MIR NACH! - Politikorange

Transcrição

MIR NACH! - Politikorange
»Sozial?«
»Parteitagshausen«
»Fürs Leben«
Auf der Suche nach dem sozialen
Gewissen der CDU. 3
Beobachtungen aus der Stadt
von 1001 Delegierten. 8
politikorange-Gespräch mit JUChef Philipp Mißfelder. 11
1. bis 2. Dezember 2003, Leipzig
Zeitung zum CDU-Bundesparteitag
politik orange
MIR NACH !
Ohne große Aufregung vollzieht die CDU in Leipzig die Kehrtwende in der Steuerund Sozialpolitik. Von Eva Kopytto und Hans Heyn
>> Neuer Kurs:
Unter Angela Merkels
Regie schnürte die
CDU in Leipzig das
größte Reformpaket
ihrer Geschichte.
Als Norbert Blüm das Podium betrat,
wehte ein letzter Hauch von Sozialdemokratie durch die Messehalle 2 in
Leipzig. Die Delegierten fröstelten.
Ihm, dem früher die sozialen Herzen
der Partei zuflogen, dem Ovationen
vertraut waren, plätscherte spärlicher
Applaus entgegen. Seine „RambaZamba“-Rede gegen Merkel, Merz
und Herzog bildete den Höhepunkt,
den Gipfel des Spannungbogens des
17. CDU-Parteitags nach der Wende.
Nein, spannend war er nicht der
Leipziger CDU-Parteitag. Zu keiner
Zeit deutete sich eine wirkliche Kontroverse, ein Bruch in der Parteitagsregie an. Abwinken und nach
Hause fahren, zwischendurch ein
paar Häppchen und ein sächsisches
Pils. Das war‘s. Sagen auch Kenner
der Partei. Gerhard Pfeffermann,
ehemalige Staatssekretär im Bundespostministerium mit einer Erfahrung
von weit über dreißig Parteitagen,
meinte: „Spannend ist der Parteitag
nicht, aber entscheidend.“
Entscheidend war er wirklich. Für
die Union und vielleicht auch für
Deutschland, sollte die CDU 2006 die
Regierung Schröder ablösen können.
Der Parteitag zählt zu den bedeutendsten in der CDU-Geschichte. Mit
ihm vollzieht die Partei die große
Kehrtwende in der Steuergesetzgebung sowie der Gesundheits- und
Sozialpolitik.
Mit den Beschlüssen der CDU und
der Agenda 2010 der SPD marschieren die beiden großen Parteien nun
auf unterschiedlichen Wegen in dieselbe Richtung, die, so fürchten nicht
wenige, zum Ende des Sozialstaats
führt.
Die CDU-Führung sieht das anders
und setzt bewusst auf Eigenverantwortung der Bürger. Seit dem
Parteitag wird sie von der Christlichen
Demokratischen Arbeitnehmerschaft
unterstützt, die es
nach eigener Aussage
geschafft hat, die Herzog-Vorschläge soweit
abzumildern, dass die
>> Eisiger Wind: Bei Norbert Blüms Rede
sozial Schwachen nicht
fröstelten die Delegierten.
benachteiligt werden.
Niemand soll mehr als 15 Prozent vor der Union. Das wissen auch die
seines Bruttolohnes für die Gesund- Delegierten. Eher mechanisch als
heit aufbringen müssen. Wie das enthusiastisch winkten sie Hunderte
die CDU finanzieren will, hat sie in von Reformanträgen durch. Für viele
war es ein Arbeitsparteitag, für Angela
Leipzig nicht verraten.
Doch die Zahlen interessieren nicht, Merkel „das größte und umfassendwenn es, so zumindest der Reformer ste Reformpaket“, das die CDU je
Friedrich Merz, um ein „Ende der geschnürt hat. Ein Reformpaket, das
Vollkasko-Mentalität“ und einen ebenso notwendig wie richtungwei„grundlegenden Mentalitätswechsel“ send ist.
Und für Norbert Blüm war es wahrgeht. Die Junge Union folgt im
Gleichschritt und lobt gerne das scheinlich der letzte große Auftritt auf
Prämienmodell, wenn Herr Merz im einem CDU-Parteitag. Spektakulärer
wäre sein Abgang nur gewesen, hätte
Raum ist.
Das Tor ist zwar auf diesem Partei- er beim Sachsenabend noch auf der
tag geöffnet worden, aber der lange Tanzfläche zu „Killing me softly“
Weg der Umsetzung liegt erst noch seinen Abschied getanzt.
02 konzentrat
politik orange
saftig
Ungewöhnliche Geständnisse am Rande des
CDU-Parteitags: Peter Hintze will in Zukunft
weniger Lebkuchen essen. Auch Roland Koch
gibt zu, dass er schlanker werden muss.
Laurenz Meyer weiß, dass er mit dem Rauchen aufhören sollte. Und Jürgen Rüttgers
braucht noch ein Dreivierteljahr, um endlich
fünf Lampen und ein Brett im Badezimmer
anzubringen. Manchmal muss man einfach
nur die richtigen Fragen stellen, dann geraten die Politiker ins Plaudern. Offenbar den
Nerv getroffen haben die 20 jungen Medienmacher, die auf dem CDU-Bundesparteitag
in Leipzig eine Jugendpresselounge veranstalteten. „Was muss bei Ihnen zuhause
reformiert werden?“ wollten die 15- bis
25-Jährigen in ihrer Umfrage wissen - und
erhielten die zitierten, offenherzigen Antworten.
Den jungen Redakteuren aus ganz Deutschland ging es aber nicht nur darum, private
Einsichten zu gewinnen - sie wollten vor
allem einen Parteitag einmal live vor Ort
erleben, wollten die politischen Themen
besser verstehen, um sie dann journalistisch
bearbeiten zu können. „politikorange“ heißt
die Veranstaltungszeitung der jungen Redakteure für (nicht nur) junge Leser, die
in einer Auflage von 20.000 Stück erschienen ist und an Interessierte - vor allem
Schülerzeitungsredakteure - in der ganzen
Republik verschickt wurde. Organisiert hat
diese Jugendpresselounge die Jugendpresse
Deutschland in Kooperation mit der Pressestelle der CDU, der Journalistenakademie
der Konrad-Adenauer-Stiftung und der
Jungen Union.
Die Institution der Jugendpresselounge ist
jedoch überparteilich. So wurde auch auf
dem SPD-Parteitag in Bochum und auf
der Bundesdelegiertenkonferenz von Bündnis
90/Die Grünen eine Lounge erfolgreich
organisiert. Die Redaktion konnte deshalb
auch unabhängig arbeiten und ihre eigene,
jugendlich kritische Herangehensweise an
den Parteitag finden (eine Auswahl der
politikorange-Artikel ist auch unter http://
cdu.yaez.de nachzulesen). So suchte Jan
Hendrik Peters das soziale Gewissen der
CDU und fand den Slogan: „Sozial ist, was
Arbeit schafft!“ So musste Hans Heyn feststellen, dass der Kinderhort auf dem CDUParteitag weitgehend ungenutzt ist. Tobias
Hentze versuchte, die Gesundheitsprämie zu
verstehen. Und Stefanie Blohmer traf die Les-
ben- und Schwulenunion, die erstmals auf einem Bundesparteitag
mit einem eigenen Stand vertreten
war.
In der Jugendpresselounge - einem
großen Redaktionsraum in der
Pressehalle - fanden sich auch pro-
minente Politiker zum Interview ein.
JU-Chef Philipp Mißfelder forderte
Chancengleichheit für seine Generation und erfuhr anschließend aus
dem Munde von Friedrich Merz,
dass der doch relativ wenig Angst
vor der Jungen Union hat - vermutlich, weil er selbst mal drin war.
Mehr Infos sind unter
www.jugendpresse.de und
www.politikorange.de zu finden.
multivitamin 03
Zeitung zum CDU-Bundesparteitag
1. bis 2. Dezember 2003, Leipzig
ANGIE IM CHE GUEVARA-SHIRT
Jan Hendrik Peters sucht das soziale Gewissen der CDU
>> Auf der Suche
nach dem sozialen
Gewissen der CDU:
Vielleicht versteckt es
sich unter der Treppe
(links), vielleicht in der
Mülltonne (oben), vielleicht findet es sich
auch bei der Suchmaschine google.
Der Ort: Leipzig
Die Zeit: 1./2. Dezember 2003
Die Aufgabe: Finde das soziale Gewissen
der CDU!
Gesagt, getan. Aber wo soll ich zuerst
suchen? Am besten, ich frag erstmal `n paar
Lobbyisten und Delegierte. Sehr sinnvoll
das Ganze. Die tun gerade so, als ob sie
noch nie was vom sozialen Gewissen der
CDU gehört hätten! Sie denken teilweise
sogar, ich wollte sie veräppeln. Ist die
Frage wirklich so abwegig? Vielleicht
kann mir der Typ am Infostand der CDU
weiterhelfen. Auf meine Frage, wo ich das
soziale Gewissen finde, drückt er mir `n
leeren Block in die Hand. „Dadrin“ sei
es, sagt er mir. In `nem leeren Block. Also
mit Geheimtinte geschrieben, unsichtbar
für harmlose Nachwuchsjournalisten?
Sicher.
Das Gewissen muss doch hier irgendwo
auf dem Parteitag sein! Also suche ich
weiter. Im Namen der Presse. Für die
Allgemeinheit. Für eine bessere Welt. Ja,
wir sind schon toll, wir Journalisten.
Ist es vielleicht bei der CDA? Am Stand
angekommen, werd ich zunächst schief
angeguckt. OK, ich trag keinen Anzug,
sondern `nen roten Pullover, aber bin ich
deswegen gleich verdächtig? Ich stell meine
Frage. Eine einzige, harmlose Frage. Der
Lohn ist ein halbstündiger Vortrag über
Sozialpolitik. Das für mich Relevante lässt
sich dabei auf einen Satz reduzieren: Die
CDA selbst und Nobbi Blüm sind soziales
Gewissen der CDU! Sind das schon alle?
Nein, weit gefehlt. Laut Pressestelle ist der
ganze CDU-Vorstand soziales Gewissen.
Der Delegierte Jochen-Konrad Fromme
fasst das Ganze noch ein ganz klein wenig
weiter. Auf meine Frage nach dem sozialen
Gewissen drückt er mir ein Büchlein mit
sämtlichen Bundestagsabgeordneten in die
Hand. Der ganze Bundestag also soziales
Gewissen der CDU. Ach so. Klar. Petra
Pau soziales Gewissen der CDU. Wieso
bin ich nicht gleich darauf gekommen?
Hier auf dem Parteitag scheint alles und
jeder ein ausgeprägtes soziales Gewissen
zu haben. Man munkelt, sogar Friedrich
Merz hätte eins. Was sagen Sie? Ich soll
nicht so übertreiben? Okay, okay, ich
seh‘s ja ein.
Aufgrund meiner Recherche frag‘
ich mich allerdings,
warum das neue
Logo der CDU
orange und nicht
knallrot ist - so sozial
wie hier alle drauf
sind... Angie im
Che-Guevara-Shirt,
das wär doch mal
was...
Was? Sie wollen
wissen, was „sozial“
überhaupt ist? Also
wirklich, schämen
Sie sich! Das wird
doch alle Nase lang
verkündet! Sozial ist,
was Arbeit schafft!
Sprayer müssten nach dieser Definition
absolut sozial veranlagt sein. Es ist
schließlich extrem arbeitsaufwändig, die
Graffitis wieder zu entfernen. Der Ruf
nach weniger Bürokratie hingegen ist
demnach absolut ungerechtfertigt. Im
Gegenteil, mehr Bürokratie brauchen wir!
Die Rechnung ist doch ganz einfach: Je
mehr Bürokratie, desto weniger blickt
der einzelne durch. Da er aber auf
viele Sachen angewiesen ist, bedarf es
Sachverständiger, die ihm bei diversen
Anträgen, Erklärungen usw. helfen.
Je mehr Sachverständige, desto mehr
Arbeitsplätze. Ergo: je mehr Bürokratie,
desto mehr Arbeitsplätze. In Sachen
Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen sind
Politiker im übrigen Vorbild. In diversen,
oft sinnlosen Kommissionen beschäftigen
sie sich immer wieder selbst und rechtfertigen so ihr Gehalt.
Doch ich schweife schon wieder ab.
Thema ist ja das soziale Gewissen. Da
in der CDU ja ohnehin alles und jeder
soziales Gewissen zu sein scheint, ist es
selbstverständlich, dass Versuche der CSU,
die CDU links zu überholen, von der
CDU entrüstet zurückgewiesen werden.
Es ist schlichtweg nicht möglich, die CDU
links zu überholen! So sozial wie sie ist.
Die PDS ist nichts dagegen!
Doch halt - müssen wir uns Sorgen
machen? Das Herzog-Papier wird von
nicht wenigen als unsozial bezeichnet.
Droht also der Suizid der sozialsten Partei
aller Zeiten? Nein. Denn wir erinnern uns:
Sozial ist, was Arbeit schafft. Das tut das
Herzog-Konzept ja. Angeblich!
Alles klar also, wir brauchen uns nicht zu
sorgen. Nicht jetzt und nicht in Zukunft.
Denn auch der Nachwuchs steht ganz im
Zeichen des Sozialen. Beispielsweise der
JU-Bundesvorsitzende Philipp Mißfelder.
Sie erinnern sich: der Junge, der die
Hüftgelenksdiskussion entfachte. Interessant wäre die Meinung seiner Oma dazu...
Egal. Auch er bezeichnet sich selbst wie sollte es anders sein - als soziales
Gewissen.
Fazit: Keine Bange. Die CDU ist ein
einziges soziales Gewissen und wird wohl
auch weiter für soziale Politik kämpfen. In
diesem Sinne: Helau und Alaaf, hoch lebe
die Karnevalszeit!
04 obststand
politik orange
>> Von hier wird die Stadt
regiert, in der 1675 Stunden im
Jahr die Sonne scheint: das Neue
Rathaus von Leipzig, oder auch
„Lipzi“, wie die Stadt früher hieß.
HIER BEI MIR
IN LEIPZIG
Eine Stadt wird bevölkert von schwarzen Männern und Frauen und freut sich
über gute Werbung in schweren Zeiten.
Von Pia Dangelmayer
51 Grad nördlicher Breite, 12 Grad
östlicher Länge. In einer Tieflandsbucht
im nordwestlichen Gebiet des Freistaates
Sachsen. Da liege ich, und das nun
schon seit 1015. Anfangs war ich noch
unter dem Namen Lipzi bekannt, aber
in letzter Zeit habe ich meine Identität
nicht mehr verändert. Jedenfalls nicht
namentlich. Ich bin es, Leipzig. Mit
1675 Stunden Sonnenschein im Jahr.
Rund eine Millionen Füße betreten
täglich meinen Boden, mein Territorium,
das 297,5 km² umfasst. Macht 3361
Füße pro Quadratkilometer. Ohne all die
Touristen natürlich, die seit der Wende
meine Attraktionen umlagern. Dort ist
die Dichte der Füße natürlich sehr viel
höher. Vor allem im Moment, denn im
Dezember beherberge ich immer einen
Weihnachtsmarkt. Mitten in meinem
Herzen hat er seinen Platz, eingerahmt
vom Rathaus, der Thomaskirche, der
alten Börse und einer Baustelle.
Dort auf meinem Weihnachtsmarkt
habe ich sie auch zum ersten Mal
entdeckt, die schwarzen Männer und
Frauen. Sie kamen in dunklen Anzügen
und warmen Mänteln, schick sahen
sie aus, manche mit erstem Blick, als
wären sie auf einer wichtigen Mission.
Es waren bestimmt zweitausend von
ihnen unterwegs auf meinen Straßen,
und mit ihnen im Schlepptau kamen
mehr als tausend Menschen, zweitausend
Hände, bewaffnet mit Zettel und Stift,
mit Aufnahmegeräten und sogar mit
Kameras. Ich war auf einen Schlag ausgebucht - wow, 3000 Betten in 25 Hotels,
in denen nun lauter fremde Menschen
schliefen. Und einer meiner Gäste verriet
mir sogar: „Ich habe mich erst letzte
Woche entschieden zu kommen und
konnte nur noch ein Hotel 14 Kilometer
außerhalb finden“. Wahnsinn. Ist denn
schon Olympia? Nein, so schnell ging das
nicht. Es war Parteitag. Bundesparteitag
der CDU. Hier bei mir. Hier in mir.
In Leipzig.
Die CDU im Osten? Warum nicht?
„Das ist schon der zweite CDU-Parteitag
hier in Leipzig“, höre ich Walter Ebert,
Projektleiter der Sonderveranstaltungen
der Leipziger Messe, sagen. Meine Messe
hat einen guten Ruf, und es gäbe viele
Gründe, die mich attraktiv machen,
erlausche ich auch bei Heinrich Tim-
merherm von BMW, die mir im nächsten
Jahr ein Werk schenken werden. „Die
Fähigkeiten des Arbeitsmarktes und der
Ausbildungsstand sprechen eindeutig für
Leipzig“, erzählt er weiter. Und es gäbe
95.000 Bewerbungen auf 5.500 Stellen!
Ich bin ja ganz schön beliebt … Das ehrt
mich natürlich, denn in letzter Zeit hatte
ich es nicht immer leicht. Viele Gerüste
und Baustellen, so mancher bezeichnete
mich als düstere Stadt - und dann, auf der
Höhe meiner Karriere als Bewerber für
die Olympischen Spiele 2012, kam schon
wieder der Fall. Es wurde schlecht von
mir gesprochen, über meine Qualitäten
und die Organisationsprobleme.
Aber so ein Parteitag sei super fürs
Image, hat man mir gesagt. „Das ist eine
Top-Veranstaltung mit einer immensen
Multiplikationswirkung“, meint auch
Ebert. Klingt gut, finde ich. Und immerhin bin ich mehrere Tage hintereinander
in den Nachrichten! Das tut meinem
Ego natürlich gut. Und außerdem gibt
es kaum eine billigere Werbung für
mich. Auch mein Oberbürgermeister
Wolfgang Tiefensee freut sich sehr über
den Parteitag auf meiner Messe, „denn
das zeigt, dass sich die Delegierten beim
letzten Mal hier sehr wohl gefühlt haben,
und sie können mit eigenen Augen
sehen, was aus Leipzig geworden ist und
was noch geschehen muss“.
Aber nutzt mir diese Werbung auch
wirklich? Ich habe aus Neugierde ein
paar Delegierte belauscht, was sie so
über mich wissen und denken (ich weiß,
eigentlich macht man das nicht…).
„Hier drehte sich alles um Bücher und
um die Pelzindustrie“, erzählte ein älterer
Herr, „die Stadt ist aufgeblüht, hier
pulsiert das Leben“, ein anderer. „In
Leipzig waren die Montagsdemos“, weiß
ein Jüngerer, „die Völkerschlacht in
Leipzig steht für Machtpolitik“, „Leipzig
für Olympia“. Unglaublich, so viele
große Ereignisse.
Wer weiß? Wenn ich in ein paar Jahren
noch mal heimlich lausche, denken die
Menschen vielleicht zurück an diesen
Parteitag. Die Reformen der CDU, ein
Parteitag mit „historischer Bedeutung“,
wie CDU-Generalsekretär Laurenz
Mayer sagte. Doch vor allem werden sie
an mich denken, da bin ich mir sicher,
an mich, vor allem an mich.
LONELY JOHANNES
Im Kinderhort des Parteitags ist doppelt so viel zu tun wie beim letzten Mal: statt einem sind dort
nun zwei Kinder! Von Hans Heyn
Johannes Giger zu finden ist nicht
einfach. Abseits des Trubels und gut
abgeschirmt von der Öffentlichkeit
versteckt er sich im ruhigen zweiten Stock
des Gebäudes. Er ist allein, bewacht
von nur einer Person, anscheinend ganz
zufrieden mit der Welt, dem Parteitag
und der Rede von Philipp Mißfelder, die
im Hintergrund auf dem Fernseher
läuft. Johannes liegt strampelnd auf
einem improvisierten Wickeltisch; um
ihn herum etwas Spielzeug, eine Krabbelecke und der vor sich hin brummelnde
Fernseher mit Live-Übertragung in
den Plenarsaal. Mit einem halben Jahr
ist Johannes der jüngste Teilnehmer
des Bundesparteitages der CDU. Sein
Sitzungsraum ist der Kinderhort.
Mehr Kinder braucht das Land, heißt
es in den Reden von Merkel über Herzog
bis zu Meyer, doch Johannes ist einsam.
Nur die Hortmutter und der einjährige
Lukas leisten ihm Gesellschaft. Warum
das so ist, wird bei einem Blick ins
Plenum klar. Die meisten der Delegierten
sind Männer jenseits der 40. Frisch
gebackene Familienväter sehen anders
aus. Die Suche nach Frauen mit kleinen
Kindern gestaltet sich schwierig. Den
Grund dafür kennt Marie-Therese Kastner, selbst Landtagsabgeordnete aus
Nordrhein-Westfalen und vierfache
Mutter. Sie beschreibt den Konflikt
zwischen Kindern und Parteiarbeit als
„existent, aber überwindbar“. Trotzdem
würde sie ihre Kinder nie dem Stress
eines Parteitages aussetzen. Muss sie auch
nicht: In ihrem Haushalt hat der Mann
die Hausschlappen an und „schmeißt
den Laden alleine“.
Johannes‘ Papa hat dagegen nicht
so viel Zeit. Trotzdem kann Mama
Giger engagierte Politikarbeit und
Familie verbinden. Die ausgebildete
Krankengymnastin hat noch zwei weitere
Kinder zu Hause und versteht sich
nicht nur als Mutter, sondern mehr als
Familienmanagerin. Politik läuft bei ihr
eben nicht nur „so nebenbei“.
Dieses Mal, so klärt die Hortmutter
auf, seien auch schon zwei Kinder angemeldet, eines mehr als beim letzten
Mal. Die Augen der Bürokauffrau im
Dienste der CDU mit dem großen Herz
einer Kindergärtnerin funkeln. Eine
Steigerung um 100 Prozent!
obststand 05
Zeitung zum CDU-Bundesparteitag
1. bis 2. Dezember 2003, Leipzig
VÖLLIG LOSGELÖST
Christian Natterer (22), Student aus Freiburg, ist zum ersten Mal stimmberechtigt
auf einem CDU-Parteitag. Von Eva Kopytto
Viele Wege führen bekanntlich nach
Rom. Aber auch in die Politik. Warum
nicht mal aus Trotz zu seinem linksorientierten Bruder in die CDU eintreten?
Dachte sich zumindest Christian Natterer und trat vor fünf Jahren in die Junge
Union ein. Was anfangs Protest war, ist
für den 22-jährigen VWL-Student aus
Freiburg heute vor allem eines: Spaß,
Spaß und nochmal Spaß. Natürlich, so
sagt er, will er auch etwas bewegen, „ein
Stück weit“ zumindest. In Ravensburg
ist er immerhin Kreisgeschäftsführer der
JU Ravensburg. Aber als Delegierter des
Bundesparteitages ist er, wie alle anderen
auch, nur „ein kleines Licht“. Da macht
sich Christian nichts vor.
Sonntag, Leipzig Hauptbahnhof.
Auch wenn der Parteitag offiziell erst
Montag beginnt, steckt Christian bereits
mitten im politischen Geschehen. Auf
dem Weg ins Hotel reicht die Zeit nur für
ein paar kurze Blicke in Leipzigs Straßen.
Denn: Die Delegiertenbesprechung der
Jungen Union wartet. Anschließend kurz
ins Rathaus; Gemeindefinanzreform
besprechen. Friedrich Merz ist auch
dabei. Nach einer Auszeit am Weihnachtsmarkt, Glühwein inbegriffen, geht
es weiter: Delegiertenbesprechung des
Landesverbandes Baden-Württemberg.
Und am Abend zum großen Presseempfang im Bayrischen Bahnhof... .
Montag, 9.30 Uhr. Vor den Leipziger
Messehallen ein gellendes Pfeifkonzert.
Polizisten und Soldaten protestieren
gegen Stellenkürzungen. Sie werden
jedoch kaum beachtet von den Delegierten, die mit Limousinen vorfahren. Die
Chauffeure halten die Tür auf, tragen
die Koffer hinterher - ein klassisches
Bild in den Abendnachrichten. Nicht
ganz. Denn unter lauter ernsten, älteren
Delegiertengesichtern sticht eines hervor.
das von Christian.
„Klasse, hier zu sein!“
Er sieht aus, als würde er die ganze
Zeit denken: „Klasse, hier zu sein!“ Es
ist zwar nicht der erste Parteitag für ihn.
Aber er ist etwas Besonderes: zum einen
als ohnehin spannendes „Event“, wie
Christian sagt; zum zweiten, weil es der
erste Parteitag ist, bei dem Christian
stimmberechtigt ist. Für ihn eine gewissenhafte Aufgabe. Und er ist dankbar, als
jüngster Delegiertere des Kreisverbandes
Ravensburg dabei sein zu können. Vor
allem, weil „dieser Parteitag ganz besonders auf Inhalt und Neuorientierung
ausgelegt ist“, so Christian. Doch er
weiß: Auch die Verpackung zählt. „Eine
Show ohne gute Inhalte ist genauso
wenig überzeugend wie gute Inhalte
ohne Show.“ Es ist dieser Cocktail aus
Inszenierung und Inhalt, der den jungen
Politiker immer wieder reizt, Kneipe
oder Hörsaal gegen politische Debatten
einzutauschen - auch wenn das Studium
für ihn vorgeht.
Großer Plenarsaal,10:30. Smalltalk
mit Delegierten aus dem Landesverband.
Dann blättert Christian nochmal in
dem dicken Stapel Änderungsanträge
und wartet auf den ersten Höhepunkt:
Angela Merkels Aufbruch-Rede. „Gut
und richtungsweisend“, resümiert Christian im Anschluss an Merkels Vortrag.
Danach macht er sich auf zum Mittagstisch. Und freut sich bereits auf
Roman Herzogs Rede. Zusammen mit
Lothar Späth, Wolfgang Schäuble und
Friedrich Merz zählt Herzog zu seinen
persönlichen Favoriten innerhalb der
Union: „Die haben Visionen für unser
Land“.
Zurück im Plenarsaal. Roman Herzog
spricht. Und Christian ist begeistert:
„Der redet Klartext, und dazu noch
mit Witz“. Auch wenn Christian noch
nicht weiß, ob er tatsächlich später in
die Politik geht - seine Maximen hat er
bereits abgesteckt: Klartext reden, ehrlich
sein und zu seiner Meinung stehen.
In der Messehalle glänzt zwischen
diversen Werbeständen ein silberner
Audi A8. Am Steuer: Christian. Probesitzen in der neuen Luxuskarosse kann
manchmal doch spannender sein als
>> „Nur ein kleines Licht“: Christian
Natterer sieht seine Rolle als einer vom
1001 Delegierten realistisch.
politische Debatten, gerade wenn sich
die Änderungsanträge häufen. Pünktlich
zur Abstimmung ist er jedoch wieder im
Plenarsaal - und hebt die rote Stimmkarte
für Herzog. Nach dem Mund reden will
er der Partei dennoch nicht, auch wenn
er sich mit deren Grundsätzen durchaus
identifizieren kann.
„Aufpassen, was man sagt“
Die Politik hat Christian geprägt: „Ich
bin selbstbewusst geworden, habe eine
viel bessere Menschenkenntnis erworben, meinen Horizont und Weitblick
erweitert.“ Rhetorisch gesteigert habe
er sich auch. Hatte Christian noch zu
Schulzeiten Probleme, sich im Unterricht
zu melden, freut er sich nun jedes Mal
darüber, vor großem Publikum sprechen
zu können. „Allerdings muss man in der
Politik stets aufpassen, was man sagt“,
so Christian über die Tücken dieser
Branche. Auch wenn Politik ihm noch so
viel Spaß bereitet, sein Lebenselixier ist
es nicht. „Privates und Freunde sind mir
sehr wichtig, und ich versuche dies auch
immer von Politik zu trennen“.
Sachsenhalle Leipzig am Abend: Der
erste Konferenztag ist vorbei. Auf der
Bühne spielt die Hamburger Band
„Undercover“. Ihr Lied ist aus den 80ern:
Major Tom. Refrain: „Völlig losgelöst“.
Und das ist auch Christian jetzt.
06 obststand
politik orange
PARTEITAGHAUSEN
Beobachtung aus der Stadt von 1001 Delegierten. Von Rebecca Beerheide
>> Fragen über Fragen: Welcher Landesverband darf wo sitzen? Wer hat die beste Sicht? Und
was gibt‘s zu essen? Der Parteitag erfordert eine
Menge Organisationsaufwand.
Ein Parteitag ist wie eine Kleinstadt, in der
es drei Gruppen gibt: Die, die bestimmen;
die, die zuhören und abstimmen, und
die, die das ganze Beobachten. Also
Klartext: Parteiführung, Delegierte und
Medienvertreter.
Damit die alle ohne Probleme miteinander arbeiten können, gibt es noch
eine vierte Gewalt: die Organisatoren.
Diese vierte Gruppe teilt sich auf in das
„Eventmanagement“, also diejenigen, die
über Bühnen, Farben und Sitzordnungen
entscheiden, diejenigen, die sich um das
leibliche Wohl der Kleinstadt kümmern
und diejenigen, die auf die Sicherheit
achten.
Die Eventorganisatoren sind extrem
gefragt. Das Handy von Ulf Leisner, des
Bereichsleiters des Eventmanagements
der CDU, steht nie still. Seit einem Jahr
plant er, wie die Bühne, also in einer
Kleinstadt der Rathausvorplatz, aussehen
soll, welche Farben am besten ankommen
und wer wie wo sitzen soll. Das wird
streng gehandhabt, nach Wichtigkeit
und nach Alphabet, Kompromisse gibt es
nicht. Streitigkeiten natürlich auch nicht,
sagt er. Was bei dem anwesenden Volk,
bzw. bei den Volksvertretern allerdings
anders ist. Da schaut jeder genau, welcher
Landesverband wo sitzen darf und die
beste Sicht hat.
Besonders stark ist das Gefühl der
Sicherheit. Zwar kann sich niemand in
der Kleinstadt Parteitag vorstellen, dass
irgendjemand was Böses will, aber man
weiß ja nie. Damit kein Unwohlsein
aufkommt, gibt es die Personenschützer
der Wichtigen und eine Wach- und
Schließgesellschaft für die anderen.
In vorherigen Sicherheitsgesprächen
wurde die Horrorvorstellung schon
mal ausgedacht: Irgendjemand lässt
einen Koffer unbeaufsichtigt stehen oder
gibt eine Drohung am Telefon durch.
Aber eigentlich ist noch alles ruhig in
der Kleinstadt, besonders weil es sogar
Sicherheitsschleusen vor den Toren der
Kleinstadt gibt. Alles, damit sich das Volk
- die Delegierten - und seine Vorsitzenden
- das Präsidium - wohlfühlen.
450 Salate, 800 Stück Kuchen
Und noch eine andere Gruppe in dieser
Kleinstadt möchte sich wohlfühlen: Die
Journalisten. Da springt großmütig ein
„Privater“ ein, der in die Kleinstadt
eingeladen wurde. Die Phillip Morris
Presselounge. Hier wird jeden Tag ein
„Essensballett“ aufgeführt, erklärt der
Chefchoreograph Rudi Geiger. Alles
ist genau durchgeplant: Wann gibt es
welches Essen, was passiert, wenn alle auf
einmal eintreffen, was, wenn es Schlangen
gibt. „Bei einer Schlange werden für die
Wartenden kleine Häppchen gereicht,
damit niemand Grund zum Meckern
hat“. Der Essensplan für die Journalisten
ist auch strukturiert: Mittags warm und
leicht, am Nachmittag was Süßes, abends
was einfaches, aber herzhaftes. Dazu
Getränke ohne Ende, ab sechs auch Bier
und Wein. Täglich werden so 450 Salate,
800 Nachspeisen und 800 Stück Kuchen
auf etwa 600 Quadratmeter verputzt nur von den Medienvertretern.
In der Kleinstadt herrscht hektisches
Treiben. Die Sicherheit macht Vorschläge,
wo die VIP‘s mit ihrem Auto vorfahren
können, die Küche bereitet das Mittagessen vor, damit keiner verhungert,
der Parteitags-Eventmanager überlegt
noch, ob ein weiterer Aussteller die
Geschäftsbereiche des Markplatzes
bevölkern darf. Und: Der Vergleich
mit einer Kleinstadt hinkt nicht: Der
Parteitag verschlingt so viel Strom, wie
eine Kleinstadt an einem Tag.
ausgepresst 07
Zeitung zum CDU-Bundesparteitag
1. bis 2. Dezember 2003, Leipzig
>> Zeigt her, eure
Karten: Angela
Merkel und Christian
Wulff stimmen ab.
ICH, A 12
Ein armer Antrag aus Herne wird in Leipzig abgelehnt.
Von Rebecca Beerheide
Guten Tag, darf ich mich vorstellen?
Ich heiße A 12, komme aus dem Kreisverband Herne und wohne auf Seite 9
eines 328 Seiten starken Buches. Dieses
Buch, also mein Haus, ist das wichtigste
auf dieser Veranstaltung: Alle aus meiner
Familie sind hier eingetragen, Anträge
ohne Ende. Wir heißen alle „Antrag“
mit Nachnamen und unterscheiden uns
nur durch Herkunftskreisverband und
Kennungsbuchstaben, quasi unser Vor-
name. Ach ja, und natürlich
auch durch unseren Inhalt.
Bei mir geht‘s um die Ablehnung der Gesundheitsprämie.
Aber das ist nicht so wichtig.
Da ich meinen Nachnamen nicht wirklich mag,
nenne ich mich selber nur
A 12. Meine Väter und meine Mütter,
die mich im Kreisverband Herne ausgearbeitet haben, fanden mich richtig gut,
bis zum Parteitag. Und das kam so:
Bis Ende Oktober konnte jeder dieser
Kreisverbände einen Teil der großen
Familie „Antrag“ ausarbeiten
und einreichen. Viele von
uns waren damals aktuell.
Nur wer Glück hat, ist auch
heute noch aktuell. Denn
der Zahn der Zeit nagt auch
an uns. Wir von der Antragsfamilie leiden sehr unter der
neuen Schnelllebigkeit der
Politik. Heute toll, morgen
tot. Das ist ein Leben!
xxx
>> Vor kurzem noch gewollt, jetzt nicht mehr: der Antrag A 12 des Kreisverbandes Herne.
Über toll und tot entscheidet aber nicht nur die
Zeit, sondern auch eine Art
von Gericht. Die Politiker
nennen es „Antragskommission“; für uns sind das die
„Todesurteil-Vorschlager“.
Hartes Wort, aber wir emp-
finden das so. Wir werden von unseren
Erstellern eingereicht. Dann beginnt
die Kommission - ich bleibe bei dem
politisch korrekten Namen - mit ihrer
Arbeit, sie ordnet und sortiert unsere
Familie vor. Diese Kommission arbeitet
aber später als die Kreisverbände, die
Zeit hat allen einen Streich gespielt.
Die Kommission muss den Inhalt von
allen aus meiner Familie durchlesen und
veraltetes aussortieren. Damit brachte die
Arbeit vieler Erschaffer nichts.
Das war auch bei mir so. Mein Inneres,
der Text aus dem ich bestehe, war Anfang
Oktober gut und politisch gewollt, jetzt
nicht mehr. Daher das Urteil über mich:
„abzulehnen“. Das schlechte: Die Arbeit
des Kreisverbands war umsonst. Sie sind
aber nicht mehr traurig darüber, Antragsproduktion ist eine Zeitpunktfrage, sagen
sie. Das Gute: Meine Familienmitglieder
und mich vereint ein Gedanke! Wir
sehen das ganz nach der olympischen
Idee: Dabei sein ist alles!
SCHAUSTEHEN UND HÄPPCHEN FASSEN
Auf dem Presseempfang vor Beginn des Bundesparteitags reden Politiker mal ein bisschen anders.
Von Pia Dangelmayer, Kira Mörke und Tobias Hentze
Wie ein Schrank baut er sich auf. Mehr
als ein Blick durch die Fensterscheiben
ist für die neugierig lauernde Meute
nicht drin. Laurenz Meyer entscheidet
über rein oder nicht rein. Er spielt den
Türsteher auf dem Presseempfang am
Vorabend des CDU-Bundesparteitages
- dabei wie immer im Dienste seiner
Vorsitzenden Angela Merkel. Die sitzt
hinter der Tür und scherzt bei Wein
und Bier mit Parteifreunden und Journalisten. CDU-Generalsekretär Meyer
gibt sich ähnlich gut gelaunt und
erzählt aus seinem Leben: „In den
Hintergrundgesprächen werden Stimmungslagen ausgetauscht“, verrät er. Das
wissen auch die Journalisten: „Politiker
reden bei solchen Empfängen einfach
ein bisschen anders“, sagt Werner Sonne,
Korrespondent im ARD-Hauptstadtstudio. Die Stimmung sei entspannter als bei
offiziellen Terminen . Doch der Eintritt
in den Merkel-Raum ist exklusiv. „Nur
für geladene Gäste“, erklärt Meyer. Also
schiebt sich die Masse weiter durch den
engen Flur. Flüchtiges Zunicken beim
Anblick bekannter Gesichter und immer
weiter vorwärts Richtung Bar. Auf einer
Bank in einer Ecke sitzt der ehemalige
CDU-Generalsekretär Peter Hintze und
stochert auf seinem Tellerchen herum.
Zwei Happen, und der Teller ist leer
„Wegen der schlechten Konjunkturlage
muss wohl beim Büffet etwas gespart
werden“, witzelt Hintze. Diesen Eindruck
hat man allerdings beim Anblick der voll
beladenen Tische nicht: Die sächsischen
Spezialitäten sehen nicht nur gut aus,
sondern schmecken auch so: „Sächsische
Kartoffelsuppe“, „Tafelspitzsülzchen“
oder „Leipziger Allerlei“ - hier ist für
jeden etwas dabei, und die Bedienungen schleppen stapelweise Teller vom
Büffet zur Küche und wieder zurück.
Während die Gäste sächsische Häppchen
um Häppchen verschlingen, bleibt das
obergärige Leipziger „Gose“-Bier auf dem
Tresen stehen. Schwarzbier läuft einfach
schneller und besser. Wen wundert`s.
Trotzdem bleiben die Krawattenknoten
fest, das Lächeln zuckrig, die Bewegungen
steif. Das Schaulaufen ist ein Schaustehen. Nur die Jazz-Band zieht tanzend mit
Trompete und Tuba durch die Säle. „So
bunte Vögel wären vor ein paar Jahren auf
einem CDU-Parteitag noch nicht denkbar gewesen“, meint Rainer Hartmann
vom Südwestdeutschen Rundfunk. Die
neuen Töne kommen an. Applaus.
08 konzentrat
politik orange
OHREN AUF
EMPFANG
>> Routinierter Mann am Mikro:
Korrespondent Wolfgang Kapust berichtet für die ARD vom CDU-Parteitag.
Für den WDR-Korrespondenten Wolfgang
Kapust sind Parteitage kein Zuckerschlecken.
Von Anne-Katrin Schneider
Angela Merkels Rede ist zu Ende, und der
Magen knurrt. Während seine fünf Kollegen auf dem Weg in die Presselounge
zum Mittagessen sind, muss Wolfgang
Kapust vor dem Übertragungsmonitor
die Stellung halten. Prompt kommt es
zum Eklat. Der nordrhein-westfälische
Delegierte Leo Lennartz kritisiert den
Parteiausschluss des Bundestagsabgeordneten Martin Hohmann. Annette
Schavan und Jürgen Rüttgers halten
scharf dagegen. Kapust weiß: Jetzt muss
er die wichtigsten O-Töne sammeln
für den Beitrag am Abend. Als die
Anderen vom Essen zurückkehren, sitzt
Kapust schon wieder ruhig an seinem
Arbeitsplatz. Für ihn sind Parteitage
längst Routine, seit 20 Jahren ist er im
Geschäft.
Kapust gehört zu den besten deutschen Radio-Reportern. Als WDRKorrespondent im Hauptstadtstudio
muss er Technik, Organisation, Inhalt
und Sprache perfekt beherrschen. Und
das auch in Leipzig. Schließlich sind
„Parteitage kein Zuckerschlecken“, wie
Kapust meint. Sechs Redakteure und
zehn Übertragungswagen hat die ARD
auf den CDU-Parteitag nach Leipzig
geschickt, um von dort aus für sechs
Sender nicht nur über die Inhalte zu
berichten, sondern auch die Stimmung
unter den Delegierten einzufangen. Die
Eröffnungsrede von Angela Merkel steht
dabei im Mittelpunkt.
„Bei der Rede von Angela Merkel
geht es nicht um Details, sondern um
den Gesamteindruck. Und da hat Frau
Merkel klar zugelegt“, sagt Kapust.
Er vermutet, dass Merkel 2006 Kanzlerkandidatin wird. „Aber das ist nur ein
Gefühl. Ich weiß nicht, was die dort
hinter den Kulissen ausklüngeln.“ Als
Journalist versuche er daher einfach, so
viel wie möglich zu recherchieren und
zu begreifen.
Kapust hat schon als Kind Radio
gehört und liebt dieses Medium wegen
seiner Lebendigkeit und Tiefe. „Ich
habe fünf Jahre als Zeitungsredakteur
gearbeitet. Aber nur zwischen Papier
und Text - da fühle ich mich einfach
eingezwängt.“
Obwohl ein Radiobeitrag in der Regel
nicht mehr als zweieinhalb Minuten
dauert, müssen die Redakteure den
ganzen Tag Ohren und Augen offen
halten, um die wichtigsten Botschaften
und Aussagen einzufangen. Dabei hilft
jeder jedem. Während seine Kollegin
Christa Cloppenburg auf dem Monitor
eine Rede verfolgt, schreibt Kapust
die Moderationstexte für den nächsten
Beitrag. Um 17 Uhr ist der nächste
Sendetermin. Doch neben aller Hektik
geht es um Inhalte. Kapust ärgert sich
darüber, wie Merkel und Schröder das
Wort „Patriotismus“ verwenden. „Wenn
man über Patriotismus in Deutschland
diskutiert, muss der Begriff von den
Wurzeln auf analysiert werden.“ Doch
zur Analyse bleibt keine Zeit. Der nächste
Tag muss geplant werden. Interviews
und Beiträge warten - und vielleicht
auch der nächste Eklat.
fruchtfleisch | was ist bei ihnen persönlich reformbedürftig?
„Ich mache mir keine
Vorsätze, die halte ich
sowieso nicht ein. Vielleicht sollte ich mit dem
Rauchen aufhören, da
bin ich ein schlechtes
Vorbild.“
Laurenz Meyer,
Generalsekretär
„Ich müsste schlanker
werden - wie der Staat.“
Roland Koch,
Ministerpräsident Hessen
„Ich muss noch fünf Lampen an der Decke und ein
Brett im Badezimmer anbringen. Dafür brauche ich
aber noch ein Dreivierteljahr.“
„Bei uns
muss das
Rederecht am
Küchentisch
reformiert
werden, die
Kinder werden
einfach zu laut.
Außerdem
muss das Recht auf Durchschlafen wieder
eingeführt werden. Die Opposition setzt
alle parlamentarischen Regeln außer
Kraft, sie besetzt nämlich mein Bett. Ich
führe eine Minderheitsregierung.“
Ursula von der Leyen,
Ministerin für Soziales, Frauen, Familie,
Gesundheit in Niedersachsen
Jürgen Rüttgers, NRW-Landesvorsitzender
„Ich sollte weniger Lebkuchen und mehr Obst
essen. Zuhause bügle ich, wasche ich, wickle die
Kinder, ziehe sie an und mähe den Rasen - eenn
ich gerade mal zuhause bin.“
Peter Hintze, MdB, Generalsekretär a.D.
konzentrat 09
Zeitung zum CDU-Bundesparteitag
1. bis 2. Dezember 2003, Leipzig
BISMARCK KOMMT AUFS ABSTELLGLEIS
Warum die Kopfpauschale jetzt Gesundheitsprämie heißt und die CDU dahinter das große Glück vermutet.
Von Tobias Hentze
„Ich müsste mir mehr Zeit für Sport
nehmen, außerdem brauchen wir eine
neue Küche. Mit meiner Opposition
bilde ich eine große Koalition, die
Reformvorhaben waren bisher aber
leider noch nicht realisierbar.“
heitswesen überbot sich die Politik gegenseitig.
Plötzlich reden alle von dringend
notwendigen Reformen: Zu teuer und
ineffektiv sei das System in Zeiten, in
denen die Schulden des Staats die höchsten
Wachstumsraten aufweisen. Zu ungerecht,
dass sich manche gar nicht und einige
anders versichern müssen als
andere. Und zu schädlich für die
Wirtschaft, die mit dem bisherigen Prinzip nicht so viele
neue Arbeitsplätze schaffen
könne. Da haben die Delegierten auf dem Parteitag schier
endlos geklatscht und diesem
Prämienmodell zugestimmt, das
Alt-Bundespräsident Roman Herzog mit
ein paar weiteren klugen Köpfen in langen
Nächten erarbeitet hatte. Nur Norbert
Blüm, der für seinen Ausspruch „Die
Rente ist sicher“ erst vergöttert, später
verspottet wurde, plus einige wenige
Unverbesserliche wollten nicht. Vielleicht
haben die zu wenig Erfahrungen mit
Payback-Punkten gesammelt oder kennen
niemanden, den sie für ein Zeitungs-Abo werben können. Bei
den meisten aber hat das Prinzip des Ausmalens einer rosaroten Zukunft voller Gesundheit
und Prämien geklappt. Und
alles scheint so einfach: „Jeder
zahlt den gleichen Betrag“, sagt
„Ich lasse reformieren! Handwerker
verlegen gerade eine neue Abwasserleitung bei mir zuhause.“
Werner Sonne, TV-Korrespondent im ARD
Hauptstadtstudio Berlin
„Ich sollte mehr Sport treiben und
regelmäßiger einkaufen. Meine Opposition hat keine Probleme damit.“
Elfriede Benedix, Delegierte
aus Rheinland-Pfalz
„Ich als ehrenamtliche Politikerin
müsste meinen Zeitplan zwischen
Arbeit und Politik optimieren.
Außerdem müsste ich meinen Computer auf den aktuellen Stand bringen.“
Kathrin Schulz, Delegierte
aus Schleswig-Holstein
„Mein Gartenteich ist sehr
reformbedürftig.“
Lothar Riebsarmen, Delegierter
aus Baden-Würtenberg
Klaus-Peter Flosbach, ein Delegierter aus
Nordrhein-Westfalen. Also doch sozialistisch oder nur gerecht? Im Endeffekt gehe
es allen - und hier folgt der Unterschied
zum Sozialismus - besser als vorher.
Und das ist dann für alle Generationen
gerecht. In der Sprache der Politik heißt
das dann „Generationengerechtigkeit“.
Sogar die Arbeitgeber haben
Grund zur Freude. „Lohn
und Krankenkassenbeitrag
werden voneinander entkoppelt“, erklärt Tim Peters,
der zu den jüngsten Delegierten zählt. Womit man
nicht länger nur Züge
entkoppeln kann. Das
geht also auch mit Löhnen und
Krankenkassenbeiträgen. Und da die dann
sozusagen auf getrennten Schienen rollen,
haben sie nicht mehr viel miteinander
zu tun. Die Löhne bleiben Löhne, und
die Krankenkassenbeiträge fahren direkt
aufs Abstellgleis. Als Ersatz kommen
diese Gesundheitsprämien daher. Wieso
da nicht schon früher jemand drauf
gekommen ist, dass die Bürger lieber für
Gesundheit als für Krankheit zahlen? Aber
nochmal zurück zu den Arbeitgebern: Weil
jeder Erwachsene die Gesundheitsprämie
von etwa 200 Euro pro Monat einzahlt,
müssen die Firmen nichts mehr zur
Gesundheitskasse beisteuern. Das freut die
natürlich - und auch die Arbeitslosen sollen
Heribert Prantl, Innenpolitikchef
Süddeutsche Zeitung
„Mehr Zeit für die Familie!“
Einheitsmeinung
unter Politikern,
u.a. Annette
Schavan, Friedrich Merz, Christian Wulff, und
Georg Milbradt.
Die Stimmen sammelten Jan Peters und Rebecca Beerheide
Grausige Vorstellungen grassieren da
durchs Land: Kopfgeld für jeden Patienten, der sich noch zum Arzt traut?
Und pauschale Gleichmacherei wie einst
zu Blütezeiten des Sozialismus? Das passt doch zu einer
christlichen und demokratischen Volkspartei so wenig wie
Dieter Bohlen zum Papst. Die
CDU wollte die Krankenversicherung durch „Kopfpauschalen“ ersetzen. Ein Wort
als Ungetüm, das durch die
Republik geisterte. Doch dann
hat es „Klick“ gemacht: Auf dem Leipziger
Parteitag hat die Partei stattdessen nun
eine Gesundheitsprämie beschlossen was das Gleiche ist, aber viel freundlicher
klingt. Gesund sein ist schließlich das
höchste Gut im Leben, und Prämien
erfreuen sich sowieso immer größerer
Beliebtheit. Das ist wie bei Payback oder
der Vermittlung eines Zeitungs-Abos.
Prämien kassieren und es sich gut gehen
lassen - das perfekte Glück. Etwa 120
Jahre lang sahen fast alle Politiker die Krankenversicherung, so wie sie
einst vom Reichskanzler Bismarck eingeführt wurde, als
Glücksfall. Jeder zahlt einen
Prozentsatz seines Gehalts in
die Kasse ein. Gerecht, sozial,
ausgewogen - in Lobeshymnen für das deutsche Gesund-
jubeln, finden die CDU-Parteigänger.
Denn glückliche Firmenbosse stellen viele
Arbeitslose ein, die dadurch dann auch
wieder glücklich werden.
Noch eine Prämie in diesem Modell.
Da der Staat die Armen bei der Zahlung
unterstützen will, hat sich Friedrich Merz
in seinem Steuer-Konzept Gedanken über
Finanzierung und Ausgleich gemacht.
Herzog und Merz im Doppelpassspiel. So
ungefähr sieht der Weg zum Glück aus.
Ganz genau wissen das aber selbst die noch
nicht, die das beschlossen haben. „In jeder
Detailfrage ist hier wohl kaum jemand
fit“, meint Johanna Dollak, Delegierte aus
Baden-Württemberg, während sie über
ihren Unterlagen zu dem Thema brütet.
Die Gesundheitsprämie finden bei der
CDU jedenfalls fast alle gut. Sogar besser
als diese Kopfpauschale. Dass die beiden
Begriffe eigentlich ein und dasselbe
sind, verkommt da zur Randerscheinung.
Was Worte für
Wunder bewirken
können. Nur die
politische Konkurrenz hält von
den Vorschlägen
überhaupt nichts.
Ändern will aber
auch Rot-Grün
einiges.
Der
Reformeifer grassiert, heißt das dann. RotGrün favorisiert eine Bürgerversicherung.
Klingt auch toll. Und soll viel gerechter
und zukunftsweisender sein als das CDUModell. Meinen Sozis und Grüne. Die
CDU sagt das genau umgekehrt. So wie
das fast immer in der großen Politik ist.
So schnell passiert dann nichts. Obwohl
die Zeit immer mehr drängt.
10 geschält
politik orange
„IST ORANGE IHRE FARBE ?“
Die CDU überrascht ihre Mitglieder mit einem neuen Logo. Von Annika Heinz und Alexander Bode
>> Die einen finden‘s hässlich, die
anderen frisch und warm: Die CDU
setzt auf Orange als neue Farbe.
Orange! Überall Orange! Die Fahnen am
Eingang zum Parteitag sind ungewohnt.
Was kaum einer wusste: Die CDU hat
ein neues Logo - rote Buchstaben, weiße
Schutzzone. Und der Eyecatcher: ein
orangener Hintergrund.
Dass man sich ausgerechnet für den
Farbton unserer Zeitung „politikorange“
entschied, lässt sich leicht erklären:
Orange ist bislang von keiner Partei
belegt. Während unsere Zeitung damit
ihre Unabhängigkeit zum Ausdruck
bringen möchte, will die CDU damit
eindeutig identifiziert werden.
Generalsekretär Laurenz Meyer
findet orange „total in“. Doch einige
Delegierte reagieren
erschrocken. „Orange
ist nicht meine Farbe“,
ist dabei noch die
gut gemeinte Reaktion eines BadenWürttemberger Delegierten. Es fallen sogar
Begriffe wie „hässlich“
oder „schrecklich“.
Auch bei Pressevertretern wird das
neue Logo diskutiert.
Orange sticht ihnen
zwar ins Auge, wird
jedoch als neue Farbe
der CDU nicht wahrgenommen. Susanne
Höll von der Süddeutschen Zeitung bringt
es auf den Punkt:
„Orange ist bei Apfelsinen schön, als Band
jedoch gewöhnungsbedürftig“.
„Alles nicht so schlimm“, wiegelt der
Leiter des Projekts „Neues Logo“, Olaf
Dembinski, ab. Orange sei lediglich eine
Ergänzung des neuen Erscheinungsbildes der CDU. Es soll lediglich dezent
eingesetzt werden. Auch Dembinski war
zu Beginn skeptisch, ob die Farbe gut
DIE COCKTAILCONNECTION
>> CDU-Abgeodneter Jens Spahn:
„Auch als junger Mensch hat man alle
Chancen, etwas zu verändern.“
FOTO: NILS ENTNER
Jens Spahn ist jüngster CDU-Abgeordneter im Bundestag
und sucht nach Visionen für Deutschland.
Greta Taubert, Stefanie Blohmer, Nawid Nadzaah
und Guido Ulm
Er weiß, was er kann. Er weiß, was er will.
Mit locker verschränkten Armen steht
Jens Spahn vor dem CDU-Logo, sein
Blick ist wach und durchdringend, seine
Worte gewählt. Er wirkt zu erwachsen
für einen 23-Jährigen. Aber vielleicht
wird man das ja auch schneller, wenn
man sich als Jugendlicher für den Konservativismus entscheidet. „Ich bin statt
in einen Sportverein in die Junge Union
eingetreten“, sagt er mit ernstem Gesicht.
Das war vor acht Jahren.
Am Anfang sei alles noch ein Spiel
gewesen, „Jugend im Parlament“ hieß
das Projekt. Jetzt ist aus dem Spiel
wirkt. Jetzt findet er das Gesamterscheinungsbild aber sehr gelungen. Besonders
betont er den Wiedererkennungswert des
CDU-Schriftzugs. „Ausgiebige Tests mit
Fokusgruppen haben uns gezeigt, dass
die roten Buchstaben mittlerweile ein
festes Markenzeichen geworden sind, die
wir deshalb künftig beibehalten werden“,
sagt Dembinski. In den ersten 30 Jahren
wechselte die CDU 24-mal ihr Logo.
Erst in den Siebzigern entwickelte man
die drei roten Buchstaben, die bis heute
für die Partei stehen. Nur im direkten
Vergleich fällt auf, dass der Schriftzug
überarbeitet worden ist. Er ist schlanker
und nicht mehr so kursiv. Die leichte
Schrägstellung vermittelt aber weiterhin
die Dynamik, die die CDU verkörpern
möchte, so Dembinski.
Nach einigen Stunden Parteitag
gewinnt das neue Design immer
größere Zustimmung. Einige CDUMitglieder müssen sich noch an die
Farbe gewöhnen. Dennoch attestieren
die meisten dem orangenen Farbton
„Frische“ und „Wärme“. Uwe Götze,
parlamentarischer Geschäftsführer der
CDU-Fraktion Berlin, freut sich über
die neue helle Farbe der Bundes-CDU:
„Unsere Fraktion verwendet Orange
bereits seit über einem Jahr im Internet.“
für Jens Spahn Ernst
geworden. Er sitzt
als jüngster CDUAbgeordneter im
Bundestag. Wenn er
von seinen Zielen
redet, fallen Worte
wie „Generationengerechtigkeit“ und
„Kapitalrücklagen“.
Er
wolle
ein
„Bewusstsein für den sozialen Wandel
schaffen.“
Das
heißt
konkret:
Kindergärten statt Pflegeheime! Perspektiven für die kommende Generation!
Das kann man nur schaffen, wenn
man ein neues Politikverständnis entwickelt: „Wir müssen vernünftig miteinander umgehen.“ Wenn unterschiedliche
Fraktionen gleiche Ziele haben, sieht
Spahn keinen Grund zur BlockadePolitik. Deshalb trifft er sich mit den
jüngsten Abgeordneten von SPD, FDP
und Grünen wöchentlich in einer kleinen
Bar in Berlin Mitte. Bei Mochito und
Cuba Libre diskutiert er mit Sabine
Bätzing (SPD), Daniel Bahr (FDP) und
Anna Lührmann (Grüne) eine gemeinsame Linie. Ein Thesenpapier und ein
Buch über „Visionen für Deutschland“
will das Vierer-Gespann entwickeln.
Einen lebenslangen Sitz im Bundestag
strebt Spahn nicht an, er wolle nicht als
ausgebrannter Berufspolitiker enden.
Aber eine zweite Legislaturperiode
wird er noch brauchen, um seine Ziele
einzubringen. Spahn ist sich sicher:
„Auch als junger Mensch hat man alle
Chancen, etwas zu verändern.
Hinter einer konservativen Schale
verbirgt sich eben manchmal auch ein
idealistischer Kern.
ausgepresst 11
Zeitung zum CDU-Bundesparteitag
1. bis 2. Dezember 2003, Leipzig
„DAS SCHULT FÜRS
GANZE LEBEN“
Philipp Mißfelder ist mit 24 Jahren der bislang jüngste Vorsitzende der Jungen Union und er ist sehr schnell bekannt geworden: mit der Forderung, älteren Menschen
keine künstlichen Hüftgelenke mehr zu bezahlen. Sein Lieblingsthema
ist die Generationengerechtigkeit! Mit Mißfelder sprachen
Jochen Markett und die politikorange-Redaktion
werden die wichtigen Erntscheidungen
getroffen und so können wir uns direkt
bei der Entscheidungsfindung einbringen.
Bei der Herzog-Kommission hat mein
Stellvertreter Johannes Pöttering mitgewirkt. Und das Konzept der HerzogKommission hat das zum Ausdruck
gebracht, was unser zentrales Anliegen
in den letzten Jahren war: das Thema
Generationengerechtigkeit. Ich habe aber
gestern auch Kritik daran geübt bei
der Antragsdiskussion, als es da um die
Rente ging. Das geht uns nicht weit
genug, weil da keine spürbare Entlastung
für junge Menschen da ist, sondern
die Probleme da nur in die Zukunft
verschoben werden.
Geht es Euch nur um die Sache oder
habt ihr bei Eurer Arbeit auch eine
Parteikarriere im Auge?
Wie viel Angela Merkel steckt in Philipp
Mißfelder?
Ich würde das eher umgekehrt sehen.
Mittlerweile liegt mehr Programmatik
der Jungen Union in dem, was Angela
Merkel sagt. Das, was wir gestern auf
dem Parteitag beschlossen haben und
worüber wir uns sehr freuen als Junge
Union, ist, dass die Reformen endlich
angepackt werden. Wir haben dabei eine
Debatte gehabt, die in den letzten Jahren
gar nicht denkbar gewesen wäre. Man
hat es ja gestern gesehen, versinnbildlicht
in der Person Norbert Blüm, der kaum
Applaus bekommen hat - das war schon
fast gespenstig, als er oben auf der
Bühne stand. Ich kann mich noch gut
an die Parteitage erinnern, die ich als
Schülerunionsvorsitzender bereist habe,
und auf denen Norbert Blüm bejubelt
worden ist, für das, was er gesagt hat. Die
Zeiten sind vorbei, und ich bin sehr froh
darüber, dass wir endlich Abkehr von
dieser Sozialkuschelromantik genommen
haben, weil die einfach zu Lasten unserer
Generation gegangen ist.
Wo liegt denn in der Reformdebatte das
Profil der Jungen Union?
Der Punkt ist, dass man nicht nur über
Sozialtechnik reden darf. Wir wissen
jetzt alle ganz genau, wie das funktioniert mit der Kopfpauschale und der
Gesundheitsprämie und was der Unterschied zwischen der Bürgerversicherung
und den einzelnen anderen Modellen
ist. Aber wir haben in den letzten Monaten viel zu wenig darüber geredet, was
eigentlich Sozialpolitik ist.
Wir müssen noch klarer als CDU
sagen, warum wir die Reformen machen,
wofür das Ganze sein soll. Wir machen
es für die Großelterngeneration, weil die
auch ein Interesse daran haben müssen,
dass die Enkelgeneration, also wir, auch
noch etwas von dem Wohlstand haben,
den sie uns erarbeitet haben und den sie
für uns aufgebaut haben. Wir haben als
Jüngere natürlich ein vitales Interesse
daran, überhaupt noch Zukunftschancen
zu haben. Unsere Generation hat ein
massives Problem, überhaupt erstmals
Arbeit und Ausbildungsplätze zu finden,
und das hängt ganz entscheidend damit
zusammen, dass zu viele Reformprojekte
versäumt worden sind. Wir müssen
darüber reden, dass diese Generation
wieder Chancen und die Möglichkeit
zur Teilhabe an dieser Gesellschaft
bekommt.
Habt Ihr dabei eine Vision oder geht
es auch Euch erstmal nur darum, die
Sozialsysteme zu entlasten - egal wie?
Es geht gar nicht zu sehr darum,
wie entlaste ich an welchen System, an
welcher Stellschraube etwas, sondern
wir brauchen einen grundlegenden
Mentalitätswechsel. Wenn man sich
so umschaut, dann gibt es häufig die
Vollkaskomentalität. Das heißt, man
setzt sehr viel auf den Staat und sagt, der
Staat soll die großen und kleinen Risiken
alle abdecken. Vom Studium bis zur
Krankenkasse - alles läuft irgendwie, nur
niemand macht sich drüber Gedanken,
was das eigentlich für ihn bedeutet, was
für einen Beitrag er dazu leisten kann. Wir
müssen mal abseits der Umverteilungsdebatte darüber reden, was eigentlich
Solidarität bedeutet.
Welche Möglichkeiten habt Ihr denn,
in der CDU Eure Positionen durchzusetzen?
Wir sitzen mit vier Leuten im Bundesvorstand der CDU und mit einer Person,
meiner Vorgängerin Hildegard Müller,
im CDU-Präsidium. So stark war die
Junge Union noch nie im Bundesvorstand
vertreten, und das ist das Gremium, von
dem aus die Partei geleitet wird. Dort
Wenn man politisch etwas umsetzen
will, wenn einem das wirklich ein Herzensanliegen ist und man da fast seine
gesamte Freizeit reinsteckt, dann will
man das natürlich auch in Funktionen
machen, wo man besonders viel Einfluss
hat. Und dazu gehört für mich die
Mitgliedschaft im Bundesvorstand der
CDU genauso wie die Mitgliedschaft
im Bundestag. Die Junge Union ist ja
für die CDU das Reservoir, wo man
dem Nachwuchs herausrekrutiert. Fast
die gesamte Führungsebene der CDU
kommt ja aus den Jungen Union.
Wird der Nachwuchs der CDU denn
genug gefördert?
Der Nachwuchs wird in der CDU
zwar gefördert, aber man muss sich schon
durchsetzen. Ich glaube auch, dass es
auch zum Charakterbild dann nachher
dazugehört, dass man sich durchgesetzt
hat. Wenn man alles geschenkt bekommt
und eingeladen wird, mitzumachen in
den Führungsgremien und man dort
hingesetzt wird, dann ist man nichts
anderes als ein Quotenjugendlicher.
Wenn man sich den Platz aber erkämpft
hat, dann kann man auch auf die eigene
Leistung stolz sein. Wir müssen uns
immer durchsetzen als Junge Union,
und das schult für später, das schult fürs
Leben.
12 quietschorange
politik orange
AUFHÖREN, AUFHÖREN
Die CDU wird die Affäre Hohmann nicht so schnell los, wie sie es gerne
hätte. Auch auf dem Parteitag kritisieren Delegierte den Umgang mit
Martin Hohmann. Von Guido Ulm
Vielleicht hatte Angela Merkel gehofft, dass
das Gespenst Martin Hohmann auf dem
Parteitag nicht mehr herumspuken würde.
Doch Leo Lennartz machte ihr einen Strich
durch die Rechnung. Der Delegierte aus
Euskirchen beklagte das Verhalten seiner
Partei gegenüber Hohmann als unfair.
Er verteidigte dessen umstrittene Rede:
„Niemand hat sich für sein Denken zu rechtfertigen“. Die Delegierten, die nach Merkels
Rede noch nicht zum Essen aufgebrochen
waren, machten sich mit Zwischenrufen
Luft: „Aufhören, aufhören!“ Jürgen Rüttgers,
der CDU-Landesvorsitzende von NordrheinWestfalen, wurde besonders deutlich. Er rief
dem Delegierten Lennartz aufgebracht zu:
„Ich will mit solchen Leuten wie ihnen nicht
in einer Partei sein“. Rüttgers unterstrich
gegenüber politikorange, seine Äußerung
sei „genauso scharf gemeint, wie sie angekommen ist“. Lennartz habe schlicht „ein
Problem mit seiner Persönlichkeit“. Die
CDU verstehe in dieser Sache keinen Spaß.
Dennoch war die Sorge der Delegierten in
der Halle spürbar, die Aussprache könnte
eskalieren und die wichtigen Reformthemen
in den Schatten stellen. Lennartz blieb
zwar der einzige „Störenfried“. Sein Auftritt
reichte aber, um Spiegel online oder auch die
Süddeutsche Zeitung von einem „Eklat auf
dem Parteitag“ schreiben zu lassen.
Die CDU hat mit der Affäre auch anderweitig zu kämpfen. Inzwischen haben auf
einer Unterschriftenliste für Martin Hohmann mehr als 4000 CDU-Mitglieder unterschrieben. Hohmann selbst will wahrscheinlich gegen den bevorstehenden Parteiausschluss klagen. Der hessische Generalsekretär
Michael Boddenberg schloss nicht aus,
dass das Parteiausschlussverfahren ein Jahr
dauert. Er bezeichnete den Widerstand
gegen Hohmanns Ausschluss durch CDUKreisvorsitzende in Hessen als Aussagen einzelner Personen, hinter denen aber keine Basis
stünde. Eben einer dieser Kreisvorsitzenden,
nämlich der Landtagsabgeordnete HansJürgen Irmer aus Lahn-Dill, widersprach
dieser Einschätzung. Mit seiner Meinung:
„Martin Hohmann hätte eine zweite Chance
verdient gehabt“, wisse er die Mehrheit
der Mitglieder in seinem Kreis hinter sich.
Allerdings schwang bei ihm schon etwas
Resignation mit. Die Entscheidungen in
Fraktion und Landesvorstand seien gefallen.
Begonnen hatte die Affäre Hohmann mit
einiger Verzögerung. Seine Rede zum Tag der
deutschen Einheit sorgte erst nach fast vier
Wochen für Aufregung, als sie im Internet
entdeckt wurde. Der Bundestagsabgeordnete
Hohmann hatte darin versucht, geschichtliche
Fakten zu relativieren, bis hin zu der immer
wieder herausgegriffenen Aussage, dass
selbst Juden auch „Täter“ waren. Medien
>> Verfolgt die CDU: Martin Hohmann.
und die Regierung schlachteten das Thema
aus. In der CDU selber wurde zuerst von
„zweiter Chance“ und „Bewährung“ für
Martin Hohmann gesprochen. Hohmann
entschuldigte sich und wurde aus dem Innenausschuss abgelöst. Dann allerdings wurde
doch der Fraktionsausschluss erwogen und
schließlich auch umgesetzt - allerdings mit
der großen Zahl von 28 Gegenstimmen.
Vor diesem Hintergrund kam Spannung
auf, wie Angela Merkel auf dem Parteitag die
Affäre thematisieren würde - totschweigen
konnte sie sie nicht mehr. Merkel verband
untrennbar mit ihrer Partei die Anerkennung
des Holocausts als einmaliges Verbrechen
und die Einsicht, das die Aussöhnung immer
noch nicht vollkommen abgeschlossen sei.
Damit widersprach sie den verschwommenen Thesen Hohmanns. Während sein
Appell zum Patriotismus mit dem Mief von
Geschichtsverdrehung behaftet war, stellte
Merkel klar, dass Patriotismus sich nicht
nur auf Geschichtsbewusstsein gründet.
Ausführlich ging sie auf die Wurzeln ihrer
Partei auch im Widerstand gegen den
Nationalsozialismus ein und bezeichnete es
als unverdient, ihrer Partei dann Diskussionen um die Benachteiligung Deutschlands
„aufdrängen zu lassen“.
Wer an den von ihr genannten Werten
zweifeln würde, müsse zwar gehört werden,
aber die Konsequenzen tragen, wenn die
Zweifel nicht „in angemessener Zeit“
ausgeräumt wären.
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ausgepresst 13
Zeitung zum CDU-Bundesparteitag
1. bis 2. Dezember 2003, Leipzig
EIN TIGER RÜTTELT AN DER TÜR!
Die Türken in der CDU fordern eine baldige Aufnahme ihres Heimatlandes
in die EU. Von Florian Kubsch
Was machen türkische Muslime
ausgerechnet in der Christlich Demokratischen Union? Bülent Arslan hat
seinen Platz jedenfalls genau dort
gefunden. Der 28-jährige Unternehmensberater ist nicht nur einer von
etwa 2.000 Türken in der CDU,
sondern sitzt seit 1997 auch dem
Deutsch-Türkischen Forum (DTF)
der Partei vor. Für ihn stellt die
„C-Grundlage“ der Union dabei kein
Problem dar. „Das C symbolisiert
für mich die Werte des Christentums, die ja auch mit denen des
Islam übereinstimmen können,“ sagt
er in akzentfreiem Deutsch. „Als
konservativ-liberaler Mensch sehe ich
meine Wertvorstellungen am ehesten
in der CDU vertreten.“
Da liegt der Unternehmensberater
nicht ganz im Mainstream seiner
türkischen Landsleute in Deutschland, die tendenziell die SPD und die
Grünen bevorzugen. Aber immerhin
kann die Union auf etwa 2.000
Türken verweisen, die das schwarze
Parteibuch haben. 300 von ihnen
sind im DTF aktiv.
Der Stand der Interessengruppe
auf dem Parteitag scheint es sich zur
Aufgabe gemacht haben, besonders
auf die positiven Aspekte eines EUBeitritts der Türkei hinzuweisen.
Sein Land könne zum Tiger unter
den EU-Staaten werden, sagt Arslan,
nicht ohne Stolz. „Aber wir sehen
das realistisch,“ fügt er hinzu, „der
Beitritt kann erst in der ersten Hälfte
des nächsten Jahrzehnts erfolgen.“
In dem Punkt ist die Parteilinie
mit ihm d‘accord. Sogar Angela
Merkel wich in ihrer Rede an der
gewissen Stelle vom Manuskript ab
und schloss eine Mitgliedschaft der
Türkei in der EU nicht ausdrücklich
aus. Stattdessen bekamen die Delegierten dann zu hören: „Die EU
ist nicht in der Lage, die Türkei
in absehbarer Zeit aufzunehmen“,
was mit auffallend starkem Applaus
honoriert wurde.
Auch nach den Terroranschlägen
in Istanbul und der damit einhergehenden „gerade jetzt“-Mentalität vor
allem des Außenministers Fischer,
rufen die Konservativen zur Besonnenheit auf.
„Die Türkei ist ein befreundetes
Land, mit dem wir besonders in der NATO gut
zusammenarbeiten,“ stimmt
Hans-Gert Pöttering, der
Spitzenkandidat der Union
für die Europawahl 2004,
zu. „Aber bei aller Solidarität
können die Attentate nicht
die Frage der EU-Mitgliedschaft berühren. Die Türkei
muss erst einmal mit ihren
Reformbemühungen vorankommen und für die EU
ihrerseits gilt es in den
nächsten Jahren, die anstehende
Osterweiterung zu verkraften.“
Fragt man die anwesenden Türken
selbst, so stößt dies bei ihnen
auf Unverständnis. Wieso nimmt
die Europäische Union ausgerechnet Staaten, in denen mit der
Unterstützung der Türkei noch
vor 15 Jahren der Kommunismus
bekämpft wurde, herzlicher auf als
den Verbündeten selbst? Auch die
mehrdeutigen Signale aus Deutschland werden kritisch beäugt. Alaverdi
Turhan von der türkischen Zeitung
„Hürriyet“ drückt es so aus: „Das
Gerede von einer guten Ehe nach
langer Verlobung ist ja gut und schön,
aber wenn es letztendlich nicht zur
Hochzeit kommt, bringt uns das
auch nichts.“
Ein möglicher Gottesbezug in der
Präambel der EU-Verfassung sei laut
Turhan kein Problem: „Die Türkei ist
seit dem Staatspräsidenten Atatürk
aus dem Jahre 1923 ein Land, in dem
die Gesetze nicht auf dem Koran,
sondern auf der Verfassung basieren.
Und das Zusammenleben mit den
Christen klappt in Deutschland
schließlich auch.“
>> Meldung auf der
Webseite der türkischen
Tageszeitung „Hürriyet“:
Bundeskanzler Gerhard
Schröder hat in einem
„SPIEGEL“-Interview
bekräftigt, dass er eine EUMitgliedschaft der Türkei
befürworte.
HOFFNUNG AUF MEHR WÄRME
Die Lesben- und Schwulenunion darf sich zum ersten Mal auf einem Bundesparteitag präsentieren.
Von Stefanie Blohmer und Greta Taubert
Sie sind schwarz, schwul und schwer
aus der Bahn zu werfen: Vier elegant
gekleidete CDU-Mitglieder haben
einen kleinen Stand gleich neben der
Presselounge aufgestellt. Eine Schale
„Haribo Colorado“ auf der Theke
und eine Auswahl an verschiedenen
Flyern sollen Passanten zum Anhalten und die CDU in Bewegung
bringen. Es sind Mitglieder eines
ganz besonderen Arbeitskreises der
Christlich-Demokratischen Union:
der Lesben-Schwulen-Union, kurz
LSU. Zum ersten Mal dürfen sie
sich auf einem Bundesparteitag
präsentieren. „Die CDU ist zwar
konservativ, aber sie öffnet sich
endlich für Trends“, sagt Andreas
Möhring von der LSU München.
Seit fünf Jahren versuchen er und
mehr als 250 LSU-Mitglieder bundesweit das Schwarz der CDU mit
Regenbogen-Farben aufzuhellen.
Mit Erfolg: Sogar der bayerische
Staatsminister des Inneren, Günther
Beckstein, der in CDU-Kreisen als
stockkonservativ gilt, zollt der LSU
große Anerkennung: „Die LSU wirkt
dem verzerrten Bild, das Rot-Grün
von der Union in der Gesellschaftspolitik zu erreichen pflegt, entgegen.“ Soviel lobende Worte gibt
es nicht immer. Obwohl seit 1999
ein Gesetz zur eheähnlichen Lebenspartnerschaft in Deutschland existiert, dürfen Homosexuelle in vielen
unionsgeführten Ländern nicht im
Standesamt, sondern nur notariell
heiraten.
Beispiel Brandenburg: Laut dem
LSU-Bundesvorsitzenden Rolf Ohler
lasse sich der brandenburgische
Innenminister Jörg Schönbohm
nicht mal auf eine Diskussion ein.
„Schönbohm will die strikte Trennung zwischen der Institution Ehe
und einer gleichgeschlechtlichen
Partnerschaft. Gegen Homosexuelle
habe er aber nichts.“ Das aber will
ihm Ohler nicht recht glauben.
Kritische Stimmen tauchen immer
wieder auf. Auch auf dem Bundespar-
teitag. Da werden den vier
schwarzen Querschlägern
abfällige Worte an den
Kopf geworfen wie: „Das
ist Schweinkram, krank
und abnormal.“ Das prallt
ab. „Futter braucht die
Gemeinde“, fällt Ina Helstab von der LSU-Marketing-Abteilung dazu nur ein.
Die LSU wird unerbittlich
weiter gleiche Rechte für
Homosexuelle einfordern:
in erster Linie den rechtlichen Anspruch auf Adoption und das Ende des
Ehegattensplittings. Aber
homosexuelle Patch-WorkFamilien und das traditionelle Familienbild der CDU, wie geht das
zusammen? „Die Familie ist eine auf
Dauer angelegte Partnerschaft, die
generationsübergreifend Verantwortung übernimmt“, so die Definition
nach Ohler. Damit gehe es der LSU
wie der CDU - und das sei das
Entscheidende - um das Wohl der
Kinder. Der Vorsitzende des offiziellen Arbeitskreises der CDU Berlin,
Jan Kaysers, appelliert: „Überall dort,
wo Familie stattfindet, muss das Geld
hinfließen.“ So bleibt die Hoffnung,
dass es in der CDU jeden Tag ein
bisschen wärmer wird .
>> Kein Arbeitskreis
wie jeder andere: Die
Lesben- und Schwulenunion
freut sich, dass sich die
CDU für Trends öffnet.
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konzentrat 15
Zeitung zum CDU-Bundesparteitag
1. bis 2. Dezember 2003, Leipzig
MERKELS MUT
>> Hat gut lachen:
Angela Merkel sitzt so fest
im Sattel wie noch nie.
In der Kanzlerfrage der Union wird Angela Merkel
immer mehr zur Favoritin. Von Janina Rogge
sind ähnlicher Ansicht. „Wenn
Angela Merkel keine Fehler mehr
macht, wird sie das Rennen für
sich entscheiden, auch wenn ich
persönlich Roland Koch bevorzuge“, erklärt der junge BadenWürttemberger Peter Wick.
„Stoiber hatte seine Chance“,
meint Dirk Fischer, der Landesvorsitzende der CDU Hamburg.
Aber auch wenn viele Delegierte
eine persönliche Meinung haben
- entschieden wird laut dem stellvertretenden Bundesvorsitzenden
der Jungen Union, Markus Klein,
frühestens 2005: „Das werden
wir in aller Ruhe klären.“ Dies
ist sicherlich die offizielle Linie
der Union, dennoch kann man
nicht leugnen, dass dieser Parteitag
beeinflussend für viele Delegierte
war. So sieht Richert Meng, Redakteur der „Frankfurter Rundschau“,
den geringeren Applaus für Stoiber
als Anzeichen, das die Delegierten
ihn nicht als Kanzlerkandidaten
sehen wollen - schon eher als
Bundespräsidenten.
Der Applaus am Montag war
sicherlich nicht überwältigend.
Dennoch kam Angela Merkel, die
Parteivorsitzende der CDU, auf
dem Bundesparteitag der CDU
in Leipzig weitaus besser an als
ihr Contrapart Edmund Stoiber
(CSU). Das lag sicherlich daran,
dass sie wegweisend wurde.
Viele Delegierte schätzten diese
Nüchternheit und die Konzentration auf das Wesentliche. Nach
Meinung von Thomas Roth (Leiter
des ARD-Hauptstadtstudios) ist es
Merkel gelungen, die Partei hinter
sich zu bringen.
„Man kann nun nicht mehr
sagen, dass die Union kein Konzept hat“, sagt Veronika Bellman,
sächsische Delegierte. „Nun sollte
auch klar sein: Wer Merkel schlachtet, schlachtet die Union.“ Auch
Volker Liepeld aus Berlin hat die
Rede gefallen. Und auch er sieht
Merkel als Kanzlerkandidatin, da
sie „ihre Führungsstärke ausgebaut
hat und sich strategisch gut und
mutig verhält.“ Viele Delegierte
jugendpresse-infos | www.jugendpresse.de
PRAKTIKA LEICHT GEMACHT
„Praktika-Knigge“ ab sofort zu bestellen
Um erfolgreicher Journalist zu
werden, müsst ihr viele Praktika
machen. So tönt es überall doch wie komme ich an ein
Praktikum, welche Redaktion ist
die beste für mich, wie lange
soll das Praktikum dauern und
was sind die rechtlichen Grundlagen, auf die ich aufpassen
muss? Diese und viele weiteren
Fragen beantwortet der „Praktikaknigge“, der kürzlich in Buchform erschienen ist. Der Autor
Stefan Rippler (Projektleiter pla-
net- praktika.de) ist ebenfalls
noch ein Jugendpressler, der
hervorragend versucht Fragen
zu beantworten und Tipps zu
geben. Die Broschüre ist für
eine Gebühr von 1,00 Euro
(zzgl. Versandkosten) bei der
Jugendpresse Deutschland unter
030/450 86 550 oder
[email protected]
zu erhalten.
MIT DEN MEDIEN IN DIE PAMPA
Jugendmediencamps
Zu Pfingsten geht die Jugendpresse zelten und das
nun schon zweifach. So findet neben dem traditionellen
Jugendmediencamp zwischen Berlin, Brandenburg und
Mecklenburg-Vorpommern nun auch ein Jugendmediencamp zwischen Niedersachsen, Hamburg und
Schleswig-Holstein statt. Dabei wird auf einem Zeltplatz
für fünf Tage eine Zeltstadt aufgebaut, die von hunderten Jugendmedienmacher bevölkert wird. Diese können
bei den Workshops zur Campzeitung, Kabarett, PlakArt
u.v.m. ihr Fähigkeiten unter Beweis stellen und ausbauen. Wer schon jetzt bei der Organisation mithelfen möchte oder einfach die Berichte von
diesem Jahr sucht, findet mehr Infos unter
www.jugendmediencamp.de oder www.jmc-nw.de.
MIT DER JUGENDPRESSE INS FERNSEHEN
„Schreinemakers“ sucht Schülerreporter
Es ist unsere Generation, die den
Kopf hochhebt und gelangweilt
den ganzen Pessimisten entgegen
ruft: „Guten Tag, ich will mein
Leben zurück!“ Es sind die Kämpfer
und Idealisten, die hinter ihren
Schulbänken sitzen,
einer Ausbildung
frönen oder als
Student ihr Wissen
nicht nur aus Nüssen
mit Rosinen beziehen. Und trotzdem
hat unsere Generation ein schlechtes
Image. Die Jungen
beachten die Alten zuwenig, spucken
auf den Boden und generell ist
unser Auftreten mehr als unnormal.
Kurz: „Wir sind verdorbene, verlorene Schlüsselkinder. Wir spielen
Computer und zocken Spielekonsolen, sprechen offen über Sex und
Globalisierung - haben aber auch
nichts gegen das neue Parfüm von
Naomi Campbell.“
Die ARD-Sendung „Schreinemakers“
mit der beliebten Moderatorin,
Journalistin und leidenschaftlichen
Mutter Margarethe Schreinemakers
sucht gemeinsam mit der Jugendpresse Deutschland, Jugendliche die
sich für ihre Generation einsetzen.
Jungs und Mädels wie Ihr, die sich
nicht zu schade sind etwas von Ihrer
Motivation und Erfolgen der Republik zu vermitteln. Wer also Lust hat
einmal als Schülerreporter für die
Sendung Schreinemakers unterwegs
zu sein, oder ein spannendes Projekt
oder Thema kennt, der ist eingeladen mitzumachen! Unter http:/
/schreinemakers.jugendpresse.de
findet Ihr weitere Info´s oder einfach
eine Mail an schreinemakers@
jugendpresse.de senden.
16 quietschorange
politik orange
GEREIFTE PRODUKTE IM SONNENLICHT
>> Das Kind im Manne: Auch
ein Parteitagsdelegierter kann nicht
immer nur Antragsbücher wälzen.
Eine Orange versucht im Sponsoringbereich des Parteitags vergeblich, Porsche zu fahren. Von Kira Mörke
Adventszeit ist Orangenzeit. Was die Obstindustrie für selbstverständlich hält, ist für uns
nur Zeichen eines starken Geburtenmonates.
Unsere zweibeinigen Freunde haben dagegen
mit ihren Geburten so einige Probleme. In der
Fachsprache nennen sie das demographischen
Wandel. Und weil ihr ganzer Reife- und
Ernteprozess eine Schlechtwetterperiode
durchmacht, werden wir zur mentalen
Unterstützung der Delegierten nach Leipzig
zum Bundesparteitag der CDU geschickt.
Wir sind unparteiische Profis und wussten,
was uns erwartet. Dennoch war insbesondere
der Weg zum Plenarsaal schwer zu kullern,
führte er doch durch die Sponsorenhalle.
Das fanden wir aus orangener Sicht komisch,
da es bei uns keine Aussteller mit Werbegeschenken, smartem Lächeln und souveräner
Fragetechnik gibt. Haben die Zweibeiner
mit ihrem Ernteproblem nicht schon genug
zu tun?
Gern erinnert man sich an den Kieler
Bundesparteitag, wo im Jahre 1975 lediglich
ein „Aussteller“ den Delegierten Gutes
tun wollte. Das waren noch Zeiten. In
diesem Jahr sind es 72 Aussteller, die auch
vitaminös einen guten Eindruck machen.
„Die Aussteller bewerben sich bei uns im
Vorfeld. Meist basiert diese Zusammenarbeit
auf einer langjährigen Kooperation“, verrät
der vielbeschäftigte Organisationsleiter Ulf
Leisner. Fast ein Orangenleben davor, genauer
neun Monate, starten die Verhandlungen.
Stände werden verteilt, Plätze gebucht und
Vorfreude geschürt.
Entspannte Orangenhaut
An einigen Ständen kann man(n) einfach
nicht vorbei. Wenn Verbände der Automatenwirtschaft zum Shuffleboard einladen,
werden aus steifen Anzugträgern kleine
Spitzensportler mit Siegeswillen. Auch ErnstReinhard Beck, Bundestagsabgeordneter
und Oberst der Reserve im Verteidigungsausschuss, kann beim simulierten Kugelstoßen
per Joystick nicht widerstehen. Wir hingegen
haben Mitleid mit den in Plastik gegossenen
Babyorangen in der knallbunten Konsole
der Spielautomaten. „Das Kind im Manne
ist einfach zu stark. Hier war zufällig frei,
und ich muss doch informiert sein, was die
Jugend heute so macht“, kommentiert der
junggebliebene Beck, dessen Orangen immer
vom Jetlag klagen. Wir trösten unsere Kollegen und wünschen ihnen eine entspannte
Orangenhaut im Regierungsalltag.
Des weiteren weist Beck auf die Lichtprobleme in der CDU-Plantage hin: „Die
Dunkelheit im Plenum macht einen ganz
müde.“ Der clevere Aussteller reibt sich in
diesem Moment die Hände. Produkte im
Sonnen - bzw. wie die Zweibeiner sagen,
Rampenlicht - vermitteln einfach bessere
Werbebotschaften. Die kleine „Messe“ erfreut
sich sichtlich an der guten Stimmung der
Passanten, und wir kugeln uns schon fast
vor Lachen in den freudig geschwungenen
Taschen und Täschchen.
Mitten im Saal kitzelt plötzlich der Geruch
von Neuem in der Nase. Bei Porsche wären
die Standtüren schon eingerannt, wenn es
welche gäbe. Nur leider ist das beste Stück
weder Probe zu sitzen, geschweige denn
zu fahren. „Der Messewagen vom Modell
Carrera GT wird nur in Ausnahmefällen
geöffnet“, so die 26-jährige Werksangestellte
Sandra Reiche. Augenzwinkernd lächelt sie
ihrem Kollegen zu, bevor ihr Blick wieder
zum eigenen Ausstellungsobjekt schwenkt.
Ein kleiner Spalt im Fenster hätte für uns
gereicht, den Sprung ins Innere zu machen.
Aber wir resignieren. Die VIP‘s hingegen
genießen ihren Status. Laurenz Meyer und
Peter Hintze geben sich hier die frischpolierte
Autotür in die Hand. Das gehört dazu.
Die Region der hiesigen Zweibeiner
mit ihren süßen Aussprachefehlern kann
sich freuen, da ihnen die mediale Präsenz
wichtig ist. Firmen wie Wurzener nutzen die
Gelegenheit, die eigene Produktpalette in
ihrer gesamten Fülle vorzustellen. Produkte
der neuen Bundesländer schaffen so den
Sprung zum Absatzmarkt der alten Republik.
So tun sich Partei wie Region etwas Gutes.
Dem gemeinen Besucher bleibt jedoch
die wahre Wohltätigkeit vergönnt. Hinter
den Kulissen regiert der Philip Morris
Presseservice - ein Tummelplatz für unsereins.
Journalistenherzen schlagen höher bei diesem
„All-Inclusive-Angebot“. Es soll an nichts
fehlen, sogar für die Zigarette danach ist
gesorgt. Pressesprecherin Antje Köhler,
die die gesamte Orangenorganisation mit
überraschender Gelassenheit sieht, will
Wohlbefinden verbreiten. Kommunikativ
ist sie immer am Ball und vergisst bei der
ganzen Anonymität nicht, liebevoll mit
den Journalisten ins Gespräch zu kommen.
Dabei gilt ihr Credo, dass guter Service die
Basis guter Arbeit ist. Wenn Sponsoring so
einfach ist, sollten auch wir Orangen über
die Erfindung dieser Marktlücke debattieren,
um sie anschließend zu schließen.
Die Zweibeiner erklären uns in diesem
Atemzug, was es heißt, Lobbyismus zu
betreiben. Ständige Gesprächspartner sind
nun einmal die wertvollsten. Wir werden
diesbezüglich in naher Zukunft zusammenrollen und darüber entscheiden, ob eine Teilfinanzierung unserer ROLL-INs und smarte
Verkäufer mit Honig in den Haaren die
Inhalte und Visionen der Vereinigten Saaten
von Obstsorten voranbringen. Gedankenvoll
rollen wir schließlich vom Parteitagsgelände
und sinnieren über die vielzitierten Worte
von Henry Ford: „Die Hälfte des Geldes, die
ich für Werbung ausgebe, gebe ich umsonst
aus. Ich weiß nur nicht, welche Hälfte.“

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