Aufrechnung in der Insolvenz, insb. mit und gegen Steuerforderungen

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Aufrechnung in der Insolvenz, insb. mit und gegen Steuerforderungen
Aufrechnung in der Insolvenz,
insb. mit und gegen Steuerforderungen
Vortrag
vom 06. April 2010
vor dem Arbeitskreis für Insolvenzwesen e.V.
von
Prof. Dr. Ralf Sinz
Rechtsanwalt & Dipl.-Kfm.
Fachanwalt für Insolvenzrecht
I. Systematik der §§ 94 – 96 InsO:
 § 94 als Grundregel: Aufrechnungslage auch in Insolvenz geschützt
 § 96 als Ausnahme:
eine an sich nach den §§ 387 ff BGB mögliche
Aufrechnung ist insolvenzrechtlich unzulässig
 § 95 als Vertrauensschutznorm für künftige Aufrechnungslagen:
schon die begründete Aussicht auf eine künftige
Aufrechnungslage genießt Vertrauensschutz
Ausnahme: Aufrechnungslagen, die erst aufgrund
insolvenzrechtlicher Sonderregeln mit Insolvenz
eröffnung entstehen (§§ 41 Abs 1, 45 InsO)
§ 95 InsO ist lex specialis gegenüber § 96 InsO
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II. Aufrechnungslage
1. Gegenseitigkeit der Forderungen
 Festsetzung und Feststellung der Steuer oder Anmeldung zur Insolvenztabelle
für Aufrechnung nicht notwendig
 dies gilt auch in den Fällen des § 220 Abs. 2 S. 2 AO (Fälligkeit mit Festsetzung)
 in Insolvenz über das Vermögen einer Personengesellschaft:
keine Aufrechnung des FA gegen Steuererstattungsanspruch des Gesellschafters
(BFH 24.07.84 – VII R 6/81, BStBl II 1984, 795)
 nach Abtretung des Anspruchs gegen das FA an einen Dritten (Neugläubiger):
 FA kann mit Ansprüchen, die gegen Neugläubiger oder Altgläubiger bestehen
(§ 406 BGB), aufrechnen (BFH 10.02.76 – VII R 37/72, BStBl 1976, 549)
 Neugläubiger kann mit Forderung des Altgläubigers gegen seine eigene
Steuerschuld nach Maßgabe des § 406 2. Hs. BGB aufrechnen
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 § 226 Abs 4 AO:
 BGH 19.07.07 – IX ZR 81/06, NZI 2007, 655 Rn 10 zur Umsatzsteuer
 BFH 07.03.06 – VII R 12/05, BFHE 212, 388, 393 zur ESt
 Bauabzugsteuer (§ 48 EStG):
 Leistungsempfänger (Unternehmer) zahlt als zum Abzug und zur Abführung
Verpflichteter für Rechnung des Leistenden als originären Steuerschuldner
 Zahlung anfechtbar wie Leistung des insolventen Bauunternehmers
 Aufrechnung durch das FA scheitert an §§ 95 Abs 1 Nr 3, 96 Abs 1 Nr 1 InsO
 anders bei § 13b Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2 UStG,
da Leistugnsempfänger Steuerschuldner
 Zusammenveranlagung von Ehegatten:
 hat keinen Einfluss auf die Bestimmung der Gegenseitigkeit
(BFH 20.11.84 – VII R 40/83, n. v.)
 Aufteilung gem. §§ 268 ff AO
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2. Gleichartigkeit der Forderungen
§ 226 Abs. 1 AO
3. Durchsetzbarkeit der Gegenforderung
Vorsteuerberichtigung (§ 17 Abs 2 Nr 1 UStG):
FA kann mit Rückforderungsanspruch erst nach Festellung zur Tabelle aufrechnen
(BMF-Schreiben vom 17.12.1998, Ziff. 7, BStBl 1998 I, 1500, 1503)
4. Erfüllbarkeit der Hauptforderung
 Hauptforderung muss entstanden und erfüllbar sein
 keine Aufrechnung gegen künftige oder aufschiebend bedingte Forderungen
 keine Ausschließungsgründe
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III. Aufrechnungsverbote
Forderungen der öffentlichen Hand (§ 395 BGB):
 gilt nur für Aufrechnung gegen den öffentlich-rechtlichen Gläubiger
(siehe auch § 226 Abs. 3 AO; BFH 25.04.89 – VII R 105/87, ZIP 1989, 1580)
 Verwaltungshoheit maßgeblich
(§ 226 Abs 4 AO, BFH 10.05.07 – VII R 18/05, ZIP 2007, 1514 Rn. 22)
 Ertragshoheit ist unbeachtlich
(Tipke/Kruse § 226 AO Rn 11; aA Jaeger/Windel § 94 Rn. 113)
 mit Ansprüchen auf Bundessteuern kann auch gegen Erstattungsansprüche
auf Landessteuern, gemeinsame Steuern oder Gemeindesteuern aufgerechnet
werden.
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IV. Aufrechnungserklärung und ihre Rechtswirkungen
1. Aufrechnungserklärung
 kann auch in Umbuchungsmitteilung des FA enthalten sein
(BFH 26.07.05 – VII R 72/04, BStBl. II 2006, 350)
 auch nach Bestellung eines „schwachen“ vorläufigen Insolvenzverwalters
gegenüber dem Schuldner bzw Schuldnerunternehmen zu erklären
2. Wirkung der Aufrechnung
 Rückwirkung auf den Zeitpunkt der Aufrechnungslage (§ 389 BGB),
so dass Verzugsfolgen, Zinsanspruch und Vertragsstrafe ex tunc entfallen
(BGH 23.01.91 – VIII ZR 42/90, ZIP 1991, 315)
 Aufrechnender muss sich auch die Folgen einer solchen Rückwirkung
zurechnen lassen:
z.B. kann aus Zug-um-Zug-Leistung durch Aufrechnung Vorleistung werden
mit der Folge einer Insolvenzanfechtung wegen inkongruenter Deckung
gem. § 131 InsO
(BGH 14.12.83 – VIII ZR 352/82, BGHZ 89, 189)
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V. Besonderheiten der Aufrechnung in der Insolvenz
1. Aufrechnung im Insolvenzeröffnungsverfahren:
 allgemeines Verfügungsverbot begründet keine Aufrechnungssperre
(obiter dictum BGH 09.03.00 – IX ZR 355/98, ZIP 2000, 757, 758)
 dies gilt auch für Aufrechnung der Bank mit Zahlungseingängen auf
debitorischem Konto; Schutz der Masse nur über § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO
 Ausnahme: ausdrückliches Verrechnungsverbot nach § 21 InsO
(BayObLG 06.08.01 – 4 Z BR 7/01, ZInsO 2001, 754)
 Überweisung nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit:
keine Kenntnis der Bank: Aufwendungsersatzanspruch
Kenntnis der Bank:
§ 676 a Abs. 3 S. 1 BGB oder Kündigung
 § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO greift ein, wenn Hauptanspruch der Masse gegen das
FA von einem vorläufigen „starken“ Insolvenzverwalter begründet wurde
(Frotscher Besteuerung, S. 75; anders noch BFH 17.12.98 – VII R 47/98,
ZIP 1999, 714 zu § 105 VglO)
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2. Aufrechnung durch Massegläubiger
 die §§ 95, 96 InsO gelten nicht für Massegläubiger
(BGH 12.03.86 – VIII ZR 64/85, NJW 1986, 3206, 3209)
 lediglich nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit gem § 208 InsO
gelten die §§ 94 – 96 InsO entsprechend
(BGH 19.07.01 – IX ZR 36/99, ZIP 2001, 1641, 1643)
Folge:
 Altmassegläubiger können gegen Altansprüche der Masse aufrechnen,
 aber analog § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO nicht gegen Neuansprüche der Masse
 Auch die Aufrechnung gegen einen Vorsteuervergütungsanspruch aus
anteiliger Verwaltervergütung für den Zeitraum bis zur Feststellung
der Masseunzulänglichkeit ist nicht zulässig, wenn eine entsprechende
Teilvergütung vom Insolvenzgericht nicht festgesetzt worden ist
(BFH 04.03.08 – VII R 10/06, ZIP 2008, 886 Rn. 14)
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3. Aufrechnung im Restschuldbefreiungsverfahren
 Aufrechnung des FA mit festgestellten Insolvenzforderungen während der
Wohlverhaltensphase gegen Lohnsteuer-Erstattungsansprüche des
Schuldners zulässig (BFH 16.05.08 – VII S 11/08, n.v.).
Nachtragsverteilung (§ 203 InsO) hat keine Rückwirkung (BFH 04.09.08
– VII B 239/07, BFH/NV 2009, 6)
 auch Aufrechnung des FA gegen Umsatzsteuer-Erstattungsansprüche aus
einer neuen selbstständigen gewerblichen Tätigkeit (Neuerwerb) nach
Freigabe (§ 295 Abs 2 InsO) während der Wohlverhaltensphase zulässig.
Dem stehen weder die §§ 96 Abs 1 Nr 1, 294 InsO noch der Umstand
unterschiedlicher Steuernummern entgegen (FG Gotha 10.04.08 – 1 K 757/07,
EFG 2008, 1485, n. rkr. [Revision anhängig unter BFH VII R 35/08]).
 Erstattungszinsen gem § 233a AO aus Zeiträumen nach Insolvenzeröffnung
können nicht mit vorinsolvenzlichen Steuerforderungen verrechnet werden
(BFH 30.04.07 – VII B 252/06, ZVI 2007, 420).
 Nach Erteilung der Restschuldbefreiung ist Aufrechnung mit
Insolvenzforderungen gegen Ansprüche des Insolvenzschuldners
ausgeschlossen (§ 301 InsO; Ausnahme: § 302 InsO)
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VI. Insolvenzrechtlicher Schutz künftiger Aufrechnungslagen (§ 95 Abs. 1 InsO)
1. Künftige Fälligkeit:
(1) Gegenforderung (Insolvenzforderung) vor Verfahrenseröffnung zuerst fällig,
die massezugehörige Hauptforderung zwar noch nicht fällig, aber schon
erfüllbar: Insolvenzgläubiger kann aufrechnen (§ 94 InsO)
(2) Hauptforderung des Insolvenzschuldners nach Eröffnung zuerst fällig:
keine Aufrechnung mehr zulässig (§ 95 Abs. 1 S. 3 InsO)
(3) Gegenforderung wird nach Eröffnung vor der Hauptforderung fällig:
Insolvenzgläubiger kann aufrechnen (Umkehrschluss aus § 95 Abs. 1 S. 3 InsO)
2. Künftiger Bedingungseintritt
 Zulässig ist Aufrechnung, wenn die Gegenforderung vor der zur Masse
gehörenden Hauptforderung unbedingt und fällig wird
 Unzulässig ist Aufrechnung, wenn Durchsetzbarkeit der Gegenforderung
erst nach der der Hauptforderung eintritt
 Aufrechnungsverbot nach § 95 Abs 1 S 3 greift nur,
wenn sowohl Gegenforderung als auch Hauptforderung
vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstanden sind
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VII. Einzelne Fallgruppen
1. Steuer-Erstattungsansprüche
 bei Steuer, die vor Insolvenzeröffnung entstanden ist, stellt
Erstattungsanspruch des Steuerpflichtigen eine vor Eröffnung des
Verfahrens aufschiebend bedingt begründete Forderung dar, gegen die FA
aufrechnen kann (BFH 17.04.07 – VII R 27/06, ZIP 2007, 1166 Rn. 12)
 es genügt, dass Erstattungsforderung (Hauptforderung)
schon ihrem Kern nach vor Insolvenzeröffnung begründet worden ist;
auf „Vollrechtsentstehung“ im steuerrechtlichen Sinne kommt es nicht an
 das Gleiche gilt für Erstattung von Vorauszahlungen, selbst wenn die Steuer,
auf die vorauszuleisten war, erst nach Insolvenzeröffnung entstanden ist
(BFH 16.11.04 – VII R 75/03, ZIP 2005, 628)
 ebenso bei Berichtigung des Vorsteuerabzugs nach § 15a UStG
(BFH 17.04.07 – VII R 27/06, ZIP 2007, 1166 Rn. 13)
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a) Einkommensteuer, Körperschaftsteuer
 Vorauszahlungen nach Eröffnung:
Aufrechnung des FA gemäß § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO unzulässig
(BFH 07.06.06 – VII B 329/05, ZInsO 2006, 875 Rn. 6 für Lohnsteuer);
Vorauszahlungen vor Eröffnung:
§ 96 Abs 1 Nr 1 steht einer Aufrechnung nicht entgegen
(BFH 31.01.08 – VII B 119/07, BFH/NV 2008, 822 Rn. 8 für KSt;
BFH 26.01.05 – VII R 22/04, BFH/NV 2005, 1210 für USt;
BFH 26.01.05 – VII R 41/04, BFH/NV 2005, 1211 für berichtigte LSt;
BGH 21.07.05 – IX ZR 115/04, NZI 2005, 565, 566 für überzahlte ESt).
Erstattungsanspruch ist unter der aufschiebenden Bedingung entstanden,
dass am Ende des Besteuerungszeitraums die geschuldete Steuer geringer
ist als die Vorauszahlung (BGH 12.01.06 – IX ZB 239/04, NZI 2006, 246)
 Das Aufrechnungshindernis entfällt erst mit der Aufhebung des
Insolvenzverfahrens und nicht bereits mit Ankündigung der RSB
(BFH 07.06.06 a.a.O. Rn. 8).
Anordnung der Nachtragsverteilung hat keine Rückwirkung
(BFH 04.09.08 – VII B 239/07, BFH/NV 2009, 6 Rn. 8)
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b) Umsatzsteuer
 Erstattungsanspruch aus Umsatzsteuer-Sondervorauszahlung ist
insolvenzrechtlich bereits im Zeitpunkt der Leistung der UmsatzsteuerSondervorauszahlung aufschiebend bedingt begründet
(BFH 31.05.05 – VII R 74/04, BFH/NV 2005, 1745)
 ebenso bei unrichtigem Umsatzsteuerausweises in einer Rechnung
(BFH 04.02.05 – VII R 20/04, ZIP 2005, 997)
 das Gleiche gilt bei Berichtigung der Bemessungsgrundlage gemäß
§ 17 Abs 1 UStG wegen Uneinbringlichkeit von vor Insolvenzeröffnung
begründeten Forderungen des Schuldners
(BFH 12.08.08 – VII B 213/07, BFH/NV 2008, 1819 Rn. 6;
BFH 17.04.07 – VII R 27/06, ZIP 2007, 1166)
 Insolvenzantrag oder Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters
begründen noch keine Uneinbringlichkeit (BGH 19.07.07 aaO Rn 20)
 Aufrechenbarkeit hängt gem § 95Abs. 1 S. 3 InsO nur noch davon ab,
ob Haupt- oder Gegenforderung zuerst fällig wird (BGH 19.07.07 aaO
Rn. 28); Uneinbringlichkeit ist keine Rechtshandlung iSd § 129 InsO
(BFH 16.10.08 – VII B 17/08, ZInsO 2009, 159).
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
Vorsteuervergütungsanspruch aus Leistungen teils vor teils nach
Insolvenzeröffnung (u.a. aus Vergütung als vorl. Insolvenzverwalter):
 gem. § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO darf Aufrechnungsbetrag sich nur aus
Vorsteuerbeträgen zusammensetzen, die vor Eröffnung begründet sind
(BFH 16.11.04 – VII R 75/03, ZIP 2005, 628)
 Zeitpunkt der Leistungserbringung an den Schuldner maßgebend
(BFH 16.11.04 aaO. sub II 4. Abs.;
aA [Rechnungserteilung] BFH 14.05.98 – V R 74/97, ZIP 1998, 2012)
 keine Aufteilung der Umsatzsteuerschulden und Vorsteueransprüche
in solche, die vor, und solche, die nach Insolvenzeröffnung begründet
worden sind (BFH 16.01.07 – VII R 4/06, ZIP 2007, 829 Rn. 11);
Vorsteuerbeträge sind nur unselbständige Besteuerungsgrundlage
 Zwangssaldierung gem. § 16 Abs. 2 S. 1 UStG hat Vorrang,
aber Überprüfung, ob verbleibender Vorsteuervergütungsanspruch
bereits vor der Insolvenzeröffnung begründet ist
(BFH 16.01.07 – VII R 7/06, ZIP 2007, 490 Rn. 10)
 kein § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO (BFH 16.11.04 – VII R 75/03, ZIP 2005, 628)
weder Zustimmung des FA (§ 168 S. 2 AO) noch Tätigkeit des
vorläufigen Insolvenzverwalters sind anfechtbare Rechtshandlungen
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 Eingangsrechnungen sowohl vor als auch nach Insolvenzeröffnung:
o 1. Schritt: Saldierung nach § 16 Abs. 2 S. 1 UStG,
und zwar zunächst mit solchen Vorsteuerbeträgen,
die vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens
(insolvenzrechtlich) begründet worden sind
o 2. Schritt: soweit sich verbleibender Vergütungsanspruch
aus Vorsteuerbeträgen sowohl vor als auch nach
Insolvenzeröffnung zusammensetzt,
erfolgt entsprechende Aufteilung
Aufrechnung nur gegen denjenigen Teil zulässig,
der auf vor der Insolvenzeröffnung erbrachte
Unternehmerleistungen zurückzuführen ist
(BFH 16.01.07 – VII R 7/06, ZIP 2007, 490 Rn. 10)
o 3. Schritt: Restforderung und Vergütungsanspruch, der aus nach
der Insolvenzeröffnung erbrachten Leistungen resultiert,
sind auszuzahlen
(BFH 05.10.04 – VII R 69/03, ZIP 2005, 266 sub II 2 c)
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
Vorsteuervergütungsanspruch nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit:
 Vorsteuer aus Vergütung des Insolvenzverwalters ist in vollem
Umfang Neumasseschuld
(BFH 04.03.08 – VII R 10/06, ZIP 2008, 886 Rn. 14)
 anders als bei Leistung des vorläufigen Insolvenzverwalters
liegt im Zeitpunkt der Anzeige der Masseunzulänglichkeit noch
keine abgeschlossene und zur Rechnungserteilung verpflichtende
Tätigkeit (§ 14 Abs. 1 UStG) des Insolvenzverwalters vor
 FA darf mit Altmasseforderungen nur gegen denjenigen Teil aufrechnen,
der auf vor der Anzeige erbrachten Unternehmerleistungen beruht
(BFH 04.03.08 a.a.O. Rn. 9, 14)
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c) Gewerbesteuer
 mindert sich die vor Verfahrenseröffnung gezahlte Gewerbesteuer
infolge geringerer rückwirkender Festsetzungen, kann Gemeinde
gegenüber Erstattungsanspruch mit zur Insolvenztabelle festgestellten
Gewerbesteuerforderungen oder sonstigen Forderungen aufrechnen
(OVG Lüneburg 26.07.78 – IX OVG A 25/78, KTS 1979, 105;
OVG Münster 22.08.79 – III A 233/77, ZIP 1980, 33)
 mit Ablauf der jeweiligen Erhebungszeiträume ist der
Erstattungsanspruch bereits aufschiebend bedingt entstanden
d) Grunderwerbsteuer
der Anspruch auf Erstattung der Grunderwerbsteuer ist im Falle der
Nichterfüllungswahl oder des Rücktritts eine vor Eröffnung des
Verfahrens aufschiebend bedingt begründete Forderung, gegen die das
FA gem § 95 InsO mit Insolvenzforderungen aufrechnen kann,
selbst wenn das die Erstattung auslösende Ereignis selbst erst nach
Eröffnung des Verfahrens eintritt
(BFH 17.04.07 – VII R 27/06, ZIP 2007, 1166 Rn. 13)
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e) Vermögensteuer
 Festsetzung (§ 15 Abs. 1 VStG) für 3-jährigen Hauptveranlagungszeitraum
 Entstehung (§ 5 Abs. 2 VStG) mit Beginn des jeweiligen Kalenderjahres
 Neuveranlagung (§ 16 VStG) muss erfolgen,
wenn sich die Besteuerungsgrundlagen ändern
 Erstattungsanspruch (§§ 22 Abs. 2 und 3 VStG, 37 Abs. 2 AO) steht dem
Schuldner bereits mit der Steuerzahlung als aufschiebend bedingter
Anspruch zu (BFH 09.02.93 – VII R 12/92, ZIP 1993, 933)
f) Kraftfahrzeugsteuer
 die Kraftfahrzeugsteuer entsteht tageweise
(BFH 16.11.04 – VII R 62/03, ZIP 2005, 264)
 die Kraftfahrzeugsteuer-Zahlungsschuld entsteht mit Beginn des
jeweiligen Entrichtungszeitraums (§ 6 KraftStG) als gesetzlich
vorgeschriebene Vorauszahlung für ein Jahr (§ 11 Abs. 1 KraftStG) auf
eine noch nicht entstandene Steuer (BFH 31.10.07 – IX B 21/07, n.v.)
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
im Falle der Insolvenzeröffnung über das Vermögen des
Kraftfahrzeughalters ist die Kraftfahrzeugsteuerschuld aufzuteilen auf
die Tage vor (§ 38 InsO) und nach Insolvenzeröffnung (§ 55 InsO):
 selbst wenn Kfz.-St. vor Verfahrenseröffnung vollständig gezahlt ist,
erfolgt für die Zeit nach Eröffnung Neufestsetzung als Masseschuld
 unabhängig davon, ob der Verwalter Kenntnis vom Fahrzeug und
Besitz hieran hat oder dieses tatsächlich nutzt
(BFH 31.10.07 – IX B 21/07, n.v.;
nach FG Köln 20.11.08 – 6 K 1746/08, n. v., selbst bei Unpfändbarkeit,
n. rkr. [Nichtzulassungsbeschwerde anhängig unter BFH II B 22/09]);
 bloße „Freigabe“ genügt nicht
(BFH 16.10.07 – IX R 29/07, ZIP 2008, 283 Rn 9; BFH 29.08.07 –
IX R 4/07, NZI 2008, 59 Rn. 21; aA FG Hamburg 30.03.07 – 7 K 248/06,
EFG 2007, 1371; FG Köln 20.03.07 – 6 K 3604/06, EFG 2007, 1267);
 allein der Eingang der Veräußerungsanzeige beendet Steuerpflicht
der Masse (BFH 29.08.07 a.a.O. Rn. 11, 15, 17)
 gegen Erstattungsanspruch kann FA mit Insolvenzforderungen
aufrechnen
(BFH 16.11.04 – VII R 62/03, ZIP 2005, 264)
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
Dem kann nicht gefolgt werden!!!
(Uhlenbruck/Sinz, InsO, 13. Aufl. 2010, § 95 Rn. 34)
 KfzSt.-Vorauszahlung erfolgt zweckgebunden (auf „Kfz.-Steuer“)
und nicht zur Verrechnung mit anderen Steuerarten;
daher ist nur Verrechnung mit Kfz.-Steuer nach Eröffnung zulässig.
Zweckbindung einer Leistung schließt Aufrechnung mit Ansprüchen aus,
die ihren Rechtsgrund nicht in demselben Leistungsverhältnis haben
(BGH 24.06.85 – III ZR 219/83, NJW 1985, 2820, 2821 sub II;
BGH 19.09.57 – VII ZR 423/56, NJW 1957, 1759).
 Es fehlt daher an einem schutzwürdigen Vertrauen des FA iSd § 95 InsO,
Erstattungsbetrag mit anderen Steuerforderungen verrechnen zu können
 Die vom BFH (29.08.07 aaO. Rn. 21) angeführte Parallelwertung
mit einem Dauerschuldverhältnis wird nicht konsequent vollzogen.
o Bsp. Mietverhältnis: kein anteiliger Rückerstattungsanspruch,
Anspruch des Vermieters endet nicht einen Tag vor Eröffnung und
entsteht mit Eröffnung neu (so aber der BFH für die Kfz-Steuer),
sondern ändert lediglich ab Eröffnung seine Rechtsqualität.
o Folge für Parallelwertung: Solange Steuerpflicht, wenn auch als
Masseschuld, fortbesteht, fehlt es an aufrechenbarer Hauptforderung
21
 künstliche Aufspaltung der geleisteten Vorauszahlung widerspricht
dem Grundsatz, dass ein Besteuerungszeitraum durch die Eröffnung
des Insolvenzverfahrens nicht unterbrochen wird
(BFH 16.01.07 – VII R 7/06, ZIP 2007, 490 Rn. 12)
 Aufspaltung schafft erst eine an sich nicht bestehende
Aufrechnungslage zugunsten des Steuerfiskus mit der Folge, dass
Kfz-Steuer für die Zeit nach Eröffnung – obwohl bereits bezahlt –
nochmals als Masseschuld (und daher „doppelt“) zu zahlen ist und
zusätzlich der vermeintliche Erstattungsanspruch auf meist wertlose
Insolvenzforderungen verrechnet werden darf.
 FA erlangt einen Sondervorteil, den es außerhalb eines
Insolvenzverfahrens nie hätte realisieren können
g) Erstattungszinsen nach § 233a AO
 sind nicht aufschiebend bedingt begründet,
sondern entstehen zeitabschnittsweise
 daher keine Aufrechnung mit vorinsolvenzlichen Steuerforderungen
(BFH 30.04.07 – VII B 252/06, ZIP 2007, 1277)
22
2. Wahlrecht des Insolvenzverwalters

Nichterfüllungs“wahl“:
 Schadenersatzforderung des Vertragspartners aus § 103 Abs. 2 S. 1 InsO ist
schadensmindernder Posten im Rahmen des Abrechnungsverhältnisses
(BGH 26.10.00 – IX ZR 227/99, NZI 2001, 85 – Saldotheorie)
 Saldo zugunsten des Vertragspartners:
§ 95 Abs. 1 S. 3 InsO
Schadenersatzanspruch wegen Nichterfüllung (Differenzanspruch) ist ein
aufschiebend bedingter Anspruch, der (erst) mit der Geltendmachung
durch den Vertragspartner unbedingt und fällig wird, nämlich der inhaltlich
veränderte Erfüllungsanspruch, vermindert um den Wert der Gegenleistung,
die der Vertragspartner nicht mehr zu erbringen braucht
 Saldo zugunsten der Insolvenzmasse:
§ 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO,
Bereicherungsanspruch (§ 812 Abs. 1 S. 2 Alt. 1 BGB) besteht nicht schon
aufschiebend bedingt vor Eröffnung, sondern wird erst mit Wegfall des
Rechtsgrundes infolge der Vertragsumgestaltung und dem damit
verbundenen Erlöschen des Primäranspruchs (§ 281 Abs. 4 BGB) begründet
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
Erfüllungswahl:
 hat die gleichen Wirkungen wie ein neu abgeschlossener Vertrag
 Erfüllungswahl begründet originäre Masseforderung
 Folge: § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO
(BGH 20.10.05 – IX ZR 145/04, NZI 2006, 97; MüKo-Kreft § 103 Rn. 41;
zu teilweiser Erfüllung: Uhlenbruck/Sinz, InsO, 13. Aufl. 2010, § 96 Rn. 9)
 teilbare Leistungen i.S.v. § 105 InsO
Aufrechnung nur gegen den Teil der Hauptforderung zulässig, der durch
Teilleistung bis zur Insolvenzeröffnung bereits werthaltig geworden war
(BGH 22.02.01 – IX ZR 191/98, NJW 2001, 3704)
für Aufrechnung gegen den Teil der Hauptforderung, der auf Leistungen
nach Eingang des Eröffnungsantrags beruht, gilt § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO
(BGH 22.04.04 – IX ZR 370/00, NZI 2004, 445)
24
3. Aufrechnung des Auftraggebers
in der Bauinsolvenz über das Vermögen des Auftragnehmers


Einschränkung der zu § 103 entwickelten Grundsätze bei Kündigung des
Auftraggebers gem § 8 Nr. 2 Abs. 1 VOB/B oder Nichterfüllungswahl
 alte Rechtsprechung: automatische Verrechnung („Saldierung“)
(BGH 05.05.77 –VII ZR 85/76, NJW 1977, 1345)
 neue Rechtsprechung: keine Saldierung
(BGH 23.06.05 – VII ZR 197/03, NZI 2005, 672 unter Aufgabe von
BGH 05.04.01 – VII ZR 161/00, BauR 2001, 1928;
zust BGH 13.07.06 – IX ZR 152/04, NZI 2006, 639 Rn. 14):
vertragliche oder gesetzliche Regelungen zur Aufrechnung und zu
etwaigen Aufrechnungsverboten sind anwendbar
§ 95 Abs. 1 S. 3 InsO findet keine Anwendung auf synallagmatisch
verbundene Forderungen aus demselben Schuldverhältnis
 Werklohnforderung des Schuldners wegen § 320 BGB nicht durchsetzbar
 Besteller stehen Mängelbeseitigungs- oder Fertigstellungsmehrkosten zu
 Aufrechnung dient dazu, das Äquivalenzverhältnis von Leistung und
Gegenleistung herzustellen
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Bei Schadenspositionen, die nicht im engen Synallagma mit der Werklohnforderung stehen (wie zB Ursachenermittlungskosten, Mangelfolgeschäden),
verbleibt es dagegen bei § 95 Abs. 1 S. 3 InsO (allenfalls § 110 VVG);
ebenso bei Aufrechnung mit Gegenforderungen aus anderen Verträgen
Erfüllungswahl:
 gegen den Vergütungsanspruch aus § 8 Nr. 3 Abs. 3 VOB/B für den
nach Verfahrenseröffnung erbrachten Leistungsteil kann Besteller
nicht mit dem Anspruch auf Erstattung kündigungsbedingter Mehrkosten
aus § 8 Nr. 3 Abs. 2 VOB/B aufrechnen, § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO
(BGH 28.09.00 – VII ZR 372/99, NZI 2001, 23, 24)
 gegen den Vergütungsanspruch für den vor Verfahrenseröffnung
erbrachten Leistungsteil ist die Aufrechnung entsprechend § 105 InsO
zulässig, jedoch uU anfechtbar nach den §§ 129 ff (BGH 28.09.00 aaO)
 Werk nur teilweise fertiggestellt: Werkvertrag ist aufzuteilen in einen
erfüllten und einen nicht erfüllten Teil
(BGH 25.04.02 – IX ZR 313/99, NZI 2002, 375)
§ 95 Abs. 1 InsO gilt nicht bei gesellschaftsrechtlich gebotenen Verrechnungen,
insb. nicht bei einer Bau-ARGE, arg. aus § 84 Abs. 1 InsO
(BGH 14.12.06 - IX ZR 194/05, ZIP 2007, 383 Rn. 8 ff.)
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4. Miet- und Pachtzinsansprüche
 entstehen zeitabschnittsweise (pro rata temporis)
 für Aufrechnung gegen Ansprüche aus Gebrauchsüberlassung nach Insolvenzeröffnung gilt nicht § 95 InsO iVm. § 163 BGB, sondern § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO
 Ausnahme (§ 110 Abs. 3 InsO): Vermietung und Verpachtung von Immobilien
(BGH 21.12.06 – IX ZR 7/06, ZInsO 2007, 90 Rn. 21)
Erweiterung des Aufrechnungsrechts gilt aber nur gegenüber § 96 Abs. 1 Nr. 1;
die §§ 95 und 96 Abs 1 Nr 2 bis 4 bleiben hingegen unberührt, § 110 Abs. 3 S. 2
(BGH 02.06.05 – IX ZR 263/03, ZInsO 2005, 884 unter II 2)
 Aufrechnung gegen Guthaben der Masse aus Nebenkostenvorauszahlungen:
Haupt- und Gegenforderung sind bedingt,
aber gem. § 140 Abs. 3 InsO bleibt der Eintritt der Bedingung außer Betracht;
maßgeblicher Rechtsgrund für das Gegenseitigkeitsverhältnis war somit schon
der Abschluß des Mietvertrages
(BGH 11.11.04 – IX ZR 237/03, ZIP 2005, 181, 182)
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5. Bankrechtliche Ansprüche
 Zahlungseingänge auf einem debitorischen Schuldnerkonto:
 Zahlungseingang nach Insolvenzeröffnung:
Verrechnung steht § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO entgegen
(BGH 26.06.08 – IX ZR 47/05, NZI 2008, 551 Rn. 10 ff.).
 Zahlungseingang vor Insolvenzeröffnung:
Aufrechnung zulässig, auch wenn Gutschrift erst nach
Verfahrenseröffnung erfolgt; aber ggf. § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO
(BGH 26.06.08 a.a.O. Rn. 20 ff)
 maßgeblicher Zeitpunkt: § 140 Abs. 1 InsO (BGH 26.06.08 aaO. Rn. 17);
entscheidend ist, wann das Gegenseitigkeitsverhältnis begründet wurde
 Soweit der Bank fälliger Anspruch aus § 488 Abs. 1 S. 2 BGB zusteht,
beurteilt sich Anfechtbarkeit nach § 130 Abs. 1 S. 1 InsO
 Objektive Gläubigerbenachteiligung scheitert nicht am AGB-Pfandrecht;
Konkretisierung erst mit Entstehung der verpfändeten Forderung
(BGH 08.03.07 – IX ZR 127/05, ZIP 2007, 924, 925 Rn. 16)
 kein Aufrechnungsverbot, wenn Forderung zur Sicherheit abgetreten war;
es fehlt an Gläubigerbenachteiligung (bloßer Sicherheitentausch)
(BGH 26.06.08 – IX ZR 47/05, NZI 2008, 551 Rn. 20)
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6. § 814 BGB (zB. bei „Schneeballsystemen")
 Anfechtungsgegner konnte unter Geltung der Konkursordnung mit seinen
aus § 823 Abs. 2 BGB iVm. § 263 StGB, § 826 BGB sowie aus Verschulden
bei Vertragsschluss begründeten Schadensersatzansprüchen gegen den
Anspruch auf Rückgewähr der gezahlten Scheingewinne aufrechnen;
denn Anfechtungsgegner war so zu stellen, als könne er aufrechnen,
weil ohne § 814 BGB schon vor Konkurseröffnung eine geschützte
Aufrechnungslage bestanden hätte
(BGH 29.11.90 – IX ZR 29/90, BGHZ 113, 98, 105 f.)
 Aufrechnung steht nunmehr § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO entgegen
(BGH 11.12.08 – IX ZR 195/07, NZI 2009, 103 Rn. 11 ff);
denn Empfänger hätte die Möglichkeit der Aufrechnung dadurch erhalten,
dass er durch eine unentgeltliche und damit nach § 134 Abs. 1 InsO
anfechtbare Leistung des Gemeinschuldners zugleich auch
Schuldner eines Bereicherungsanspruchs geworden wäre,
nachdem er zuvor bereits Gläubiger eines Schadenersatzanspruchs war
(BGH 12.07.07 – IX ZR 120/04, ZIP 2007, 1467, 1468 Rn. 11)
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