Militärgeschichte

Transcrição

Militärgeschichte
Zeitschrift für historische Bildung
C 21234
ISSN 0940 – 4163
Heft 2/2003
Militärgeschichte
Militärgeschichte im Bild: Generalleutnant Wolf Graf Baudissin
SED-Betriebskampfgruppen
Landsknechte
Marinestützpunkt Wilhelmshaven
Wehrmachthelferinnen
Militärgeschichtliches Forschungsamt
MGFA
IMPRESSUM
Editorial
Militärgeschichte
Zeitschrift für historische Bildung
Herausgegeben
vom Militärgeschichtlichen Forschungsamt
durch Jörg Duppler und
Hans-Joachim Harder
Redaktion:
Andreas Groh (ag), Clemens Heitmann (ch),
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René Henn
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Druck:
SKN Druck und Verlag GmbH & Co., Norden
ISSN 0940-4163
am 17. Juni dieses Jahres jährt sich zum fünfzigsten Male die
Erhebung der Menschen in der DDR gegen die – damals
noch junge – SED-Diktatur. Auch wenn der 17. Juni seit
der Vollendung der deutschen Einheit im Jahr 1990 in der
Bundesrepublik kein gesetzlicher Feiertag mehr ist, so wird
doch auch in diesem Jahr wieder in vielfältiger Form des
Ereignisses gedacht werden. Fernsehspielfilme und –dokumentationen sind angekündigt, Bücher und Zeitschriften
zum Thema werden auf großes Publikumsinteresse stoßen ebenso wie Sonderausstellungen und Gedenkveranstaltungen. Im Mittelpunkt werden dabei die Tage der Erhebung
im Juni 1953 stehen, es wird über die Niederschlagung des Aufstandes und die Verfolgung der Aufständischen berichtet werden.
Der 17. Juni ist aber auch ein Stück Militärgeschichte. Der Protest richtete sich gegen
die selbstherrliche SED-Diktatur, die ihrer Bevölkerung erhebliche Opfer abverlangte,
um in der DDR eigene Streitkräfte aufstellen zu können. Immer höhere Arbeitsleistungen und eine zunehmend schlechtere Versorgung führten schließlich zum offenen Aufstand. Nachdem sowjetische Panzer den SED-Staat gerettet hatten, verstärkte die Parteiführung um Walter Ulbricht ihre Anstrengungen, die eigene Herrschaft dauerhaft
abzusichern. Dazu gehörten neben dem Auf- und Ausbau der Armee, der Polizei und
der Staatssicherheit auch die Aufstellung der SED-Betriebskampfgruppen, der »Kampfgruppen der Arbeiterklasse«. Diese sollten im Falle eines erneuten Aufstandes den »inneren Feind« bekämpfen und so die SED-Herrschaft militärisch absichern. Anlässlich des
fünfzigsten Jahrestages des 17. Juni 1953 berichtet Armin Wagner in dieser Ausgabe
über die SED-Betriebskampfgruppen, die sich im Laufe der Jahre von einer Truppe von
Freizeitkriegern zu einer respektablen Streitmacht mit modernen Waffen, leichter Artillerie und sogar Schützenpanzern wandelten.
Darüber hinaus finden Sie auch in diesem Heft wieder Beiträge zu verschiedenen
Themen der jüngeren Militärgeschichte. So berichten wir über den Einsatz von Frauen
im Zweiten Weltkrieg sowie über General Baudissin, den »Wegbereiter der Inneren
Führung«, und über die Gründung des preußischen Kriegshafens Wilhelmshaven. Die
beiden letztgenannten Beiträge behandeln die Geschichte der Bundeswehr, die fast fünfzig Jahre nach ihrer Gründung längst Teil der deutschen Militärgeschichte geworden
ist. Daher wollen wir Ihnen in unserem Serviceteil in der Rubrik »Lesetipps« diesmal
Bücher rund um die Geschichte deutscher Streitkräfte nach 1945 vorstellen. Bundeswehr, NVA und deren Geheimdienste sind allemal ein spannendes Thema, leider ist
die Literatur hierzu vergleichsweise rar. So sind denn auch einige Bücher, die wir ihnen
in diesem Heft vorstellen, schon nicht mehr im regulären Buchhandel erhältlich. Wir
nutzen dies als Gelegenheit, Ihnen aufzuzeigen, wie auch vergriffene Bücher für einen
geringen Preis noch zu erwerben sind.
Und auch unsere Online-Rubrik bietet diesmal Ungewohntes. In den letzten Jahren hat
sich das Angebot an Unterhaltungs- und Lernsoftware vervielfacht. René Henn hat für
Sie die populärsten digitalen Strategiespiele kritisch ausprobiert und kommt zu einem
ernüchternden Urteil: Geringer Lern- und fragwürdiger Unterhaltungswert!
Die Militärgeschichte hingegen will Ihnen, sehr geehrte Leserinnen und Leser, wie
immer fundierte und ansprechende Informationen bieten. In diesem Sinne wünsche ich
Ihnen eine anregende Lektüre.
Clemens Heitmann
D i e
A u t o r e n
Inhalt
Die Kampfgruppen der
Arbeiterklasse in der DDR
Dr. Armin Wagner,
Jahrgang 1968,
Wissenschaftlicher Mitarbeiter
im Forschungsbereich
»Militärgeschichte der DDR«
am Militärgeschichtlichen
Forschungsamt, Potsdam
Eine Antwort der SED-Führung auf den
Volksaufstand vom 17. Juni 1953
Landsknechte
Anmerkungen zur Lebenswirklichkeit von Söldnern
im 16. Jahrhundert
Marinehafen am Jadebusen
Vor 150 Jahren begann die Geschichte Wilhelmshavens
Dr. Matthias Rogg,
geboren 1963 in Wittmund,
Wissenschaftlicher Mitarbeiter
am Militärgeschichtlichen
Forschungsamt, Potsdam;
Lehrbeauftragter an der
Universität Potsdam für
Neuere/Neueste Geschichte
Dr. Cord Eberspächer,
geboren 1968 in Oldenburg i. O.,
Historiker, Arbeitsschwerpunkt:
Deutschland und Übersee
8
12
Wehrmachthelferinnen im
ZweitenWeltkrieg
16
Service
22
Das historische Stichwort: Der 17. Juni 1953
22
Medien online/digital
24
Lesetipp
26
Ausstellungen
28
Geschichte kompakt
30
Militärgeschichte im Bild
31
Generalleutnant Wolf Graf Baudissin
Verteidigungsminister
Gerhard Schröder
überreicht Generalleutnant
Wolf Graf Baudissin 1967 das
Bundesverdienstkreuz
Rosemarie Killius,
geboren 1943 in Karlsruhe,
Oberstudienrätin im Hochschuldienst, Universität Frankfurt a.M.
4
(Foto: ullsteinbild/dpa 00037246)
SED-Betriebskampfgruppen
Die Kampfgruppen der
Arbeiterklasse in der
DDR
Eine Antwort der SED-Führung auf den Volksaufstand vom
17. Juni 1953
A
nlässlich seiner 50. Wiederkehr in diesem Jahr wird der
17. Juni 1953 in vielen Buchpublikationen, Zeitungsartikeln und im
Fernsehen ins Gedächtnis einer breiten Öffentlichkeit gerufen. Der damalige Volksaufstand in der DDR – seine
Ursachen lagen in der wirtschaftlichpolitischen Krise des jungen, diktatorisch regierten Staates – überraschte
die politische Führung. Die SED-Parteispitze um Walter Ulbricht erfuhr die
Bedrohung ihres Herrschaftsmonopols
in jenen Tagen buchstäblich am eigenen Leib. Nur die Unterstützung sowjetischer Panzer rettete schließlich das
Regime.
Aus der unmittelbaren Erfahrung der
Gewalt der Straße und der Demütigung der SED-Spitzenfunktionäre, die
sich unter den direkten Schutz der
sowjetischen Besatzungsmacht hatten
stellen müssen, resultierte in der Folgezeit der Ausbau des DDR-eigenen
Sicherheitsapparates. Bis dahin hatte
dieser Apparat Polizei, Grenzpolizei,
die politische Geheimpolizei im Ministerium für Staatssicherheit (MfS) und
verdeckt im Aufbau befindliche Streitkräfte umfasst. Nun wurde das Spektrum verfügbarer mannschaftsstarker
Einheiten erweitert. Neben der Umrüstung von Polizeibereitschaften (etwa
bataillonsstarke Polizeiverbände) zu
»Inneren Truppen« mit starker Bewaffnung kam es zur Einrichtung einer
Betriebswehr mit systemloyalen Arbeitern. Später kamen noch Beschäftigte
aus der Landwirtschaft und der staatlichen Verwaltung hinzu. Die SED-Führung griff damit auf Erfahrungen aus
Zeiten der Weimarer Republik zurück,
als sich die meisten Parteien für die zeitweise bürgerkriegsähnlichen Auseinandersetzungen paramilitärische Verbände geschaffen hatten, die Kommu-
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nisten zum Beispiel den sogenannten
Roten Frontkämpferbund.
Aufbauarbeit in den 50er Jahren
Als »bewaffnetes Organ der Arbeiterklasse« sollten die neuen Formationen
künftige Arbeitsniederlegungen und
Proteste in den »volkseigenen« Fabriken notfalls unter Einsatz von Gewalt
gegen ihre eigenen Kollegen verhindern. Die Absicht, im Kalten Krieg mit
einer solchen Miliz die Industrieanlagen auch gegen mögliche Angriffe
durch den »imperialistischen Klassenfeind« aus dem Westen zu sichern,
ergänzte bald die interne Schutzfunktion. Zugleich wurden die Angehörigen der »Betriebskampfgruppen« einer
disziplinierenden Kontrolle durch die
SED unterworfen. Der Eintritt in die
Kampfgruppen und die Teilnahme an
ihrer Ausbildung waren freiwillig, alle
körperlich einsatzfähigen Mitglieder
und Kandidaten der Staatspartei hatten
sie aber als Ehre und Pflicht zum
Schutze der Partei und der Republik
anzusehen. Die Verantwortung für die
politische Führung der Kampfgruppen, für ihre Entwicklung und ihren
Einsatz lag von Beginn an bei der Parteiführung. Die Struktur der Miliz hat
in den folgenden Jahrzehnten Veränderungen erfahren – der Grundsatz der
Entscheidungsgewalt durch die SED
stand jedoch bis 1989 außer Frage.
Der weitere Ausbau und die Organisation der Kampfgruppen der Arbeiterklasse bereiteten der Staats- und Parteiführung zunächst erhebliches Kopfzerbrechen. So erwiesen sich die 50er
Jahre als Phase des Experimentierens.
Die Einheiten der Miliz besaßen einen
nach Betriebsgröße und Belegschaftsstärke völlig unterschiedlichen Umfang.
Besonders in landwirtschaftlichen Ge-
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 2/2003
bieten waren die Kämpfer auf viele
Betriebe verteilt und wohnten in mehreren Orten. Schichtarbeit in der Industrie, saisonbedingte Arbeitsspitzen im
Agrarsektor und schließlich die unterschiedliche Belastbarkeit der zwischen
25 und 60 Jahre alten »Kämpfer« erschwerten die Ausbildungsmöglichkeiten. Die Kampfgruppen sollten nach
dem politischen Willen dennoch zu
einem wirksamen Instrument der Heimatverteidigung entwickelt werden.
Die Verantwortung für ihre Ausbildung wurde 1955 der Deutschen Volkspolizei (DVP) – und damit dem Ministerium des Innern – übertragen.
MGFA
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Die Miliz wurde bei einer ursprünglich
angestrebten Gesamtzahl von 300 000
Angehörigen in Gruppen, Züge und
Hundertschaften organisiert. Die DVP
bildete geeignet erscheinende SED-Mitglieder zu Kommandeuren aus. Dabei
achtete man nicht so sehr auf das militärische Profil der künftigen Kampfgruppenführer, sondern vor allem auf deren
politische Linientreue. Die »Kämpfer«
erhielten in ihrer Freizeit eine Grundund Waffenausbildung sowie eine
Schulung in elementaren taktischen
und topographischen Fragen. Frauen
durften als Sanitätskräfte in der Miliz
dienen.
Die Übernahme militärischer
Funktionen in den 60er Jahren
Der geplante Kampfgruppen-Einsatz
wurde ab der zweiten Hälfte der 50er
Jahre von der lokal begrenzten Betriebssicherung gelöst und durch Aufgaben
sowohl im Orts- und Häuserkampf als
auch im beweglich geführten Kampf
gegen den luftgelandeten oder den die
Front durchbrechenden Feind erweitert. Anfang 1961 gab es über 2000
Hundertschaften (Verbände in Kompaniestärke) mit nominell etwa 193 000
»Kämpfern«. Allerdings nahm in vielen
DDR-Bezirken oft nur die Hälfte dieser
Der Auftrag der Kampfgruppen zur
Gewährleistung der »inneren Sicherheit«
hatte, trotz der angeordneten Zusammenarbeit mit der Volkspolizei, nichts mit der
polizeilichen Abwehr von Kriminaldelikten
gegen »sozialistische Betriebe« zu tun.
Vielmehr fürchtete die Parteiführung eine
Wiederholung des Aufstandes vom 17. Juni
1953 und hoffte, die Kampfgruppen zur
Sicherung der SED-Herrschaft einsetzen zu
können. Offiziell boten »Agenten- und
Rangergruppen« des »Klassenfeindes« in
Westdeutschland den propagandistischen
Hintergrund für die Existenz der Milizverbände. 1955 wurden die Kampfgruppenformationen bewaffnet. Anfänglich, wie hier zu
sehen, mit deutschen Kriegswaffen, so dem
Karabiner K 98 im Vordergrund und dem
Sturmgewehr (19)44
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MGFA
SED-Betriebskampfgruppen
Roter Frontkämpferbund (RFB)
1924 gegründeter, politischer Wehrverband (1928: 100 000 Mitglieder)
der deutschen Kommunisten. Der RFB
war einer der vier großen Kampfbünde
in der Weimarer Republik – neben dem
SPD-nahen, republikanisch gesinnten
Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold, dem
Stahlhelm als Sammelbecken antiparlamentarisch-nationalistischer Soldaten
sowie der Sturmabteilung (SA) als politischer Parteitruppe der NSDAP. Der
RFB übernahm die Ziele der KPD,
so die Bolschewisierung Deutschlands.
Seine Aktivitäten waren gekennzeichnet durch kommunistische Agitation
mit antikapitalistischer und antimilitaristischer Rhetorik, u.a. bei Demonstrationen und »Reichstreffen«. Außerdem
betrieb er paramilitärischen »Wehrsport«. Nach blutigen Straßen- und
Saalschlachten mit der SA wurde der
RFB 1929 verboten, zunächst in die
Illegalität gedrängt und nach 1933
vom NS-Regime verfolgt.
Ist-Stärke an der Ausbildung regelmäßig teil. Das System der Alarmierung der weit verstreuten Angehörigen
blieb unzulänglich, die Bewaffnung
war noch dürftig: Es stand nicht einmal
für jeden Angehörigen der Kampfgruppen ein Gewehr zur Verfügung.
Eine grundlegende Reform Ende der
50er Jahre sah eine stärkere Zentralisierung der Einheiten durch die Zusammenfassung mehrerer Hundertschaften zu Bataillonen vor. Diese wurden
verstärkt im »Städtekampf« geschult
und auch an Pak, Granatwerfern und
schweren Maschinengewehren ausgebildet. Damit war nach kaum einem
Jahrzehnt trotz aller Probleme eine
nicht zu unterschätzende Aufbauarbeit
geleistet worden, denn die Kampfgruppen konkurrierten hinsichtlich personeller und materieller Ressourcen
unablässig mit den anderen bewaffneten Kräften in der DDR. Dass die SEDSpitze mit ihrer Miliz mindestens teilweise zufrieden war und sie als politisch zuverlässig einstufte, wurde im
August 1961 erkennbar, als Kampfgruppenverbände in vorderster Reihe
beim Mauerbau in Berlin eingesetzt
wurden.
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Führende Repräsentanten des SED-Staates (vor dem Rednerpult Parteichef
Erich Honecker, links neben ihm Ministerpräsident Willi Stoph) nehmen
Anfang der achtziger Jahre eine Parade »ihrer« Parteiarmee ab
In den 60er Jahren entwickelten sich
die Kampfgruppen zu einem festen
Bestandteil der Landesverteidigung
der DDR. Nach dem Mauerbau sank
die Gefahr innerer Unruhen. Zugleich
erlebte die SED-Führung die KubaKrise (1962) als akute Bedrohung des
sozialistischen Lagers durch den »imperialistischen« Feind – ein Ereignis
neben anderen auf dem internationalen Parkett, die letztlich zu einer Überbewertung des militärischen Charakters der Kampfgruppen führten: Hohe
Anforderungen kamen auf die Freiwilligentruppe zu – wie die Aufrechterhaltung der Truppen- und Nachschubbewegungen der Warschauer Vertragsarmeen beim Vormarsch durch die
DDR im Kriegsfall, die Beseitigung
der Folgen von Luft- und Kernwaffenangriffen sowie die Evakuierung der
Zivilbevölkerung.
Die Kampfgruppen in ihrem
Zenit
Den militärischen »Ritterschlag« erhielt
die Parteimiliz 1970. Im Rahmen des
Großmanövers »Waffenbrüderschaft«
durften zwei Kampfgruppen-Bataillone im Verbund mit den Streitkräften
der osteuropäischen Armeen üben.
Nach einer weiteren Reorganisation
der Kampfgruppen 1972–1974 erreichte die Feuerkraft eines motorisierten
Kampfgruppen-Bataillons nahezu diejenige eines Mot.-Schützenbataillons
der NVA. Das angestrebte Ziel von
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Die 1965 gestiftete
»Medaille für treue
Dienste in den
Kampfgruppen der
Arbeiterklasse«
SED-Führung und Innenministerium
sah vor, die Miliz in ihrer Einsatzfähigkeit mit den anderen (professionellen)
bewaffneten Organen kompatibel zu
machen. In den 70er Jahren hatten die
Verbände den Zenit ihrer Entwicklung
erreicht. Bei aller tatsächlichen Überforderung der »Freizeitsoldaten« sollte
ihre damalige militärische Schlagkraft
nicht gering geschätzt werden.
1989: Gegen die
»Konterrevolution«, aber nicht
gegen das eigene Volk
Die Kampfgruppen – etwa zwei Drittel ihrer Angehörigen waren Mitglieder oder Kandidaten der SED – gewannen im Laufe der 80er Jahre wieder an
Bedeutung für die innere Sicherheitsstrategie; in den beiden vorangegangenen Jahrzehnten war dieser Aspekt
ihrer Tätigkeit allmählich in den Hintergrund gerückt. Die neue Entwicklung ging von der Wahrnehmung der
»Solidarnośč«-Bewegung in Polen aus.
Dort glaubte die SED-Führung, die
dem Westen unterstellte Strategie des
MGFA
Zwei Organisationen der Staatspartei SED in Propagandapose: »Kämpfer«
der Arbeitermiliz und junge Frauen in der Uniform der Staatsjugend FDJ,
dem Blauhemd
»Aufweichens« sozialistischer Länder
von innen heraus bestätigt zu finden.
Daher traten für die Kampfgruppen
wieder jene Ausbildungsinhalte verstärkt neben die militärischen Anforderungen, die Rückbezug nahmen auf
das Profil der 50er Jahre. Dazu gehörten
die Bekämpfung »subversiver Banden«
und die Auflösung »zusammengerotteter« Gruppierungen.
Die Besinnung auf den Feind in Gestalt
der inneren »Konterrevolution« führte
im Herbst 1989 jedoch nicht zum Einsatz der Parteimiliz gegen die Volksmassen auf der Straße. Zwar wurden
während der republikweiten Montagsdemonstrationen auch Kampfgruppen
in Alarmbereitschaft versetzt, aber die
Stimmung unter deren Angehörigen
ließ ihr Auftreten gegen die Protestierenden nicht zu. Die Führung der
Kampfgruppen im DDR-Innenministerium war von unzutreffenden Bedrohungsanalysen ausgegangen. Nirgendwo war der »Klassenfeind« luftgelandet, nirgendwo hetzten Unruhestifter
aus dem Westen das Volk auf. Die Protestbewegung hatte sich aus Teilen der
DDR-Bevölkerung heraus selbst konstituiert. Außerdem hatten die Entscheidungsträger der SED die zivile Einbindung der »Kämpfer« am Arbeitsplatz
und im privaten Lebensraum unterschätzt.
Am 1. Dezember 1989 strich die Volkskammer den Führungsanspruch der
SED aus der DDR-Verfassung, zwei
Tage darauf traten Politbüro und Zentralkomitee geschlossen zurück. Am
6. Dezember ordnete das Innenminis-
Personalbestand und Hauptausrüstung der Kampfgruppeneinheiten
selbständige
Art der
Formation
Kampfgruppenbataillon (mot)
Kampfgruppenhundertschaft
(mot)
Personal
531
120
149
108
49
Bewaffnung
Pistolen Makarow
MPi
leichtes MG K
Panzerbüchse RPG-7
Panzerabwehrgerät
Fla MG 12,7 mm
Flak ZSU-23 (Zwilling)
Pak 76 mm o. SPG-9
Granatwerfer 81 mm
Schützenpanzerwagen
65
414
54
27
200
6
2
6
3
13
14
88
18
9
48
2
–
–
–
–
18
113
18
9
48
6
–
–
–
–
13
83
12
6
32
4
–
–
–
–
7
33
3
3
6
2
–
–
–
–
terium die Entwaffnung der Kampfgruppen-Verbände an. Nicht sehr
wirklichkeitsnahe Überlegungen unter
zuständigen Volkspolizei-Offizieren in
Ost-Berlin, Teile der Kampfgruppen
in die Illegalität zu führen und für
einen späteren Zeitpunkt als militärische »Verfügungstruppe« der Partei
bereit zu halten, wurden vom Ministerium für Staatssicherheit abgelehnt.
Der Ministerrat der DDR beschloss
Mitte Dezember 1989, die Tätigkeit
der Miliz bis Ende Juni des folgenden
Jahres zu beenden. Am 23. Mai 1990
wurde dem amtierenden Innenminister
Peter-Michael Diestel der Abschlussbericht vorgelegt: Die Auflösung der
Verbände war abgeschlossen, alle Einheiten waren demobilisiert. Aus der
lautlosen Abwicklung der Kampfgruppen der Arbeiterklasse, bilanzierte der
Bericht, ergäben sich »keine weiteren
Konsequenzen«.
n Armin Wagner
Kampfgruppenhundertschaft
(3 Züge)
Kampfgruppenhundertschaft
(2 Züge)
Kampfgruppenzug
Eingelagerte Bestände an Hauptausrüstung der
Kampfgruppen (Stand Ende 1976)
Maschinenpistole Kalaschnikow
leichtes MG Kalaschnikow
Panzerbüchse RPG-7
Fla MG 12,7 mm
Flak ZSU-23 (Zwilling)
Pak 76 mm
rückstoßfreie PAK SPG-9
Granatwerfer 81 mm
Schützenpanzerwagen
152 350
12 068
11 955
5 782
156
117
117
117
390
Literatur
Volker Koop, Armee oder Freizeitclub?
Die Kampfgruppen der Arbeiterklasse in
der DDR, Bonn 1997
Armin Wagner, Die Kampfgruppen der
Arbeiterklasse (1953–1990), in:
Im Dienste der Partei. Handbuch der
bewaffneten Organe der DDR. Im Auftrag
des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes
hrsg. von Torsten Diedrich, Hans Ehlert
und Rüdiger Wenzke, 2. Aufl., Berlin 1998,
S. 281–337
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 2/2003
7
Landsknechte
Landsknechte
Anmerkungen zur
Lebenswirklichkeit
von Söldnern im
16. Jahrhundert
W
er oder was ist ein Landsknecht? Den meisten Menschen wird auf diese lapidare Frage schnell eine Antwort einfallen. Einige werden an Kriegsleute
aus der Renaissance denken, an wilde
Gesellen in aufreizend bunter Kleidung, an Abenteuer, Lagerleben oder
an rauhe Soldatenlieder. Das Spektrum
der Vorstellungen reicht vom Söldner,
der bei besserer Bezahlung schnell die
Fronten wechselte, bis zum »Landser«, einem umgangssprachlichen Synonym für den gemeinen deutschen
Weltkriegssoldaten. Vielleicht denken
manche auch an Figuren in der Literatur, wie Goethes »Götz von Berlichingen«, Gerhard Hauptmanns »Florian Geyer«, oder an die vielen Mittelalterromane der Jugendbewegung um
1900. Gerade mit Blick auf die nationalromantischen Vorstellungen des 19.
Jahrhunderts identifizieren manche
den Landsknecht auch als »typisch
deutschen« Kriegsmann. Der Landsknecht kann heute sogar »lebendig«
erfahren werden, etwa bei Folkloreoder Karnevalsumzügen oder als Werbefigur für Leberwurst, Lebkuchen,
Bier und Spirituosen. Die Projektionen
sind schnell abzurufen, verschwimmen
dabei aber nicht selten in einfache Klischees, wie der Einsatz in der Werbung
deutlich macht. Wie so oft ist auch an
diesen Stereotypen nicht alles falsch –
im Gegenteil. Die Vielschichtigkeit der
Betrachtungs- und Bewertungsebenen
kann nur bei historisch-kritischer Nahsicht aufgelöst werden und führt zur
Frage: Wer oder was waren die Landsknechte wirklich?
8
Aufeinandertreffen zweier Gewalthaufen mit Landsknechten, Ölgemälde eines unbekannten
Meisters (um 1517)
Martin von Wagner Museum der Universität Würzburg / Inv. F 512
Die »Militärische Revolution« –
der Fußsoldat verdrängt den
Ritter
D
ie große Zeit der Landsknechte
lag in einer Phase tiefgreifenden
politischen und gesellschaftlichen Umbruchs. Im ausgehenden 15. Jahrhundert neigte sich das Mittelalter dem
Ende zu. Wissenschaft und Technik
wurden durch neue Erfindungen revolutioniert, und die Reformation veränderte europaweit das Glaubensbild
und die Kirchenherrschaft. Das Zeitalter der Entdeckungen eröffnete den
Menschen einen neuen Blick auf die
Welt, der Geldumlauf nahm zu und
politisch begannen sich, erst langsam
aber sichtbar, die Nationalstaaten herauszubilden. Auch das Militärwesen
veränderte sich an dieser Epochenschwelle nachhaltig, heute plakativ
mit dem Begriff der »Military Revolution« umschrieben. Langsam, aber
stetig begannen sich die sozialen,
organisatorischen und finanziellen
Strukturen des Militärwesens nachhaltig zu verändern. Jahrhundertelang
hatten gepanzerte Ritterheere die
militärischen Auseinandersetzungen in
Europa bestimmt. Seit dem 14. Jahrhundert taten sich die schwer bewaffneten berittenen Truppen gegen gut
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 2/2003
organisierte Fußkrieger immer schwerer. Mit zunehmender Technisierung,
hier vor allem der steigenden Bedeutung von Feuerwaffen, und immer
größer werdenden Heeren von Fußsoldaten begann der ritterliche Stern
unaufhaltsam zu sinken. Die glänzenden Siege der eidgenössischen Kriegshaufen gegen die Österreicher bei
Morgarten (1315) und Sempach (1386)
und gegen die Burgunder bei Grandson, Murten und Nancy (1476/77)
lieferten den Beweis, dass sich hervorragend geführte und vor allem
diszipliniert kämpfende Fußtruppen
vor keinem Gegner zu fürchten brauchten. Die Taktik war denkbar einfach,
erforderte aber eine besondere Ordnung. In einem kompakt stehenden
sogenannten »Geviert« oder »Gewalthaufen« richteten die äußeren Reihen
ihre bis zu 5 Meter langen Spieße wie
ein Igel nach außen. Im Angriff bewegte sich der Gewalthaufen unaufhaltsam auf den Gegner zu und bedrängte ihn so lange, bis er dem
Druck nicht mehr standhielt. Dann
stürmten aus dem Inneren des Haufens leichter bewaffnete Kriegsleute
mit sogenannten »Halbarten« (einer
Hieb- und Stichwaffe am langen
Holm) oder anderen Kurzwaffen
und setzten dem fliehenden Gegner
nach.
»Military Revolution« – Die militärische Revolution der
Frühen Neuzeit
Für den tiefgreifenden Wandel des Militärs zwischen Spätmittelalter und der
beginnenden Neuzeit hat sich, ausgehend von der angelsächsischen historischen
Forschung, seit den 50er Jahren der Begriff der »Military Revolution« etabliert.
Dieser eigentlich evolutionär verlaufende Prozess umfasste nicht nur taktische
und technische Aspekte (Artillerie, Festungsbau), sondern griff vor allem tief in
das soziale Gefüge der Kriegshaufen. Professionalisierung (Etablieren von spezialisiertem Funktionspersonal) und Verrechtlichung (Durchsetzen der Kriegsartikel
und zunehmende Disziplinierung) gewannen immer mehr an Bedeutung. Das
Festschreiben mehr oder minder verbindlicher Organisationsformen und Hierarchien und damit letztlich auch der militärischen Dienstgrade fällt in diese Zeit.
Die immer größer werdenden Heere erforderten finanzielle Mittel, die den frühmodernen Staat zu effektiveren Steuer- und Verwaltungsstrukturen zwangen und
nicht selten an die Grenzen seiner Leistungsfähigkeit brachten.
Das Beispiel machte trotz militärischer
Vorteile zunächst nur langsam Schule,
denn das spätmittelalterliche Militärwesen hing fundamental von den allgemeinen Besitz- und Herrschaftsstrukturen ab. In Ermangelung anderer
Erwerbsmöglichkeiten konnten viele
verarmte Adlige nur als bewaffnete
Kriegsleute einem standesgemäßen
Broterwerb nachgehen. Gleichwohl
machten die neuen Fußtruppen den
stolzen Herren immer mehr ihr Monopol als Waffenträger streitig.
Maximilian I. – der »Vater der
Landsknechte«
A
m konsequentesten setzte der
deutsche König und Kaiser Maximilian I. von Habsburg (1459–1519) die
neuen Forderungen an das Militärwesen um. Durch glückliche Heirat war
ihm als jungem Erzherzog das reiche
burgundische Erbe seiner Frau Maria
zugefallen, das nun gegen Begehrlichkeiten der französischen und niederländischen Nachbarn verteidigt werden
musste. Mit dem Geld der vollen burgundischen Kassen begann Maximilian gezielt zuverlässige Fußtruppen
anzuwerben um sie, ähnlich wie die
Eidgenossen, in geschlossenen Gewalthaufen einzusetzen. Die immer größer
werdenden Heere machten es zunehmend schwerer, geeignete Männer für
den Kriegsdienst zu rekrutieren. Während sich zur selben Zeit die Werber
der französischen Könige auf die eidgenössischen Kriegsleute, die sogenannten »Reisläufer«, konzentrierten,
begann Maximilian I. seine Truppen
überwiegend im dicht besiedelten süddeutschen Raum anzuwerben. In deutlicher Abgrenzung zu den voralpinen
Kerngebieten der Eidgenossen etablierte sich für jene Kriegsleute ab etwa
1486 der Name »Landsknechte« – die
Kriegsleute aus den oberdeutschen
Landen.
Maximilian tat alles für die Attraktivität des neuen Söldnertyps. Im Gegensatz zu den Angehörigen der meisten
Stände galten für die Landsknechte
keine einengenden Kleiderordnungen.
Entsprechend farbenprächtig und nicht
selten provozierend gebärdete sich das
Kriegsvolk. Mit einem garantierten
Soldfixum von 4 Rheinischen Gulden
im Monat gehörte ein einfacher Landsknecht damals zu den Spitzenverdienern und brauchte den Vergleich mit
hochqualifizierten Facharbeitern nicht
zu scheuen. Die Aussicht auf Beute bildete ein weiteres, für viele sogar entscheidendes Motiv, bei den Kriegsleuten anzumustern. Ein ums andere Mal
dokumentierte Maximilian I. die Verbundenheit mit seinen Landsknechten, indem er sich zum Beispiel bei
offiziellen Einmärschen und Paraden
wie ein Landsknecht in die Marschordnung einreihte. Ein König und Kaiser
zu Fuß neben gemeinem Kriegsvolk –
das hatte es bisher noch nicht gegeben! Mit solchen spektakulären Auftritten öffnete Maximilian zugleich
den arbeitslos gewordenen Soldrittern
eine neue Karrieretür. Wer bereit war,
die ritterliche Lanze mit dem Langspieß des Fußknechts zu tauschen, der
durfte mit doppeltem Sold rechnen und
auf militärischen Aufstieg hoffen. Der
König Maximilian I. als geharnischter Ritter mit
Reichsbanner, umgeben von Landsknechten,
Flugblattillustration von 1497
Quelle: G. Schulze (Hg.), Sozialer Aufstieg, München 2002,
S. 366 (Beitrag von M. Rogg)
Landsknecht mutierte letztlich sogar
zu einer zentralen Figur in der Habsburger Bildpropaganda. Auf ungezählten repräsentativen Bildwerken, wie
zum Beispiel Maximilians überreich
geschmückten Sarkophag in Innsbruck
und schließlich dem berühmten »Triumphzug« (1516/18). Wie eine Leibgarde stehen die Landsknechte dort
als Stütze und Symbol der kaiserlichen
Macht und Garanten der staatlichen
Ordnung. Diese glanzvolle, vor allem
in zeitgenössischen Bildern eingefangene Sicht, wird zugleich von langen
Schatten überlagert.
Die Landsknechte im Blickfeld
der Zeitgenossen
G
laubt man allein den zeitgenössischen Traktaten, dann waren die
Landsknechtshaufen des 16. Jahrhunderts ein Hort der Gewalttätigkeit, des
Unglaubens und der Unzucht. Statt
Abendmahls- und Messkelch führten
Wein- und Würfelbecher das Regiment.
Der Humanist Sebastian Franck verurteilte die Landsknechte als »eytel
brenner, reuber, moerder, unkeuschleut, spieler, sauffer, Gotslestrer«. Ähnlich abfällig äußerten sich moralische
Autoritäten, wie Erasmus von Rotterdam und Martin Luther. Letzterer
musste gar resigniert feststellen: »Derhalben ist ein groß tail des Kriegsvolcks
des teuffels aigen.« Zeitgenössische
Sprichwörter, Lieder oder Schwänke,
wie zum Beispiel vom Nürnberger
Dichter Hans Sachs, unterstreichen das
ablehnende Urteil. Gewalttätigkeit und
Gerissenheit bildeten ein gefährliches
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 2/2003
9
Landsknechte
Eitler Landsknecht mit gespreiztem Schritt
und aufwendig zerteilter Tracht, ein
mächtiges Zweihänder Schwert geschultert,
Kohlezeichnung von Hans Franck (1517)
Quelle: Das Amerbach-Kabinett. Zeichnungen Alter Meister,
Basel 1991
Während Maximilian I. an der Spitze seiner Truppen reitet, treibt ein Landsknecht als »Motor« den
kaiserlichen Triumphwagen an. Einblattholzschnitt einer 137 Blätter umfassenden Triumphserie
zum Ruhme Maximilians I. (um 1516/19)
Quelle: The Triumph of Maximilian I. - 137 woodcuts by Hans Burgmair and other. New York 1964
Amalgam, bei dem der Dichter resignierend einräumte, selbst »Der Teuffel
lest kein Lantzknecht mer in die Helle
faren.« In einem anderen zeitgenössischen Spruchgedicht liest man: »Wo die
Landsknecht sieden und braten, und
die Pfaffen zu weltlichen Sachen raten,
und die Weiber führen das Regiment,
da nimmts selten ein gutes End.«
Die historische Realität zeichnet hingegen ein differenziertes Bild. Tatsächlich bildeten die Landsknechtshaufen
in der frühneuzeitlichen Gesellschaft
eine Subkultur. Sie waren überwiegend privatwirtschaftlich organisiert,
umfassten einen Raum eigenen Rechts
und blieben damit der sozialen und
institutionellen Kontrolle von außen
weitgehend entzogen. Auf der Grundlage einer eher bündisch verfassten
eigenen Rechtsordnung standen sie
außerhalb des Zugriffs der zivilen
Obrigkeit. So galten bis weit in das 16.
Jahrhundert Formen der Selbstverwaltung, Mitsprache und inneren Rechtsprechung. Die Fähnlein (ca. 400 Mann)
wählten ihre unteren Führungsämter
selbst, vor allem die »Waibel« (Feldwebel), »Rottmeister« (Gruppenführer)
und »Ambosaten« (Vertrauensleute).
10
Sichtbarstes Merkmal ihrer Ungebundenheit war die schon oben angedeutete freizügige Tracht, für die mancher
Söldner ein kleines Vermögen ausgab.
Keine gesellschaftliche Großgruppe der
Frühen Neuzeit kleidete sich so schillernd, so aufregend, wild und frech wie
die Kriegsleute. Dem Vorbild der jungen
Adeligen, die in ihren Reihen kämpften, nacheifernd, wurde die Kleidung
nach der neuesten Mode unter anderem aufwendig zerteilt. Ein zeitgenössisches Spottlied brachte diese Modetorheit der Landsknechte programmatisch auf den Punkt: »Zerhauen und zerschnitten, nach adelichen Sitten.« Kostbare Federn, vorzugsweise von Straußen oder Pfauen, wurden auf das Barett
gesteckt und gaben in ihrer Üppigkeit
Auskunft über den sozialen Status und
damit nicht selten militärischen Rang
des Kriegers. Die Putzsucht der »Federhansen« wurde Mitte des 16. Jahrhunderts nahtlos von einem anderen Modeluxus abgelöst, der »Pluderhose«. Den
verschwenderischen Umgang mit kostbaren Stoffen verurteilten die Moralinstanzen aufs Schärfste als »Hosenteufel«. Auch die Vorlieben für die aggressiven Signalfarben gelb und rot markierten einen deutlichen Kontrast zu den
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 2/2003
auf Mäßigkeit bedachten Kleiderordnungen des 16. Jahrhunderts. Damit
nicht genug, stellten die Kriegsleute
ihr Selbstverständnis von sexueller
Freizügigkeit offen zur Schau. Durch
die bewusste Entblößung der nackten Haut oder die Betonung des
Geschlechts durch gewaltige Schamkapseln sollte Aufmerksamkeit erregt
und zugleich ein Signal von Verwegenheit und Potenz ausgesendet
werden. Solche Provokationen riefen
Aufsehen, Misstrauen und Ablehnung hervor – zugleich bildeten sie
aber auch ein Faszinosum ersten
Ranges. Im Spannungsfeld von herrschaftlicher Anerkennung und der
Ablehnung durch die zeitgenössischen Moralinstanzen stellt sich die
Frage nach den tatsächlichen Lebensumständen.
Lebenswirklichkeit – zwischen
Gewalttätigkeit und
Verletzlichkeit
K
rieg war in jener Zeit noch ein
Saisongeschäft. Truppen wurden
nur für einen zeitlich begrenzten
Feldzug angemustert und danach
wieder nach Hause geschickt. Mit
dem Aufbau von stehenden Streitkräften begannen die meisten Lan-
Museum des Dreißigjährigen Krieges, Wittstock (Dosse)
3 Landsknechtslager während der
Belagerung von Münster, Ausschnitt eines
Holzschnitts von Erhard Schön (1535)
Quelle: M. Geisberg, W. L. Strauß, The German Single Leaf
Woodcut. New York 1974, Bd. IV, S. 1212
desherren erst nach dem Dreißigjährigen Krieg, als Steueraufkommen und
staatliche Verwaltung einen kontinuierlichen Geldfluss ermöglichten. Im
16. Jahrhundert hingegen mussten die
abgedankten Knechte schauen, wie
sie ihren Lebensunterhalt verdienten,
wenn der »Krieg ein Loch« hatte. Ohne
Anstellung beim Regiment organisierten sich zahllose dieser sogenannten
»gartenden Knechte« zu Banden, die
rasch in die Kriminalität absackten
und zu einer wahren Landplage werden konnten. Gerichtsakten der Zeit
beweisen, dass ein erheblicher Teil
der Gewaltverbrechen auf das Konto
der »gartenden Knechte« ging. Gewaltfähigkeit und Gewaltbereitschaft
verschmolzen zu einer brisanten Mischung, mit der die frühneuzeitlichen
Städte und Territorien oftmals schwer
zu kämpfen hatten.
Die Landsknechte zählten zu den
hochmobilen Gesellschaftsgruppen der
Frühen Neuzeit, die zwar viel von der
damaligen Welt sahen, aber auch einen
hohen Preis dafür zahlen mussten – im
wahrsten Sinne des Wortes. Das Lagerleben war teuer, wenn es einigermaßen
erträglich sein sollte. Nur gut geführte
Rotten verfügten über Zelte. Zeitgenössische Berichte und Abbildungen
dokumentieren, dass oft unter freiem
Himmel oder in Behelfshütten gelagert wurde. Fast die gesamte Logistik
war privatwirtschaftlich organisiert,
das heißt, jeder Landsknecht musste
für Verpflegung und sanitätsdienstliche Versorgung selbst Sorge tragen.
Zur Erfüllung dieser vielfältigen Aufgaben folgte den Heeren ein gewaltiger Tross, der nicht selten die Personalstärke der kämpfenden Truppe
erreichen konnte. Die Hauptlast lag
dabei wortwörtlich auf Frauen, die sich
den Kriegshaufen anschlossen, Ausrüstung und Verpflegung schleppten,
die Wäsche wuschen, kochten, die Verwundeten versorgten und nicht selten
noch ein ganz bestimmtes Gewerbe
bedienten. Diese »Trosserinnen« oder
»Landsknechtshuren« markierten mit
ihren Kindern den unteren sozialen
Stand der frühneuzeitlichen Gesellschaft. Wie fragil jene Beziehungen
waren, unterstreicht ein Sprichwort des
16. Jahrhunderts: »Landsknechtsehen
werden im Meyen gemacht, die wehren
nicht länger denn der Sommer.«
Schließlich darf nicht vergessen werden, dass es sich auch beim Krieg
des 16. Jahrhunderts um ein (lebens-)
gefährliches Geschäft handelte. Krankheit, Verwundung, Invalidität und Tod
begleiteten die Heere genauso wie zu
allen Zeiten – darüber darf auch das
farbenprächtige, oft romantisch überhöhte Bild der Landsknechte nicht täuschen.
Vom Landsknecht zum
Soldaten
I
n der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts verschlechterte sich die wirtschaftliche und soziale Lage der Landsknechte dramatisch. Gleichzeitig boten
überall in Europa abgemusterte Kriegsleute ihren Dienst an. Die immer stärker
steigenden Militärausgaben hatten die
Kriegskassen der Landesherren gelehrt.
Während die allgemeinen Lebenshaltungskosten ständig stiegen, blieb der
Sold der Kriegsleute bei 4 Gulden fest
geschrieben. Je mehr die Landsknechte
ihre wirtschaftliche Unabhängigkeit
verloren, umso stärker wurde auch ihre
gesellschaftliche Stellung angreifbar.
Die Kriegsherren begannen das Prinzip der unbefristeten Dienstverträge
durchzusetzen, wodurch ein schnelles
Abmustern immer schwieriger wurde.
Am Vorabend des Dreißigjährigen Krieges verfügte kaum noch ein Kriegshaufen über die einstmals so wichtigen Mitspracherechte und die Privilegien der freien Ämterwahl. In den
sogenannten »Artickelsbriefen« wurde
Instruktionstafel über die genau festgelegte
Handhabung der Muskete, Abbildung aus
Jakob des Gheyns berühmter und mehrfach
übersetzter Schrift »Waffenhandlung von
Rören, Musquetten und Spiessen« von 1608
ein immer strengeres Militärrecht kodifiziert, dass den Söldnern nur noch
geringen persönlichen Freiraum ließ.
Mit der Verrechtlichung griffen nun
auch disziplinierende Faktoren. Die
Uniformität und der gefürchtete Drill
des 18. Jahrhunderts haben hier letztlich ihre historischen Wurzeln.
Bis heute stellt ein romantisch verklärter Mummenschanz das Landsknechtsbild in ein grelles Licht. Bei
näherer Betrachtung ist eine gedämpfte
Beleuchtung angeraten, die den vielschichtigen Facetten der Kriegsleute
des 16. Jahrhunderts besser gerecht
wird.
n Matthias Rogg
Matthias Rogg, Landsknechte und Reisläufer:
Bilder vom Soldaten. Ein Stand in der Kunst
des 16. Jahrhunderts, 2002; X, 457 S., 231 z.T.
farbige Abb., Krieg in der Geschichte, Band 5
ISBN 3-506-74474-7; Preis: 46,80
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 2/2003
11
Marinestützpunkt Wilhelmshaven
Marinehafen am Jadebusen
Marinestützpunkt Wilhelmshaven
Vor 150 Jahren begann die Geschichte Wilhelmshavens
»Das bedeutendste Ereigniß ist die
Abtretung eines Areals im Kirchspiel
Heppens im Jeverland und eines kleinen Grundes in Butjadingen an Preussen zur Anlegung eines Kriegshavens.
Außer den 500 000 Rthl. Abstandsgelde ist auch noch sonst in mehrfacher Hinsicht ein bedeutender Nutzen
für hiesige Gegenden in naher Aussicht; in entfernter Aussicht trübt sich
mein Blick.«
S
o kommentierte der Landwirt
Wilhelm Friedrich Wulff, Gemeindevorsteher der Gemeinde
Esenshamm, im Januar 1854 eines der
wichtigsten Ereignisse der preußischdeutschen Marinegeschichte im 19.
Jahrhundert, den Abschluss des Jadevertrages zwischen dem Großherzogtum Oldenburg und dem Königreich
Preußen im Juli 1853. Aus dem damals
von Preußen zur Anlage eines Kriegshafens an der Nordsee erworbenen
Gebiet sollte eine Stadt werden, deren
Geschichte bis heute auf das engste mit
der Marine verknüpft ist: Wilhelmshaven.
Das Mündungsgebiet der Jade wurde
nicht erst 1853 als attraktiver Platz
für die Anlage eines Hafens entdeckt.
Nach sporadischen Projekten seit dem
15. Jahrhundert hatte hier bereits Napoleon im Rahmen seiner Seekriegführung gegen England einen Kriegsund Handelshafen geplant. Konkret
wurden diese Bestrebungen allerdings
erst im Rahmen des Aufbaus der
12
Bundesflotte des Frankfurter Parlaments 1848. Die provisorisch aufgebaute Flotte benötigte einen Hafen.
Das Großherzogtum Oldenburg warb
eifrig dafür, diesen Hafen auf seinem
Territorium, besonders im Bereich der
Jademündung anzulegen. Diese Bemühungen scheiterten endgültig mit dem
Ende der Bundesflotte, deren Reste
1852 im oldenburgischen Brake versteigert wurden. Das Werben Oldenburgs
führte allerdings in einer Hinsicht zum
Erfolg: Der neue Chef der preußischen
Marine, Prinz Adalbert von Preußen,
wurde auf das Jadegebiet aufmerksam.
Noch 1852 begannen streng geheime
Verhandlungen, im September trafen
sich Großherzog Paul Friedrich August
und König Friedrich Wilhelm IV. im
oldenburgischen Rastede und am 20.
Juli 1853 konnten die Unterhändler
ihre Unterschriften unter der fertigen
Vertrag setzen. Danach wurde Oldenburg der Schutz seiner Handelsschifffahrt und der Bau von Eisenbahnlinien und Chausseen zugesichert, hinzu
kam eine Entschädigung von 500 000
Reichstalern. Dafür erhielt Preußen ein
kleines Gebiet am westlichen Jadebusen zur Anlage eines Marinehafens und
ein winziges Fleckchen auf der gegenüberliegenden Seite, um die Einfahrt
in den Jadebusen sichern zu können.
Das vorher öde und kaum bewohnte
Gebiet hinter dem Deich wurde bald
zu einer der größten Baustellen Europas. Besonders der Tidenhub, d.h. der
Wechsel zwischen Hoch- und Nie-
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 2/2003
Verlag Lohse-Eissing / Wilhelmshaven
Wilhelmshaven ist heute der größte Standort der Deutschen Marine. Blick auf die IV. Einfahrt, den Stützpunkt der Zerstörerflottille
Gedenkblatt zur Einweihung des Kriegshafens
am 17. Juni 1869 durch König Wilhelm I.
drigwasser, der für das natürliche
Freihalten der Fahrrinne so günstig
war, machte der Anlage von Preußens
erstem Kriegshafen an der Nordsee
massive Schwierigkeiten. Erst nach
über zehnjährigen Bauarbeiten und
hohen Verlusten unter der Arbeiterschaft, die auf die schlechten Arbeitsund Lebensbedingungen zurückzuführen waren, konnte das Hafenbecken
weitgehend fertiggestellt werden. Am
17. Juni 1869 verlieh Wilhelm I. in
einer feierlichen Zeremonie der neuen
Hafenstadt ihren Namen. Tatsächlich
konnte aber von einer Stadt noch kaum
die Rede sein, außer dem Hafenbecken war noch wenig zu sehen. Als der
preußische Kronprinz wenige Wochen
nach der Einweihung Wilhelmshaven
besuchte, soll er erstaunt gefragt haben:
»Was hat mein Vater hier eigentlich
eingeweiht?« Diese einzigartige Stadtgründung des 19. Jahrhunderts in
Deutschland war in ihren ersten Jahren
ausschließlich der Marine unterstellt
und wurde durch eine Marinekommission, die ihren Sitz in Oldenburg hatte,
regiert. Erst 1873 erhielt Wilhelmshaven eine Kommunalverfassung und
wurde in die zivile preußische Verwaltung eingegliedert.
Auch der Marinestandort Wilhelmshaven wuchs zunächst nur langsam.
Erster Höhepunkt seiner Entwicklung
war der deutsch-französische Krieg
1870/71, als wegen eines befürchteten
französischen Angriffs auf die deutsche Nordseeküste verschiedene Einheiten zur Küstenverteidigung und
eine Reihe von Kriegsschiffen nach
Wilhelmshaven verlegt wurden. Für
die preußische/norddeutsche, seit 1871
Kaiserliche Marine blieb ihr neuer
Hafen ein Standort im Bau. Erst nach
und nach wurden Kasernenbauten,
Hafen- und Werftanlagen bezugs- und
betriebsfertig. Wilhelmshaven blieb als
Stadt wie als Marinehafen in vielerlei
Hinsicht Provisorium. Für die meisten
Marineangehörigen, vor allem aber
für deren Familienangehörige, war die
Aussicht auf eine Versetzung an die
Jade in der Zeit vor 1900 alles andere
als begehrenswert. Louise von Krohn
schrieb seinerzeit einer jungen Seeoffiziersgattin, die hoffte, der Versetzung ihres Mannes nach Wilhelmshaven noch entgehen zu können: »Laß
dich nicht auslachen, liebes Kind, Menschen, die freiwillig Berlin mit Wilhelmshaven vertauschen, müssen mit der
Laterne gesucht werden.« Im Gegensatz zum Konkurrenten Kiel blieb Wilhelmshaven der reine Funktionshafen.
Hatte Kiel neben Attraktionen wie der
von Kaiser Wilhelm II. inszenierten
Kieler Woche auch als Stadt noch manches zu bieten, waren die Möglichkeiten der Freizeitgestaltung und des
gesellschaftlichen Lebens an der Jade
doch arg begrenzt. In einer verbreiteten »Hymne« auf Wilhelmshaven hieß
es mit leichter Ironie:
Was man doch alles hier sehen kann,
ist doch ganz kolossal viel.
Was ich durchaus nicht verstehen kann,
warum will jeder nach Kiel?
Diese Situation begann sich für Wilhelmshaven erst in der Regierungszeit
Wilhelms II. (1888-1918) allmählich zu
ändern. In Folge seines Interesses für
die Marine schenkte der Kaiser auch
der Marinestadt Wilhelmshaven verstärkte Aufmerksamkeit. Er hat die
Jadestadt über vierzigmal besucht;
außer Berlin und Potsdam kann damit
wohl keine deutsche Stadt außer Kiel
konkurrieren. Wilhelmshaven erlebte
seine Blütezeit im Zeichen des wilhelminischen Flottenbaus ab 1898, der
in der Stadt einen zweiten Bauboom
auslöste. Für eine Marinestadt bedeutete die umstrittene Flottenrüstung
nicht nur mehr Marineangehörige und
Werftarbeiter, sondern führte auch zur
Bereicherung des kulturellen Lebens,
die sich u.a. im Bau der KaiserFriedrich-Kunsthalle unmittelbar vor
dem Ersten Weltkrieg widerspiegelte.
Im Ersten Weltkrieg überflügelte Wilhelmshaven endgültig Kiel als größten Kriegshafen des Deutschen Reichs.
Die Ostsee war nur Nebenkriegsschauplatz, während sich die deutsche Hochseeflotte auf Schillig-Reede vor Wilhelmshaven versammelte. Der Hafen
war Basis für die herausragenden Marineoperationen, allen voran die Seeschlacht vor dem Skagerrak gegen die
britische Flotte 1916.
Nach diesem Höhenflug war der Fall
umso tiefer. Die Auslieferung der Hochseeflotte und die drastische Reduzierung der Marine, zu der die Weimarer
Republik durch den Versailler Vertrag
gezwungen war, führten Wilhelmshaven in die Depression. Die ehemalige
Kaiserliche Werft hatte nur noch einige
Jahre mit dem Abwrackgeschäft zu tun,
und für die Stadt stellte sich die Frage
der Entwicklung einer eigenständigen,
von der Marine unabhängigeren Wirtschaftsstruktur. Dem stand aber die nie
aufgegebene Hoffnung nach einer Wiederkehr der Marine im Weg. So erhitzten sich die Wilhelmshavener Gemüter
seit 1928 vor allem an der Frage des
Baus der Panzerschiffe »A« und »B«.
Die Nichtbewilligung des letzteren im
Reichshaushalt 1930 trug zur politischen Radikalisierung in der Jadestadt
Wilhelmshaven war in den 60er Jahren des
19. Jahrhunderts die größte Baustelle Europas
Photodesign Klaus Schreiber / Deutsches Marinemuseum
Linienschiffe der kaiserlichen Hochseeflotte
im Hafen
Deutsches Marinemuseum
Im Zweiten Weltkrieg wurde die Marinestadt
Wilhelmshaven stark zerstört
Photodesign Klaus Schreiber / Deutsches Marinemuseum
bei, da auch die NSDAP frühzeitig
erkannt hatte, wie sich die Panzerschifffrage politisch ausschlachten ließ.
Nach Beginn der nationalsozialistischen Herrschaft 1933 folgte für Wilhelmshaven ein zweiter wirtschaftlicher Aufschwung. Die Stadt wurde
wieder wichtiger Marinestützpunkt
und Schauplatz glanzvoller Stapelläufe, beispielsweise der Taufe des
neuen Schlachtkreuzers »Scharnhorst«
1936 oder des Schlachtschiffs »Tirpitz«
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 2/2003
13
Marinestützpunkt Wilhelmshaven
Foto: Eberspächer
Privatsammlung, Oldenburg
3Ansichtskarte um 1900. Links ein Linienschiff der »Brandenburg«-Klasse, rechts ein
zum Wohnhulk umgebautes Kriegsschiff. Der
Kriegshafen war das erste große Bauprojekt in
Wilhelmshaven. Das Schicksal der jüngsten
deutschen Stadtgründung im 19. Jahrhundert
wurde entscheidend von der Entwicklung der
Marine geprägt
zerstört. Militärisch relevante Anlagen, die den Krieg überstanden hatten,
wurden nach der Kapitulation von den
Siegermächten demontiert, die Einfahrten und Schleusenanlagen wurden zerstört.
Wilhelmshaven stand damit nach dem
Zweiten vor noch größeren Schwierigkeiten als nach dem Ersten Weltkrieg.
Doch die Marine sollte bald an die
Jade zurückkehren. Bereits Vizeadmiral Friedrich Ruge drückte als erster
Inspekteur der Marine der Bundesrepublik Deutschland programmatisch
aus: »Wilhelmshaven ist mit der Marine
entstanden und gehört zu ihr.« Nicht
einmal zehn Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs begann der Wiederaufbau des Marinestützpunkts. Dazu
zählte vor allem der Wiederaufbau der
IV. Hafeneinfahrt. Mit dem Aufbau
Privatsammlung, Oldenburg
1939. Hinzu kamen der Bau der IV.
Einfahrt, eines neuen Stationsgebäudes
und der Ausbau zum U-Boot-Stützpunkt. Doch die dreißiger Jahre waren
eine kurzlebige Scheinblüte, die Wilhelmshaven zudem im Zweiten Weltkrieg teuer zu bezahlen hatte. Die
Stadt fungierte vor allem als U-BootBasis, nachdem sich der Schwerpunkt
der Überwassereinsätze ab 1940 nach
Norwegen und Frankreich verlagerte.
Besonders kriegswichtig wurde die
Werft für Neubauten und Instandsetzung. Zur Aufrecherhaltung der
Arbeiten und zur Trümmerbeseitigung
wurden in Wilhelmshaven während
des Zweiten Weltkrieges fast 30 000
Kriegsgefangene und KZ-Häftlinge als
Zwangsarbeiter eingesetzt. In Folge
zahlreicher schwerer Bombenangriffe
wurden ein großer Teil der Stadt und
ein erheblicher Teil der Marineanlagen
51889 ließ Kaiser Wilhelm II. sechs hölzerne
Gedenktafeln in der Elisabethkirche/
Garnisonkirche anbringen und verlieh ihr so
den Charakter einer Marinegedächtniskirche.
Aus Anlass des Schiffbruchs des Kanonenboots »Iltis« vor der chinesischen Küste am
23. Juli 1896, bei dem 71 Besatzungsmitglieder ums Leben kamen, stiftete er die ersten
beiden Marmortafeln für die Garnisonkirche.
Zu der Tafel für den »Iltis« kam eine Gedenktafel für die S.M.S. »Augusta«, die im Juni 1885
mit 222 Mann Besatzung im Golf von Aden
verschollen war. Besonders die Tafel für den
»Iltis« sollte den Rekruten ein leuchtendes
Beispiel treuer Pflichterfüllung vor Augen
führen – die Besatzungsmitglieder sollen
noch angesichts des nahen Endes auf dem
Wrack ihres Schiffes das Flaggenlied »Stolz
weht die Flagge schwarz-weiß-rot...« gesungen haben
3Matrosen der II. Werftdivision auf einem
Gruppenfoto um 1914. Die Werftdivision war
als Einheit 1854 aus der geteilten MatrosenStammdivision hervorgegangen. Sie fungierte
als Stamm- und Ausbildungseinheit für das
nichtseemännische Personal der Kaiserlichen
Marine vom Maschinenpersonal über Handwerker bis hin zu Bäckern und Schiffszimmerleuten. Wie die beiden Matrosendivisionen war auch die Werftdivision auf die beiden
Standorte Wilhelmshaven und Kiel verteilt.
Das Denkmal zum Gedenken an die Toten der
Einheit wurde 1909 von dem Architekten Fritz
Schumacher errichtet
14
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 2/2003
Privatsammlung, Oldenburg
reiche Schiffe, darunter die Einheiten
der Zerstörerflottille, deren Stab seit
1982 ebenfalls dort seinen Sitz hat. Das
seit Anfang 2003 eigenständige Marinestützpunktkommando Wilhelmshaven knüpft an eine Tradition an, die mit
der Einrichtung der Marinestation der
Nordsee 1871 begonnen hat. Eine Stationierung in Wilhelmshaven hat inzwischen ihren einstigen Schrecken verloren; neben zahlreichen Freizeiteinrichtungen in der Umgebung bietet die
Stadt heute weitaus mehr als in den
Gründerjahren.
Privatsammlung, Oldenburg
Ansichtskarte um 1916, Foto von F. Fink, Wilhelmshaven. Der Schlachtkreuzer »Seydlitz« kehrte
schwer beschädigt aus der Skagerrakschlacht zurück. Die Schlacht wurde zunächst als Sieg
gefeiert und Kaiser Wilhelms II. reiste persönlich nach Wilhelmshaven, um sich ein Bild von den
Schäden zu machen, Verwundete zu besuchen und Auszeichnungen zu verteilen.
Letztendlich war es in der »Battle of Jutland«, wie diese größte Seeschlacht des Ersten
Weltkrieges in Großbritannien bezeichnet wird, aber eben nicht gelungen, die Überlegenheit
der britischen Grand Fleet in der Nordsee zu brechen
Wilhelmshaven ist eine deutsche
Marinestadt mit einer einzigartigen
Geschichte. Trotz der Zerstörungen im
Zweiten Weltkrieg sind noch weitaus
mehr interessante Zeugnisse aus der
Vergangenheit der Jadestadt zu sehen,
als gemeinhin angenommen wird. An
zahlreichen Orten hat die Stadt immer
noch das Flair vom kaiserzeitlichen
»Berlin hinterm Deich«, so dass bei
genauerem Hinsehen nicht nur für
Marineangehörige heute immer noch
der Schlusssatz aus der Wilhelmshaven-»Hymne« gelten kann:
Kommst du zurück aus dem fernen
Land, rufst du: »O Wonne des Glücks,
du mein W‘haven am Jadestrand,
schimmernde Perle des Schlicks!«
n Cord Eberspächer
Ansichtskarte von 1918, Foto von B. Strohschein, Wilhelmshaven. Nach der Auslieferung der
deutschen Hochseeflotte zur Internierung in Scapa Flow verblieben vor allem kleinere und ältere
Einheiten in Wilhelmshaven. Ein großer Teil dieser Schiffe wurde anschließend ausgemustert
und bis 1923 auf der ehemaligen Kaiserlichen Werft abgewrackt
der Bundeswehr rückten 1956 auch in
Wilhelmshaven wieder die ersten Rekruten ein. In den folgenden Jahren
entwickelte sich die Jadestadt zum
größten Marinestandort der Bundesrepublik Deutschland.
Die deutsche Einheit 1990 markierte
einen weiteren Einschnitt in der Geschichte der »Marinestadt« Wilhelmshaven. Sie zog die Verlegung wichtiger militärischer Dienststellen an die
Ostsee nach sich, vor allem nach
Rostock. Doch auch mit diesen Beeinträchtigungen ist Wilhelmshaven der
größte Standort der Deutschen Marine
geblieben. Acht Marineanlagen beherbergen dort laut aktueller Homepage
der Bundeswehr 36 Bundeswehrdienststellen, darunter das Marinearsenal auf
dem Gelände der ehemaligen Kaiserlichen Werft, dem größten Instandsetzungsbetrieb der Bundeswehr. Wilhelmshaven ist Heimathafen für zahl-
Literatur
Louise von Krohn, Vierzig Jahre in einem
deutschen Kriegshafen. Heppens-Wilhelmshaven, Wilhelmshaven 2001
[= Neuedition der Ausgabe von 1905].
ISBN 3-920602-38-2
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Wehrmachthelferinnen
akg-images
akg-images
Wehrmacht
Schweißarbeiten in einem Rüstungsbetrieb
»Blitzmädchen« beim Losverkauf für das Winterhilfswerk (WHW)
Nach Paris, Norwegen oder in den
Osten – und vor allem: einen Soldaten für die Front freimachen.
»Schau mal, da sind die Mädchen in Uniform, das sieht doch chic aus, da hast Du
Gelegenheit ins Ausland zu kommen ...«
Der Zweite Weltkrieg ist zumindest in
militärgeschichtlicher Sicht eine männliche Domäne. Die Wehrmacht setzte
keine Frauen als Soldaten ein, das lief
schon der NS-Ideologie zuwider. Wenig
bekannt ist aber, dass mindestens eine
halbe Million Frauen als Wehrmachthelferinnen verpflichtet wurden oder sich
freiwillig meldeten. Wenn sie auch nicht
kämpften, so waren sie doch Beteiligte
im militärischen Geschehen und erfüllten wichtige militärische Funktionen.
ie Bereitschaftsführerin des
Roten Kreuzes hat sie darauf
aufmerksam gemacht und ihr
Bilder aus einer Illustrierten gezeigt.
»Ja, die Uniform bei der Wehrmacht
sah gut aus und erst mit dem Schiffchen! Und mit dem Blitz, das gefiel
mir besonders. Das waren ja die Blitzmädchen. Und ich hab gedacht, meine
Güte, das wär schon was! Und es
gelang mir, mich Dienst verpflichten zu
lassen. Und dann erhielt ich doch tatsächlich den Befehl. Ich hatte die Möglichkeit, Funkerin, Telefonistin oder
Fernschreiberin bei der Wehrmacht zu
werden. So meldete ich mich als Fernschreiberin, weil mir das am interessantesten erschien. Fernschreiberin des
Heeres, das ist doch was, dachte ich.
Ja, richtig, es war Krieg, aber der stand
ganz im Hintergrund. Da war mehr
dieses Abenteuer, das mich lockte. Ja,
ich wollte so gerne Nachrichtenhelferin werden.«
Der Artikel berichtet über den Dienst
der Frauen aus deren heutiger Sicht.
Unterschiedlich differenzierte Sichtweisen kommen zu Wort, wobei es erstaunlich ist, dass die Erfahrungen der deutschen Frauen als Wehrmachthelferinnen bisher wissenschaftlich noch kaum
aufgearbeitet worden sind. Auch daher
ergibt sich eher ein Erinnerungsbild der
Zeitzeuginnen, zusammengesetzt aus
Erleben und Verdrängen, als die historische Wirklichkeit insgesamt. Es ist eine
Facette der Wirklichkeit, ein Ausschnitt,
wie ihn die dienstverpflichteten Frauen
damals, in ihrer Jugend, erlebt haben.
16
D
Gerda R. sitzt mir in ihrem hellen
Wohnzimmer gegenüber. Sie hat weiße
Haare und ist über 80 Jahre alt. Sie
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wirkt viel jünger in ihrer hellblauen
Jacke. Wenn von damals die Rede ist,
spricht sie sehr bestimmt und selbstbewusst.
Damals, das heißt im Krieg, im Zweiten Weltkrieg. Der Vernichtungskrieg
gegen die Sowjetunion lief auf vollen
Touren. Frankreich war besetzt und die
6. Armee auf dem Weg nach Stalingrad.
Gerda R. war 22 Jahre jung, Mitglied
des Roten Kreuzes, und arbeitete bei
der Sparkasse ihres Heimatorts in Ostpreußen. Dort war nichts los. Nur Eintönigkeit tagein, tagaus. Die junge Frau
aber hatte Fernweh, wollte die Welt
sehen, etwas erleben. Mitten im Krieg.
»Der Krieg lief so nebenbei mit«, sagt
sie. »Er war für mich zu der Zeit
noch Nebensache. In Ostpreußen hatten wir ja noch unsere Ruhe. Natürlich
habe ich mitbekommen, dass unsere
Soldaten am 22.6.1941 nach Russland
mussten. An diesem Tag war Kanonendonner zu hören. Und das war für
mich schon irgendwie schlimm. Aber
ansonsten lebten wir bis zum Sommer
1944 sozusagen im tiefsten Frieden.«
Gerda R. wurde einberufen. Die Mutter
war strikt dagegen. Der Bruder kämpfte
helferinnen
im Zweiten Weltkrieg
doch bereits an der Ostfront. Die Tochter setzte sich aber über alle Bedenken
hinweg. Nach einer zweimonatigen
Ausbildung landete sie schließlich in
Berlin. Ihre Dienststelle war der Bendler-Block, Sitz des Allgemeinen Heeresamtes und anderer Dienststellen der
Wehrmacht. Und da erlebte sie, dass
die »Blitzmädchen« mit dem »Blitz am
Ärmel und am Kragen« in der Bevölkerung in keinem sehr guten Ansehen
standen. Die Arbeit in Berlin wurde
nach einiger Zeit eintönig. »Es war, wie
wenn man ins Büro geht und dort eben
seine Arbeit macht.« Und sie wollte
doch endlich in die große weite Welt.
Schließlich gelang es ihr doch noch ins
Ausland versetzt zu werden.
Von der Heeresschule für Nachrichtenhelferinnen (HSNH) in Gießen aus
wurden die Frauen in ihre Einsatzorte
geschickt. Gerda R. hoffte auf Paris
oder Norwegen. Mit einer Kameradin
zusammen kam sie nach Belgrad. »Endlich hatte ich es geschafft«, sagt sie.
Und ihre Augen leuchten.
Im Mai des Jahres 2001 fand eine
Woche lang das 22. Treffen der ehemaligen »Nachrichtenhelferinnen des
Heeres« in Bad Wildungen statt. Ich
war dort. Ich wollte die Meinung der
Frauen hören – erfahren, ob es damals
nicht noch andere Motive außer Fernweh und Abenteuerlust für die jungen
Frauen gab, wie groß wohl die Begeisterung für das Regime war und wie
sie Kriegsende und Rückzug erlebten.
Es geht dort lustig und lautstark zu,
als ich mich mit der Organisatorin,
Frau T., und einigen der Damen, seinerzeit Beteiligten, in einer Pension treffe.
»Weißt Du noch?«, höre ich immer
wieder. Und dann viel Gelächter. Aus
ganz Deutschland sind sie angereist,
auch aus Österreich und der Schweiz.
Diese älteren Damen, alle um die
8o, verstehen sich gut, haben sich
immer wieder etwas Neues zu erzählen, kichern wie junge Mädchen; die
Erinnerungen sind wieder ganz lebendig. Das gemeinsam Erlebte im Krieg
mit den positiven und auch den negativen Erfahrungen hat sie anscheinend
zusammengeschmiedet, gibt ihnen offenbar Kraft und wenigstens für diese
Woche eine besondere Lebensenergie.
Ich höre dann in den diversen Gesprächen immer wieder, dass die Motivation für die freiwillige Dienstverpflichtung bei der Wehrmacht kaum
etwas mit Begeisterung für das Regime
zu tun hatte. Teilweise sei sie einfach
aus Abenteuerlust erfolgt. »Wir wollten
doch unbedingt von zu Hause weg«,
sagt Inge P.
Man muss unterscheiden, das wird
mir immer wieder deutlich: Als Frankreich 1940 besetzt wurde, war natürlich Paris wegen seines Weltstadtflairs
und seines kulturellen Angebots ein
sehr beliebter Standort. In Frankreich
führten die jungen Wehrmachthelferinnen zunächst im allgemeinen ein recht
angenehmes Leben. Dann, im Laufe
der Kriegsereignisse, als die Résistance
immer aktiver wurde, änderte sich
das. Nach dem deutschen Überfall auf
die Sowjetunion am 22. Juni 1941 galt
vielen jungen Frauen der Dienst im
Osten als irgendwie suspekt und war
deshalb weniger beliebt. Man muss
sich aber vorstellen, dass damals nur
wenige privat aus Deutschland – das
galt also auch die jungen Frauen –
ins Ausland konnten. Dennoch ist es
bemerkenswert, dass ein Einsatz in den
besetzten Gebieten Jugoslawiens oder
der Sowjetunion auf jeden Fall als interessant und beliebter galt, als »nur« in
der Heimat eingesetzt zu werden.
Die jungen Frauen erhielten also eine
kleidsame Uniform und galten fortan
als Angehörige der Deutschen Wehr-
akg-images
Die Alternative zur
Wehrmachthelferin:
Arbeit in der
Rüstungsindustrie
akg-images / IMS
macht, als Repräsentantinnen »der
deutschen Frau« im Ausland. Und ihre
Führerinnen gar standen im Rang vom
Hauptmann bis zum Oberst. Das war
doch etwas! Immer wieder höre ich
diesen Satz. Und dass man sich überhaupt freiwillig meldete, hing auch
damit zusammen, dass die Wehrmacht
eigentlich das kleinere Übel gewesen
sei. Denn die Munitionsfabrik wäre die
andere Alternative gewesen. Und Politik habe viele Mädchen kaum interessiert. »Wir waren doch jung, so um die
20, und hatten so viele andere Dinge
im Kopf«, sagt Erna K. und fügt noch
hinzu: »Natürlich wollten wir etwas
für unser Vaterland tun. Und man hatte
uns doch gesagt, dass jede von uns
einen Soldaten für die Front ersetzen
könnte. Das hat uns stolz gemacht und
wir haben uns wichtig gefühlt. Das
war doch schon etwas.«
Aber es wurden auch junge Frauen
einfach gegen ihren Willen dienstverpflichtet. Da gab es kein Zurück. Insgesamt spricht man von einer halben
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 2/2003
17
akg-images
Bundesarchiv / Plak 3/25/17
Wehrmachthelferinnen
Röntgenuntersuchung von
Freiwilligen für das
Wehrmachthelferinnenkorps,
mit Röntgenhemd
aus Papier
am Geheimfernschreiber zu arbeiten.
Das war eine besondere Auszeichnung. Man konnte da nur verschlüsselt
schreiben. Sie kann sich nicht mehr an
die Themen erinnern. »Es ging irgendwie um Tito. Auf jeden Fall ist mir in
Erinnerung, wie interessant und wichtig das war. Ich muss sagen, ich hab'
eben geschrieben, das war mein Job,
das war meine Arbeit, das war so, als
ob es mein Beruf wäre. Das war nicht
so, dass ich dachte, dieses möchte ich
jetzt wissen und jenes oder was dahintersteckt.«
Werbeplakat für den Dienst als Luftnachrichtenhelferin
Million Frauen, die bei Heer, Luftwaffe
und Marine sowohl im Deutschen
Reich als auch in den besetzten Gebieten als Wehrmachthelferinnen verschiedene Tätigkeiten ausübten. Sie zogen
gewissermaßen wie Soldaten in den
Krieg, wurden vereidigt, mussten auf
den Kasernenplätzen marschieren und
grüßen und, das gab es auch: Die
Frauen mussten an Ort und Stelle im
Osten wegen der gefährlichen Lage
lernen, mit der Waffe umzugehen. Der
Krieg wurde zur Normalität. Auch im
Osten erledigte man dabei eben seine
tägliche Arbeit.
18
Wie ihr Leben sich in Belgrad abspielte,
schildert Gerda R.: »Mir hat die Fernschreiberei viel Spaß gemacht. Dieses
flotte Schreiben, die Texte habe ich
dabei gar nicht richtig mitgekriegt.
Meistens ging es um Truppenverschiebungen. Soundsoviel Zahlen und
soundsoviel Soldaten. Ich kann mich
nicht entsinnen, dass ich da begeistert
mitgelesen habe. Es ging um Wehrmachtstransporte, Munitionstransporte, das hat man geschrieben und sofort
vergessen.« Und sie erzählt, wobei man
ihr den Stolz anmerkt, dass sie dazu
ausersehen wurde, im Geheimraum,
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 2/2003
Und mit weicher Stimme spricht sie
von den Freundschaften, die sich so
ergaben. Denn die wenigen jungen
deutschen Frauen wurden von den
deutschen Soldaten sehr umschwärmt.
»Wir mussten immer zu zweit ausgehen. Wegen der Partisanengefahr. Und
da haben uns schon am zweiten Tag auf
unserer Stadterkundung eben zwei Soldaten angesprochen. Mit denen waren
wir dann nachher befreundet. Wir durften die dann auch in unsere Unterkunft einladen. Da war ein großer Aufenthaltsraum und wir durften ihnen
was anbieten. Wir hatten ja auch Naturalien. Da gab es einen Markt, und
wenn wir konnten, haben wir mal
Eier gekauft und den Soldaten einen
Kuchen gebacken und auch mal eine
Flasche Wein zusammen getrunken,
aber da gab´s nichts mit aufs Zimmer
gehen oder so.«
Bundesarchiv
Dienst in der Telefonvermittlung
akg-images
Ein differenzierteres Bild von ihrem Einsatz in Frankreich, der Sowjetunion in
Serbien und Italien zeigt die ehemalige
Wehrmachthelferin Ilse Schmidt in ihren
Erinnerungen. So schreibt sie u.a. über
ihren Einsatz in Belgrad (1941/42) als
Sekretärin im Vorzimmer des Leiters
der Wehrmacht-Propaganda-Abteilung
Südost: »Ich bin noch nicht lange in
Belgrad, da liegen auf meinem Schreibtisch unter den täglichen Bergen von
Posteingängen etliche große Briefumschläge. Ahnungslos nehme ich die darin
enthaltenen Bilder heraus und erstarre:
Kriegsberichter haben Erschießungen
von Partisanen fotografiert. Vor, während, nach der Hinrichtung. Jede Haltung, jede Sekunde des Sterbens ist
festgehalten. Als ich die Bilder in den
Umschlag zurücklege, verspüre ich den
Wunsch, aus dem Büro fortzulaufen.
Auch hier in Belgrad bin ich vereidigt
worden, Stillschweigen über meine Arbeit
zu wahren. Ich wage nicht, mich jemandem anzuvertrauen.«
Ilse Schmidt, Die Mitläuferin. Erinnerungen einer Wehrmachtsangehörigen.
Mit einem Vorwort von Annette Kuhn
und einem Nachwort von Gaby Zipfel,
Berlin 2002, S. 37 f.
Kameradschaftsabend des Pariser Wachregiments und der Nachrichtenhelferinnen
akg-images
Auf die Frage nach Kontakten zur
Zivilbevölkerung antwortet sie: »Wir
haben versucht, freundlich zu sein. Wir
haben sie angelächelt und ein paar
Worte ihrer Sprache gelernt. Aber nicht
so, dass wir hier die Herrenmenschen
sind, die Besatzungsmacht, also so
nicht! Es hat auch keine die Nationalsozialistin in meiner Umgebung herausgekehrt, und die Soldaten, die ich
dort traf, haben sich auch der Zivilbevölkerung gegenüber sehr anständig
benommen. Wir wollten nicht irgendwie unangenehm auffallen, denn wir
hatten Angst vor Partisanen.« Und
Helga D., als Stabshelferin des Heeres
in Minsk eingesetzt, sagt: »Das mit der
Angst war unterschiedlich, auf dem
Balkan ist mein Verlobter von Partisanen erschossen worden, dort hatten
die Mädchen wohl Grund zur Angst,
aber bei uns in Minsk, hat, bis wir 1944
raus mussten, niemand so etwas geäußert. Aber vielleicht lag es an der Organisation, an unserer Arbeit hier und an
unserem Kompaniechef, der uns sehr
beschützte und sehr umsichtig war.«
Heimkehrertransport aus sowjetischer Gefangenschaft: Deutsche Frauen, die während des
Krieges hauptsächlich als Krankenschwestern und Nachrichtenhelferinnen eingesetzt waren
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 2/2003
19
Bundesarchiv
Bundesarchiv
Wehrmachthelferinnen
Dienst im besetzten Frankreich, Mai 1942
Helga D. möchte diese Zeit im besetzten Land nicht missen. Es sei ihr in
jeder Beziehung sehr gut gegangen, vor
allem die Kameradschaft sei beispielhaft gewesen. Sie habe gute Gefühle
gehabt, für Politik habe sie sich wenig
interessiert. »Ich hab mir gesagt, es ist
im Grund ja egal, was ich mache und
im Nachhinein muss ich sagen, bin ich
mit vielem besser gefahren, als wenn
ich in Berlin geblieben wäre. In Berlin
die vielen Angriffe, das alles haben wir
überhaupt nicht gehabt. Und deswegen hatte ich nichts dagegen, in Minsk
zu sein. Was hätte ich denn machen
sollen, wenn ich gesagt hätte, ich gehe
da nicht hin!« Die Stimme klingt jetzt
irgendwie fremd.
Bei meinen Recherchen stellte ich fest,
dass die Frauen, die irgendwo im Deutschen Reich eingesetzt waren, möglicherweise in der Nähe ihres Heimatorts, also wenig »Exotisches« erlebten,
im Großen und Ganzen eher negativ
über ihre Jahre bei der Wehrmacht
sprechen. Sonja F. (Flakwaffenhelferin)
bringt es auf den Punkt: »Es ist von
Anfang bis Ende schrecklich gewesen,
ich bin dienstverpflichtet worden und
wollte da auf keinen Fall hin. Ich sah
darin überhaupt keinen Sinn. Man hat
20
uns benutzt und uns um unsere besten
Jahre betrogen. Wir waren doch so
lebenshungrig. Das meiste war schlecht
organisiert. Wir waren jung und gehorsam und diese alten kriegsunfähigen
Männer und Nazibonzen, die uns ausbilden sollten, behandelten uns oft so
unverschämt. Lieber sich an die Ostfront versetzen lassen, als uns auszubilden, hieß es. Aber natürlich hat sich
keiner von denen freiwillig an die Ostfront versetzen lassen.«
Wie hat sich nun der Rückzug, das
Kriegsende für einige der Frauen
abgespielt? Die Rote Armee eroberte
ab Januar 1945 endgültig deutschen
Boden. Der Standort Belgrad musste
im Herbst 1944 aufgegeben werden
und Gerda R. wurde mehrfach versetzt. Im September 1944 hätte sie noch
einen Einsatz in Norwegen bekommen können. Sie lehnte jedoch ab.
Die Angst, nicht mehr nach Hause zu
kommen, in Gefangenschaft zu geraten, den Russen in die Hände zu fallen,
war längst der Abenteuerlust gewichen. Sie erhielt den Versetzungsbefehl
zur Heeresgruppe Mitte nach Ortelsburg in Südostpreußen. »Die Russen
kamen immer näher und wir mussten
wieder türmen. Wir standen im Feb-
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 2/2003
ruar 1945 am Frischen Haff. In Heiligenbeil wurde noch eine letzte Vermittlung aufgebaut. Die großen Güter
waren schon alle verlassen.« Sie und
noch drei andere junge Frauen ihrer
Dienststelle landeten auf einem Lazarettschiff, das von Pillau nach Gotenhafen (Gdingen) fuhr. Mit Geleitschutz. Es
war unheimlich. Die »Wilhelm-Gustloff« war schon untergegangen. In ihrer
Wehrmachtuniform wurde Gerda R. als
Rotkreuzhelferin eingesetzt. Dort kam
das Leid. Sie hat viel davon miterlebt.
Sie hat Dinge machen müssen, die sie
sich nie hätte vorstellen können. »Da
waren 2000 Verwundete auf diesem
Schiff. Es war so grausam. Wir waren
nur zwei Tage auf diesem Schiff, nur bis
Gotenhafen. Die Verwundeten schrien
Tag und Nacht. Ihre Notdurft haben
sie in Konservendosen verrichtet, die
haben wir ihnen hingehalten.« Ihre
Odyssee auf der Flucht vor den Russen
ging von Danzig über Stettin nach
Neubrandenburg. Dort geriet sie am
2. Mai 1945 in kanadische Gefangenschaft. Ohne Papiere wurde sie dann
im Juli entlassen.
Helga D. verließ dank ihres umsichtigen Kompaniechefs Minsk bereits im
Sommer 1944 und fuhr mit sechs ande-
verfügen konnte, wurde von der Forschung als nicht vollwertige Kombattantin bisher wenig beachtet. Ob freiwillig oder zwangsdienstverpflichtet,
ob im Westen oder im Osten, haben
diese Frauen, ebenso wie die Soldaten,
viel erlebt und ihr Leben mitunter
großen Gefahren ausgesetzt. Sie waren
mehr oder weniger mitten im grausamen Kriegsgeschehen und haben 60
Jahre kaum darüber gesprochen. Eine
Frau sagt: »Ich war doch nur Helferin
der Wehrmacht, das ist nicht erzählenswert. Soldaten sind wichtiger.«
Frankreich, Mai 1942
ren jungen Frauen in einem Wehrmachtszug Richtung Polen. Den 20. Juli
1944 erlebte sie in ihrer neuen Dienststelle in Tschenstochau. Sie erzählt: »Da
haben wir im Wehrmachtscafé gesessen und da kam die Durchsage im
Radio. Sie haben versucht, den Führer
umzubringen. Da schauten wir uns an
und sagten, wie schade, dass er noch
lebt!« Auch sie wurde noch zu verschiedenen Dienststellen beordert und kam
von Lodz über Allenstein nach Thorn.
Schon war alles chaotisch. Aber von
offizieller Seite musste noch Durchhaltewillen und Entschlossenheit propagiert werden. Sie gelangte nach Posen
und von dort nach Glogau. Sie wollte
nur noch nach Hause. Aber sie wagte
nicht zu desertieren. Sie war Angehörige der Wehrmacht. Von Leipzig aus
wurde sie nach Bamberg geschickt und
von dort wieder nach Norden, nach
Altenburg. Hier konnte sie ihren neuen
Einsatzort wählen: Norwegen oder Italien. »Da hätte ich nach Norwegen
gekonnt, aber da wollte ich nicht mehr,
weil ich mir sagte, der Krieg ist bald
zu Ende und wie soll ich dann wohl
nach Hause kommen. Übers Wasser?
Da hab' ich gesagt, da geh ich eben
nach Italien, da kann ich zur Not über
den Brenner zu Fuß gehen. Und im
Januar 1945 bin ich dann nach Italien
geschickt worden. Nach Verona.« Dort
arbeitete sie bis Ende April als Schreibkraft im Kriegswehrmachtsgefängnis.
Und nun erlebte sie auch Exekutionen
deutscher Soldaten, die desertiert und
gefasst worden waren. Sie sagt: »Das
waren doch noch Buben, ganz junge
Soldaten! Die wurden freitags immer
abgeholt. Und die waren weiß wie die
Wand, wenn die abtransportiert wurden. Die wurden dann außerhalb exekutiert. Es war furchtbar, wir haben
immer versucht, nicht hinzusehen.«
Auch sie wurde, als die Amerikaner
schon in der Nähe waren, verpflichtet,
im Lazarett zu arbeiten. Im Mai geriet
sie in amerikanische Gefangenschaft,
eine sehr unangenehme Zeit, an die sie
nicht mehr erinnert werden möchte.
Nach vielen Irrfahrten kam sie Ende
August 1945 endlich nach Hause.
Viele Frauen kamen von ihrem Auslandseinsatz nicht mehr heim. Wie
viele auf der Flucht vor den Russen
oder in russischen oder anderen alliierten Gefangenenlagern umgekommen
sind, ist noch unbekannt. Die deutsche Frau als Hilfskraft im Krieg, die
aber auch über wichtige Informationen
Andere Frauen sprechen von Schuld,
die sie empfinden, wenn sie daran
denken, wie etwa russische Kriegsgefangene ganz in ihrer Nähe fast verhungerten. Hilde S. (Marinestabshelferin) sagt reumütig: »Vom heutigen
Standpunkt gesehen hätte ich ihnen
Brot zustecken müssen. Aber es war
doch verboten. Und ich hatte solche
Angst.« Rosa K. (beim Luftschutzwarndienst, welcher der Luftwaffe unterstellt war) sagt irgendwie entschuldigend: »Die Geschwister Scholl haben
nachgedacht, ich nicht. Ich ließ mich
mitreißen. Ich hatte keine Zivilcourage.
Hätte ich sie doch nur gehabt! Gegen
den von oben verordneten Strom zu
schwimmen, hätte ich nicht die Kraft
gehabt. Ob das wirklich Feigheit ist,
wenn man in einer Diktatur nicht aufbegehrt, glaube ich nicht. Es war eher
das Normale.« Und abschließend meint
Sonja F.: »Es ist heute eine Anmaßung
der jüngeren Generationen, uns richten zu wollen. In der Diktatur wusste
man als politisch schlecht informiertes
und desinteressiertes junges Mädchen
sehr wenig. Heute wird mir unterstellt,
ich hätte das alles wissen müssen.
Ich habe es nicht gewusst. Ich war
nicht neugierig, wenn ich irgendwelche Nachbarn plötzlich nicht mehr sah.
Es tut mir heute so leid. Aber ich kann
es nicht ändern.«
n Rosemarie Killius
Literatur
Rosemarie Killius, Sei still Kind, Adolf spricht –
Gespräche mit Zeitzeuginnen, Leipzig 2000
Rosemarie Killius, Frauen für die Front.
Gespräche mit Wehrmachthelferinnen,
Leipzig 2003
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 2/2003
21
Service
Das historische Stichwort
3Der sowjetische Stadtkommandant
Generalmajor Dibrova verhängt den
Ausnahmezustand in Berlin
Landesarchiv Berlin 248810
net, dass die Bauarbeiterdemonstration vom 16. Juni in Ost-Berlin einen
Flächenbrand der Unzufriedenheit im
gesamten ostdeutschen Staat entzünden würde.
Der Volksaufstand vom
17. Juni 1953 und die
sowjetischen Panzer
V
or fünfzig Jahren gingen
erschütternde Bilder um die
Welt: Sowjetische Panzer unterdrückten am 17. Juni 1953 in wenigen
Stunden den Volksprotest gegen die
SED-Diktatur. In 167 der 217 Stadtund Landkreise der DDR verkündeten
die Militärkommandanturen der Besatzungsmacht den Ausnahmezustand.
Sowjetische Truppen zerschlugen Proteste, Streiks und Demonstrationen.
Doch wie neu zugängliche sowjetische
Quellen dokumentieren, verlief der
Militäreinsatz nicht überall so reibungslos wie in der DDR-Hauptstadt. In Ostberlin hatten sich nach der Bauarbeiterdemonstration und den ersten Unruhen noch in der Nacht zum 17. Juni der
neu ernannte Hohe Kommissar Wladimir Semjonow und der Oberbefehlshaber der Sowjetischen Besatzungstruppen in Deutschland (GSBD), Generaloberst Andrej Gretschko, mit der
SED-Spitze zu einer Lagebesprechung
getroffen und das weitere Vorgehen
vorbereitet. Man ging davon aus, dass
die erwarteten Unruhen am Folgetag
22
von West-Berlin aus gesteuert würden.
Die sowjetische Führung in Moskau
hatte eine Taktik der massiven Einschüchterung vorgegeben. Wenn es der
Polizei nicht gelänge, Ruhe und Ordnung aufrecht zu erhalten, sollten sowjetische Truppen mit Panzern und Artillerie eingreifen, um sowohl die Berliner
als auch die westlichen Alliierten von
einem »Abenteuer« abzuschrecken. In
und um Berlin wurden mehrere sowjetische Divisionen mit über 600 Panzern zusammengezogen. Als der Protest von über 100 000 Demonstranten
in Ost-Berlin die schlimmsten Befürchtungen der militärischen Einsatzplaner
weit übertraf und die wenigen Tausend Volkspolizisten den Massen alsbald hilflos gegenüberstanden, kam die
gewaltige Militärmaschinerie in den
Mittagstunden des 17. Juni zum Einsatz und zerschlug die Proteste in wenigen Stunden.
Doch der Einsatz war nur für Berlin
geplant. Niemand hatte damit gerech-
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 2/2003
Die Einsatzweisung in den DDR-Bezirken kam auch für die sowjetischen
Truppen überraschend. In der Provinz
gab es für sie keine Voralarmierung.
Die Standorte der Besatzungstruppen
lagen in der Regel abseits größerer
Städte, viele Einheiten befanden sich
in Sommerlagern. Das erklärt, warum
sowjetische Truppen in den Mittagsstunden in den Unruheorten oft nur
mit geringen Kräften auftauchten und
– wie Augenzeugen berichten – viel
hin und her fuhren, ehe genügend
Einheiten vorhanden waren, um die
Protestbewegung auch hier massiv zu
unterdrücken. Während dann Panzer
und Schützenketten die Demonstranten auseinander trieben, verhaftete man
gezielt Streikführer, um der Erhebung
die Köpfe zu nehmen. Die Sowjets
bemühten sich zudem, die Protestierenden in den Betrieben zu halten
bzw. sie dorthin zurückzudrängen, um
nach erfolgter Betriebsbesetzung ebenfalls gegen Streikleitungen vorgehen
zu können.
Trotz der bewussten Strategie der massiven Einschüchterung war der sowjetische Einsatz eher zurückhaltend.
Die Panzer fuhren im Schritttempo in
die Menge. Beim Räumen der Straßen
und Plätze kamen Handwaffen, selten
Bord-MG zum Einsatz. Oft begnügte
man sich mit Warnschüssen über die
Köpfe der Demonstranten hinweg. Mit
Panzerkanonen, wie oft behauptet,
wurde nicht auf Demonstranten gefeuert, ihre Anwendung wie auch die des
MG hätte ein Blutbad in der Menschenmenge angerichtet. Die meisten
Toten und Verletzten gab es nachweislich durch Querschläger. Die im
Vergleich zum Ungarnaufstand 1956
geringe Zahl von etwa 60 Todesopfern
dokumentiert den relativ zurückhaltenden Waffeneinsatz, vor allem aber,
dass es sich in der DDR nicht um
einen zielgerichteten, bewaffneten Auf-
Die Legende von der Befehlsverweigerung
Zur Demonstration von Stärke und Ausnahmerecht benutzte die eingreifende sowjetische Besatzungsmacht bewußt das Mittel der
standrechtlichen Erschießung. Sieben solcher Erschießungen protestierender Deutscher sind in sowjetischen Dokumenten benannt,
drei weitere angedeutet. Hartnäckig hält sich die Legende, es seien auch 18 Sowjetsoldaten des 73. Schützenregiments in Biederitz bei
Magdeburg hingerichtet worden, weil sie sich geweigert hätten, gegen die Aufständischen vorzugehen. Dies ist allerdings in keinem
Dokument erwähnt, obwohl solche Vorkommnisse eine sofortige militärische Meldung erfordert und gründliche Untersuchungen nach
sich gezogen hätten. Dagegen spricht auch, dass im Raum Magdeburg die 19. mechanisierte Division und das 136. Panzer- und Sturmartillerieregiment der 3. Sowjetischen Armee eingesetzt waren; das besagte 73. Schützenregiment gehörte nicht zu diesem Großverband.
Vielmehr war dieses bereits 1945 aus Deutschland abgezogen und wahrscheinlich 1946 in der UdSSR im Rahmen der Demobilisierung
aufgelöst worden. Folglich erweisen sich die westlichen Berichte über die Erschießungen von Biederitz ebenso wie solche über die angebliche standrechtliche Erschießung zweier Soldaten der Kasernierten Volkspolizei der DDR sowie von zwei Angehörigen der Volkspolizei-See offensichtlich als Legenden in der ideologischen Auseinandersetzung des Kalten Krieges.
Der sowjetische Befehl über die Verhängung
des Ausnahmezustandes in Halle
Panzer vertreiben Demonstranten vom
Potsdamer Platz
Landesarchiv Berlin 248798
Landesarchiv Berlin 248922
stand gehandelt hat (in Ungarn starben 1956 ca. 720 Sowjetsoldaten und
2700 Ungarn).
Im Juni 1953 zeigte die UdSSR der
Weltöffentlichkeit, dass sie auch nach
Stalins Tod nicht bereit war, in ihrem
Machtbereich politische Veränderungen zu dulden oder die DDR in ein
demokratisches Gesamtdeutschland zu
entlassen. 1956 sollten dies auch die
Polen und die Ungarn, 1968 die Tschechen und Slowaken zu spüren bekommen. Der Volksaufstand in der DDR
war damit der Beginn einer Reihe von
Aufständen gegen den Kommunismus
sowjetischer Prägung. Letztlich war
der 17. Juni 1953 ein erster Schritt auf
dem Weg zum Zusammenbruch der
kommunistischen Regime Ostmitteleuropas im Jahr 1989/90.
Torsten Diedrich
Am 18. Juni trat die Sowjetarmee aus
politischen Gründen in den Hintergrund des Geschehens. Schutz- und
Kasernierte Volkspolizei der DDR wurden zum Hauptinstrument der Unterdrückung des Volksprotestes. Sowjetische Truppen waren jedoch überall
präsent, dokumentierten Stärke, besetzten bestreikte Betriebe und verhafteten
vermeintliche »Rädelsführer«. Nach
sowjetischen Berichten wurden im
Zusammenhang mit den Juni-Unruhen
1832 Deutsche in sowjetische Straflager verschleppt.
Das Militär erzwingt Ruhe in Berlin
Landesarchiv Berlin 25780
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23
Service
Medien online/digital
Fragwürdig: Krieg als Computerspiel
I
n den letzten Jahren hat sich neben
dem Buch und dem Film ein drittes Medium zu Wissensvermittlung etabliert: Die Lern- und Unterhaltungssoftware. Für die Leser der
Militärgeschichte dürften dabei insbesondere die Strategiespiele von Interesse sein. Sie bilden längst ein eigenes
Genre dieser Softwaresparte. So bunt
wie die Angebotspalette ist aber auch
die Qualität solcher Produkte; viele
sind schlicht nichts anderes als Kriegsspiele. Zu den Klassikern, wenn auch
noch in Form eines Brettspieles, zählt
»Risiko«. Auf einer Weltkarte können
hier Armeen verschoben, durch Würfeln Schlachten geschlagen und Länder
befreit (in der ersten Spielversion noch
»erobert«) werden.
Inzwischen hat sich viel getan und
auch ein vergleichsweise altes Spiel wie
»Risiko« hat den Sprung in das elektronische Zeitalter geschafft. Der Computer ermöglicht Fans solcher Strategiespiele neue Möglichkeiten. Aber:
Haben diese Spiele neben der Unterhaltung auch etwas anderes zu bieten?
on
einem schnellen Finger am »Abzug«
bzw. an der Tastatur abverlangt; das
»Herumballern« steht eindeutig an
erster Stelle.
Im Gegensatz zu den Ego-Shootern
soll bei den sogenannten Strategiespielen strategisches Handeln im Vordergrund stehen. Zu den Klassikern
in diesem Bereich gehört sicherlich
das Spiel »Panzer General«, bei dem
der Spieler als »Hobby-General« die
Schlachten des Zweiten Weltkrieges
auf seinem PC schlagen kann. Dabei
ist alles möglich: Der Verlauf der
Geschichte kann geändert werden,
wenn man erfolgreich die Blitzkriegstrategie anwendet oder eine Invasion
in England und Amerika durchführt.
Derzeit erfreuen sich vor allem sogenannte »Ego-Shooter« großer Beliebtheit. Hier kämpft der Spieler in der
Ich-Perspektive, das heißt, er agiert
als Hauptdarsteller in einer virtuellen
Welt. Dies geschieht meist über die
Steuerung einer einzelnen Person oder
aber einer ganzen Gruppe, wobei man
zwischen den einzelnen Charakteren
»wechseln« kann. Aktuelle Spiele des
Genres sind »Ghost Recon«, »Desert
Siege«, »Delta Force: Black Hawk
Down« und »Vietcong«. Während
früher viele Ego-Shooter in Phantasiewelten spielten (z.B. bei »Doom«),
gehen heute die Trends zu realistischen
Szenarien; so sind die Kriege in Somalia und Vietnam die Handlungsgrundlage der oben genannten Spiele.
Aufgrund des umfangreichen Bildmaterials und der »Embedded Journalists« scheint auch der neueste IrakKrieg für die Nutzung durch die »Spieleindustrie« geeignet. Das Prinzip ist
aber überall dasselbe: Töte und vernichtete den Feind, bevor er dich vernichtet. Dem Spieler wird nichts außer
24
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 2/2003
Wahlweise können aber auch die Invasionen der Alliierten in Italien und
der Normandie »nachgespielt« werden.
Falls das Spiel dennoch langweilig
werden sollte, kann der Schwierigkeitsgrad gesteigert werden. »Panzer-General« erfreut sich großer Nachfrage am
Markt, was an den ständigen Erweiterungen erkennbar ist.
Ähnlich aufgebaut ist »Cossacks: European Wars«. Dieses Spiel ermöglicht
laut Werbung »das direkte Nachempfinden« historischer Schlachten des 17.
und 18. Jahrhunderts »in einem großen
Maßstab«. Auch hier führt der Spieler
virtuelle Massenarmeen, um mit diesen
den Gegner niederzuringen. Auffallend ist allerdings, dass das Spiel für
Screenshot »Risiko«
Screenshot
»Vietcong«
Bücher &
Internet:
@
Screenshot
»Panzer General«
Immer wieder sind einzelne Bücher vergriffen, im Handel nicht mehr erhältlich oder schlicht zu teuer. Wir wollen
den Leserinnen und Lesern der Militärgeschichte daher Wege zeigen, wie von
Zuhause aus solche Bücher ohne eine
langwierige Suche auf Büchermärkten
und in Antiquariaten gefunden, ausgeliehen und gekauft werden können.
Im Internet gibt es hierfür verschiedene Möglichkeiten: Zum einen bieten
die meisten Bibliotheken ein InternetPortal an, in welchem man sich die
gewünschte Literatur beschaffen kann.
Dazu eignet sich der sogenannte Karlsruher Virtuelle Katalog (KVK). Dieser
bietet die Möglichkeit, nach ca. 75
Millionen Bücher und Zeitschriften in
Bibliotheks- und Buchhandelskatalogen
weltweit zu recherchieren. Bücher, die
nicht in der eigenen örtlichen Bibliothek
vorhanden sind, können so in Beständen
anderer Bibliotheken gefunden werden
und anschließend bequem per Fernleihe
leihweise beschafft werden.
Screenshot
»Delta Force:
Black Hawk Down«
den Interessierten auch eine Enzyklopädie über Kriege, Schlachten, Nationen, Technologien und Armeen im
Europa des 16. bis 18. Jahrhunderts
bereithält. Dies ermöglicht dem Spieler das »Hineinfühlen« in die Epoche,
vermittelt also immerhin etwas atmosphärische Kenntnisse über diese Zeit.
ten und sich dadurch die Zufriedenheit seiner virtuellen Untertanen
sichern. Diese sollten nicht vernachlässigt werden, da sie sich sonst ungerecht
behandelt fühlen und es zu Unruhen
kommen kann. Der Spieler ist somit
nicht nur Kriegsherr, sondern auch
»Staatsmann«.
In vielen der vorgestellten Strategiespielen spielt der Nachschub für die
Einheiten eine wichtige Rolle. Die
Errichtung von Gebäuden – meist
Kasernen und Waffenschmieden – dient
der Verbesserung der militärischen
Schlagkraft. Wie komplex das System
von Krieg und Herrschaft ist, vermittelt
das Spiel »Civilization«. Hier kann der
Spieler neben Schmieden und Kasernen auch Theater und Kirchen errich-
Zusammenfassend muss man über
solche Spiele aber sagen, dass sie überwiegend einen geringen Bildungs- und
äußerst fragwürdigen Unterhaltungswert haben.
line
René Henn/ch
4www.ubka.uni-karlsruhe.de
Wer dagegen die Bücher lieber kauft als
ausleiht, sollte sein Glück beim Zentralen Verzeichnis antiquarischer Bücher
(ZVAB) versuchen. Hier findet man
alte, im Handel nicht mehr erhältliche
Bücher. Auch das Online-Auktionshaus
»ebay« bietet eine Bücherrubrik an. Hier
lässt sich so manches finden. Allerdings
müssen die Titel ersteigert werden, was
zum Teil langwierig sein kann. Dennoch lohnt ein Besuch der Webseite vor
allem wegen der ständig neuen Angebote.
4www.zvab.com
4www.e-bay.de
René Henn
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 2/2003
25
Service
Lesetipp
Einmarsch in Diepenstadt
Eberhard Kapuste,
Einmarsch in
Diepenstadt,
Frankfurt a.M. und
Bonn 1998.
ISBN 3-932385-01-2;
378 S., 9,00
I
m Juni des Jahres 1993 reist der pensionierte Generalmajor Dieter Röpner
durch Deutschland und besucht die Stationen seiner Dienstzeit. Röpner trat noch
vor dem Bestehen der Bundeswehr 1953
in den Bundesgrenzschutz ein, wurde
dann als Soldat der Bundeswehr im
Sommer 1956 in der kleinen Ortschaft
Diepenstadt stationiert und erlebte den
Aufbau und die Entwicklung des Heeres
bis zur deutschen Wiedervereinigung.
Das Buch ist nicht die Geschichte der
Bundeswehr, doch es ist ein Roman über
diese Armee. Und es ist eine mal spannende, mal enttäuschte, jedoch immer
kritische und lesenswerte Bilanz, die an
fast vierzig Jahre Soldatenleben in der
alten Bundesrepublik zwischen 1953 und
1990 erinnert.
ch
Beurteilung für
Hauptmann Brencken
O
berleutnant Brencken, ehemals
Artillerieoffizier der Wehrmacht,
wird Anfang 1946 aus britischer Kriegsgefangenschaft entlassen. Er nimmt sich
vor, Jura zu studieren und etwas aus
seinem Leben zu machen. Doch die guten
Vorsätze zerschlagen sich bald. Er scheitert, bricht das Studium ab und versucht
sich als Versicherungsagent. So kommt
der Entschluss, auf keinen Fall mehr
Soldat zu werden, bald ins Wanken, und
1956 tritt Brencken als Oberleutnant in
die neue Bundeswehr ein.
Auch dort kommt er aber nur mäßig
zurecht. Ihm fehlt im entscheidenden
Moment die Entschlusskraft, was auch
seine bemerkenswert zahlreichen Verbindungen zu durchaus attraktiven Frauen
schließlich immer wieder scheitern lässt.
So schlägt sich sein gebrochener Charakter auch in den Beurteilungen wieder;
Brencken steht sich selbst im Wege. Nach
26
zweimaligem Versagen im Stabsoffizierlehrgang ist die Aussicht auf eine militärische Karriere dahin, der ehemalige Wehrmachtoffizier findet sich in der neuen
Armee mit ihrer »Inneren Führung«, die
er nicht wirklich verstehen kann, nicht
zurecht. Am Schluss nimmt das Buch eine
überraschende Wende, als klar wird, dass
ein traumatisches Kriegserlebnis Brenckens Elan zerstört hat.
Reinhard
Hauschild,
Beurteilung für
Hauptmann
Brencken,
Gütersloh 1974.
478 S.,
4,50–10,00
(im Antiquariat)
Ein äußerst lesenswertes Buch, das den
Leser in die Welt der 50er und 60er
Jahre, auch in die Bundeswehr der damaligen Zeit entführt. Die Konflikte zwischen Traditionalisten und Modernisierern werden ebenso deutlich wie die
Probleme der Kriegsgeneration, sich in
der neuen Armee zu orientieren. NATOAlarm der Bundeswehr, Vietnamkrieg,
Studentenrevolte, die bewegten sechziger Jahre mit ihrer sexuellen Offenheit:
Das schmilzt in Brenckens Leben wie
in einem Brennpunkt zusammen, wird
auf der Mikroebene »von unten« erlebt.
Nicht zuletzt in den Beziehungen Brenckens mit seinen Freundinnen kann man
viel über die damalige Zeit, aber auch
über die Stellung des Militärs in der
Gesellschaft lernen. So wird der ruhige
Betrieb in Brenckens Bataillon merklich
gestört, als Unbekannte (natürlich »linke«
Unruhestifter) Sabotage betreiben oder
sich die attraktive Frau des Oberleutnants
Perino als Edelprostituierte entpuppt.
Das umfangreiche Buch ist flüssig zu
lesen und wird jedem Bundeswehrangehörigen zumindest von den dienstlichen Abläufen her, die aber nur eine
Rahmenhandlung bilden, rasch vertraut
sein. Trotzdem ist es eine fremde Welt, in
die gerade der jüngere Betrachter eintritt.
Der Roman ist sehr empfehlenswert für
diejenigen, die damals dabei waren. Und
besonders für die anderen, die damals
nicht dabei waren und nun lesen können,
dass früher keinesfalls alles besser war –
aber vieles ganz anders.
ag
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 2/2003
Deutsche Geheimdienstchefs
N
ach dem Ende des Zweiten Weltkrieges bekämpften sich die neuen
Gegner Ost und West nicht direkt, sondern in blutigen, sogenannten Stellvertreterkriegen in Afrika und Asien oder
führten mit ihren Geheimdiensten einen
»Krieg im Dunkeln«, der nach außen hin
weitgehend unsichtbar verlief. Ganz neu
war diese Entwicklung allerdings nicht,
seit jeher schon gehörten Spione und
Agenten zum Gefolge des Militärs. Ihre
Aufklärungsergebnisse sollten und sollen
für Politik und Militär eine Entscheidungshilfe liefern, daher dienten immer
schon Soldaten in den verschiedenen
Nachrichtendiensten und zumeist unterhielten die Streitkräfte zusätzlich noch
eigene Geheimdienste.
In diesem Buch werden die Chefs
verschiedener deutscher Geheimdienste
der Bundesrepublik und der DDR vorgestellt. Schon bald nach Kriegsende
nämlich formierten sich diesseits und jenseits der Demarkationslinie neue Nachrichtendienste, aus denen später der
Bundesnachrichtendienst (BND), der Verfassungsschutz, das Ministerium für
Staatssicherheit (MfS) und der militärische Nachrichtendienst der NVA hervorgingen. Sie alle wurden zunächst von
Männern geführt, deren Lebenswege in
der Weimarer Republik und im Dritten
Reich geprägt wurden. Sie erlebten die
Dieter Krüger und
Armin Wagner (Hg.),
Konspiration als
Beruf. Deutsche
Geheimdienstchefs
im Kalten Krieg,
Berlin 2003.
ISBN 3-86153-287-5;
352 S., 19,90
Jahre des sowjetischen Exils, des Spanischen Bürgerkrieges und des Zweiten
Weltkrieges und bauten auf diesen
Erfahrungen auf, als sie unter amerikanischer oder sowjetischer Anleitung neue
»Dienste« schufen. Erstaunliches, manchmal sogar Erschreckendes erfährt der
Leser über Männer wie Otto John, den
ersten Chef des bundesdeutschen Verfassungsschutzes, der 1954 plötzlich in OstBerlin auftauchte, oder Staatssicherheits-
chef Erich Mielke, der in den 20er Jahren
in Berlin zwei Polizisten erschossen hatte.
Es fällt schwer, die Lebensläufe dieser
elf Männer, die hier beschrieben werden,
auf einen Nenner zu bringen. Sie waren
Bombenleger, Mörder, Spione, Offiziere,
Widerstandskämpfer, Partisanen, Demokraten, Kommunisten, Täter und Opfer –
sie waren Geheimdienstchefs im Kalten
Krieg.
ch
die NVA »abzuwickeln«, am Tage der
deutschen Einheit wird er entlassen. Ein
(west-)deutscher General hilft ihm, eine
neue Arbeit zu finden.
Soldat im Kalten Krieg
Hans-Georg Löffler,
Soldat im Kalten Krieg.
Erinnerungen 1955–1990, 2. Aufl.,
Bissendorf 2002. ISBN 3-7648-23615;
XIV, 366 S. mit 63 Fotos, 34,00
A
nders als die Bundeswehr unterlagen die NVA und ihr Personal
einer weitreichenden Geheimhaltung, in
der Öffentlichkeit war wenig bekannt
über die Militärelite der DDR. Nach der
Wende erschienen dann erste Bücher
über Generale und Admirale der ostdeutschen Armee und informierten über
ihre Anzahl, Lebensdaten, Beförderungen
und Ausbildungswege. Doch warum sie
Soldaten wurden, welche Absichten und
Wünsche sie hatten und wie sie ihren Beruf erlebten, blieb weitgehend im Dunkeln.
Nun hat einer der ehemaligen NVAGeneräle seine Erinnerungen aufgeschrieben: Generalmajor Hans-Georg Löffler
war unter anderem Kommandeur einer
Mot. Schützendivision und zuletzt Chef
des Stabes des Neubrandenburger Militärbezirkes. Nüchtern, detailliert und
gewissenhaft berichtet er über seinen
Werdegang in der Armee, angefangen
mit seiner Zeit als Offizierschüler bei der
Kasernierten Volkspolizei (dem Vorläufer der NVA) beschreibt er alle Stationen
seiner Tätigkeit von 1955 bis 1990. Löffler
ist begabt, wird gefordert und gefördert
und macht Karriere. Zweimal wird er an
sowjetischen Militärakademien ausgebildet, die er jedes Mal mit Auszeichnung
verlässt. Die Schilderungen der dortigen
spartanisch-primitiven Lebensumstände
dürfte dabei vor allem für Offiziere der
Bundeswehr überraschend sein. Lebensmittel muss Löffler aus der Heimat nach
Moskau mitbringen, seine Reisekosten
teilweise selber bezahlen, noch als Oberst
lebt er auf einer 3-Mann-Stube. Wenig
berichtet er von politischen Dingen, er ist
Soldat und führt die Befehle der DDRFührung, aber auch sowjetischer »Berater« aus – letztere schreiben ihm noch als
Divisionskommandeur vor, wie er sein
Dienstzimmer einzurichten habe. Nach
der Wende ist Löfflers letzter Auftrag
Ein interessantes, spannendes Buch über
ein Soldatenleben und die Zeit der deutschen Teilung. Und ein Muss für alle, die
über die Menschen und deren Lebensläufe urteilen wollen.
ch
Schicksale zweier Offiziere
B
elletristik, die sich mit den deutschen
Marinen nach 1945 befasst, ist schwer
zu finden. Im allgemeinen gaben sich die
Streitkräfte nach den überschäumenden
Darstellungen durch die Propaganda des
»Dritten Reiches« eher nüchtern, sachlich und dokumentarisch. Besonders rar
sind personenbezogene Romane in einer
Marine, die Helden eher ablehnt.
Im Folgenden werden zwei Romane vorgestellt, die sich mit den fiktiven Werdegängen zweier Marineoffiziere befassen.
Der eine erschien 1985 in der Bundesrepublik, der andere in der DDR.
»Der Fall Richter« von Günther Hansen
ist ein Kriminalroman. Der gleichnamige
Korvettenkapitän steht im Mittelpunkt
der Handlung. Richter wird zunächst die
Admiralstabsausbildung, dann auch die
heimatnahe Verwendung versagt. Sein
gesamtes berufliches Umfeld gestaltet
sich zunehmend unbefriedigend. Daraus
resultierend eskalieren seine Eheprobleme und die Ehe geht schließlich in die
Brüche. Es folgt eine Reihe von Exzessen
und die Geschichte endet dramatisch mit
dem Selbstmord des Offiziers.
Skizziert wird in diesem Buch ein Mann,
der nicht nur beruflich, sondern auch
privat zunehmend den Halt verliert.
Dabei kann die Marine, welche die Krise
maßgeblich mit verursacht hat, Richter
keine Stütze bieten. Die Strukturen und
Verwendungen in der Marine werden
eher als kontraproduktiv in der familiären Krise dargestellt, die ein dramatisches Ende findet.
Günther Hansen, Der Fall Richter,
Berlin 1985
Ulrich Völkel, Bergers Ehe,
Berlin: Militärverlag der DDR 1985
(beide Bücher sind im Modernen
Antiquariat erhältlich)
Weniger dramatisch, weitestgehend offen,
endet das in der DDR erschienene Buch
von Ulrich Völkel, »Bergers Ehe«. Korvettenkapitän Berger ist hin und her gerissen zwischen Loyalität, Pflichtbewusstsein und den ehrgeizigen Karriereplänen einerseits sowie der Selbstverwirklichung seiner Frau und den Wünschen
seiner Familie nach sozialer Wärme andererseits.
Die eigene Kariere ehrgeizig vorantreibend vernachlässigt Berger zunehmend
die Bedürfnisse seiner Frau. Er soll
an einen abgelegenen Standort versetzt
werden, was für ihn karrierefördernd
wäre. Da er sich der Reaktion seiner
Frau nicht sicher ist, verschweigt er ihr
zunächst die Versetzung, bis sie durch
einen Zufall davon erfährt. In der ohnehin kriselnden Ehe fühlt sie sich einerseits von ihrem Ehemann hintergangen,
andererseits von der Marine verraten.
Das Buch beschreibt in Zeitsprüngen die
Entwicklung der Ehe, die Karrieren der
Ehepartner und deren berufliche Schwierigkeiten. Auch hier wird die Marine als
Mitverursacher von ehelichen Konflikten und einer inneren Zerreißprobe dargestellt. Dies ist insofern auch bemerkenswert, als das Buch im Militärverlag
der Deutschen Demokratischen Republik
veröffentlicht wurde.
Beiden Bücher ist gemeinsam, dass sie
interessante Einblicke in die menschlichen Probleme in Ost wie West in
der Endphase des Kalten Krieges vermitteln. Fesselnd geschrieben vermitteln
sie manch einem (Marine-)Offizier einen
»Aha-Effekt«, wenn er ihn ihnen über die
Karrieren in beiden Systemen liest. Es
lohnt sich also, in Bibliotheken und Antiquariaten nach diesen beiden Bänden zu
stöbern.
Malte Trapp
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 2/2003
27
Service
Ausstellungen
•Berlin
•Bonn
Beutestücke.
Kriegsgefangene in
der deutschen und
sowjetischen
Fotografie 1941–1945
Deutsch-Russisches
Museum BerlinKarlshorst
Zwieseler Straße 4 /
Ecke Rheinsteinstraße
10318 Berlin-Karlshorst
Telefon: (030) 50 15 08 10
e-mail:
[email protected]
www.museum-karlshorst.de
Dienstag bis Sonntag
10.00 bis 18.00 Uhr
Eintritt frei
14. Juni bis
14. September 2003
Verkehrsanbindungen:
S-Bahnhof Karlshorst / Bus 396
U-Bahnhof Tierpark / Bus 396
Duell im Dunkel.
Spionage im geteilten
Deutschland
•Bern
(Schweiz)
Von Krieg und Frieden –
Bern und die Eidgenossen
Historisches Museum
Helvetiaplatz 5
3005 Bern
Telefon: (+41) 31 350 77 11
Telefax: (+41) 31 350 77 99
e-mail: [email protected]
www.bhm.ch
Dienstag bis Sonntag
10.00 bis 17.00 Uhr
Mittwoch
10.00 bis 20.00 Uhr
8. März bis
30. November 2003
Verkehrsanbindungen:
Ab Bahnhof Bern Tramlinie 3
(Richtung Saali) und
Tramlinie 5 (Richtung
Ostring) bis Haltestelle
»Helvetiaplatz«
28
Dienstag bis Sonntag
9.00 bis 17.00 Uhr
Eintritt frei
Verkehrsanbindungen:
Ab Bahnhof Dachau
mit den Buslinien 724
und 726.
• Dortmund
Verbrechen der Wehrmacht.
Dimensionen des
Vernichtungskrieges
1941–1944
Museum für Kunst und
Kulturgeschichte
Hansastraße 3
44137 Dortmund
Dienstag bis Sonntag
10 bis 20 Uhr
(für Schulklassenführungen
auch Montag)
19. September bis
2. November 2003
Haus der Geschichte der
Bundesrepublik
Deutschland
Willy-Brandt-Allee 14
53113 Bonn
Telefon: (0228) 91 65 227
Telefax: (0228) 91 65 302
www.hdg.de
Dienstag bis Sonntag
9.00 bis 19.00 Uhr
Eintritt frei
23. Mai bis 5. Oktober 2003
Ein offenes Geheimnis –
Post- und Telefonkontrolle
in der DDR
Aufstand des Gewissens.
Militärischer Widerstand
gegen Hitler und das
NS-Regime 1933–1945
Düsseldorf-Garath
Hoffnungskirche
Ricarda-Huch-Str. 3
40595 Düsseldorf
15. Juli bis 1. August 2003
• Flensburg
Dauerausstellung
Deutsche Jüdische
Soldaten. Von der Epoche
der Emanzipation bis zum
Zeitalter der Weltkriege
Bürgerhalle
3. bis 25. September 2003
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 2/2003
•Hamburg
• Düsseldorf
•Dachau
KZ-Gedenkstätte Dachau
Alte Römerstraße 75
85221 Dachau
Telefon: (08131) 66 99 70
Telefax: (08131) 22 35
e-mail: [email protected]
www.kz-gedenkstaettedachau.de
ð
Info: Frau Sawilla
(069) 2 12-35 89 6
e-mail: [email protected]
www.archaeologischesmuseum.frankfurt.de
Dienstag bis Sonntag
10.00 bis 17.00 Uhr
Mittwoch
10.00 bis 20.00 Uhr
25. April bis
14. September 2003
mittwochs ist der
Eintritt frei
• Frankfurt am Main
Varusschlacht.
Eine Legende
wird
ausgegraben
Archäologisches
Museum
Karmelitergasse 1
60311 Frankfurt
ð
Museum für Kommunikation
Gorch-Fock-Wall 1
20354 Hamburg
Telefon: (040) 35 76 36 0
Telefax: (040) 35 76 36 20
e-mail: [email protected]
www.museumsstiftung.de
Dienstag bis Sonntag
9.00 bis 17.00 Uhr
3. April bis
2. November 2003
ð
Germania auf dem Meere.
Bilder und Dokumente
zur deutschen
Marinegeschichte
1848–1998
Dienstag bis Sonntag
8.45 bis 16.30 Uhr
27. Mai bis
26. Oktober 2003
Verkehrsanbindungen:
Ab Hauptbahnhof mit Bus bis
Haltestelle »Roßmühlstraße/
Paradeplatz«
Die Festungsstadt
Ingolstadt im
15.–19. Jahrhundert
•Köln
Zwangsweise Kölsch.
Eine Stadt erinnert sich
NS-Dokumentationszentrum
EL-DE-Haus
Reduit Tilly
Bayerisches Armeemuseum
Paradeplatz 4
85049 Ingolstadt
Telefon: (0841) 93 77 0
Telefax: (0841) 93 77 200
e-mail: sekretariat@
bayerisches-armeemuseum.de
Dienstag bis Donnerstag
8.45 bis 16.30 Uhr
bis 30. September 2003
Verkehrsanbindungen:
Ab Hauptbahnhof mit Bus bis
Haltestelle »Roßmühlstraße/
Paradeplatz«
Hamburg Messe und
Congress GmbH
St. Petersburger Strasse 1
20355 Hamburg
www.hamburg-messe.de
29. August bis
7. September 2003
www.bayerischesarmeemuseum.de
Dienstag bis Sonntag
8.45 Uhr bis 16.30 Uhr
27. Mai 2003 bis
21. März 2004
Verkehrsanbindungen:
Ab Hauptbahnhof mit Bus bis
Haltestelle »Roßmühlstraße/
Paradeplatz«
Festungen. Graphiken
und Bücher aus dem
Besitz des Bayerischen
Armeemuseums
•Ingolstadt
Der Russlandfeldzug
Napoleons 1812. Aquarelle
und Zeichnungen
ð
Neues Schloß
Paradeplatz 4
85049 Ingolstadt
Telefon: (0841) 93 77 0
Telefax: (0841) 93 77 200
ð
•Rastatt
Der 17. Juni 1953
Erinnerungsstätte für die
Freiheitsbewegungen in der
deutschen Geschichte
Schloß Rastatt
Herrenstr. 18
76437 Rastatt
Telefon: (07222) 77 13 9 0
Telefax: (07222) 77 13 9 7
e-mail:
[email protected]
Dienstag bis Sonntag
9.30 bis 17.00 Uhr
3. Juli bis
9. September 2003
Eintritt frei
•Speyer
Appellhofplatz 23–25
50667 Köln
Telefon: (0221) 22 12 6331
(0221) 22 12 6361
Telefax: (0221) 22 12-5512
e-mail: [email protected]
http://www.museenkoeln.de/
ns-dok
Dienstag bis Freitag
10.00 bis 16.00 Uhr
Samstag bis Sonntag
11.00 bis 16.00 Uhr
28. März bis
31. August 2003
•Peenemünde
Neues Schloss
Paradeplatz 4
85049 Ingolstadt
Telefon: (0841) 93 77 0
Telefax: (0841) 93 77 200
www.bayerischesarmeemuseum.de
Telefax: (0383) 71 50 51 11
e-mail:
[email protected]
Montag bis Sonntag
10 bis 18 Uhr
25. Juli bis
9. September 2003
Verbrechen der Wehrmacht.
Dimensionen des
Vernichtungskrieges
1941–1944
Turbinenhalle
Im Kraftwerk
17449 Peenemünde
Telefon: (0383) 71 50 50 ð
Die Ritter.
Historisches Museum
der Pfalz
Domplatz
67324 Speyer
Telefon: (06232) 1 32 50
Telefax: (06232) 13 25 40
e-mail:
[email protected]
www.museum.speyer.de
www.DIERITTER.speyer.de
Dienstag bis Sonntag
10 bis 18 Uhr
30. März bis
26. Oktober 2003
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 2/2003
René Henn
Gruppen mind. 2 bis
max. 20 Personen
Anmeldung: (040) 35 76 36 17
Verkehrsanbindungen:
U-Bahn: U1 bis
Haltestelle »Stephansplatz«,
U2 bis Haltestelle
»Gänsemarkt«. S-Bahn: S11/
S21/S31. Bus: Linien 4, 5,
109, 112 bis Haltestelle
»Stephansplatz«
29
»Operation Gomorrha«
Er wolle Meyer heißen, wenn je ein feindliches Flugzeug
deutsches Territorium erreiche. Zwar hätte der Reichsminister
für Luftfahrt und Oberbefehlshaber der Luftwaffe, Hermann
Göring, aufgrund seines großspurigen Versprechens schon
geraume Zeit Meyer heißen müssen, doch was im Juli/August
1943 auf die Hansestadt Hamburg zukommen sollte, ließ
sich mit vorausgegangenen Bombardierungen anderer deutscher
Städte nicht vergleichen. Die britischen Bomberverbände des
Luftmarschalls Arthur Harris, der als »Bomber-Harris« in die
Geschichte eingehen sollte, planten, in Hamburg einen FeuerRuinenfeld Hamburg nach
sturm von bisher nicht bekannten Ausmaßen zu entfachen. Die
der Bombardierung
Foto: akg-images
Generalprobe für dieses Unternehmen war im März 1942 eine
andere Hansestadt gewesen: Lübeck. Die »Operation Gomorrha« sollte dann im Mai desselben
Jahres anlaufen, doch musste sie aufgrund widriger Witterungsverhältnisse verschoben werden.
Ausweichziel wurde Köln, die Hansestadt erhielt eine Schonfrist von einem Jahr.
Im Juli 1943 war es dann schließlich soweit, auch das Wetter spielte dieses Mal mit. Die
Angriffe begannen in der Nacht zum 25. Juli. Drei Tage später entfachten die Angreifer mit
rund 700 Bombern den berüchtigten Feuersturm, der 18 000 Menschen das Leben kostete.
Viele von ihnen verbrannten oder erstickten unter unsäglichen Qualen.
Die grausame Gesamtbilanz der Angriffe des Sommers 1943: Ingesamt wurden in vier Angriffsnächten durch 2353 schwere Bomber mehr als 9000 Bomben auf die Hansestadt abgeworfen, 277 000 Wohngebäude zerstört – fast die Hälfte des Hamburger Wohnraums – und 35 000
bis 40 000 Menschen getötet. Das »biblische Strafgericht«, auf das die Planer der Angriffe durch
den Namen der Operation anspielten, hatte die Bevölkerung der Stadt ereilt. Die Hansestadt
wurde zum Maßstab für den Erfolg der Terrorstrategie: Zukünftig sprach man von der »Hamburgisierung« deutscher Städte.
René Henn
27. Juli 1953
Zeitschrift für historische Bildung
Ü Vorschau
Deutschland im November. Soldaten der Bundeswehr gehen von Haus zu Haus und stehen
vor Geschäften in Fußgängerzonen. In der Hand
halten sie eine rote Metallbüchse und bitten um
eine Spende zugunsten der Kriegsgräberfürsorge.
In der alten Bundesrepublik schon lange ein
gewohntes Bild und auch in den neuen Bundesländern mittlerweile eine gewohnte und bewährte
Praxis. Viele Menschen – alte wie junge – spenden in diesen Tagen, so, wie sie es schon seit
Jahren tun. Viele erzählen auch, warum sie ein paar
Münzen in die Sammelbüchsen der Soldaten stecken – welche deutsche Familie hat keinen Sohn,
Vater, Bruder oder einen Freund in den Weltkriegen verloren? Andere Passanten gehen vorüber,
ignorieren die Uniformierten – keine Zeit, kein
Geld, kein Interesse. Wieder andere bleiben stehen
und fragen – mal ablehnend, mal neugierig.
Das Ende des Korea-Krieges
Aufgrund alliierter Absprachen war Korea nach der japanischen
Kapitulation 1945 durch sowjetische und amerikanische Truppen besetzt worden. Während im Norden ein kommunistisches
Regime entstand, wurde im Südteil eine US-Militärregierung
errichtet, die letztlich zu einem von den Amerikanern abhängigen Regime führte. Die Grenz- bzw. Demarkationslinie bildete
der 38. Breitengrad. Nach dem Scheitern amerikanisch-sowjetischer Verhandlungen über eine gesamtkoreanische Regierung
kam es 1948 zur offiziellen Spaltung des Landes. Die Sowjets
zogen sich bereits Ende 1949 aus dem Land zurück, die Amerikaner folgten wenig später. Es kam schnell zu Spannungen zwiEröffnungssitzung der Waffenschen dem Norden und dem Süden, die schließlich mit dem
stillstandskommission am
Überfall des Nordens am Morgen des 25. Juni 1950 zum Krieg
28. Juli 1953 in Panmunjom.
führten. Südkorea bat daraufhin den amerikanischen PräsidenAustausch der Beglaubiten Truman um militärische Hilfe. Dieser ordnete unverzüglich
gungsurkunden zwischen
US-Generalmajor Blackshear
die Entsendung amerikanischer Truppen an.
M. Bryan und dem nordDer UN-Sicherheitsrat erklärte den Norden zum Aggressor
koreanischen Leutnant Lee
und forderte von den UN-Mitgliedern die Unterstützung des
Sand Cho
Südens in Form einer Kollektivintervention. Eine UN-Armee,
Foto: akg-images
die schließlich aus 15 Nationen bestand, griff nun unter Führung des amerikanischen Generals MacArthur in die Kämpfe ein und konnte nach anfänglichen Misserfolgen sogar bis zur chinesischen Grenze vorrücken. Sie wurde jedoch durch chinesische »Freiwilligen«-Verbände, die den Norden militärisch unterstützten, wieder bis zum 38.
Breitengrad zurückgeworfen. Dort begann nunmehr ein Stellungskrieg.
Bereits im Juli 1951 begannen die Verhandlungen über die Beendigung des Krieges, die sich
mit Unterbrechungen über zwei Jahre hinzogen. Erst der Tod Stalins ebnete den Weg zu einer
Verständigung. Am 27. Juli 1953 kam es zum Waffenstillstand zwischen Nordkorea und den
Vereinten Nationen, der Schutzmacht des Südens. Hierdurch wurde faktisch die Teilung des
Landes besiegelt. Eine vom 26. April bis zum 30. Juli 1954 in Genf stattfindende Friedenskonferenz blieb erfolglos.
René Henn
30
Militärgeschichte
Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e.V.
Juli/August 1943
Geschichte kompakt
Heft 3/2003
Service
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 2/2003
Neben vielen ehrenamtlichen Helferinnen
und Helfern bitten zahlreiche Soldaten und
Reservisten der Bundeswehr bei Haus- und
Straßensammlung des Volksbundes um
Spenden
Wozu und für wen sammeln die Soldaten? Nicht
die Bundeswehr, nicht der Staat bittet am Volkstrauertag um Spenden, sondern eine private Initiative; seit über achtzig Jahren sorgt der Volksbund
Deutsche Kriegsgräberfürsorge für die Grabstätten
gefallener deutscher Soldaten. Ohne Ansehen von
Dienstgrad, Einheit, Religion, Alter oder sozialer
Zugehörigkeit hat es sich der Volksbund zur Aufgabe gemacht, den Toten eine würdige letzte Ruhestätte herzurichten und ihr Andenken für die kommenden Generationen zu erhalten. Die Bundeswehr unterstützt dieses Anliegen, indem sie ihren
Soldaten gestattet, während des Dienstes und in
Uniform für den Volksbund Spenden zu sammeln.
Lesen Sie in der nächsten Militärgeschichte über die
Entstehung des Volkstrauertages und seine Bedeutung, wie er begangen und missbraucht worden
ist.
René Henn
Militärgeschichte im Bild
Generalleutnant Wolf Graf Baudissin
S
pricht man von »Innerer Führung« und den Auseinandersetzungen um den inneren Geist der
jungen Bundeswehr, dann fällt unausweichlich der Name von Wolf Graf Baudissin. Baudissin, geboren 1907, geriet
1941 als Major i.G. der Wehrmacht
in Nordafrika in britische Kriegsgefangenschaft, aus der er 1947 zurückkehrte. Im Oktober 1950 nahm er an
der Tagung in dem Eifelkloster Himmerod teil, auf der wesentliche Grundlagen für den zukünftigen westdeutschen Verteidigungsbeitrag erarbeitet
wurden.
Baudissin setzte sich auf dieser Tagung
mit seinem Reformkonzept für die
geistigen Grundlagen durch, zusammengefasst in dem klassisch gewordenen Satz, es müsse »ohne Anlehnung
an die Formen der alten Wehrmacht
heute grundlegend Neues« geschaffen
werden. Letztlich ging es ihm darum,
ein Bild vom Soldaten zu entwerfen,
das der Werteordnung des 1949 verkündeten Grundgesetzes entsprach.
BMVG
Bundesbildstelle / Bild-Nr. 61207_26
3 Bonn, 27. August 1981:
Baudissin auf dem Forum
Frieden SPD (vordere Reihe,
5. v. rechts)
Diese Reformbemühungen
stießen jedoch auf massive
Widerstände innerhalb und
außerhalb der neuen Bundeswehr; ihnen wurde unterstellt, sie
hinderten die schnelle Aufstellung
kampfkräftiger Streitkräfte.
Baudissin wurde 1955 Unterabteilungsleiter im neugeschaffenen Bundesministerium für Verteidigung und
1956 als Oberst i.G. in die Bundeswehr übernommen. Bereits 1958 aber
wurde er Kommandeur einer Kampfgruppe (später Panzerbrigade 4), was
von vielen, wohl auch von ihm selber,
als Kaltstellung empfunden wurde. Für
ihre Verdienste um die Innere Führung
wurde Baudissin sowie den Generalen
Graf Kielmansegg und de Maizière
1965 der Freiherr-vom-Stein-Preis verliehen.
Von 1961 bis 1967 diente Baudissin
in verschiedenen NATO-Verwendungen, unter anderem als Kommandeur
des NATO Defence College. Als Gene-
ralleutnant und Abteilungsleiter für
Planung und Operationsführung beim
NATO-Hauptquartier SHAPE hatte er
maßgeblichen Anteil am Wechsel hin
zur neuen Bündnisstrategie der »flexible response«. 1967 ging Baudissin in
den Ruhestand – aus Altersgründen,
aber auch, weil er sich durch seinen
Eintritt in die Gewerkschaft ötv erneut
Feinde gemacht hatte.
Nach seinem Ausscheiden aus der Bundeswehr wirkte Baudissin als Dozent
für moderne Strategie an der Universität Hamburg, die ihn auch zum Professor ernannte. Baudissin starb 1993.
Eine der drei Hamburger Kasernen, in
denen die Führungsakademie der Bundeswehr untergebracht ist, trägt seinen
Namen.
Winfried Heinemann
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 2/2003
31
P U B L I K AT I O N E N
des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes
n Entstehung und Probleme des Atlantischen
Bündnisses bis 1956
Herausgegeben vom Militärgeschichtlichen
Forschungsamt, Potsdam.
Erscheint im Oldenbourg Wissenschaftsverlag, München
Erstmals wird in dieser Reihe die Entstehung der NATO
aus übernationaler Sicht und in ihrer Vernetzung mit
der gesamten westlichen Sicherheitsgemeinschaft dargestellt. Die Berücksichtigung der unterschiedlichen politischen, wirtschaftlichen und militärpolitischen Interessen
sowie die Vielfalt der methodischen Ansätze öffnen den
Blick auf die Allianz als neuartigen, eigenständigen Faktor
der internationalen Politik im Zeitalter des Kalten Krieges.
Soeben erschienen:
n Band 3:
Auf der Grundlage des aktuellen Forschungsstandes und
unter Berücksichtigung des Archivmaterials behandelt
Gustav Schmidt die Entstehung der Grundstrukturen des
Kalten Krieges in der Frühphase. Ferner stellt er den Wandel
dieser Strukturen bis 1955/56 dar. Mit der Epochenzäsur der
Doppelkrise von Suez und Ungarn im Oktober/November
1956 waren die bis 1989 gültigen Parameter der globalen
Machtprobe entstanden. Schmidt konzentriert sich auf die
strukturellen Auswirkungen der Binnenkonflikte des westlichen Lagers. Seine Studie wird von Vojtech Mastny ergänzt,
der neu zugänglich gewordene osteuropäische Archivbestände in seine Darstellung einbezieht. Er stellt die sowjetische Außensicht der westlichen Sicherheitsgemeinschaft vor,
die das östliche Gegenhandeln prägte.
Erscheint Herbst 2003:
Vojtech Mastny und Gustav Schmidt
Konfrontationsmuster des Kalten Krieges 1946 bis 1956.
Im Auftrag des
Militärgeschichtlichen Forschungsamtes
herausgegeben von
Norbert Wiggershaus und Dieter Krüger
München: Oldenbourg 2003, XIX, 581 S.,
ISBN: 3-486-56732-2
44,80
n Band 4:
Christian Greiner, Klaus A. Maier und Heinz Rebhan,
Die NATO als Militärallianz. Strategie, Organisation und
nukleare Kontrolle im Bündnis 1949 bis 1959.
Im Auftrag des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes
hrsg. von Bruno Thoß, ca. 430 S.
n Band 5:
Helmut R. Hammerich, Jeder für sich und Amerika
gegen alle? Die Lastenteilung der NATO am Beispiel
des Temporary Council Committee, 1949 bis 1954, ca. 426 S.
n Band 6:
Dieter Krüger, Sicherheit durch Integration?
Die wirtschaftliche und politische Zusammenarbeit
Westeuropas 1947 bis 1957/58, ca. 580 S.
Bereits erschienen:
n Band 1:
Winfried Heinemann, Vom Zusammenwachsen des
Bündnisses. Die Funktionsweise der NATO in ausgewählten
Krisenfällen 1951 bis 1956, XX, 301 S., 39,80 ,
ISBN: 3-486-56368-8
n Band 2:
Nationale Außen- und Bündnispolitik der NATOMitgliedstaaten. Im Auftrag des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes hrsg. von Norbert Wiggershaus und Winfried
Heinemann, XVIII, 350 S. 39,80 , ISBN: 3-486-56489-7