1 Predigt im Gottesdienst am 12. April 2015 (Quasimodogeniti

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1 Predigt im Gottesdienst am 12. April 2015 (Quasimodogeniti
Predigt im Gottesdienst am 12. April 2015 (Quasimodogeniti)
in der evang. Kreuzkirche in Reutlingen
Predigttext Johannes 20,19+20.24-31
Pfarrer Stephan Sigloch, Pfarramt Kreuzkirche III, Reutlingen
I.
Einleitung
In der Grundschule – ich bin Reli-Lehrer in den Klassen 1 +2,
liebe Schwestern und Brüder, liebe Gemeinde – dreht sich
vieles um Feiertage: Wir erzählen die Geschichte der Geburt
Jesu, erzählen von seinen letzten Tagen und seinem Sterben –
und natürlich etliche Geschichten „dazwischen“ von Jesus, den
Menschen, die mit ihm unterwegs waren und denen er und
wie er ihnen begegnet ist. Und wir erzählen von Ostern: dass
Jesus auferstanden ist, auferweckt …
… für manche der Jungen und Mädchen klingt das ganz selbstverständlich, weil sie die Geschichten kennen. Anderen sind sie
fremd, nie davon gehört. So oder so – den Kindern geht es
ähnlich wie uns Erwachsenen:
Weihnachten liegt uns näher als Karfreitag. Und Ostern ist
nochmal ein bisschen weiter weg. Freude über die Geburt eines Kindes ist uns vertraut. Dass ein Mensch durch das, was er
tut, sich so viele Feinde machen kann, dass sie ihn aus dem
Weg räumen – das finden wir vielleicht nicht in Ordnung, aber
wir können es uns immerhin vorstellen. Aber dass dieser Hingerichtete auferweckt wird aus dem Tod und als Auferstandener Menschen begegnet sein soll – damit tun auch wir uns
schwer, nicht wahr?
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Trotzdem – nur von Ostern her kommen die anderen Feiertage
überhaupt in den Blick:
Ohne Ostern wäre die Hinrichtung dieses Zimmermanns aus
Nazareth schnell in Vergessenheit geraten. Niemand hätte sich
Gedanken darüber gemacht, welche Bedeutung sein Sterben
wohl gehabt hat und womöglich bis heute hat. Niemand wäre
auf die Idee gekommen, „Karfreitag“ zu feiern.
Ohne Ostern hätte niemand sich dafür interessiert, wo und
wie dieser Jesus von Nazareth denn zur Welt gekommen ist –
irgendwo in einem unbedeutenden Winkel des römischen
Reiches. Niemand hätte „Weihnachten“ gefeiert.
Niemand hätte die Geschichte dieses Menschen je erzählt und
sie schon gar nicht aufgeschrieben und bis heute überliefert.
So aber erzählen und lesen wir Christen seit zwei Jahrtausenden die Geschichten von Jesus und den Menschen, die mit
ihm unterwegs waren und denen er begegnet ist.
In der gestrigen Ausgabe der Zeitung1 hat sich ein Leserbriefschreiber echauffiert, das Neue Testament (wie andere „heilige Schriften“) sei „nicht mehr zeitgemäß“. Mag sein. Vermutlich war das Evangelium noch nie unserer Zeit gemäß. Gerade
darum erzählen, lesen, deuten wir es: wir vertrauen, dass das
Evangelium uns hilft, unser Leben in seinen Facetten und Erfahrungen zu verstehen, dass dadurch unser Glaube wachsen
und gestärkt werden kann.
Unser Predigttext ist eine Ostergeschichte – und ist unsere
Ostergeschichte:
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II.
Text
Am Abend dieses ersten Tages der Woche, als die Jünger versammelt und die Türen verschlossen waren aus Furcht vor den
Juden (= jüdischen Behörden), kam Jesus und trat mitten unter
sie und spricht zu ihnen: „Friede sei mit euch!“ Und als er das
gesagt hatte, zeigte er ihnen die Hände und seine Seite. Da
wurden die Jünger froh, dass sie den Herrn sahen.
Thomas aber, der Zwilling genannt wird, einer der Zwölf, war
nicht bei ihnen, als Jesus kam. Da sagten die anderen Jünger zu
ihm: „Wir haben den Herrn gesehen.“ Er aber sprach zu ihnen:
„Wenn ich nicht in seinen Händen die Nägelmale sehe und meinen Finger in die Nägelmale lege und meine Hand in seine Seite lege, kann ich’s nicht glauben.“
Und nach acht Tagen waren seine Jünger abermals drinnen
versammelt und Thomas war bei ihnen. Kommt Jesus, als die
Türen verschlossen waren, und tritt mitten unter sie und
spricht: „Friede sei mit euch!“
Danach spricht er zu Thomas: „Reiche deinen Finger her und
sieh meine Hände, und reiche deine Hand her und lege sie in
meine Seite, und sei nicht ungläubig, sondern gläubig!“
Thomas antwortete und sprach zu ihm: „Mein Herr und mein
Gott!“ Spricht Jesus zu ihm: „Weil du mich gesehen hast,
Thomas, glaubst du. Selig sind, die nicht sehen und doch
glauben!“
Noch viele andere Zeichen tat Jesus vor seinen Jüngern, die
nicht geschrieben sind in diesem Buch. Diese aber sind
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geschrieben, damit ihr glaubt, dass Jesus der Christus ist, der
Sohn Gottes, und damit ihr durch den Glauben das Leben habt
in seinem Namen.
III.
Ist Ostern „wahr“?
Da sitzen sie also – irgendwo in Jerusalem. Die Türen verriegelt aus Angst, jemand könnte sie als Galiläer erkennen und
mit diesem Jesus in Verbindung bringen, der grade erst gekreuzigt worden ist.
Wo war Thomas? Möglicherweise hat ihn das Los getroffen,
einkaufen zu gehen. Irgendeiner musste ja auch mal raus2. Wie
auch immer: Er ist nicht da, als Jesus kommt. Thomas wird sofort gespürt haben, dass etwas Wesentliches passiert ist: „Da
wurden die Jünger froh, dass sie den Herrn sahen“ – das muss
Thomas aufgefallen sein.
Wir können Ostern nicht beweisen, können nicht beschreiben,
was damals und wie genau es geschehen ist. Bedeutet das
aber automatisch, dass Ostern nicht „wahr“ sein kann? Ist es
nicht merkwürdig, dass wir selbstverständlich für wahr halten,
was in Zeitungen abgedruckt ist, aber grundsätzlich in Frage
stellen, was in der Bibel steht?3 Wir können auch anderes nicht
beweisen – und nehmen es trotzdem ernst, lassen uns
dennoch darauf ein: Wie viel in unserem Leben basiert nicht
auf Beweisen, sondern auf Vertrauen …!?
Manchmal geht mir auf dem Fahrrad, auf dem Roller oder im
Auto der Gedanke durch den Kopf: Du verlässt dich grade ganz
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vertrauensvoll darauf, dass die Technik – in dem Fall vor allem
die Bremsen – funktioniert.
Wer sich entscheidet, zu heiraten und sein Leben mit einem
bestimmten Menschen zu teilen, vertraut darauf, dass der
Partner oder die Partnerin das genau so will – ohne einen
letzten Beweis dafür zu haben …
Wir vertrauen uns in entscheidenden Dingen und Fragen und
ganz selbstverständlich anderen an … darum war der (vermutlich vom Co-Piloten verursachte) Flugzeugabsturz in Südfrankreich für viele Menschen so beklemmend: Weil wir ja beim
Einsteigen in ein Flugzeug offensichtlich die Kontrolle abgeben.
Wir tun das auch sonst, aber es ist nicht so deutlich.
Ist Ostern „wahr“? Nicht nur Thomas muss gemerkt haben,
dass seine Freunde sich verändert haben. Irgendetwas muss
passiert sein, dass Menschen, die sich nur noch versteckt
haben, plötzlich mit dem Bekenntnis „Christus ist auferstanden“ an die Öffentlichkeit gegangen sind. Und wenn Johannes
erzählt: „Da wurden die Jünger froh, dass sie den Herrn sahen“
– dann erzählt er genau davon: Die Freude überwindet ihre
Furcht. Und es wird für sie wahr, was Jesus sagt: „Friede sei mit
Euch!“
IV.
Thomas – unser „Zwilling“
Witzig, dass Thomas den Beinamen „Zwilling“ trägt, er könnte
der Zwillingsbruder sehr vieler Menschen sein: „Wenn ich nicht
mit eigenen Augen seine Wunden sehe und sie nicht mit
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meinen Händen berühren kann, dann kann ich’s nicht glauben,
was ihr behauptet: dass ihr den Herrn gesehen habt.“
Thomas wird die Auferstehung bezeugt, weil er sie nicht selber
erlebt hat. Genau wie die ersten Christen, genau wie wir – ein
„Hörer aus zweiter Hand“4. Er ist uns sympathisch, weil er sich
damit nicht zufrieden geben will: „Wenn ich nicht …, dann
glaube ich’s nicht!“
Wir machen das auch. In unserer „aufgeklärten“ Welt gilt es
als normal, einen „Glauben“ an Bedingungen zu knüpfen. Auch
wenn es nicht sehr logisch klingt, ist es doch irgendwie normal.
Es lohnt sich, dass wir uns das klar machen – schon im Blick
darauf, was wir unseren Kindern weitergeben und vorleben.
Möglicherweise gibt es aber einen Unterschied, den wir auf
den ersten Blick gar nicht sehen: Thomas will ja glauben – ich
habe manchmal in Gesprächen den Eindruck, dass Fragen und
Zweifel, die für Thomas ein echtes Hindernis gewesen sind,
heute gerne als willkommene „Hinderungsgründe“ genommen
werden, wir könnten auch „Ausreden“ sagen.
Aber – und das ist mir wichtig, gerade weil das bei Thomas
nicht so ist, weil er keine Ausreden sucht, weil er ja glauben
will – mich stört, dass er „der ungläubige Thomas“ genannt
wurde und wird. Das ist ein Schaden! Denn damit wird gesagt:
Wer zweifelt, wer seine Fragen ernst nimmt, gilt automatisch
als „ungläubig“. Aber so ist es nicht – wie viele Zweifel und
Fragen und Klagen werden in den Psalmen hinaus geschrien
und sie sind eben gerade kein Ausdruck von Unglauben,
sondern von tiefem Glauben: Sie fragen und klagen, weil sie
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nicht Gott los sein wollen. Darum halten sie in ihren Fragen
und Klagen an ihm fest, bleiben in Kontakt …
Wer seinen Glauben ernst nimmt, muss auch Fragen und Zweifel ernst nehmen! Der Glaube muss Raum lassen für unsere
Erfahrungen. Und wir erleben Manches, das nicht gut ist, das
Fragen aufwirft.
Jesus wendet sich ausdrücklich Thomas zu – „seelsorgerlichwerbend“ wirkt er auf mich5. Ein Ausleger schreibt, Jesus hätte
zugleich mit Thomas alle „späteren Christen [und ihren] Weg
zum Glauben […] mit im Blick“6 – dazu gehören wir auch, da
sind wir also eingeschlossen.
Offen bleibt, ob Thomas die Wunden schließlich berührt.
„Mein Herr und mein Gott!“ Er bekennt: In Dir, dem auferstandenen Gekreuzigten, erkenne ich den Sohn Gottes, der –
und das ist für damalige Ohren eine ungeheure Provokation
„als der Gekreuzigte Gott ist“7.
V.
„Diese aber sind geschrieben, damit ihr glaubt …“
So gehört Thomas doch noch hinein in den Kreis derer, die den
Auferstandenen mit eigenen Augen gesehen und ihn erlebt
haben. Darin „unterscheidet sich Thomas von allen Christen,
die fortan zum Glauben kommen werden: Sie werden [zum
Glauben kommen], ohne den Auferstandenen zu sehen“8 – wie
Johannes von dem Jünger im Grab erzählt (Joh 20,8), der „sieht“
– nämlich wie die Binden liegen, die nicht abgewickelt sind,
sondern sozusagen „leer“ – und zum Glauben kommt.
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Zeichen, wie es diese Binden waren, könnte für uns schon die
Tatsache sein, dass diese Geschichte seit 2000 Jahren Menschen prägt, trägt … und sogar so tröstet, dass sie an den Gräbern ihrer Lieben hoffnungsvolle Lieder singen.
Zum Glauben kommen, ohne den Auferstandenen selber gesehen zu haben … das passiert seit 2000 Jahren. Wodurch? Wie
ging und wie geht das? Jesus sagt zu Thomas: „Selig sind, die
nicht sehen und doch glauben!“ (Joh 20,29)
Mit diesem letzten, herausfordernden Satz des Auferstandenen beendet Johannes sein Buch – und mit einem Hinweis,
wodurch und wie Menschen zum Glauben kommen: „Noch
viele andere Zeichen tat Jesus vor seinen Jüngern, die nicht
geschrieben sind in diesem Buch. Diese aber sind geschrieben,
damit ihr glaubt, dass Jesus der Christus ist, der Sohn Gottes,
und damit ihr durch den Glauben das Leben habt in seinem
Namen“ (Joh 20,30f). Das heißt:
Der auferstandene Gekreuzigte, das menschgewordene Wort
Gottes (Joh 1,14) begegnet uns in den Geschichten und Erzählungen der Bibel. Das Evangelium von Jesus Christus erzählt
und sagt: ‚Das gilt auch Dir! Gott meint auch Dich! Gerade
auch Dich!‘ Das können wir uns nicht selber sagen – ohne
irgendwann zu denken: ‚Ich rede mir das vielleicht nur ein?!‘
Das können wir nur glauben, wenn es uns zugesprochen wird
und wir es uns nicht selber sagen und einreden müssen.
Dafür sind die Texte der Bibel da – indem wir sie lesen oder
hören, zeigt Gott uns unseren Platz in seiner Geschichte.
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Wenn wir uns als Eltern und Paten fragen, was heißt das denn:
„Unser Kind und Patenkind begleiten, dass es sich zum Glauben
eingeladen weiß“? Biblische Geschichten erzählen. Aus der
Kinderbibel vorlesen – das legt eine Basis, aus der Vertrauen
wächst und auf der Fragen und Zweifel erörtert werden
können. Und als Antwort darauf können wir Lieder singen und
miteinander beten – und ernst nehmen, was wir im Text beobachten: „Glaube“ ist ein lebendiges Miteinander. Ein Gespräch
zwischen Gott und Mensch, mir und Christus. Wort und Antwort. Und Glaube schließt Verantwortung ein … aber das führt
jetzt zu weit.
VI.
Ostern – „Schwamm drüber?“
Ich will – letzter Punkt – stattdessen zurückkommen auf etwas,
das wir vorhin nur gestreift habe: Wer „Glauben“ ernst nimmt,
muss Fragen und Zweifel ernst nehmen können! Der Glaube
muss Raum lassen für Erfahrungen – gerade für schwierige.
Thomas antwortet auf die Oster-Erfahrung: „Wenn ich nicht
selber seine Wunden sehe und sie nicht berühren kann, dann
kann ich nicht glauben, dass ihr den Herrn gesehen habt.“
Das geht es um mehr, als nur um die Frage, ob sie wirklich den
Auferstandenen gesehen haben, ob das wirklich wahr ist, dass
Jesus auferweckt ist!
Ich höre darin auch: „Was geschieht denn in der Auferstehung
mit dem Leid, dem Schmerz, den Wunden und Verletzungen,
die das Leben geschlagen hat?“ Das Bekenntnis „Wir haben
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den Herrn gesehen“ hören wir ja als Menschen, in deren Leben
nicht alles „gut“ ist: Wir erleben vieles, das nicht gut ist, Fragen
aufwirft, Zweifel schürt.
Den Satz habe ich vergangene Woche drei Mal gesagt – in drei
Gottesdiensten in Altenheimen: ‚Wir erleben vieles, das nicht
gut ist und Fragen aufwirft und Zweifel schürt.‘ Jedes Mal
haben die Frauen und Männer zustimmend genickt.
Darum deutlich: Ostern sagt nicht einfach: „Schwamm drüber.
Am Ende wird alles gut!“ Ostern antwortet auf Fragen, die sich
stellen, weil in unserem Leben eben nicht alles immer gut ist.
Darum höre ich in Thomas‘ Worten auch die Frage: „Was geschieht in der Auferstehung mit den Wunden, die das Leben
uns zufügt?“ Von Karfreitag her bekennt unser Glaube: „Auch
in den schweren Erfahrungen von Not und Leiden sind wir nicht
ohne Gott!“ Die Geschichte von Thomas erzählt: Wunden
bleiben. Sie gehören zu uns …
… aber es geschieht eine grundlegende Verwandlung – bis hin
zu der Hoffnung am Ende der Bibel, dass Gott uns in seiner
neuen Welt die Tränen trocknen wird, die wir wegen des Leids
und Leidens in dieser Welt weinen, bis hin zu der Hoffnung,
dass in Gottes neuer Welt „der Tod nicht mehr sein [wird],
noch Leid, noch Geschrei, noch Schmerz mehr sein [wird]“ (Offb
21,4) – Gott wird alles neu machen!
Das ist das Evangelium, die gute Nachricht des Ostermorgens:
Sie macht uns zu „Quasimodogeniti“, zu Leuten, die „wie die
neugeborenen Kinder“ sind – voller Vertrauen, wie es ein neu-
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geborenes Kind ist … und so können wir einstimmen in den
Wochenspruch:
„Gelobt sei Gott, der Vater unseres Herrn Jesus Christus, der
uns nach seiner großen Barmherzigkeit wiedergeboren hat zu
einer lebendigen Hoffnung durch die Auferstehung Jesu Christi
von den Toten“ (1. Petrus 1,3 - Wochenspruch).
Amen.
_______________________________
1
2
Reutlinger Generalanzeiger vom 11.04.2015 S. 48
siehe
http://www.predigtpreis.de/predigtdatenbank/predigt/article/predigt-
ueber-johannes-2019-29.html
3
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5
6
7
8
https://www.facebook.com/Evangelisch?fref=nf
U. Wilckens, Das Evangelium nach Johannes (NTD 4), 1998, S. 315
a.a.O.
a.a.O.
a.a.O.
ebd. 316.
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