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JG publik nr.08-2015 entwurf_druck 02.03.15 08:38 Seite 3
PUBLIK
EIN INFOMAGAZIN DER JG-GRUPPE
01 // 2015
FÜHRERSCHEIN – NA KLAR!
„KOMPETENT MOBIL“ –
MOBILITÄT KANN MAN LERNEN
SELBSTHILFEGRUPPE
„MOBILITÄT IM ROLLSTUHL“
MOBILITÄT BEGINNT IM KLEINEN –
UND KANN GERADE DA GROSSES BEWIRKEN
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2 // A U S D E M I N H A LT
AUS DEM INHALT
Auf ein Wort
Mobilität beginnt im Kleinen ................................................................. 03
Zum Thema
Führerschein – na klar! ........................................................................ 04
„Kompetent mobil“............................................................................... 06
„Mobilität bedeutet auch, immer wieder aufzustehen“ ............................ 08
Endlich richtig Tempo machen ............................................................ 09
Mit der Mobilitäts-App durch Aachen .................................................... 10
„Die Experten sind wir“ – Selbsthilfegruppe „Mobilität im Rollstuhl“........... 11
Fitness allein reicht nicht ...................................................................... 12
JG-Gruppe im Überblick
Tag der Begegnung ............................................................................ 13
Insgesamt fast 3000 Facebook-Fans .................................................... 13
Neue Geschäftsführung des Antoniushauses ........................................ 14
Aus den Einrichtungen
„Ich höre gerne zu“ ............................................................................. 15
Selbstbestimmtes Wohnen für ein selbstbestimmtes Leben ................16
Bilderbogen .....................................................................................18
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A U F E I N W O R T // 3
MOBILITÄT BEGINNT IM KLEINEN
Liebe Leserinnen und Leser,
mobil sein, beweglich sein, aus eigener Kraft und
selbstbestimmt von einem Ort zum anderen gelangen – das ist ein wertvolles Gut, wichtig für
die Lebensqualität, für das Selbstvertrauen und
die Teilhabe an der Gesellschaft.
Mobilität beginnt im Kleinen und kann gerade da Dr. Theodor-Michael Lucas
Manfred Schulte
Großes bedeuten: Sich im Rollstuhl aufrichten zu
können, um eine andere und weniger schmerzhafte Position einzunehmen, ist
eine Bereicherung für Körper und Seele. Sich morgens ohne fremde Hilfe waschen zu können, ist ein großer Gewinn an Selbstständigkeit und Privatsphäre.
Mal eben einen Freund oder die Familie besuchen, die notwendigen Einkäufe
im Supermarkt erledigen, problemlos den Arbeitsplatz erreichen: Mobilität zieht
sich durch fast alle Lebensbereiche und macht vieles erst möglich, was wir
brauchen und lieben. Sie hat viel mit Freiheit zu tun, und was wir damit meinen,
ist ein „Normalmaß“ an Freiheit, das für die meisten Menschen unserer Gesellschaft alltäglich ist. Das Maß an Beweglichkeit, mit dem sie für sich sorgen,
soziale Kontakte pflegen und sich zugehörig fühlen können.
Mobilität ist so grundlegend und relevant, dass wir in der Josefs-Gesellschaft
sie zu unserem Thema des Jahres 2015 gemacht haben. Denn obwohl sie so
wichtig ist, ist sie keineswegs selbstverständlich! Viele Menschen mit Behinderung sind in ihrer Mobilität eingeschränkt. Liegt das nun an ihrer Behinderung? Wir sagen: Nur zum Teil! Es sind zahlreiche Faktoren, die Mobilität
verhindern, erschweren oder begünstigen können. Auch im Rollstuhl kann
man problemlos Bahn fahren – vorausgesetzt, die Züge und Bahnsteige sind
barrierefrei. Und die wichtigste Voraussetzung zum Autofahren ist nicht ein
„normaler“, gesunder Körper, sondern ein Führerschein, in Kombination mit
einem geeigneten Fahrzeug.
In der aktuellen JG publik stellen wir Ihnen Menschen vor, die sich dazu entschlossen haben, ihre individuelle Mobilität zu leben. Lesen Sie selbst!
Dr. Theodor-Michael Lucas
Manfred Schulte
Sprecher der Geschäftsführung
Geschäftsführer
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4 // Z U M T H E M A
FÜHRERSCHEIN – NA KLAR!
Zum Heinrich-Haus in Neuwied gehört eine eigene Fahrschule, die sich auf die
besonderen Bedürfnisse von Menschen mit Behinderung spezialisiert hat. Diese
wird zunehmend auch von externen Kunden genutzt – schließlich ist dieses Angebot einmalig in der Region rund um Koblenz.
Die Tür fällt ins Schloss. Langsam den
Zündschlüssel drehen. Der Motor startet.
Mit einem zufriedenen Lächeln sitzt Chantal
Blaskura auf dem Fahrersitz und schaut
ihren Fahrlehrer Frank Schmidt erwartungsvoll an. „Von mir aus kann’s losgehen“, sagt die 20-Jährige. Frank Schmidt
hebt den Daumen. „Okay, dann lass uns
die nächste Überlandfahrt machen.“
Nur noch wenige Unterrichtsstunden trennen Chantal Blaskura von ihrem großen
Ziel: dem Auto-Führerschein. Was für die
meisten Jugendlichen selbstverständlich
ist, erschien ihr zunächst wie ein unerfüllbarer Traum. Die Gartenbau-Auszubildende im dritten Lehrjahr war zwar schon
öfter mit Opas Traktor gefahren, aber vor
der Theorie graute es ihr. Sie hat Probleme
sich zu konzentrieren, eine Lernbehinderung. Fast zwei Jahre lang hatte sie für die
theoretische Prüfung gebüffelt, immer
wieder ihre Fahrlehrer gefragt und sich
Eselsbrücken gebaut. Beim vierten Anlauf
klappte es endlich. Chantal Blaskura freut
sich: „Das ist das Besondere hier in der
Fahrschule im Heinrich-Haus. Alle Mitarbeiter nehmen sich ganz viel Zeit, den
Stoff immer wieder zu erklären“ – in Kleingruppen oder auch ganz individuell, und in
hellen, modern ausgestatteten Unterrichtsräumen. Auch hörgeschädigte Fahrschüler
bekommen im Heinrich-Haus besondere
Unterstützung von speziell ausgebildeten
Fachkräften und Dolmetschern.
Bessere Chancen auf dem Arbeitsmarkt
Der 21-Jährige Rahmoun Mellal ist schon
einen Schritt weiter als Chantal und hat
seit fast einem halben Jahr den Führerschein in der Tasche. Wegen eines angeborenen Herzfehlers brauchte er ein
Sie fangen gerade erst an: Die Maler-Azubis im ersten Lehrjahr wollen unbedingt ihren Führerschein machen. Mobil zu sein
ist für Katinka Buschel, Melis Sinn, Tom Heucher und Aline Cem (v.l.n.r.) das große Ziel.
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Gutachten, ob er überhaupt Auto fahren
darf. Nachdem das geklärt war, stand seinem Wunsch, endlich unabhängig vom
öffentlichen Nahverkehr sowie Mama und
Papa zu sein, nichts mehr im Wege. „Nun
kann ich endlich dahin fahren, wo ich hin
möchte. Zudem habe ich mit dem Führerschein viel bessere Chancen auf dem
Arbeitsmarkt“, ist sich der angehende
Bürokaufmann sicher.
„Von mir aus kann`s losgehen“, sagt Chantal Blaskura. Fahrlehrer
Frank Schmidt hebt den Daumen und die Überlandfahrt beginnt.
Weil auch die Verantwortlichen im Heinrich-Haus wissen, dass die Absolventen
mit Führerschein bessere Möglichkeiten
im Berufsleben haben, werden die hauseigenen Fahrschüler finanziell unterstützt.
Drei Autos, eines davon mit Automatikgetriebe, stehen für die Praxis bereit. Das
Besondere daran: Die Fahrzeuge können
für Menschen mit unterschiedlichen Behinderungen individuell umgerüstet werden. Ob Pedalverlängerung oder die
Steuerung per Joystick – auf alles ist das
vierköpfige Team rund um Frank Schmidt
eingerichtet.
einem Umkreis von mehreren hundert
Kilometern die einzige ist, die Menschen
mit Behinderung ermöglicht, mobil zu werden oder auch mobil zu bleiben. „Wir
haben vermehrt Anfragen von externen
Kunden, die beispielsweise durch einen
Unfall zunächst nicht weiter Auto fahren
dürfen“, sagt Frank Schmidt. Mittels einer
Fahrprobe und Fahrverhaltensbeobachtung wird es diesen Menschen wieder
möglich, Auto zu fahren. Der gute Ruf des
kompetenten Teams zahlt sich aus, so
dass die Kollegen täglich mit ihren Fahrschülern auf Achse sind.
Mittlerweile hat es sich herumgesprochen,
dass die Fahrschule im Heinrich-Haus in
Frauke Schmitz
An diesen Rechnern saß Rahmoun Mellal oft, um für die theoretische Prüfung zu lernen. Fit gemacht hat ihn unter anderem
Andreas Strüder.
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„KOMPETENT MOBIL“
Mobilität kann man trainieren – wie die Teilnehmer an einem Projekt für
mehr selbstbestimmte Teilhabe, das jetzt erfolgreich abgeschlossen wurde.
Mobil zu sein, ist eine Voraussetzung für
die eigene Lebensqualität und für ein selbstbestimmtes Leben. Für viele Menschen mit
Behinderung ist dies jedoch noch nicht
selbstverständlich. Der Alltag kann voller
Barrieren sein. So können der Weg zur
Arbeit und Freizeitaktivitäten schnell zu
einem Hindernisparcours werden.
Das Projekt „Kompetent mobil“ fördert
Menschen mit Behinderung in ihrer individuellen Mobilitätskompetenz und soll sie
befähigen, sicher und selbstständig unterwegs zu sein. Es startete im Jahr 2012 mit
dem Ziel, Menschen mit Behinderung, vor
allem am Übergang von der WfbM auf den
allgemeinen Arbeitsmarkt, mehr Mobilitätssicherheit zu verschaffen und damit
ihre berufliche Perspektive zu verbessern.
Die Projektarbeit konzentrierte sich deshalb vor allem auf die Wege zwischen
Arbeit und Wohnung. Es wurde ein För-
derkonzept entwickelt, bei dem mithilfe
von neuen Assessment-Verfahren zur Einschätzung der persönlichen Situation und
verschiedenen Lerneinheiten die Mobilität
und somit auch die Berufschancen verbessert werden sollen.
Individuelle Lerneinheiten
Die Lerneinheiten werden für jeden Teilnehmer individuell zusammengestellt, basierend auf seinen Stärken. „Wir setzen
bei den Fähigkeiten der Menschen an,
nicht bei den Defiziten“, sagt Jürgen Mies,
Bildungsbegleiter im Josefsheim Bigge,
der das Assessment und die Lerneinheiten mit entwickelt hat. Zum Beispiel durch
Rollstuhlfahrtraining auf verschiedenen
Untergründen, Training von Fahrten mit
öffentlichen Verkehrsmitteln, aber auch
Sicherheitstrainings für Fußgänger wurde
eine erste Basis geschaffen, sich sicher im
Alltag zu bewegen.
Handbuch „Kompetent mobil“
Im Rahmen von „Kompetent mobil“ ist ein Leitfaden für Fachkräfte entstanden,
die mit behinderten Menschen arbeiten und ihnen die Kompetenz und Motivation
vermitteln möchten, aktiv an ihrer Mobilität zu arbeiten. Inhalte sind pädagogische Instrumentarien, welche die Mobilitätskompetenz von Menschen mit Behinderung schulen, um die individuell höchstmögliche Mobilität und damit
Selbstständigkeit im beruflichen und privaten Alltag zu verwirklichen.
Einzelne Kapitel bzw. Lernstufen des Handbuchs können unter
www.kompetent-mobil.de/handbuch kostenlos heruntergeladen werden.
ICF-basiertes Assessment-Instrument
Interessierte können sich außerdem zur kostenlosen Nutzung des „Kompetent
mobil“-Assessments anmelden. Im Anschluss erhalten sie Nutzerdaten, mit
denen sie – gemeinsam mit einer Fachkraft – das Assessment durchführen und
abschließend den individuellen Förderplan herunterladen können. Die Anmeldung
erfolgt unter www.kompetent-mobil.de/anwendung.
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Um die Kompetenzen zu vertiefen, wurden weitere Werkzeuge entwickelt. Die
Projektpartner stellen diese Instrumente
Fachkräften zur Verfügung, die mit Menschen mit Behinderung arbeiten und ihnen
Kompetenz und Motivation vermitteln
möchten, aktiv an ihrer Mobilität zu arbeiten. Über die Projektlaufzeit hinaus bieten
die Projektpartner Seminare für diese
Fachkräfte an.
Mehr Sicherheit im Alltag
Der 24-Jährige Timo Grack hat am Projekt
„Kompetent mobil“ teilgenommen. Er ist
gehbehindert und wohnt und arbeitet im
Josefsheim. Seine neu erworbenen Kenntnisse und Fähigkeiten will er nutzen, um
seinen Bewegungsradius zu erweitern und
sie auch in seiner Freizeit verwenden. „Ich
möchte immer neue Sachen ausprobieren“, sagt Timo Grack. Kompetent mobil
hat ihm mehr Sicherheit im Alltag verschafft, zum Bespiel bei Fahrten mit öffentlichen Verkehrsmitteln.
Das Projekt „Kompetent mobil“ wurde
2014 erfolgreich beendet. Zur Projektpartnerschaft gehörten das Berufsförderungswerk Bad Wildbad, das Josefsheim Bigge,
die Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege (BGW)
und der Deutsche Rollstuhl-Sportverband
(DRS). Das Projekt wurde vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales finanziell
gefördert und vom Forschungsinstitut für
Inklusion durch Bewegung und Sport der
Deutschen Sporthochschule Köln wissenschaftlich begleitet.
Auch wenn das Projekt inzwischen abgeschlossen ist, bleibt das Thema aktuell:
Neben den Seminarangeboten findet am
29. Juni 2015 an der DGUV-Akademie in
Dresden eine Fachtagung zum Thema
„Berufliche Teilhabe durch Mobilitätskompetenz“ statt. Alles Wissenswerte
zum Projekt gibt es auch im Internet:
www.kompetent-mobil.de.
Elena Eckert
Timo Grack hat am Projekt „Kompetent mobil“ teilgenommen. Dank des Mobilitätstrainings fühlt er sich heute bei Fahrten mit öffentlichen
Verkehrsmitteln sicherer. Foto: Mario Polzer
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„MOBILITÄT BEDEUTET AUCH, IMMER
WIEDER AUFZUSTEHEN“
Nach einem schweren Unfall beweist Stefan Panig, dass man sich mit dem
nötigen Willen, aber auch der passenden Unterstützung wieder ein Maß an
Mobilität erkämpfen kann, das Lebensqualität ermöglicht.
Sport in jeder Ausprägung war ein wesentlicher Lebensinhalt des heute 35-jährigen Stefan Panig. Ob Fußball, Leichtathletik, Rettungsschwimmen – bis zu 40
Stunden Sport in der Woche waren für
den jungen Mann nicht ungewöhnlich.
Nach seinem Abitur 1999 startete er in
München als Student der Finanz- und
Wirtschaftsmathematik in eine vielversprechende berufliche Zukunft – bis 2002 ein
Badeunfall alles veränderte. Die Diagnose
Tetraplegie bedeutete für ihn, dass selbst
das Bewegen eines Fingers utopisch erschien, geschweige denn Sport zu treiben
und sein bisheriges Leben fortführen zu
können.
gramme und Lösungen für Unternehmen
jeglicher Größe bietet. Die komplexen Programmierkenntnisse eignet sich der
Aschaffenburger selbständig an, nach fünf
Jahren ist er ein versierter Fachmann auf
seinem Gebiet.
Private Gründe führen zum Ausstieg aus
dem gemeinsamen Unternehmen, so dass
sich erneut die Frage nach dem „Was
nun?“ stellt. Der fehlende Berufsabschluss
steht jeglichem beruflichem Neubeginn im
Weg. Auf der Reha-Messe in Karlsruhe
begegnet er Ulrike Bier, Mitarbeiterin des
BFW Bad Wildbad, die mit den richtigen
Ideen und Tipps neue Perspektiven für
seine berufliche Zukunft eröffnet.
Aufgeben ist keine Option
Doch Aufgeben gehört für Stefan Panig
nicht zu den akzeptablen Optionen in seinem Leben. Nach einer medizinischen Rehabilitation in der Heinrich-Sommer-Klinik,
die zum Berufsförderungswerk Bad Wildbad gehört, nimmt er sein Studium wieder
auf und kämpft sich in den Alltag eines
Studenten zurück.
2006 wird klar, dass seine Gesundheit bei
diesem anspruchsvollen Unterfangen nicht
mitspielt. Enttäuscht zieht er zurück zu
seinen Eltern, um in vertrauter Umgebung
diesen Rückschlag verdauen und neuen
Anlauf in seinem Leben nehmen zu können. Hier bietet sich ihm dann ein Einstieg
in eine verwandte berufliche Richtung: Die
Informatik. Gemeinsam mit zwei Freunden
geht er aufs Ganze und gründet eine
kleine Softwarefirma, die individuelle Pro-
Schritt für Schritt zurück ins Leben
Über eine erneute medizinische Rehabilitation in der Heinrich-Sommer-Klinik in
Bad Wildbad fasst Stefan Panig Fuß im
dortigen MBOR-Programm (medizinischberuflich orientierte Rehabilitation) und bemüht sich um eine individuell angepasste
Ausbildungsmöglichkeit im kooperierenden Berufsförderungswerk. Durch die
Klinik erhält er die notwendige Alltags- und
Pflegeunterstützung, so dass er kurz darauf eine Ausbildung zum Fachinformatiker
für Systemintegration beginnen kann –
dank seiner umfangreichen Fachkenntnisse sogar in verkürzter Form von nur
acht statt 24 Monaten. Begleitende Ergound Physiotherapie ergänzen dieses ambitionierte Vorhaben und erleichtern seinen
umfangreichen schulischen Arbeitstag in
vielerlei Hinsicht. So bedient er seine Ta-
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statur mit Hilfe eines Stiftes mit Gummikopf mittlerweile genauso schnell wie einst
mit zehn Fingern; wo es mit der Computer-Maus schwierig wird, hilft ein Touchpad
weiter.
Doch der angestrebte IHK-Abschluss ist
nicht alles: Mit sportlichem Ehrgeiz nutzt
er seine vorhandene Mobilität, spielt zum
Beispiel Rollstuhl-Rugby oder fährt mit
dem Handbike, und ist sogar trotz seines
Handicaps jahrelang Trainer einer DamenVolleyballmannschaft von 16- bis 26-Jährigen. Das persönliche i-Tüpfelchen ist der
erfolgreich bestandene Führerschein, so
dass mit der anstehenden Rückkehr in die
Arbeitswelt auch ein entsprechend umgebautes Auto und somit ein weiterer bedeutender Schritt zu noch mehr Mobilität
in greifbare Nähe rücken.
Stefan Panig hat sich allen Schicksalsschlägen zum Trotz immer
wieder Schritt für Schritt seine Mobilität zurückerobert.
„Mobilität bedeutet für mich Spontaneität
und somit Freiheit“, sagt Stefan Panig.
„Und sie bedeutet eben auch, immer wieder aufzustehen.“
Mike Roller
ENDLICH RICHTIG TEMPO MACHEN
Der Förderverein Sankt Vincenzstift e.V.
erfüllt persönliche Wünsche einzelner Bewohner und Werkstattbeschäftigter des
Sankt Vincenzstifts. Zum Beispiel die von
Klaus Justmann und Ralf Cieslak, beide
begeisterte Radsportler. Im Rahmen des
Projekts „Herzenswünsche“ erhielten sie
jeweils ein neues Fahrrad, mit dem sie
jetzt trainieren und an Wettkämpfen teilnehmen können. Und nicht nur das: Klaus
Justmann fährt mit seinem Mountainbike
täglich von Rüdesheim aus zu seiner
Arbeitsstelle, dem Dorfladen des Sankt
Vincenzstifts in Auhausen – und wer diese
Strecke quer durch die Weinberge kennt,
der weiß, dass dazu ein Fahrrad mit einer
guten Gangschaltung notwendig ist.
Weitere Informationen zum Projekt „Herzenswünsche“ gibt es unter
www.foerderverein-vincenzstift.de.
Große Freude bei der Fahrradübergabe: v.l.n.r. Klaus Justmann,
Stefan Rall (Gruppenleiter WG Antonius und Antragsteller für
Ralf Cieslak), Elisabeth Florian-Weschta (Abteilung Sport und
Janine Bingel
Bewegung), Ralf Cieslak (WG Antonius), Erik Hühnlein (Bildungsbegleiter WfBM, Antragsteller für Klaus Justmann und treibende
Kraft bei der Umsetzung des Projekts).
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1 0 // Z U M T H E M A
MIT DER MOBILITÄTS-APP DURCH AACHEN
Dzenan Dzafic, ehemaliger Schüler des Vinzenz-von-Paul-Berufskollegs, hat
ein Navigationssystem für Rollstuhlfahrer entwickelt. Maike Rüter und Markus
Pfaffenroth haben es getestet.
Dzenan Dzafic ist Doktorrand am Lehrstuhl für Informatik an der RheinischWestfälischen Technischen Hochschule
Aachen (RWTH). Im Rahmen seiner Doktorarbeit beschäftigt er sich mit dem
Thema, wie man Rollstuhlfahrern die Fortbewegung in Aachens City erleichtern
könnte. „ENav“ hat er seine App genannt,
die berechnen soll, was unter Berücksichtigung von Steigungen, Bodenbeschaffenheit und anderen Hindernissen der beste
und nicht unbedingt kürzeste Weg ist.
Um diese Entwicklung praktisch zu testen,
wandte er sich an seine ehemalige Schule,
das Vinzenz-von-Paul-Berufskolleg, zu dem
er nach wie vor eine sehr enge Bindung
hat. Doch die meisten Schüler waren
skeptisch. Schließlich erfordert es schon
eine ganze Menge Mut, unbekannte Wege
fernab des geschützten Raumes zurückzulegen. Maike Rüter und Jens Pfaffenroth
erklärten sich schließlich dazu bereit, die
ungewöhnliche Aufgabe zu übernehmen,
und wurden von Dzenan Dzafic im Vinzenz-Heim Aachen abgeholt – mit öffentlichen Verkehrsmitteln.
Im Audimax der RWTH lernten Sie zuvor
noch einen Kommilitonen von Dzafic,
Yavuz Kücük, kennen. Er ist fasziniert von
der Entwicklung Dzenans und hat im Rahmen seiner Masterarbeit bereits eine weitere Idee entwickelt: Mit seiner „StressApp“ will er zukünftig Menschen ohne Behinderung näher bringen, was Menschen
mit Behinderung im Straßenverkehr empfinden und aushalten müssen – wichtige
Informationen, die zum Beispiel in die
Stadtentwicklung mit einfließen können.
Diese neue Erfindung sollte nun von Maike
Rüter und Jens Pfaffenroth gleich mit getestet werden. Ausgestattet mit einer Videobrille und einem Smartband ums
Handgelenk, machten sie sich auf den
Weg durch die belebte Pontstraße in
Aachen, um eine vorher festgelegte
Strecke zu bewältigen.
„Ich hätte nicht gedacht, dass das so
spannend wird, und bin froh, mitgekommen zu sein“, lautete Maike Rüters Fazit.
Beide Testfahrer sind davon überzeugt,
dass die Apps ein großer Erfolg werden.
Und nicht nur das: „Dzenan ist ein Vorbild
für mich“, sagt Maike Rüter – denn er hat
gelernt, sich trotz seiner Tetraspastik ganz
selbstverständlich, ohne Ängste und Barrieren im Kopf, im Straßenverkehr zu bewegen. Damit hat er auch Maike Rüter
und Jens Paffenroth Mut gemacht, unbekannte Wege zu gehen und sich selbst
etwas zuzutrauen.
Anja Clusmann-Kötting
Sie haben es gewagt: Um die Mobilitäts-App zu testen, fuhren
Maike Rüter und Jens Pfaffenroth quer durch Aachens Stadtverkehr. Und beide finden: Das hat sich gelohnt!
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„DIE EXPERTEN SIND WIR“
Janis Bonn, Schüler im Nell-Breuning-Berufskolleg im Haus Rheinfrieden,
Rhöndorf, hat die Selbsthilfegruppe „Mobilität im Rollstuhl – mobil wie du und
ich“ gegründet – mit Unterstützung der Selbsthilfe-Kontaktstelle Köln.
Herr Bonn, die Selbsthilfegruppe existiert
seit Juli 2014. Wer nimmt daran teil?
Die meisten Mitglieder sind Rollstuhlfahrer,
die in den verschiedensten Situationen erlebt haben, dass es in vielen Bereichen
des Lebens zu Barrieren kommt. Es sind
aber auch Freunde, Angehörige, FSJler
und andere Interessierte dabei, die wissen
möchten, was zum Beispiel bei einem
Kinobesuch oder einem gemeinsamen
Abend im Biergarten zu beachten ist. Das
Einzugsgebiet reicht bis nach Kefeld, und
unsere Gruppe wächst stetig.
Welche Ziele verfolgen Sie?
Viele Barrieren lassen sich überwinden –
man muss eben nur wissen, wie. Wir wollen Ansprechpartner sein für diejenigen,
die dabei Hilfe brauchen und die sich fragen: Wie kann ich mein Leben möglichst
selbstständig bestreiten, welche Hilfen
gibt es und woher bekomme ich sie?
Dazu gehört auch, dass wir uns gegenseitig beim Ausfüllen von Anträgen oder bei
Behördengängen unterstützen.
Gibt es Fragen, die besonders häufig gestellt werden?
Oft kommen Rollstuhlfahrer verschiedenster Altersgruppen zu uns, die gerne unabhängiger werden möchten – vor allem
von den Eltern, auf die sie bisher im Hinblick auf ihre Mobilität angewiesen waren.
Dann geht es darum, eine geeignete Assistenz zu finden und diese zu beantragen.
Welche gesellschaftlichen Probleme sehen
Sie in Bezug auf Mobilität?
Es wird viel über Inklusion gesprochen,
aber Tatsache ist, dass die räumlichen Gegebenheiten dafür noch nicht vorhanden
Janis Bonn
sind. Wenn es um Barrierefreiheit geht,
werden Betroffene als Experten in eigener
Sache noch viel zu wenig einbezogen. So
kommt zum Beispiel bei Umbauten oft
etwas heraus, was zwar gut gemeint ist,
aber nicht praktikabel. Wir sehen uns als
Interessenvertretung mit dem Ziel, zu einer
Anlaufstelle für Organisationen, Institutionen, Unternehmen usw. zu werden, um
sie im Hinblick auf Barrierefreiheit und alle
anderen Aspekte der Mobilität zu beraten.
Welche nächsten Schritte stehen an?
Aktuell arbeiten wir daran, eine größere
Öffentlichkeit zu erreichen. Was wir uns
wünschen, sind auch Kooperationen, zum
Beispiel mit dem Zentrum für selbstbestimmtes Leben in Köln. Außerdem wollen
wir künftig praktische Trainings anbieten,
etwa zum Umgang mit öffentlichen Verkehrsmitteln.
Die Selbsthilfegruppe „Mobilität im
Rollstuhl – mobil wie du und ich“ trifft
sich jeden zweiten Samstag im Monat
von 14.00 bis 17.00 Uhr im Bürgerhaus „Mütze“ in Köln-Mülheim. Interessierte sind herzlich willkommen.
Telefon: 0221/951 542-16 (SelbsthilfeKontaktstelle Köln)
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1 2 // Z U M T H E M A
FITNESS ALLEIN REICHT NICHT
Schüler der Wiesbadener Schulze-Delitzsch-Schule engagieren sich im Antonishaus
– und treten anschließend im Sportrollstuhl gegen die Rollstuhlbasketball-AG an.
merkten sie, dass Fitness allein nicht ausreicht. Die Schnelligkeit und Mobilität der
Rollifahrer war beeindruckend.
Rasant und ausgefuchst manövrierten die Schüler der Rolli-Basketball-AG den Ball über das Spielfeld. Die vier Berufsschüler der
Schulze-Delitzsch-Schule in Wiesbaden hatten keine Chance.
Mit großem „Hallo“ wurden vier Schüler
der Wiesbadener Schulze-Delitzsch-Schule
von den Sportlern der Rollstuhl-Basketball
AG im Antoniushaus begrüßt. Johannes
Stryck, Uwe Altenhofen, Bilal Iqbal und
Soufian Ouazarf machen im Sommer ihr
Fachabitur und hatten als Schüler der Abschlussklasse die Aufgabe, ein Projekt zu
realisieren. Sie entschieden sich für ein soziales Projekt: Das Anstreichen der Rollstuhlrampe zwischen Edith-Stein-Schule
und Peter-Josef-Briefs-Schule, die beide
zum Antoniushaus gehören. Dieses Sozialprojekt sollte nicht ohne Sozialkontakte
beendet werden. Für den Abend im Anschluss an die Streicharbeiten wurde deshalb ein Basketball-Match eingeplant: Uwe
Altenhofen, Bilal Iqbal und Soufian Ouazarf
gegen die Rollstuhlbasketball-AG des
Antoniushauses – und im Sportrollstuhl.
Zunächst arbeiteten die engagierten Berufsschüler gewissenhaft bis in die Abendstunden an der Verschönerung der RolliRampe. Zu diesem Zeitpunkt waren sie
noch der Meinung, das anstehende Basketball-Spiel würde ein „Kinderspiel“ werden. Doch dann ging es los, und schnell
Sportlehrer Nils Spilger, der seit sechs
Jahren mit Erfolg die Rollstuhl-Basketball
AG leitet, hielt das Prinzip „Learning by
doing“ für die beste Methode. Auch sonst
dürfen beim Training Menschen mitmachen, die keine Rollstuhlfahrer, sondern
„Läufer“ sind, wie es im Jargon der Behindertensportler heißt. Dass die ungeübten
Gäste von der Schulze-Delitzsch-Schule
keine Chance in der direkten Auseinandersetzung haben würden, war schon beim
Aufwärmen zu erkennen. Während die trainierten Rolli-Basketballer im Höchsttempo
durch die Halle sausten, den Ball geschickt
vom Boden aufnahmen und aus großer
Entfernung im Korb versenkten, sah das
bei den Novizen recht unbeholfen aus.
„Rolli-Basketball erfordert enorme koordinative Fähigkeiten“, schmunzelte Trainer
Spilger, während sich die eigentlich topfitten Gäste mit einer Schwierigkeit nach der
anderen auseinandersetzen mussten.
Fahren, bremsen, lenken, zielen, werfen –
Anforderungen, die sehr schnell und oft
auch gleichzeitig zu erledigen waren. Kein
Wunder, dass man da komplett die Orientierung verlieren konnte. Im Wettbewerbsspiel sahen die Schulze-Delitzsch-Schüler
den gegnerischen Korb nur von Weitem,
während bei ihnen ein Ball nach dem anderen im Netz zappelte. Was behinderte
Menschen zu leisten imstande sind, war
offensichtlich. Und das war sicher auch
die zentrale Botschaft dieses ungleichen
Wettbewerbs.
Susanne Sperling
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INSGESAMT FAST 3000 JG-FACEBOOK-FANS
Seit Oktober 2014 ist die Josefs-Gesellschaft mit insgesamt neun Seiten (JG-Zentrale und acht Piloteinrichtungen) auf
Facebook vertreten. Das bisherige Fazit ist
sehr positiv: Insgesamt haben bereits fast
3000 „Fans“ die Seiten der JG-Gruppe
„geliked“. Vielen Dank an alle, die durch
„Liken“, „Teilen“ und Weitersagen zum
Erfolg der JG-Facebookseiten beitragen!
Themenvorschläge für Postings sind herzlich willkommen.
Bitte wenden Sie sich dazu an den zuständigen Community Manager Ihrer Einrichtung oder an die JG-Zentrale unter
[email protected].
Hier geht’s zur Facebook-Seite der JG-Zentrale:
www.facebook.com/josefsgesellschaft
Von dort aus gelangt man über die App „Einrichtungsfinder“ oder wie gewohnt über
die Suchfunktion ganz einfach zu allen weiteren Facebook-Seiten der JG-Gruppe.
TAG DER BEGEGNUNG AM 30. MAI IN KÖLN
Am 30. Mai lädt der Landschaftsverband Rheinland (LVR) wieder zum Tag der Begegnung, Europas größtem inklusiven Familienfest, in den Kölner Rheinpark ein. Der Eintritt
ist frei. Die Josefs-Gesellschaft wird auch diesmal mit einem gemeinsamen Stand dort
vertreten sein. Im vergangenen Jahr musste das Fest wegen eines Unwetters leider schon
mittags abgebrochen werden – schade, denn die Stimmung war toll! Weitere Informationen gibt es unter www.tag-der-begegnung.lvr.de.
Der Tag der Begegnung 2014 fiel buchstäblich ins Wasser – sehr zum Leidwesen der Teilnehmer und Organisatoren. Für den 30. Mai
hoffen nun alle vor allem auf eines: Besseres Wetter!
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1 4 // J G - G R U P P E I M Ü B E R B L I C K
NEUE GESCHÄFTSFÜHRUNG DES
ANTONIUSHAUSES
Das Antoniushaus in Hochheim und das Sankt Vincenzstift in Aulhausen bilden
jetzt einen Verbund im Rhein-Main-Gebiet und werden von einer gemeinsamen
Geschäftsführung geleitet.
Das Foto zeigt von rechts: Dr. Theodor-Michael Lucas, Vorstandssprecher der Josefs-Gesellschaft, Andreas Sipf, Dr. Dr. Caspar Söling,
Martin Pappert, Manfred Schulte, Vorstand der Josefs-Gesellschaft.
Seit dem 1. Februar 2015 bilden das
Antoniushaus und das Sankt Vincenzstift
in Aulhausen den „JG-Rhein-Main-Verbund“ (Arbeitstitel) und werden von einem
gemeinsamen Geschäftsführer-Team, bestehend aus drei Personen, geleitet:
Dr. Dr. Caspar Söling, seit 2006 Geschäftsführer des Sankt Vincenzstifts, ist als
Sprecher der Geschäftsführung des „JGRhein-Main-Verbunds“ für die interne und
externe Kommunikation, die Strategie der
Einrichtungen, die Schulen und den Bereich Personal verantwortlich. Andreas
Sipf, der bisherige Leiter des Bereichs
Controlling/Verwaltung im Sankt Vincenzstift, ist kaufmännischer Geschäftsführer.
Martin Pappert, bislang Leiter des Bereichs
Kinder/Jugend im Sankt Vincenzstift, ist
als pädagogischer Geschäftsführer für alle
Wohnbereiche und die Rheingau Werkstätten Rüdesheim sowie für die Fachdienste zuständig.
Das Antoniushaus und das Sankt Vincenzstift sind Tochterunternehmen der JosefsGesellschaft (JG) und behalten ihren jewei-
ligen Status als eigenständige gGmbH bei.
„Uns ist wichtig, dass sowohl das Antoniushaus als auch das Sankt Vincenzstift ihre
einzigartige Identität bewahren“, betont Dr.
Theodor- Michael Lucas, Sprecher der JGGeschäftsführung. „Es handelt sich nach
wie vor um zwei verschiedene Einrichtungen, mit einer eigenen Geschichte und
Tradition.“
Der Zusammenschluss der beiden Einrichtungen zu einem gemeinsamen Verbund
lag nahe: Das Sankt Vincenzstift hatte sich
in den letzten Jahren im Rahmen des Zukunftsprozesses „Mit ins Leben gehen“
immer stärker in das Rhein-Main-Gebiet
hineinentwickelt. So wurden zum Beispiel
zwei neue Wohnhäuser für Kinder mit Beeinträchtigung in Offenbach und Hofheim
eröffnet, die nicht weit vom Antoniushaus
in Hochheim entfernt liegen. Zudem befindet sich das Antoniushaus etwa auf halber
Strecke zwischen dem Alfred-Delp-Haus in
Oberursel, das zum Sankt Vincenzstift gehört, und dem Zentralgelände in Aulhausen.
Nina Louis
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„ICH HÖRE GERNE ZU“
Biografie-Arbeit im Benediktushof: Maike Hölker sammelt Lebensgeschichten.
„Ältere Menschen haben viel erlebt. Wenn
man ihnen gut zuhört, erfährt man viele
spannende Geschichten.“ Maike Hölker
(22) ist Jahrespraktikantin im Benediktushof Maria Veen. Den schulischen Teil ihrer
Ausbildung zur Heilerziehungspflegerin hat
die Coesfelderin abgeschlossen. Seit August arbeitet sie in der Tagesstruktur des
Benediktushofes und unterstützt außerdem das Kultur- und Freizeitteam.
„Die Arbeit ist sehr abwechslungsreich, da
ich in mehreren Bereichen eingesetzt bin
und viele Dinge selbstständig umsetzen
kann“, sagt Maike Hölker. Zum Beispiel die
Biografie-Arbeit mit den Senioren, die die
Tagesstruktur besuchen. „Es geht um die
Lebenserinnerungen unserer älteren Bewohner“, beschreibt Praktikantin Maike
Hölker ein Projekt, an dem sie mitarbeiten
darf. Senioren erzählen Begebenheiten
und Geschichten aus ihrem Leben, die
Maike und weitere Kollegen aufschreiben
und die später zu einer Chronik zusammengefasst werden.
Erinnerungen an Familie und Kindheit, an
Rituale beispielsweise zur Advents- und
Weihnachtszeit, aber auch belastende
Kriegserlebnisse werden in den Gesprächen, die Maike Hölker mit den älteren
Frauen und Männern führt, wach.
Die meisten Gespräche finden „quasi nebenbei“ statt; beim gemeinsamen Kochen,
Spielen, Spazierengehen. Wer etwas erzählen möchte, dem hört sie zu, sagt die
22-jährige. Dann stellt sie auch weitere
Fragen, die sich auf die Vergangenheit beziehen. „Das habe ich in Gesprächen mit
meinem Opa geübt“, sagt Maike Hölker
Ältere Menschen haben viel zu erzählen – und Maike Hölker
hat immer ein offenes Ohr.
und lächelt. Ihr ist wichtig, dass sich niemand bedrängt oder gar ausgefragt fühlt.
Jeder soll selbst bestimmen, was er mitteilen möchte und was nicht.
Die Biografie-Arbeit mit den Senioren im
Benediktushof ist kein Selbstzweck.
Manchmal werden beim Erzählen von früher Herzenswünsche ausgesprochen, die
relativ einfach erfüllt werden können. Oder,
und das wiederum liegt den Betreuern und
Pflegern der älteren Menschen sehr am
Herzen: Man erfährt, wie sich der Einzelne
sein Lebensende vorstellt. „Je mehr wir
darüber wissen, umso besser können wir
unsere Bewohner auch im höheren Alter
begleiten“, erklärt der Heilpädagoge und
Benediktushof-Mitarbeiter Bernhard Harborg. Er hat die Biografie-Arbeit in der
Maria Veener Einrichtung vor vielen Jahren
ins Leben gerufen. Sein Ansatz: „Ältere
Menschen haben viel Vergangenheit und
vergleichsweise wenig Zukunft. Sie haben
viel zu erzählen und brauchen jemanden,
der zuhört.“ Maike Hölker ist eine dieser
Zuhörerinnen.
Marit Konert
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„SELBSTBESTIMMTES WOHNEN FÜR EIN
SELBSTBESTIMMTES LEBEN“
Wie kann das Zusammenleben von Menschen mit und ohne Behinderung gelingen,
bei dem alle gleichermaßen an der Gesellschaft teilhaben? Um Antworten auf diese
Frage geht es in dem Projekt „Sundern mittendrin“ des Josefsheims in Bigge.
Das lokale Inklusions-Projekt „Sundern
mittendrin“ startete am 1. September 2014
mit dem Ziel, die Wünsche und Bedarfe
von Menschen mit Behinderungen zu erfassen, das lokale Umfeld in der Stadt
Sundern einzubeziehen und die dort
lebenden Menschen zu sensibilisieren,
damit die Voraussetzungen für ein gemeinsames Leben von Menschen mit und
ohne Behinderung geschaffen werden.
Gemeinsam mit der Elterninitiative Integrativer Wohnverbund für Menschen mit
Behinderung (IWB Sundern), der Stadt
Sundern, dem Behindertenbeauftragten
des Hochsauerlandkreises, Heinz Arenhövel, der Behinderten-Interessenvertretung
(BIV) Sundern und mit wissenschaftlicher
Begleitung durch die Technische Universität Dortmund wird das Projekt umgesetzt.
Finanziell unterstützt wird es von der Aktion Mensch.
In einer Zukunftswerkstatt, die Ende November 2014 stattfand, erarbeiteten Menschen mit und ohne Behinderung gemeinsam, wie Inklusion und Teilhabe ganz
konkret aussehen können. Die Zukunftswerkstatt ist eine Methode, bei der die
rund 75 Teilnehmer zunächst den aktuellen Stand der Inklusion kritisch betrachteten, um darauf aufbauend Entwicklungsperspektiven zu entwerfen. Moderiert von
Studierenden der Technischen Universität
Dortmund bearbeiteten die Teilnehmer der
Zukunftswerkstatt verschiedene Themen,
bei denen Inklusion eine wichtige Rolle
spielt.
So wurde beim Thema Sport und Freizeit
am Beispiel des Radsportvereins RSV
Sundern überlegt, wie Menschen mit Behinderung an Radtouren teilnehmen können. Vor allem zum Thema Wohnen
äußerten die Teilnehmer konkrete Wünsche
und Vorstellungen: möglichst individuell,
aber auch gemeinschaftlich sollte es sein.
Auch Probleme wurden aufgezeigt und
benannt: Beim Aspekt der Barrierefreiheit
müsse in Sundern noch viel getan werden.
Andere Städte, die Barrierefreiheit konsequent umgesetzt haben, sollen für die Zukunft als Beispiel dienen.
„Wir sind mit der Resonanz sehr zufrieden“, sagt Projektleiterin Diana Solbach.
Die Ergebnisse der Zukunftswerkstatt werden nun an der Fakultät Rehabilitationswissenschaften der Uni detailliert ausgewertet.
Um eine breite Basis für Inklusion in
Sundern zu schaffen, sollen so viele Bürgerinnen und Bürger wie möglich mit einbezogen werden, aber auch die örtlichen
Vereine und Gruppierungen und die Kirchengemeinden. Daher werden im nächsten Schritt Netzwerkgruppen ins Leben
gerufen, die die Themen der Zukunftswerkstatt weiter bearbeiten. „Wir bauen
die Netzwerke auf den vorhandenen lokalen Strukturen auf und hoffen auf die Unterstützung durch weitere Vereine, damit
noch mehr Angebote entstehen können“,
sagt Diana Solbach.
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Nach dem Erfolg der Zukunftswerkstatt,
gab es im Januar und Februar zwei weitere Bildungsveranstaltungen für Menschen mit und ohne Behinderung, die sich
mit dem Thema Wohnen beschäftigten.
Bei der ersten Veranstaltung im Januar
ging es um das neue Wohn- und Teilhabegesetz und seine Bedeutung für inklusives Wohnen in Sundern. Referent war
Marcel Stephan, Justiziar der JG-Gruppe.
Interessant vor allem für Menschen mit
Behinderung und ihre Angehörigen war
die zweite Veranstaltung im Februar: Unter
dem Titel „Meine Wohnung“ entwickelten
die Teilnehmer Wünsche und ganz konkrete Vorstellungen, wie sie ihr individuelles Wohnumfeld gestalten möchten. Auch
die besonderen Bedarfe von Menschen
mit Behinderung wurden dabei berücksichtigt. „Die Ergebnisse dieses Workshops werden die Grundlage für einen
Architektenwettbewerb sein, den wir ausschreiben werden“, kündigt Projektleiterin
Diana Solbach an. Am Ende soll daraus
ein neues Wohnangebot für Menschen mit
Behinderung an der Kurzen Straße in
Sundern entstehen.
Wie kann Inklusion im lokalen Umfeld gelingen? Um diese
Frage geht es im Projekt “Sundern mittendrin“.
Auf der Grundlage der Ergebnisse wird ab
März, im Rahmen eines dreijährigen Inklusions-Projekts, die konkrete und dauerhafte Umsetzung erarbeitet.
Bei Fragen zum Projekt wenden Sie sich
bitte an Projektleiterin Diana Solbach:
Tel. 02962 800 -7780
E-Mail: [email protected]
Elena Eckert
In einer Zukunftswerkstatt Ende November diskutierten rund 75 Teilnehmer intensiv darüber, wie Menschen mit und ohne
Behinderung Inklusion verwirklichen können.
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MOBILITÄT HAT VIELE GESICHTER
„Einen Führerschein zu besitzen bedeutet für mich, dass man – ohne auf die
Eltern angewiesen zu sein – fahren kann wohin man möchte. Bezüglich meines
Tourette-Syndroms gab es eigentlich keine Probleme. Ich musste lediglich ein
Gutachten vorlegen, um nachzuweisen, dass ich während des Fahrens kaum
bis keine Ticks habe. Der Führerschein, den ich seit August 2012 besitze,
bedeutet für mich wirklich Ungebundenheit. Man kann sich einfach ins Auto
setzen und losfahren.“
Dennis Krückel
Vinzenz-Heim Aachen
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Im Mittelpunkt der Mensch
Josefs-Gesellschaft gGmbH
Custodisstraße 19 – 21, 50679 Köln
Tel. 0221. 889 98-0, Fax 0221. 889 98-60
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www.josefs-gesellschaft.de
Impressum
Herausgeber: Josefs-Gesellschaft gGmbH
Redaktion: Nina Louis
Gestaltung & Konzeption: Maya Hässig, siebenzwoplus, Köln
Texte und Fotos: Pedro Citoler, Frauke Schmitz, Elena Eckert,
Mario Polzer, Mike Roller, Janine Bingel, Susanne Sperling,
Anja Clusmann-Kötting, Marit Konert, Guido Erbring,
Frank Springer, Nina Louis, photocase.de (seleneos)
Druck: Berufsbildungswerk im Josefsheim, Bigge
Köln, März 2015
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Katholischer Träger von Einrichtungen zur Rehabilitation
von Menschen mit Behinderungen sowie Altenheimen
und Krankenhäusern