Freiheit oder Sicherheit – Ist Deutschland auf dem

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Freiheit oder Sicherheit – Ist Deutschland auf dem
A ktu e ll
und
K ontrov e rs | F r e i h e i t o d e r S i c h e r h e i t ?
Freiheit oder Sicherheit – Ist Deutschland auf
dem Weg in den Überwachungsstaat?
A u s zü ge a u s e i ne r ö f f e nt l i c he n Disk u ssion a m 4 . Dezember 2 0 0 7
Das Bürgerkomitee Leipzig hatte anlässlich der sich zuspitzenden Debatte um die neuen Sicherheitsgesetze Kritiker
und Befürworter in die „Runde Ecke“ eingeladen. Es diskutierten Christoph Bergner, parlamentarischer Staatssekretär im Bundesministerium des Innern, Prof. Josef Isensee, Professor für Öffentliches Recht an der Universität Bonn,
Michael Konken, Vorsitzender des Deutschen Journalisten-Verbandes (DJV), Dr. Karsten Rudolph, Innenpolitischer
Sprecher der SPD-Landtagsfraktion in Nordrhein-Westfalen und Andreas Schurig, Sächsischer Landesbeauftragter
für den Datenschutz, moderiert von Helmuth Frauendorfer, Journalist beim ARD-Magazin Fakt. Horch und Guck
dokumentiert die Debatte, die sich an einen Vortrag von Prof. Isensee anschloss, in Auszügen.
Tobias Hollitzer (Begrüßung): Vor genau 18
Jahren, besetzten Bürger in Leipzig und
vielen anderen Orten die Stasi-Dienststellen, in denen auch nach Mauerfall und
Grenzöffnung weiter gearbeitet wurde.
In der Folge wurde die kommunistische
Geheimpolizei, die bis dahin zum Schutz
der SED-Diktatur tief in die Privatsphäre
der Menschen eingegriffen hatte, aufgelöst.
„Rechtssicherheit statt Staatssicherheit“
war eine der Losungen der Demonstranten
im Herbst 1989.
liches Jahrzehnt schien das auch geklärt –
bis zum 11. September 2001. Er sollte die
demokratische, westliche Welt in bis dahin
nicht vorstellbarer Art verändern. Die
Gefangenen im US-Lager Guantanamo,
die jahrelang ohne Anklage festgehalten
werden, oder der Folterskandal im Irak
empörten die Öffentlichkeit. Doch auch in
Deutschland werden neue Sicherheitsgesetze beschlossen, die mit einer erheblichen
Einschränkung der Persönlichkeitsrechte
einher gehen.
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Das Podium: Prof. Dr. Josef Isensee, Christoph Bergner, Andreas Schurig, Helmuth Frauendorfer, Michael Konken,
Dr. Karsten Rudolph (v.l.n.r.)
Der Begriff „Datenschutz“ machte bald
die Runde. Jeder Bürger sollte auch in
der DDR selbst über seine persönlichen
Daten bestimmen können. Überwachung
und Bespitzelung sollten ein für alle Mal
der Vergangenheit angehören. Ein reich-
Spätestens mit dem Einsatz von
Geruchs­roben zur Absicherung des G8-Gipfels im Sommer 2007 wurden Bezüge zu
den Stasi-Methoden hergestellt. Inzwischen kursiert für die Vorschläge aus dem
Bundesinnenministerium die Bezeichnung
„Stasi 2.0“. Stellen die neuen Sicherheitsgesetze eine Gefahr für die Demokratie dar?
Droht bald wieder eine flächendeckende
Überwachung? Oder sind dies nur notwendige Schritte zur Verteidigung unserer freiheitlich demokratischen Grundordnung?
Dass sich eine Gleichsetzung der neuen
Sicherheitsgesetze mit dem Ministerium
für Staatssicherheit verbietet, sieht man
aber allein schon daran, dass wir über
diese aktuelle Sicherheitspolitik öffentlich mitein­a nder diskutieren können.
Eine Gleichsetzung bedeutete aber auch
eine Bagatellisierung des tausendfachen
Unrechts, das im Auftrag der SED durch
die Stasi begangen wurde.
Die Aufarbeitung der Stasi-Unterlagen
zeigte uns, dass die Staatssicherheit gar
nicht so allmächtig war wie wir immer
dachten. Sie konnte beispielsweise gar nicht
alle Telefone abhören, vermittelte aber
diesen Eindruck. Und allein dieses Gefühl
der permanenten Überwachung führte
dazu, dass sich die überwiegende Mehrheit systemkonform verhielt. Aus dieser
Erkenntnis, dass nämlich allein die theoretische Möglichkeit einer staatlichen Überwachung die Bürger in der freien Ausübung
ihrer Grundrechte einschränken kann,
leitete 1983 das Bundesverfassungsgericht
im Volkszählungsurteil das Grundrecht auf
informationelle Selbstbestimmung ab.
Helmuth Frauendorfer (Moderator): Der Riss
geht quer durch die Gesellschaft, quer durch die
Parteien: Es geht nicht nur um die Frage, inwie­
weit sich der Bürger durch den Staat durchleuchtet
fühlt. Es beginnt vielmehr schon bei der Überwa­
chung des Konsumverhaltens von Menschen durch
die Karte, mit der man zahlt, oder bei der einheit­
lichen Steuernummer. Es geht um die Chipkarte,
Horch und Guck 1/2008 | Heft 59
die Gesundheitskarte. Es geht um die Verwendung
der Mautdaten. Es geht um Onlinetelefonate, die
auch jetzt schon abgehört werden dürfen. Es geht
um den Reisepass mit Fingerabdruck, um das bio­
metrische Foto. Herr Schurig, was ist Sicherheit
und wie viel braucht der Bürger davon?
Andreas Schurig: Quantitativ können Sie das
nie sagen, Sie müssen sich immer den Einzelfall anschauen. Ich würde mich freuen,
wenn meine Gegenüber, mit denen ich in
meiner täglichen Arbeit in den Ministerien
bzw. im Parlament zu tun habe, eine solche
Differenziertheit an den Tag legen würden.
Stattdessen unterbreiten diese oft Vorschläge, denen die Verfassungswidrigkeit
schon auf der Stirn geschrieben steht. Ich
erinnere nur daran, dass der Sächsische
Innenminister vor kurzem eine öffentlich
zugängliche Sexualstraftäterdatei forderte.
Ich erlebe, dass das Überschreiten von
Grenzen bewusst kalkuliert wird, indem
zum Beispiel bei einem Gesetzentwurf verfassungsrechtlich bedenkliche Passagen
einbaut werden. Ich erlebe selten, dass sich
die Initiatoren von Gesetzen fragen: Welche
Wertentscheidungen sind im Grundgesetz
oder in der Sächsischen Verfassung getroffen worden und wie setze ich diese rechtlich um? Wo sind für mich die Grenzen?
Frauendorfer: Das sind die politischen Funktions­
mechanismen in Sachen Sicherheit. Und wieviel
verkraftet der Bürger?
Schurig: Wir leben in einer Informationsge-
sellschaft. Wenn Sie sich einmal anschauen,
warum die Leute 1983 beim Volkszählungsurteil auf die Straße gegangen sind –
darüber würde sich heute niemand mehr
aufregen. Ich stelle fest, dass den Bürgern
die Preisgabe von Informationen vielfach
egal geworden ist.
Frauendorfer: Herr Konken, wie haben Sie die
Zeit der Volkszählung in Erinnerung? Und im Ver­
gleich: Wie ist das, wenn heutzutage ein Informant
anruft? Kann man noch Vertrauen in die Telefonlei­
tung haben?
Michael Konken: Wo gibt es den Aufstand
in Deutschland, weil schon seit Jahren die
freiheitlichen Grundrechte immer mehr
eingeschränkt werden? In den 70er Jahren
gab es einen riesigen Aufruhr, sodass die
Volkszählung so zurückgefahren werden
musste, dass eigentlich kaum noch etwas
übrig blieb. Und heute nimmt man das hin.
Ist denn dieses Volk den Grundrechten
ist. In diesem Fall wird eine Gefahr kongegenüber schon gleichgültig geworden?
kret abgewehrt. Heute reden wir – vor dem
Ein Beispiel: Vor anderthalb Jahren
Hintergrund des internationalen Terroriskam in Dresden aus einem Ministerium ein
mus – darüber, wieweit die Polizei und die
Tipp, dass am Morgen bei einem Minister
Sicherheitsdienste in die Grundrechte der
eine Hausdurchsuchung stattfinden
wird. Daraufhin stand ein Fotoreporter der Dresdner Morgenpost
vor der Tür des Ministers, machte
ein Foto und die Zeitung berichtete.
Das allein war Anlass, die Telefondaten der Redaktion rückwirkend
Die Fotos können aus
drei Monate lang zu überprüfen,
urheberrechtlichen
um herauszufinden, wo die Lücke
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im Ministerium war. Jetzt frage
ich Sie: Wo war ein Sicherheitsbedürfnis der Gesellschaft vorhanden, das diesen schweren Eingriff
rechtfer­tigte? Nur weil ein Journalist seinem Auftrag gerecht wurde
und berichtet hat, dass bei einem
Andreas Schurig
gewählten Vertreter des Volkes eine
Hausdurchsuchung stattfand.
Solche Fälle haben wir mittlerweile alle
Bürger eingreifen dürfen, wenn noch gar
zwei bis drei Monate und das ist nur die
nicht klar ist: Wo liegt die konkrete Gefahr,
Spitze des Eisberges. Wir haben im DJV
wer ist eigentlich der Störer?
seit Anfang der 90er Jahre mehr als 200
Nach dem 11. September haben alle
derartiger Fälle registriert.
gedacht, in der Bundesrepublik gibt es
Wie kann überhaupt ein Journalist
islamistische Schläfer. Daraufhin wurden
heute noch an Informationen kommen?
Millionen Bürger einer Rasterfahndung
Ich empfehle jedem den Weg zur Parkbank.
unterzogen. Das Ergebnis war gleich Null.
Ich würde heute nicht mehr mit einem
Aber dennoch wurden dadurch die InforInformanten telefonieren, ich würde nicht
mationsrechte von Millionen Bürgern
mehr mailen. An all diese Informationen
beeinträchtigt. Ein Gericht hat zu recht
kommen die Ermittlungsbehörden heran.
gesagt: Ohne Anhaltspunkte darf keine
Und ich kann mir nicht vorstellen, dass es
Rasterfahndung durchgeführt werden. Die
Ermittlungsbeamte gibt, die dann einfach
Gefahren müssen konkreter beschrieben
wegschauen und sagen: Diesen Teil der
werden, wenn der Staat so in die FreiheitsInformationen, der da noch stand, habe ich
rechte eingreift. Die Rechtsprechung betraf
nicht gesehen. Wer das glaubt, ist naiv.
in den letzten Jahren immer genau diesen
Punkt: Wie weit darf der Staat mit seinen
Frauendorfer: Herr Rudolph, ein ziemlich düsteres
Sicherheitsbehörden nicht direkt verSzenario, ist es wirklich so? Und müssten wir nicht
dächtige Bürger in ihren Freiheitsrechten
auch vorsichtig sein, kein Spiel mit den Ängsten
beschneiden, um große Gefahren abzuwehbeider Seiten anzustoßen?
ren? Dazu gibt es inzwischen schon eine
gefestigte Rechtsprechung, die nicht von
Karsten Rudolph: Die Beobachtung, dass
einem „Grundrecht auf Sicherheit“ ausdie Politik in einem relativ schnellen Progeht, wie es Prof. Isensee postuliert.
zess Sicherheitsgesetze verabschiedet
Man kann Sicherheit nur in Freiheit
hat, ist richtig. Ebenso richtig ist, dass die
haben. Wer versucht, Sicherheit in UnfreiÖffentlichkeit das nicht sehr aufmerksam
heit zu bringen, der landet natürlich in
verfolgt. Die eigentliche Frage ist aber, wie
Diktaturen. Das ist die deutsche Erfahrung.
die Politik das Verhältnis zwischen SicherNatürlich hat der Staat auch die Aufgabe,
heit und Freiheit ausbalanciert. Es war
den Bürger zu schützen, die Sicherheit zu
immer üblich, dass die Polizei erst dann
garantieren. Die Maßnahmen dazu muss er
handeln darf, wenn ein Anfangsverdacht
aber immer gut begründen und offen legen.
vorliegt oder wenn eine konkrete Gefahr
Das ist immer ein Abwägungsprozess, für
besteht und der Störer zu identifizieren
den ich mir mehr Sensibilität wünsche.
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Frauendorfer: Herr Isensee, gibt es ein Grund­
recht auf Sicherheit und hat es Priorität vor dem
Grundrecht auf Freiheit?
Frauendorfer: Wie erklären Sie einem Bürger,
der Angst hat, dass er unter einem Globalver­
dacht steht, dass dies nicht der Fall ist?
Josef Isensee: Ich weigere mich, Freiheit
oder Sicherheit zu sagen. Grundrechte
haben zwei Seiten. Sie schützen Freiheit
vor dem Staat, das ist die klassisch liberale Gestalt. Gleichzeitig fordern sie den
Schutz durch den Staat vor privatem Übergriff. Dafür ist die Formel „Grundrecht
auf Sicherheit“ ein Kürzel. Eines muss
klar sein: Es gibt weder absolute Sicherheit, noch absolute Freiheit. Freiheit kann
in einer Gemeinschaft immer nur auf der
Basis friedlichen Zusammenlebens existieren und entfaltet werden. Perfekte Sicherheit kann noch nicht einmal eine totalitäre
Diktatur garantieren.
Bergner: Ich sage ihm, dass die Daten
nur im konkreten Ermittlungsfall und
auf richterliche Anweisung abgefragt
werden dürfen.
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Schurig: Am Beispiel der Telefondaten-
speicherung kann man den ParadigProf. Dr. Josef Isensee
menwechsel deutlich machen, der sich
gerade vollzieht. Sie reden nicht mehr
über den Störer, sondern im Blickpunkt
blem gegeben. Und wenn Journalisten um
dieser Maßnahme sind alle, die am TeleLeib und Leben fürchten müssen, wegen
kommunikationsverkehr teilnehmen. Um
unbequemer Äußerungen, dann sind wir
das zuzuspitzen: Würden Sie sich freuen,
im Herzen des modernen Problems.
wenn die Post Ihre Briefe kopiert und dann
Man sollte mit dem Wort Generalverein halbes Jahr lang die Adressen aufbedacht vorsichtig sein. Der Umstand, dass
wahrt?
ich einen Reisepass und einen PersonalFrauendorfer: Herr Bergner, ist es wirklich so:
Ich erlebe übrigens mittlerweile das
ausweis habe und zuweilen vorweisen
Wenn ich als Journalist heute von einem Infor­
dritte Verfahren, das mit dem Anspruch
muss, dass ich mich dem Melderecht füge,
manten angerufen werde, muss ich mich mit ihm
der Terrorismusbekämpfung startet, aber
ist zunächst einmal kein Generalverdacht.
im Tiergarten treffen? Haben wir es mit einem Glo­
bei privatrechtlichen Fragen endet.
Es gibt auch ein legitimes Interesse des
balverdacht gegenüber allen Bürgern zu tun?
Bei der Kontendatenabfrage war der
Staates, über ein Wissensfundament zu
Fall ähnlich. Diese ist ursprünglich wegen
verfügen, um überhaupt sinnvoll verwalten
Christoph Bergner: Ich achte die Presse- und
der organisierten Kriminalität eingerichzu können und nicht an der Realität vorbei
die Medienfreiheit und halte sie für einen
tet worden. Im zweiten Schritt wurde sie
zu planen, Gesetze zu schaffen und Gesetze
unverzichtbaren Bestandteil der Demokrazur Prüfung der Steuerehrlichkeit ausgezu vollziehen.
tie. Aber ich würde das Thema ungern auf
nutzt. Inzwischen ist es so, dass bei BAföGBergner: Die modernen Kommunikationsdas Berufsinteresse der Journalisten einAnträgen und Hartz IV und überall, wo
techniken bescheren uns einen wachsenden
schränken. Wir haben – in Vollzug einer
im Sozialbereich steuerrechtliche Fragen
Datenanfall. Dahinter steht auch ein Ratio­
EU-Norm – im Bundestag beschlossen,
eine Rolle spielen, die Konten abgefragt
nalisierungsbedürfnis. Das beginnt bei der
dass die Telekommunikationsunternehmen
werden können. Das technische Potenzial
Chipkarte für die Sparkasse und geht jetzt
Verkehrsdaten, die ohnehin aufgenommen
eines einmal eingeführten Verfahrens wird
mit der Gesundheitskarte weiter. Ich sehe
werden, für einen definierbaren Zeitraum
immer ausgenutzt werden, die rechtlichen
also auch die Herausforderung, angesichts
speichern müssen. Das eröffnet ErmittRahmenbedingungen und Schranken
der Datenmengen zu fragen, welche Verlungsbehörden die Möglichkeit, auf richwerden immer wieder gekippt.
fügbarkeit legitim ist und welche nicht.
terliche Anweisung konkrete Recherchen
Isensee: Ich meine auch, Ermittlungen
Diese Frage sollte aber nicht ausschließvorzunehmen. Dabei ist nicht festzustellen,
gegen Journalisten brauchten keinen
lich dem Staat gestellt werden. Dieser ist,
worüber telefoniert wurde, sondern wer zu
ver­glichen mit vielem, was im privaten
Volksaufstand auszulösen, weil das Bunwelchem Zeitpunkt mit wem telefonierte.
Bereich geschieht, sogar außerordentlich
desverfassungsgericht hier einschlägig
Innerhalb der EU sind, was die Speichergut kontrolliert.
entschieden hat. Die Presse ist ganz anders
pflicht betrifft, die Forderungen sehr viel
gefordert durch die
weitgehender
Frauendorfer: Herr Konken, ist das Bedrohungs­
öffentliche Sicherheit,
als in Deutschszenario, über das wir sprechen, überhaupt real
etwa in Fällen wie dem
land.
Anlass
oder künstlich gemacht? Und sind wir Journa­
dänischen Karikatufür die europälisten, die wir die Medien bedienen, nicht auch
renstreit. Wenn sich
ische Richtlinie
Die Fotos können aus
Schuld daran?
abzeichnet, dass Preswaren die Terurheberrechtlichen
severöffentlichungen
roranschläge in
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Konken: Innenminister Wolfgang Schäuble
und PressekommenMadrid. Bei den
überzieht das Land mittlerweile in seiner
tare, Bilder und KariErmittlungen
Manie mit einer Gefährdungslage, die ihm
katuren nach Maßgabe
dazu brachte die
wohl ganz recht ist, um die Gesetze immer
islamistischer Scharia
Auswertung von
schärfer zu fassen. Ein Beispiel: Das Bununter Zensur gestellt
Handydaten den
desverfassungsgericht hat ganz klar festwerden, dann freilich
entscheidenden
gelegt, den Informantenschutz zu stärken.
ist das SicherheitsproFortschritt.
© Johannes Beleites (3)
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Christoph Bergner
Horch und Guck 1/2008 | Heft 59
Was ist passiert? Man hat Journalisten
nicht mehr in die erste Priorität des absoluten Schutzes genommen, sondern nur noch
die Geistlichen, die Strafverteidiger (nicht
alle Anwälte) und die Abgeordneten. Während andere, mit denen Sie wirklich ihre
geheimsten Daten austauschen, die Ärzte,
die Rechtsanwälte und die Journalisten,
jetzt in die zweite Priorität rücken.
Frauendorfer: Wir wollen keine Online-Durchsu­
chungen, sind aber froh, wenn Terroristen gefasst
werden. Wir wollen zwar die Sicherheit, aber die
Drecksarbeit sollen die anderen machen, Herr
Rudolph?
Rudolph: Das sehe ich nicht so. Was ich
eher bedaure ist, dass die europäische Position so schwach ist gegenüber bestimmten
amerikanischen Forderungen. Wir rüsten
jetzt alle aus mit Reisepässen und Personalausweisen mit biometrischen Merkmalen. Sagen Sie einmal einem Amerikaner,
er möchte den Personalausweis vorzeigen
mit biometrischen Daten. Der sagt Ihnen:
Wir leben doch nicht in einer Diktatur.
Es ist klar geworden, dass es ein Spannungsverhältnis zwischen Sicherheit und
Freiheit gibt. Meiner Meinung nach muss
der Staat uns plausibel sagen, warum wir
aus Gründen der Sicherheit auf bestimmte
Freiheitsrechte verzichten müssen. Ich
glaube auch, dass staatliches Handeln an
Legitimation verliert, wenn man ständig
Bedrohungsszenarien aufbaut, die nicht
transparent sind. Damit leugne ich nicht,
dass wir eine Bedrohungslage haben. Aber
mit dem ständigen Orakeln verliert der
demokratische und freiheitliche Staat die
Legitimation der Bürger, für die Sicherheit
einzutreten.
Bergner: Die Frage nach der Verhältnis-
mäßigkeit berücksichtigen wir bei jeder
Gesetzgebung. Außerdem gibt es reale
Bedrohungslagen, die wir nicht fahrlässig bagatellisieren dürfen. Es existiert mit
dem Islamismus nun einmal eine potente
Ideologie auf dieser Welt, die die Grundlagen unseres Gemeinwesens zerstören
und durch eine andere Ordnung ersetzen
will. Wir haben es mit Kräften zu tun, die
quasi einen Krieg führen, sie führen ihn
aber mit kriminellen Mitteln. Das heißt,
dass die Grenzen zwischen den klassischen
Instrumenten der äußeren und der inneren Sicherheit jedenfalls in die Diskussion
kommen. Das bedingt ganz automatisch
eine Gewichtsverlagerung in der Sicherheitsarchitektur zugunsten
der Prävention.
Publikum 1: Man muss
Die Fotos können aus
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zwischen Freiheit und
Sicherheit abwägen.
Mir geht es um die Verhältnismäßigkeit. Ich
bin heute mit dem Auto
von Berlin nach Leipzig
gefahren. Unterwegs
wurde ich von jedem
Mauterfassungssystem
Protest gegen Sicherheitsgesetze und Bagatellisierung der Stasi, Aufkleber in Berlin-Mitte
fotografiert. Man hätte
auch ein Mautsystem ohne Erfassung perEs wurde gefragt, was Sie davor schütsönlicher Daten einrichten können, nach
zen kann, vom Bürger zum Störer zu
dem Modell der Telefonkarte. Dasselbe gilt
werden. Erst einmal muss ich sagen, der
für die biometrische Erfassung von Daten
Störer und das Opfer genießen beide den
in den Pässen. Natürlich sollte ein Pass fälSchutz der Grundrechte. In die Rolle des
schungssicher sein, aber ich brauche ihn
Störers gerät man prinzipiell nur dadurch,
doch nicht mit RFID-Chip, der automatisch
dass man sich entscheidet, gegen die
und verdeckt ausgelesen werden kann.
Rechtsordnung zu handeln und gegebeDiese Techniken können natürlich
nenfalls die Rechte anderer oder der Allmissbraucht werden, hier gibt es quasi
gemeinheit zu verletzen. Man kann natürein Naturgesetz: Was missbraucht werden
lich auch unter falschen Verdacht geraten.
kann, wird auch missbraucht.
Dann gibt es aber immer die Möglichkeit
der üblichen Kontrollmechanismen, insbePublikum 2: Herr Bergner, Sie hatten gesagt,
sondere die Rechtsschutzmöglichkeiten vor
die Daten werden bei den Telekommunikaeinem unabhängigen Gericht. Die Sichertionsunternehmen sowieso abgespeichert.
heit ist somit meine Fähigkeit, die mir vom
Das stimmt aber nur zum Teil. Bis vor
Recht gegebene Freiheit auch praktisch
kurzem war es sogar so, dass bei Flatrates
und furchtlos auszuüben. Das ist der ganz
die Daten nicht abgespeichert werden durfwesentliche Faktor, von dem aus Sicherheit
ten, weil die aus abrechnungstechnischen
zu definieren ist.
Gründen gar nicht benötigt wurden.
Schurig: Weil wir hier in Leipzig sind, will
Isensee: Der Rechtsstaat ist kein Rechtich noch auf die Montagsdemonstrationen
haberstaat. Das war die DDR. Er ist ein
’89 verweisen. Eines der Transparente von
Staat, der sich seiner eigenen Fehlbarkeit
damals hat mir unheimlich gut gefallen:
bewusst ist, und der deswegen ein hoch
„Wer eine einzelne Freiheit in Frage stellt,
kompliziertes System der Kontrollen im
stellt die Freiheit in Frage!“ Dies müssen
Zuge der Gewaltenteilung eingeführt hat.
sich die Verantwortungsträger eines demoDas ist die Leistung, die ihn turmhoch
kratischen Rechtsstaats immer wieder vor
über den sozialistischen Staatenblock in
Augen halten.
seinem totalitären Anspruch erhebt. Er
ist der Staat, der seine eigene IrrtumsRudolph: Es ist richtig, Sicherheit dafür zu
anfälligkeit begreift und weiß, dass der
bieten, dass die freie Meinungsäußerung
menschliche Faktor auch bei ihm, auch
nicht unter Bedrohungen – etwa durch den
bei seinen Amtsträgern wirkt. Deswegen
islamistischen Terrorismus – leidet. Minwird er begrenzt durch Grundrechte, desdestens genauso wichtig ist aber, dass der
wegen wird Gesetz, Verwaltungsakt und
Rechtsstaat niemals seine eigenen PrinUrteil, jeweils anderen Institutionen überzipien aufgeben darf, wenn er sich selbst
tragen und in ein System der Balance und
verteidigt. Dann wäre er in der Tat auf dem
Kontrollen eingebracht, zu denen letztlich
Weg in den Überwachungsstaat.
auch immer noch die Kontrolle durch die
Öffentlichkeit gehört.
[Textdokumentation: Yvonne Fiedler]
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