Capsaicin
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Capsaicin
Pädagogische Hochschule St. Gallen Some like it hot! Peter Bützer Capsaicin Prof. Dr. Peter Bützer Peter Bützer 2 Inhalt Einführung ............................................................................................................ 3 Wichtige Begriffe im Zusammenhang mit Capsaicin.................................................. 4 Die Wirksubstanzen ............................................................................................... 5 Einige Angaben zu Capsaicin .................................................................................. 5 Die Wirkung.......................................................................................................... 7 Molekulare Wirkungsweise ..................................................................................... 9 Das Mass für die Schärfe ...................................................................................... 10 Capsaicinoide als Medikamente ............................................................................. 14 Pfeffersprays ....................................................................................................... 15 9.1 Wirkungen .................................................................................................... 16 9.1.1 Wirkung auf die Augen ............................................................................ 16 9.1.2 Wirkung auf die Atemwege ...................................................................... 16 9.1.3 Wirkung auf die Haut............................................................................... 16 9.1.4 Weitere Wirkungen.................................................................................. 17 9.1.5 Quintessenz ............................................................................................ 17 9.2 Capsaicin als Doping? .................................................................................... 17 10 Was wirkt gegen das Brennen von Capsaicin? ......................................................... 18 11 Molekulare Besonderheiten ................................................................................... 18 12 Molekulare Modifikationen ................................................................................... 19 13 Interaktives Feedback ........................................................................................... 20 14 Anhang ............................................................................................................... 20 15 Weitere verwendete Literatur ................................................................................ 21 1 2 3 4 5 6 7 8 9 „Chili, eine große Landschaft in Südamerika, dem Könige von Spanien gehörig. Das Land ist fruchtbar, hat gemäßigte und gesunde Luft, und beinahe einen beständigen Frühling; einige höhere Bergspitzen sind indeß auch mit beständigem Schnee bedeckt Es liefert Baumwolle, Wein, Oehl, Hanf, Flachs; hat gute Viehzucht und Bergwerke. Es war ihm J. 1541, daß die Spanier, unter Valdivias Auführung, davon Besitz nahmen.“ 1 1 Brockhaus Conversations-Lexikon Bd. 1. Amsterdam 1809, S. 255-256 Altstätten 2014 Peter Bützer 1 3 Einführung Chili oder Cayenne-Pfeffer (Capsicum frutescens) sind tropische und subtropische Pfefferpflanzen (Nachtschattengewächse, Solanaceae) – nicht zu verwechseln mit schwarzem oder weissem Pfeffer (Piper nigrum, Piper alba)! Der Name Capsicum leitet sich vom griechischen kapto (aufschnappen, beissen) und/oder dem lateinischen capsicus (kapselförmig) ab und bezieht sich damit auf die den scharfen Geschmack und die Form der Frucht. Paprika (Capsicum annuum), der auch zu dieser Pflanzenfamilie gehört enthält durchschnittlich ätherische Öle: 0.2-1.2% und „Scharfstoffe“: 0.4-1.4%. Die Früchte der Chili-Pflanzen wurden in Südamerika, in Ecuador, schon vor mehr als 6250 Jahren kultiviert2. Auf diesem Kontinent war Chili als Gewürz weit verbreitet. Bereits um 1514 berichtete Gonzalo Fernández de Oviedo über die von den Indianern Südamerikas als Gewürz verwendete Droge. Die Spanier brachten die Pflanze auch schnell nach Europa, wo sie als "Spanischer Pfeffer" rasch nach Indien, Asien und Afrika verbreitet wurde. Chili war die erste Pflanze, die globalisiert wurde. Sie war es auch, die von allen Pflanzen, Kartoffeln, Reis und Tomaten eingeschlossen, am raschesten verbreitet wurde. In heissen Ländern helfen die Inhaltsstoffe von Chilis noch heute, die Speisen haltbarer zu machen. Abbildung 1: Red Habanero; Red Savina Die „Scharfstoffe“ sind durch eine Klasse (Schärfegrad 10) – im Garten von Inhaltsstoffen, die Capsaicinoide, Der Name "Habanero" bedeutet so viel wie "aus charakterisiert. Diese bestimmen die Havanna". Daher wird meistens fälschlich Verwendung. So enthält beispielsweise CayennePfeffer: Capsaicin: 48.6% Dihydrocapsaicin: 36% Nordihydrocapsaicin: 7.4% Homodihydrocapsaicin: 2% Homocapsaicin: 2% angenommen, dass die Habaneros aus Kuba stammen, obwohl auf Kuba nur selten Pflanzen der Art Capsicum chinense vorkommen. Allgemein gilt: Capsaicin und Dihydrocapsaicin machen 80-90% aller Capsaicinoide in Chili-Pfeffer aus. Es ist bekannt, dass das für die Chili-Schärfe verantwortliche Capsaicin nicht nur antibakteriell wirkt, sondern auch als Abbildung 2: Orange Habanero Insektizid verwendet werden kann. Man weiss aber auch, dass die scharfen Schoten eine weitere wirkungsvolle Substanz enthalten, die zur Familie der Saponine gehört um diverse schädliche Pilze und Hefen abzutöten. 2 Robinson Simon, Global Warming, Time, 2007, June 25-July 2, 83-86 Altstätten 2014 Peter Bützer 2 Wichtige Begriffe im Zusammenhang mit Capsaicin3 Von all diesen Begriffen werden im Folgenden nur jene ausführlicher behandelt, welche im Zusammenhang mit chemischen oder medizinischen Fragestellungen stehen. 3 Suchbegriff: Capsaicin, http://de.eyeplorer.com/ Altstätten 2014 4 Peter Bützer 3 5 Die Wirksubstanzen P.A. Bucholtz entdeckte 1816 als erster das scharfe Prinzip des Pfeffers, welches mit organischen Lösungsmitteln extrahiert werden konnte. 1846 beschrieb L. T. Thresh im Pharmacy Journal die Kristallisation – er nannte die Substanz Capsaicin. Capsaicin wurde erstmals 1930 von E. Spath und F.S. Darling synthetisiert. Tabelle 1: Bekannte Capsaicinoide: O O O O N H N H HO HO Capsaicin Dihydrocapsaicin (2 H mehr an DB) O O N H HO O O N H HO Norcapsaicin (1 C-Atom weniger) Nordihydrocapsaicin (2 H mehr an DB und 1 C-Atom weniger) O O N H HO O N H HO Homocapsaicin (1 C-Atom mehr) 4 O Homodihydrocapsaicin (2 H mehr an DB und 1 C-Atom mehr) Einige Angaben zu Capsaicin Capsaicin: [8-Methyl-trans-6-nonensäure-(4-hydroxy-3- methoxybenzylamid), N-Vanillyl-8methyl-6-(E)-noneamid], (E)-Capsaicin, CPS, C Smiles: O=C(CCCCC/C=C(C)/C)NCC1=CC(OC)=C(O)C=C1 InChI=1/C18H27NO3/c1-14(2)8-6-4-5-7-9-18(21)19-13-15-10-11-16(20)17(12-15)223/h8,10-12,20H,4-7,9,13H2,1-3H3,(H,19,21) CAS 404-86-4, C18H27NO3, MR 305,42 g/mol, bildet farblose Kristalle, Schmp. 65°C, Sdp. 210–220°C (0,013 mbar), logPow ca. 4.1 (log Verteilungskoeffizient n-Octanol/Wasser). Wasserlöslichkeit ca. 4.4 mg/l (EPIWIN) Capsaicin ist in Wasser kaum, in den meisten organischen Lösungsmitteln gut löslich – Capsaicin ist somit lipophil. LD(50) (oral Maus): 47.2 mg/kg, LD(50) (dermal, Maus): 512 mg/kg Mutagen für Bakterien und/oder Hefe GHS: Gefahr. H-Sätze: H301: Giftig bei Verschlucken. H311: Giftig bei Hautkontakt. Altstätten 2014 Peter Bützer P-Sätze: P264: Nach Gebrauch (zu waschende Körperteile vom Hersteller anzugeben) gründlich waschen. P280: Schutzhandschuhe / Schutzkleidung / Augenschutz / Gesichtsschutz tragen. P301 + P310: BEI VERSCHLUCKEN: Sofort GIFTINFORMATIONSZENTRUM oder Arzt anrufen. P302 + P352: BEI BERÜHRUNG MIT DER HAUT: Mit viel Wasser und Seife waschen. Capsaicin ist ein Vanillylamid der 8-Methyl-6-nonensäure. Capsaicin: (E)-N-[(4-Hydroxy- 3-methoxybenzyl)- 8-methyl]-6-nonensäureamid Dihydrocapsaicin: N-[(4-Hydroxy-3-methoxy-phenyl)-8-methyl]-8-nonansäureamid Norcapsaicin: (E)-N-[(4-Hydroxy-3-methoxybenzyl)-6-methyl]-4-heptensäureamid Nordihydrocapsaicin: N-[(4-hydroxy-3-methoxybenzyl)-6-methyl]-6-heptansäureamid Auf das Bild klicken (mit Adobe Reader 9 lässt sich das Molekül drehen und zoomen) Altstätten 2014 6 Peter Bützer 5 7 Die Wirkung Capsaicin verursacht den scharfen „Geschmack“ der Paprika-Früchte. Scharfer Geschmack ist korrekterweise eine Schmerzempfindung und wird nicht durch das gustatorische System, die Geschmackszellen, vermittelt. Abbildung 3: Capsaicin, Elektronendichte Abbildung 4:Capsaicin (Rückseite), Elektronendichte rot: hohe e-Dichte dunkelblau: kleine e-Dichte Abbildung 5: Capsaicin, Stick and Ball, umgeben mit einem Netz der Elektronendichte im van der Waals Abstand Die Formel zeigt, dass das Molekül sehr lipophil ist!! In Chilis und anderen Capsicum-Arten ist es ungetrocknet zu 0,01 – 0,03%, getrocknet zu 0,3–0,5% enthalten. Dieses Molekül scheint ein Abwehrstoff der Pflanze zu sein – auch seine fungizide Wirkung. Capsaicin erzeugt ein Schmerzsignal, das dem Gehirn kritisch hohe Temperaturen im Mund meldet. Das ist eine geniale Massnahme der Capsicum-Pflanzen: Die Säugetiere glauben, sie verbrennen sich das Maul, wenn sie in eine solche Pflanze beissen .Das trifft nicht für Vögel zu, welche die Samen verbreiten. Die Produktion des Capsaicin findet vor allem in der Plazenta und den Samenscheidewänden der Schoten statt, sie sollten also besonders gemieden werden. Entgegen der weitverbreiteten Meinung enthalten die Samenkörner deutlich weniger Capsaicin, die Konzentration ist abhängig von der Nähe zu Plazenta und Samenscheidewand. Capsaicin ist als Molekül so stabil, dass es durch Kochen nicht zerstört wird. Es kann in der Nahrung auch nicht neutralisiert werden – nur verdünnt! Capsaicin ist ein starkes Reizmittel. In den USA hat Capsaicin GRAS Status (Generally Regarded as Safe). Die Schärfe der Capsicum-Früchte ist neben Capsaicin auf mindestens 9 weitere Capsaicinoide zurückzuführen. An zweitwichtigsten ist Dihydrocapsaicin, das zusammen mit Capsaicin mehr als 80% des scharfen Geschmacks ausmacht. Tabelle 2: Schärfe von Capsaicinen Name Capsaicin Norcapsaicin Dihydrocapsaicin Nordihydrocapsaicin Homocapsaicin Homodihydrocapsaicin Abkürzung C NC DHC NDHC HC HDHC Üblicher Anteil in % 69 Scoville-Einheiten 15'000’000 22 7 1 1 15'000’000 9'100’000 8'600’000 8'600’000 Folgerung: Die Doppelbindung hat für die Wirkung keinen entscheidenden Einfluss. Die Länge der Kette beeinflusst die Wirkung ganz beachtlich. Altstätten 2014 Peter Bützer 8 Pharmakokinetik (Systemdynamik) Eine Untersuchung der oralen Aufnahme von 1mg Capsaicin bei 12 Personen ergab folgende Daten4: Cmax (ng/ml) 2.47 + 0.13 (max. Plasmakonzentration) Tmax (minute) 47.08 + 1.99 (Zeit bis zur max. Plasmakonzentration) AUC0-t (ng.min/ml) 103.60 + 11.3 (Menge im Körper absorbiertes Capsaicin) T1/2 (minute) 24.87 + 4.97 (Halbwertszeit der Elimination) Die Simulation der Pharmakokinetik5 Simulation Typ 46 HWZe kr GI Blut resorbieren f ke eliminieren auscheiden Abbildung 6: Simulationsdiagramm (Dokumentation der Gleichungen und Parameter im Anhang) Messungen Abbildung 7: Pharmakokinetischer Verlauf bei 12 Personen4 4 Chaiyasit K. , Khovidhunkit W., Wittayalertpanya S., Pharmacokinetic and The Effect of Capsaicin in Capsicum frutescens on Decreasing Plasma Glucose Level, J Med Assoc Thai Vol. 92 No. 1, 2009, p.111 5 Simulations-Software: Vensim® PLE, Ventana Systems, Inc., http://www.vensim.com/ 6 Bützer Peter, Roth Markus, Die Zeit im Griff, Systemdynamik in Chemie und Biochemie, verlag pestalozzianum, Zürich 2006, S. 57 Altstätten 2014 Peter Bützer 9 Der Vergleich der Simulation mit den experimentellen Daten ist relativ schwierig. Das ist nicht verwunderlich, denn die Messkurve hat bei längeren Zeiten eine ausserordentlich ungewöhnliche Form für einen Wirkstoff – der Abfall ist nicht auslaufend. Blutkonzentration (ng/ml) 2.50 2.00 1.50 ng/ml Simulation 1.00 0.50 0.00 0 50 100 150 Zeit (min) Abbildung 8: Vergleich von Messdaten und Simulation im Zeitdiagramm Die Aufnahme von Capsaicin lässt sich mit der Bateman-Funktion recht gut simulieren. Die Ausscheidung verläuft jedoch sehr ungewöhnlich. Auch die Daten der Bioverfügbarkeit sind nicht nachvollziehbar. 6 Molekulare Wirkungsweise O O Alle Capsaicinoide haben den Vanilloiden Ring (siehe Vanillin), das Amid und eine lange lipophile Kette. Das Vanillin HO Capsaicin von Paprika oder Chili aktiviert dieselben biochemischen Wege, wie ein Mund voll heisser Kartoffeln, den Vanilloid- oder CapsaicinRezeptor7. Die Rezeptoren der Ca2+-Kanäle werden aktiviert, womit sich ein Nervenpotential ausbildet. Die Thermorezeptoren (Transient Receptor Potential Vanilloid subtype 1) TRPV1, [veraltet:VR-1 warm (Vanilloid Receptor), und VRL-1 für heiss] sind Capsaicin-Rezeptoren. Sie arbeiten in verschiedenen, ungefähren Temperaturbereichen8: TRPA1 10-15°C, TRPM8 15-25 °C, TRPV4 25-35 °C, TRPV3 30-40 °C, TRPV1 40-45 °C. Diese Thermorezeptoren kommen auf der Körperoberfläche in unterschiedlichen Konzentrationen vor. Die hitzegesteuerten Kanäle können chemisch durch Bindung von Capsaicin bei normalen Temperaturen (37 oC) geöffnet werden – Capsaicin ist hier ein Agonist. Sie werden deshalb als Capsaicin-Rezeptoren bezeichnet. Nicht zu Unrecht nennt man scharf gewürzte Speisen „hot“ oder „heiss“. Die Ausschüttung von Substanz-P (Neurotransmitter) führt akut zu einer Membran-Depolarisierung. Die längerfristige Anwendung von Capsaicin führt zu einem Fehlen von Substanz-P, dadurch kommt es zu der schmerzstillenden Wirkung, weil die Erregungsleitung blockiert wird. Die Nervenzellen stellen sich durch häufigen Verzehr auf ein neues Gleichgewicht ein. Das könnte auch die bereits bekannte schmerzlindernde Wirkung 7 McCleverty, C.J., Koesema, E., Patapoutian, A., Lesley, S.A., Kreusch, A. Crystal structure of the human TRPV2 channel ankyrin repeat domain. Protein Sci. v15 pp.2201-2206, 2006 8 Costandi M., Catching fire, New Scientist, 1 March, 2014, 44-47 Altstätten 2014 Peter Bützer 10 des Capsaicins, etwa bei Arthritis oder Gürtelrose9, erklären. Capsaicin ist so gesehen ein effektives Schmerzmittel. Eine hohe Capsaicin-Dosis hält das Gehirn irrtümlich für einen starken Schmerz, den es zu bekämpfen gilt. Das bewirkt die Ausschüttung von Endorphinen, körpereigenen, morphiumähnlichen „Schmerzkillern“. Dies kann zu einem gesteigerten Glücksempfinden beitragen; einer milden Euphorie, bisweilen von unvermitteltem Schmunzeln begleitet. Experten bezeichnen diesen Zustand als „Pepper-High". Das Ganze ist völlig harmlos, und süchtig machen Chilis allenfalls, weil man sie vom Speisezettel kaum wegdenken kann, sobald man sich einmal mit den scharfen Schoten + angefreundet hat! Man kann sich an die 2+ Na + Ca Na Schärfe gewöhnen und mit der Zeit immer schärfere Speisen ohne Probleme essen10. Die Volksheilkunde wendet die Droge auch innerlich bei Verdauungsstörungen, Magenund Darmleiden sowie zur Entwässerung, als Herz- Kreislauf-Mittel zur Behandlung des Alkoholismus, bei Fieber aller Art, prophylaktisch gegen Arteriosklerose, Schlaganfall und Herzerkrankungen sowie zur Libido- und Potenzsteigerung (Aphrodisiakum) an. Homöopathisch eingesetzt als Capsicum annuum HAB1 (Capsicum) werden die reifen, getrockneten Früchte. Die Anwendungsgebiete sind beispielsweise: Schleimhautentzündungen im Mund- und Rachen-Raum, Harnblasen- und Harnwegsentzündungen, Magen-DarmEntzündungen, Mittelohrvereiterung, Blinddarmentzündung. 7 Zelle Abbildung 9: Der Capsaicin-Rezeptor (der Hitzerezeptor), der den Ca2+ -Fluss regelt. Abbildung 10: Rezeptorprotein für Capsaicin Das Mass für die Schärfe 1912 hat ein bei einem pharmazeutischen Unternehmen (Parke, Davis & Co in Detroit, später zur Warner-Lambert Company gehörig) tätiger Chemiker namens Wilbur Scoville eine nach ihm benannte Skala der „Schärfe“ entwickelt. Ursprünglich wollte Scoville die CapsaicinKonzentration mit Hilfe chemischer Reaktionen testen. Die menschliche Zunge erwies sich jedoch für diesen Zweck als wesentlich empfindlicher und genauer. Der ursprüngliche Scoville-Test hat trotzdem den grossen Nachteil, dass er zu nicht exakt reproduzierbare Ergebnisse führt: Verschiedene Probanden haben ein unterschiedlich starkes Geschmacksempfinden, und dieses ermüdet schon nach einigen Proben. 9 Schwarcz Joe, Der Geist aus der Flasche, Neue Episoden vom Leben auf Molekülbasis, Rowohlt Taschenbuch Verlag GmbH, Reinbeck bei Hamburg, 2003, S. 115 10 Schoville Scale, New Scientist, 25 February 2006, 54 Altstätten 2014 Peter Bützer 11 Der ursprüngliche Scoville-Test war ein sensorischer Test mit folgendem Ablauf: 1. Ein alkoholischer Extrakt der zu testenden Chilli wird gemacht. 2. Der Extrakt wird mit einer 5% Saccharose-Lösung zu 50 ml Proben verdünnt, bis auf der Zunge keine Reaktion mehr festgestellt warden kann. 3. Die Konzentration des Extrakts wird nun so lange erhöht, bis 3 von 5 Testpersonen ein Brennen empfinden. 4. Zwischen jeder Probe müssen die Testpersonen den Mund mit Wasser auswaschen und 5 Minuten warten. Heute wird die Anzahl der Scoville-Einheiten einer Chili nicht mehr auf diese Weise festgestellt, sondern man misst mit Hilfe der Hochdruck- Flüssigkeits-Chromatographie (HPLC) die Konzentrationen der Capsaicinoide im Fruchtfleischpüree11,12. Eine ScovilleEinheit entspricht einer Konzentration von 6,25·10-6 Prozent, so dass reines Capsaicin eine „Schärfe“ von 16 Millionen Scoville-Einheiten hat. Die HPLC-Daten liefern den Capsaicingehalt als "Parts per Million", oder gewichtsmässig ausgedrückt, als mg/kg. Scoville-Einheiten (SHU) erhält man, indem man diesen Wert mit 15 multipliziert. 1 Tropfen von reinem Capsaicin müsste mit 800 Litern Wasser verdünnt werden, um die „Schärfe ganz zu entfernen.“ Diese Einheiten lassen sich in „Schärfegrade“ umrechnen, denn auch der „scharfe Geschmack“ folgt als Empfindung recht gut dem Weber-Fechnerschen Gesetz: Auch Empfindungen sind logarithmisch zum Stimulus (auslösenden Reiz= Konzentration an „Scharfstoff“). Die Umrechnung zwischen Schärfegraden und Scoville-Einheiten kann mit folgender Formel vorgenommen werden: G = 3·log10S - 5 ; 0 G 10 Hierbei ist S die Anzahl der Scoville-Einheiten, G der entsprechende Schärfegrad, log10 der dekadische (10er) Logarithmus. Umgekehrt entspricht der Schärfegrad S ungefähr einem Scoville-Einheiten-Bereich von 10(1/3)·(G+5) bis 10(1/3)·(G+6). 11 12 ESA Inc., Capsaicionids, Application note 5600A, 10-1219P, IA-2, 2007-08-08 NIOSH Manual of Analytical Methods (NMAM), Fourth Edition, 5/15/96, Capsaicin and Dihydrocapsaicin: Method 5041, Issue 1, dated 15 May 1996 Altstätten 2014 Peter Bützer 12 Scoville Einheiten von Capsaicinoiden und verschiedenen Pflanzen ScovilleEinheiten: S 16'000’000 Produkte Hot Sauces Reines Capsaicin (CAS no. 404-86-4) SchärfeGrad:G 15-16.6 16'000’000 Dihydrocapsaicin 15-16.6 9'300’000 Nordihydrocapsaicin 9.1-15.9 8'100’000 Homodihydrocapsaicin 8.6-15.7 6’900’000 Homocapsaicin 8.6-15.5 1'200’000 Trinidad Moruga Scorpion Bhut Jolokia13,14,15 (Rekord des Schärfe von Pflanzen bis 2012) Red Savina, Red Habanero Schärfster Chili der Welt : mit 577 000 (Guiness Buch der Rekorde bis 9.9.2006) 100’000 Habanero, Scotch Bonnet, 500’000 Südamerikanische chinesische-, Sorten, Afrikanische Birdseye-Chilis, Red Savina 50’000 Santaka, Chiltepin, Rocoto, Chinesische 100’000 Kwangsi 30’000 Piquin, lange Cayenne-Schoten, 50’000 Tabasco, Thai-Chilis 15’000 Chile de Arbol; Rote Chili-Flocken 30’000 ("Pizza-Pepper") 5000 - 15’000 Frühe Jalapeño, Aji Amarillo, Serrano; Chipotle 2500 - 5000 TAM Mild Jalapeño, Mirasol; grosse dicke Cayenne-Schoten 1500 - 2500 Sandia, Cascabel, Yellow Wax Hot 13.23 1'001'304 – 876’000 mehr als 500’000 1’000 – 1500 Ancho, Pasilla, Española Improved 500 - 1000 100 - 500 10 - 100 0 - 10 Empfindung 13 10 ausser-ordentlich scharf Vicious Vampire, Dave's Insanity Spice Dave's Insanity Sauce, Raw Heat, Pain 100% Endorphin Rush 9 Liquid Ax, Red Savina Garlic Sauce Belligerent Blaze, Pain is Good, Lethal Gator Tabasco® Sosse (rot), Ring of Fire Habanero Florida Heat®, Arizona Gunslinger El's Red Eye, Peppa Colada, Melinda's Mango Sweet Cajun Fire 7 NuMex Big Jim, NuMex 6-4, viele Chili-Pulver- Sorten NuMex R-Naky, Mexi-Bell, Cherry; Currybbean Fiesta grüne Chilis in der Dose, scharfe ungarische Paprika In Essig eingelegte grüne Pepperoncini Gemüsepaprika, Pimiento, Sweet Banana Ketchup Chilis "ohne alles" 8 extrem scharf 6 5 scharf 4 3 mild bis mittelscharf 2 1 0 unscharf Anmerkung: Die Scoville-Werte für Chilis beziehen sich auf getrocknete Schoten; sie liegen um etwa den Faktor 10 höher als bei frischen Schoten. 13 Harald Zoschke & Suncoast Peppers GmbH, Naga Jolokia - Der schärfste Chili der Welt, http://www.pepperworld.com/botanisch/jolokia.asp, 2006-11-21 14 Mathur R., Dangi R.S., Dass S.C., Malhotra R.C., The hottest chilli variety in India, Current Science, VOL. 79, NO. 3, 10 AUGUST 2000 15 Bosland Paul, Hort Science 42: 190-423 (2007) Altstätten 2014 Peter Bützer Abbildung 11: Die 2006 als schärfste Chili-Pflanze gefundene Bhut Jolokia (Schärfe 13!!) – in meinem Büro! Die LD50 für Tabasco Sauce wurde mit 24 Milliliter/kg Körpergewicht abgeschätzt. Akute Toxizität: Natürliches Capsaicin16: oral (LD50) 47.2 mg/kg [Mouse] dermal (LD50): 512 mg/kg [Mouse]. Achtung: Chilis und Chili-Produkte der Schärfegrade über 9 sollten von Kindern unbedingt fern gehalten werden; bei Produkten die Warnhinweise auf Etiketten und Aufklebern beachten. Studien und eigene Erfahrungen an einzelnen, frischen Früchten ergaben eine breite Variabilität der Capsaicinoidgehalte. Sogar Früchte vergleichbarer Grösse und Gewicht von demselben Strauch und zu identischem Zeitpunkt der Ernte wiesen stark variierende Capsaicinoidgehalte (217 bis 632 mg/kg) mit variierendem Muster (Capsaicin: 48-59 %, Dihydrocapsaicin: 31-37 % und Nordihydrocapsaicin: 9-17 %) auf. Hierbei konnte kein Zusammenhang zwischen Capsaicinoidgehalt und -muster hergestellt werden. Ebenfalls korrelieren die Capsaicinoidgehalte und das Muster nicht mit der Fruchtfarbe. Diese Beobachtungen wurden mit Früchten von mehreren Sträuchern, unter identischen Anbaubedingungen und zu verschiedenen Erntezeitpunkten geerntet, bestätigt. Auch die Witterung hat einen sehr grossen Einfluss – es gibt Jahre mit hohen und Jahre mit tiefen Capsaicingehalten. 16 Capsaicin, Natural MSDS, http://www.sciencelab.com/xMSDS-Capsaicin_Natural-9923296, 2008-06-03 Altstätten 2014 13 Peter Bützer 8 14 Capsaicinoide als Medikamente Capsaicin und seine Derivate reizen die Nervenenden der sogenannten Nozizeptoren auf Schleimhäuten oder auf sensibler Haut. Damit hat Capsaicin hat eine ausgeprägt durchblutungsfördernde Wirkung: die eigentlich nicht vorhandene Hitzeempfindung führt dazu, dass das betroffene Gewebe stärker durchblutet wird, um die Wärme abzuleiten. Ein Nozizeptor (von lat. nocere „schaden“) – auch als Nozirezeptor bezeichnet – ist ein Rezeptor, der auf eine drohende oder eingetretene Verletzung des Körpergewebes reagiert. Bestimmt durch den Axondurchmesser und ihrer spezifischen Reaktion lassen sich Nozizeptoren in 3 Gruppen aufteilen: 1. A-Mechano-Nozizeptoren: reagieren auf starke, insbesondere spitze Reize 2. A-polymodale Nozizeptoren: reagieren auf Hitze und starke chemische Reize 3. C-polymodale Nozizeptoren: reagieren auf alle drei Reize In alkoholischer Lösung werden Capsaicinoide für hyperämisierende 17 Einreibungen gegen Frostbeulen, Gliederreissen, Rheuma, schmerzhafte Muskelverspannungen (Dul-X Créme Warm, ABC-Pflaster, Capsaicin-Crème mit 0,025-0,075%) und dergleichen verwendet. Novivamid in: Histalgan ®, Liniment (Spirig) Capsaicin in DUL-X, Crème warm (Melisana) Abbildung 12: Salben mit Capsaicin oder Capsaicin-Derivat Zubereitungen aus Cayennepfeffer mit natürlichem Capsaicin oder dem synthetischen Ersatz Nonivamid sind als Emulsionen, Cremes (entspr. 0.025% oder 0.075% Capsaicin) und Pflaster (entspr. 8% Capsaicin) erhältlich. Capsaicinhaltige Salben können auch bei der Behandlung von Nervenschmerzen, wie sie z. B. nach einer Gürtelrose häufig auftreten, erfolgreich sein. Dazu wird die Salbe über mehrere Tage aufgetragen. Die Schmerzen nehmen nach einer anfänglichen Zunahme ab. Die innere Anwendung von Cayennepfeffer empfiehlt sich aus medizinischer Sicht nicht. Die Verwendung als Gewürz ist jedoch unbedenklich, der mässige Genuss soll sogar Magengeschwüre unterdrücken. Da Zubereitungen aus Cayennepfeffer nur zur äusserlichen Anwendung bestimmt sind, empfiehlt es sich, Fertigpräparate aus dem Handel zu verwenden. Nebenwirkungen: In geringen Dosen steigert Capsaicin die Salzsäure-Sekretion im Magen. Eine chronische Überdosierung des Gewürzes bewirkt chronische Gastritis18, Nieren- und Leberschädigungen. 17 18 Hyperämisierend: durchblutungsfördernd Gastritis (griech.: gaster = Magen). Entzündung der Schleimhaut des Magens. Altstätten 2014 Peter Bützer 15 Auf der Schleimhaut verursacht Capsaicin schon in kleinen Mengen Reizungen. Bei längerer Einwirkung entstehen Geschwüre und Nekrosen19. Nonivamid, ein synthetischer Ersatzstoff für Capsaicin Nonivamid ist der internationale Freiname für N-Vanillylnonanamid (Pelargon- oder Nonansäurevanillylamid, Pelargonacidvanillylamide: PAVA), C17H27NO3, MR 293,40, Schmp. 52–55 °C, Sdp. 200–210 °C (6,65 Pa); lmax (CH3OH) 229, 280 nm (A1%1cm 262, 109). Nonivamid ist als hyperämisierender Wirkstoff in Pflastern und Salben (z.B. Histalgan, Radalgin* Midalgan Baume, Thermocutan* Assan Thermo). O O O O N H N H HO HO Dihydrocapsaicin Nonivamid, PAVA Abbildung 13: Vergleich von natürlich vorkommendem Dihydrocapsaicin mit dem syntetisch hergestellten Nonivamid. 9 Pfeffersprays Der erste Stoff, der als Tränengas geeignet war, wurde das im Jahre 1871 von Carl Graebe synthetisierte Chloracetophenon (CN). Im ersten Weltkrieg wurde es zwar in grösseren Mengen von den USA produziert, aber nicht eingesetzt. Durch den niedrigen Schmelzpunkt ist es aber zum Einsatz in wärmeren Gebieten nicht geeignet. Dieser "Mangel" wurde durch das Chlorbenzylidenmalo dinitril (CS) nicht mehr geboten. CS Abbildung 15: Gehaltsangabe auf einem wurde zum ersten Pfefferspray Mal 1928 von Corson und Stoughton hergestellt. Oleoresin capsicum spray (OC) wurde an der University of Georgia von Professor James H. Jenkins und Dr. Frank Hayes, D.V.M. 1960 entwickelt. Zu Ende der 80er Jahre wurde, zuerst in den USA, das Pfefferspray vom Postal Service gegen Hunde eingeführt. Nichts Vergleichbares erscheint den Experten derzeit so effektiv in seiner Wirkung und dennoch so einfach in seiner Anwendung wie das Pfeffer-Spray. Das Pfefferspray nutzt als Wirkstoffe Naturprodukte, die auch in Nahrungsmitteln enthalten sind. Pfefferspray hat 2,000,000 scoville. Der Extrakt aus verschiedenen Pflanzen oder Früchten mit der Bezeichnung Oleoresin Capsicum (OC) findet sich zum Beispiel in Paprika, Cayenne- oder Chili-Pfeffer. OC ist für 19 Abbildung 14: Pfefferspray Nekrose: absterben von Körpergewebe Altstätten 2014 Peter Bützer 16 die zur Reizung der Schleimhäute führenden Schärfe verantwortlich. Das Pfefferspray und seine synthetische Form PAVA sind mittlerweile häufig in Selbstverteidigungswaffen zu finden. CS-Gas wurde bei U.S. Polizeibehörden und in vielen europäischen Staaten durch Pfeffer-Sprays abgelöst, da sie um ein Vielfaches effektiver (rascher) und wirksamer sind als jede Form von CS Gas. Während es beim bisher eingesetzten CS-Reizstoff eine Immunitätsrate von über 30 % gab, liegt diese beim Pfefferspray unter 10 %. Sogar bei Personen, die unter Einfluss von Alkohol oder Drogen stehen, zeigt das Pfefferspray uneingeschränkte Wirkung. Sogar gegen Braunbären haben sich Pfeffersprays als Abwehrmittel bewährt. Als "Transportmittel" wird der Substanz eine weitere Flüssigkeit beigemischt, wie z.B. Wasser. Im Zeitpunkt der Anwendung befindet sich sodann der Hauptwirkstoff in der angewendeten Transportsubstanz. Pfeffer-Sprays der Polizei haben eine Konzentration von 5’300’000 Scoville-Einheiten, was einem Schärfegrad von 15 entspricht. Blai Lazar, ein Verkäufer von Capsaicin Pulver in New York (USA) lässt die Käufer einen Vertrag unterschreiben, der rechtliche Schritte nach dem Genuss ausschliesst20. Capsaicinoide führen zu einer heftigen Reizung von Schmerzrezeptoren und einer starken Entzündungsreaktion. 9.1 Wirkungen 9.1.1 Wirkung auf die Augen Bei Augenkontakt kommt es zu sofortigem Lidschluss durch heftige Schmerzen und Anschwellen der Bindehäute, sowie heftigem Tränenfluss. Getroffene Menschen sehen schlagartig nichts mehr und sind wegen der Schmerzen sofort kampfunfähig. Träger von Kontaktlinsen können vermehrte Reaktionen zeigen, weil sich zwischen der Kontaktlinse und der Hornhaut ein Wirkstoffdepot entwickeln kann. Vereinzelt kann es zu einer Schädigung der Hornhaut kommen, die jedoch folgenlos verheilt. 9.1.2 Wirkung auf die Atemwege Beim Einatmen von Capsaicinoiden kommt es zu Atemnot, ähnlich wie bei einem akuten Asthmaanfall. Durch Entzündung der Bronchialschleimhaut werden eine Verengung der Bronchien und eine gesteigerte Schleimbildung ausgelöst. Zusätzlich kann es zu einem Laryngospasmus oder Entzündungsreaktionen im Bereich des Kehlkopfes kommen, was zu teilweise zu intensivem Hustenreiz führt. Bei Asthmatikern und Allergikern ist die Gefahr, dass sich Atembeschwerden entwickeln besonders gross, wobei mit bedrohlichen Zuständen gerechnet werden muss. 9.1.3 Wirkung auf die Haut Capsaicinoide entwickeln auch auf der Haut eine Entzündungsreaktion mit intensiver Hautrötung und –schwellung. Die Histaminausschüttung führt zu einer Hautrötung und kann eine Quaddelbildung und Schwellung auslösen, selten kommt es zu Blasenbildung. 20 Lazar B., Hot-Chili-Pulver: Kauf nur mit Vertrag, 20min, Mittwoch, 11. Mai 2005, 13 Altstätten 2014 Peter Bützer 17 9.1.4 Weitere Wirkungen Insbesondere bei blutdrucklabilen Personen oder arterieller Hypertonie kann eine hypertensive Situation begünstigt werden. Die Wirkung setzt sofort ein, nach 5 bis 10 Minuten sie lässt bis nach ca. 45 Minuten langsam nach. Mit später auftretenden Wirkungen ist normalerweise nicht zu rechnen. Schwere Komplikationen sind äusserst selten. Bleibende Schäden an den Augen und der Haut sind bisher nicht beschrieben, auch liessen sich bisher keine sicheren Hinweise auf kanzerogene (krebserzeugende) oder teratogene (fruchtschädigende) Effekte der Substanz gewinnen. Die amerikanische Umweltbehörde EPA hat 1992 im Rahmen einer Neubewertung des Wirkstoffs für die Abwehr von Schädlingen keine Hinweise auf wesentliche Gefahren für den Menschen oder die Umwelt gefunden. Auch im polizeilichen Gebrauch zeigte sich gegenüber der Anwendung von herkömmlichen Stoffen (z.B. Tränengas) trotz der effektiveren Wirkung von Pfefferspray ein geringeres Gesundheitsrisiko, wie z.B. bei Asthmatikern. Auf dem Markt befinden sich mittlerweile unzählige Anbieter von Pfeffersprays. Hierbei muss im Wesentlichen von zwei Anwendungsformen unterschieden werden, dem Pfefferspray mit Sprühstrahl und dem Pfefferspray mit Sprühnebel. Der Sprühstrahl kann auf einer Distanz von bis zu 5 Metern angewendet werden. Der Sprühvorgang sollte jedoch gezielt sicher stattfinden, damit der dünne Strahl sein Ziel nicht verfehlt. Der Sprühnebel dient nur einer Anwendung bis zu einer Entfernung von 3 Metern, da der Nebel jedoch breit gestreut aus der Dose tritt, erfordert die Anwendung keine grosse Zielsicherheit und ist deshalb einfacher anzuwenden als der Sprühstrahl aber auch gefährlicher für den Anwender. 9.1.5 Quintessenz Pfeffer kann ein Gewürz, ein Pharmakon oder eine chemische Waffe sein - nicht die Dosis allein bestimmt die Wirkung, auch der Ort. 9.2 Capsaicin als Doping? Bei der Olympiade 2008 in Hongkong sind wegen positiver A-Proben ihrer Pferde sind Alves Bernardo, Christian Ahlmann, Denis Lynch und Tony Andre Hansen provisorisch suspendiert worden. Bei allen vier Pferden wurde ein schmerzstillendes und entzündungshemmendes Mittel mit einem Derivat von Capsaicin als Wirkstoff gefunden. Substanz ist Bestandteil der Salbe namens Equi-Block auf welche der Hersteller MiracleCorp die unmissverständliche Angabe macht: «Will not test positive». Bei der Wirkung als Doping will man eine Steigerung des Schmerzempfindes an den Pferdebeinen. Das wird erreicht, weil durch die starke Durchblutung auch die Sensibiltät steigt. Wenn das Spring-Pferd an die Stangen stösst, ist das schmerzhafter, das Pferd durch wird versuchen, die Berührung der Hindernisse, und damit Fehler, auf jeden Fall zu vermeiden. Altstätten 2014 Peter Bützer 18 10 Was wirkt gegen das Brennen von Capsaicin? Capsaicin ist lipophil und daher unlöslich in Wasser. In Alkohol und pflanzlichen Ölen ist es hingegen ziemlich gut löslich. Spülen mit einem Glas Wasser beseitigt daher den brennenden Geschmack im Mund nicht – aber es kühlt. Ein kaltes Getränk ist schon besser, weil es die Wärmerezeptoren etwas kühlt und damit weniger empfindlich macht. Das beste Gegenmittel ist Milch. Diese enthält Casein, eine Substanz, die das Capsaicin-Molekül perfekt bindet und wegtransportiert werden kann. Diese Bindung funktioniert nach demselben Prinzip wie die Seife, die Fett lösen kann. 11 Molekulare Besonderheiten Roter, schwarzer, grüner und weisser Pfeffer ist scharf. Roter Pfeffer gehört zu den Solanaceae (Nachtschattengewächse), Schwarzer, Grüner und Weisser Pfeffer zu den Piperaceae (Pfeffergewächse). Die scharfen Inhaltsstoffe, Capsaicin beim Roten, Piperin beim Schwarzen, Grünen und Weissen Pfeffer sind bei diesen unterschiedlichen Pflanzenfamilien ganz ähnlich aufgebaut aber zielen auf dieselben vanilloiden Rezeptoren: O O O O O N H HO HO O N O Abbildung 16: Vanillin Abbildung 17: Capsaicin (Chili) log (Kow) = 1.05 (ber.)21 log (Kow) = 4.0 (ber.) Abbildung 18: Piperin (Pfeffer) log (Kow) = 3.69 (ber.) Ingwer-Wurzel enthält ebenfalls eine scharfe Substanz, das Zingeron: O O HO Abbildung 19: Zingeron (Ingwer Wurzel) log (Kow) = 1.31 (ber.) Abbildung 20: Zingeron, 3DModell Abbildung 21: Zingeron, Elektronendichte rot: hohe e-Dichte dunkelblau: kleine e-Dichte Diese Substanz zeigt molekular eine grosse Ähnlichkeit mit Capsaicin, auch eine vanilloide Struktur, und bindet daher auch an dieselben Rezeptoren. Die Ähnlichkeit der „heissen“ Moleküle ist offensichtlich. Somit stellt sich die Frage, welche Veränderungen am Capsaicin-Molekül welche Auswirkungen bei der Schärfe haben. 21 Abgeschätzt mit: EPI Suite®, by the EPA’s Office of Pollution Prevention Toxics and Syracuse Research Corporation (SRC) Altstätten 2014 Peter Bützer 19 12 Molekulare Modifikationen Ähnliche Moleküle wie Capsaicin. Tabelle 3: Molekulare Vergleiche (Veränderungen gegenüber Capsaicin rot)22 Molekül Relative Wirksamkeit Capsaicin = 1 O 1 O N H Capsaicin HO O 0.55-0.71 O N H HO O 0.46 O N H O O < 0.01 O N H O O < 0.01 O N HO O 0.008 O N H HO 22 Rusterholz David B., Capsaicin, from Hot to Not; Can Pain-relieving Drugs Be Derived from This Substance To Cause Pain?, Journal of Chemical Education, 2006, Vol 83, 12 December , 1811 Altstätten 2014 Peter Bützer 20 13 Interaktives Feedback Zum Thema Capsaicin steht im Internet ein interaktives Feedback im Sinne eines Quiz mit vielen Zusatzinformationen bereit: http://www.educanet.ch/home/Buetzer/Tests/Capsaicin/!Start.htm Dieses Feedback basiert auf dem e-Learning-System TopTeach und ermöglicht farbige Darstellungen und Moleküldarstellungen als Gif-Animationen oder mit dem plugin Chime. So eine Art Lernerfolgskontrolle hat nicht nur zum Ziel, eine Rückmeldung zu geben, was wie gut verstanden worden ist, sie will das das Beispiel Capsaicin zusätzlich noch in andere Zusammenhänge stellen und Verständnis vertiefen – wenn man will! Bei Falscheingaben wird daher nicht nur die Lösung angezeigt, sondern auch eine Begründung der Antwort geliefert. 14 Anhang Dokumentation: Gleichungen und Parameter der Simulation (Vensim) (01) auscheiden= f*kr*GI Units: ng/Minute [0,?] (02) Blut= INTEG (resorbieren-eliminieren, 0) Units: ng [0,?] (03) eliminieren= ke*Blut Units: ng/Minute [0,?] (04) f= 0.375 Units: Dmnl [0,6] (05) FINAL TIME = 120 Units: Minute The final time for the simulation. (06) GI= INTEG (-auscheiden-resorbieren, 10) Units: ng [0,?] ng/ml (07) HWZe= 27 Units: Minute [0,?] (08) INITIAL TIME = 0 Units: Minute The initial time for the simulation. (09) ke= ln(2)/HWZe Units: 1/Minute [0,?] (10) kr= 0.013 Units: 1/Minute [0.01,0.03] (11) resorbieren= kr*GI Units: ng/Minute [0,?] (12) SAVEPER = 5 Units: Minute [0,?] The frequency with which output is stored. (13) TIME STEP = 1 Units: Minute [0,?] The time step for the simulation. Altstätten 2014 Peter Bützer 21 15 Weitere verwendete Literatur Baltes W., Lebensmittelchemie, Springer Verlag, Berlin/Heidelberg, 1995, 409 Becker M., Capsaicin, http://www.ijon.de/chili/scharf.html, 2002-11-07 Berlitz H.-D., Grosch W., Food Chemistry, Springer Verlag, Berlin/Heidelberg, 1999, 910ff Bosland, P.W. 1996. Capsicums: Innovative uses of an ancient crop. p. 479-487. In: J. Janick (ed.), Progress in new crops. ASHS Press, Arlington, VA. 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