Tenor Gründe

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Tenor Gründe
VGH München, Beschluss v. 17.08.2010 – 1 ZB 08.912
Titel:
Normenketten:
§ 124 a Abs. 5 Satz 2 VwGO
§ 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 BauGB
§ 34 BauGB
§ 35 Abs. 1 BauGB
Orientierungsatz:
Wohnhaus oder Wochenendhaus auf einem Seeufergrundstück; Vorbescheid über die
bauplanungsrechtliche Zulässigkeit; Abgrenzung Innen- / Außenbereich; Verfestigung einer
Splittersiedlung; Ersatzbau; zulässigerweise errichtetes Wohngebäude
Schlagworte:
Wohnhaus oder Wochenendhaus auf einem Seeufergrundstück, Vorbescheid über die
bauplanungsrechtliche Zulässigkeit, Abgrenzung Innen- / Außenbereich, Verfestigung einer Splittersiedlung,
Ersatzbau, zulässigerweise errichtetes Wohngebäude
Tenor
I. 1.Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
2.Insoweit trägt die Klägerin die Kosten des Zulassungsverfahrens. Die Beigeladene trägt insoweit ihre
außergerichtlichen Kosten selbst.
3.Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird insoweit auf 5.000 Euro festgesetzt.
II.1. Die Berufung des Beklagten wird zugelassen.
2.Der Streitwert wird insoweit vorläufig auf 5.000 Euro festgesetzt.
Gründe
I.
1
Die Klägerin begehrt einen Vorbescheid über die Zulässigkeit von Baumaßnahmen auf den im Eigentum
ihrer Familie stehenden Grundstücken Fl.Nrn. 1481 und 920/2 Gemarkung E**********. Die unmittelbar an
den W****see grenzenden Grundstücke sind mit einem Gebäude bebaut, das in den Dreißigerjahren des
letzten Jahrhundert als Boots- und Badehütte errichtet und nach dem zweiten Weltkrieg zu einem
Wohnhaus umgebaut worden ist. Mit Bescheid vom 11. Januar 1950 erhielt die Großmutter der Klägerin die
Baugenehmigung für die „Instandsetzung der Dachkonstruktion, zum Einbau eines Schornsteins und zur
Errichtung eines Waschhauses auf dem Anwesen“. Mit Bescheid vom Juli 1958 (Datum der
bauaufsichtlichen Prüfung der Bauvorlagen: 16.7.1958) wurde der „Einbau einer Schiffshütte“ genehmigt.
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Im März 2007 beantragte die Klägerin einen Vorbescheid über die Zulässigkeit folgender Baumaßnahmen:
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1. Vollständige Modernisierung des Gebäudes, um es wieder als ständigen Wohnsitz nutzen zu können,
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2.rechtliche „Absicherbarkeit“ des Bestandsschutzes,
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3.Anhebung der Traufpunkte des Daches, um das Dachgeschoss sinnvoller nutzen zu können,
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4.Neubau eines Wohngebäudes mit - gemäß Frage Nr. 3 veränderter - Kubatur des bestehenden
Gebäudes.
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Mit Bescheid vom 9. August 2007 lehnte das Landratsamt den Antrag ab. Mit der daraufhin erhobenen
Klage beantragte die Klägerin zuletzt, den Beklagten zur Erteilung des beantragten Vorbescheids „zur
Frage der bauplanungsrechtlichen Zulässigkeit (nach Art der baulichen Nutzung und überbaute
Grundstücksfläche) von Abbruch und Neubau des Wohngebäudes auf dem Grundstück Fl.Nr. 1481 …“
sowie „zur Modernisierung des Wohngebäudes“ zu verpflichten. Mit Urteil vom 28. Februar 2008 gab das
Verwaltungsgericht München der Klage teilweise statt. Es verpflichtete den Beklagten, „der Klägerin den
Vorbescheid zur Modernisierung des bestehenden Wohngebäudes … zu erteilen“; im Übrigen wurde die
Klage abgewiesen.
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Die Klägerin beantragt, die Berufung zuzulassen, soweit die Klage abgewiesen worden ist.
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Zur Begründung werden ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils geltend gemacht. Das
Baugrundstück befinde sich im Innenbereich; das Vorhaben sei dort zulässig. Zu den in der Umgebung
vorhandenen, den Maßstab für die rechtliche Beurteilung bildenden Gebäuden gehörten auch
Freizeitzwecken dienende Gebäude. Auch die Voraussetzungen des § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 BauGB seien
erfüllt. Es läge eine Baugenehmigung vor; der auf dem Baugrundstück begründete Nebenwohnsitz sei
ausreichend.
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Der Beklagte verteidigt insoweit das Urteil. Er beantragt die Berufung zuzulassen, soweit das
Verwaltungsgericht der Klage stattgegeben hat.
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Zur Begründung werden ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils, besondere tatsächliche und
rechtliche Schwierigkeiten sowie eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend gemacht. Die
„Modernisierung“ des bestehenden Wohngebäudes beinhalte auch die Legalisierung des bereits Plan
abweichend ausgeführten Kniestocks. Das Verwaltungsgericht habe somit mehr zugesprochen als die
Klägerin zuletzt beantragt habe. Eine Verpflichtung zur Genehmigung der Modernisierungsmaßnahmen im
engeren Sinn sei rechtswidrig, weil diese sämtlich seit dem Inkrafttreten der Neufassung der Bayerischen
Bauordnung am 1. Januar 2008 genehmigungsfrei seien. Die Übergangsvorschrift des Art. 83 BayBO sei
auf Vorbescheide nicht anwendbar. Besondere tatsächliche und rechtliche Schwierigkeiten lägen vor, weil
sich die Fragen des Bestandsschutzes nicht ohne weiteres beantworten ließen. Aus diesem Grund habe die
Rechtssache auch grundsätzliche Bedeutung.
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Die Klägerin verteidigt insoweit das angefochtene Urteil.
II.
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1. Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Die von der Klägerin geltend
gemachten ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung liegen nicht vor (§ 124 Abs. 2 Nr. 1,
§ 124 a Abs. 5 Satz 2 VwGO).
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Es bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der planungsrechtlichen Beurteilung des
Verwaltungsgerichts, dass das Grundstück der Klägerin im Außenbereich liegt (a), dass der geplante
Ersatzbau öffentliche Belange beeinträchtigt (b) und die Voraussetzungen einer Teilprivilegierung gemäß
§ 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 BauGB nicht erfüllt sind (c).
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a) Es ist nicht ernstlich fraglich, dass sich das Grundstück der Klägerin nicht innerhalb eines im
Zusammenhang bebauten Ortsteils (§ 34 BauGB), sondern im Außenbereich (§ 35 BauGB) befindet.
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Ausgehend von dem im angefochtenen Urteil zutreffend dargelegten Maßstab für die Abgrenzung des
Innenbereichs vom Außenbereich ist es nicht fraglich, dass es sich bei dem Grundstück der Klägerin um ein
Außenbereichsgrundstück handelt. Das Verwaltungsgericht hat beim Augenschein festgestellt, dass in der
Umgebung des Baugrundstücks zwar neben Boots- und Badehütten auch zum Wohnen genutzte Gebäude
vorhanden sind, dass es sich aber nicht um eine dauerhafte, sondern nur um eine (nicht genehmigte)
gelegentliche Wohnnutzung handelt. Hieraus hat das Gericht den Schluss gezogen, dass auch diese
Gebäude – ausgenommen allenfalls das Gebäude der Klägerin – keine maßstabsbildende Bebauung im
dargelegten Sinne darstellen. Der Begründung des Zulassungsantrags lassen sich keine Gründe
entnehmen, die ernstliche Zweifel an der Richtigkeit dieser Beurteilung begründen könnten. Der Hinweis auf
das Normenkontrollurteil des Senats vom 2. Juni 2006 (Az. 1 N 03.1546) genügt nicht, um es plausibel
erscheinen zu lassen, dass auf den Seeufergrundstücken in einem nennenswerten, einen Ortsteil bildenden
Umfang Gebäude vorhanden sind, die die Voraussetzungen einer den städtebaulichen Charakter der
Umgebung mitbestimmenden Bebauung erfüllen. Das genannte Urteil betrifft zwar auch eine Bebauung am
Ufer des W****sees. Diese umfasst jedoch 25 zusammenhängende, weit überwiegend mit Wohnhäusern
und größeren, zum Teil mehrgeschossigen Wochenendhäusern bebaute (deutlich größere) Grundstücke
und weist damit eine andere Struktur auf als die Seeuferbebauung in der Umgebung des Grundstücks der
Klägerin.
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b) Es ist nicht ernstlich fraglich, dass die Neuerrichtung eines Wohnhaus auf dem Grundstück der Klägerin
als nicht nach § 35 Abs. 1 BauGB im Außenbereich privilegiertes Vorhaben unzulässig ist, weil das
Vorhaben den Darstellungen des Flächennutzungsplans widerspricht und die Verfestigung der
Splitterbebauung auf den Seeufergrundstücken befürchten lässt und somit öffentliche Belange
beeinträchtigt (§ 35 Abs. 2, Abs. 3 Satz 1 Nrn. 1 und 7 BauGB). Im Flächennutzungsplan ist das Grundstück
der Klägerin als Grünfläche dargestellt und deshalb von (weiterer) Bebauung freizuhalten. Die Verfestigung
der Splittersiedlung ist schon darin zu sehen, dass an die Stelle eines Gebäudes, das, so wie es ausgeführt
wurde, nicht im vollem Umfang von einer Genehmigung gedeckt ist, ein vollständig genehmigtes und somit
zulässigerweise errichtetes Gebäude träte. Zudem wäre sein Ersatz durch ein gleichartiges Gebäude unter
den Voraussetzungen des § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 BauGB trotz der Außenbereichslage erleichtert zulässig.
Diese Verfestigung ist in der im Wesentlichen aus lediglich geduldeten Gebäuden bestehenden
Splittersiedlung schon für sich gesehen negativ zu bewerten und damit im Sinn von § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 7
BauGB „zu befürchten“. Hinzu kommt, dass die Genehmigung eines Ersatzbaus auf dem Grundstück der
Klägerin mit großer Wahrscheinlichkeit in absehbarer Zeit auf den Nachbargrundstücken entsprechende
Bauwünsche bzw. Anträge auf nachträgliche Genehmigung des Bestandes zur Folge hätte (vgl. BayVGH
vom 15.7.2005 Az. 1 B 04.1080 <juris>).
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c) Es steht auch außer Zweifel, dass die genannten beeinträchtigten Belange nicht nach § 35 Abs. 4 Satz 1
Nr. 2 BauGB unberücksichtigt bleiben. Nach dieser Vorschrift kann einem Wohnhaus, das im Außenbereich
als gleichartiger Ersatz für ein zulässigerweise errichtetes, Missstände oder Mängel aufweisendes, längere
Zeit vom Eigentümer selbst genutztes Gebäudes errichtet wird und das für den im Gesetz näher geregelten
Eigenbedarf des Eigentümers bestimmt ist, zwar u. a. nicht entgegengehalten werden, dass es die
Entstehung, Verfestigung oder Erweiterung einer Splittersiedlung befürchten lässt und den Darstellungen
des Flächennutzungsplans widerspricht. Bei dem bestehenden Wohnhaus der Klägerin handelt es sich
nach der bisherigen Nutzung aber um den nur vorübergehend zu Wohnzwecken genutzten Nebenwohnsitz.
Damit scheidet eine Anwendung des § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 BauGB aus; denn ein Wochenendhaus bzw.
ein Zweitwohnsitz ist kein Wohnhaus im Sinn dieser Vorschrift. Die Teilprivilegierung erfasst nur bisher zu
Dauerwohnzwecken und als ständige Hauptwohnung genutzte Wohngebäude, nicht aber seit längerer Zeit
zu Ferienzwecken dienende oder als Zweitwohnsitz genutzte Wohngebäude (BVerwG vom 12.3.1982, NJW
1982, 1512 = BayVBl 1982, 538 [zu § 35 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1, Abs. 4 BBauG 1976]; BVerwG vom 25.6.2001
Buchholz 406.11 § 35 BauGB Nr. 348; BayVGH vom 29.3.2001 Az. 20 B 00.3075; Dürr in Brügelmann,
BauGB, § 35 RdNr. 133 mit weiteren Nachweisen). Da es darauf ankommt, ob eine Dauerwohnnutzung
durch den Eigentümer tatsächlich stattgefunden hat, muss der Frage, ob das Gebäude der Klägerin
zulässigerweise als Wohnhaus errichtet wurde, im Rahmen des Zulassungsantrags der Klägerin nicht
nachgegangen werden muss.
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2. Die Berufung des Beklagten wird zugelassen, weil die Rechtssache – vom Beklagten ausreichend
dargelegte - besondere tatsächliche und rechtliche Schwierigkeiten aufweist, soweit das Verwaltungsgericht
der Klage stattgegeben hat (§ 124 Abs. 2 Nr. 2, § 124 a Abs. 5 Satz 2 VwGO).
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Überdurchschnittliche Schwierigkeiten bereitet jedenfalls die Beantwortung der vom Verwaltungsgericht
bejahten Frage, ob die Voraussetzung des § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 5 Buchstabe a BauGB (zulässigerweise
errichtetes Wohngebäude) erfüllt ist, obwohl die für „Instandsetzung und bauliche Veränderungen“ erteilte
Baugenehmigung vom 11. Januar 1950 die beim Augenschein vom Verwaltungsgericht festgestellte, auf der
Errichtung eines Kniestocks beruhende Wandhöhe von „zwischen 3,50 m und 3,70 m“ (Seite 5 der
Niederschrift) nicht abdeckt und obwohl das Haus zuletzt während eines längeren Zeitraums (von mehr als
zwanzig Jahren) nicht mehr als Dauerwohnung, sondern als Zweitwohnung genutzt worden ist.
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3. Die Klägerin trägt die Kosten ihres erfolglosen Zulassungsantrags (§ 154 Abs. 2 VwGO). Dass die
Beigeladene ihre außergerichtlichen Kosten insoweit selbst trägt, ist billig, weil sie keinen Antrag gestellt
und sich damit schon aus diesem Grund keinem Kostenrisiko ausgesetzt hat (§ 162 Abs. 3, § 154 Abs. 2
VwGO). Die Streitwertfestsetzung (Nr. I.3. der Entscheidungsformel) beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und
Abs. 3, § 52 Abs. 3 GKG.
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Soweit der Zulassungsantrag abgelehnt wird, wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124 a
Abs. 5 Satz 4 VwGO).
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4. Soweit die Berufung zugelassen wird, ist eine Kostenentscheidung nicht veranlasst. Die Kosten des
Zulassungsverfahrens sind insoweit Teil der Kosten des Berufungsverfahrens. Nach § 22 Abs. 1 Satz 1 in
Verbindung mit § 1 Satz 1 Nr. 2 sowie § 6 Abs. 1 Nr. 4 GKG haftet der Beklagte insoweit für die mit
Zulassung der Berufung fällig gewordene Verfahrensgebühr.
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Die vorläufige Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 63 Abs. 1 Satz 1, § 52 Abs. 1, § 47 Abs. 1 Satz 1
und Abs. 2 sowie § 45 Abs. 1 und 2 VwGO.
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Belehrung zu Nr. II der Entscheidungsformel
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Das Verfahren wird insoweit als Berufungsverfahren fortgesetzt. Der Einlegung einer Berufung bedarf es
nicht (§ 124 a Abs. 5 Satz 5 VwGO)
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Die Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Beschlusses über die Zulassung der Berufung
zu begründen. Die Begründung ist beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof (in München Hausanschrift:
Ludwigstraße 23, 80539 München; Postfachanschrift: Postfach 34 01 48, 80098 München; in Ansbach:
Montgelasplatz 1, 91522 Ansbach) einzureichen. Die Begründungsfrist kann auf einen vor ihrem Ablauf
gestellten Antrag von dem Vorsitzenden verlängert werden. Die Begründung muss einen bestimmten Antrag
enthalten sowie die im Einzelnen anzuführenden Gründe der Anfechtung (Berufungsgründe). Wegen der
Verpflichtung, sich im Berufungsverfahren vertreten zu lassen, wird auf die Rechtsmittelbelehrung der
angefochtenen Entscheidung verwiesen. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung
unzulässig.
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König Lorenz Kraheberger