selbstzerstörung. Wer aus seinen Fehlern lernt, wird besser. Wer die Schuld immer auf andere schiebt, der wird sich kaum weiter entwickeln. Mein Vater sagt immer, der Mensch kann sich ohne Schuld gar nicht weiter entwickeln. 58 Einen Spielfilm oder ein Buch, wo die Hauptfiguren am Ende heiraten, halten viele für eine Geschichte mit Happy End. Ein Film ist zu Ende, aber das Leben geht weiter. Nach der Hochzeit fangen die Probleme meist erst richtig an, Krisen werden kommen und stellen die Ehe auf die Probe. Wichtig ist, wie man mit solchen Krisen umgeht. Lebenskrisen sind gleichzeitig Lebenschancen. Der Psychiater in mir weiß, Liebe erzeugt Vertrauen, aber Ängste erzeugen Misstrauen. Krisen werden unweigerlich kommen und stellen die Ehe auf die Probe, hab ich recht, Prinz Charles? Aber er hat gelernt, bei seiner jetzigen Frau besteht kaum die Gefahr, dass ein Reitlehrer sich dafür groß interessiert. Ein All-inclusive-Urlaub auf Mallorca gleicht schon fast einem Leben wie im Paradies. Jedoch werden auch solche idyllischen Flecke früher oder später von Katastrophen, Krisen und Kriminalität heimgesucht, und für viele wäre dies desillusionierend. Ist die heile Welt nur eine Illusion? Mein Vater sagt ja. Und ich glaube, er wird recht behalten, wenn er behauptet, dass wir in einer gefallenen Welt leben. Dazu sollte man die letzten Seiten der Heiligen Schrift lesen und sich abends die Tagesschau angucken. Es wird oft von einer zweiten Chance, einem Neuanfang, gesprochen. Manch einer erhält im Leben eine zweite Chance, aber man hat nur ein Leben. Gott hat uns Menschen eine zweite Chance gegeben, als er seinen Sohn ans Kreuz geschlagen hat, um mit seinem Blut für unsere Sünden zu bezahlen. Der Urlaub hat uns alle als Sünder entlarvt, und Sünde ist Trennung von Gott. Durch den Glauben an Jesus Christus jedoch werden wir wieder mit Gott versöhnt. Wer Buße tut und umkehrt, wer Jesus Christus als seinen Retter annimmt, ja der wird errettet werden, ganz gleich, was er alles Schlimmes in seiner Vergangenheit getan hat. Also ist da immer noch eine Chance für Kriminelle, Prostituierte und Reitlehrern. Gott vergibt denen, die sich vergeben lassen wollen. 12. Mai 2009 - 12.45 Uhr Ich setz mich nach hinten. „Wie ist ihr Name, Soldat?“ Dieter stellt diese Frage unserem Taxifahrer, weil wir im Flugzeug um die Bezahlung der Heimfahrt gewettet hatten. Ich hab draufgesetzt, dass der Nachname mit einem Buchstaben von A bis K anfängt. „Detlef Kaiser“, lautet des Fahrers Antwort, der ein weit aufgeknöpftes Hemd, das ein Kettchen mit einem kleinen Kreuz zur Schau stellt. „Gewonnen!“, freue ich mich und meine noch zum Fahrer. „Der einzige Detlef, von dem ich gehört habe, 59 hieß Desaster Detlef. Hoffentlich ist ihr Fahrstil nicht so katastrophal.“ „Desaster Detlef?“, sagt der Fahrer, der im Gegensatz zu diesem türkischen Michael Schumacher einen ganz gemütlichen Fahrstil an den Tag legt. „Ja genau, Desaster Detlef“, sage ich. „Kenn ich!“, sagt der Fahrer und fängt an zu lachen. Moment, wieso fängt der nun an, zu lachen? Mir kommt da so eine Idee. „Hey, sind Sie zufälligerweise Desaster Detlef, der Desaster Detlef?“ will ich wissen und brenne vor Neugierde. „Ja genau!“ Ich bin baff. „Hey, du warst mal mit meiner großen Schwester Sandra zusammen.“ „Mit Sandra? Sandra Bullock?“ Er dreht sich kurz zu mir um und grinst mich an. „Nein, mit Sandra Schulz.“ „Sandra Schulz? Keine Ahnung!“, gibt er mir zu verstehen. „Du hast doch mehr Tage deines Lebens hinter Gittern verbracht als in der Schule.“ „Vollkommen richtig.“ Wieder fängt er an zu lachen. Oh Mann, der scheint seine dunkle Vergangenheit mit Humor bewältigt zu haben. „Und nun fährst du Taxi? Machst einen ehrlichen Job?“ „Innerliche Veränderung. Kriminalität nervt.“ „Was ist passiert? Wer hat dich so radikal zum Positiven verändert?“ frage ich ihn und im gleichen Moment fällt mir mein Vater ein, und ich kann mir schon denken, wie die Antwort lautet. 60 Ebenfalls als Gratis E-Book zu bekommen Pörfekt Kreim 61 Detektiv Ratte - Unschlagbar ist nur der King www.schnickschnackblues.de 62