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OrganisationsEntwicklung OrganisationsEntwicklung Zeitschrift für Unternehmensentwicklung und Change Management 3 pp Jetzt per A n le a die digit lesen: Ausgaben ine.org/app www.zoe-onl bonnenten Für Print-A los en kost bonnenten: ic Für N ht-A gabe us A sti Gra bt gleich» «Alles blei 15 Change Management in der digitalen Welt Globale Entwicklung digital Bill Gates über digitale Gerechtigkeit Das Jüngste Gericht Warum die Digitalisierung alles verändert Agil organisieren Mit SCRUM die Change-Arbeit unterstützen Das Business-Ökosystem entwickeln Innovative Strategiearbeit bei der Swisscom Armee neu denken Fallklinik: Das Österreichische Bundesheer Reflexion | Der Kopf auf dem Silbertablett | Martina Eberl Der Kopf auf dem Silbertablett Zum Mythos der omnipotenten Führungskraft als Change Manager Martina Eberl Die Richtung vorgeben, alles aushalten, alles wissen: Das gegenwärtige Führungsverständnis ist nach wie vor vom Bild einer omnipotenten Führungskraft dominiert – wenn auch nur implizit. Dies führt auf allen Seiten zu enttäuschten Erwartungen, bringt die Führungskräfte in ausweglose Dilemma-Situationen und wirkt sich verheerend auf Change-Prozesse aus. Auf der Grundlage von Erfahrungen zahlreicher Führungskräfte zeigt dieser Beitrag Hintergründe auf und bietet mögliche Auswege. Der Hintergrund In den vergangenen Jahren habe ich viele Gespräche mit Füh rungskräften unterschiedlichster Branchen und Positionen über deren Führungsalltag geführt. Ich hörte die unterschied lichsten Geschichten über die Schwierigkeiten der Steuerung in und von Veränderungsprozessen. Auch wenn diese Erfah rungen höchst individuell sind, so eint einen Großteil von ih nen, dass sie ihre Rolle auf die eine oder andere Weise als eine Art Kampf empfinden, der nicht gewonnen werden kann. Dieser Kampf wird selten mit Lob gewürdigt, die Bedürfnis se der Führungskräfte scheinen keine Rolle zu spielen: Dem wird «so gut wie keine Aufmerksamkeit geschenkt, denn als Führungskraft muss man das wohl aushalten…!» (Projektmana ger strategischer Projekte, 2014). Das Führungsproblem «Weltweit sehen Menschen ihre Erwartungen in Führungskräf te immer stärker enttäuscht», so lautete die zentrale Botschaft des Ketchum Leadership Communication Monitors 2012 nach einer Befragung von rund 4.000 Personen in 12 Ländern. Nur 26 Prozent der Befragten bescheinigten danach den Führungs kräften, besser durch schwierige Zeiten navigieren zu können als noch im Jahr zuvor. In Deutschland waren es gar nur 19 76 Prozent – Tendenz fallend. Schaut man in die Pressewelt der Folgejahre, zeigt sich keine nennenswerte Veränderung. In der Folge sinkt die soziale Akzeptanz von Führungskräften in der Wirtschaft, während Misstrauen und Kritik zunehmen (Geb hardt, Hofmann & Roehl 2015). Reflexartig werden die Antworten in «fehlenden Eigenschaf ten», «schlechten Führungsstilen» oder «fehlender Kompetenz» gesucht, eine echte Auseinandersetzung mit möglichen Ursa chen unterbleibt dabei fast immer – das gilt besonders für die Praxis, aber teilweise auch für die Wissenschaft. Ein Blick in die klassische Führungs- und Changeforschung zeigt, dass die zahlreich vorhandenen Ansätze zwar in der La ge sind, die Vielfalt an Erwartungen und Anforderungen an Führung zu systematisieren und in Modelle zu übersetzen. Man denke hier zum Beispiel an das «Lewin’sche Verände rungsgesetz», das den Führungskräften in Zeiten des Wandels rät, sich an der Schrittfolge des «Auftauens», der «Mobilisie rung» und der «Verstetigung» zu orientieren und über parti zipative Techniken die Mitarbeiter an Bord zu holen (Lewin 1958; Schein 2006), oder an die berühmten acht Schritte er folgreichen Veränderungsmanagements von John Kotter, der de facto die identische Botschaft ausruft, dazu allerdings ein paar konkretere Verhaltensempfehlungen gibt (Kotter 1995). Nr. 3 |2015 Martina Eberl | Der Kopf auf dem Silbertablett An diesen Ansätzen ist per se nichts auszusetzen – ganz im Gegenteil sind ihre Erfolge sogar empirisch belegt. Woran liegt es also dann, dass Führungskräfte immer schlechtere Noten bekommen? Die Omnipotenzthese: Versuch einer Ursachenanalyse Das heutige Verständnis von Führung ist nach wie vor implizit von der Vorstellung der omnipotenten Führungskraft geprägt, also einem Rollenverständnis, das per Definition alles kann, auf alles eine Antwort weiß und auch alles aushalten kann. Dieses Rollenverständnis ist zum einen das Ergebnis gesell schaftlicher Sozialisationsprozesse, in denen durch Geschich te(n), Medien oder auch Wunschdenken eine Vorstellung über «gute» und «schlechte» Führung entstanden ist. Zum anderen vermittelt das akademische Bildungssystem nicht selten ein (Selbst)-Bild des Managers, das suggeriert, Unternehmen dann erfolgreich zu führen, wenn Analyse und Planung nur gut ge nug sind. Vermitteltes Selbstbild und gesellschaftliche Erwar tungen zusammen führen dazu, dass es für die Führungskraft kaum möglich ist, Unsicherheit oder Unkenntnis einzugeste hen – geschweige denn offenzulegen (Brockner 1992; Brockner, Rubin & Lang 1981). Nr. 3 |2015 | Reflexion Das alles wäre weniger problematisch, wenn Unternehmen in stabilen Wettbewerbsumfeldern und in verlässlichen Struktu ren mit fixierbaren und realistisch abschätzbaren Zielen agie ren würden. Dass dem so nicht ist, liegt auf der Hand. Ganz im Gegenteil hat sich die Führungssituation im 21. Jahrhundert stark dynamisiert und flexibilisiert (Eisenhardt 2002). Kleinere oder größere Veränderungen mit entsprechenden Projekten stehen auf der Tagesordnung und mischen sich mehr und mehr in den vermeintlich routinemäßigen Führungsalltag. Omnipotenzthese Omnipotenz (lat. omnis: alle, potentia: Kraft, Vermögen, Fähigkeit) bezeichnet in der Philosophie die hypothetische Fähigkeit eines Wesens, jedes Geschehnis hervorrufen oder beeinflussen zu können. In Bezug auf Führungskräfte ist mit der Omnipotenzthese ein Führungsmenschenbild des Alleskönners und Alleswissenden gemeint. Charakteristisch für die omnipotente Führungskraft ist entsprechend die denktechnische Unmöglichkeit des Scheiterns. 77 Reflexion | Der Kopf auf dem Silbertablett | Martina Eberl Die Folge der heutigen Führungswelt sind widersprüchliche Ziele, unklare Informationsflüsse, wechselnde Führungs-Ge führten-Beziehungen, Mehrfachrollen und zahlreiche Entschei dungsarenen, in denen sich eine Führungskraft bewähren soll und muss (Schneider 2002; Floyd & Lane 2000). Ebenso erge ben sich aus der Dynamisierung des Führungsumfeldes un mittelbare Konsequenzen für die Führungskraft, da klassische Einflusspotenziale wie «Expertenwissen», «Belohnungs- und Bestrafungsmacht» oder «formale Macht» angesichts unsiche rer und unklarer Situationen unter Umständen an Wirkungs kraft verlieren. Trotz dieser neuen Situationsmerkmale orientieren sich vie le Führungskräfte in ihrem täglichen Führungsverhalten un bewusst an den oben skizzierten Omnipotenz-Erwartungen, spüren aber gleichzeitig immer häufiger, dass diese Verhal tensmuster nicht mehr funktionieren bzw. zum Scheitern füh Situation einer Führungskraft — Beispiel Eine Führungskraft, die sich selbst als «typischen Middle-Manager» bezeichnet, wurde eingestellt mit der Aufgabenstellung, die bestehende Mannschaft auf das zukünftige neue Geschäftsmodell auszurichten und dazu zu befähigen, in diesem neuen Modell Dienstleistungen zu entwickeln. Nach eineinhalb Jahren sieht sich dieser Manager als gescheitert an und ohne eine ehrliche Chance auf Erfolg: Er stecke in der paradoxen Situation, «zu verlieren, egal was ich tue…». Die «Mannschaft» und mit ihr die Organisation hat in der Zwischenzeit Kräfte mobilisiert, die den Nutzen des neuen Geschäftsmodells in Frage stellen. Die Geschäftsführung erwartet aber (zu Recht) nach wie vor die Neuausrichtung. «Gebe ich bei der Mannschaft nach, habe ich zwar die Chance, auf der persönlichen Ebene wieder näher an die Mitarbeiter heranzukommen, inhaltlich habe ich aber nichts gewonnen ..., tue ich das nicht, begebe ich mich also in den Kampf, führt dies paradoxerweise auch zu einer Verfestigung der konterkarierenden Macht- und Anreizstrukturen». Hilfe von Seiten der Geschäftsführung ist nicht zu erwarten, da das Problembewusstsein für die Effekte strukturell verursachter Dilemmata nur schwach bis wenig ausgeprägt ist oder zumindest keine Notwendigkeit dafür gesehen wird, deren Auflösung anzugehen. Die (weit verbreitete) Devise des Managers lautet mittlerweile: «Wei termachen wie bisher und möglichst unauffällig aus der Schusslinie verschwinden!». Ein nach eigener Aussage unbefriedigender Zustand, zumal sowohl von der «Mannschaft» als auch von der Geschäftsführung ja doch irgendwie erwartet wird, dass man seine Rolle ausübt, also das Projekt führt. 78 ren. Wagen Führungskräfte dann doch einmal den Schritt aus der Deckung und «präsentieren ihren Kopf auf einem Silber tablett...» (Gericke 2015), indem sie die Notwendigkeit für bei spielsweise veränderte Rahmenbedingungen eines ChangeProjekts oder die Unmöglichkeit der Zielerreichung in den bestehenden Organisationsstrukturen zum Ausdruck bringen, wird den «Mutigen» von der Geschäftsführung entgegengewor fen, «...dass man als (Projekt)-Manager mit den gegebenen Rahmenbedingungen klar kommen müsse, schließlich sei man dafür eingestellt worden, genau das zu tun, bzw. man selbst dafür sorgen müsse, sich die passenden Rahmenbedingungen zu schaffen» (Manager eines mittelständischen Unternehmens, 2015). Die Ironie an diesen Situationen liegt darin, dass eben gerade die aktive(re) Integration der Geschäftsführung in den Implementierungsprozess sehr häufig eine solche Rahmen bedingung darstellt. In zahlreich geführten Diskussionen und Gesprächen mit «Change-Führungskräften» kommt dabei zum Ausdruck, dass in den oberen Führungsetagen das Dilemma häufig durchaus erkannt wird, man an einer Veränderung der Situation aber (zu) wenig interessiert ist, insbesondere dann, wenn die Rolle der Führungsetage selbst in den Fokus gerät. Im Ergebnis be deutet das: Die Führungskraft von heute «soll» mit tradierten Rollenerwartungen und -strukturen zukunftsfähiges Manage ment betreiben, kann dies aber kaum oder gar nicht realisie ren. Im Ergebnis werden wertvolle Ressourcen (Zeit, Geld, Energie) verbrannt, man denke hier nur an die hohe Miss erfolgsquote bei der Strategieumsetzung respektive der Steue rung von Change-Projekten (Menz et al. 2011). In einer stärker individuell begründete Facette der Omni potenzthese ist häufig eine Führungssituation zu beobachten, in der es Führungskräfte jedem Recht machen möchten, in dem sie die Mitarbeitenden an anstehenden Entscheidungen beteiligen und auf ihre Anliegen eingehen. Damit entspre chen Führungskräfte dem viel beschworenen und hierzulan de sozial erwünschten Paradigma eines «partizipativen» und «personenorientierten» Führungsverhaltens, ohne darüber zu reflektieren, ob, wann und in welcher Form dies tatsächlich gebraucht und gewollt wird (Wendenburg 2015). So holt sich eine Führungskraft die Meinungen ihrer Mitarbeitenden auch dann ein, wenn die wegweisenden Entscheidungen gar nicht mehr beeinflusst werden können. Oder auf Nachfrage seitens der Mitarbeiter nach Verantwortlichkeiten für bestimmte Auf gaben wird einer klaren Entscheidung grundsätzlich ausgewi chen, um niemanden in seinem Kompetenzfeld zu beschnei den. Obwohl in der Selbsteinschätzung der Führungskraft al les getan wird, um den zahlreichen Erwartungen zu entspre chen, ist Unmut und Unzufriedenheit seitens der Mitarbeiten den und im weiteren Verlauf auch der Führungskraft die Folge. Oberflächlich gesehen handelt es sich hier um «schlechtes», weil nicht erfolgreiches, Führungsverhalten. Bei genauerer Be Nr. 3 |2015 Martina Eberl | Der Kopf auf dem Silbertablett | Reflexion Handlungsempfehlungen zur Veränderung des Management- und Führungsbildes 1. Wertschätzung und Anerkennung der Führungsrolle Nicht nur Mitarbeitende benötigen Wertschätzung, sondern auch «der Mensch» in der Führungskraft. Genau dies geht aber mit dem häufig implizit praktizierten Omnipotenz-Ansatz verloren. Die Führungskraft von heute erhält selten von ihren Vorgesetzten und so gut wie nie von ihren Mitarbeitenden Anerkennung, Wertschätzung oder auch einfach nur Verständnis. Um einen anerkennenden Umgang konkret zu stärken, wäre beispielsweise die Einführung speziell darauf ausgerichteter Upward-Feedbacks denkbar, die auf der einen Seite die Wertschätzung der Mitarbeitenden indirekt stärken, andererseits die gesamte Führungsmannschaft daran erinnern, dass es einen Maßstab jenseits der eigenen und anderer Vorurteile gibt, nämlich eine gewünschte Führungskultur und auch eine eigene Identität als Führungskraft. Damit könnte die Sinnlosigkeit des Omnipotenz-Ansatzes allen Beteiligten in regelmäßigen Abständen vor Augen geführt und sukzessive entkräf tet werden. 2. Kompetenzaufbau im Change-Leadership Zur Wertschätzung der Führungsrolle gehört eine ordentliche Führungsausbildung bzw. die Investition in den Kompetenzaufbau. Auf diesem Weg können (neue und noch unerfahrene) Führungskräfte frühzeitig lernen, wie man Mitarbeiter durch Veränderungen führen kann und wie es eher weniger gelingt. Die häufig zu beobachtende Beförderungspraxis, Führungskräfte «ins kalte Wasser zu werfen», um sich in ihren neuen Positionen zu behaupten, führt leider ebenso häufig dazu, dass sie sich zwar an ihren neuen Mitarbeitenden ausprobieren und Erfahrung sammeln können, gleichzeitig aber unabsichtlich ungeschicktes Führungsverhalten an den Tag legen, weil schlichtweg Unkenntnis über die Führungszusammenhänge im Change besteht. Die Folge: In den ohnehin komplexeren und dynamischen Veränderungssituationen wird die Führungssituation eher noch verschärft und die (beidseitige) Spirale geringer Wertschätzung und/oder Akzeptanz erst Recht in Gang gesetzt. Mit der fundierten begleitenden Ausbildung der Führungskräfte könnte viel gewonnen werden, führt doch die Reflexion auf Führung in Veränderungsprozessen bereits zu einer Sensibilisierung für die Besonderheiten die ser Situation und eröffnet zumindest das Potenzial für die Führungskräfte, informierter und sicherer durch Veränderungsprozesse zu führen. Nr. 3 |2015 3. Aufbau konsistenter Anreizsysteme Ebenso verhaltensbeeinflussend sind die unternehmensindividuellen Mechanismen der Beanreizung und deren Ausgestaltung. Häufig finden sich in den Verfahren zur Messung von «Management-Leistung» solche Faktoren wieder, die im Dienste plankonformen und eindeutig messbaren Führungsverhaltens stehen und die Erfüllung von Erwartungen würdigen, die ihren Ursprung in der Vergangenheit haben. Zukunftsbezogene Erwartungen, also solche, die an der erfolgreichen Umsetzung eines Veränderungsprojektes hängen und somit bereits heute zu planabweichenden Ergebnissen führen (müssen), spielen dagegen kaum eine Rolle (Ford & Greer 2005). Genau diese Faktoren, etwa die Berücksichtigung der kompetenten Handhabung von Widersprüchen, Unsicherheiten oder Überraschungen, stellen aber einen mindestens genauso wichtigen Aspekt erfolgreicher Führungsarbeit dar. Dies gilt ganz besonders für die Steuerung von Veränderungen, da diese immer in einem Spannungsfeld von bestehenden und zukünftigen Strukturen erfolgen (Eberl et al. 2012). Es macht deshalb Sinn, solche Aspekte, die mit der Steuerung und Realisation von Veränderung einhergehen, in der Konstruktion von Anreizsystemen mit einem eigenen Wert zu versehen. 4. Stärkung der Führungsidentität Primär auf der Individualebene ansetzend können Maßnahmen zum Aufbau von Führungskompetenz ergriffen werden, die es den Führungskräften ermöglichen, Erfahrungen und Techniken im Umgang mit widersprüchlichen Situationen aufzubauen bzw. zu erproben. Dazu gehört das (Wieder-) Erlernen des gezielten Einsatzes des «Nein» ebenso wie die Fähigkeit des aktiven Zuhörens. Letzteres ist eine mittelbare Form der Partizipation, die dazu beiträgt, dass unterschiedliche Meinungen und Erwartungen «angehört» und bei zu treffenden Entscheidungen berücksichtigt werden können, dies aber nicht zwangsläufig müssen (Zuhören ist ungefährlich, aber chancenreich!). Unabhängig davon, in welcher Form Führungskräfte in ihrer neuen Rolle unterstützt werden, kommt es ganz wesentlich darauf an, aus dem reflexartigen Führungsmodus bewusst herauszutreten und die eigene Führungsidentität aktiv stärken zu können. 79 Reflexion | Der Kopf auf dem Silbertablett | Martina Eberl trachtung offenbart sich aber ein sehr viel tiefer liegendes Dilemma, welches auch treffend als «Schizophrenie des Füh rens» beschrieben wird (Gebhardt, Hofmann & Roehl 2015), sich nämlich bewusst oder unbewusst auf die sozial und auch organisationskulturell erwünschte Verhaltensnorm einlassen zu müssen/wollen, gleichzeitig aber an der Darbietung der strukturierenden und Ziele durchsetzenden Führungsaktivi täten beurteilt zu werden. «Der Omnipotenzanspruch wird strukturell an die Führungskräfte herangetragen.» Wie könnte ein Weg aus dem Dilemma aussehen? Da eine unmittelbare Veränderung komplexer Gesellschafts normen unmöglich ist, bleibt eine Erneuerung des Manage ment- und Führungsbildes in der betriebswirtschaftlichen Aus bildung und Praxis. In Think Tanks und auf wissenschaftlichen Konferenzen ist dies schon auf den Weg gebracht. So wird über «Future Forms of Leading» oder «Post-heroisches Management» nachgedacht (Jironet & Starren 2013; Gebhardt, Hofmann & Roehl 2015) und auf diese Weise die Ausbildung eines neuen/ anderen Bildes der «erfolgreichen» Führungskraft angestoßen. In diesem Bild wird der Mythos der «omnipotenten Führungs kraft» Stück für Stück entkräftet und Führung in eine Richtung entwickelt, in der man sich auf den Umgang mit Komplexität, Unsicherheit UND Dynamik versteht. Dies geschieht, indem diese schwierige Aufgabe auch zu einer Aufgabe der Gesamt organisation gemacht wird und entsprechende organisationale Kompetenzen aufgebaut werden (Schreyögg & Eberl 2015). Eine Dimension dieser Kompetenz behandelt die Frage nach dem Umgang mit Emotionen und Affekten in der Orga nisation. Menschen haben in Zeiten von Unsicherheit und Dynamik typischerweise ein ungleich höheres Bedürfnis nach Sicherheit, Geborgenheit, Wertschätzung und Orientierung. Das bedeutet für die einzelne Führungskraft, aber besonders für die gesamte Organisation, dass sie Möglichkeiten finden muss, genau diesen Bedürfnissen Rechnung zu tragen. Dazu kann die Etablierung einer den Umgang mit Unsicherheit un terstützenden Unternehmenskultur ebenso gehören, wie die Entscheidung, etablierte Belohnungsmechanismen (auch ent gegen eines kurzfristigen Gewinnkalküls) nicht sofort zu deak tivieren. Aber auch über die Bereitstellung von Zeit und Raum für das Ausleben bekannter und/oder den Aufbau neuer (Füh rungs)-Rituale kann die kompetente Organisation Sicherheit und Geborgenheit vermitteln, welche sowohl die Geführten als auch die Führenden für den Umgang mit den dynami schen Anforderungen des postmodernen Wettbewerbs emoti onal und psychisch stärkt. 80 Fazit Die omnipotente Führungskraft ist also kein Mythos. Sie ma nifestiert sich tatsächlich in unterschiedlichen Formen im re alen Arbeitsalltag. Dabei zeigt sich der Omnipotenzanspruch weniger in Form eines entsprechenden Selbstbildes, sondern wird strukturell an die Führungskräfte herangetragen. «Der Alleskönner und Alleswisser ist ein Auslaufmodell, das Omni potenzdilemma besteht aber nach wie vor...» (Volkenandt, Geschäftsführer, 2014). Somit wäre es am eigentlichen Prob lem vorbei gedacht, eine Lösung für den effektiveren Umgang mit widersprüchlichen Situationen und Unsicherheit aus schließlich auf der Individualebene zu suchen. Im schlimms ten Fall würde sich damit die schizophrene Führungssituation sogar verstärken. Stattdessen sollte bei der Auseinandersetzung mit den viel fältigen und naturgemäß widersprüchlichen Erwartungen an Führungskräfte das Augenmerk auch auf die Besonderheiten der (in der Regel zusätzlich übernommenen) verantwortlichen Steuerung von Veränderungsprozessen liegen. Dabei geht es mittelbar darum, den «Omnipotenzmythos» zu entkräften, un mittelbar aber zunächst darum, Führungskräften einen Raum für die notwendigen Veränderungen im Führungsverhalten zu eröffnen. Dazu gehört im Kern, ihnen und ihrer spannungsge ladenen Führungsarbeit mit Wertschätzung und Aufmerk samkeit zu begegnen sowie einen organisationalen Kontext (etwa über die Abbildung entsprechender Faktoren in den Be wertungs- und Anreizsystemen) zu schaffen, der einen realis tischen Umgang mit dem Spannungsfeld zwischen Struktur und Veränderung erleichtert. Dies entlastet nicht nur die Füh rungskraft von dem permanenten Gefühl der Überlastung bzw. unmöglichen Zielerfüllung, sondern kann auch die Erfolgs quote bei der Umsetzung strategischer Ziele sowie des damit einhergehenden Wandels erhöhen. In der Folge dürfte die Wahrnehmung der Leistung von Führungskräften eine posi tive Wende nehmen. Nicht ein per se anderes Führen ist also gefragt, wohl aber ein Paradigmenwechsel im Umgang mit den Erwartungen an Führung. Prof. Dr. Martina Eberl Hochschule für Wirtschaft und Recht, Berlin; ABWL, insb. Management und Organisation; Akademische Leiterin des berufsbegleitenden MBA Change Management am Institut für Management, Berlin Kontakt: [email protected] Nr. 3 |2015 Martina Eberl | Der Kopf auf dem Silbertablett | Reflexion Literatur • Brockner, J. (1992). The escalation of commitment to a failing course of action: Towards theoretical progress. Academy of Management Review, 17, S. 39—61. • Brockner, J., Rubin, J. Z. & Lang, E. (1981). Face-saving and entrapment. Journal of Experimental Social Psychology, 17, S. 68—79. • Eberl, M., Volkenandt, G. & Görlich, M. (2012). Management strate gischer Initiativen und Projekte – Strategieumsetzung im Spannungsfeld von Strukturen und Transformation, Knowledge & Trends. • Eisenhardt, K.M. (2002). Has strategy changed?. MIT Sloan Management Review, 43, S. 88—91. • Floyd, S. W. & Lane, P. J. (2000). Strategizing throughout the organi zation: Managing role conflict in strategic renewal. 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