Innenentwicklung im gesellschaftlichen Kontext
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Innenentwicklung im gesellschaftlichen Kontext
IQ - Innenentwicklung mit Qualität Innenentwicklung im gesellschaftlichen Kontext – Hintergründe und Herausforderungen Dr. Nicola Hilti Kompetenzzentrum Soziale Räume, Fachhochschule St. Gallen 3. Planertag Vision Rheintal Lauterach, 6. Juli 2015 Tagungsreihe des MÜNCHNER FORUMS e.V. und der Evangelischen Stadtakademie URBANE DICHTE GESTALTEN 7. Ma i 2015, 19:00 Uhr DAS QUARTIER BEWOHNEN Einführung: Urban leben im Quartier - Ingrid Krau Herausforderung Erdgeschoss - Doris Zoller, Architektin Niederbronner Platz/Fürstenfeldbruck - Konzept und Umsetzung einer neuen Quartiersmitte - Manuela Skorka, Architektin/Planerin und Martina Schneider, Landschaftsarchitektin Wagnis 4 - Baustein der Urbanen Mitte Ackermannbogen - Erich Jenewein Wohnbaugenossenschaft wagnis eG 22. Ma i 2015, 19:00 Uhr PRIMA KLIMA - WACHSENDE STADT UND KLIMAWANDEL Was sagt uns die Klimafunktionskarte? aus der Sicht der Landeshauptstadt München mit Dr. Sylvia Franzl und Dr. Veronika Wirth, Referat für Gesundheit und Umwelt, Susanne Hutter-von Knorring, Planungsreferat-Grünplanung, Dr. Ulrich Schneider Leiter Baureferat/Gartenbau und Prof. Dr. Stephan Pauleit, Strategien und Management der Landschaftsentwicklung TUM Vera nsta ltungsort: Evangelische Stadtakademie Herzog-Wilhelm-Straße 24 Arbeitskreis Sta dt: Gestalt und Lebensra um des Münchner Forums e.V. Inhalt Gesellschaft und Wohnen im Wandel Verdichtung im historischen und gesellschaftlichen Zusammenhang Hinderliche und förderliche Faktoren Fazit und Ausblick Gesellschaft und Wohnen im Wandel Foto: Redaktion Tec 21; aus: Ali Mitgutsch, Das Riesenbilderbuch, Ravensburger Buchverlag 1980 Gesellschaft im Wandel Individualisierung, Pluralisierung und Ausdifferenzierung von Lebensformen Doppelter demografischer Wandel Wandel der Arbeitswelt Wachsende Mobilitätsanforderungen und -bedürfnisse: Tagespendeln, Umzugsmobilität, multilokales Wohnen etc. Steigende Bevölkerungszahl: steigender Wohnungsbedarf Wachsende Einkommenskluft zwischen Arm und Reich Emanzipation und Erwerbsbeteiligung von Frauen Wandel der Geschlechterverhältnisse Rasante Entwicklung von Informations- und Kommunikationstechnologien Wohnen im Wandel Pluralisierung und Ausdifferenzierung von Wohnanforderungen und -bedürfnissen Raschere Veränderung der Haushaltszusammensetzung im Lebensverlauf und zyklisch („atmende Bewohnerschaft “) Neue Anforderungen aufgrund demografischer Alterung Zunehmende Akzeptanz von Technisierung und Digitalisierung im Wohnbereich Veränderungen im psycho-sozialen Bereich Gestiegene Komfort- und Sicherheitsansprüche Gestiegener Wohnflächenverbrauch Neue Wohnkulturen durch Zuwanderung Wachsende Kluft in Bezug auf die soziale und ökonomische Lage und damit die Leistbarkeit von Wohnraum Verdichtung im historischen und gesellschaftlichen Zusammenhang Quelle: o. A. Zur Geschichte des Dichte-Begriffs (Roskamm 2011, 2012) 19. Jahrhundert: Dichte-Begriff aus der Physik entlehnt und auf das Verhältnis von Menschen auf Flächeneinheiten umgelegt Ziel: Verbesserung der Missstände der Industriestadt, Wegbereitung der modernen Stadt 20. Jahrhundert: Hohe Bevölkerungsdichte als Motor für gesellschaftlichen Fortschritt (Soziologie) Hohe Bevölkerungsdichte als Ursache für Missstände (Nationalökonomie) Karl Marx: „Dichtigkeit ist etwas Relatives.“ Bis 1960er: Hohe Dichte v. a. als Sinnbild des Übels „Downtown is for people“ (Jane Jacobs, 1958): positive Wirkung von baulicher Dichte, Grundstein für Umwertung hoher Dichte und für Leitbild „Urbanität durch Dichte“ Dichte – ein Begriff für Vieles Bauliche Dichte: Bauliche Nutzung eines Grundstücks (Ausnützungsziffer) Stadtdichte: Dichtebestimmung auf Quartiersebene inkl. angrenzender öffentlicher Räume (Frank 2014, Tröger und Eberle 2014) Bevölkerungsdichte: Anzahl EinwohnerInnen pro Fläche, Zusammenhang mit baulicher Dichte, aber nicht linear Belegungsdichte: Anzahl BewohnerInnen pro Wohnung Soziale Dichte: Anzahl Menschen (EinwohnerInnen, Beschäftigte etc.) an einem Ort Interaktionsdichte: ergibt sich aus dem Verhältnis der Interaktionen und dem dafür verfügbaren (öffentlichen) Raum (Angelil et al. 2014), kein zwingender Zusammenhang zwischen baulicher und Interaktionsdichte Weitere: Versorgungs- und Erlebnisdichte, Regelungsdichte etc. Unvermeidliche Verdichtung „Es gilt also neue Verdichtungsstrategien zu entwickeln, die den besonderen Bedingungen und dem besonderen Charakter der Vorstadt gerecht werden. (...) Die Option der Dichte steht nicht zur Debatte, weil sie funktional, ökonomisch, ökologisch, gesellschaftlich und kulturpolitisch unvermeidlich ist; ihre Umsetzung hingegen wohl“ (Vittorio Magnago Lampugnani 2006). Hinderliche und förderliche Faktoren Quelle: www.metropole-ch.ch Hinderliche Faktoren „Traditionelle“ Wohn- und Lebensvorstellungen, Wunsch nach dem Eigenheim „im Grünen“ (biografische Prägung, Erfahrungen, Lebensstil) Angst und Vorurteile bezüglich Verdichtung (undifferenzierte Vorstellungen) Fehlendes Wissen und mangelnde Beispiele bezüglich gelungener, qualitativ hochstehender Verdichtung von ländlichen Räumen und Agglomerationsräumen Lokale Orientierung der Politik und damit fehlendes gemeindeübergreifendes Denken Gegenwärtige Zonierungen und Abstandsvorschriften Mobilitätsverhalten (Automobilität) Emotionalisierung des Themas („Dichtestress“) ... Förderliche Faktoren Demographischer Wandel: neue Anforderungen an Wohnund Lebensräume, Mobilität, Zugang zu diversen Infrastrukturen Anhaltender und zunehmender Bedarf nach leistbarem, jedoch gutem Wohn- und Lebensraum Steigende Mobilitätskosten Kenntnisse über Verdichtungspotenziale Politische Vorgaben bezüglich Siedlungsentwicklung nach innen und Aufhalten der Zersiedelung Wachsendes Wissen und Verständnis der Bevölkerung bezüglich einer qualitativ hochstehenden Innenentwicklung (z. B. Qualitätssteigerung für Quartier) Ev. Einbezug der Bevölkerung in der Planungsphase Professionelle Begleitung ... Fazit und Ausblick Foto: Patricia Roth (Verdichtetes) Wohnen in der Zukunft (I) Individuelles Wohnen in Gemeinschaft Angebotspalette für Wohnen im Alter Generationenwohnen Genossenschaftliches Wohnen Leistbarkeit des Wohnen Temporäres Wohnen, multilokales Wohnen Flexible Wohnformen und Raumprogramme (Satellitenzimmer, Home Offices etc.) Wohnen mit Technik Wohnen mit Service („software“ statt „hardware“) Ökologische, ökonomische und soziale Nachhaltigkeit als Qualitätskriterien (Verdichtetes) Wohnen in der Zukunft (II) Wohnumfeld (Aussenräume, Infrastruktur) Bauen im Bestand Umgang mit Leerstand Die gesellschaftlichen und politischen Strukturen hinken den dynamischen Lebensrealitäten hintennach. Gefragt sind Strukturen, „die das Nicht-Übliche, das Nicht-Vorgesehene und Nicht-Vorauszusehende zulassen“ (Gysi 2009: 23). Offene Fragen Wie können das wachsende Bewusstsein in der Gesellschaft genutzt und EntscheidungsträgerInnen sowie Bevölkerung weiter sensibilisiert werden? Wie ist Verdichtung sozial zu bewerten? Welche subjektiven Wahrnehmungen und Praktiken lassen sich in Bezug auf Dichte und Verdichtung identifizieren? Was kann daraus für die Umsetzung von Verdichtungsvorhaben abgeleitet werden? Wie wird Dichte von wem und mit welchem Ziel thematisiert? Wer soll wo dicht wohnen? ... Quellen Angélil, Marc et al. (2014): Urbane Potenziale und Strategien in metropolitanen Territorien. Am Beispiel des Metropolitanraum Zürich. (NFP 65), unter: http://www.christiaanse.arch.ethz.ch/upload/up.pdf Frank, Susanne (2014): Dichte ist nur eine Zahl, in: TEC21 38/2014, S. 8687. Gysi, Susanne (2009): Zwischen Lifestyle und Wohnbedarf. In: Glaser, Marie Antoinette/Eberle, Dietmar (Hg.): Wohnen – im Wechselspiel zwischen privat und öffentlich, Sulgen: Niggli Verlag, S. 10–23. Roskamm, Nikolai (2011): Dichte. Eine transdisziplinäre Dekonstruktion. Diskurse zu Stadt und Raum, Bielefeld: Transkript Verlag. Roskamm, Nikolai (2012): Indeß ist Dichtigkeit etwas Relatives“ – Die Geschichte der Dichte, in: Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt (Hg.): Werkstattgespräche IBA 2020 Verdichten?! Umgang mit städtischem Raum, S. 10–14, unter: http://www.stadtentwicklung.berlin.de/staedtebau/baukultur/iba/download/IB A-Werkstattgespraech_Verdichten.pdf Tröger, Eberhard/Eberle, Dietmar (2014): Dichte Atmosphäre. Über die bauliche Dichte und ihre Bedingungen in der mitteleuropäischen Stadt, Berlin: Ambra Verlag. Dr. Nicola Hilti [email protected] FHS St. Gallen Institut für Soziale Arbeit Kompetenzzentrum Soziale Räume https://www.fhsg.ch/fhs.nsf/de/ifsa-fhs-auf-einen-blick