Fachsitzung des Studienseminars Geschichte

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Fachsitzung des Studienseminars Geschichte
Dr. Peter Spateneder
Realschule am Judenstein
Fachsitzung des Studienseminars Geschichte 2015/2017
vom 21. 10. 2015
EINSTIEGE
Schulalltag
Es klingelt. Die große Pause ist zu Ende. Schüler stürmen in die Klasse. Frank wirft Tom noch schnell den
Schwamm an den Kopf. Der Stuhl von Thorsten wird umgerissen. Die Lehrerin betritt die Klasse und begibt sich
zum Tisch. Hans kommt durch die Tür. Gekichere allenthalben. Irgendetwas murmelnd, das wie eine Entschuldigung
klingt, begibt er sich schlurfend zum Tisch. Es wird etwas ruhiger. Ines nimmt die Walkman-Stöpsel aus den Ohren.
Es klopft. Ein Schüler betritt das Klassenzimmer und fragt, ob er den Overheadprojektor haben könnte, der in seiner
Klasse befindliche sei defekt. Heftiger und lautstarker Widerspruch. Die Lehrerin erklärt, daß sie den
Overheadprojektor jetzt selbst benötige. Sie fordert die Schülerinnen und Schüler auf, das Geschichtsheft und das
Geschichtslehrbuch vorzunehmen, aber nicht zu öffnen. Die Lautstärke nimmt wieder zu; Schultaschen werden auf
den Tisch gedonnert. Sarah meldet sich: sie habe ihr Buch vergessen. Die Lehrerin gebietet Ruhe, weil sie jetzt
anfangen wolle. Sie verteilt ein Arbeitspapier. Gestöhne: „Schon wieder ein Zettel.“ Die Unlust der Schüler ist mit
den Händen zu greifen ... Schulalltag?
(nach Schneider, S. 6)
1. ALLGEMEINES
1.1. Der ideale Einstieg?
In fast allen Fällen ist es sinnvoll, den Einstieg vom Inhalt des Themas her zu
gestalten, das heißt, sichtbar zu machen, inwiefern ein Thema „frag-würdig“ ist, um
diese Fragwürdigkeit schließlich durch das didaktische Arrangement am Beginn der
Stunde so geschickt herauszuarbeiten, dass die folgende unterrichtliche Arbeit am
Thema für die Schüler aus der Sache heraus motiviert ist. In vielen Fällen ergeben sich
dabei Themenfragen, welche die Stunde nicht nur wie ein roter Faden
zusammenhalten, sondern im besten Falle einen Spannungsbogen bilden.
Ein bunter Knalleffekt am Beginn der Stunde wird nie diese nachhaltige Wirkung
haben, sondern fast immer nur kurzfristig motivieren. Im Idealfall thematisiert ein
guter Einstieg mithin die Kernproblematik der Stunde offen, indem er auf die
Themenstellung in ihrer problematisierten Form hinführt. Diese Frage sollte drängend
im Raum stehen. Wird die Themenfrage am Ende der Stunde wieder aufgegriffen, um
sie zu „beantworten“ kann das oft erneut anhand des Einstiegs bewerkstelligt werden,
so dass eine „runde“ Stunde entsteht, die von einem Spannungsbogen getragen wird.
1.2. Der Einstieg als Schlüssel zur Stunde?
Der Einstieg soll die Schüler in dreifacher Hinsicht für ein Thema „aufschließen“:
1.2.1. Schüler werden für das Thema/die Fragestellung der Stunde aufgeschlossen
1.2.2. Schüler werden für das Ziel der Stunde aufgeschlossen
1.2.3. Schüler werden ggf. für die didaktische Struktur der Stunde aufgeschlossen
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1.3. Maß halten hinsichtlich der Inszenierung des Einstiegs
Es geht beim Einstieg nicht um vordergründige Theatereffekte! Anders ist die Lage, wenn
der „Theatereffekt“ tatsächlich didaktisch wohlbegründet ist.
2.
ZWECK DES EINSTIEGS
2.1. Allgemeiner Zweck des Einstiegs
2.1.1. Motivation des Schülers, Öffnung, Vorbereitung der Schüler auf Thematik und
Stoff
2.1.2. Themeneröffnung, das heißt stringente Hinführung zur Themenstellung und
Aufreißen …
 einer dem Thema innewohnenden Problematik (War das Mittelalter eine Zeit
des Stillstands?)
 einer kognitiven Dissonanz (Verdun: Stadt des Friedens?)
 eines Widerspruchs (Deutschland am Vorabend des 1. Weltkriegs: Opfer einer
Einkreisung oder selbstverschuldete Isolation? )
 einer offenen Fragestellung (Warum scheiterte die Weimarer Republik? Woraus
schöpfen wir Wissen über die Vergangenheit?)
 einer zu hinterfragenden Bewertung eines Themas (War Karl der Große
wirklich groß?)
 usw.
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der Übergang vom Einstieg zur Fixierung des Themas sollte
organisch und bruchlos vor sich gehen!
soll eine kognitive Dissonanz oder ein Widerspruch
geweckt
werden, dann wird dies oft durch
multiperspektivische Gegenüberstellungen von Text- oder
Bildquellen erreicht (vgl. z.B. Anlage: Griewank und Schiller
über die Französische Revolution, S.7, oft sind hier Bilder im
Vorteil, weil sie pointierter eine Perspektive zum Ausdruck
bringen (vgl. Anlage: Brandenburger Tor aus West- und OstPerspektive).
2.2. Zweck des Einstiegs im Speziellen (mit steigendem Anspruch?)
2.2.1. Neugier wecken, Staunen hervorrufen, Identifikation ermöglichen Aktivierung von
Vorwissen
2.2.2. Planungsgespräch für die Stunde: Wie gehen wir weiter vor …
2.2.3. Überhaupt erst einmal Problembewusstsein schaffen
2.2.4. Provokation durch kontroverses oder multiperspektivisches Material
2.2.5. Schüler stellen Arbeitshypothesen auf
2.2.6. Schüler entwickeln eigene Fragestellungen an ein Thema (ggf. Fragen an Seitentafel
notieren)
2.2.7. Schüler werden neugierig „wie die Sache ausgehen wird“, „was das Ergebnis sein
wird“ usw.
 um diese Zwecke zu erreichen ist es oft ertragreich, die Stunde „von
hinten her aufzuzäumen“:
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a) Man geht von einem Phänomen der Gegenwart aus, dessen
historische Bedingtheit erklärt werden muss (Attentat in
Jerusalem, Protestanten und Katholiken,
Entschädigungsforderungen der Hereros etc.). Dazu gezielt
Zeitung lesen, regionale Bezüge nutzen usw.
b) Man geht vom Ergebnis eines historischen Vorgangs aus und
wirft die Frage auf, wie es dazu kommen konnte. Die Stunde
dient dann der „Erforschung“ der entsprechenden Ereignisse
und Ursachen. (z.B. Gang nach Canossa, Fund der Leiche Ötzis,
Bau der Berliner Mauer 1961 etc.)
3. METHODIK DES EINSTIEGS (ERWEITERT IN ANLEHUNG AN SCHNEIDER)
3.1. Einstiege zur Festigung des Gelernten
3.1.1. Schüler fragen Schüler (Schüler übernehmen Lehrerrolle)
3.1.2. Kombination von Text und Bild (Begriffe, Zahlen, Aussagen, Zitate, Namen usw.
der vergangenen Unterrichtsstunde sollen Abbildungen aller Art zugeordnet werden
3.1.3. Lückentexte oder Lügentexte/Fehlertexte
3.2. Einstieg mit kontroversen/multiperspektivischen Quellen
3.2.1. Soll Thesen, Behauptungen, Stellungnahmen der Schüler provozieren vgl. Zitate
Ignatius von Loyola und König Wilhelm IV.)
3.2.2. Beispiele: Quellen zur französischen Revolution im Anhang
3.3. Einstieg mit diachronen Vergleichen
3.3.1. Soll Veränderungen durch die Zeit sichtbar machen um die Ursachen zu
thematisieren
3.3.2. Beispiel: Stadtansichten Dortmunds im Anhang
3.3.3. Beispiel: Landkartenvergleich Kolonialisierung Afrikas im Anhang
3.4. Einstieg mit synchronen Vergleichen
3.4.1. Soll gleichzeitige Erscheinungen miteinander in Beziehung setzen
3.4.2. Beispiel: Wohnsituation im Kaiserreich im Anhang
3.4.3. Zahlenvergleich (Beispiel im Anhang Verluste 1. WK, 2. WK  Ziviltote)
3.4.4. Beispiel Kartenvergleich
3.5. Provokation als Einstieg
3.5.1. Soll Schüler affektiv für das Thema aufschließen und eine Haltung zum Thema
hervorrufen (die falsch sein darf!)
3.5.2. Beispiel: Ordensregel der Jesuiten im Anhang
3.5.3. Beispiel: Zitat König Wilhelms IV. von 1849
3.5.4. Beispiel Karikaturen (sind meist humorvoll und enthalten immer eine Wertung,
Stellungnahme, Beispiele im Anhang)
3.5.5. Beispiel: Emotionalisierung (z.B. im Anhang: Erzählung aus dem Dreißigjährigen
Krieg!)
3.6. Neugierde wecken
3.6.1. Beispiel: wie geht die Geschichte weiter …
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3.6.2. Beispiel: Belegplan eines Sklavenschiffes im Anhang
3.6.3. Beispiel: Momentaufnahme eines KZ-Häftlings in Buchenwald im Anhang
(Neugierde?, Pietät?)
3.7. Brainstorming
3.7.1. Schüler tragen selber Material zusammen (entweder um Vorwissen zu sammeln oder
aber um Vorurteile zu evozieren, Selbstverständliches in Frage zu stellen,
geschichtliche Wurzeln des Genannten bewusst zu machen usw.)
3.7.2. Als Auslöser eignen sich eher Sachquellen und Bilder als Texte
3.8. Einstiege in spielerischer Form
3.8.1. Meist leider keine thematische Problematisierung, reine Motivation
3.8.2. Beispiele: Rätsel, Puzzle, Burgmodell zusammensetzen etc.
3.9. Phantasiereise1
3.9.1. Beispiel: Attentat von Sarajewo
3.9.2. Beispiel: Gang durch Versailles mit Barockmusik
3.10. Einstieg mit einem Feature
3.10.1. Kombination Bilderfolge, zeitgenössische Musik, zu vielerlei Themen möglich (vgl
Beispiel Goldenen Zwanziger im Anhang und das digitale Feature dazu, weitere
Beispiele Judentum, Ritter usw.)
3.10.2. Folienfeature
3.10.3. Animoto.com
3.11. An ein aktuelles Tagesereignis anknüpfen
3.11.1.
Gegenwartsbezug herstellen
3.11.2.
Beispiel: Zeitungsbericht über Schändung jüdischen Friedhofs im Anhang
3.12. Anknüpfen an aktuelle Kontroversen
3.12.1.
Beispiel: Wehrmachtsausstellung im Anhang
3.12.2.
Goldhagen-Debatte
3.12.3.
Beispiel: Ende des Sozialstaates (Bismarck) im Anhang
3.13. Regionalbezüge (Romanik in Regensburg, Wie kommt der Judenstein an unsere
Schule usw.)
3.14. Kognitive Dissonanz als Einstieg
3.14.1.
nötigt den Schüler – gleichsam ob er will oder nicht – zum Denken!
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Methodische Aspekte einer Phantasiereise:
- Ggf. Einleitende Entspannung durchführen (z.B. schließ die Augen, setz ich entspannt hin, lege den Kopf auf
Deine Arme, achte auf Deine Atmung, Bauchatmung etc.)
- Ggf. Passende Musik/Ton zur Unterstützung verwenden (z.B. Barockmusik für Versailles)
- Ggf. Geschwindigkeit drosseln, langsam sprechen, Zeit geben, damit Bilder entstehen können
- Ggf. Eventuell Licht dämpfen
- Ggf. Stimme senken, Ruhe in die Stimme bringen, beruhigend wirken, keine Texte vorlesen, sondern frei
sprechen
- Die Schüler durch Schilderung möglichst eindringlich in die „andere Welt“ der historischen Situation
versetzen
- Ggf. Sinnliche Wahrnehmungen evozieren (direkt indem die Lehrkraft schildert, was man sieht, hört, riecht
oder fühlt, wie das Wetter ist usw. oder indirekt, indem man eben diese Wahrnehmungen abfragt, was
hörst, siehst, riechst Du? …): Ziel: es sollen innere Bilder entstehen.
- Am Ende der Fantasiereise wieder ins Klassenzimmer „zurückkehren“, die Schüler wieder „einfangen“
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3.14.2.
3.14.3.
Beispiel absolutistische Herrschaftsauffassung im Anhang
Beispiel Verdun im Anhang
4. PRAKTISCHE HINWEISE
4.1. Der Einstieg sollte im Normalfall nicht mehr als 5 Minuten umfassen
4.2. Besonderes Augenmerk ist auf den Übergang zur Erarbeitungsphase zu legen, Er soll
erstens natürlich und organisch sein und zweitens darf der Spannungsbogen nicht abfallen
(etwa, indem Sie im Einstieg ein wahres Feuerwerk zünden und die Erarbeitungsphase im
Anschluss einleiten mit: „Dazu habe ich Euch jetzt Material mitgebracht“, „Dazu machen
wir jetzt eine Gruppenarbeit“, „So, und jetzt schlagen wir das Buch auf S. 149 auf“).
Es gilt also vor allem zu bedenken, wie Sie das Material der sich anschließenden
Erarbeitungsphase einführen  am besten als Antwort auf die Frage, weitere Möglichkeit:
Authetizität schaffen, vgl. die Dokumente aus dem LB zur Potdsdamer Konferenz
4.3. Im Alltag wird der Einstieg auch immer wieder eine Art Gelenkstelle zwischen zwei
Stunden sein müssen, um erstens das Gelernte zu festigen und zweitens die neue Thematik
sinnvoll an die alte anzuschließen. Dazu eignen sich:
4.3.1. Schüler fragen Schüler
4.3.2. Zuordnung von Begriffen, Aussagen und Namen zu Bildern
4.3.3. Lückentext, Lügentexte
4.3.4. Rätsel
4.3.5. usw.
5. LITERATUR
Schneider, Gerhard: Gelungene Einstiege. Voraussetzung für erfolgreiche Geschichtsstunden,
Wochenschau-Verlag, Schwalbach 2008.
Schneider, Gerhard: Einstiege, in: Pandel, Hans-Jürgen, Schneider, Gerhard (Hg.): Handbuch
Methoden im Geschichtsunterricht, Schwalbach/Ts, 3. Auflage, 2007, S. 595-618.
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Anlage:
-
Überblicksgrafik zu möglichen Funktionen des Einstiegs aus: Schneider, Gerhard, Gelungene
Einstiege: Voraussetzung für erfolgreiche Geschichtsstunden, Wochenschau-Verlag, Schwalbach 2008, S. 26
-
Beispiele für Einstiege, meist aus Schneider, Gerhard, Gelungene Einstiege: Voraussetzung für
erfolgreiche Geschichtsstunden, Wochenschau-Verlag, Schwalbach 2008.
-
Beispiele für Einstiege aus dem eigenen Fundus
-
Skript des „Lehrerfreunds“ zu Schneider, Gelungene Einstiege
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Was muss im
Unterricht
schiefgehen,
damit der
Lehrversuch
Tag misslingt?
(Methode Kopfstand)
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Ursachenanalyse
(Nachbereitung )
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Gegenstrategien
(Vorbeugung)
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