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JG publik nr.08-2015 entwurf_druck 02.03.15 08:38 Seite 3 PUBLIK EIN INFOMAGAZIN DER JG-GRUPPE 01 // 2015 FÜHRERSCHEIN – NA KLAR! „KOMPETENT MOBIL“ – MOBILITÄT KANN MAN LERNEN SELBSTHILFEGRUPPE „MOBILITÄT IM ROLLSTUHL“ MOBILITÄT BEGINNT IM KLEINEN – UND KANN GERADE DA GROSSES BEWIRKEN JG publik nr.08-2015 entwurf_druck 02.03.15 08:38 Seite 4 2 // A U S D E M I N H A LT AUS DEM INHALT Auf ein Wort Mobilität beginnt im Kleinen ................................................................. 03 Zum Thema Führerschein – na klar! ........................................................................ 04 „Kompetent mobil“............................................................................... 06 „Mobilität bedeutet auch, immer wieder aufzustehen“ ............................ 08 Endlich richtig Tempo machen ............................................................ 09 Mit der Mobilitäts-App durch Aachen .................................................... 10 „Die Experten sind wir“ – Selbsthilfegruppe „Mobilität im Rollstuhl“........... 11 Fitness allein reicht nicht ...................................................................... 12 JG-Gruppe im Überblick Tag der Begegnung ............................................................................ 13 Insgesamt fast 3000 Facebook-Fans .................................................... 13 Neue Geschäftsführung des Antoniushauses ........................................ 14 Aus den Einrichtungen „Ich höre gerne zu“ ............................................................................. 15 Selbstbestimmtes Wohnen für ein selbstbestimmtes Leben ................16 Bilderbogen .....................................................................................18 JG publik nr.08-2015 entwurf_druck 02.03.15 08:38 Seite 5 A U F E I N W O R T // 3 MOBILITÄT BEGINNT IM KLEINEN Liebe Leserinnen und Leser, mobil sein, beweglich sein, aus eigener Kraft und selbstbestimmt von einem Ort zum anderen gelangen – das ist ein wertvolles Gut, wichtig für die Lebensqualität, für das Selbstvertrauen und die Teilhabe an der Gesellschaft. Mobilität beginnt im Kleinen und kann gerade da Dr. Theodor-Michael Lucas Manfred Schulte Großes bedeuten: Sich im Rollstuhl aufrichten zu können, um eine andere und weniger schmerzhafte Position einzunehmen, ist eine Bereicherung für Körper und Seele. Sich morgens ohne fremde Hilfe waschen zu können, ist ein großer Gewinn an Selbstständigkeit und Privatsphäre. Mal eben einen Freund oder die Familie besuchen, die notwendigen Einkäufe im Supermarkt erledigen, problemlos den Arbeitsplatz erreichen: Mobilität zieht sich durch fast alle Lebensbereiche und macht vieles erst möglich, was wir brauchen und lieben. Sie hat viel mit Freiheit zu tun, und was wir damit meinen, ist ein „Normalmaß“ an Freiheit, das für die meisten Menschen unserer Gesellschaft alltäglich ist. Das Maß an Beweglichkeit, mit dem sie für sich sorgen, soziale Kontakte pflegen und sich zugehörig fühlen können. Mobilität ist so grundlegend und relevant, dass wir in der Josefs-Gesellschaft sie zu unserem Thema des Jahres 2015 gemacht haben. Denn obwohl sie so wichtig ist, ist sie keineswegs selbstverständlich! Viele Menschen mit Behinderung sind in ihrer Mobilität eingeschränkt. Liegt das nun an ihrer Behinderung? Wir sagen: Nur zum Teil! Es sind zahlreiche Faktoren, die Mobilität verhindern, erschweren oder begünstigen können. Auch im Rollstuhl kann man problemlos Bahn fahren – vorausgesetzt, die Züge und Bahnsteige sind barrierefrei. Und die wichtigste Voraussetzung zum Autofahren ist nicht ein „normaler“, gesunder Körper, sondern ein Führerschein, in Kombination mit einem geeigneten Fahrzeug. In der aktuellen JG publik stellen wir Ihnen Menschen vor, die sich dazu entschlossen haben, ihre individuelle Mobilität zu leben. Lesen Sie selbst! Dr. Theodor-Michael Lucas Manfred Schulte Sprecher der Geschäftsführung Geschäftsführer JG publik nr.08-2015 entwurf_druck 02.03.15 08:38 Seite 6 4 // Z U M T H E M A FÜHRERSCHEIN – NA KLAR! Zum Heinrich-Haus in Neuwied gehört eine eigene Fahrschule, die sich auf die besonderen Bedürfnisse von Menschen mit Behinderung spezialisiert hat. Diese wird zunehmend auch von externen Kunden genutzt – schließlich ist dieses Angebot einmalig in der Region rund um Koblenz. Die Tür fällt ins Schloss. Langsam den Zündschlüssel drehen. Der Motor startet. Mit einem zufriedenen Lächeln sitzt Chantal Blaskura auf dem Fahrersitz und schaut ihren Fahrlehrer Frank Schmidt erwartungsvoll an. „Von mir aus kann’s losgehen“, sagt die 20-Jährige. Frank Schmidt hebt den Daumen. „Okay, dann lass uns die nächste Überlandfahrt machen.“ Nur noch wenige Unterrichtsstunden trennen Chantal Blaskura von ihrem großen Ziel: dem Auto-Führerschein. Was für die meisten Jugendlichen selbstverständlich ist, erschien ihr zunächst wie ein unerfüllbarer Traum. Die Gartenbau-Auszubildende im dritten Lehrjahr war zwar schon öfter mit Opas Traktor gefahren, aber vor der Theorie graute es ihr. Sie hat Probleme sich zu konzentrieren, eine Lernbehinderung. Fast zwei Jahre lang hatte sie für die theoretische Prüfung gebüffelt, immer wieder ihre Fahrlehrer gefragt und sich Eselsbrücken gebaut. Beim vierten Anlauf klappte es endlich. Chantal Blaskura freut sich: „Das ist das Besondere hier in der Fahrschule im Heinrich-Haus. Alle Mitarbeiter nehmen sich ganz viel Zeit, den Stoff immer wieder zu erklären“ – in Kleingruppen oder auch ganz individuell, und in hellen, modern ausgestatteten Unterrichtsräumen. Auch hörgeschädigte Fahrschüler bekommen im Heinrich-Haus besondere Unterstützung von speziell ausgebildeten Fachkräften und Dolmetschern. Bessere Chancen auf dem Arbeitsmarkt Der 21-Jährige Rahmoun Mellal ist schon einen Schritt weiter als Chantal und hat seit fast einem halben Jahr den Führerschein in der Tasche. Wegen eines angeborenen Herzfehlers brauchte er ein Sie fangen gerade erst an: Die Maler-Azubis im ersten Lehrjahr wollen unbedingt ihren Führerschein machen. Mobil zu sein ist für Katinka Buschel, Melis Sinn, Tom Heucher und Aline Cem (v.l.n.r.) das große Ziel. JG publik nr.08-2015 entwurf_druck 02.03.15 08:38 Seite 7 Z U M T H E M A // 5 Gutachten, ob er überhaupt Auto fahren darf. Nachdem das geklärt war, stand seinem Wunsch, endlich unabhängig vom öffentlichen Nahverkehr sowie Mama und Papa zu sein, nichts mehr im Wege. „Nun kann ich endlich dahin fahren, wo ich hin möchte. Zudem habe ich mit dem Führerschein viel bessere Chancen auf dem Arbeitsmarkt“, ist sich der angehende Bürokaufmann sicher. „Von mir aus kann`s losgehen“, sagt Chantal Blaskura. Fahrlehrer Frank Schmidt hebt den Daumen und die Überlandfahrt beginnt. Weil auch die Verantwortlichen im Heinrich-Haus wissen, dass die Absolventen mit Führerschein bessere Möglichkeiten im Berufsleben haben, werden die hauseigenen Fahrschüler finanziell unterstützt. Drei Autos, eines davon mit Automatikgetriebe, stehen für die Praxis bereit. Das Besondere daran: Die Fahrzeuge können für Menschen mit unterschiedlichen Behinderungen individuell umgerüstet werden. Ob Pedalverlängerung oder die Steuerung per Joystick – auf alles ist das vierköpfige Team rund um Frank Schmidt eingerichtet. einem Umkreis von mehreren hundert Kilometern die einzige ist, die Menschen mit Behinderung ermöglicht, mobil zu werden oder auch mobil zu bleiben. „Wir haben vermehrt Anfragen von externen Kunden, die beispielsweise durch einen Unfall zunächst nicht weiter Auto fahren dürfen“, sagt Frank Schmidt. Mittels einer Fahrprobe und Fahrverhaltensbeobachtung wird es diesen Menschen wieder möglich, Auto zu fahren. Der gute Ruf des kompetenten Teams zahlt sich aus, so dass die Kollegen täglich mit ihren Fahrschülern auf Achse sind. Mittlerweile hat es sich herumgesprochen, dass die Fahrschule im Heinrich-Haus in Frauke Schmitz An diesen Rechnern saß Rahmoun Mellal oft, um für die theoretische Prüfung zu lernen. Fit gemacht hat ihn unter anderem Andreas Strüder. JG publik nr.08-2015 entwurf_druck 02.03.15 08:38 Seite 8 6 // Z U M T H E M A „KOMPETENT MOBIL“ Mobilität kann man trainieren – wie die Teilnehmer an einem Projekt für mehr selbstbestimmte Teilhabe, das jetzt erfolgreich abgeschlossen wurde. Mobil zu sein, ist eine Voraussetzung für die eigene Lebensqualität und für ein selbstbestimmtes Leben. Für viele Menschen mit Behinderung ist dies jedoch noch nicht selbstverständlich. Der Alltag kann voller Barrieren sein. So können der Weg zur Arbeit und Freizeitaktivitäten schnell zu einem Hindernisparcours werden. Das Projekt „Kompetent mobil“ fördert Menschen mit Behinderung in ihrer individuellen Mobilitätskompetenz und soll sie befähigen, sicher und selbstständig unterwegs zu sein. Es startete im Jahr 2012 mit dem Ziel, Menschen mit Behinderung, vor allem am Übergang von der WfbM auf den allgemeinen Arbeitsmarkt, mehr Mobilitätssicherheit zu verschaffen und damit ihre berufliche Perspektive zu verbessern. Die Projektarbeit konzentrierte sich deshalb vor allem auf die Wege zwischen Arbeit und Wohnung. Es wurde ein För- derkonzept entwickelt, bei dem mithilfe von neuen Assessment-Verfahren zur Einschätzung der persönlichen Situation und verschiedenen Lerneinheiten die Mobilität und somit auch die Berufschancen verbessert werden sollen. Individuelle Lerneinheiten Die Lerneinheiten werden für jeden Teilnehmer individuell zusammengestellt, basierend auf seinen Stärken. „Wir setzen bei den Fähigkeiten der Menschen an, nicht bei den Defiziten“, sagt Jürgen Mies, Bildungsbegleiter im Josefsheim Bigge, der das Assessment und die Lerneinheiten mit entwickelt hat. Zum Beispiel durch Rollstuhlfahrtraining auf verschiedenen Untergründen, Training von Fahrten mit öffentlichen Verkehrsmitteln, aber auch Sicherheitstrainings für Fußgänger wurde eine erste Basis geschaffen, sich sicher im Alltag zu bewegen. Handbuch „Kompetent mobil“ Im Rahmen von „Kompetent mobil“ ist ein Leitfaden für Fachkräfte entstanden, die mit behinderten Menschen arbeiten und ihnen die Kompetenz und Motivation vermitteln möchten, aktiv an ihrer Mobilität zu arbeiten. Inhalte sind pädagogische Instrumentarien, welche die Mobilitätskompetenz von Menschen mit Behinderung schulen, um die individuell höchstmögliche Mobilität und damit Selbstständigkeit im beruflichen und privaten Alltag zu verwirklichen. Einzelne Kapitel bzw. Lernstufen des Handbuchs können unter www.kompetent-mobil.de/handbuch kostenlos heruntergeladen werden. ICF-basiertes Assessment-Instrument Interessierte können sich außerdem zur kostenlosen Nutzung des „Kompetent mobil“-Assessments anmelden. Im Anschluss erhalten sie Nutzerdaten, mit denen sie – gemeinsam mit einer Fachkraft – das Assessment durchführen und abschließend den individuellen Förderplan herunterladen können. Die Anmeldung erfolgt unter www.kompetent-mobil.de/anwendung. JG publik nr.08-2015 entwurf_druck 02.03.15 08:38 Seite 9 Z U M T H E M A // 7 Um die Kompetenzen zu vertiefen, wurden weitere Werkzeuge entwickelt. Die Projektpartner stellen diese Instrumente Fachkräften zur Verfügung, die mit Menschen mit Behinderung arbeiten und ihnen Kompetenz und Motivation vermitteln möchten, aktiv an ihrer Mobilität zu arbeiten. Über die Projektlaufzeit hinaus bieten die Projektpartner Seminare für diese Fachkräfte an. Mehr Sicherheit im Alltag Der 24-Jährige Timo Grack hat am Projekt „Kompetent mobil“ teilgenommen. Er ist gehbehindert und wohnt und arbeitet im Josefsheim. Seine neu erworbenen Kenntnisse und Fähigkeiten will er nutzen, um seinen Bewegungsradius zu erweitern und sie auch in seiner Freizeit verwenden. „Ich möchte immer neue Sachen ausprobieren“, sagt Timo Grack. Kompetent mobil hat ihm mehr Sicherheit im Alltag verschafft, zum Bespiel bei Fahrten mit öffentlichen Verkehrsmitteln. Das Projekt „Kompetent mobil“ wurde 2014 erfolgreich beendet. Zur Projektpartnerschaft gehörten das Berufsförderungswerk Bad Wildbad, das Josefsheim Bigge, die Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege (BGW) und der Deutsche Rollstuhl-Sportverband (DRS). Das Projekt wurde vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales finanziell gefördert und vom Forschungsinstitut für Inklusion durch Bewegung und Sport der Deutschen Sporthochschule Köln wissenschaftlich begleitet. Auch wenn das Projekt inzwischen abgeschlossen ist, bleibt das Thema aktuell: Neben den Seminarangeboten findet am 29. Juni 2015 an der DGUV-Akademie in Dresden eine Fachtagung zum Thema „Berufliche Teilhabe durch Mobilitätskompetenz“ statt. Alles Wissenswerte zum Projekt gibt es auch im Internet: www.kompetent-mobil.de. Elena Eckert Timo Grack hat am Projekt „Kompetent mobil“ teilgenommen. Dank des Mobilitätstrainings fühlt er sich heute bei Fahrten mit öffentlichen Verkehrsmitteln sicherer. Foto: Mario Polzer JG publik nr.08-2015 entwurf_druck 02.03.15 08:38 Seite 10 0 8 // Z U M T H E M A „MOBILITÄT BEDEUTET AUCH, IMMER WIEDER AUFZUSTEHEN“ Nach einem schweren Unfall beweist Stefan Panig, dass man sich mit dem nötigen Willen, aber auch der passenden Unterstützung wieder ein Maß an Mobilität erkämpfen kann, das Lebensqualität ermöglicht. Sport in jeder Ausprägung war ein wesentlicher Lebensinhalt des heute 35-jährigen Stefan Panig. Ob Fußball, Leichtathletik, Rettungsschwimmen – bis zu 40 Stunden Sport in der Woche waren für den jungen Mann nicht ungewöhnlich. Nach seinem Abitur 1999 startete er in München als Student der Finanz- und Wirtschaftsmathematik in eine vielversprechende berufliche Zukunft – bis 2002 ein Badeunfall alles veränderte. Die Diagnose Tetraplegie bedeutete für ihn, dass selbst das Bewegen eines Fingers utopisch erschien, geschweige denn Sport zu treiben und sein bisheriges Leben fortführen zu können. gramme und Lösungen für Unternehmen jeglicher Größe bietet. Die komplexen Programmierkenntnisse eignet sich der Aschaffenburger selbständig an, nach fünf Jahren ist er ein versierter Fachmann auf seinem Gebiet. Private Gründe führen zum Ausstieg aus dem gemeinsamen Unternehmen, so dass sich erneut die Frage nach dem „Was nun?“ stellt. Der fehlende Berufsabschluss steht jeglichem beruflichem Neubeginn im Weg. Auf der Reha-Messe in Karlsruhe begegnet er Ulrike Bier, Mitarbeiterin des BFW Bad Wildbad, die mit den richtigen Ideen und Tipps neue Perspektiven für seine berufliche Zukunft eröffnet. Aufgeben ist keine Option Doch Aufgeben gehört für Stefan Panig nicht zu den akzeptablen Optionen in seinem Leben. Nach einer medizinischen Rehabilitation in der Heinrich-Sommer-Klinik, die zum Berufsförderungswerk Bad Wildbad gehört, nimmt er sein Studium wieder auf und kämpft sich in den Alltag eines Studenten zurück. 2006 wird klar, dass seine Gesundheit bei diesem anspruchsvollen Unterfangen nicht mitspielt. Enttäuscht zieht er zurück zu seinen Eltern, um in vertrauter Umgebung diesen Rückschlag verdauen und neuen Anlauf in seinem Leben nehmen zu können. Hier bietet sich ihm dann ein Einstieg in eine verwandte berufliche Richtung: Die Informatik. Gemeinsam mit zwei Freunden geht er aufs Ganze und gründet eine kleine Softwarefirma, die individuelle Pro- Schritt für Schritt zurück ins Leben Über eine erneute medizinische Rehabilitation in der Heinrich-Sommer-Klinik in Bad Wildbad fasst Stefan Panig Fuß im dortigen MBOR-Programm (medizinischberuflich orientierte Rehabilitation) und bemüht sich um eine individuell angepasste Ausbildungsmöglichkeit im kooperierenden Berufsförderungswerk. Durch die Klinik erhält er die notwendige Alltags- und Pflegeunterstützung, so dass er kurz darauf eine Ausbildung zum Fachinformatiker für Systemintegration beginnen kann – dank seiner umfangreichen Fachkenntnisse sogar in verkürzter Form von nur acht statt 24 Monaten. Begleitende Ergound Physiotherapie ergänzen dieses ambitionierte Vorhaben und erleichtern seinen umfangreichen schulischen Arbeitstag in vielerlei Hinsicht. So bedient er seine Ta- JG publik nr.08-2015 entwurf_druck 02.03.15 08:39 Seite 11 Z U M T H E M A // 0 9 statur mit Hilfe eines Stiftes mit Gummikopf mittlerweile genauso schnell wie einst mit zehn Fingern; wo es mit der Computer-Maus schwierig wird, hilft ein Touchpad weiter. Doch der angestrebte IHK-Abschluss ist nicht alles: Mit sportlichem Ehrgeiz nutzt er seine vorhandene Mobilität, spielt zum Beispiel Rollstuhl-Rugby oder fährt mit dem Handbike, und ist sogar trotz seines Handicaps jahrelang Trainer einer DamenVolleyballmannschaft von 16- bis 26-Jährigen. Das persönliche i-Tüpfelchen ist der erfolgreich bestandene Führerschein, so dass mit der anstehenden Rückkehr in die Arbeitswelt auch ein entsprechend umgebautes Auto und somit ein weiterer bedeutender Schritt zu noch mehr Mobilität in greifbare Nähe rücken. Stefan Panig hat sich allen Schicksalsschlägen zum Trotz immer wieder Schritt für Schritt seine Mobilität zurückerobert. „Mobilität bedeutet für mich Spontaneität und somit Freiheit“, sagt Stefan Panig. „Und sie bedeutet eben auch, immer wieder aufzustehen.“ Mike Roller ENDLICH RICHTIG TEMPO MACHEN Der Förderverein Sankt Vincenzstift e.V. erfüllt persönliche Wünsche einzelner Bewohner und Werkstattbeschäftigter des Sankt Vincenzstifts. Zum Beispiel die von Klaus Justmann und Ralf Cieslak, beide begeisterte Radsportler. Im Rahmen des Projekts „Herzenswünsche“ erhielten sie jeweils ein neues Fahrrad, mit dem sie jetzt trainieren und an Wettkämpfen teilnehmen können. Und nicht nur das: Klaus Justmann fährt mit seinem Mountainbike täglich von Rüdesheim aus zu seiner Arbeitsstelle, dem Dorfladen des Sankt Vincenzstifts in Auhausen – und wer diese Strecke quer durch die Weinberge kennt, der weiß, dass dazu ein Fahrrad mit einer guten Gangschaltung notwendig ist. Weitere Informationen zum Projekt „Herzenswünsche“ gibt es unter www.foerderverein-vincenzstift.de. Große Freude bei der Fahrradübergabe: v.l.n.r. Klaus Justmann, Stefan Rall (Gruppenleiter WG Antonius und Antragsteller für Ralf Cieslak), Elisabeth Florian-Weschta (Abteilung Sport und Janine Bingel Bewegung), Ralf Cieslak (WG Antonius), Erik Hühnlein (Bildungsbegleiter WfBM, Antragsteller für Klaus Justmann und treibende Kraft bei der Umsetzung des Projekts). JG publik nr.08-2015 entwurf_druck 02.03.15 08:39 Seite 12 1 0 // Z U M T H E M A MIT DER MOBILITÄTS-APP DURCH AACHEN Dzenan Dzafic, ehemaliger Schüler des Vinzenz-von-Paul-Berufskollegs, hat ein Navigationssystem für Rollstuhlfahrer entwickelt. Maike Rüter und Markus Pfaffenroth haben es getestet. Dzenan Dzafic ist Doktorrand am Lehrstuhl für Informatik an der RheinischWestfälischen Technischen Hochschule Aachen (RWTH). Im Rahmen seiner Doktorarbeit beschäftigt er sich mit dem Thema, wie man Rollstuhlfahrern die Fortbewegung in Aachens City erleichtern könnte. „ENav“ hat er seine App genannt, die berechnen soll, was unter Berücksichtigung von Steigungen, Bodenbeschaffenheit und anderen Hindernissen der beste und nicht unbedingt kürzeste Weg ist. Um diese Entwicklung praktisch zu testen, wandte er sich an seine ehemalige Schule, das Vinzenz-von-Paul-Berufskolleg, zu dem er nach wie vor eine sehr enge Bindung hat. Doch die meisten Schüler waren skeptisch. Schließlich erfordert es schon eine ganze Menge Mut, unbekannte Wege fernab des geschützten Raumes zurückzulegen. Maike Rüter und Jens Pfaffenroth erklärten sich schließlich dazu bereit, die ungewöhnliche Aufgabe zu übernehmen, und wurden von Dzenan Dzafic im Vinzenz-Heim Aachen abgeholt – mit öffentlichen Verkehrsmitteln. Im Audimax der RWTH lernten Sie zuvor noch einen Kommilitonen von Dzafic, Yavuz Kücük, kennen. Er ist fasziniert von der Entwicklung Dzenans und hat im Rahmen seiner Masterarbeit bereits eine weitere Idee entwickelt: Mit seiner „StressApp“ will er zukünftig Menschen ohne Behinderung näher bringen, was Menschen mit Behinderung im Straßenverkehr empfinden und aushalten müssen – wichtige Informationen, die zum Beispiel in die Stadtentwicklung mit einfließen können. Diese neue Erfindung sollte nun von Maike Rüter und Jens Pfaffenroth gleich mit getestet werden. Ausgestattet mit einer Videobrille und einem Smartband ums Handgelenk, machten sie sich auf den Weg durch die belebte Pontstraße in Aachen, um eine vorher festgelegte Strecke zu bewältigen. „Ich hätte nicht gedacht, dass das so spannend wird, und bin froh, mitgekommen zu sein“, lautete Maike Rüters Fazit. Beide Testfahrer sind davon überzeugt, dass die Apps ein großer Erfolg werden. Und nicht nur das: „Dzenan ist ein Vorbild für mich“, sagt Maike Rüter – denn er hat gelernt, sich trotz seiner Tetraspastik ganz selbstverständlich, ohne Ängste und Barrieren im Kopf, im Straßenverkehr zu bewegen. Damit hat er auch Maike Rüter und Jens Paffenroth Mut gemacht, unbekannte Wege zu gehen und sich selbst etwas zuzutrauen. Anja Clusmann-Kötting Sie haben es gewagt: Um die Mobilitäts-App zu testen, fuhren Maike Rüter und Jens Pfaffenroth quer durch Aachens Stadtverkehr. Und beide finden: Das hat sich gelohnt! JG publik nr.08-2015 entwurf_druck 02.03.15 08:39 Seite 13 Z U M T H E M A // 11 „DIE EXPERTEN SIND WIR“ Janis Bonn, Schüler im Nell-Breuning-Berufskolleg im Haus Rheinfrieden, Rhöndorf, hat die Selbsthilfegruppe „Mobilität im Rollstuhl – mobil wie du und ich“ gegründet – mit Unterstützung der Selbsthilfe-Kontaktstelle Köln. Herr Bonn, die Selbsthilfegruppe existiert seit Juli 2014. Wer nimmt daran teil? Die meisten Mitglieder sind Rollstuhlfahrer, die in den verschiedensten Situationen erlebt haben, dass es in vielen Bereichen des Lebens zu Barrieren kommt. Es sind aber auch Freunde, Angehörige, FSJler und andere Interessierte dabei, die wissen möchten, was zum Beispiel bei einem Kinobesuch oder einem gemeinsamen Abend im Biergarten zu beachten ist. Das Einzugsgebiet reicht bis nach Kefeld, und unsere Gruppe wächst stetig. Welche Ziele verfolgen Sie? Viele Barrieren lassen sich überwinden – man muss eben nur wissen, wie. Wir wollen Ansprechpartner sein für diejenigen, die dabei Hilfe brauchen und die sich fragen: Wie kann ich mein Leben möglichst selbstständig bestreiten, welche Hilfen gibt es und woher bekomme ich sie? Dazu gehört auch, dass wir uns gegenseitig beim Ausfüllen von Anträgen oder bei Behördengängen unterstützen. Gibt es Fragen, die besonders häufig gestellt werden? Oft kommen Rollstuhlfahrer verschiedenster Altersgruppen zu uns, die gerne unabhängiger werden möchten – vor allem von den Eltern, auf die sie bisher im Hinblick auf ihre Mobilität angewiesen waren. Dann geht es darum, eine geeignete Assistenz zu finden und diese zu beantragen. Welche gesellschaftlichen Probleme sehen Sie in Bezug auf Mobilität? Es wird viel über Inklusion gesprochen, aber Tatsache ist, dass die räumlichen Gegebenheiten dafür noch nicht vorhanden Janis Bonn sind. Wenn es um Barrierefreiheit geht, werden Betroffene als Experten in eigener Sache noch viel zu wenig einbezogen. So kommt zum Beispiel bei Umbauten oft etwas heraus, was zwar gut gemeint ist, aber nicht praktikabel. Wir sehen uns als Interessenvertretung mit dem Ziel, zu einer Anlaufstelle für Organisationen, Institutionen, Unternehmen usw. zu werden, um sie im Hinblick auf Barrierefreiheit und alle anderen Aspekte der Mobilität zu beraten. Welche nächsten Schritte stehen an? Aktuell arbeiten wir daran, eine größere Öffentlichkeit zu erreichen. Was wir uns wünschen, sind auch Kooperationen, zum Beispiel mit dem Zentrum für selbstbestimmtes Leben in Köln. Außerdem wollen wir künftig praktische Trainings anbieten, etwa zum Umgang mit öffentlichen Verkehrsmitteln. Die Selbsthilfegruppe „Mobilität im Rollstuhl – mobil wie du und ich“ trifft sich jeden zweiten Samstag im Monat von 14.00 bis 17.00 Uhr im Bürgerhaus „Mütze“ in Köln-Mülheim. Interessierte sind herzlich willkommen. Telefon: 0221/951 542-16 (SelbsthilfeKontaktstelle Köln) JG publik nr.08-2015 entwurf_druck 02.03.15 08:39 Seite 14 1 2 // Z U M T H E M A FITNESS ALLEIN REICHT NICHT Schüler der Wiesbadener Schulze-Delitzsch-Schule engagieren sich im Antonishaus – und treten anschließend im Sportrollstuhl gegen die Rollstuhlbasketball-AG an. merkten sie, dass Fitness allein nicht ausreicht. Die Schnelligkeit und Mobilität der Rollifahrer war beeindruckend. Rasant und ausgefuchst manövrierten die Schüler der Rolli-Basketball-AG den Ball über das Spielfeld. Die vier Berufsschüler der Schulze-Delitzsch-Schule in Wiesbaden hatten keine Chance. Mit großem „Hallo“ wurden vier Schüler der Wiesbadener Schulze-Delitzsch-Schule von den Sportlern der Rollstuhl-Basketball AG im Antoniushaus begrüßt. Johannes Stryck, Uwe Altenhofen, Bilal Iqbal und Soufian Ouazarf machen im Sommer ihr Fachabitur und hatten als Schüler der Abschlussklasse die Aufgabe, ein Projekt zu realisieren. Sie entschieden sich für ein soziales Projekt: Das Anstreichen der Rollstuhlrampe zwischen Edith-Stein-Schule und Peter-Josef-Briefs-Schule, die beide zum Antoniushaus gehören. Dieses Sozialprojekt sollte nicht ohne Sozialkontakte beendet werden. Für den Abend im Anschluss an die Streicharbeiten wurde deshalb ein Basketball-Match eingeplant: Uwe Altenhofen, Bilal Iqbal und Soufian Ouazarf gegen die Rollstuhlbasketball-AG des Antoniushauses – und im Sportrollstuhl. Zunächst arbeiteten die engagierten Berufsschüler gewissenhaft bis in die Abendstunden an der Verschönerung der RolliRampe. Zu diesem Zeitpunkt waren sie noch der Meinung, das anstehende Basketball-Spiel würde ein „Kinderspiel“ werden. Doch dann ging es los, und schnell Sportlehrer Nils Spilger, der seit sechs Jahren mit Erfolg die Rollstuhl-Basketball AG leitet, hielt das Prinzip „Learning by doing“ für die beste Methode. Auch sonst dürfen beim Training Menschen mitmachen, die keine Rollstuhlfahrer, sondern „Läufer“ sind, wie es im Jargon der Behindertensportler heißt. Dass die ungeübten Gäste von der Schulze-Delitzsch-Schule keine Chance in der direkten Auseinandersetzung haben würden, war schon beim Aufwärmen zu erkennen. Während die trainierten Rolli-Basketballer im Höchsttempo durch die Halle sausten, den Ball geschickt vom Boden aufnahmen und aus großer Entfernung im Korb versenkten, sah das bei den Novizen recht unbeholfen aus. „Rolli-Basketball erfordert enorme koordinative Fähigkeiten“, schmunzelte Trainer Spilger, während sich die eigentlich topfitten Gäste mit einer Schwierigkeit nach der anderen auseinandersetzen mussten. Fahren, bremsen, lenken, zielen, werfen – Anforderungen, die sehr schnell und oft auch gleichzeitig zu erledigen waren. Kein Wunder, dass man da komplett die Orientierung verlieren konnte. Im Wettbewerbsspiel sahen die Schulze-Delitzsch-Schüler den gegnerischen Korb nur von Weitem, während bei ihnen ein Ball nach dem anderen im Netz zappelte. Was behinderte Menschen zu leisten imstande sind, war offensichtlich. Und das war sicher auch die zentrale Botschaft dieses ungleichen Wettbewerbs. Susanne Sperling JG publik nr.08-2015 entwurf_druck 02.03.15 08:39 Seite 15 J G - G R U P P E I M Ü B E R B L I C K // 1 3 INSGESAMT FAST 3000 JG-FACEBOOK-FANS Seit Oktober 2014 ist die Josefs-Gesellschaft mit insgesamt neun Seiten (JG-Zentrale und acht Piloteinrichtungen) auf Facebook vertreten. Das bisherige Fazit ist sehr positiv: Insgesamt haben bereits fast 3000 „Fans“ die Seiten der JG-Gruppe „geliked“. Vielen Dank an alle, die durch „Liken“, „Teilen“ und Weitersagen zum Erfolg der JG-Facebookseiten beitragen! Themenvorschläge für Postings sind herzlich willkommen. Bitte wenden Sie sich dazu an den zuständigen Community Manager Ihrer Einrichtung oder an die JG-Zentrale unter [email protected]. Hier geht’s zur Facebook-Seite der JG-Zentrale: www.facebook.com/josefsgesellschaft Von dort aus gelangt man über die App „Einrichtungsfinder“ oder wie gewohnt über die Suchfunktion ganz einfach zu allen weiteren Facebook-Seiten der JG-Gruppe. TAG DER BEGEGNUNG AM 30. MAI IN KÖLN Am 30. Mai lädt der Landschaftsverband Rheinland (LVR) wieder zum Tag der Begegnung, Europas größtem inklusiven Familienfest, in den Kölner Rheinpark ein. Der Eintritt ist frei. Die Josefs-Gesellschaft wird auch diesmal mit einem gemeinsamen Stand dort vertreten sein. Im vergangenen Jahr musste das Fest wegen eines Unwetters leider schon mittags abgebrochen werden – schade, denn die Stimmung war toll! Weitere Informationen gibt es unter www.tag-der-begegnung.lvr.de. Der Tag der Begegnung 2014 fiel buchstäblich ins Wasser – sehr zum Leidwesen der Teilnehmer und Organisatoren. Für den 30. Mai hoffen nun alle vor allem auf eines: Besseres Wetter! JG publik nr.08-2015 entwurf_druck 02.03.15 08:39 Seite 16 1 4 // J G - G R U P P E I M Ü B E R B L I C K NEUE GESCHÄFTSFÜHRUNG DES ANTONIUSHAUSES Das Antoniushaus in Hochheim und das Sankt Vincenzstift in Aulhausen bilden jetzt einen Verbund im Rhein-Main-Gebiet und werden von einer gemeinsamen Geschäftsführung geleitet. Das Foto zeigt von rechts: Dr. Theodor-Michael Lucas, Vorstandssprecher der Josefs-Gesellschaft, Andreas Sipf, Dr. Dr. Caspar Söling, Martin Pappert, Manfred Schulte, Vorstand der Josefs-Gesellschaft. Seit dem 1. Februar 2015 bilden das Antoniushaus und das Sankt Vincenzstift in Aulhausen den „JG-Rhein-Main-Verbund“ (Arbeitstitel) und werden von einem gemeinsamen Geschäftsführer-Team, bestehend aus drei Personen, geleitet: Dr. Dr. Caspar Söling, seit 2006 Geschäftsführer des Sankt Vincenzstifts, ist als Sprecher der Geschäftsführung des „JGRhein-Main-Verbunds“ für die interne und externe Kommunikation, die Strategie der Einrichtungen, die Schulen und den Bereich Personal verantwortlich. Andreas Sipf, der bisherige Leiter des Bereichs Controlling/Verwaltung im Sankt Vincenzstift, ist kaufmännischer Geschäftsführer. Martin Pappert, bislang Leiter des Bereichs Kinder/Jugend im Sankt Vincenzstift, ist als pädagogischer Geschäftsführer für alle Wohnbereiche und die Rheingau Werkstätten Rüdesheim sowie für die Fachdienste zuständig. Das Antoniushaus und das Sankt Vincenzstift sind Tochterunternehmen der JosefsGesellschaft (JG) und behalten ihren jewei- ligen Status als eigenständige gGmbH bei. „Uns ist wichtig, dass sowohl das Antoniushaus als auch das Sankt Vincenzstift ihre einzigartige Identität bewahren“, betont Dr. Theodor- Michael Lucas, Sprecher der JGGeschäftsführung. „Es handelt sich nach wie vor um zwei verschiedene Einrichtungen, mit einer eigenen Geschichte und Tradition.“ Der Zusammenschluss der beiden Einrichtungen zu einem gemeinsamen Verbund lag nahe: Das Sankt Vincenzstift hatte sich in den letzten Jahren im Rahmen des Zukunftsprozesses „Mit ins Leben gehen“ immer stärker in das Rhein-Main-Gebiet hineinentwickelt. So wurden zum Beispiel zwei neue Wohnhäuser für Kinder mit Beeinträchtigung in Offenbach und Hofheim eröffnet, die nicht weit vom Antoniushaus in Hochheim entfernt liegen. Zudem befindet sich das Antoniushaus etwa auf halber Strecke zwischen dem Alfred-Delp-Haus in Oberursel, das zum Sankt Vincenzstift gehört, und dem Zentralgelände in Aulhausen. Nina Louis JG publik nr.08-2015 entwurf_druck 02.03.15 08:39 Seite 17 A U S D E N E I N R I C H T U N G E N // 1 5 „ICH HÖRE GERNE ZU“ Biografie-Arbeit im Benediktushof: Maike Hölker sammelt Lebensgeschichten. „Ältere Menschen haben viel erlebt. Wenn man ihnen gut zuhört, erfährt man viele spannende Geschichten.“ Maike Hölker (22) ist Jahrespraktikantin im Benediktushof Maria Veen. Den schulischen Teil ihrer Ausbildung zur Heilerziehungspflegerin hat die Coesfelderin abgeschlossen. Seit August arbeitet sie in der Tagesstruktur des Benediktushofes und unterstützt außerdem das Kultur- und Freizeitteam. „Die Arbeit ist sehr abwechslungsreich, da ich in mehreren Bereichen eingesetzt bin und viele Dinge selbstständig umsetzen kann“, sagt Maike Hölker. Zum Beispiel die Biografie-Arbeit mit den Senioren, die die Tagesstruktur besuchen. „Es geht um die Lebenserinnerungen unserer älteren Bewohner“, beschreibt Praktikantin Maike Hölker ein Projekt, an dem sie mitarbeiten darf. Senioren erzählen Begebenheiten und Geschichten aus ihrem Leben, die Maike und weitere Kollegen aufschreiben und die später zu einer Chronik zusammengefasst werden. Erinnerungen an Familie und Kindheit, an Rituale beispielsweise zur Advents- und Weihnachtszeit, aber auch belastende Kriegserlebnisse werden in den Gesprächen, die Maike Hölker mit den älteren Frauen und Männern führt, wach. Die meisten Gespräche finden „quasi nebenbei“ statt; beim gemeinsamen Kochen, Spielen, Spazierengehen. Wer etwas erzählen möchte, dem hört sie zu, sagt die 22-jährige. Dann stellt sie auch weitere Fragen, die sich auf die Vergangenheit beziehen. „Das habe ich in Gesprächen mit meinem Opa geübt“, sagt Maike Hölker Ältere Menschen haben viel zu erzählen – und Maike Hölker hat immer ein offenes Ohr. und lächelt. Ihr ist wichtig, dass sich niemand bedrängt oder gar ausgefragt fühlt. Jeder soll selbst bestimmen, was er mitteilen möchte und was nicht. Die Biografie-Arbeit mit den Senioren im Benediktushof ist kein Selbstzweck. Manchmal werden beim Erzählen von früher Herzenswünsche ausgesprochen, die relativ einfach erfüllt werden können. Oder, und das wiederum liegt den Betreuern und Pflegern der älteren Menschen sehr am Herzen: Man erfährt, wie sich der Einzelne sein Lebensende vorstellt. „Je mehr wir darüber wissen, umso besser können wir unsere Bewohner auch im höheren Alter begleiten“, erklärt der Heilpädagoge und Benediktushof-Mitarbeiter Bernhard Harborg. Er hat die Biografie-Arbeit in der Maria Veener Einrichtung vor vielen Jahren ins Leben gerufen. Sein Ansatz: „Ältere Menschen haben viel Vergangenheit und vergleichsweise wenig Zukunft. Sie haben viel zu erzählen und brauchen jemanden, der zuhört.“ Maike Hölker ist eine dieser Zuhörerinnen. Marit Konert JG publik nr.08-2015 entwurf_druck 02.03.15 08:39 Seite 18 1 6 // A U S D E N E I N R I C H T U N G E N „SELBSTBESTIMMTES WOHNEN FÜR EIN SELBSTBESTIMMTES LEBEN“ Wie kann das Zusammenleben von Menschen mit und ohne Behinderung gelingen, bei dem alle gleichermaßen an der Gesellschaft teilhaben? Um Antworten auf diese Frage geht es in dem Projekt „Sundern mittendrin“ des Josefsheims in Bigge. Das lokale Inklusions-Projekt „Sundern mittendrin“ startete am 1. September 2014 mit dem Ziel, die Wünsche und Bedarfe von Menschen mit Behinderungen zu erfassen, das lokale Umfeld in der Stadt Sundern einzubeziehen und die dort lebenden Menschen zu sensibilisieren, damit die Voraussetzungen für ein gemeinsames Leben von Menschen mit und ohne Behinderung geschaffen werden. Gemeinsam mit der Elterninitiative Integrativer Wohnverbund für Menschen mit Behinderung (IWB Sundern), der Stadt Sundern, dem Behindertenbeauftragten des Hochsauerlandkreises, Heinz Arenhövel, der Behinderten-Interessenvertretung (BIV) Sundern und mit wissenschaftlicher Begleitung durch die Technische Universität Dortmund wird das Projekt umgesetzt. Finanziell unterstützt wird es von der Aktion Mensch. In einer Zukunftswerkstatt, die Ende November 2014 stattfand, erarbeiteten Menschen mit und ohne Behinderung gemeinsam, wie Inklusion und Teilhabe ganz konkret aussehen können. Die Zukunftswerkstatt ist eine Methode, bei der die rund 75 Teilnehmer zunächst den aktuellen Stand der Inklusion kritisch betrachteten, um darauf aufbauend Entwicklungsperspektiven zu entwerfen. Moderiert von Studierenden der Technischen Universität Dortmund bearbeiteten die Teilnehmer der Zukunftswerkstatt verschiedene Themen, bei denen Inklusion eine wichtige Rolle spielt. So wurde beim Thema Sport und Freizeit am Beispiel des Radsportvereins RSV Sundern überlegt, wie Menschen mit Behinderung an Radtouren teilnehmen können. Vor allem zum Thema Wohnen äußerten die Teilnehmer konkrete Wünsche und Vorstellungen: möglichst individuell, aber auch gemeinschaftlich sollte es sein. Auch Probleme wurden aufgezeigt und benannt: Beim Aspekt der Barrierefreiheit müsse in Sundern noch viel getan werden. Andere Städte, die Barrierefreiheit konsequent umgesetzt haben, sollen für die Zukunft als Beispiel dienen. „Wir sind mit der Resonanz sehr zufrieden“, sagt Projektleiterin Diana Solbach. Die Ergebnisse der Zukunftswerkstatt werden nun an der Fakultät Rehabilitationswissenschaften der Uni detailliert ausgewertet. Um eine breite Basis für Inklusion in Sundern zu schaffen, sollen so viele Bürgerinnen und Bürger wie möglich mit einbezogen werden, aber auch die örtlichen Vereine und Gruppierungen und die Kirchengemeinden. Daher werden im nächsten Schritt Netzwerkgruppen ins Leben gerufen, die die Themen der Zukunftswerkstatt weiter bearbeiten. „Wir bauen die Netzwerke auf den vorhandenen lokalen Strukturen auf und hoffen auf die Unterstützung durch weitere Vereine, damit noch mehr Angebote entstehen können“, sagt Diana Solbach. JG publik nr.08-2015 entwurf_druck 02.03.15 08:39 Seite 19 A U S D E N E I N R I C H T U N G E N // 1 7 Nach dem Erfolg der Zukunftswerkstatt, gab es im Januar und Februar zwei weitere Bildungsveranstaltungen für Menschen mit und ohne Behinderung, die sich mit dem Thema Wohnen beschäftigten. Bei der ersten Veranstaltung im Januar ging es um das neue Wohn- und Teilhabegesetz und seine Bedeutung für inklusives Wohnen in Sundern. Referent war Marcel Stephan, Justiziar der JG-Gruppe. Interessant vor allem für Menschen mit Behinderung und ihre Angehörigen war die zweite Veranstaltung im Februar: Unter dem Titel „Meine Wohnung“ entwickelten die Teilnehmer Wünsche und ganz konkrete Vorstellungen, wie sie ihr individuelles Wohnumfeld gestalten möchten. Auch die besonderen Bedarfe von Menschen mit Behinderung wurden dabei berücksichtigt. „Die Ergebnisse dieses Workshops werden die Grundlage für einen Architektenwettbewerb sein, den wir ausschreiben werden“, kündigt Projektleiterin Diana Solbach an. Am Ende soll daraus ein neues Wohnangebot für Menschen mit Behinderung an der Kurzen Straße in Sundern entstehen. Wie kann Inklusion im lokalen Umfeld gelingen? Um diese Frage geht es im Projekt “Sundern mittendrin“. Auf der Grundlage der Ergebnisse wird ab März, im Rahmen eines dreijährigen Inklusions-Projekts, die konkrete und dauerhafte Umsetzung erarbeitet. Bei Fragen zum Projekt wenden Sie sich bitte an Projektleiterin Diana Solbach: Tel. 02962 800 -7780 E-Mail: [email protected] Elena Eckert In einer Zukunftswerkstatt Ende November diskutierten rund 75 Teilnehmer intensiv darüber, wie Menschen mit und ohne Behinderung Inklusion verwirklichen können. JG publik nr.08-2015 entwurf_druck 02.03.15 08:39 Seite 20 MOBILITÄT HAT VIELE GESICHTER „Einen Führerschein zu besitzen bedeutet für mich, dass man – ohne auf die Eltern angewiesen zu sein – fahren kann wohin man möchte. Bezüglich meines Tourette-Syndroms gab es eigentlich keine Probleme. Ich musste lediglich ein Gutachten vorlegen, um nachzuweisen, dass ich während des Fahrens kaum bis keine Ticks habe. Der Führerschein, den ich seit August 2012 besitze, bedeutet für mich wirklich Ungebundenheit. Man kann sich einfach ins Auto setzen und losfahren.“ Dennis Krückel Vinzenz-Heim Aachen JG publik nr.08-2015 entwurf_druck 02.03.15 08:39 Seite 21 Im Mittelpunkt der Mensch Josefs-Gesellschaft gGmbH Custodisstraße 19 – 21, 50679 Köln Tel. 0221. 889 98-0, Fax 0221. 889 98-60 [email protected] www.josefs-gesellschaft.de Impressum Herausgeber: Josefs-Gesellschaft gGmbH Redaktion: Nina Louis Gestaltung & Konzeption: Maya Hässig, siebenzwoplus, Köln Texte und Fotos: Pedro Citoler, Frauke Schmitz, Elena Eckert, Mario Polzer, Mike Roller, Janine Bingel, Susanne Sperling, Anja Clusmann-Kötting, Marit Konert, Guido Erbring, Frank Springer, Nina Louis, photocase.de (seleneos) Druck: Berufsbildungswerk im Josefsheim, Bigge Köln, März 2015 JG publik nr.08-2015 entwurf_druck 02.03.15 08:38 Seite 2 Katholischer Träger von Einrichtungen zur Rehabilitation von Menschen mit Behinderungen sowie Altenheimen und Krankenhäusern