Die Verlandung des Aralsees

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Die Verlandung des Aralsees
Die Verlandung des Aralsees
Eine anthropogen herbeigeführte Umweltkatastrophe
Matthias Reitinger
28. Januar 2011
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
1
2 Die ökologische Katastrophe am Aralsee
1
2.1
2.2
2.3
2.4
2.5
Geologische und klimatische Ausgangsbedingungen
Austrocknung des Aralsees . . . . . . . . . . . . . . .
Ursachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Ökologische Auswirkungen . . . . . . . . . . . . . . .
Gegenmaßnahmen und Rettungsversuche . . . . . . .
3 Zusammenfassung und Ausblick
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1
2
4
5
8
9
1 Einleitung
„Mit dem Wasser kommt das Leben“ – so lautet eine alte usbekische Redensart in Anlehnung an die traditionsreiche Bewässerungspraxis des Landes. Durch die künstliche
Bewässerung von Wüsten und Halbwüsten entsteht Ackerland und damit Leben, wo
es vorher keines gab. Im Umkehrschluss entsteht aus dem Sprichwort die Aussage
„ohne Wasser vergeht alles Leben“ – eine passende Beschreibung der momentanen Situation am Aralsee, der zum Teil in Usbekistan liegt. Einst ein riesiges Binnenmeer nahezu von der Fläche Bayerns, schrumpfte der See innerhalb der letzen 50 Jahre auf ein
Achtel seiner ursprünglichen Größe und auf weniger als ein Zehntel seines Volumens
zusammen und hinterließ ein lebensfeindliches Wüstengebiet. Die Folgen für Mensch
und Natur sind weitreichend und schwerwiegend. Von der UNO wurde die Region
um den ehemaligen Aralsee sogar als „größtes ökologisches Katastrophengebiet neben Tschernobyl“ bezeichnet. In der westlichen Welt findet diese Umweltkatastrophe
allerdings nur wenig Beachtung.
Diese Arbeit soll einen Überblick über die Aralseekrise verschaffen. Der Hauptteil
gliedert sich wie folgt: nach der Erläuterung der geologischen und klimatischen Ausgangsbedingungen der Region (2.1) wird auf den Verlauf und die Ausmaße des Verlandungsprozesses eingegangen (2.2). Anschließend werden die Ursachen der Austrocknung erörtert (2.3) und deren weitreichende Auswirkungen auf die Umwelt behandelt (2.4). Mögliche Gegenmaßnahmen und umgesetzte Rettungsversuche sind Gegenstand des abschließenden Abschnitts (2.5).
2 Die ökologische Katastrophe am Aralsee
2.1 Geologische und klimatische Ausgangsbedingungen
Der Aralsee („Meer der Inseln“) liegt in der Mitte des eurasischen Kontinents (45◦ N
60◦ O) im Tiefland von Turan. Er wird eingegrenzt von der Barsuki-Wüste im Norden,
den Sandwüsten Kysylkum und Karakum im Osten bzw. Südwesten und der UstyurtHochebene im Westen. Politisch teilen sich die beiden ehemaligen Sowjetstaaten Kasachstan und Usbekistan die Gebietsherrschaft über der Aralsee. Mit einer ursprünglichen Fläche von knapp 69.500 km2 war er einst das viertgrößte Binnenmeer der Erde.
Gespeist wird der Aralsee hauptsächlich von den Flüssen Amu Darja im Süden und
Syr Darja im Nordosten. Aufgrund seiner Beckenlage verfügt er über keinerlei Abflüsse, verliert aber einen Großteil seines Wassers durch Verdunstung.
1
Jahr und Bereich
des Sees
Wasserhöhe
über N.N. [m]
Fläche
[km2 ]
Volumen
[km3 ]
Salinität
[ g/`]
1960 (gesamt)
1970 (gesamt)
1980 (gesamt)
1989 (gesamt)
Großer Aralsee
Kleiner Aralsee
Sep. 2009 (gesamt)
Großer Aralsee (West)
Großer Aralsee (Ost)
Kleiner Aralsee
Golf von Tschebas
53,41
51,42
45,76
68000
60900
51400
39734
36930
2804
8409
3702
857
3487
363
1088,34
962,32
647,92
364
341
23
84
56
0,64
27
0,51
10
11
16,5
39,1
40,2
26,5
26,5
42
28
30
30
100
200
10–14
100
Tabelle 1: Hydrologische Dynamik des Aralsees von 1960 bis 2009 (Quellen: 1960–1980:
Klötzli 1996, 116; ab 1989: Micklin 2010, 195)
Dies ist auf das aride Klima der Region zurückzuführen: die geringen Niederschlagsmengen von maximal 20mm/Monat und 100mm/Jahr stehen einer potentiellen Verdunstung von bis zu 1040mm/Jahr gegenüber.1 Der Aralsee ist also in hohem Maße
auf die Wassermengen seiner Zuflüsse angewiesen, um den Verdunstungsverlust ausgleichen zu können.
2.2 Austrocknung des Aralsees
Zu Beginn der sechziger Jahre des letzten Jahrhunderts setzte ein Wandel des Aralsees
ein, bei dem sich Wasserstand, Fläche und Volumen des Sees teils drastisch veränderten (siehe Tabelle 1). Innerhalb von 30 Jahren sank der Wasserspiegel um 13 m, die
Oberfläche ging um über 40% zurück. Vom ursprünglichen Wasservolumen blieb Ende der Achtziger nur noch rund ein Drittel. Durch die Kontraktion der Küstenlinie
(siehe Abbildung 1) lag die ehemalige Hafen- und Fischerstadt Aral zwischenzeitlich
bis zu 100 km vom Ufer des Aralsees entfernt. 1987 zerfiel das Binnenmeer schließlich
in zwei Hauptteile, den südlich gelegenen Großen Aralsee (knapp 37.000 km2 ) und
den nördlichen Kleinen Aralsee (etwa 2.800 km2 ). Wegen des seitdem weiter gesunkenen Wasserspiegels teilte sich der Große Aralsee 2000 wiederum in ein West- und ein
Ostbecken. Im September 2009 bildete sich außerdem der Golf von Tschabas als eigenständiger See. Diese vier Einzelgewässer umfassen heute mit ca. 8.400 km2 nur noch
1 Vgl.
Lohman 1999
2
1960
1970
1980
1990
2000
2009
Abbildung 1: Veränderung der Küstenlinie des Aralsees von 1960 bis 2009 (Quelle: in Anlehnung an Wikipedia, die freie Enzyklopädie. In: http://
de.wikipedia.org/w/index.php?title=Datei:Aralsee.gif, zugegriffen am 22.01.2011)
3
ein Achtel der ursprünglichen Fläche und mit 56 km3 nicht einmal 8% der ehemaligen
Wassermenge des Aralsees. Das Ostbecken des Großen Aralsees besitzt eine maximale
Wassertiefe von eineinhalb Metern und trocknete 2009 zwischenzeitlich sogar komplett aus.
2.3 Ursachen
Für die Austrocknung des Aralsees lassen sich mehrere Ursachen identifizieren, von
denen die meisten zumindest indirekt auf anthropogene Einflussnahme zurückzuführen sind.
In den 1950er Jahren führte die sowjetische Regierung unter Chruschtschow im Rahmen der „Neulandkampagne“ ein Programm zum Ausbau der Landwirtschaft in Zentralasien ein. Wachstumsperioden von 204 bis 288 Tagen und das günstige Klima machten diese Region zum idealen Standort für den Anbau wärmeliebender Pflanzen wie
Baumwolle, Mais oder Reis.2 Um die an sich fruchtbaren, aber trockenen Böden für
die Landwirtschaft nutzbar zu machen, mussten diese intensiv bewässert werden. Als
Irrigationsquelle dienten die scheinbar unerschöpflichen Reserven des Amu Darja und
Syr Darja.
Zur massiven Ausweitung der Bewässerungsfläche im Einzugsbereich des Aralsees
(von 4,7 Mio. Hektar im Jahr 1950 auf 7,9 Mio. Hektar im Jahr 1990) kommt erschwerend hinzu, dass ein Großteil des Wassers wegen der schlechten Qualität der Kanäle in diesen versickert oder in Speicherseen verdunstet und somit nie auf den Feldern ankommt. Bezeichnend hierfür ist der 1.400 km lange Karakum-Kanal (heute:
Türkmenbaşy-Kanal) in Turkmenistan mit einem Versickerungsverlust von rund einem Drittel des zugeführten Wassers. Er zweigt 15 km2 pro Jahr vom mittleren Amu
Darja ab und ist damit für 40% des Wasserverlustes des Aralsees verantwortlich.3
Ein weiterer Grund für die massive Wassernutzung und -verschwendung sind die
übermäßigen Wasserverbrauchsraten. In Zentralasien liegen diese um 60 bis 70% über
den üblichen Normen, da große Mengen Wasser zum Auswaschen des versalzten Bodens benötigt werden.4 Die Versalzung ist einerseits natürlichen Ursprungs (primäre
Salinisierung), andererseits aber auch Folge von salzbelastetem Bewässerungs- und
Grundwasser (sekundäre Salinierung). Die hohen Versickerungsverluste und mangelhaften Drainagen der Bewässerungskanäle führen zu einer weiträumigen Bodenvernässung und damit zum Anstieg des Grundwasserspiegels. Verdunstet das minerali2 Vgl.
Klötzli 1996, 102f.
Klötzli 1996, 106f.
4 Vgl. Klötzli 1996, 106f.
3 Vgl.
4
sierte Grundwasser, bleiben Salze in den oberen Bodenschichten zurück. Zum Auswaschen dieser Salze wird oft bereits mineralisiertes Wasser verwendet, was in einem
enormen Wasserverbrauch resultiert (je schlechter das Wasser, desto mehr wird davon
benötigt).5
Die Bewässerungsmaßnahmen entlang des Amu Darja und Syr Darja entzogen diesen Flüssen also einen Großteil ihrer Wassermassen, bevor diese in den Aralsee fließen
konnten. Zeitweise versickerten die Flüsse sogar in der Wüste, sodass ihre Wasserzufuhr zum Aralsee komplett abgeschnitten war. Dessen Wasserbilanz, die in hohem
Maße von seinen Zuflüssen abhängig ist, wurde so in ihrem Gleichgewicht gestört. In
unmittelbarer Folge verringerten sich Wasservolumen, -tiefe und Fläche des Aralsees
und der im vorherigen Abschnitt beschriebene Verlandungsprozess setzte ein.
Verstärkt wurde diese Entwicklung zusätzlich noch durch einen Rückkopplungsprozess: je niedriger der Wasserspiegel, desto höher ist das Verhältnis von eingestrahlter
Sonnenenergie zu dadurch erwärmtem Seewasser. Daher steigt die Temperatur und
in Folge dessen die spezifische Humidität an der Wasseroberfläche, was in einer erhöhten Verdunstungsrate resultiert.6 Außerdem beschleunigten eine Reihe von trockenen Niedrigwasserjahren in den siebziger und frühen achtziger Jahren die Austrocknung.7
Obwohl für die Verlandung des Aralsees auch natürliche Prozesse eine Rolle spielen,
sind sich die Wissenschaftler einig, dass ohne den massiven menschlichen Eingriff in
das hydrologische System des Aralseebeckens die Katastrophe ausgeblieben wäre. Der
Wasserspiegel unterliegt zwar seit jeher natürlichen Schwankungen, allerdings betrugen diese nur wenige Meter. Die Austrocknung des Aralsees ist also eine direkte Auswirkung menschlichen Eingreifens in die Natur.
2.4 Ökologische Auswirkungen
Die Auswirkungen der intensiven Bewässerung in Zentralasien beschränken sich nicht
nur auf die Verlandung des Aralsees. Darüber hinaus gingen und gehen auch eine
Vielzahl von ökologischen Problemen mit dieser Entwicklung einher.
Da der Aralsee über keinerlei Abflüsse verfügt und sein Wasserverlust auf Verdunstung zurückzuführen ist, stieg seine Salinität (Salzgehalt) mit sinkendem Wasserspiegel (vgl. Tabelle 1). War der See 1960 mit 10g/` noch brackisch, erreichte er 1989 mit
5 Vgl.
Klötzli 1996, 112f.
Thompson 2008
7 Vgl. Klötzli 1996, 118
6 Vgl.
5
30g/` einen mit Meerwasser vergleichbaren Versalzungsgrad. Für die an weniger salzreiches Wasser angepasste lokale Fischpopulation bedeutete dies zusammen mit dem
Verschwinden von seichten Brutgebieten das langsame Aussterben. Dem in der Mitte der 1970er im Aralsee ausgesetzten Schwarzmeer-Flunder (Platichthys flesus lulscus)
ereilte das gleiche Schicksal, als die Salinität 2003 auf über 70g/` stieg.8
Die Austrocknung des Aralsees wirkt sich auch auf die angrenzenden Ökosysteme
aus. So sind die Flussdeltas von Amu Darja und Syr Darja von fortschreitender Desertifikation betroffen. Dies ist auf geringere Wasserdurchflussraten, das Ausbleiben von
Überschwemmungen und den um 3 bis 5 Metern abgefallenen Grundwasserspiegel
zurückzuführen.9 Allein im Amu-Darja-Delta ist die Fläche von Kleinseen zwischen
1960 und 1980 von 49.000 km2 auf 8.000 km2 zurückgegangen. Die Auswirkungen auf
Flora und Fauna der Flussdeltas blieben nicht aus: Halophyten (salztolerante Pflanzen) und Xerophyten (trockenheitstolerante Pflanzen) haben die einheimischen Pflanzen verdrängt. Sich ablagernde Mineralsalze führten zur Bildung von vegetationslosen
Salzböden. Von den 70 Säugetierarten und 319 Vögelarten, die 1960 in den Flussdeltas
beobachtet wurden, verbleiben heute nur noch 32 von ersteren und 160 von letzteren.10
Die Verringerung der Wasseroberfläche des Aralsees bedingt eine Veränderung des regionalen Mikroklimas. Das maritim gemäßigte Klima, für das die Wassermassen des
Aralsees als thermischer Ausgleichsfaktor eine entscheidene Rolle spielten, wurde inzwischen durch ein kontinentaleres Klima abgelöst. Die mittlere Temperatur im Sommer erhöhte sich zwischen 1960 und 2000 um 2–6◦ C. Gleichzeitig verringerte sich die
Lufttemperatur im Winter, vor allem südwestlich des Aralsees. Die Nordost-Winde,
die früher von der hohen Verdunstung gebremst wurden, haben an Intensität zugenommen. Das Resultat sind heißere, trockenere Sommer und längere, kältere Winter,
sowie sinkende Niederschlagsmengen.11
Weitläufige Bereiche des ausgetrockneten Aralseebodens haben sich in eine unfruchtbare Salz- und Staubwüste verwandelt. Im Fluss- und Grundwasser gelöse Salze und
toxische Rückstände aus der in Monokultur betriebenen Bewässerungslandwirtschaft
(Düngemittel, Herbizide, Pestizide) wurden Jahrzehnte lang in das Aralseebecken eingetragen. Durch die Verlandung entstand ein Salzboden mit einem lockeren Gemisch
aus Staub und verschiedenen Salzen (hauptsächlich Natron, Natriumchlorid und Natriumsulfat). Geschätzte 40 bis 150 Millionen Tonnen dieses giftigen Gemisches werden
jährlich durch Winderosion abgetragen und über weite Strecken transportiert. In trockener Form oder in Niederschlägen gelöst erreicht es so Gebiete im Umkreis von bis
8 Vgl.
Micklin 2010, 202
Klötzli 1996, 118f.
10 Vgl. Micklin 2010, 203
11 Vgl. Thompson 2008
9 Vgl.
6
Abbildung 2: Riesiger Salz-/Staubsturm über dem Aralsee am 8. April 2008. Die
Staubwolke erstreckt sich über 600 km in West-Ost-Richtung. (Quelle:
MODIS Rapid Response System Gallery, http://rapidfire.sci.gsfc.
nasa.gov/gallery/)
zu 600 km um den Aralsee. In Abbildung 2 ist eine Satellitenaufnahme eines solchen
Salz-/Staubsturms zu sehen. 12
Die Umweltkatastrophe am Aralsee hat weiterhin schwerwiegende Auswirkungen auf
die Bevölkerung in der Region. Neben der hohen Arbeitslosenrate durch den Zusammenbruch der Fischindustrie in den achtziger Jahren leiden die Menschen vor allem
unter akuten gesundheitlichen Problemen. Das Einatmen oder Verschlucken des giftigen Salz-Staub-Gemischs begünstigt Erkrankungen der Atemwege und Verdauungsorgane bis hin zu Speiseröhrenkrebs. Als weiterer Auslöser schwerer Krankheiten ist
der direkte Kontakt mit giftigen Chemikalien in der Bewässerungslandwirtschaft (wie
Pestizide oder Entlaubungsmittel auf Baumwollplantagen) zu nennen. Das stark salzhaltige Trinkwasser weist eine hohe Kontamination mit Bakterien auf und ist damit
vermutlich für das häufige Auftreten von Hepatitis, Typhus, sowie Leber- und Nierenerkrankungen mit verantwortlich. Tuberkulose und Anämie sind weit verbreitet, vor
allem bei Schwangeren. Die Säuglingssterblichkeit stieg zwischen 1965 und 1986 von
durchschnittlich 45h auf 72h. In einigen Gebieten entlang der ehemaligen Küstenlinie des Aralsees wurden sogar Werte von 80h bis zu über 100h verzeichnet (Deutsch12 Vgl.
Klötzli 1996, 119f.; Micklin 2010, 203f.
7
land: 4h). Insgesamt sind Morbidität und Mortalität in der Aralseeregion signifikant
höher als der Landesdurchschitt.13
2.5 Gegenmaÿnahmen und Rettungsversuche
Angesichts der weitreichenden Auswirkungen der Umweltkatastrophe auf Mensch
und Natur stellt sich die Frage, ob – und falls ja, mittels welcher Maßnahmen – die
Region noch gerettet werden kann. Die Wiederherstellung der Zuflussraten vor 1960
und eine Steigerung des Wasserspiegels wären offensichtlich erstrebenswert.
Erste Überlegungen zur Erhöhung der Wasserzufuhr wurden bereits zur Zeit der Sowjetunion angestellt. Die Vorschläge reichten von der Umleitung sibirischer Flüsse über
den Bau eines Kanals vom Kaspischen Meer bis zum Schmelzen der Gletscher im
Pamir-Gebirge. Diese Vorhaben wurden wegen des immensen finanziellen Aufwands
und der ungewissen Auswirkungen auf die Gebiete, denen Wasser entnommen werden sollte, nie umgesetzt. Mit dem Amtsantritt Gorbatschows im März 1985 und seinem erklärten Ziel „Glasnost“ (Offenheit, Transparenz, Informationsfreiheit) ging ein
Umdenken der Sowjetregierung einher. Die Ausmaße der Aralseekatastrophe gelangten erstmals an die Weltöffentlichkeit. Konzepte zur nachhaltigen Verbesserung der
ökologischen und humanitären Situation wurden ausgearbeitet, wie eine Modernisierung der Bewässerungssysteme, den Stopp der Kultivierung neuer Felder, eine Reduzierung der Baumwollanbauflächen und wirtschaftliche Umstrukturierungen der
Region. Wegen des Zusammenbruchs der Sowjetunion Anfang der neunziger Jahre
konnten diese Pläne jedoch nicht umgesetzt werden.14
Die Verantwortung für die Rettung des Aralsees fielen nach der UdSSR-Ära an die
jetzt unabhängigen Staaten Kasachstan, Usbekistan, Kirgistan, Turkmenistan und Tadschikistan. Deren Staatsoberhäupter beschlossen insgesamt über 150 Abkommen und
Resolutionen, in denen unter anderem die ökologischen Folgen der Krise und ein entsprechender Handlungsbedarf anerkannt werden. Die Zusammenarbeit gestaltet sich
aufgrund unterschiedlicher politischer, finanzieller und sozioökonomischer Interessen
allerdings schwierig. Den Verträgen fehlt es an konkreten Zusagen und verbindlichen
Regelungen.15
Als sich zwischen den betroffenen Staaten kein Konsens für eine gemeinsame Lösung abzeichnete, setzte Kasachstan mit finanzieller Unterstützung der Weltbank den
13 Vgl.
Klötzli 1996, 121f.; Micklin 2010, 204
Sehring 2002, 6f.
15 Vgl Klötzli 1996, 183–185
14 Vgl.
8
Bau eines Staudamms um. Der 2003 begonnene und im August 2005 fertig gestellte Kokaral-Damm verläuft entlang der ehemaligen Berg-Meerenge zwischen Kleinem
und Großem Aralsee, nahe des Syr-Darja-Zuflusses. Mit ihm wird verhindert, dass
Wasser vom Kleinen Aralsee in das Ostbecken des Großen Aralsees abfließt und dort
unnütz versickert oder verdunstet. Erste Auswirkungen waren bereits 2006 zu verzeichnen: der Wasserspiegel im Kleinen Aralsee stieg wieder, während Salinität und
Toxizität sanken. Heute haben sich Wasserspiegel und Salzgehalt auf etwa 42 m über
N.N. und 10–14g/` stabilisiert. Die ökologische Situation im Kleinen Aralsee erfuhr
damit eine signifikante Verbesserung, sodass sogar die Fischerei in kleinem Umfang
wieder aufgenommen werden konnte. Das Ufer ist inzwischen wieder auf 20 km an
die ehemalige Fischerstadt Aral herangewachsen; ihr Hafen soll mit dem Bau eines
Kanals wieder mit dem See verbunden werden. Die Auswirkungen auf den Großen
Aralsee fielen dagegen weniger erfreulich aus. Von einem seiner Zuflüsse abgeschnitten wurde dessen Austrocknung durch den Damm eher beschleunigt, sodass sein Ostbecken seit 2009 teils überhaupt kein Wasser mehr führte. Der Golf von Tschebas wird
wahrscheinlich bis zum Ende des Jahrzehnts ausgetrocknet sein. Salinitätswerte von
über 100g/` im Westbecken und 200g/` im Ostbecken lassen eine baldige Rückkehr
der Fischpopulation im Großen Aralsee unwahrscheinlich erscheinen.16
3 Zusammenfassung und Ausblick
Die Krise am Aralsee zeigt überdeutlich, wie drastisch der Mensch seine Umwelt beeinflussen kann. Die ab 1960 einsetzende massive Ausweitung von Bewässerungsflächen entlang der Flussläufe von Amu Darja und Syr Darja zerstörten das hydrologische Gleichgewicht des Aralsees und ließen das einst viertgrößte Binnengewässer
der Erde auf einen Bruchteil seiner ehemaligen Ausdehnung schrumpfen. Die Auswirkungen auf die angrenzenden Ökosysteme – vom Artensterben über die Entstehung
einer giftbelasteten Salz- und Staubwüste bis hin zur Veränderung des Klimas und einer Verschlechterung des Gesundheitszustandes der Bevölkerung ganzer Landstriche
– können nur als katastrophal bezeichnet werden.
Eine ganzheitliche Rettung des Aralsees ist bis heute nicht in Sicht. Lediglich der nördliche Kleine Aralsee konnte im vergangenen Jahrzehnt durch den Kokaral-Damm eine
Verbesserung erfahren. Ob und wie der Große Aralsee wieder mit ausreichend Wasser
versorgt werden kann ist ungewiss. Optimistische Szenarios sagen voraus, dass bei
entsprechend hoher Wasserzufuhr der Aralsee frühestens in 30–40 Jahren auf einen
mit 1960 vergleichbaren Wasserspiegel wiederhergestellt werden könnte. Dazu wären
aber Investitionen in zwei- bis dreistelliger Milliardenhöhe und eine enge Kooperation
16 Vgl.
Micklin 2010, 205
9
der betroffenen Staaten notwendig. Woher diese Mittel kommen sollen und wie man
die unterschiedlichen Interessen der Anrainerstaaten vereinen kann ist aber noch völlig unklar. Es bleibt also abzuwarten, welches Sprichwort in weiteren 50 Jahren besser
auf die Aralseeregion passt: „Mit dem Wasser kommt das Leben“ oder „Ohne Wasser
vergeht alles Leben“?
Literatur
[Klötzli 1996]
Klötzli, S. (1996): Umweltzerstörung und Politik in Zentralasien:
eine ökoregionale Systemuntersuchung. Diss., Zürich 1996.
[Micklin 2010]
Micklin, P. P. (2010): The past, present, and future Aral Sea. In:
Lakes & Reservoirs: Research & Management, Vol. 15 (2010) Nr. 3,
S. 193–213.
[Thompson 2008]
Thompson (2008): The Aral Sea Crisis. In: http://www.columbia.
edu/~tmt2120/environmental%20impacts.htm, zugegriffen am
22.01.2011.
[Lohman 1999]
Lohmann, D. (1999): Aralsee: Chronik einer anthropogen verursachten Katastrophe. In: http://www.g-o.de/
dossier-detail-55-6.html, zugegriffen am 22.01.2011.
[Sehring 2002]
Sehring, J. (2002): Kooperation bei Wasserkonflikten: Die Bemühungen um nachhaltiges Wassermanagement in Zentralasien. Institut für Politikwissenschaft, Mainz 2002.
10

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