Strategic Foresight bei TUI

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Strategic Foresight bei TUI
Strategic Foresight bei TUI
Fallstudie zu Corporate Research & Innovation
Diese Fallstudie beschreibt den strategischen Foresight-Prozess der Abteilung Corporate
Research & Innovation bei TUI, einem der weltweit grössten Touristikkonzerne mit Sitz in
Hannover. Als eigenständige Abteilung innerhalb des Group Marketings verantwortet „Corporate Research & Innovation“ (CRI) die strategische Markt- und Trendforschung sowie das
konzernübergreifende Innovationsmanagement des internationalen Konzerns. Der vorliegende
Fallstudienbericht bezieht sich auf den Zeitraum der Datenerhebung von September 2006 bis
Oktober 2006.
Auszug aus:
Müller, A.W. und Müller-Stewens, G. (2009). Strategic Foresight. Instrumente, Prozesse, Fallstudien. Schäffer-Poeschl: Stuttgart.
Organisation und Kultur der Abteilung Corporate Research & Innovation
Der strategische Foresight-Prozess des TUI-Konzerns wird durch die Einheit „CRI“ gesteuert, welche sich am Konzernhauptsitz in Hannover befindet. Neben „Brand Strategy“ und
„Brand Communication“ ist diese Abteilung Bestandteil des „Group Marketing“, welches
innerhalb des Zentralbereichs „Touristik“ angesiedelt ist und durch den Leiter CRI geführt wird.
Das übergreifende Ziel der Einheit besteht in der Unterstützung der strategischen Innovation
im Konzern. Dies beinhaltet zum einen die Versorgung des Managements auf Konzern- und
Geschäftseinheitsebene mit entscheidungsrelevanten Umfeldinformationen, zum anderen die
Steuerung des konzernweiten Innovationsmanagements. Der thematische Fokus liegt dabei im
eigentlichen Kerngeschäft des Konzerns, der Touristik.
Innerhalb der Abteilung lassen sich funktional die beiden Felder „Corporate Research“ und
„Corporate Innovation“ abgrenzen. Corporate Research umfasst zwei Mitarbeiter, die sich mit
strategischer Markt- und Trendforschung befassen. Im Gegensatz zur Marktforschung befasst
sich die qualitativ orientierte Trendforschung mit längerfristigeren Umfeldentwicklungen. Im
zweiten Bereich „Corporate Innovation“ arbeiten drei Mitarbeiter im Innovationsmanagement.
Dieses umfasst einerseits Innovationsforschung, die Entwicklung und Einführung funktionsfähiger Innovationsinstrumente, und andererseits die Förderung strategischer Initiativen im ganzen
Konzern.
Der Bereich „CRI“ wird mehrheitlich über ein zentrales Budget finanziert. Den Aufgabenbereichen entsprechend gliedert sich dieses in zwei verschiedene Positionen: einerseits in die „Innovationsforschung“, über welche neben dem „Concept Testing“ (Innovationskonzepte) auch
strategische Foresight-Projekte finanziert werden, und andererseits in eine Budgetposition zur
direkten Förderung der konzernweiten Innovationsarbeit. Der kleinere Teil der Finanzierung
erfolgt über die direkte Verrechnung von Auftragsstudien innerhalb des Konzerns.
In kultureller Hinsicht versteht sich CRI als Innovations- und Wandelpromotor, der das
Unternehmen bei der Anpassung an markt- und kundenbezogene Veränderungen im Umfeld
unterstützt. Beide Funktionsbereiche, „Corporate Research“ und „Corporate Innovation“,
kommen dabei zum Tragen:
• Corporate Research soll zum einen dafür sorgen, „… dass die Leute, die Veränderungsprozesse, die tatsächlich stattfinden, verstehen. Das ist nicht so trivial. Man muss erstmal verstehen, dass ein Markt nicht mehr so tickt oder ticken wird. Diese Transparenz muss man erstmal
erzeugen, dass sich da was bewegt und sich auch noch mitwandeln muss. Und erst wenn man
Transparenz hat, kann man lernen.“
• Corporate Innovation zielt zum anderen auf die Schaffung eines positiven Ideen- und
Wissensaustausches innerhalb des Konzerns ab. CRI erachtet es als grosse Verantwortung, die
hierfür benötigten Innovationsinstrumente, Kommunikationsplattformen und Regelstrukturen
bereitzustellen.
Methodischer Ansatz von CRI
Vier Fragestellungen leiten die strategischen Foresight-Aktivitäten des CRI:
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Welche bedeutenden Trends lassen sich aus der Veränderung der Gesellschaft erkennen?
Welche Implikationen für das Feld „Tourismus und Reisen“ sind mit diesen verbunden?
Welche Bedeutung ergibt sich aus diesen Trends in Bezug auf mögliche Geschäftschancen?
Wie kann TUI die entsprechenden Erfolgspotenziale realisieren?
Grundsätzlich betreibt das CRI eine Analyse über sämtliche Unternehmensumfelder hinweg, wobei sich diese zurzeit an drei aktiv bearbeiteten Schwerpunktthemen orientiert:
• Online-Geschäftsmodelle,
• Low-Cost-Airlines und
• neue Märkte.
Abgrenzung und Handhabung der Themenfelder werden allerdings flexibel angepasst, je
nach Bedürfnissen von Vorstand und Topmanagement. CRI steht es jederzeit offen, aktuelle
Themen eigeninitiiert aufzugreifen und weiter zu entwickeln. Die methodische Ausrichtung der
Foresight-Aktivitäten ist dabei stets chancenorientiert: Leitmotiv bildet die Identifikation und
Ausschöpfung zukünftiger Wachstumspotenziale. Risiko- und Frühwarnaspekten kommt vor
dem Hintergrund der schweren Abschätzbarkeit der relevanten Risikofaktoren nur eine untergeordnete Rolle zu. Der Zeithorizont der Foresight-Betrachtungen schwankt dabei zwischen
drei und fünf Jahren.
CRI nutzt ein breites Methodenportfolio, wobei der Hauptfokus auf qualitativen Trendund Medienanalysen liegt. Auf langfristige Sicht wird mit der Szenarientechnik gearbeitet. Mit
eigens entwickelten Modellen werden dabei über einen Zeithorizont von 15 Jahren bestimmte
Zeitpunkte in der Zukunft abgebildet und ein so genannter „Zukunftsbericht“ erstellt. Während
Trend- und Medienanalysen sehr regelmässig durchgeführt werden, kommen Szenarioanalysen nur alle zwei bis drei Jahre zum Einsatz. Auch die Wild Cards-Technik, Roadmapping oder
verschiedene Formen von Trend-Scouting werden genutzt. Als festes Prinzip werden jedes Jahr
neue Methoden zusammengestellt und eingesetzt.
Die durch CRI vorgegebene Dualität zwischen Corporate Research und Corporate Innovation
widerspiegelt sich auch im Ablauf des eigentlichen Foresight-Prozesses. Währenddem Forschungsaktivitäten dem ersten Prozessabschnitt zugeteilt werden können, kommt das Innovationsmanagement vor allem im zweiten Teil zum Tragen.
Die Initiierung des Foresight-Prozesses erfolgt im Rahmen der Klärung strategischer
Prämissen und Schwerpunktthemen, wie sie durch die Konzernstrategie vorgegeben werden.
Die einmal im Jahr durch Vorstand, Topmanagement und Konzernentwicklung eingebrachten
strategischen Themen gelten dabei als inhaltliche Basisvorgaben für die weitere Foresight-Arbeit, um eine möglichst hohe Konsistenz mit der bestehenden Konzernstrategie zu erreichen.
In einem zweiten Schritt werden einzelne forschungsleitende Chancenfelder definiert. Diese
erlauben eine starke Reduktion der Umfeldkomplexität im Foresight-Prozess, indem einerseits
Forschungsgebiete und Umfeldentwicklungen hinsichtlich ihrer Relevanz klarer eingeschätzt
werden können und andererseits gezielter nach neuen Wachstums- und Innovationspotenzialen
gesucht werden kann.
Die strategische Markt- und Trendforschung bildet den eigentlichen Kern des Foresight-Prozesses. Hier finden drei grundlegende Forschungsaktivitäten statt:
• Forschung zur Unterstützung der Identifikation von Chancenfeldern: Chancenfelder
werden einerseits auf Basis der strategischen Vorgaben, andererseits auch anhand neuer Marktund Trendinformationen aus der Grundlagenforschung definiert. Vielfach wird hierbei mit
externen Forschungsinstituten zusammengearbeitet, um immer wieder einen neuen Blickwinkel
und neue Perspektiven zu bekommen.
• Forschung im Rahmen konzerninterner Auftragsstudien und Foresight-Projekte: Als
Dienstleister führt die strategische Markt- und Trendforschung im Auftrag konzerninterner Kunden regelmässig Foresight-Studien zu produkt- und geschäftsstrategischen Fragen durch; so
insbesondere für a) die Konzernentwicklung, welche die Informationen für die kontinuierliche
Suche nach neuen Wachstumschancen, das „Scouting“, nutzt, b) das Group Strategy Board,
welches die Foresight-Studien als Entscheidungsgrundlage der jährlich verabschiedeten Corporate Policy und strategischen Initiativen (top-down) nutzt, c) Einzelgesellschaften im Konzern
(Unternehmen in den Quell- und Zielmärkten, Flug- und Hotelgesellschaften), welche vertiefende Foresight-Studien zur Unterstützung ihrer strategischen Planung anfordern.
• Forschung zur Förderung diverser strategischer Initiativen im Unternehmen (bottom-up):
Gezielte Grundlagenforschung inner- und ausserhalb der bestehenden Geschäftsfelder von TUI
bildet eine erste Wissensgrundlage zur konzernweiten Initiierung und Unterstützung strategischer Initiativen im gesamten Konzern.
Mit ihren Foresight-Studien stösst die strategische Markt- und Trendforschung den zweiten, innovationsbezogenen Abschnitt des Foresight-Prozesses an, der ebenfalls einmal im
Jahr durchlaufen wird. In einer ersten Phase werden hier konzernweit Innovationsideen zusammengetragen, um diese sodann hinsichtlich ihrer Relevanz und Realisierbarkeit zu bewerten
und zu filtern (Gate 1). Hochwertige Ideen werden im nächsten Prozessschritt zu umfangreicheren Innovationskonzepten weiterentwickelt. Für Konzepte mit hohem Erfolgspotenzial
werden nach einer erneuten Selektion (Gate 2) ausführliche Business-Pläne mit Chancen- /Risikoprofilen und Implementierungsplan erarbeitet. Nach einer letzten, dritten Filterung (Gate 3)
erfolgt am Ende des Foresight-Prozesses die Nomination ausgewählter Business-Pläne, welche
in letzter Instanz durch den Vorstand definitiv zur Umsetzung in den Geschäftsbereichen und
Konzerngesellschaften freigegeben werden.
Vorstand und Topmanagement beeinflussen Foresight-Aktivitäten vor allem über die inhaltlichstrategischen Vorgaben zu Prozessbeginn. Einer formalen Leistungsüberwachung unterliegt
insbesondere der zweite, innovationsbezogene Prozessabschnitt, wo anhand einer eigens
entwickelten Controlling-Plattform („Innovation Score Card“) einmal jährlich qualitative und
quantitative Indikatoren zu unterschiedlichen Themenbereichen gemessen werden.
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Dr. Adrian W. Müller
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