a-t 1996 - Arznei

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a-t 1996 - Arznei
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arznei-telegramm 11/96
Warenzeichen in
Österreich
und Schweiz
(Beispiele)
Liponsäure:
THIOCTACID
(A)
Schon das bloße Einreiben mindert Schmerzempfindungen. Patienten mit Polyneuropathie verschaffen sich
häufig durch Massieren betroffener Hautareale Linderung.
Wegen des charakteristischen brennenden Wärmegefühls
ist eine plazebokontrollierte Studie mit Capsaicin kaum
doppelblind durchführbar. Im Vergleich mit hyperämisierender Creme (Methylnikotinat) findet sich kein Unterschied.22
Etwa 60% der Anwender empfinden starkes Brennen
nach Auftragen des Scharfstoffs aus Spanischem Pfeffer.
Jeder zehnte bricht die Behandlung innerhalb der ersten
beiden Wochen ab. Im weiteren Verlauf verliert sich das
Brennen bei zwei von drei Patienten.23 Exantheme, trockene Haut, Zunahme der Schmerzen sowie Husten- und
Niesreiz nach Austrocknen der Creme kommen vor. Die
Langzeitverträglichkeit bleibt fraglich. Wegen struktureller
Nervenschäden im Tierversuch gilt Capsaicin als potentiell
neurotoxisch. Durch zusätzliche Einschränkung der
Schmerz- und Wärmewahrnehmung unter Capsaicin könnte bei Patienten mit Polyneuropathie die Gefahr von Hitzetraumen zunehmen.24
Die in den 70er Jahren als Lebermittel propagierte
Liponsäure (THIOCTACID u.a.) soll heute ausschließlich
zur Behandlung von „Mißempfindungen bei diabetischer
Polyneuropathie” dienen. Mit drei kleineren Doppelblindstudien ließ sich bislang kein Nutzen sichern (a-t 3 [1994],
26). Bei 260 Diabetikern mit Polyneuropathie soll eine dreiwöchige Behandlung (dreimal 5 Tage) mit 600 mg oder
1200 mg Liponsäure intravenös die neuropathische Symptomatik günstiger beeinflußt haben als Plazebo oder
100 mg Liponsäure i.v.25 Hauptzielparameter ist der Gesamtscore der Symptome Schmerzen, Brennen, Parästhesie und Taubheitsgefühl. 70% bzw. 80% der Patienten erfahren unter Liponsäure eine 30%ige Besserung der Beschwerden im Vergleich zu einem nicht genannten Ausgangsbefund, unter Plazebo „nur” 60%. Beurteilt nach Einzelsymptomen hatten die Teilnehmer in den LiponsäureGruppen zu Beginn stärkere Beschwerden als Patienten
des Plazebo-Arms. Polyneuropathische Symptome sprechen aber auf ein Scheinmedikament um so besser an, je
schlechter der Ausgangsbefund ist. „Die Studie strotzt nur
so von methodischen Mängeln”8 (z.B. Symptombeurteilung
nicht durch Patienten, keine objektive Beurteilung der Neuropathie, nachträglicher Ausschluß von 51 Personen [16%]
trotz vollständiger Behandlung, keine „Intention to treat”Analyse), so daß sich die Aussagekraft „auf Null reduziert”.8
Bis jetzt fehlt somit auch für die massiv propagierte
intravenöse Therapie ein eindeutiger Wirksamkeitsnachweis.26 Bei kardialer Neuropathie sollen 800 mg Liponsäure
per os das „Leistungsspektrum der Herzfrequenz-Variabilität” verbessern.27 Offen bleibt dabei, welche klinische Bedeutung dieser Meßgröße zukommt.
FAZIT: Die Behandlung von Polyneuropathien
bleibt häufig unbefriedigend. Vorrangig sind auslösende Noxen zu meiden (Alkohol, Medikamente, Umweltgifte) und der Stoffwechsel von Diabetikern straff einzustellen. Symptomatisch wirkende Medikamente erzeugen hohe Plazeboeffekte.
Am günstigsten schneiden trizyklische Antidepressiva vom Amitriptylin (SAROTEN u.a.)-Typ ab. Antikonvulsiva wie Carbamazepin (TEGRETAL u.a.) und
Phenytoin (PHENHYDAN u.a.) versprechen ebenfalls
Linderung, werden aber schlechter vertragen. Peripher
oder zentral ansetzende Analgetika versagen oft. Antiarrhythmika wie Mexiletin (MEXITIL u.a.) ermöglichen
eher marginale Erfolge. Die Ergebnisse mit CapsaicinCreme bleiben widersprüchlich. Ein befristeter Therapieversuch läßt sich vertreten. Belege für einen klinischen Nutzen der Liponsäure (THIOCTACID u.a.), die
inzwischen in mehr als 60 Handelspräparaten angeboten und massiv beworben wird, fehlen weiterhin.
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Korrespondenz
WAS IST NEU AN OXACEPROL (AHP 200)?
#15
Unter Bezugnahme auf die aktuelle Berichterstattung der Ärzte-Zeitung
vom 18./19. Okt. 1996 (S. 19) zu Oxaceprol (AHP 200) bitte ich um Mitteilung, ob
sich auch aus Ihrer Sicht eine positive Neubewertung dieser früher als Chondroprotektivum und neuerdings als Antirheumatikum deklarierten Substanz ergibt.
Dr. med. K. EICHENSEHER (Arzt f. Orthopädie)
D-60528 Frankfurt/M.
Die Gesetzliche Krankenversicherung gab 1995 21
Millionen DM für 360.000 Verordnungen von Oxaceprol
(AHP 200) aus.1 Ursprünglich sollte Oxaceprol, das azetylierte Derivat der endogenen Aminosäure Hydroxyprolin,
Mangelerscheinungen im Kollagenstoffwechsel vorbeugen
bzw. ausheilen (a-t 11 [1988], 101).
Heute stellt Chephasaar den Gebrauch bei entzündlichen Gelenk- und Bindegewebserkrankungen in den Vordergrund. Die antiinflammatorische Wirkung soll „auf der
selektiven Hemmung der Adhäsion aktivierter Granulozyten an das Endothel der Gefäße” beruhen und „damit die
Entzündungszellen an der Migration in das Entzündungsgebiet” hindern.2
Wie ein solcher Effekt zustande kommen soll, bleibt
offen, ebenso die klinische Relevanz dieser aus Tier- bzw.
In-vitro-Versuchen erhobenen Befunde. Vom Hersteller
überlassene neuere Vergleichsstudien von Oxaceprol mit
nichtsteroidalen Antirheumatika bei Knie- und Hüftgelenksbeschwerden spiegeln den Spontanverlauf der fluktuierenden Symptomatik wider.3,4 Unerwähnt bleibt, daß die in
Kurkliniken übliche Physiotherapie allein bereits ausgeprägte Linderung bringt. Typischerweise fehlt in solchen
Vergleichsstudien eine Plazebogruppe, die irreführende
Schlußfolgerungen verhindern würde.
Literaturrecherchen in internationalen Datenbanken
bleiben erfolglos: Oxaceprol besitzt geringe Verbreitung.
Außerhalb Deutschlands wird es unseres Wissens lediglich
in Ländern mit unzureichender Arzneimittelkontrolle angeboten: in Frankreich, Portugal und Spanien. Wir finden für
das nunmehr als nichtsteroidales Antirheumatikum bezeichnete Prolinderivat keine Belege, die die Verwendung
bei degenerativen beziehungsweise entzündlichen Gelenk-