Zivil- und strafrechtliche Haftungsgefahren für Berater und

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Zivil- und strafrechtliche Haftungsgefahren für Berater und
ZInsO 45/2010
ZInsO-Aufsätze
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Zivil- und strafrechtliche Haftungsgefahren für Berater und Insolvenzverwalter in der
Krise und der Insolvenz
von Rechtsanwalt Klaus Bales, Heidelberg*
Im Rahmen einer Unternehmenskrise werden fast immer Berater hinzugezogen, um zu retten, was noch zu retten ist.1 In
vielen Fällen werden Rechtsanwälte, Wirtschaftsprüfer, Steuer- oder Unternehmensberater aber erst zu einem Zeitpunkt in
die Sanierungsbemühungen eingeschaltet, zu dem der Turnaround kaum noch zu schaffen ist und Straftatbestände durch die
Gesellschaftsorgane bereits verwirklicht worden sind. Wie bei einer Krankheit wollen Unternehmer und Manager oftmals
die Krise nicht wahrhaben; sie neigen nicht selten dazu, die Krise zu unterschätzen und subjektiv abzuschwächen und die
eigenen Möglichkeiten zu überschätzen.2 In vielen Fällen wird das Unternehmen einfach fortgeführt, obwohl die Gesellschaft bereits überschuldet oder sogar zahlungsunfähig ist und ein Insolvenzantrag gestellt werden müsste. Die Verantwortlichen lassen sich in solchen Situationen auch zu Straftaten hinreißen, angefangen von Bankrott- und Bilanzdelikten, über
die Verletzung von Buchführungspflichten bis hin zur Nichtabführung von Sozialversicherungsbeiträgen.
Bei solchen Sachverhalten beinhaltet eine Beratung durch Unternehmensberater mehr Risiken als Chancen, sie ist eine
Gratwanderung zwischen strafloser Beratung und strafbarer Beihilfe oder Anstiftung zu Insolvenzdelikten. Der Berater setzt
sich dann schnell dem Verdacht strafbaren Verhaltens aus, wenn er das Unternehmen zu einer Straftat verleitet (Anstiftung)
oder diese durch seine Expertise ermöglicht (Beihilfe). Nach wie vor ist die Möglichkeit strafbarer Teilnahme durch Angehörige rechtsberatender Berufe sowie von Steuerberatern und Wirtschaftsprüfern nicht abschließend geklärt.3
Vor diesem Hintergrund sollte ein Sanierungs- bzw. Unternehmensberater daher gleich zu Beginn seiner Beratertätigkeit für
sich selbst entscheiden, wie weit er sich in das Sanierungskonzept und seine operative Umsetzung einbringt. Beratung bedeutet grds. Zurückhaltung hinsichtlich des Sanierungskonzepts. Vor allem aktive Mitwirkung im Rahmen der externen Sanierung hat eine erhebliche Erhöhung der Haftungsrisiken zur Folge, sodass der Berater seine Grenzen kennen muss.4 So
sollte ihm auch bewusst sein, dass noch so aussichtsreiche Sanierungsbemühungen keine Überschreitung der gesetzlichen
3-Wochenfrist des § 15a Abs. 4 InsO rechtfertigen.5
Obwohl die strafrechtlichen Ermittlungsbehörden die Berater oft als die treibende Kraft (wirtschafts-)strafrechtlicher Vorgänge ansehen,6 sind Informationen und auch Urteile zu dieser Thematik eher spärlich. Dennoch hat das Thema eine nicht
zu unterschätzende praktische Relevanz vor allem für die beratenden Berufsgruppen.
I. Allgemeine strafrechtliche Haftungsrisiken
Die Möglichkeit zu strafbaren Handlungen kann die Berater
der Unternehmung und deren Sanierer nicht nur als Teilnehmer, sondern auch als Täter treffen, je nachdem, welche
konkreten Befugnisse dem Berater eingeräumt werden und
wie seine Stellung im Krisenunternehmen ausgestattet ist.
Davon zu unterscheiden sind Fallgestaltungen, in denen ein
„Sanierer“ – i.d.R. Rechtsanwälte oder Steuerberater – den
Gläubigern einer bereits insolvenzreifen GmbH ein „Moratorium“ anbietet und eingehende Kundenzahlungen auf ein
Anderkonto des Sanierers eingezahlt („Gläubiger-Pool“)
und von diesem nach einem „Sanierungsplan“ ausbezahlt
werden.9 Nachdem der Sanierungsplan gescheitert ist, entnimmt der Sanierer sein Honorar und überlässt den Rest der
Pool-Gelder dem Geschäftsführer.
Als Täter handelt, wer alle Tatbestandsmerkmale einer bestimmten Strafnorm in seiner Person unmittelbar erfüllt
(§ 25 Abs. 1 Fall 1 StGB) oder wer die Straftat durch einen
anderen begeht (§ 25 Abs. 1 Fall 2 StGB).
Bei diesem Sachverhalt wird man eine Untreue gem. § 266
StGB annehmen können. Die Vermögensbetreuungspflicht
besteht sowohl gegenüber dem Vermögen der GmbH, aber
auch gegenüber den sonstigen Geldgebern, zumindest aber
1. Strafbarkeitsrisiken als Täter
Täterschaftliche Delikte eines Beraters sind ausnahmsweise
dann zu erwarten, wenn dieser aus seiner Funktion heraus in
Pflichtenstellungen gerät, die ihn im Sinne des Strafrechts
zum originär Verpflichteten machen.7 Die Gefahr für Berater
besteht hier darin, dass sich aus der Dynamik der Beratung
heraus oftmals die ursprüngliche abstrakte Raterteilung in
der Durchsetzung des Rats im Einzelnen fortsetzen kann.
Der Rat zur bestimmten Gestaltung der kaufmännischen
Geschäftsführung kann durchaus dazu führen, dass der Berater mit Willen der organschaftlichen Vertreter für eine gewisse Zeit tatsächlich die Leitung dieses Betriebsteils übernimmt.8
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Rechtsanwälte STRACK ET COLLEGAE, Heidelberg.
Zu den Haftungsrisiken für Geschäftsführer und Gesellschafter, sehr
­ausführlich Bales/Brinkmann, Sanierung von Unternehmen, 2. Aufl.,
Rn. 290 ff. m.w.N.
Ähnlich Uhlenbruck, Recht der Sanierungsfinanzierung, § 5 Rn. 3.
Tiedemann, GmbH-Strafrecht, 4. Aufl. 2002, § 82 Rn. 25.
So zu Recht Uhlenbruck (Fn. 2), § 5 Rn. 3.
Uhlenbruck, ZInsO 1998, 250.
So Wessing NJW 2003, 2265.
Vgl. zu einem praktischen Beispiel Bales/Brinkmann (Fn. 1), Rn. 429.
Ähnlich Wessing NJW 2003, 2266.
Zu dieser Fallgruppe, vgl. Richter, Problematische Firmenkundenkredite,
3. Aufl. 2010, S. 341 m.w.N.
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gegenüber den Gläubigern der GmbH, die einen Stundungsvertrag abgeschlossen haben. Denn diese Gelder dürfen nur
im Rahmen des Sanierungsplanes verwendet werden. Scheitert dieser, ist durch ergänzende Vertragsauslegung zu prüfen, wie das Geld verteilt werden darf und ob Honorarforderungen hiervon bestritten werden dürfen.10
Zu prüfen ist bei solchen Fallgestaltungen auch immer eine
etwaige Strafbarkeit wegen Beihilfe zur Insolvenzverschleppung (ggf. auch als Täter bei einer faktischen Geschäftsführung) oder wegen Betrugs bei Täuschung über die
Sanierungsgrundlagen.
Im Einzelnen kommen folgende Straftatbestände für Berater in Betracht:
Abb.: Etwaige Strafbarkeitsrisiken für Berater
2. Insolvenzverschleppung
Abgesehen von dem Sonderfall der faktischen Geschäftsführung kann ein Berater nicht wegen Insolvenzverschleppung bestraft werden, denn die Insolvenzantragspflicht betrifft ausschließlich die organschaftlichen Vertreter einer
antragspflichtigen Gesellschaft. Hierzu kann seitens der Berater aber Beihilfe geleistet bzw. Anstiftung begangen werden. In der Krise des Mandanten ist es häufig nur ein kleiner
Schritt von der zulässigen Beratung zur strafbaren Anstiftung oder Beihilfe.
3. Strafbarkeitsrisiken als Gehilfe
Als Gehilfe wird gem. § 27 StGB bestraft, wer vorsätzlich
einem anderen zu dessen vorsätzlich begangener rechtswidriger Tat Hilfe geleistet hat. Der Gehilfe leistet also Unterstützung, um die Tat durchführen zu können, wobei er physische oder psychische Unterstützung geben kann. Der Gehilfe
muss sowohl die Haupttat sowie seinen eigenen Beitrag als
untergeordnetes Element zu der Insolvenzverschleppung erkennen und wollen.11 Gehilfe kann nur derjenige sein, der
den Haupttäter bei seiner rechtswidrigen Tat bewusst unterstützt. Hierzu reicht i.d.R. jede Form von Hilfeleistung aus,
durch die die Tat in irgendeiner Weise gefördert wird.
Im Bereich der Beratung von Krisenunternehmen sind die
Übergänge zwischen einem straflosen Beratungsgespräch
und einer unterstützenden Handlung als psychische Beihilfe
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fließend. Letzteres kann schon dann vorliegen, wenn dem
Täter durch einen Rat etwa eines Steuerberaters oder
Rechtsanwalts geholfen wird oder er sich durch das Verhalten des Beraters ermuntert fühlt.
In solchen Fällen stellt sich die generelle Problematik, dass
es Teil des steuerberatendes und rechtsanwaltlichen Berufsbildes ist, ihre Mandanten über die wirtschaftlichen, steuerlichen und rechtlichen Konsequenzen verschiedener Handlungsmöglichkeiten umfassend zu belehren. Die Erteilung
eines zutreffenden und richtigen Rats ist strafrechtlich völlig neutral, erfüllt also keinen Straftatbestand.
Die Rechtsprechung des BGH hat in diesem Zusammenhang entgegen bedeutenden Literaturmeinungen12 aber eine
generelle Straflosigkeit sog. „neutraler“ oder „berufstypischer“ Handlungen abgelehnt13 und stattdessen darauf abgestellt, ob der Gehilfenbeitrag die Haupttat objektiv fördert
und der Gehilfe in Kenntnis der wesentlichen Merkmale der
Haupttat und in Förderungsbewusstsein handelt.
Dieses liegt dann vor, wenn der Berater etwa konkret weiß,
dass der Mandant durch die Erteilung des Rats oder die Information bei einer Straftat unterstützt wird oder dem Gehilfen die Kenntnis nachgewiesen wird, dass das Handeln
des Mandanten ausschließlich auf die Begehung der strafbaren Handlung abzielt, weil in diesem Fall sein Tun als Solidarität mit dem Täter zu deuten ist.14 Denn schon das durch
Beratung erzeugte Sicherheitsgefühl kann die Tatentschlossenheit (psychisch) bestärken und damit eine Beihilfestrafbarkeit begründen.15 Ob der Gehilfe lieber den Erfolg vermeiden würde oder sogar erklärt, er missbillige die Haupttat,
ist hierbei ohne Bedeutung.16
Hält der Berater es dagegen lediglich für möglich, dass sein
Mandant die Belehrung zu einer Straftat nutzt, ist für die Beihilfestrafbarkeit erforderlich, dass das vom Gehilfen erkannte
Risiko strafbaren Verhaltens des Haupttäters so hoch ist, dass
hieraus zu schließen ist, dass sich der Gehilfe die Förderung
eines erkennbar tatgeneigten Täters angelegen sein ließ.17
Zu einer Strafbarkeit wegen Beihilfe wird man auch in denen Fällen kommen, in denen das Krisenunternehmen bereits überschuldet oder zahlungsunfähig ist, der (Sanierungs-)Berater dies auch weiß und trotzdem weiterhin
versucht, das Unternehmen zu sanieren und für dieses tätig
ist, obwohl der Geschäftsführer keinen Insolvenzantrag
stellt. Denn durch das Unterlassen des gebotenen Antrags
begeht der Geschäftsführer eine Straftat und er wird durch
die fortgeführte Beratung des Beraters für jedermann erkennbar durch aktives Handeln unterstützt.
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Richter (Fn. 9), S. 341 m.w.N.
Wessing, NJW 2003, 2265.
Hassemer, wistra 1995, 412 ff.; Ransiek, wistra 1997, 41 ff.
BGHSt 46, 107 ff. = LNR 2000, 15688.
Richter (Fn. 9), S. 341 m.w.N.
BGHSt 46, 107 ff. = LNR 2000, 15688; vgl. auch BGH, NStZ 1993, 233 ff.
Richter (Fn. 9), S. 341 m.w.N.
Richter (Fn. 9), S. 341 m.w.N.
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In diesen Fällen macht der Berater sich wegen Beihilfe –
oder wenn die Initiative von ihm ausgeht – sogar wegen Anstiftung zur Insolvenzverschleppung strafbar, falls das Unternehmen nicht spätestens 3 Wochen nach Vorliegen des
Insolvenzgrundes Insolvenzantrag stellt (Näheres zur Strafbarkeit wegen Anstiftung vgl. unten).
Eine strafbare Beihilfe kann auch vorliegen, wenn der Berater den bereits zur Insolvenzverschleppung entschlossenen
Geschäftsführer bei einzelnen Maßnahmen, z.B. der Gründung einer Auffanggesellschaft, Übertragung von Vermögensgegenständen etc. unterstützt.18 Eine Beihilfe zur Untreue oder zum Bankrott kann vorliegen, wenn der Berater
entweder weiß, dass der Geschäftsführer seiner Gesellschaft
in strafbarer Weise Vermögenswerte entziehen will (§§ 266,
283 StGB) oder sich ihm dies aufgrund der gesamten Umstände aufdrängen musste.
4. Strafbarkeitsrisiken der Berater als Anstifter
Gem. § 26 StGB wird als Anstifter gleich einem Täter bestraft, wer vorsätzlich einen anderen zu dessen vorsätzlich
begangener rechtswidriger Tat bestimmt hat. Anstiftung
liegt also vor, wenn der Anstiftende bewusst in dem anderen
den Entschluss zu einer strafbaren Handlung hervorruft.
Das muss nicht notwendigerweise durch den ausdrücklichen Rat geschehen, eine Straftat zu begehen. Es reicht
grds. aus, wenn der Anstifter durch irgendeinen Hinweis in
dem Täter den Entschluss zu der Tat auslöst und dabei die
Begehung der Tat zumindest für möglich hält.
Für Berater, seien es nun Rechtsanwälte, Wirtschaftsprüfer,
Steuer- oder Unternehmensberater, die das Unternehmen in
der Krise begleiten und Ratschläge erteilen müssen, ist dies
nicht unproblematisch. Es gehört schließlich zu ihrem Beruf, den Mandanten umfassend zu beraten, aufzuklären und
– insbesondere in der Krise – ggf. Handlungsalternativen
aufzuzeigen. Liegt aber in dem Aufzeigen von Handlungsalternativen allein schon eine strafbare Anstiftung? In der Tat
könnte man dies bejahen, wenn unterstellt wird, dass ein
Berater die Wirkung seiner Worte kennt. Andererseits hat
aber auch der Rechtsanwalt die Verpflichtung zur gewissenhaften Beratung.19 Die gleichen Pflichten treffen Steuer­
berater und Wirtschaftprüfer, wenn um Rat bei diesen
­nachgefragt wird. So haben z.B. Steuerberater und Steuerbevollmächtigte gem. § 57 Abs. 1 StBerG ihren Beruf unabhängig, eigenverantwortlich, gewissenhaft, verschwiegen
und unter Verzicht auf berufswidrige Werbung auszuüben.
Sie haben sich außerdem jeder Tätigkeit zu enthalten, die
mit ihrem Beruf oder mit dem Ansehen des Berufs nicht
vereinbar ist (§ 57 Abs. 2 StBerG). Auch Wirtschaftsprüfer
sind befugt, ihre Auftraggeber in steuerlichen und wirtschaftlichen Angelegenheiten nach Maßgabe der bestehenden Vorschriften zu beraten (vgl. § 2 WPO). Insofern ist der
Berater verpflichtet, Handlungsalternativen aufzuzeigen. Er
trägt durch seine Informationen und das Aufzeigen von Alternativen und auch deren Folgen (auch in strafrechtlicher
Form) zum Abbau des Informationsdefizits bei, sodass man
durchaus eine strafbare Anstiftung bei einer solchen Fall-
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konstellation in Betracht ziehen könnte.20 Allerdings wird es
an dem Vorsatz fehlen, weil man von vornherein davon ausgehen muss, dass das Bewusstsein und der Wille eines
Rechtsanwalts in derartigen Fällen lediglich darauf gerichtet ist, pflichtgemäßen Rat zu erteilen, und nicht darauf, auf
das einzuwirken, was der Beratene infolge der gutachterlichen Äußerung tut.21 Insofern ist die alleinige Beratung eines Rechtsanwalts straflos, ebenso die Beratung durch einen
Steuerberater oder Wirtschaftsprüfer.22
Anders ist es jedoch zu beurteilen, wenn sowohl dem Berater und dem Täter bekannt ist, dass das Unternehmen in­
solvent ist und der Berater weit über das Aufzeigen von
Handlungsalternativen hinaus geht und durch das Beratungsgespräch der Tatentschluss zur Insolvenzverschleppung beim Täter hervorgerufen wurde. Hier wird man wohl
eine strafbare Anstiftung annehmen müssen.
Nach einer in der Literatur vertretenen Ansicht ist ein Sanierungsberater auch in solchen Fällen wegen Anstiftung strafbar, wenn er erst nach Eintritt der insolvenzrechtlichen Krise den Versuch unternimmt, z.B. einen Teilverzicht oder
eine Stundung bei den Gläubigern zu erreichen.23 Seiner
strafrechtlichen Verantwortung vermag sich der Berater
grds. nicht dadurch zu entziehen, dass er entsprechende
schriftliche Warnungen und Belehrungen gegenüber dem
Mandanten abgibt. Dies gilt besonders, wenn die Beratung
nach einer entsprechenden Belehrung des Mandanten über
längere Zeit fortgesetzt wird und der Mandant sich dauerhaft uneinsichtig zeigt.24
Streit hinsichtlich einer etwaigen Strafbarkeit wegen Anstiftung besteht bei solchen Fallgestaltungen, in denen dem Berater (Rechtsanwalt, Steuerberater, Wirtschaftsprüfer oder
Sanierungsberater) die Insolvenzreife nicht gänzlich bewusst ist, d.h. er erkennt ein Strafbarkeitsrisiko, geht diesem
aber nicht weiter nach.25
Teilweise wird die Ansicht vertreten, aus dem Berufsrecht,
insbesondere für Rechtsanwälte sei die v.g. Handlung nur
dann strafbar, wenn der Rechtsanwalt das Verhalten des
Mandanten sicher als strafbar ansieht und mit direktem Vorsatz handelt, anderenfalls sei er straflos.26 Dieser Auffassung
ist aus mehreren Gründen zu widersprechen. Es gibt in solchen Situationen kein Sonderrecht für Rechtsanwälte und
andere Berater. Sie sind in Krisensituationen sogar verpflichtet, den für den Mandanten sicheren Weg einzuschlagen. Etwas anderes wäre mit der gewissenhaften Berufsausübung und der Stellung als Organ der Rechtspflege nicht
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Vgl. Bauer, Rechtsfragen der Unternehmensfinanzierung, Rn. 482.
Vgl. auch § 1 Abs. 3 BRAO.
Vgl. hierzu auch Reck, ZInsO 2002, 121, 122.
Reck, ZInsO 2002, 122 unter Bezug auf RGSt 37, 321, 323.
So zu Recht auch Reck, ZInsO 2002, 122 mit weiteren Argumenten.
Vgl. Köhler, in: Beck/Depré, Praxis der Insolvenz: Ein Handbuch für die
Beteiligten und ihre Berater, 2003, § 24 Rn. 225, S. 1205.
24 Vgl. dazu Uhlenbruck (Fn. 2), § 5 Rn. 4 m.w.N.
25 Zu einem ähnlichen Beispiel, s. Reck, ZInsO 2002, 123.
26 So etwa Volk, BB 1987, 139 ff.
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vereinbar.27 Handelt der Berater in solchen Fällen also mit
bedingtem Vorsatz, kann eine Strafbarkeit als Anstifter in
Betracht kommen.
II. Weitere Strafbarkeitsrisiken (Buchführungsund Bilanzierungsdelikte)
Gem. §§ 283 Abs. 1 Nr. 5, 7, 283b Abs. 1 StGB ist die unterlassene oder mangelhafte Buchführung bzw. die unterlassene oder mangelhafte Bilanzerstellung strafbar. Die Übernahme von Buchführungs- und Bilanzierungspflichten kann
zur Strafbarkeit des Beraters führen, wenn er aufgrund ausdrücklichen Auftrags diese Aufgaben eigenverantwortlich
übernommen hat und diese nicht oder schlecht ausführt.
Voraussetzung ist jedoch, dass ihm die Pflichterfüllung objektiv möglich ist. Gerade in der Unternehmenskrise liefert
der Mandant jedoch häufig nur unvollständige oder ungeordnete Unterlagen oder zahlt das Honorar nicht. Dann
macht sich der Berater nicht wegen Verzögerungen oder
Mängeln der Buchführung oder Bilanzierung strafbar. Unmögliches oder Unzumutbares kann von ihm nicht verlangt
werden. Insoweit schließen zivilrechtliche Mängel des
Mandatsvertragsverhältnisses eine Strafbarkeit aus. Jedoch
sollte der Berater schriftliche Vollständigkeitserklärungen
des Mandanten verlangen und schriftlich darauf hinweisen,
dass er ohne Honorierung nicht tätig wird.28
Eine Strafbarkeit des Beraters entfällt auch dann, wenn er
sein Mandat rechtzeitig (vor Eintritt der objektiven Strafbarkeitsbedingung) niederlegt.29
Sehr problematisch sind Fallgestaltungen im Rahmen des
§ 322 HGB zu beurteilen.
Gem. § 332 Abs. 1 HGB hat der Abschlussprüfer das Ergebnis der Prüfung in einem Bestätigungsvermerk zum Jahresabschluss oder zum Konzernabschluss zusammenzufassen.
Der Bestätigungsvermerk hat Gegenstand, Art und Umfang
der Prüfung zu beschreiben und dabei die angewandten
Rechnungslegungs- und Prüfungsgrundsätze anzugeben; er
hat ferner eine Beurteilung des Prüfungsergebnisses zu enthalten. Nach Abs. 2 des § 322 HGB soll die Beurteilung des
Prüfungsergebnisses allgemein verständlich und problemorientiert unter Berücksichtigung des Umstands erfolgen,
dass die gesetzlichen Vertreter den Abschluss zu verantworten haben.
In der Praxis sind Fälle denkbar, in denen der Prüfer z.B.
von einer Fortführungsfähigkeit des Unternehmens ausgeht,
obwohl diese nicht mehr gegeben ist. Grds. hat der Berater
die gesetzliche Pflicht, auf Risiken die den Fortbestand des
Unternehmens oder eines Konzernunternehmens gefährden
gesondert einzugehen (§ 322 Abs. 2 StGB).
Die entscheidende Frage ist nun, ob dies strafrechtliche
Konsequenzen in Form der Beihilfe oder Anstiftung zur Folge haben kann.
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Die Anstiftung scheidet i.d.R. beim Prüfer aus, da er nicht
vorsätzlich falsch berichtet und der Bericht nicht mit dem
Ziel gefertigt wurde, den Weg für eine Insolvenzverschleppung zu bereiten.
Auch die Beihilfe kommt in diesem Fall nicht in Betracht, da
dies voraussetzen würde, dass der Geschäftsführer vorsätzlich eine Insolvenzverschleppung begehen würde. Dieser
Nachweis dürfte aber kaum zu erbringen sein, wenn seitens
des Prüfers nicht nur eine Gefälligkeitsprüfung vorgenommen wurde. Aufgrund des Berichts des Prüfers liegt beim
Geschäftsführer vielmehr ein Tatbestandsirrtum vor, da er
einen Umstand – die Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung – bei der Begehung der Tat nicht kannte. Insofern
kommt auch keine Beihilfe in Betracht, da der Vorsatz bei
der Haupttat wegen des Tatbestandsirrtums ausscheidet.30
III. Strafbarkeit des Beraters bei Bankrott­
delikten
Die Strafvorschrift des § 283 StGB kann auch für Berater
durchaus strafrechtliche Bedeutung erlangen. Nach § 283
Abs. 1 StGB ist zu bestrafen wer bei Überschuldung oder
bei drohender oder eingetretener Zahlungsunfähigkeit
1. Bestandteile seines Vermögens, die im Fall der Eröffnung des Insolvenzverfahrens zur Insolvenzmasse gehören, beiseite schafft oder verheimlicht oder in einer den
Anforderungen einer ordnungsgemäßen Wirtschaft widersprechenden Weise zerstört, beschädigt oder unbrauchbar macht,
2. in einer den Anforderungen einer ordnungsgemäßen
Wirtschaft widersprechenden Weise Verlust- oder Spekulationsgeschäfte oder Differenzgeschäfte mit Waren
oder Wertpapieren eingeht oder durch unwirtschaftliche
Ausgaben, Spiel oder Wette übermäßige Beträge verbraucht oder schuldig wird,
3. Waren oder Wertpapiere auf Kredit beschafft und sie
oder die aus diesen Waren hergestellten Sachen erheblich unter ihrem Wert in einer den Anforderungen einer
ordnungsgemäßen Wirtschaft widersprechenden Weise
veräußert oder sonst abgibt,
4. Rechte anderer vortäuscht oder erdichtete Rechte anerkennt,
5. Handelsbücher, zu deren Führung er gesetzlich verpflichtet ist, zu führen unterlässt oder so führt oder verändert, dass die Übersicht über seinen Vermögensstand
erschwert wird,
6. Handelsbücher oder sonstige Unterlagen, zu deren
Aufbewahrung ein Kaufmann nach Handelsrecht verpflichtet ist, vor Ablauf der für Buchführungspflichtige
27 Vgl. § 1 BRAO und die entsprechenden Kommentierungen hierzu.
28 Vgl. Bauer (Fn. 18), Rn. 483.
29 Ähnlich HambKomm-InsO/Borchardt, § 283 StGB Rn. 53 unter Hinweis
auf Weyand, Insolvenzdelikte, Rn. 167.
30 So auch Reck, ZInsO 2000, 121, 125.
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be­stehenden Aufbewahrungsfristen beiseite schafft,
verheimlicht, zerstört oder beschädigt und dadurch die
Übersicht über seinen Vermögensstand erschwert,
7. entgegen dem Handelsrecht
a) Bilanzen so aufstellt, dass die Übersicht über seinen
Vermögensstand erschwert wird, oder
b) es unterlässt, die Bilanz seines Vermögens oder das
Inventar in der vorgeschriebenen Zeit aufzustellen,
oder
8. in einer anderen, den Anforderungen einer ordnungsgemäßen Wirtschaft grob widersprechenden Weise seinen
Vermögensstand verringert oder seine wirklichen geschäftlichen Verhältnisse verheimlicht oder verschleiert.
Eine etwaige Strafbarkeit als Täter oder Teilnehmer ergibt
sich nach allgemeinen strafrechtlichen Abgrenzungskrite­
rien.31 In vielen Fällen ermöglicht erst die Rechtskenntnis
des Beraters die Bankrotthandlung des Schuldners. So ist ein
Rechtsanwalt oder Steuerberater gem. Abs. 1 Nr. 1 StGB wegen Beiseiteschaffens strafbar durch Zurverfügungstellen
von Sicherungsübereignungsverträgen, die absprachegemäß
rückdatiert werden.32 Die Zurückbehaltung von Unterlagen
des Schuldners wegen ausstehender Honorarzahlungen erfüllt den Tatbestand des § 283 Abs. 1 Nr. 5 und 7 StGB.
IV. Zivilrechtliche Risiken
Neben den strafrechtlichen Risiken bestehen für die Berater
auch erhebliche Haftungsrisiken bei fehlerhafter Beratung
der Organe von Krisenunternehmen. Vor allem bei der Frage, ob es sich bei der Sanierungsberatung um eine unzulässige Rechtsberatung handelt, ergeben sich Abgrenzungsschwierigkeiten.
Die Rechtsprechung hat bisher zu diesem Fragenkomplex
nur vereinzelt Stellung genommen. Danach werden bspw.
außergerichtliche Vergleichsverhandlungen durch einen
Steuerberater als unzulässige Rechtsberatung angesehen.33
Andererseits stellen sich Verhandlungen mit Gläubigern im
Rahmen eines Sanierungsversuchs, um deren Zustimmung
zu einem Zwangsvergleich zu erhalten, als eine Besorgung
von Rechtsangelegenheiten dar.34 Keine unzulässige Rechtsberatung liegt vor, wenn ein Wirtschaftsprüfer im Rahmen
einer Sanierungsprüfung und der Entwicklung eines Sanierungskonzepts Sanierungsverhandlungen mit Großgläubigern führt, weil hier wohl die Wirtschaftsberatung im Vordergrund steht.35
Auch die Falschberatung eines Geschäftsführers in der Krise
der GmbH bietet erhebliches Haftungspotenzial, das weit über
die Krisenberatung hinausgeht. Ein Steuerberater, der ein umfassendes Mandat und deshalb Einblick in die wirtschaftlichen
Verhältnisse des Mandaanten hat, ist aufgrund des Beratungsvertrags zu umfassender Beratung verpflichtet.36 Der Berater
mit umfassendem Mandat ist verpflichtet, den Mandanten
auch ungefragt über die im Rahmen der Auftragserledigung
auftauchenden Probleme und Erkenntnisse zu belehren. Er hat
erforderlichenfalls Warnhinweise zu geben.37
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Besondere Haftungsrisiken ergeben sich bei der Feststellung eines Insolvenzgrundes bei einer antragspflichtigen
Gesellschaft. Stellt der Sanierungsberater fest, dass ein zum
Insolvenzantrag verpflichtender Insolvenzgrund (Zahlungsunfähigkeit/Überschuldung) bereits vorliegt, hat er die organschaftlichen Vertreter auf die gesetzliche Antragspflicht
hinzuweisen und auch darauf, dass Sanierungsbemühungen
die gesetzliche Antragspflicht nicht beseitigen.
Besonders haftungsträchtig ist die Beratung eines Krisenunternehmens hinsichtlich der Feststellung der Überschuldung.
Obwohl der BGH in einem grundlegenden Urteil entschieden hat, dass die Forderungen eines Gesellschafters auf
Rückgewähr Eigenkapital ersetzender Leistungen im Überschuldungsstatus grds. zu passivieren sind,38 ist die Frage
der „Tiefe des Rangrücktritts“ nach wie vor umstritten, insbesondere, ob der Rangrücktritt in den Rang der §§ 39
Abs. 1 Nr. 5, 39 Abs. 2 oder 199 Satz 2 InsO zu erfolgen hat.
Vor diesem Hintergrund ist dem Sanierungsberater zu em­
pfehlen, den Rangrücktritt des Gesellschafters so zu erklären, dass der Gesellschafter-Gläubiger erst nach Befriedigung sämtlicher Gesellschaftsgläubiger und – bis zur
Abwendung der Krise – nicht vor, sondern nur zugleich mit
den Einlagerückgewähransprüchen seiner Mitgesellschafter
berücksichtigt wird. Dies entspricht letztlich dem Rang des
§ 199 Satz 2 InsO.39
Eine Haftung wegen fehlerhafter Beratung kommt auch in Betracht, wenn der Sanierungsberater die Gefahren einer späteren Insolvenzanfechtung nach den §§ 129 ff. InsO übersieht.
Die bloße Sanierungshoffnung schließt den Beteiligungsvorsatz nicht ohne Weiteres aus.40 Ein ernsthafter Sanierungsversuch kann jedoch eine unmittelbare Gläubigerbenachteiligung
selbst dann ausschließen, wenn er letztlich scheitert.41
Haftungsgefahren drohen auch einem Unternehmensberater, der die Geschäftsführung eines sanierungsbedürftigen
Unternehmens übernimmt und bei Vertragsverhandlungen,
die er als Vertreter des Unternehmens mit Dritten führt, auf
seine früheren Sanierungserfolge hinweist. In einem solchen Fall nimmt der Berater besonderes persönliches Vertrauen in Anspruch und kann deswegen bei Pflichtverletzung selbst aus Verschulden bei Vertragsschluss haften.42
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Vgl. hierzu Sundermeyer/Gruber, DStR 2000, 929.
HambKomm-InsO/Borchardt, § 283 StGB Rn. 53.
BGH, NJW 1962, 807.
BGH, NJW 1988, 561 = LNR 1987, 13097.
Vgl. Ehlers, DStR 1999, 461, 463; Hölzle, DStR 2003, 2075.
BGH, DStR 1998, 334 = LNR 1997, 11229; BGH, WM 1997, 321 = LNR
1996, 14679.
BGH, DB 1991, 1374 = LNR 1991, 14489; OLG Düsseldorf, DStR 1991,
188.
BGH, ZInsO 2001, 260.
So auch Uhlenbruck (Fn. 2), § 5 Rn. 6 m.w.N.
BGH, ZInsO 1999, 165.
BGH, ZIP 1998, 248, 251 = LNR 1997, 13877.
BGH, NJW 1990, 1907.
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V. Haftungstatbestände des Insolvenzverwalters
Während die strafrechtliche Verantwortlichkeit von Geschäftsführern und auch Beratern während der Krise und der
Sanierung zwischenzeitlich in den Fokus der Strafverfolgungsbehörden gerückt ist, wird eine etwaige Verantwortlichkeit des Insolvenzverwalters im Rahmen des Insolvenzverfahrens nur ansatzweise diskutiert. Dabei kommen neben
der Verletzung von Buchführungs- und Bilanzierungspflichten auch die klassischen strafrechtlichen Betrugs- oder Untreuetatbestände in Betracht.
Abb.: Strafbarkeitsrisiken für Insolvenzverwalter
1. Buchführungs- und Bilanzierungsdelikte
Ausgangspunkt einer etwaigen Strafbarkeit des Insolvenzverwalters ist zunächst die Vorschrift des § 155 InsO.
Nach § 155 Abs. 1 InsO bleiben in einem Insolvenzverfahren zunächst die handels- und steuerrechtlichen Pflichten
des Schuldners zur Buchführung und zur Rechnungslegung
unberührt. In Bezug auf die Insolvenzmasse hat der Insolvenzverwalter diese Pflichten zu erfüllen (§ 155 Abs. 1
Satz 2 InsO). Damit hat der Gesetzgeber zunächst klargestellt, dass die handelsrechtlichen Pflichten der Buchführung und Bilanzierung – neben den steuerlichen Pflichten –
dem Insolvenzverwalter voll inhaltlich obliegen, wobei
allerdings zu prüfen ist, ob das schuldnerische Unternehmen noch diesen Pflichten unterliegt.43
Der Gesetzgeber folgt damit in § 155 InsO der sog. „dualen
Betrachtungsweise“, wonach der Verwalter zwei getrennte
Rechenwerke zu erstellen hat. Zum einen handelt es sich um
die Verpflichtung des Verwaltens fremden Vermögens im
engeren Sinne (§ 66 InsO) und zum anderen um die Erfüllung der handelsrechtlichen Rechnungslegungspflichten des
Unternehmens.44
Daraus folgt, dass die grundsätzliche Verantwortlichkeit
hinsichtlich der Verletzung von Buchführungspflichten den
Insolvenzverwalter trifft. Insoweit ist das Unterlassen der
Erstellung bzw. die verspätete Erstellung dieser (Handels-)
Bilanzen und der Führung der Bücher durch den Insolvenzverwalter gem. §§ 283 Abs. 1 Nr. 5 – 7, Abs. 6, 283b, 14
Abs. 1 Nr. 3 StGB grds. mit Strafe bedroht.
ZInsO 45/2010
Allerdings muss differenziert werden: Zur Aufarbeitung der
Buchhaltung aus der Zeit vor Insolvenzeröffnung ist der Insolvenzverwalter nicht verpflichtet, wenn die vorhandene
Masse nicht ausreicht oder die Aufarbeitung sinnlos ist.45
Für die Zeit nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens ist der
Insolvenzverwalter zur internen und externen Rechnungslegung (§§ 151 – 155 InsO) verpflichtet. Allerdings wird seine
strafrechtliche Verantwortung hinsichtlich der Buchführungspflichten gem. § 155 InsO durch die finanziellen und
zeitlichen Möglichkeiten zur Buchführung eingeschränkt.46
Sind allerdings für die Erfüllung der Buchführungs- und
Rechnungslegungspflichten hinreichende Geldmittel vorhanden, muss der (vorläufige und endgültige) Insolvenz­
verwalter die vorhandenen Geldmittel vorrangig für die
­Erfüllung der Buchführungs- und Bilanzierungspflichten
verwenden.47 Im Hinblick auf die ausdrückliche Normierung
in § 155 Abs. 1 Satz 2 InsO bedeutet dies, dass der Verwalter
die Buchführungs- und Rechnungslegungspflichten sogar
vorrangig vor allen anderen Pflichten erfüllen muss.
Z.T. wird sogar die Ansicht vertreten, dass selbst Massearmut den Insolvenzverwalter grds. nicht von seiner handelsund steuerrechtlichen Buchführungs- und Rechnungslegungsverpflichtung entbinden kann. Begründet wird dies
damit, dass die Buchführungspflicht an die Kaufmannseigenschaft anknüpfe und darüber hinaus dem Insolvenzgericht die ihm obliegende Prüfung der materiellen Richtigkeit der Schlussrechnung des Verwalters nicht möglich sei.48
Dieser Auffassung kann aus mehreren Gründen nicht gefolgt werden. Die Vorschrift des § 155 InsO betrifft nur die
handels- und steuerrechtliche Rechnungslegung. Wenn
durch die besondere Art der Verfahrensabwicklung keine
der handels- und steuerrechtlichen Rechnungslegungszwecke erfüllt werden können, verfehlt diese Rechnungslegung
ihren Zweck.49
Handelt es sich jedoch nicht um ein massearmes Verfahren,
d.h. sind ausreichende Geldmittel vorhanden, trifft den Insolvenzverwalter die handels- und steuerrechtlichen Buchführungs- und Rechnungslegungspflichten des § 155 InsO.
Hierbei muss er auch § 155 Abs. 2 Satz 1 InsO beachten,
wonach mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens ein neues Geschäftsjahr beginnt. Damit ist klargestellt, das für das
alte (Rumpf-)Geschäftsjahr gem. § 242 Abs. 1 HGB ein
vollständiger Jahresabschluss auf den Tag der Insolvenzeröffnung zu erstellen ist, die mit der Eröffnungsbilanz inhaltlich identisch ist.50
43 Vgl. Richter (Fn. 9), S. 324, 325.
44 HambKomm-InsO/Weitzmann, § 155 Rn. 2 m.w.N.
45 So z.B. HambKomm-InsO/Borchardt, § 283 StGB Rn. 56 unter Hinweis
auf Uhlenbruck/Wans, § 155 InsO Rn. 3.
46 So z.B. HambKomm-InsO/Borchardt, § 283 StGB Rn. 56.
47 Richter (Fn. 43), S. 240 m.w.N.
48 Vgl. zum Meinungsstand HambKomm-InsO/Weitzmann, § 155 Rn. 5
m.z.N.
49 So zutreffend HambKomm-InsO/Weitzmann, § 155 Rn. 5 m.w.N.
50 Andres, in: Nerlich/Römermann, InsO, § 155 Rn. 19 ff.
ZInsO 45/2010
ZInsO-Aufsätze
Für den vorläufigen Insolvenzverwalter ist außerdem auf die
Pflicht zur Erstellung der Liquidationseröffnungsbilanz
gem. § 71 Abs. 1 GmbHG hinzuweisen. Denn nach Abs. 1
dieser Vorschrift haben die Liquidatoren für den Beginn der
Liquidation eine Bilanz (Eröffnungsbilanz) und einen die
Eröffnungsbilanz erläuternden Bericht sowie für den
Schluss eines jeden Jahres einen Jahresabschluss und einen
Lagebericht aufzustellen. Die Norm gilt auch für den vorläufigen Verwalter. Diese Bilanzen sind in der „einem ordnungsgemäßen Geschäftsgang entsprechenden Zeit“ aufzustellen, wobei grds. von höchstens 3 Monaten auszugehen
ist.51
2. Bankrottdelikte
Bei der Frage einer etwaigen Strafbarkeit des Insolvenzverwalters muss zunächst zwischen dem schwachen vorläufigen und starken vorläufigen Insolvenzverwalter unterschieden werden.
Gem. § 21 Abs. 2 Nr. 2, 2. Alt. InsO kann das Insolvenzgericht dem Schuldner ein allgemeines Verfügungsverbot auferlegen oder anordnen, dass Verfügungen des Schuldners
nur mit Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters
wirksam sind. Der schwache vorläufige Insolvenzverwalter
hat regelmäßig keine Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis.
Verweigert also der vorläufige Verwalter die Zustimmung
zu strafbewehrten Pflichten des Schuldners, ist er mangels
Haupttat nicht als Teilnehmer strafbar.52
Ob eine Strafbarkeit als Täter in Betracht kommt, wird unterschiedlich beurteilt. Dann müsste das strafrechtliche
Handeln des Schuldners dem vorläufigen Verwalter als Täter gem. § 14 Abs. 2, 1. Alt. bzw. 2. Alt. StGB zugerechnet
werden. Denn ist jemand von dem Inhaber eines Betriebs
oder einem sonst dazu Befugten
1. beauftragt, den Betrieb ganz oder z.T. zu leiten, oder
2. ausdrücklich beauftragt, in eigener Verantwortung Aufgaben wahrzunehmen, die dem Inhaber des Betriebs obliegen,
und handelt er aufgrund dieses Auftrags, so ist ein Gesetz,
nach dem besondere persönliche Merkmale die Strafbarkeit
begründen, auch auf den Beauftragten anzuwenden, wenn
diese Merkmale zwar nicht bei ihm, aber bei dem Inhaber
des Betriebs vorliegen.
Aufseiten des vorläufigen schwachen Verwalters fehlt es
aber an seiner Tätereigenschaft, da die von § 14 Abs. 2 geforderte Betriebsleitung (1. Alt.) oder Eigenverantwortung
(2. Alt.) gesetzlich gerade nicht vorgesehen ist. Dies ergibt
sich aus dem eindeutigen Wortlaut des § 22 Abs. 1 Nr. 2
InsO, wonach nur der sog. starke vorläufige Insolvenzverwalter das insolvente Unternehmen fortzuführen hat. Die
überwiegende Auffassung kommt daher zu einer Straffreiheit des schwachen vorläufigen Verwalters.53
2079
Anders verhält es sich aber beim starken vorläufigen Insolvenzverwalter. Dieser ist aufgrund des allgemeinen Verfügungsverbots gem. § 21 Abs. 2 Nr. 2, 1. Alt. InsO dem endgültigen Insolvenzverwalter praktisch gleichgestellt, sodass
sich die Ausführungen zur Strafbarkeit entsprechen.54
3. Zur Strafbarkeit wegen Untreue gem. § 266
StGB
Eine Strafbarkeit des (vorläufigen) Insolvenzverwalters wegen Untreue (§ 266 StGB) kann dann in Betracht kommen,
wenn er seine gesetzlichen Treuepflichten verletzt. Dabei ist
zunächst zu prüfen, wem gegenüber und in welchem Umfang der Insolvenzverwalter eine Vermögensbetreuungspflicht hat. Diese liegt ganz allgemein dann vor, wenn jemand aufgrund einer konkreten Pflicht zur Wahrnehmung
fremder Vermögensinteressen verpflichtet ist. Nach überwiegender Ansicht in Rechtsprechung und Literatur muss es
sich um eine Hauptpflicht oder zumindest um eine wesentliche Pflicht von einiger Dauer und einem gewissen Umfang
handeln.55 Der Täter muss seine Obliegenheiten in gravierender Art und Weise verletzen, wobei die Beurteilung, welche Verstöße „gravierend“ in diesem Sinne sind, strikt einzelfallbezogen zu erfolgen hat und somit recht schwierig
sein kann.56
Besondere Ausprägung erfährt die erweiterte Schutzfunk­
tion des § 266 StGB zugunsten der Gläubiger nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens durch die Treuepflicht des
Insolvenzverwalters. Grds. bezieht sich diese Treuepflicht
auf das anvertraute Vermögen des Schuldners und sie besteht gegenüber den Insolvenzgläubigern (§ 38 InsO), den
Massegläubigern (§ 53 InsO) und den sonstigen Berechtigten, insbesondere Absonderungsberechtigten (§§ 49 – 53
InsO).57 Die Verletzung der Treuepflichten durch den Insolvenzverwalter hängt im Wesentlichen von den Bindungen
ab, denen der vorläufige oder endgültige Verwalter im Innenverhältnis unterliegt.
Im Bezug auf den sog. schwachen vorläufigen Insolvenzverwalter mit Zustimmungsvorbehalt gem. § 21 Abs. 2 Nr. 2, 2.
Alt. InsO wird nach überwiegender Ansicht eine Vermögensbetreuungspflicht des vorläufigen Verwalters nicht begründet.58 Begründet wird dies damit, dass die Kriterien für
die Feststellung einer Treuepflicht aufseiten des schwachen
vorläufigen Verwalters – nämlich ein hohes Maß an Selbstständigkeit, die wirtschaftliche Bedeutung der Tätigkeit und
die Dauer – regelmäßig nicht erfüllt sind.59
51 Richter (Fn. 43), S. 240 m.w.N.
52 So z.B. HambKomm-InsO/Borchardt, § 283 StGB Rn. 55 m.w.N.
53 So z.B. HambKomm-InsO/Borchardt, § 283 StGB Rn. 55 (a.A. Richter,
NZI 2002, 121, wonach ein Unterlassungsdelikt vorliegt, das über § 14
StGB zugerechnet wird).
54 Vgl. hierzu auch HambKomm-InsO/Borchardt, § 283 StGB Rn. 55.
55 Vgl. dazu MünchKomm-StGB/Dierlamm, 2006, Rn. 154 ff. m.w.N.
56 Vgl. Diversy/Weyand, ZInsO 2009, 803.
57 HambKomm-InsO/Borchardt, § 266 StGB Rn. 9.
58 HambKomm-InsO/Borchardt, § 266 StGB Rn. 10 m.w.N.
59 So auch Bittmann/Joecks, Insolvenzstrafrecht, § 23 Rn. 22.
2080
ZInsO-Aufsätze
Anders wird die Strafbarkeit des starken vorläufigen Verwalters gem. § 21 Abs. 2 Nr. 2, 1. Alt. InsO beurteilt. Nach
dieser Vorschrift kann das Insolvenzgericht dem Schuldner
ein allgemeines Verfügungsverbot auferlegen mit der Folge,
dass die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über das
Vermögen des Schuldners auf den vorläufigen Insolvenzverwalter übergeht (§ 22 Abs. 1 Satz 1 InsO) und er somit als
tauglicher Täter des § 266 StGB in Betracht kommt.60
Rechtsprechung und Literatur haben folgende Fallgruppen
für etwaige Pflichtenverstöße des Insolvenzverwalters gebildet:
• masseverkürzende Handlungen, wie Verschleuderung
von Massegegenständen, Beiseiteschaffen von Kundenschecks,
• Verschiebung von Geldern auf das Privatkonto,61
• Nichteinziehung von Masseansprüchen,
• vorsätzliche Befriedigung von Insolvenzforderungen,62
• Befriedigung von Altmassegläubigern nach Anzeige der
Masseunzulänglichkeit nach § 208 InsO63 und
• weitere denkbare Fallgruppen.64
Allerdings werden die hohen Anforderungen an den Nachweis der inneren Tatseite, die die Rechtsprechung beim
ZInsO 45/2010
fremdnützigen Täter verlangt, eine strafbare Untreue des Insolvenzverwalters nur in eng begrenzten Einzelfällen zulassen. Angesichts des weit gefassten Tatbestands hat die
Rechtsprechung in den vergangenen Jahren zunehmend
eine besonders sorgfältige Prüfung verlangt.65
Ganz allgemein lässt sich zu den subjektiven Erfordernissen
festhalten, dass der Täter auf jeden Fall seine besondere
Pflichtenstellung kennen und auch zutreffend einordnen
muss. Der konkrete Pflichtverstoß muss von seinem Vorsatz
umfasst sein.66
Angesichts dieser von der Rechtsprechung aufgestellten
Kriterien wird der Nachweis des subjektiven Untreuetatbestands des § 266 StGB und somit die Strafbarkeit des Insolvenzverwalters nur bei eindeutig treuwidrigem Handeln wie
z.B. eigennützige Vermögensverschiebungen oder sinnlose
Verschleuderung von Massegegenständen möglich sein.
60 Vgl. Stree/Lenkner/Perron, in: Schönke/Schröder, StGB, § 266 Rn. 25
m.w.N.
61 Vgl. Schramm, NStZ 2000, 399.
62 Zu diesem Komplex, vgl. ausführlich HambKomm-InsO/Borchardt, § 266
StGB Rn. 15 m.w.N.
63 HambKomm-InsO/Borchardt, § 266 StGB Rn. 16a.
64 Vgl. eingehend Diversy/Weyand, ZInsO 2009, 806, 809.
65 S. hierzu BGH, Urt. v. 26.8.2003, wistra 2003, 463 = LNR 2003, 22048.
66 Vgl. Diversy/Weyand, ZInsO 2009, 806.
Insolvenzverfahren und Gewerbeuntersagung – Probleme bei Freigabe eines Gewerbebetriebes
von Thomas Mühlmann, Forchheim
Übt ein Schuldner, über dessen Vermögen ein Insolvenzverfahren eröffnet wurde, eine selbstständige Tätigkeit aus, erklären
Insolvenzverwalter vermehrt die „Freigabe“ nach § 35 Abs. 2 InsO mit der Folge, dass Steueransprüche für die Zeit nach
der Erklärung gegen das insolvenzfreie Vermögen durchzusetzen sind. Der Autor behandelt die Frage, ob ein Gewerbeuntersagungsverfahren möglich ist, wenn nach der „Freigabe“ der Schuldner mit Steuerzahlungen in Verzug ist.
I. Praxisfall
II. Gesetzliche Grundlagen
Der Steuerpflichtige (natürliche Person) betreibt einen
Handwerksbetrieb. Aus dieser Tätigkeit resultierten Rückstände an Betriebsteuern i.H.v. 50.000 €. Über das Vermögen des Steuerpflichtigen wurde ein Insolvenzverfahren eröffnet. Der Insolvenzverwalter erklärte nach § 35 Abs. 2
InsO, dass das Vermögen aus dieser selbstständigen Tätigkeit des Schuldners nicht zur Insolvenzmasse gehört („Freigabe des Gewerbebetriebs“). Auch gegenwärtig leistet der
Steuerpflichtige Steuerzahlungen nur schleppend bzw. nicht,
sodass erneut weitere Steuerrückstände i.H.v. 20.000 € auflaufen. Vollstreckungsmaßnahmen gegen das insolvenzfreie
Vermögen führen nicht zu einer Reduzierung der Steuerschulden. Das Finanzamt sieht als Möglichkeit, das weitere
Ansteigen der Steuerrückstände zu verhindern, die Gewerbeuntersagung.
Nach § 35 GewO ist die Ausübung eines Gewerbes von der
zuständigen Behörde ganz oder teilweise zu untersagen,
wenn Tatsachen vorliegen, welche die Unzuverlässigkeit
des Gewerbetreibenden dartun, sofern die Untersagung zum
Schutze der Allgemeinheit oder der im Betrieb Beschäftigten erforderlich ist. Die gewerberechtliche Unzuverlässigkeit kann auch aus steuerrechtlichen Sachverhalten hergeleitet werden. Die Gewerbebehörden sind verpflichtet, mit
den Mitteln der Gewerbeuntersagung gegen solche Gewerbetreibende einzuschreiten, die ihre steuerlichen Pflichten
nicht erfüllen, um so das Vertrauen der Allgemeinheit auf
die Redlichkeit des Geschäftsverkehrs und die ordnungsgemäße Arbeit der Gewerbebehörden zu bewahren.1
1
BMF-Schreiben v. 17.12.2004, BStBl. I, S. 1178.