s-report Seite `01SPT_12` d-spt-12/s

Transcrição

s-report Seite `01SPT_12` d-spt-12/s
12 REPORT
Mittwoch, 6. April 2016 Kölner Stadt-Anzeiger
Pflegebedürftige brauchen Fürsorge, Zuwendung und Liebe. Voraussetzung für ihre Versorgung ist aber: Geld.
Foto: dpa
Wenn Pflege arm macht
Willkür beim Unterhalt für die Eltern oder Pflegezeiten, die die eigene Rente schmälern – die finanziellen Belastungen werden oft unterschätzt
Gerade Menschen mit
geringem Einkommen
werden stärker belastet
unverheiratete Partner, die gemeinsame Kinder betreuen, wie
der Bundesgerichtshof (BGH) gerade entschied.
Das muss man aber wissen.
Über vieles gibt es zudem Streit
mit den Ämtern. Wie oft ein Angehöriger etwa Kosten für Besuchsfahrten ansetzen kann – und ob dafür ab dem 21. Kilometer nur noch
20 statt 30 Cent pro Kilometer berechnet werden dürfen. Welche
Versicherungen man sich leisten
4
darf, um Versorgungslücken zu
schließen. Was bei einer Scheidung gilt: Darf man sein Erspartes
auffüllen, wenn man seinem ExPartner etwas abgeben musste?
Sozialämter entscheiden das
ganz unterschiedlich. Manches
wird letztlich vor Gericht ausgefochten. Dorothée Lindens Eindruck ist: „Die Rechtsprechung
wird im Hinblick auf die Sicherung des Lebensstandards restriktiver.“ Den soll niemand aufgrund
von Pflegekosten einschränken
müssen, hat der BGH geurteilt.
Eugen Brysch, Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz,
beschied jüngst: Die Belastungen
durch den Elternunterhalt würden
überschätzt. Es gebe so viele Freibeträge, dass nur sehr Wohlhabende etwas zahlen müssten.
Dass durch Pflege niemand arm
wird, stimmt trotzdem nicht ganz.
Zum einen werden gerade Menschen mit geringem Einkommen
unter Umständen viel stärker belastet. „Das ist die Kehrseite der
Orientierung am Lebensstandard“,
sagt Dorothée Linden. „Wer nicht
viel verdient, aber viel gespart hat,
ist besonders schlecht dran.“ Der
Anwältin ist der Fall einer älteren
Dame, schon über 70, im Gedächtnis geblieben: Sie hatte nur ein
kleines Einkommen, aber zeitlebens gespart – für ihr Alter. Dann
wurde ihre Mutter pflegebedürftig.
Weil das Schonvermögen anhand
ihres Einkommens und mit Blick
auf ihre Lebenserwartung berechnet wurde, blieb der Frau kaum etwas vom mühsam Ersparten.
Am größten ist das Armutsrisiko
jedoch, wenn man selbst pflegt.
In Gisela Breuhaus’ kleiner
Wohnung in einem Vorort von
Bonn stapeln sich Aktenordner
und Lose-Blatt-Sammlungen, in
zusammengewürfelten Regalen,
auf dem Computertischchen, auf
Sitzfläche, Arm- und Rückenlehne
des Sofas: Korrespondenz mit
Kranken- und Pflegeversicherunserie
•• • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • ••
DIE ZUKUNFT
DER PFLEGE (8)
Eine Frage der Finanzen
gen, Ämtern, Behörden. In eigener
Sache, aber auch für andere: Breuhaus ist aktiv für die Initiativen
„Mobil mit Behinderung“, „Selbst
aktiv“, „Wir pflegen“, war bei der
Nationalen und Europäischen Armutskonferenz dabei. Die 66-Jährige, kirschrot gefärbtes Haar, lautes, leicht raues Lachen, hat sich
immer für andere eingesetzt.
Auch für ihren Vater: Elf Jahre
hat sie ihn gepflegt. Auch als ihr
Ex-Mann schwer erkrankte, war
sie es, die sich kümmerte.
Gisela Breuhaus hatte einen gut
bezahlten Job bei der Arbeiterwohlfahrt, als ihr Vater 1998 in
Rente ging. Kurz darauf erlitt er
zwei Schlaganfälle. Breuhaus erinnert sich an die Besuche im
Krankenhaus: „Wie ein Klotz lag
er im Bett, nur dieAugen bewegten
sich.“ Neben dem Bett standen die
Ärzte und sagten: „Der wird nix
mehr.“ Die Diagnose: vaskuläre
Demenz, halbseitige Lähmung.
Gisela Breuhaus erkämpfte dem
Vater eine Reha und holte ihn danach zu sich. Kochte für ihn, badete ihn. „Ich habe ihm versprochen:
er bleibt zu Hause, bis zuletzt. Das
war mein Bedürfnis. Aber er hat
vor Freude geweint.“ Dann wurde
ihr Ex-Mann krank. Sie waren seit
Jahren geschieden, aber Kontakt
hatten sie, allein wegen des gemeinsamen Sohnes. Breuhaus besorgte ihm eine Wohnung im Haus
gegenüber. Sobald sie ihren Vater
versorgt hatte, ging sie zu ihm.
Und kümmerte sich auch hier: um
alles. 2008 starb ihr Vater. Er war
zu Hause geblieben, bis zuletzt.
2010 wurde bei Gisela Breuhaus
Brustkrebs diagnostiziert. Sie
blieb nur eine Woche in der Klinik,
während ihr Sohn seinen Vater versorgte. Die Chemotherapie machte
sie schon wieder ambulant: „Ich
kann doch die Leute nicht fallen
lassen!“
2012 starb ihr Ex-Mann. Gisela
Breuhaus war 63 Jahre alt. Wegen
der Nebenwirkungen der Medikamente kann sie das Haus nur im
Rollstuhl verlassen, sie hat Fibromyalgie, Knochenprobleme, Bluthochdruck. In ihrer Wohnung
kann sie nur bleiben, weil ihr Sohn
hier lebt, sonst wäre sie zu groß,
FRAGEN AN:
Manuela Anacker, Referentin für Sozialpolitik beim Sozialverband VdK Nordrhein-Westfalen
•• • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • ••
Z
u Dorothée Linden kommen viele Menschen, weil
ihnen die Pflege ihrer Eltern
Sorgen bereitet. Nicht, weil sie damit überfordert sind. Oder weil ihnen die Situation in einem Heim
Kummer macht. Nein: Es geht
schlicht ums Geld. Pflegebedürftige brauchen Fürsorge. Zuwendung. Liebe. Voraussetzung für ihre Versorgung ist aber: Geld. Ein
Heimplatz in der Pflegestufe 3
kostete in NRW 2015 im Schnitt
knapp 4000 Euro im Monat. Die
Pflegekasse übernimmt 1612 Euro, in Härtefällen 1995 Euro.
Wenn die Rente und das Ersparte
der Betroffenen für den Rest nicht
reichen, springen die Sozialbehörden ein – die aber fordern das Geld
von den Kindern zurück.
Dorothée Lindens Kanzlei liegt
im Kölner Süden, die vorbeifahrenden Bahnen lassen die AltbauZimmer mit den modernen Ölbildern an den Wänden sanft zittern.
Linden ist spezialisiert auf Familien- und Erbrecht. So ist sie hineingerutscht in den Kampf um die
Kosten der Pflege. „Seit drei, vier
Jahren gibt es eine explosionsartige Vermehrung der Fälle“, sagt sie.
Zu ihr kommen meist Menschen
mit mittleren Einkommen – Menschen, die etwas erwirtschaftet haben, das sie verteidigen möchten.
Ist es herzlos, ums Geld zu
kämpfen, wenn es um die eigenen
Eltern geht? Linden findet: Ganz
so ist es ja nicht. „Die meisten wollen ihre Eltern unterstützen. Aber
sie zahlen ans Sozialamt – und haben den Eindruck, dass ihr Geld
bei ihren Angehörigen gar nicht
ankommt.“ Brisanz bekommt die
Frage nach den Kosten zudem,
weil das Gesamteinkommen der
Familie eine Rolle spielt – der Ehepartner muss also indirekt mit für
die Schwiegereltern aufkommen.
Wer Hilfe zur Pflege beantragt,
bekommt einen Brief mit Bitte um
Auskunft zur Einkommens- und
Vermögenslage. Die meisten, sagt
Dorothée Linden, „geben brav
Auskunft – und wundern sich über
die Beträge, die daraufhin von ihnen verlangt werden.“ So
schlimm, wirklich? Nein, sagt Linden – wenn man weiß, wie man
rechnen muss. Aber die Auskunft
ans Sozialamt ist vertrackt wie eine Steuererklärung.
Kinder von Betroffenen müssen
die letzten zwölf Einkommensbelege plus Urlaubsgeld, Tantiemen,
Kapitaleinkünfte und Mieteinnahmen einreichen, Auskunft geben
zu Werten wie Immobilien, Lebensversicherungen, Aktien.
Aber: Von den eigenen Einkünften darf man 1800 Euro im Monat
behalten, bei Ehepaaren sind es
3240 Euro. Zudem dürfen fünf
Prozent des Brutto-Jahreseinkommens für die eigene Altersvorsorge
zurückgelegt
werden.
Dazu
kommt das Schonvermögen, das
auf Grundlage des Einkommens
und der Berufsjahre berechnet
wird: Verdient jemand 40 000 Euro
im Jahr und ist seit 25 Jahren im
Job, wird sein potenzielles Vermögen hochgerechnet auf seine Lebensarbeitszeit – macht in diesem
Beispiel 83 292 Euro Schonvermögen. Und eine selbst genutzte
Immobilie wird nicht mit zum Vermögen gezählt. Vom Einkommen
abgezogen werden zudem Arbeitskosten sowie Policen gegen Berufsunfähigkeit, Krankenzusatzoder private Pflegeversicherungen
sowie Unterhaltskosten – auch für
•• • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • ••
VON SILKE OFFERGELD
„Die Pflege zu Hause ist intensiver, wird aber schlechter bezahlt“
Sozialverband VdK plädiert für ein „Elterngeld“, um pflegende Angehörige finanziell abzusichern
Frau Anacker, viele Experten sind
der Ansicht: Durch Pflegekosten belastet werden nur Gutverdiener.
Kann Pflege wirklich arm machen?
Für die Pflege von Angehörigen
verkürzen häufig Frauen ihre Arbeitszeit oder geben ihren Beruf
ganz auf. Das verringert das Einkommen, wirkt sich negativ auf
die Rente aus und endet nicht selten in Pflegearmut.
Eine andere These ist, dass Familienpflege diskriminiert – da viel geringer vergütet wird – zugunsten der
Heimpflege. Stimmt das?
Die Argumentation der Heime ist,
dass sie viel Personal bezahlen
müssen, zudem InvestitiSo bezahlen wie professioonskosten haben. Da
nelle Kräfte kann man sie
müsste man fragen: Was
ja kaum.
Wer einen Angehörigen
genau sind die Kosten der
zu Hause pflegt, hat nicht
Heime? Warum sind sie
denselben Vergütungsanin NRW besonders hoch?
spruch wie professionelle
Ist das gerechtfertigt?
Kräfte. Das hat das BunMeinem Eindruck nach
desverfassungsgericht
ist die Pflege zu Hause oft Manuela
2014 entschieden. Angeintensiver als im Heim – Anacker
hörige sind aber der größwird aber viel schlechter
bezahlt. Das ist ungerecht. Ganz te Pflegedienst der Nation. Um sie
abgesehen davon, dass Pflege – zu stärken, plädieren wir etwa für
auch professionelle – grundsätz- kostenlose Unterstützungs- und
Entlastungsangebote, bessere Prälich zu gering vergütet wird.
ventions- und GesundheitsleistunWie könnten Angehörige denn an- gen sowie einheitliche und fläsonsten besser unterstützt werden? chendeckende Pflegeberatung.
Die neuen Gesetze setzten auf längere Auszeiten für die Pflege und eine
bessereAnerkennung bei der Rente –
wird da einiges besser?
Durch das Pflegestärkungsgesetz
wurde zwar die rentenrechtliche
Bewertung für Angehörigenpflege
etwas verbessert, es gibt aber immer noch keine Gleichstellung
von Pflege- und Kindererziehungszeiten. Zudem setzen wir
uns für einen Entgeltersatz für
pflegende Angehörige ein. So
könnten diese ihre Arbeit – ähnlich
wie beim Elterngeld – bis zu zwölf
Monate aussetzen und trotzdem
über etwa ein Drittel ihres Einkommens verfügen.
um Wohngeld zu beziehen. Gisela
Breuhaus’ Einsatz in der Pflege
mag moralisch bewundernswert
sein. Ökonomisch gesehen war er
Wahnsinn. Gelebt hat sie in ihren
15 Jahren Pflege von Sozialhilfe.
Das Jobcenter lud sie nicht mehr
ein, nachdem sie einmal ihren Vater mitgebracht hatte. Heute setzt
sich ihr Lebensunterhalt zusammen aus zwei kleinen Renten, dem
persönlichen Budget aufgrund ihrer Behinderung und der Grundsicherung – insgesamt ergibt das etwas über 800 Euro im Monat. Als
arm gilt in Deutschland, wer weniger als 892 Euro zurVerfügung hat.
Ab 2017 soll die Arbeit von Angehörigen stärker bei der Rente gewürdigt werden. Bislang gibt es
für Pflege weniger Punkte als für
Kinderbetreuung – und schon diese Zeiten schmälern die Rentenhöhe von Frauen erheblich. Natürlich
kann man sagen: Gisela Breuhaus
hat nichts eingezahlt. Tatsächlich
aber setzt das Sozialsystem auf die
Angehörigen. Ohne ihre Zeit wäre
gerade die Versorgung Demenzkranker nicht finanzierbar.
Gisela Breuhaus findet: Es ist
kein Verdienst, dass sie ihren Vater
und ihren Ex-Mann gepflegt hat.
„Ich habe das ja gerne gemacht.
Aber eine Rente wäre schon
schön.“ Sie findet: Dank ihres Einsatzes haben andere viel Geld gespart. Die Kommunen, die die
Heimkosten hätten zuschießen
müssen, weil die Rente des Vaters
dafür nicht gereicht hätte. Die
Pflegekasse, die für einen Heimplatz ebenfalls viel mehr hätte zahlen müssen. Weil sie das nicht fair
findet, setzt sie sich heute für andere ein. Was, wenn sie selbst einmal Pflege braucht? Gisela Breuhaus zögert. Dann sagt sie: „Ich
mache mir nicht gerne Gedanken
über die Zukunft.“
Die Initiative „Armut durch Pflege“
gibt Betroffenen eine Stimme:
www.armutdurchpflege.de
Wie ist Ihre Meinung?
Welche Erfahrungen haben Sie
mit Pflege gemacht?
Schreiben:
Kölner Stadt-Anzeiger,
50590 Köln
Faxen:
0221/224-25 24
Mailen:
[email protected]
„Stichwort Pflege“
(Bitte alle Schreiben oder Mails
mit kompletter Anschrift)