Freiheit oder Sicherheit – Ist Deutschland auf dem
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Freiheit oder Sicherheit – Ist Deutschland auf dem
A ktu e ll und K ontrov e rs | F r e i h e i t o d e r S i c h e r h e i t ? Freiheit oder Sicherheit – Ist Deutschland auf dem Weg in den Überwachungsstaat? A u s zü ge a u s e i ne r ö f f e nt l i c he n Disk u ssion a m 4 . Dezember 2 0 0 7 Das Bürgerkomitee Leipzig hatte anlässlich der sich zuspitzenden Debatte um die neuen Sicherheitsgesetze Kritiker und Befürworter in die „Runde Ecke“ eingeladen. Es diskutierten Christoph Bergner, parlamentarischer Staatssekretär im Bundesministerium des Innern, Prof. Josef Isensee, Professor für Öffentliches Recht an der Universität Bonn, Michael Konken, Vorsitzender des Deutschen Journalisten-Verbandes (DJV), Dr. Karsten Rudolph, Innenpolitischer Sprecher der SPD-Landtagsfraktion in Nordrhein-Westfalen und Andreas Schurig, Sächsischer Landesbeauftragter für den Datenschutz, moderiert von Helmuth Frauendorfer, Journalist beim ARD-Magazin Fakt. Horch und Guck dokumentiert die Debatte, die sich an einen Vortrag von Prof. Isensee anschloss, in Auszügen. Tobias Hollitzer (Begrüßung): Vor genau 18 Jahren, besetzten Bürger in Leipzig und vielen anderen Orten die Stasi-Dienststellen, in denen auch nach Mauerfall und Grenzöffnung weiter gearbeitet wurde. In der Folge wurde die kommunistische Geheimpolizei, die bis dahin zum Schutz der SED-Diktatur tief in die Privatsphäre der Menschen eingegriffen hatte, aufgelöst. „Rechtssicherheit statt Staatssicherheit“ war eine der Losungen der Demonstranten im Herbst 1989. liches Jahrzehnt schien das auch geklärt – bis zum 11. September 2001. Er sollte die demokratische, westliche Welt in bis dahin nicht vorstellbarer Art verändern. Die Gefangenen im US-Lager Guantanamo, die jahrelang ohne Anklage festgehalten werden, oder der Folterskandal im Irak empörten die Öffentlichkeit. Doch auch in Deutschland werden neue Sicherheitsgesetze beschlossen, die mit einer erheblichen Einschränkung der Persönlichkeitsrechte einher gehen. Die Fotos können aus urheberrechtlichen Gründen hier leider nicht abgebildet werden. © Johannes Beleites (2) 60 Das Podium: Prof. Dr. Josef Isensee, Christoph Bergner, Andreas Schurig, Helmuth Frauendorfer, Michael Konken, Dr. Karsten Rudolph (v.l.n.r.) Der Begriff „Datenschutz“ machte bald die Runde. Jeder Bürger sollte auch in der DDR selbst über seine persönlichen Daten bestimmen können. Überwachung und Bespitzelung sollten ein für alle Mal der Vergangenheit angehören. Ein reich- Spätestens mit dem Einsatz von Geruchsroben zur Absicherung des G8-Gipfels im Sommer 2007 wurden Bezüge zu den Stasi-Methoden hergestellt. Inzwischen kursiert für die Vorschläge aus dem Bundesinnenministerium die Bezeichnung „Stasi 2.0“. Stellen die neuen Sicherheitsgesetze eine Gefahr für die Demokratie dar? Droht bald wieder eine flächendeckende Überwachung? Oder sind dies nur notwendige Schritte zur Verteidigung unserer freiheitlich demokratischen Grundordnung? Dass sich eine Gleichsetzung der neuen Sicherheitsgesetze mit dem Ministerium für Staatssicherheit verbietet, sieht man aber allein schon daran, dass wir über diese aktuelle Sicherheitspolitik öffentlich miteina nder diskutieren können. Eine Gleichsetzung bedeutete aber auch eine Bagatellisierung des tausendfachen Unrechts, das im Auftrag der SED durch die Stasi begangen wurde. Die Aufarbeitung der Stasi-Unterlagen zeigte uns, dass die Staatssicherheit gar nicht so allmächtig war wie wir immer dachten. Sie konnte beispielsweise gar nicht alle Telefone abhören, vermittelte aber diesen Eindruck. Und allein dieses Gefühl der permanenten Überwachung führte dazu, dass sich die überwiegende Mehrheit systemkonform verhielt. Aus dieser Erkenntnis, dass nämlich allein die theoretische Möglichkeit einer staatlichen Überwachung die Bürger in der freien Ausübung ihrer Grundrechte einschränken kann, leitete 1983 das Bundesverfassungsgericht im Volkszählungsurteil das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung ab. Helmuth Frauendorfer (Moderator): Der Riss geht quer durch die Gesellschaft, quer durch die Parteien: Es geht nicht nur um die Frage, inwie weit sich der Bürger durch den Staat durchleuchtet fühlt. Es beginnt vielmehr schon bei der Überwa chung des Konsumverhaltens von Menschen durch die Karte, mit der man zahlt, oder bei der einheit lichen Steuernummer. Es geht um die Chipkarte, Horch und Guck 1/2008 | Heft 59 die Gesundheitskarte. Es geht um die Verwendung der Mautdaten. Es geht um Onlinetelefonate, die auch jetzt schon abgehört werden dürfen. Es geht um den Reisepass mit Fingerabdruck, um das bio metrische Foto. Herr Schurig, was ist Sicherheit und wie viel braucht der Bürger davon? Andreas Schurig: Quantitativ können Sie das nie sagen, Sie müssen sich immer den Einzelfall anschauen. Ich würde mich freuen, wenn meine Gegenüber, mit denen ich in meiner täglichen Arbeit in den Ministerien bzw. im Parlament zu tun habe, eine solche Differenziertheit an den Tag legen würden. Stattdessen unterbreiten diese oft Vorschläge, denen die Verfassungswidrigkeit schon auf der Stirn geschrieben steht. Ich erinnere nur daran, dass der Sächsische Innenminister vor kurzem eine öffentlich zugängliche Sexualstraftäterdatei forderte. Ich erlebe, dass das Überschreiten von Grenzen bewusst kalkuliert wird, indem zum Beispiel bei einem Gesetzentwurf verfassungsrechtlich bedenkliche Passagen einbaut werden. Ich erlebe selten, dass sich die Initiatoren von Gesetzen fragen: Welche Wertentscheidungen sind im Grundgesetz oder in der Sächsischen Verfassung getroffen worden und wie setze ich diese rechtlich um? Wo sind für mich die Grenzen? Frauendorfer: Das sind die politischen Funktions mechanismen in Sachen Sicherheit. Und wieviel verkraftet der Bürger? Schurig: Wir leben in einer Informationsge- sellschaft. Wenn Sie sich einmal anschauen, warum die Leute 1983 beim Volkszählungsurteil auf die Straße gegangen sind – darüber würde sich heute niemand mehr aufregen. Ich stelle fest, dass den Bürgern die Preisgabe von Informationen vielfach egal geworden ist. Frauendorfer: Herr Konken, wie haben Sie die Zeit der Volkszählung in Erinnerung? Und im Ver gleich: Wie ist das, wenn heutzutage ein Informant anruft? Kann man noch Vertrauen in die Telefonlei tung haben? Michael Konken: Wo gibt es den Aufstand in Deutschland, weil schon seit Jahren die freiheitlichen Grundrechte immer mehr eingeschränkt werden? In den 70er Jahren gab es einen riesigen Aufruhr, sodass die Volkszählung so zurückgefahren werden musste, dass eigentlich kaum noch etwas übrig blieb. Und heute nimmt man das hin. Ist denn dieses Volk den Grundrechten ist. In diesem Fall wird eine Gefahr kongegenüber schon gleichgültig geworden? kret abgewehrt. Heute reden wir – vor dem Ein Beispiel: Vor anderthalb Jahren Hintergrund des internationalen Terroriskam in Dresden aus einem Ministerium ein mus – darüber, wieweit die Polizei und die Tipp, dass am Morgen bei einem Minister Sicherheitsdienste in die Grundrechte der eine Hausdurchsuchung stattfinden wird. Daraufhin stand ein Fotoreporter der Dresdner Morgenpost vor der Tür des Ministers, machte ein Foto und die Zeitung berichtete. Das allein war Anlass, die Telefondaten der Redaktion rückwirkend Die Fotos können aus drei Monate lang zu überprüfen, urheberrechtlichen um herauszufinden, wo die Lücke Gründen hier leider nicht abgebildet werden. im Ministerium war. Jetzt frage ich Sie: Wo war ein Sicherheitsbedürfnis der Gesellschaft vorhanden, das diesen schweren Eingriff rechtfertigte? Nur weil ein Journalist seinem Auftrag gerecht wurde und berichtet hat, dass bei einem Andreas Schurig gewählten Vertreter des Volkes eine Hausdurchsuchung stattfand. Solche Fälle haben wir mittlerweile alle Bürger eingreifen dürfen, wenn noch gar zwei bis drei Monate und das ist nur die nicht klar ist: Wo liegt die konkrete Gefahr, Spitze des Eisberges. Wir haben im DJV wer ist eigentlich der Störer? seit Anfang der 90er Jahre mehr als 200 Nach dem 11. September haben alle derartiger Fälle registriert. gedacht, in der Bundesrepublik gibt es Wie kann überhaupt ein Journalist islamistische Schläfer. Daraufhin wurden heute noch an Informationen kommen? Millionen Bürger einer Rasterfahndung Ich empfehle jedem den Weg zur Parkbank. unterzogen. Das Ergebnis war gleich Null. Ich würde heute nicht mehr mit einem Aber dennoch wurden dadurch die InforInformanten telefonieren, ich würde nicht mationsrechte von Millionen Bürgern mehr mailen. An all diese Informationen beeinträchtigt. Ein Gericht hat zu recht kommen die Ermittlungsbehörden heran. gesagt: Ohne Anhaltspunkte darf keine Und ich kann mir nicht vorstellen, dass es Rasterfahndung durchgeführt werden. Die Ermittlungsbeamte gibt, die dann einfach Gefahren müssen konkreter beschrieben wegschauen und sagen: Diesen Teil der werden, wenn der Staat so in die FreiheitsInformationen, der da noch stand, habe ich rechte eingreift. Die Rechtsprechung betraf nicht gesehen. Wer das glaubt, ist naiv. in den letzten Jahren immer genau diesen Punkt: Wie weit darf der Staat mit seinen Frauendorfer: Herr Rudolph, ein ziemlich düsteres Sicherheitsbehörden nicht direkt verSzenario, ist es wirklich so? Und müssten wir nicht dächtige Bürger in ihren Freiheitsrechten auch vorsichtig sein, kein Spiel mit den Ängsten beschneiden, um große Gefahren abzuwehbeider Seiten anzustoßen? ren? Dazu gibt es inzwischen schon eine gefestigte Rechtsprechung, die nicht von Karsten Rudolph: Die Beobachtung, dass einem „Grundrecht auf Sicherheit“ ausdie Politik in einem relativ schnellen Progeht, wie es Prof. Isensee postuliert. zess Sicherheitsgesetze verabschiedet Man kann Sicherheit nur in Freiheit hat, ist richtig. Ebenso richtig ist, dass die haben. Wer versucht, Sicherheit in UnfreiÖffentlichkeit das nicht sehr aufmerksam heit zu bringen, der landet natürlich in verfolgt. Die eigentliche Frage ist aber, wie Diktaturen. Das ist die deutsche Erfahrung. die Politik das Verhältnis zwischen SicherNatürlich hat der Staat auch die Aufgabe, heit und Freiheit ausbalanciert. Es war den Bürger zu schützen, die Sicherheit zu immer üblich, dass die Polizei erst dann garantieren. Die Maßnahmen dazu muss er handeln darf, wenn ein Anfangsverdacht aber immer gut begründen und offen legen. vorliegt oder wenn eine konkrete Gefahr Das ist immer ein Abwägungsprozess, für besteht und der Störer zu identifizieren den ich mir mehr Sensibilität wünsche. 61 A ktu e ll und K ontrov e rs | F r e i h e i t o d e r S i c h e r h e i t ? Frauendorfer: Herr Isensee, gibt es ein Grund recht auf Sicherheit und hat es Priorität vor dem Grundrecht auf Freiheit? Frauendorfer: Wie erklären Sie einem Bürger, der Angst hat, dass er unter einem Globalver dacht steht, dass dies nicht der Fall ist? Josef Isensee: Ich weigere mich, Freiheit oder Sicherheit zu sagen. Grundrechte haben zwei Seiten. Sie schützen Freiheit vor dem Staat, das ist die klassisch liberale Gestalt. Gleichzeitig fordern sie den Schutz durch den Staat vor privatem Übergriff. Dafür ist die Formel „Grundrecht auf Sicherheit“ ein Kürzel. Eines muss klar sein: Es gibt weder absolute Sicherheit, noch absolute Freiheit. Freiheit kann in einer Gemeinschaft immer nur auf der Basis friedlichen Zusammenlebens existieren und entfaltet werden. Perfekte Sicherheit kann noch nicht einmal eine totalitäre Diktatur garantieren. Bergner: Ich sage ihm, dass die Daten nur im konkreten Ermittlungsfall und auf richterliche Anweisung abgefragt werden dürfen. Die Fotos können aus urheberrechtlichen Gründen hier leider nicht abgebildet werden. Schurig: Am Beispiel der Telefondaten- speicherung kann man den ParadigProf. Dr. Josef Isensee menwechsel deutlich machen, der sich gerade vollzieht. Sie reden nicht mehr über den Störer, sondern im Blickpunkt blem gegeben. Und wenn Journalisten um dieser Maßnahme sind alle, die am TeleLeib und Leben fürchten müssen, wegen kommunikationsverkehr teilnehmen. Um unbequemer Äußerungen, dann sind wir das zuzuspitzen: Würden Sie sich freuen, im Herzen des modernen Problems. wenn die Post Ihre Briefe kopiert und dann Man sollte mit dem Wort Generalverein halbes Jahr lang die Adressen aufbedacht vorsichtig sein. Der Umstand, dass wahrt? ich einen Reisepass und einen PersonalFrauendorfer: Herr Bergner, ist es wirklich so: Ich erlebe übrigens mittlerweile das ausweis habe und zuweilen vorweisen Wenn ich als Journalist heute von einem Infor dritte Verfahren, das mit dem Anspruch muss, dass ich mich dem Melderecht füge, manten angerufen werde, muss ich mich mit ihm der Terrorismusbekämpfung startet, aber ist zunächst einmal kein Generalverdacht. im Tiergarten treffen? Haben wir es mit einem Glo bei privatrechtlichen Fragen endet. Es gibt auch ein legitimes Interesse des balverdacht gegenüber allen Bürgern zu tun? Bei der Kontendatenabfrage war der Staates, über ein Wissensfundament zu Fall ähnlich. Diese ist ursprünglich wegen verfügen, um überhaupt sinnvoll verwalten Christoph Bergner: Ich achte die Presse- und der organisierten Kriminalität eingerichzu können und nicht an der Realität vorbei die Medienfreiheit und halte sie für einen tet worden. Im zweiten Schritt wurde sie zu planen, Gesetze zu schaffen und Gesetze unverzichtbaren Bestandteil der Demokrazur Prüfung der Steuerehrlichkeit ausgezu vollziehen. tie. Aber ich würde das Thema ungern auf nutzt. Inzwischen ist es so, dass bei BAföGBergner: Die modernen Kommunikationsdas Berufsinteresse der Journalisten einAnträgen und Hartz IV und überall, wo techniken bescheren uns einen wachsenden schränken. Wir haben – in Vollzug einer im Sozialbereich steuerrechtliche Fragen Datenanfall. Dahinter steht auch ein Ratio EU-Norm – im Bundestag beschlossen, eine Rolle spielen, die Konten abgefragt nalisierungsbedürfnis. Das beginnt bei der dass die Telekommunikationsunternehmen werden können. Das technische Potenzial Chipkarte für die Sparkasse und geht jetzt Verkehrsdaten, die ohnehin aufgenommen eines einmal eingeführten Verfahrens wird mit der Gesundheitskarte weiter. Ich sehe werden, für einen definierbaren Zeitraum immer ausgenutzt werden, die rechtlichen also auch die Herausforderung, angesichts speichern müssen. Das eröffnet ErmittRahmenbedingungen und Schranken der Datenmengen zu fragen, welche Verlungsbehörden die Möglichkeit, auf richwerden immer wieder gekippt. fügbarkeit legitim ist und welche nicht. terliche Anweisung konkrete Recherchen Isensee: Ich meine auch, Ermittlungen Diese Frage sollte aber nicht ausschließvorzunehmen. Dabei ist nicht festzustellen, gegen Journalisten brauchten keinen lich dem Staat gestellt werden. Dieser ist, worüber telefoniert wurde, sondern wer zu verglichen mit vielem, was im privaten Volksaufstand auszulösen, weil das Bunwelchem Zeitpunkt mit wem telefonierte. Bereich geschieht, sogar außerordentlich desverfassungsgericht hier einschlägig Innerhalb der EU sind, was die Speichergut kontrolliert. entschieden hat. Die Presse ist ganz anders pflicht betrifft, die Forderungen sehr viel gefordert durch die weitgehender Frauendorfer: Herr Konken, ist das Bedrohungs öffentliche Sicherheit, als in Deutschszenario, über das wir sprechen, überhaupt real etwa in Fällen wie dem land. Anlass oder künstlich gemacht? Und sind wir Journa dänischen Karikatufür die europälisten, die wir die Medien bedienen, nicht auch renstreit. Wenn sich ische Richtlinie Die Fotos können aus Schuld daran? abzeichnet, dass Preswaren die Terurheberrechtlichen severöffentlichungen roranschläge in Gründen hier leider nicht abgebildet werden. Konken: Innenminister Wolfgang Schäuble und PressekommenMadrid. Bei den überzieht das Land mittlerweile in seiner tare, Bilder und KariErmittlungen Manie mit einer Gefährdungslage, die ihm katuren nach Maßgabe dazu brachte die wohl ganz recht ist, um die Gesetze immer islamistischer Scharia Auswertung von schärfer zu fassen. Ein Beispiel: Das Bununter Zensur gestellt Handydaten den desverfassungsgericht hat ganz klar festwerden, dann freilich entscheidenden gelegt, den Informantenschutz zu stärken. ist das SicherheitsproFortschritt. © Johannes Beleites (3) 62 Christoph Bergner Horch und Guck 1/2008 | Heft 59 Was ist passiert? Man hat Journalisten nicht mehr in die erste Priorität des absoluten Schutzes genommen, sondern nur noch die Geistlichen, die Strafverteidiger (nicht alle Anwälte) und die Abgeordneten. Während andere, mit denen Sie wirklich ihre geheimsten Daten austauschen, die Ärzte, die Rechtsanwälte und die Journalisten, jetzt in die zweite Priorität rücken. Frauendorfer: Wir wollen keine Online-Durchsu chungen, sind aber froh, wenn Terroristen gefasst werden. Wir wollen zwar die Sicherheit, aber die Drecksarbeit sollen die anderen machen, Herr Rudolph? Rudolph: Das sehe ich nicht so. Was ich eher bedaure ist, dass die europäische Position so schwach ist gegenüber bestimmten amerikanischen Forderungen. Wir rüsten jetzt alle aus mit Reisepässen und Personalausweisen mit biometrischen Merkmalen. Sagen Sie einmal einem Amerikaner, er möchte den Personalausweis vorzeigen mit biometrischen Daten. Der sagt Ihnen: Wir leben doch nicht in einer Diktatur. Es ist klar geworden, dass es ein Spannungsverhältnis zwischen Sicherheit und Freiheit gibt. Meiner Meinung nach muss der Staat uns plausibel sagen, warum wir aus Gründen der Sicherheit auf bestimmte Freiheitsrechte verzichten müssen. Ich glaube auch, dass staatliches Handeln an Legitimation verliert, wenn man ständig Bedrohungsszenarien aufbaut, die nicht transparent sind. Damit leugne ich nicht, dass wir eine Bedrohungslage haben. Aber mit dem ständigen Orakeln verliert der demokratische und freiheitliche Staat die Legitimation der Bürger, für die Sicherheit einzutreten. Bergner: Die Frage nach der Verhältnis- mäßigkeit berücksichtigen wir bei jeder Gesetzgebung. Außerdem gibt es reale Bedrohungslagen, die wir nicht fahrlässig bagatellisieren dürfen. Es existiert mit dem Islamismus nun einmal eine potente Ideologie auf dieser Welt, die die Grundlagen unseres Gemeinwesens zerstören und durch eine andere Ordnung ersetzen will. Wir haben es mit Kräften zu tun, die quasi einen Krieg führen, sie führen ihn aber mit kriminellen Mitteln. Das heißt, dass die Grenzen zwischen den klassischen Instrumenten der äußeren und der inneren Sicherheit jedenfalls in die Diskussion kommen. Das bedingt ganz automatisch eine Gewichtsverlagerung in der Sicherheitsarchitektur zugunsten der Prävention. Publikum 1: Man muss Die Fotos können aus urheberrechtlichen Gründen hier leider nicht abgebildet werden. zwischen Freiheit und Sicherheit abwägen. Mir geht es um die Verhältnismäßigkeit. Ich bin heute mit dem Auto von Berlin nach Leipzig gefahren. Unterwegs wurde ich von jedem Mauterfassungssystem Protest gegen Sicherheitsgesetze und Bagatellisierung der Stasi, Aufkleber in Berlin-Mitte fotografiert. Man hätte auch ein Mautsystem ohne Erfassung perEs wurde gefragt, was Sie davor schütsönlicher Daten einrichten können, nach zen kann, vom Bürger zum Störer zu dem Modell der Telefonkarte. Dasselbe gilt werden. Erst einmal muss ich sagen, der für die biometrische Erfassung von Daten Störer und das Opfer genießen beide den in den Pässen. Natürlich sollte ein Pass fälSchutz der Grundrechte. In die Rolle des schungssicher sein, aber ich brauche ihn Störers gerät man prinzipiell nur dadurch, doch nicht mit RFID-Chip, der automatisch dass man sich entscheidet, gegen die und verdeckt ausgelesen werden kann. Rechtsordnung zu handeln und gegebeDiese Techniken können natürlich nenfalls die Rechte anderer oder der Allmissbraucht werden, hier gibt es quasi gemeinheit zu verletzen. Man kann natürein Naturgesetz: Was missbraucht werden lich auch unter falschen Verdacht geraten. kann, wird auch missbraucht. Dann gibt es aber immer die Möglichkeit der üblichen Kontrollmechanismen, insbePublikum 2: Herr Bergner, Sie hatten gesagt, sondere die Rechtsschutzmöglichkeiten vor die Daten werden bei den Telekommunikaeinem unabhängigen Gericht. Die Sichertionsunternehmen sowieso abgespeichert. heit ist somit meine Fähigkeit, die mir vom Das stimmt aber nur zum Teil. Bis vor Recht gegebene Freiheit auch praktisch kurzem war es sogar so, dass bei Flatrates und furchtlos auszuüben. Das ist der ganz die Daten nicht abgespeichert werden durfwesentliche Faktor, von dem aus Sicherheit ten, weil die aus abrechnungstechnischen zu definieren ist. Gründen gar nicht benötigt wurden. Schurig: Weil wir hier in Leipzig sind, will Isensee: Der Rechtsstaat ist kein Rechtich noch auf die Montagsdemonstrationen haberstaat. Das war die DDR. Er ist ein ’89 verweisen. Eines der Transparente von Staat, der sich seiner eigenen Fehlbarkeit damals hat mir unheimlich gut gefallen: bewusst ist, und der deswegen ein hoch „Wer eine einzelne Freiheit in Frage stellt, kompliziertes System der Kontrollen im stellt die Freiheit in Frage!“ Dies müssen Zuge der Gewaltenteilung eingeführt hat. sich die Verantwortungsträger eines demoDas ist die Leistung, die ihn turmhoch kratischen Rechtsstaats immer wieder vor über den sozialistischen Staatenblock in Augen halten. seinem totalitären Anspruch erhebt. Er ist der Staat, der seine eigene IrrtumsRudolph: Es ist richtig, Sicherheit dafür zu anfälligkeit begreift und weiß, dass der bieten, dass die freie Meinungsäußerung menschliche Faktor auch bei ihm, auch nicht unter Bedrohungen – etwa durch den bei seinen Amtsträgern wirkt. Deswegen islamistischen Terrorismus – leidet. Minwird er begrenzt durch Grundrechte, desdestens genauso wichtig ist aber, dass der wegen wird Gesetz, Verwaltungsakt und Rechtsstaat niemals seine eigenen PrinUrteil, jeweils anderen Institutionen überzipien aufgeben darf, wenn er sich selbst tragen und in ein System der Balance und verteidigt. Dann wäre er in der Tat auf dem Kontrollen eingebracht, zu denen letztlich Weg in den Überwachungsstaat. auch immer noch die Kontrolle durch die Öffentlichkeit gehört. [Textdokumentation: Yvonne Fiedler] 63