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Heft 4.2011 | G 54747
Brief
Au s d er A r b eit d es En tw icklungs die ns t e s
Kultur
und Entwicklung
> Kultursensibilität
> Kultur und Identität
> Wirtschaftsfaktor Kultur
gizBrief 4.2011
왘
왘
INHALT
SPEKTRUM
THEMA
Gewalt und Ungerechtigkeiten
bestimmen immer noch das Leben
Stefan Friedrichsen, Isabell-Kim Stoffel
der Menschen in Guatemala. Doch
Libanon –
Dialoge fördern, Misstrauen abbauen
4
es gibt Menschen, die sich nicht
in ihr Schicksal ergeben, sondern
gemeinsam die Vergangenheit
Daniela Baum, Jana Franke
bewältigen und ihre Zukunft ge-
Philippinen –
Vom Mehrwert lokaler Erdnussproduktion
6
stalten wollen – Menschen wie die
Bewohner von Rio Negro im Department Baja Verapaz
in Guatemala.
15
Seite
Jürgen Wilhelm
Heide Wegat
Kultur als notwendige Dimension
der Entwicklungspolitik
Mali –
8
Josephin Rösler, Elke Tigges
Kambodscha – Weltkulturerbe Angkor Wat
AIDS ist sichtbar – mach dir ein Bild davon!
23
Eva Näher
12
Algerien - … und Action!
Zukunftsfaktor Kultur- und Kreativwirtschaft
26
Victor Lindemayer
Guatemala –
Rückgewinnung der eigenen Identität
Die Erfahrungen der jüngsten Vergangenheit mit mehr
als 15 Jahren Bürgerkrieg haben eine Stimmung des
gegenseitigen Misstrauens im Libanon wachsen
lassen. Der ZFD fördert zivilgesellschaftliche
konfessionelle Zugehörigkeiten hinweg
Kooperations- und Dialogstrukturen aufbauen.
Seite
4
im Interview mit Dorothee Wenner
Nigeria – Das Phänomen Nollywood
29
Anna-Lisa Zug
im Interview mit Peter Hauschnik
Angelika Frei-Oldenburg
Kolumbien –
Mehr als ein Tropfen auf dem heißen Stein
Organisationen, die über Konfliktlinien und
Tanja Stumpff
15
Mali – Maskentänze der Dogon
33
18
Maider Iriarte
Sara Worch
Burkina Faso – Sensibilisierung einmal anders
Guatemala –
20
Das Glück regnet nicht vom Himmel herab
Zum zweiten Mal fand in diesem Jahr in Burkina
Faso ein Kreativitätswettbewerb zum Thema
Menschenrechte statt. In diesem Jahr stand das
Recht auf körperliche und physische Unversehrtheit im Mittelpunkt. Mit unterschiedlichen künstlerischen Ausdrucksformen setzten sich die Teilnehmer/innen mit dem Thema auseinander und es entstanden eindrucksvolle Werke.
Seite
20
36
2 3
EDITORIAL
Liebe Leserin, lieber Leser,
Kultur und Entwicklung – in welcher Beziehung stehen diese
beiden Begriffe zueinander? Welche Bedeutung hat die Kultur
für die Entwicklung eines Landes? Welchen Stellenwert hat die
Kultur in der Entwicklungszusammenarbeit (EZ)? Was wollen
wir als Akteure der Entwicklungszusammenarbeit bewirken
MEINUNG
und wie kann uns die Kultur dabei unterstützen, Entwicklungsprozesse anzustoßen? In der Bildungs- und Aufklärungsarbeit zum Beispiel wer-
Heide Wegat
den kulturelle Elemente mit großem Erfolg eingesetzt. Der Zivile Friedensdienst
„Kultursensibilität“
hat damit sehr gute Erfahrungen bei der Konfliktbearbeitung und Friedensförde-
als elementare Voraussetzung
für Entwicklungszusammenarbeit
rung gemacht. Die Rückbesinnung auf ihre Kultur hilft vielen Menschen bei der
39
Verarbeitung schlimmer Erfahrungen, stärkt ihr Selbstbewusstsein und schafft
Identität und Zugehörigkeitsgefühl.
Wer in der Entwicklungszusammenarbeit tätig ist, weiß, wie wichtig es ist,
kultursensibel zu handeln: Veränderungsprozesse gelingen nur, wenn die
Denkweise und die kulturelle Prägung der Menschen vor Ort bekannt sind,
respektiert werden und sie als Partner Veränderungen selber gestalten können.
Kultur- und Kreativwirtschaft gewinnen in vielen der GIZ-Partnerländer zunehmend an Bedeutung und sollten von der EZ gefördert werden. Kunsthandwerkliche
Produkte in guter Qualität schaffen Einkommen auch für marginalisierte Bevölkerungsgruppen. Die Pflege der eigenen Kultur zieht Touristen an, die eine wichtige
Einnahmequelle sind. Die Kultur ist also auch ein bedeutender Wirtschaftsfaktor.
Wie sieht kultursensibles Handeln in der Praxis aus? Welche Rolle können
Kulturschaffende für Veränderungsprozesse spielen? Welchen Stellenwert
hat Kultur für die Wirtschaft eines Landes? Diesen und weiteren Fragen
gehen die Autorinnen und Autoren im vorliegenden GIZ-Brief nach. Sie verdeutlichen einmal mehr die Bedeutung der Kultur für die EntwicklungsVom Westen weitgehend unbemerkt ist in Nigeria seit den neunziger
Jahren eine der größten Filmindustrien der Welt entstanden.
In Anlehnung an Holly- und Bollywood taufte man das Phänomen
kurzerhand Nollywood. Die Filmindustrie ist national
nach der Ölindustrie der zweitgrößte Arbeitsmarkt
des Landes.
BLICKPUNKT
KULTUR
Seite
43
29
zusammenarbeit.
Mit diesem Heft erscheint nun die vierte Ausgabe des GIZ-Briefes, der mit
anschaulichen Beispielen aus der Praxis der Entwicklungszusammenarbeit,
insbesondere der Arbeit der Entwicklungshelfer/innen berichtet. Wir sind
gespannt, wie Sie, unsere Leserinnen und Leser, die Zeitschrift bewerten.
Was finden Sie gut, was gefällt Ihnen weniger, was vermissen Sie?
Schreiben oder mailen Sie uns an: GIZ Unternehmenskommunikation, Redaktion
KULTUR
45
GIZ-Brief, Friedrich-Ebert-Allee 40, 53113 Bonn oder [email protected].
Wir freuen uns auf Ihre Meinung!
Literatur
45
OFFENE STELLEN
47
Impressum
47
Ich wünsche Ihnen viel Spaß bei der Lektüre und alles Gute für das Jahr 2012!
Maria Ehrke-Hurtado
왘 SPEKTRUM
gizBrief 4.2011
Libanon
Dialoge fördern, Misstrauen abbauen
Der Zivile Friedensdienst im Libanon
Pfadfinderleiter verschiedener Religionsgruppen
bei einem Workshop über Methoden
der gewaltfreien Konfliktlösung.
© Maher Btaiche
Pfadfinder
überwinden konfessionelle Barrieren
B
eim Spaziergang an der Uferpromenade
von Beirut trifft man sie alle, Christen,
Sunniten und Schiiten. Und stolz bekräftigen viele Libanesen den Eindruck, der sich
optisch gewinnen lässt: Im Libanon lebe
man erfolgreich mit einer Vielzahl unterschiedlicher Konfessionen zusammen. Doch
dieses Zusammenleben entpuppt sich bei
näherem Hinsehen mehr als ein Nebeneinander herleben, man bleibt unter sich.
Wer Stellen und Aufträge zu vergeben hat,
der tut das innerhalb der eigenen Glaubensgemeinschaft. Taxifahrer bedienen Wohngebiete, deren Bewohner mehrheitlich ihrer
Konfession angehören, schon das Durchfahren der anderen Wohngebiete kostet
Überwindung.
Die Erfahrungen der jüngsten Vergangenheit mit mehr als 15 Jahren Bürgerkrieg haben sich wie ein Schleier als eine Stimmung
des gegenseitigen Misstrauens über Beirut,
den Libanon und seine zahlreichen konfessionellen Gruppierungen gelegt.
Diese Stimmung des Misstrauens war Ausgangspunkt für den Einsatz des Zivilen
Friedensdienstes (ZFD) der Deutschen
Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) im Libanon. Dialoge fördern,
Misstrauen abbauen – in Zusammenarbeit
mit zivilgesellschaftlichen Akteuren des
Libanons ist dies das Ziel des vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung finanzierten ZFD
Engagements.
Auch die Pfadfinder sind im Libanon nach
den unterschiedlichen Religionen und Konfessionen aufgeteilt. Sunniten, Schiiten,
Maroniten, Drusen und auch die Hizbollah
unterhalten jeweils eigene Pfadfindergruppen. Die Pfadfindergruppen waren während des Bürgerkrieges die Ersten, die von
den jeweiligen Milizen rekrutiert wurden.
Heute sind sie wieder weit von den Milizien
– jedoch auch voneinander – entfernt.
Auf diese Weise bleibt man unter sich,
die Anderen, die kennt man kaum.
In den Bergen des Libanons haben sich
rund 15 Pfadfinderleiter zwischen 17 und
23 Jahren aus dem Norden und aus dem
Süden des Libanons versammelt. Sie sind
der Einladung des Forum for Development,
Culture & Dialogue (FDCD) gefolgt, mittels
eines Workshops ihr Know-how zu den
Methoden der gewaltfreien Konfliklösung
und -prävention zu erweitern und zu vertiefen. Allein die Teilnahme der Anwesenden
ist ein Erfolg: „Einige der eingeladenen
Pfandfinderleiter sind nicht gekommen,
es ist nicht einfach, sie von einem interkonfessionellen Treffen zu überzeugen“,
erzählt Maher Btaiche, von der GIZ unterstützte, einheimische Friedensfachkraft.
Die anwesenden Schiiten, Sunniten und
Christen diskutieren offen und in einem
Umfeld des wachsenden gegenseitigen
Vertrauens die Methoden der Konflikttransformation, ihre Wirkkraft und Funktionsweise, sprechen über Konflikte und
Lösungsmöglichkeiten. Ein Erfolg für Pfadfinder, zu deren Grundausbildung teilweise
auch das Waffentraining zählt.
Das FDCD profitiert von der Zusammenarbeit mit dem ZFD der GIZ. Als Friedensfachkraft der GIZ arbeitet Mona Ahmed
beim FDCD und berät die Organisation bei
der Durchführung der Projekte. „Der Workshop ist für viele der Jugendlichen die erste
religions- und konfessionsübergreifende
Veranstaltung, an der sie teilnehmen und so
die erste, bewusste Auseinandersetzung mit
den jeweils Andersgläubigen“, erklärt Mona
Ahmed. Ein großer Schritt für die Leiter der
Pfadfindergruppen, die eine wichtige Rolle
im Wissenstransfer und bei der Ausbildung
von jüngeren Pfadfindern haben.
4 5
Im Workshop spielte die in der Gesellschaft tief
verankerte Lagerbildung keine Rolle mehr.
Bei einer Bergwanderung wurden Barrieren
abgebaut und man half sich gegenseitig.
ZFD fördert Kooperationsund Dialogstrukturen
Neben dem FDCD werden vier weitere
Organisationen von den Friedensfachkräften der GIZ im Libanon durch gezielte Trainings und Coachings beraten
und unterstützt. Diese Organisationen
sehen sich dabei, wie bereits angedeutet,
einer besonderen Herausforderung gegenüber: Der Libanon ist gegenwärtig Heimat
von etwa 4,2 Millionen Menschen, die
18 unterschiedlichen und stark von einander getrennten Glaubensgemeinschaften
angehören. Gerade wegen der hohen Anzahl unterschiedlicher religiöser Gruppen
wird der Libanon häufig als Schmelztiegel
der Kulturen beschrieben. Doch diesem
Bild kann er nur schwerlich gerecht werden, denn eine der wichtigsten identitätsstiftenden Komponenten ist die persönliche Zugehörigkeit zu einer bestimmten
Konfessionsgruppe. Diese Zugehörigkeit
bildet eine wichtige Konstante im Leben
der Menschen, während Geschichte und
Politik der einstigen Kolonie Frankreichs
und des ehemaligen Wunschprotektorats
Syriens von Unbeständigkeit geprägt
sind.
© Mona Ahmed
Gemeinsam organisieren Mona Ahmed
und Maher Btaiche im Rahmen des
FDCD-Programms „Friedensförderung
und Konflikttransformation“ Projekte und
Veranstaltungen innerhalb des Libanons
– wie etwa den beschriebenen Workshop –
als Teil des Gesamtprojekts „Junge Führungskräfte in der Zivilgesellschaft“. Die
Idee ist, zivilgesellschaftlichen Multiplikatoren mit Vorbildfunktion für nachfolgende
Generationen, die gewaltfreien Möglichkeiten zur Konfliktlösung nahezubringen,
so dass diese sie vorleben und weitergeben
können.
Die dadurch begünstigte Lagerbildung, die
Interessenlagen sind dabei weiterhin diffus,
zeichnet sich durch gut funktionierende
soziale Netzwerke aus. Auch die zivilgesellschaftlichen Organisationen im Libanon
folgen nicht selten dem oben beschriebenen
Geist und beziehen sich in ihren Aktivitäten häufig auf den sozialen Kontext, beziehungsweise das konfessionelle Umfeld, aus
dem sie hervorgegangen sind. Der ZFD
fördert seit 2009 zivilgesellschaftliche
Organisationen, die über Konfliktlinien
und konfessionelle Zugehörigkeiten hinweg Kooperations- und Dialogstrukturen
aufbauen und die Methoden und Konzepte
zivieler Konfliktbearbeitung in die Gesellschaft hineintragen. Auch Projekte, die auf
den Abbau von Feindbildern zielen, finden
Unterstützung.
finderin: „Im Vorfeld sei ihr unwohl bei
dem Gedanken gewesen, einen mehrtägigen
Workshop auf engem Raum mit Muslimen
zu verbringen. In der Reflektion allerdings
habe sie sich und den anderen Teilnehmern
eingestanden, dass sie sich in der Gruppe
wohl gefühlt habe. Sie habe offene Teilnehmer, sowohl unter den Christen als auch
unter den Muslimen, getroffen und blicke
auf bereichernde Diskussionen zurück.“
Stefan Friedrichsen und Isabell-Kim Stoffel
Stefan Friedrichsen ist Sozialpädagoge und
seit 2010 Koordinator des ZFD im Libanon.
Isabell-Kim Stoffel ist Diplom-Politologin
und zurzeit Praktikantin im ZFD-Programm
im Libanon.
Was die Erfolge der FDCD-Friedensarbeit
sind, frage ich. Für Maher Btaiche und
Mona Ahmed liegt das auf der Hand und
so berichten sie vom Feedback einer Pfad-
왘 SPEKTRUM
gizBrief 4.2011
Philippinen
Vom Mehrwert lokaler Erdnussproduktion
© Jana Franke
Entwicklungspartnerschaften mit der Wirtschaft stärken Gemeinden
gen und sich wunderbar für den Anbau von
Erdnüssen eignen würden.
Mit unzureichender Quantität und Qualität
von Produktionsrohstoffen sowie Mangel
an gut ausgebildeten Fachkräften kämpfen
viele philippinische Unternehmen. Für viele
Filipinos wiederum bedeutet dies verpasste
Beschäftigungs- und Einkommenschancen.
Das Strategic Corporate Community Partnership Program (SCOPE), das im Auftrag des
Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung geförderte
Public-Private Partnership-Programm der
GIZ auf den Philippinen, setzt an diesen
Schwachstellen an. SCOPE nutzt den
Wertschöpfungskettenansatz zur Identifizierung und Planung von Entwicklungspartnerschaften mit der lokalen Wirtschaft.
Zugang zu Wirtschaftsakteuren erhalten
die SCOPE-Beraterinnen über die Partnerorganisation Philippine Business for Social
Progress (PBSP), eine renommierte unternehmensgetragene Stiftung.
In Zusammenarbeit mit der Möbelfirma Interior Crafts of the Islands wurde aus einem sozialen
Nähzentrum ein Polstereizulieferbetrieb, der in die Wertschöpfungskette der Möbelfirma integriert ist.
D
ie Insel Bohol ist bekannt für ihre
„Peanut Kisses“, eine süße Delikatesse
aus Erdnüssen und Zucker. Ein dort ansässiger Bäcker importiert die Erdnüsse
dafür aus China und Vietnam, da er vor
Ort nicht die nötigen Mengen kaufen kann.
Obwohl die Reisfelder auf Bohol zwischen
den Ernten drei bis vier Monate brach lie-
Info
Corporate Social Responsibility (CSR)
CSR lässt sich am besten als „gesellschaftliche Unternehmensverantwortung“ oder „verantwortungs-
Ziel ist es, informelle Produzentengruppen
als Zulieferer von Halbfertigprodukten oder
Serviceleistungen in die Wertschöpfungsketten lokaler Unternehmen zu integrieren.
SCOPE unterstützt Unternehmen bei
der Suche nach geeigneten Kleinstunternehmern, die als potenzielle Zulieferer in
Frage kommen, und entwickelt mit beiden
Partnern ein Konzept für Verbesserungsmaßnahmen. Der Wertschöpfungskettenansatz zahlt sich sowohl für das Unternehmen als auch für die Produzentengruppen
aus. Die enge Vernetzung und die (Weiter-)
Qualifizierung der Zielgruppen führen zu
besseren Produkten und zuverlässigeren
Zulieferern und somit zu einer Erhöhung
von Beschäftigung und Einkommen.
volle Unternehmensführung“ übersetzen. Ursprünglich verstanden als soziales Engagement philanthropischer Unternehmer, hat sich CSR weiter entwickelt zu einem strategischen Ansatz, mit dem Schritt
für Schritt das Kerngeschäft eines Unternehmens an sozialen und ökologischen Kriterien ausgerichtet
Corporate Social Responsibility (CSR)
statt Wohltätigkeit
wird. Bessere Arbeitsbedingungen führen zu höherer Arbeitsmotivation der Belegschaft, Qualifikationsmaßnahmen für Zulieferer sorgen für bessere Produktqualität, Energieeffizienzmaßnahmen sind ein
Beitrag für den Klimaschutz und reduzieren Kosten. Ökonomische, ökologische und soziale Ansprüche
werden ausbalanciert und auf einem bezüglich Öko- und Sozialstandards sensibilisierten Markt entsteht somit ein Wettbewerbsvorteil für das Unternehmen.
Unternehmen erkennen zunehmend, dass
gesellschaftlich verantwortliches Handeln
(Corporate Social Responsibility – CSR) einen
strategischen Vorteil bietet. Der Grundgedanke ist, CSR am Kerngeschäft der Unter-
6 7
Info
Der Wertschöpfungskettenansatz (WSK)
In den Wertschöpfungskettenansatz werden alle Akteure einer Wirtschaftskette von der Produktion
über die Weiterverarbeitung, den Handel und Markt bis hin zum Endverbraucher einbezogen, um Fördermaßnahmen zu entwickeln, die das Zusammenwirken optimieren und so zu entwicklungsrelevanten,
armutsmindernden Wirkungen führen.
nehmen auszurichten, so dass sowohl für die
Unternehmen als auch die benachteiligten
Zielgruppen ein Mehrwert entsteht. Diese
Art des strategischen CSR gewinnt auf den
Philippinen zunehmend an Bedeutung. Das
soziale Engagement philippinischer Unternehmer ist stark ausgeprägt, fokussiert jedoch traditionell auf philanthropische Projekte. Dabei bieten strategische CSR-Maßnahmen großes Potenzial, deren betriebswirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit sowie
Reputation zu erhöhen.
der Wirtschafts- und Beschäftigungsförderung sowie im Umwelt- und Ressourcenschutz. Wichtig
ist dabei, auch in einem wirtschaftlich schwachen Umfeld zu einem breitenwirksamen Wirtschaftswachstum beizutragen.
Auf Bohol berät bereits ein Projektmanager von PBSP, Aurelio Salgados,
den Bäcker, der keine Erdnüsse auf dem
lokalen Markt beschaffen kann. Im Rahmen eines SCOPE-Projektes werden nun
20 Bauern im Anbau von Erdnüssen geschult, um Qualität und Quantität zu erhöhen, und bekommen außerdem Saatgut und einfache Maschinen für die Bearbeitung nach der Ernte bereitgestellt.
Salgados findet das marktorientierte Konzept gut, es mache die Projekte nachhaltiger: „Das Engagement der Unternehmen
wird gefördert. Das ist nachhaltiger, als nur
das Geld von ihnen zu nehmen und den
Armen zu geben.“ Auch der Bäcker ist
überzeugt von dem Ansatz und treibt das
Projekt voran. Ist es erfolgreich, will er
andere Unternehmer überzeugen, mitzumachen. So können sie in Zukunft echte
regionale Produkte verkaufen – „Peanut
Kisses“ mit Erdnüssen aus Bohol.
Daniela Baum und Jana Franke
Daniela Baum ist freie Redakteurin und
Beraterin. Im Juli 2011 evaluierte sie das
SCOPE-Programm auf den Philippinen.
Jana Franke ist Dipl. Medienmanagerin
und seit 2008 Entwicklungshelferin auf
den Philippinen.
© Janina Wohlgemuth
Dass es nur ein kleiner Schritt ist von rein
sozialer hin zu betriebswirtschaftlich sinnvoller Unterstützung zeigt das Beispiel einer
in Cebu ansässigen Möbelfirma. Um die gestiegene Nachfrage nach Polstermöbeln decken zu können, investierte das Unternehmen über ein PPP-Projekt in den Ausbau
einer bis dahin philanthropisch unterstützten Schneiderei in einem Zulieferbetrieb für
Polstereiprodukte. Strategisch in die Wertschöpfungskette der Exportfirma integriert,
haben junge Männer aus sozial schwachen
Schichten heute ein regelmäßiges Einkommen durch die Produktion qualitativ hochwertiger Polstermöbel. Gleichzeitig werden
lokale Märkte durch einen Reparaturservice
oder Sonderanfertigungen von Sitzgarnituren bedient. Ein steter Fluss von Aufträgen
sichert ein geregeltes Einkommen und ermöglicht die Ausbildung weiterer Polstereifachkräfte.
Der WSK-Ansatz kann in verschiedenen Sektoren angewandt werden: in der Ländlichen Entwicklung,
Nachhaltige Verankerung beim Partner
SCOPE zeigt den Unternehmen Möglichkeiten auf, CSR strategischer anzugehen.
Seit 2004 wurden bereits über 30 Projekte
erfolgreich umgesetzt und dieser marktorientierte Ansatz überzeugte auch die Partnerorganisation PBSP. Das Management fördert den Paradigmenwechsel vom bisher
rein philanthropischen Ansatz hin zum strategischen CSR. Seit dem neuen Geschäftsjahr, das im Oktober 2011 begann, institutionalisiert PBSP den SCOPE-Ansatz, integriert ihn in die strategische und operative
Planung und lässt ihre Projektmanager in
dessen Anwendung trainieren.
In einem Training lernen Reisfarmer aus Carmen/Bohol Anbaumethoden und Nacherntebehandlung
von Erdnüssen. Als Zulieferer für Jojie’s Bakeshops können sich die Bauern so ein Zusatzeinkommen
erwirtschaften und Jojie’s Bakeshops ist weniger abhängig von Erdnussimporten.
왘 THEMA
gizBrief 4.2011
Die Pflege der eigenen Kultur
- wie hier in Angkor Wat in Kambodscha zieht Touristen an und schafft so Einkommen.
Kultur als notwendige Dimension
der Entwicklungspolitik
Plädoyer für mehr Kulturbewusstsein in der Entwicklungszusammenarbeit
Die Bedeutung der Kultur im globalen Entwicklungsprozess wird noch nicht ausreichend anerkannt.
Fachkräfte aus der Entwicklungszusammenarbeit erfahren in ihrer Arbeit vor Ort täglich, dass ohne
die Berücksichtigung der jeweiligen kulturellen Bezüge Entwicklungszusammenarbeit nicht erfolgreich sein kann.
Veränderungsprozesse müssen kulturell verankert werden, nur dann gelingt nachhaltige Entwicklung.
Kultur muss also eine gleichberechtigte Zielgröße für Entwicklung neben den ökonomischen, politischen,
sozialen und ökologischen Zielen sein.
8 9
© Peter Beyer
Kultur als Einflussgröße
K
ultur und Entwicklung – zwei Begriffe, die schon
für sich genommen sehr facettenreich sind und
Zugänge aus ganz unterschiedlichen Perspektiven
erlauben. Das macht eine analytische Annäherung an
das Verhältnis zwischen Kultur und Entwicklung nicht
einfacher. Eine erste Einordnung bietet sich anhand
folgender drei Leitlinien an: Kultur als Einflussgröße,
Kultur als Entwicklungsmotor und Kultur als Interventionsfeld.
Zunächst zur Kultur als Einflussgröße, und zwar auf die
politische, soziale und ökonomische Entwicklung. Auf
welche Weise bedingen sich Kultur und Entwicklung?
Während sich entwicklungspolitische Schwerpunkte
und Strategien immer wieder neuen globalen und lokalen Herausforderungen anpassen müssen, bleibt eines
gleich: die Pflicht der Akteure im Schnittfeld von Entwicklungspolitik und auswärtiger Kulturpolitik zur
Rücksichtnahme auf die unterschiedlichen Kulturräume, in denen sie tätig sind. Mit kultursensiblem
Engagement steigt die Chance, dass Entwicklungsprozesse partizipativ angelegt sind und deshalb eine
erhöhte Akzeptanz finden. Entwicklungsimpulse entfalten ihre effektivste Wirkung, wenn sie kulturelle und
sozioökonomische Rahmenbedingungen beachten und
auf der Basis des lokalen Wissens ihrer Zielgruppen
aufbauen. Indigenes Wissen wiederum ist geistiges
Eigentum seiner Träger und als solches zu respektieren
und zu honorieren. Der Erhalt lokalen oder indigenen
Wissens kann in unserer globalisierten Welt durchaus
mehr bedeuten als lokal begrenzte Bewahrung; er kann
konservativ geprägt sein, sollte aber im partnerschaftlichen Dialog, der ja auf Veränderung ausgerichtet ist,
in den meisten Fällen nicht konservativ verstanden und
diskutiert werden. Andererseits hat sich gezeigt, dass
indigenes Wissen globalen Nutzen stiften kann. Dieser
Nutzen wurde in der Vergangenheit jedoch zumeist
nicht erkannt und selbst wenn dies geschah, erst in den
letzten Jahren überhaupt anerkannt. Auf die damit angesprochene Frage der Kulturhegemonie der Industriestaaten kann hier nur hingewiesen werden. Diese Überheblichkeit hat eine auf Emanzipation und Selbstbestimmung angelegte Entwicklung in vielen Staaten der
Welt lange Zeit behindert; zudem war sie politisch häufig kontraproduktiv. Insbesondere den Entscheidungen
für militärische Interventionen der letzten Jahre wurde
zu recht mangelnde kulturelle Sensibilität vorgeworfen.
Die (aus der Sicht des Intervenierenden) unbefriedigenden militärischen Ergebnisse, vor allem aber der mangelhafte politische Erfolg bestätigen diese Einschätzungen. Zwar wird allerorten die dringende Notwendigkeit
eines in eigenständiger Verantwortung getragenen zivilen Aufbaus unter Berücksichtigung der kulturellen Gegebenheiten etwa im Irak oder in Afghanistan betont,
doch dominiert gleichwohl immer noch der kulturunsensible militärische Einsatz in quantitativer und qualitativer Hinsicht. Muss es also einerseits darum gehen,
Kultur als identitätsstärkendes Moment zu bewahren,
so muss andererseits beachtetet werden, dass politische
gizBrief 4.2011
so ist und die erstrebte Wirkung
– erneut sei es betont – nicht
doktrinär und ideologisch,
sondern partizipativ und vor
allem einvernehmlich erreicht
werden soll, muss Kultur geradezu (pro-)aktiv genutzt werden, um entwicklungspolitische
Ziele zu erreichen. Dazu gehört,
dass Empathie und Respekt vor
der anderen Kultur nicht zu
einer kritiklosen Übernahme
kultureller Vorstellungen des
Partners führen darf. Einer solchen Überidentifikation erliegen vor allem solche Menschen,
die keinen gefestigten eigenen
Standpunkt innerhalb eines
Wertesystems haben. Geriete
der Dialog mit der anderen
Kultur aufgrund dieses Mangels
zur Gefälligkeit, würde der Entwicklungsprozess nicht befördert, sondern eher behindert.
Außerdem wissen wir aus vielfältiger Erfahrung, dass der insoweit gleichberechtigte Partner
eine solche Orientierungslosigkeit seinerseits nicht respektiert
und daher den Beratungsprozessen nicht die notwendige Aufnahmebereitschaft entgegenbringt. Kulturelle
Toleranz und Respekt sind also nicht mit Beliebigkeit
zu verwechseln.
© Thomas Müller
왘 THEMA
Entwicklungshelfer —
hier eine Entwicklungshelferin in Peru —
wissen, wie wichtig
kultursensibles
Handeln für den Erfolg
ihrer Arbeit ist.
oder mentalitätsbedingte Ausprägungen von Kultur –
nicht notwendigerweise ausschließlich durch religiöse
Interpretation – als Entwicklungsfaktor gleichzeitig
Machtfaktoren sind, die sich entwicklungshemmend
und konfliktverschärfend auswirken können.
Kultur als Entwicklungsmotor
Damit sind wir bei der zweiten Leitlinie: Kultur als Entwicklungsmotor, um globale Entwicklung zu fördern,
sei es bei der Friedenssicherung, in der Konfliktprävention, in der Durchsetzung von Menschenrechten oder
im Bereich der Förderung von Demokratie. Wenn die
Kultur einer Gesellschaft soziales Handeln, Regeln und
Entscheidungsprozesse beeinflusst, so ist sie als eine zentrale Größe in Entwicklungsprozessen anzuerkennen.
Entwicklungspolitik führt damit per Definition zu einer
Einmischung in die Kultur des Partners. Da die Entwicklungsziele zwischen autonomen Partnern verabredet wurden, können sie selbst nicht ohne weiteres aufgegeben werden, und somit ist die daraus folgende Entwicklung grundsätzlich nicht verhandelbar. Wenn das
Es lässt sich vor allem im durch das Trauma der Nazizeit geprägten Deutschland eine Tendenz zu einem Kulturrelativismus feststellen, der jedwede Festlegung auf
eigene Werte als inakzeptabel abqualifiziert und im entwicklungspolitischen Kontext darin Intoleranz oder gar
imperialistische oder neokolonialistische Tendenzen erkennen will. Hier wird auf der Grundlage falsch verstandener Toleranz einer Bedingungslosigkeit das Wort
geredet, die der Substanz internationaler Kooperation
nicht gerecht wird.
Kultur als Interventionsfeld der Entwicklungspolitik
Kommen wir zur dritten Leitlinie: Kultur als Interventionsfeld der Entwicklungspolitik, als eigenem Sektor
und nicht nur eigenem Wirtschaftszweig, der sie ohnehin
ist. Die in Praxis und Wissenschaft der internationalen
Politik vorzufindende geradezu
stiefmütterliche Behandlung
von Kultur rührt aus einem
überholten Verständnis von
ökonomischer Produktivität
als mächtigstem Faktor einer
erfolgreichen Entwicklungspolitik, und bei der Außenpolitik gilt Kultur zumeist nur
als „Sahne auf dem Kuchen“.
Nicht ohne Grund reden wir
in Deutschland seit den 1960er
Jahren im Rahmen der staatlichen bilateralen Entwicklungspolitik unverändert von nur
zwei Teilen: der technischen
und der finanziellen Zusammenarbeit.
© Britta Radike
10 11
Ein Grund für die Haltung,
dass dieser Sektor kein förderungswürdiger Fachbereich
im Rahmen der Entwicklungspolitik sein kann oder soll, ist
vermutlich in der verbreiteten
Annahme zu finden, die Entwicklungsunterschiede zwischen
armen und reichen Ländern
ließen sich entlang der Maslow’schen Bedürfnispyramide systematisieren: der
Mensch müsse erst seine Grundbedürfnisse wie
Ernährung und Kleidung befriedigen, bevor er sich
Sicherheits- und sozialen Bedürfnissen widmen könne,
und erst danach sei es möglich, sich der Kultur zuzuwenden. Diese Betrachtungsweise eines rein funktionalrationalen Entwicklungsbegriffs ist unvollständig und
bedarf dringend der Korrektur – einer Korrektur, die
Kultur als eigenständige Entwicklungsdimension
anerkennt.
Der Begriff Kultur im Kontext von Entwicklung kann
nicht nur das Bewahren von überkommenem Handwerk und liebenswürdiger Folklore beinhalten. Kultur
umfasst weit mehr als die schönen Künste, nämlich,
gemäß der UNESCO Weltkonferenz über Kulturpolitik „die Gesamtheit der verschiedenen geistigen,
materiellen, intellektuellen und emotionalen Charakteristika, die eine Gesellschaft oder soziale Gruppe
kennzeichnen. Sie schließt nicht nur Literatur und
Künste ein, sondern auch Lebensweisen, die grundlegenden Menschenrechte, Wertesysteme, Traditionen
Die Kreativwirtschaft
und Glaubensauffassungen.“ Was bedeutet das nun
für die GIZ und die tägliche Arbeit ihrer Fachkräfte
vor Ort? Ohne Einbeziehung der jeweiligen kulturellen
Bezüge kann Entwicklungszusammenarbeit nicht erfolgreich sein. Die Entwicklung der Lebensumstände
und der kulturelle Wandel in einem Land sind wie
zwei Seiten derselben Medaille. Veränderungsprozesse
müssen von unseren Partnerorganisationen kulturell
verankert werden. Nur dann gelingt nachhaltige Entwicklung. Und nur dann verläuft die Entwicklungszusammenarbeit partnerschaftlich, auf Augenhöhe.
Jede Entwicklung muss kulturbewusst sein, denn jede
Art von Entwicklung hat kulturelle Gegebenheiten
zu beachten, muss Raum für kulturelle Entfaltung
geben und sich offen für den kulturellen Wandel
zeigen.
Prof. Dr. Jürgen Wilhelm
Prof. Dr. Jürgen Wilhelm ist Vorstandsmitglied der GIZ.
ist heute in vielen
Ländern ein wichtiger
Wirtschaftsfaktor.
Dazu gehört auch das
Kunsthandwerk – hier
Porzellanmalerei –,
wenn es gute Qualitätsstandards erfüllt.
왘 THEMA
gizBrief 4.2011
Kambodscha
Weltkulturerbe Angkor Wat
Angkor Wat ist eine der größten
und eindrucksvollsten Tempelanlagen
© SCU-Team
Aufbau eines Steinkonservierungsteams zum Erhalt der Tempelanlage
der Welt und mit über zwei Millionen
Touristen im Jahr das beliebteste
Touristenziel in Kambodscha.
Der Tourismus schafft Arbeitsplätze
und Einkünfte für die Menschen,
die sehr stolz auf ihr kulturelles Erbe
und die Tempel von Angkor Wat sind.
Die GIZ unterstützt im Auftrag des
Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
die Denkmalbehörde bei der
Qualifizierung ihres Personals und der
Ausbildung künftiger Restauratoren.
Das erste Projekt: die Elefantenstatuen am Östlichen Mebon Tempel. SCU-Mitarbeiter Tec Touch trägt Steinfestiger auf.
D
ie Geschichte Kambodschas, Kultur und Identität
sind untrennbar mit den Tempeln von Angkor
verbunden. Das Khmer-Reich, mit Angkor als
religiösem Zentrum, erlebte seinen Höhepunkt zwischen dem 9. und 13. Jahrhundert. In dieser Epoche
wurden auch die meisten Tempelanlagen errichtet.
König Jayavarman II. machte es zum mächtigsten
Reich des antiken Südostasiens, welches sich weit bis
ins heutige Thailand, Vietnam und Laos erstreckte.
Allerdings sorgten in den 70er Jahren die Khmer Rouge
während ihrer nur knapp vierjährigen Schreckensherrschaft dafür, dass kulturelle Errungenschaften und die
gesellschaftlichen Grundlagen der Khmer-Nation konsequent zerstört wurden. Die nationale Identität der
Khmer wurde damit in Frage gestellt und an ihrer
Weiterentwicklung gehindert. Die Verbrechen der
Khmer Rouge haben dazu geführt, dass die Gesellschaft
ein Trauma davontrug, das im Grunde bis heute nicht
bewältigt wurde. Die langen Jahre des Krieges, die allgegenwärtige Armut verbunden mit den Erinnerungen
an die einstige Größe des Khmer Reiches und die
Rivalität zu den mächtigen, wirtschaftlich aufstrebenden Nachbarländern Thailand und Vietnam haben
dazu geführt, dass das Volk der Khmer bis heute unter
Minderwertigkeitsgefühlen leidet.
Die Wunden heilen langsam und die Tempelanlagen
von Angkor sowie die uralte Khmer Kultur haben bis in
die Gegenwart hinein ihren Einfluss auf die Kunst und
das Brauchtum bewahrt und tragen so einen beträchtlichen Teil zur Identitätsfindung der Kambodschaner bei.
So ist Angkor Wat, der wohl bedeutendste Tempelbau
Asiens, auf der kambodschanischen Flagge abgebildet.
Auf so ziemlich jedem Hochzeitsfoto dient der Tempel
als Hintergrund. Zigaretten- und Biermarken sowie
jedes zweite Hotel in Siem Reap, der Stadt bei den
Tempelanlagen, tragen den Namen eines Tempels.
Viele Kambodschaner besuchen täglich die Tempel,
wo sie ihre Traditionen und Religion ausüben.
Wirtschaftsfaktor Weltkulturerbe Angkor
Inzwischen zieht es jeden Tag Tausende Besucher zu
den Tempelanlagen. Laut des kambodschanischen Ministeriums für Tourismus besuchten während der ersten
sechs Monate des Jahres 2011 bereits über 1.3 Millionen Touristen das Land. Das Ministerium schätzt, dass
12 13
2011 voraussichtlich 2.8 Millionen Touristen Kambodscha bereisen werden.
Verantwortung für das eigene Kulturerbe ist nicht nur
identitätsstiftend, sondern schafft auch neues Selbstbewusstsein.
Die Stadt Siem Reap, in der nahezu jeder AngkorBesucher nächtigt, ist der größte touristische Wirtschaftsfaktor Kambodschas. Das Ministerium für
Tourismus geht davon aus, dass landesweit etwa
300.000 Menschen im Tourismussektor Arbeit finden.
Diese Zahl soll sich in der Zukunft auf eine halbe
Millionen erhöhen. Die Einnahmen durch Touristen
tragen damit zu einem nicht unbeträchtlichen Teil zur
regionalen Wirtschaftsentwicklung bei.
Das von der GIZ unterstützte Team der SCU hatte in
der ersten Projektphase die Aufgabe, die zur Restaurierung benötigten Materialien und Maschinen anzuschaffen, sowie ein Büro einzurichten. Mittlerweile
konnten schon viele Restaurierungsmaßnahmen an unterschiedlichen Tempeln im Angkorpark selbständig geplant und durchgeführt werden. Ein System zur Datensammlung wurde aufgebaut, ein Workshop eingerichtet
und die Materiallogistik etabliert. Bei internationalen
Projekten wirkt die SCU als Berater und Gutachter in
Sachen Steinkonservierung. Das ist ebenfalls eine wichtige Aufgabe, da die Denkmalbehörde APSARA auf
diese Weise Anerkennung durch die Nachfrage anderer
internationaler Teams bekommt und technisch sehr gut
konservierte Objekte vorzeigen kann.
1992 wurden die Tempel auf Gesuch des damaligen
Königs Norodom Sihanouk von der UNESCO als
Weltkulturerbe anerkannt. Eine Bedingung war der
Aufbau einer kambodschanischen Organisation zur
Bewahrung und zum Management von Angkor. Diese
wurde offiziell auf Basis eines königlichen Erlasses 1995
geschaffen. Heute hat APSARA (Nationale Behörde
zum Schutz und Management von Angkor und der
Region Siem Reap) mehr als 2.000 Mitarbeiter. Zu
den Aufgaben der Behörde gehören der Schutz, die
Konservierung und Entwicklung von Angkor, aber
auch die Qualifizierung eigener Mitarbeiter.
Fünfzehn verschiedene Projekte wurden in den ersten
vier Jahren geplant und professionell durchgeführt. Das
erste Projekt, die Restauration der monolithischen, zwei
Meter großen Elefantenstatuen am Östlichen Mebon
Tempel, wurde in den Jahren 2008/9 durchgeführt.
Internationale Kooperationen waren unter anderem die
Konservierung der Apsarareliefs am Phnom Bakheng
Durch Wissenstransfer zur Selbstständigkeit
Die GIZ unterstützt die Denkmalbehörde APSARA
gezielt bei dem Aufbau und der Etablierung einer eigenen Steinkonservierungsabteilung (Stone Conservation
Unit /SCU).
Ziel des Projektes ist es, der Denkmalbehörde APSARA
die Möglichkeit zu geben, eigenverantwortlich die Konservierung der stark gefährdeten Sandsteinreliefs und
Statuen durchzuführen und das Wissen zu vermitteln,
um Restaurierungsentscheidungen professionell zu
treffen sowie langfristig die Unabhängigkeit von internationalen Teams zu erreichen. Die Übernahme von
füllen eines Dübellochs
an einem Nagakopf,
Balustrade an der
Elefanten Terrasse.
© SCU-Team
Eine beachtliche Anzahl internationaler Organisationen
und Wissenschaftler ist seit vielen Jahren bemüht, Angkor auch für nachfolgende Generationen zu erhalten.
Im Jahre 2010 wurden etwa 30 Projekte durchgeführt,
an denen 16 Länder unter anderem Japan, Frankreich,
China, Indien, USA und Italien beteiligt sind. Aus
Deutschland arbeitet die Fachhochschule, Köln, Fakultät für Kulturwissenschaften, Institut für Restaurierungs-und Konservierungswissenschaften seit 1994 im
German Apsara Conservation Project (GACP) in Angkor.
Kham Kmao beim Ver-
왘 THEMA
gizBrief 4.2011
Temple im Auftrag des World Monuments Fund oder die
Restaurierung von Sandsteinobjekten auf dem Phnom
Kulen für ein französisches Archäologenteam.
sche Steinkonservatoren entwickelt. Zurzeit wird es in
Khmer übersetzt, da es ein Handbuch für Kambodschaner werden soll, leicht verständlich, mit vielen Fotos
und Zeichnungen zur Verdeutlichung und Attraktivität.
Das Buch wird zweisprachig erscheinen, in Khmer und
Englisch, um auch die Zusammenarbeit mit internationalen Teams zu vereinfachen. Als Juniorfachkraft der
GIZ, entwickle ich, Josephin Rösler, zurzeit in Zusammenarbeit mit den einheimischen Fachkräften – den
zukünftigen Ausbildern – die Trainingsmodule und
stelle die Lehrmaterialien zusammen.
Auf Basis eines Kooperationsabkommens finanziert
APSARA die Bürostruktur der Abteilung, die Materialien für Konservierungsmaßnahmen an den Tempeln
und einen Teil der Gehälter der einheimischen Fachkräfte.
Das kleine SCU-Team besteht bisher aus drei einheimischen Fachkräften, die über viele Jahre Arbeitserfahrung
in Steinkonservierung in dem deutschen Projekt GACP
sammelten. Seit 2007 werden sie von mir, Elke Tigges,
in Projektplanung und Management weitergebildet,
ihr fachspezifisches Wissen wurde von zwei Entwicklungsstipendiaten, die studierte Restauratorinnen sind,
erweitert.
Zukünftig sollen die Restauratoren dann selbständig
und eigenverantwortlich Restaurierungsarbeiten durchführen und so für den Erhalt des kulturellen Erbes auf
hohem restauratorischen Niveau sorgen. Ein langfristiges Ziel ist es, dass kambodschanische Restauratoren
eigene Fachkräfte ausbilden und so in Zukunft immer
mehr Eigenverantwortung für den Erhalt ihrer Tempelanlagen übernehmen können.
Qualifizierung und Ausbildung
Das SCU-Team.
Von links nach rechts:
Kham Kmao, Tec Touch,
Josephin Rösler,
Elke Tigges und
Demnächst wird die Konservierungsabteilung um zehn
kambodschanische Mitarbeiter erweitert. Diese sollen
in einem zweijährigen Trainingsprogramm zu qualifizierten Restauratoren ausgebildet werden. Dazu wurde
bereits im letzten Jahr von der Juniorfachkraft Karin
Schinken ein Trainingshandbuch für kambodschani-
© SCU-Team
Long Nary.
Gerade für Kambodscha ist die Ausbildung von Fachkräften zu einer wichtigen Aufgabe geworden. In den
70iger Jahren tötete die Khmer Rouge beinahe die
gesamte intellektuelle Elite Kambodschas. So ging
auch das Wissen, wie die Tempel für die Nachwelt
erhalten werden können, verloren und muss nun
wieder aufgebaut werden. Bis heute gibt es in Kambodscha keine Ausbildungsmöglichkeiten oder
Studiengänge für den Beruf Restaurator. Die Ausbildung einheimischer Fachkräfte im Bereich Steinkonservierung und der Aufbau einer permanenten
Steinkonservierungsabteilung innerhalb APSARA
sichert den nachhaltingen Schutz des Weltkulturerbes
Angkor und damit das ungebrochene Interesse der
Kambodschaner und Touristen aus allen Teilen der
Welt. Nicht zu letzt trägt der Erhalt der Tempel auch
zur ökonomischen und politischen Stabilität in der
Region bei.
Josephin Rösler und Elke Tigges
Josephin Rösler ist Dipl. Restauratorin, M.Sc. Denkmalpflege und seit Mai 2011 im Rahmen des Nachwuchsförderungsprogramms in Kambodscha.
Elke Tigges ist Dipl. Ing. (FH) Architektin, Schwerpunkt
Baudenkmalpflege, und seit März 2007 Entwicklungshelferin in Kambodscha.
14 15
Guatemala
Rückgewinnung der eigenen Identität
© Victor Lindenmayer
Das Geschichts- und Bildungszentrum von Rio Negro
Preisverleihung im ICC:
Gewalt und Ungerechtigkeiten bestimmen immer noch das Leben der Menschen in Guatemala.
Doch es gibt auch Lichtblicke, Menschen, die sich nicht in ihr Schicksal ergeben,
sondern gemeinsam die Vergangenheit bewältigen und ihre Zukunft gestalten wollen –
Menschen wie die Bewohner von Rio Negro im Department Baja Verapaz in Guatemala.
M
it berechtigtem Stolz und offenkundiger Freude
nahmen Sebastian Iboy und Sucely Ical den
Preis „To Do! 2010”, der ihnen im Rahmen
der 45. Internationalen Tourismusbörse (ITB) im
Internationalen Congress Centrum in Berlin (ICC)
im Beisein des Botschafterehepaares und des Direktors
der nationalen Tourismusbehörde Guatemalas überreicht wurde, entgegen. Der Studienkreis für Tourismus
und Entwicklung e.V. zeichnet damit herausragende
Beispiele von sozialverantwortlichem Tourismus aus,
der auf kulturelle und gesellschaftliche Bedürfnisse
Rücksicht nimmt und sie nicht unternehmerischen
Interessen opfert. Die Auszeichnung ist mit einem
Preisgeld versehen, über dessen Verwendung später die
gesamte Gemeinde von Rio Negro entscheiden wird,
die Sebastian Iboy hier vertritt.
„Die Bewohner von Rio Negro haben den To Do!-Preis
uneingeschränkt verdient, weil sie ein positives Beispiel
für menschenrechtliche Vergangenheitsbewältigung
und gemeinschaftliche Organisation des Tourismus mit
absolut gerechter Verteilung aller Einnahmen sind.“
So lautete das Fazit der Begründung für die Preisverleihung. Die Rede ist vom Centro Historico y Educativo
Riij Ib’ooy, dem Geschichts- und Bildungszentrum von
Rio Negro, das man ebenso gut als Gedenk- und Begegnungsstätte bezeichnen könnte. Es wurde 2007 von
den Gemeindemitgliedern selbst geplant, entwickelt
und errichtet. Sie besitzen und verwalten das Zentrum.
Finanzielle Förderung und technische Beratung leisteten von Beginn an im Auftrag des Bundesministeriums
für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
der Zivile Friedensdienst (ZFD) und die GIZ.
Sebastian Iboy und
Sucely Ical halten stolz
den Preis „To Do! 2010”
in die Kameras
왘 THEMA
© Christopher Mayer
gizBrief 4.2011
Einweihung des
Geschichts- und
Bildungszentrums
in Rio Negro
im Frühjahr 2008.
Die Kernpunkte für die Auszeichnung liegen zum einen
in den organisatorischen und technischen Leistungen
bei der Konstruktion und partizipativen Nutzung des
Zentrums, zum anderen in seinen vielfältigen pädagogischen und touristischen Angeboten. Die Würdigung
gilt aber auch den Anstrengungen der Menschen dieser
Maya-Gemeinde, den Schmerz über die Gräuel der
Vergangenheit in eine positive Haltung gegenüber dem
Leben umzuwandeln, um daraus die Kraft zu schöpfen
für den Aufbau eines gerechten Friedens, menschenwürdiger Lebensbedingungen und kultureller Selbstbestimmung.
Die besinnlichen Blicke der Preisträger lassen vermuten,
dass sich unter das Glücksgefühl über Laudatio und
Ovationen auch Erinnerungen an die entsetzlichen Ereignisse der Vergangenheit mischen, die sie zu diesem
Engagement verpflichteten.
Erinnerungen an die Zeiten des Schreckens
36 Jahre Bürgerkrieg hatten die Lebensgrundlagen, den
sozialen Zusammenhalt und die kulturelle Einheit vieler
indigener Gemeinden im Hochland von Guatemala
zerstört. Rio Negro im Landkreis Rabinal der Provinz
Baja Verapaz war eine davon. Das zuvor größte und
ausschließlich von Angehörigen der Volksgruppe MayaAchi bewohnte Dorf wurde im Jahre 1982 ausgelöscht,
seine Bevölkerung zwangsumgesiedelt oder vernichtet.
Sie hatte sich gegen den Bau des größten Staudamms
des Landes gestellt, ein Vorhaben, das sie ihrer landwirtschaftlichen Nutzflächen und Naturreserven, ihres
Pfad- und Wegesystems, ihrer sozialen Netzwerke und
der Stätten ihrer historischen Wurzeln und kulturellen
Selbstverwirklichung berauben würde. Ihr Protest
erfolgte ausgerechnet zu einer Zeit, als sich der Bürgerkrieg auf seinem Höhepunkt befand und das Militär
brutal gegen die Bevölkerung vorging.
Nach vier kaltblütig geplanten, von Armee und paramilitärischen Gruppen ausgeführten Massakern war
innerhalb weniger Monate die einst 113 Familien, beziehungsweise 791 Menschen zählende Maya-Gemeinde auf
weniger als die Hälfte dezimiert worden. Die Überlebenden flüchteten teils in die umliegenden Berge, wo sie sich
mehrere Jahre vor ihren Verfolgern versteckten, oder ließen sich in das vom Militär kontrollierte „Modell-Dorf“
Pacux am Stadtrand von Rabinal bringen. Kleine, einförmige, wellblechgedeckte Häuser reihen sich hier dicht gedrängt und planquadratisch monoton aneinander. Hier
fand das selbstbestimmte Leben freier Bauern,
Fischer, Jäger, Sammler, Handwerker und Künstler ein
jähes Ende. Eine Maya-Gemeinde war aus dem Zentrum
ihres eigenen Kosmos an den Rand einer fremden und
feindlichen Gesellschaft gedrängt worden, die von den
Nachfahren der europäischen Einwanderer dominiert
wird, die man in Guatemala Ladinos nennt.
Auch Sebastian Iboy lebte mit seiner Familie hier einige
Zeit. Nach über drei entbehrungsreichen und von ständiger Gefahr geprägten Jahren, hatte er sich aufgrund
körperlicher Erschöpfung dazu entschlossen, auf das
trügerische Amnestieangebot von General Efrain Rios
Montt einzugehen. Er verließ seinen Zufluchtsort in
den Bergen und legte sein Schicksal in die Hände der
Militärs, seiner Verfolger. Dass er diese Entscheidung
nicht mit seinem Leben bezahlte, verdankte er allein
einer Reihe glücklicher Umstände. Für viele andere
hatte es den Weg in den sicheren Tod bedeutet. Aber
in Pacux konnte von einem Leben in Würde keine
Rede sein. Wie in vielen anderen „Modell-Dörfern“
Guatemalas präsentierte sich hier das gesamte, allzu
bekannte Spektrum des gesellschaftlichen Verfalls, der
häufig mit einer kulturellen Entwurzelung, sozialen
Marginalisierung, wirtschaftlichen Exklusion und erzwungenen Ghettoisierung einhergeht.
Die Rückeroberung
Im Frühjahr des Jahres 1991, die Unterzeichnung des
Friedensabkommens sollte noch über fünf Jahre auf
sich warten lassen, schloss Sebastián Iboy mit dieser
Form des Daseins ab. Zu Fuß und in Begleitung zweier
Schicksalsgenossen kehrte er nach Rio Negro, dem Ort
seiner Herkunft zurück. Seine Ausrüstung bestand aus
einer Plastikplane, einer Arbeitsmachete, Schnur und
Angelhaken, einem kleinen Vorrat an Maistortillas –
der unentbehrlichen Nahrungsgrundlage aller Mayas –
und einigen Beuteln mit Saatgut, dem Startkapital für
seine neue Existenz.
© Victor Lindenmayer
16 17
„Wir sehnten uns danach, wieder in der Obhut unseres
Flusses zu leben, Fisch zu essen und unsere alte naturverbundene Lebensweise wieder aufzunehmen. Auch
wenn alles in den Fluten des Stausees versunken ist, die
Felder unserer Väter, ihre Straßen und Wege, der Fluss
selbst hat uns nie im Stich gelassen. Er spendet uns
Wasser zum Trinken, schenkt uns Fische zum Essen
und gibt uns die Kraft, die Felder unserer Vorfahren
wieder mit Mais zu bepflanzen.“ So begründen die
Rückkehrer ihre Entscheidung.
In den folgenden Jahren kam die Bevölkerung von Rio
Negro immer häufiger in den Genuss spontaner Hilfe.
Ab 2004 wurden ihre Selbsthilfebemühungen nachhaltig durch den ZFD und die GIZ unterstützt. Das
Geschichts- und Bildungszentrum bildet den vorläufigen Höhepunkt all dieser Anstrengungen.
Entwicklung – aber welche?
Aus friedenspädagogischer und entwicklungspolitischer
Sicht weist Rio Negro ein großes Potenzial auf. Nirgends besser als hier lassen sich die Schrecken des Bürgerkrieges einerseits und die mutigen und nachhaltigen
Anstrengungen der Kriegsopfer im Hinblick auf Wiedergutmachung und Strafverfolgung veranschaulichen.
Hier lassen sich auch die sozialen Folgen von rücksichtslos durchgeführten staatlichen Großprojekten aufzeigen
und Empfehlungen für zukünftige Vorhaben ableiten.
Und hier, wo eine Vielzahl der für die Mayakultur des
Hochlandes bedeutender archäologischer Orte im Wasser versunken sind und vier Maya-Ethnien aneinandergrenzen, erhält das Ringen um den Erhalt der eigenen
kulturellen Werte und Errungenschaften und die Ausbildung einer gemeinsamen indigenen Identität einen
besonderen Stellenwert.
Zu all diesen Themenbereichen wurden verschiedene
didaktische Materialien ausgearbeitet und eine Reihe
publizistischer Aktivitäten angestoßen, darunter Ausstellungen, Plakatserien, Bücher, Broschüren, Kataloge,
Kalender, Videos, Webauftritte und anderes mehr.
Aktivitäten, die stärker auf die Gegenwart und Zukunft ausgerichtet sind, als nur retrospektiv historische
Ereignisse zu manifestieren. Das Geschichts- und Bildungszentrum Riij Ib’ooy von Rio Negro verfügt inzwischen über eine breite Palette von Möglichkeiten,
um im Rahmen der Friedenserzeihung, der Menschenrechtsarbeit und der kulturellen Integration diverse
Aufgaben übernehmen und Initiativen entfalten zu
können.
Sebastian Iboys Frau
mit den beiden
jüngsten Töchtern.
Aber wie viel Zeit und Energie wollen und können die
Menschen, die es leiten, überhaupt aufwenden, um all
diesen Anforderungen gerecht zu werden? Sind sie den
damit verbundenen Aufgaben gewachsen? Welche Pläne
haben sie im Hinblick auf die Gestaltung ihres Lebens
und der Zukunft ihrer Gemeinschaft? Welches sind ihre
Prioritäten? Einen Hinweis darauf mag die Verwendung
des Preisgeldes geben. Die Gemeinde von Rio Negro
errichtete damit eine neue Gedächtnisstätte für ihre ermordeten Eltern, Großeltern und Geschwister. Das
kleine Gebäude, in Form einer Kapelle, ist das einzige,
das ganz aus Stein besteht. Im Giebel über dem Eingang
hebt sich ein Kreuz aus weißem Mineral ab. Der Ort der
Andacht steht jetzt frei und selbstsicher auf dem Gelände des Zentrums. Er ist nun nicht mehr in das große
Besuchergebäude eingegliedert, wo er zuvor in einem
kleinen separaten Raum im Anschluss an den Veranstaltungs- und Ausstellungssaal, neben Küche und Bad,
untergebracht war. Die Darstellung ihrer Geschichte
und Kultur, so lässt sich daraus schließen, ist für die
Menschen von Rio Negro nicht ein Mittel, um ihr
touristisches Angebot zu optimieren. Es ist im umgekehrten Sinne das Geschichts- und Bildungszentrum,
das es ihnen erlaubt, ihrer historischen Verantwortung
und moralischen Verpflichtung nachzukommen und
ihre eigenen gesellschaftlichen und kulturellen Bedürfnisse zu verwirklichen und weiterzuentwickeln.
Victor Lindemayer
Victor Lindemayer ist Ethnologe und war von 2000
bis 2009 Entwicklungshelfer in Guatemala,
zuletzt als Berater für Demokratieförderung.
왘 THEMA
gizBrief 4.2011
Kolumbien
Mehr als ein Tropfen auf dem heißen Stein
Auf dem Weg zu einer Friedenskultur
© Anna-Lisa Zug
Peter Hauschnik leitet das Programm „Friedensentwicklung durch Förderung der Zusammenarbeit
zwischen Staat und Zivilgesellschaft“ in Kolumbien, das vom Bundesministerium für wirtschaftliche
Zusammenarbeit und Entwicklung finanziert wird. Anna-Lisa Zug, Mitarbeiterin der Unternehmenskommunikation der GIZ, sprach mit ihm darüber, welche Rolle die Kultur in seiner täglichen Arbeit spielt.
Herr Hauschnik, Sie leiten ein Programm,
das die Friedensentwicklung in Kolumbien
fördern möchte. Mit welcher Art von Konflikten
haben Sie es zu tun?
Die UNESCO Konvention von 1999 definiert Friedenskultur als die Gesamtheit von Wertvorstellungen,
Einstellungen, Traditionen und Verhaltensweisen, die
auf bestimmten Prinzipien, wie Achtung des Lebens
und der Menschenrechte, beruhen. Einfacher und
vielleicht etwas praktischer ausgedrückt: Gewalt ist als
Mittel der Konfliktlösung ausgeschlossen. Für mich
gehört daher zur Friedenskultur auch eine funktionierende „Streitkultur“, in der Argumente ausgetauscht
und abgewogen werden.
Je nach Betrachtungsweise gibt es in Kolumbien entweder einen bewaffneten Konflikt zwischen Guerilla und Staat, der bereits 40 Jahre anhält,
oder eine lange Gewalt-„Tradition“, die fast die gesamte
Geschichte Kolumbiens prägt. Die Konflikte sind daher
vielfältig: Angefangen von der ungleichen Verteilung
von Land und Vermögen, dem mangelnden Vertrauen
der Bürger in ihren Staat, über kriminelle Banden und
Drogenwirtschaft, bis hin zur Gewalt innerhalb der
Familie. Überall ist Gewalt als Mittel anerkannt, um
Konflikte zu lösen.
„Gewaltkultur“, Friedenskultur, Streitkultur – Kultur
scheint in Ihrer Arbeit eine wichtige Rolle zu spielen.
Wie kann Kultur dazu beitragen, dass Menschen konstruktiv mit Konflikten umgehen?
Daher spricht man zum Teil auch über eine „Gewaltkultur“, die sich in Kolumbien breit gemacht hat.
Jedes Jahr findet im
Städtchen Labateca ein
Volksfest statt, bei dem
es immer wieder zu
Dieser „Gewaltkultur“ möchte Ihr Programm entgegenwirken, indem es eine Friedenskultur fördert. Was genau
verstehen Sie darunter?
© German Zarama
Streitigkeiten kam.
Kultur beeinflusst die Einstellungen und Verhaltensweisen der Menschen. In manchen Ländern ist es vollkommen legitim, seine Ziele mit Gewalt durchzusetzen.
Insbesondere dann, wenn Gewalt funktioniert und
nicht geahndet wird. Und wir alle kennen die Diskussionen darüber, wie Filme, Musik und Videospiele
Gewalt verherrlichen, was letztlich dazu führt, dass vor
allem Jugendliche leichter gewalttätig werden. Doch es
geht auch anders: In Kolumbien gibt es ermutigende
Initiativen, die Kunst und Kultur einsetzen, um einen
konstruktiven Dialog zu ermöglichen. Das sind zum
Beispiel Jugend- und Frauengruppen oder kirchliche
Vereine. Wir versuchen diese Gruppen bei ihrer Arbeit
zu unterstützen und so einen konstruktiven Dialog zwischen staatlichen Instanzen und der Zivilgesellschaft zu
fördern.
Und wie sieht das konkret aus? Geben Sie uns bitte
Beispiele für Ihre Arbeit.
In Manizales, einer Provinzhauptstadt im Zentrum Kolumbiens, beraten wir ein „Netzwerk für Bürgerkultur“,
in dem sich Vertreter/innen der lokalen und regionalen
Verwaltung, von Universitäten und sozialen Organisationen engagieren. In einer öffentlichen Veranstaltung
thematisierten die Mitglieder des Netzwerkes die
Gewalt- und Mordrate in bestimmten Stadtvierteln.
Symbolisch durchbrachen sie die „Mauer des Schweigens“, die sich um die Opfer aufgetürmt hatte. Wir unterstützen das Netzwerk auch dabei, öffentliche Räume
wie Parks oder schwierige Stadtteilviertel durch künstlerische Aktivitäten wieder allen zugänglich zu machen.
Ein zweites Beispiel sind die in Kolumbien beliebten
Volksfeste. Jedes Dorf hat mindestens einmal im Jahr
ein solches Fest. Wir gehen den Festkomitees dabei
zur Hand, ihre Feierlichkeiten so umzudeuten, dass
sie nicht im Alkoholrausch mit Mord und Totschlag
enden, sondern eine friedliche Zusammenkunft aller
im Dorf lebenden Menschen sind.
Beim Volksfest in der Kleinstadt Labateca zum Beispiel
bewerfen sich die Feiernden üblicherweise mit Mehl
und Wasser, was ursprünglich Wohlstand und Zufriedenheit symbolisieren soll. Immer wieder kommt es dabei jedoch zu Prügeleien. Die Bürger nahmen sich vor,
den respektvollen Umgang miteinander zu thematisieren. Und es hat gewirkt: Das Fest verlief vergangenen
Februar ohne aggressive Zwischenfälle.
Und zu guter Letzt: Vor gut vier Jahren habe ich in
Kolumbiens Kaffeeregion junge Hip-Hop Künstler
kennengelernt, die in ihren Texten an ihre gefallenen
und verschwundenen Freunde erinnern. Die Musik
hat ihnen ihre Sprache wiedergegeben und sie ermutigt,
tabuisierte Themen anzusprechen. Diese Gruppe war
Teil eines Jugendgruppennetzwerkes. Dieses Netzwerk
haben wir im Rahmen eines Projektes beraten, das sich
um vertriebene Jugendliche kümmert.
© Thomas Ecke
18 19
„Wenn diese Flinte, die zum Töten gebaut worden ist, in ein Musikinstrument umgewandelt
werden kann, warum können wir Menschen, die nicht zum Töten geboren sind, nicht auch unser
Verhalten ändern?“, fragt der kolumbianische Musiker César López in einem seiner Lieder.
Die erste Begegnung mit dem Musiker César López und
seiner Escopetarra hat mich sehr beeindruckt und den
Weg für die kulturelle Arbeit im Programm geebnet.
Die Escopetarra – ein Maschinengewehr, das zur Gitarre
umgestaltet wurde – symbolisiert nicht nur den Wandel
vom Mordinstrument zum Musikinstrument, sondern
auch die Kulturleistung: Gitarre spielen und Musik
erzeugen ist weitaus schwieriger, als nur abzudrücken.
In Verbindung mit den entsprechenden Texten ist dies
eine wirksame „Waffe“ im Kampf gegen die Gewalt.
Was ist für Sie persönlich die größte Herausforderung bei
Ihrer Arbeit in Kolumbien?
Durch die lange leidvolle Geschichte ist die kolumbianische Gesellschaft traumatisiert. Es könnte der Eindruck entstehen, die bestehenden Initiativen seien
nur ein Tropfen auf den heißen Stein – die Gewaltstrukturen erscheinen immer stabiler als alles andere.
Daher ist die größte Herausforderung, die Hoffnung
nicht zu verlieren.
Wie nehmen die Menschen in Kolumbien diese kulturellen
Initiativen an?
Das Interview führte Anna-Lisa Zug, Mitarbeiterin der
Kolumbien ist kulturell enorm vielfältig: Selbst in abgelegenen Dörfern gibt es Geschichtenerzähler oder eine
jugendliche Hip-Hop Gruppe. Diese bereits vorhandene Kreativität motiviert neue Akteure, sich kulturell
zu engagieren. Auch hochsensible Themen können
über Fotografie, Theater oder Film angegangen werden.
Sogar staatliche Instanzen nutzen mittlerweile gezielt
künstlerische Instrumente, um zum Beispiel Vertriebene mit symbolischen Aktionen an ihre ursprünglichen
Wohnorte zu begleiten. In der Arbeit mit traumatisierten Menschen ist der künstlerische Ansatz oft die beste
Option.
Unternehmenskommunikation der GIZ in Berlin.
Info
Kunst- und Kulturprojekte sind Türöffner für die Friedensförderung in Konfliktregionen.
Damit Kulturarbeit in Krisen aber nachhaltig wirken kann, darf sie nicht nur einer kleinen
Elite in den Hauptstädten zugänglich gemacht werden, sondern muss auch die Massen in
den Provinzen erreichen. Zu diesem Ergebnis kamen die Teilnehmer/innen der Konferenz
„Kunst. Kultur. Konflikt.“, die Mitte Mai 2011 in Bonn stattfand. Jetzt ist eine Broschüre
Gibt es einen Moment, der Ihnen bei Ihrer Arbeit zur
Friedenskultur besonders in Erinnerung geblieben ist?
erschienen, die die Arbeit der Konferenz dokumentiert. Kontakt: [email protected]
왘 THEMA
gizBrief 4.2011
Burkina Faso
Sensibilisierung einmal anders
Wie ein Kreativitätswettbewerb einen wichtigen Beitrag zur Menschenrechtsarbeit in Burkina Faso leistet
Zum zweiten Mal fand in diesem Jahr in Burkina Faso ein Wettbewerb zum Thema Menschenrechte statt.
In diesem Jahr stand dabei das Recht auf körperliche und physische Unversehrtheit im Mittelpunkt.
Mit verschiedenen künstlerischen Ausdrucksformen oder auch journalistischen Texten setzten sich die Teilnehmer/innen
mit dem Thema auseinander, und es entstanden eindrucksvolle Werke. Veranstalter waren das Journalistennetzwerk
RIJ (Réseau d’Initiatives de Journalistes) und die burkinische Menschenrechtsorganisation MBDHB (Mouvement Burkinabè
des Droits de l’Homme et des Peuples) sowie die GIZ, die diese beiden Organisationen im Auftrag
© Sara Worch
des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung unterstützt.
Das Plakat
des Wettbewerbs 2011.
»
Schau um Dich, all die leidenden Frauen in den Geburtshäusern.
Es ist für sie sehr schwer, Leben zu geben.
Schau Dir das rinnende Blut Deiner Tochter an,
merkst Du nicht, dass sie ihr Leben verlieren kann,
dass sie nicht mehr gebären kann?
Und all das wegen der Exision.
«
S
o lautet der Text des Liedes „Dale“ (Nie wieder)
des burkinischen Musikers Issaka Nikiéma, das
Jury und Publikum gleichsam anheizte. Auch das
Gedicht „La flamme assoupie“ (Die eingeschläferte
Flamme) von Pengwendé Alexis Yaméogo thematisiert
auf eindrucksvolle Weise die Qualen einer beschnittenen Frau. Es ist Klagelied, Hilfeschrei und Anklage zugleich.
Nein, nie wieder, nie wieder so etwas!
Nein, stoppt die Exision von Frauen!
Keine Exision mehr, keine Exision mehr!
Die beiden Künstler sind zwei von insgesamt neun Preisträgern des Kreativitätswettbewerbs zum Thema Menschenrechte 2011, der in diesem Jahr bereits zum zwei-
ten Mal stattfand. Wie letztes Jahr stieß auch der diesjährige Wettbewerb, der dazu anregen sollte, sich auf
kreative Weise, zum Beispiel in Zeichnungen, Gedichten, Liedern, Zeitungsartikeln und Theaterstücken, mit
dem Thema Menschenrechte auseinanderzusetzen, bei
unterschiedlichsten Bevölkerungsgruppen und in weiten
Teilen des Landes auf großes Interesse. Insgesamt wurden 215 Werke eingereicht, davon die Mehrzahl in den
Kategorien Bildende Kunst und Literatur (weitere Kategorien waren: Darstellende Kunst, Musik und journalistische Produktionen). Der Großteil der Teilnehmer/innen stammt aus der Hauptstadt Ouagadougou, die für
ihre pulsierende Kunst- und Kulturszene bekannt ist,
aber auch aus anderen Regionen erreichten das Deutsche
Haus im August zahlreiche Beiträge.
Ging es im letzten Jahr um Menschenrechte allgemein,
lag der Schwerpunkt diesmal auf dem Recht auf körperliche und physische Unversehrtheit. Dies ist ein Thema,
das derzeit in Burkina Faso durch verschiedene Vorfälle
eine besondere Brisanz hat. Der Tod des Schülers Justin
Zongo, der im Frühjahr dieses Jahres von der Polizei
unter menschenunwürdigen Bedingungen festgehalten
und zu Tode malträtiert wurde, wurde von weiten Teilen der burkinischen Öffentlichkeit angeprangert und
führte zu einer Reihe gewaltsamer Auseinandersetzungen zwischen Schülern und der Polizei. Dies war Ausgangspunkt für eine Welle landesweiter Proteste, bei
denen unterschiedliche Bevölkerungsgruppen ihre
wachsende Unzufriedenheit mit dem Staat und den Lebensbedingungen zum Ausdruck brachten. Nicht
zuletzt ließen rebellierende Militärs, deren Proteste sich
zwar insbesondere gegen die staatlichen Autoritäten
richteten, die jedoch auch zu gewaltsamen Übergriffen
auf die Zivilgesellschaft führten, die Bevölkerung
zwischenzeitlich den Atem anhalten.
Menschenrechtsarbeit mit künstlerischen Mitteln
Vor diesem Hintergrund war es besonders erfreulich,
dass sich einige Werke des Wettbewerbs mit dieser
aktuellen Problematik auseinandersetzten. Weitere dominierende Themen waren sexuelle Gewalt, Gewalt in
Gefängnissen und Kriegen und körperliche Übergriffe
auf Hausmädchen. Trotz dieser Themenvielfalt ist
jedoch die große Anzahl der Werke hervorzuheben, die
sich dem Thema Genitalverstümmelung (auch Exision
oder Beschneidung genannt) widmen. So auch das Bild
„Donner la vie dans la douleur“ (im Schmerz Leben
geben) von Raissa Prioux Zaré, Gewinnerin des zweiten
Preises in der Kategorie Bildende Kunst. „Mit meinem
© Sara Worch
20 21
Raissa Prioux Zaré,
Bild möchte ich die schmerzhaften und oft verheerenden Folgen der Genitalverstümmelung für das Gebären
darstellen. Das rot auf dem Bild ist Blut; Blut, das das
Leben des Kindes symbolisiert, gleichzeitig aber auch
das Leid und die Gefährdung durch die Beschneidung.
In der Mitte des Bildes sieht man ein Kind, das geboren
wird. Es drückt den Mut der afrikanischen Frau aus, die
trotz dieser grausamen Praxis Leben gibt und bewahrt.“
Alle drei hier vorgestellten, wie auch die anderen eingereichten Werke, illustrieren auf beeindruckende und
sehr unterschiedliche Weise die Gedanken der Teilnehmer/innen zum Thema, die sie mal direkt, mal indirekt,
mal konkret oder aber eher abstrakt in ihren Beiträgen
zum Ausdruck bringen. Auf der feierlichen Preisverleihung konnten sich die Teilnehmer/innen ebenso wie
die geladenen Gäste hierüber ein Bild machen. Nun
sollen die eingereichten Werke (wie bereits letztes Jahr)
dazu genutzt werden, zum Beispiel bei Ausstellungen,
Diskussionsrunden und Kinder-Malworkshops für das
Thema zu sensibilisieren. Auch die Teilnehmer/innen
des Wettbewerbs selbst sollen in diese Veranstaltungen
einbezogen werden, um dadurch einen Dialog zwischen
Künstlern und Bevölkerung anzuregen.
Insgesamt ist der Wettbewerb auf bestem Wege, zu längerfristigen Synergieeffekten zwischen künstlerisch Inte-
Gewinnerin des
2. Preises
in der Kategorie
Bildende Kunst,
mit ihrem Werk.
왘 THEMA
© Lina Brink
gizBrief 4.2011
Dies bekräftigt auch die Koordinatorin für den Bereich
Zivilgesellschaft der GIZ in Burkina Faso, Birgit Lichtenfels, und lobt noch einmal das Engagement der beiden Kooperationspartner: „Vor dem Hintergrund einer
nach wie vor durch gravierende Rechtsverletzungen gekennzeichnete Menschenrechtssituation in Burkina
Faso übernehmen zivilgesellschaftliche Organisation wie
MBDHP oder das Journalistennetzwerk RIJ wichtige
Funktionen. Mit ihren Aktionen decken sie Menschenrechtsverletzungen auf, bieten Information, Aufklärung
und Beratung für Betroffene an und stellen eine breite
Öffentlichkeit her. In diesen Kontext reiht sich die GIZ
Förderung des Kreativwettbewerbs zu den Menschenrechten ein.“
Malwettbewerb
für Kinder im Rahmen
ressierten und Akteuren der Menschenrechtsarbeit
zu führen und dazu beizutragen, dass neue, kreative
Methoden für die Sensibilisierungsarbeit zum Thema
Menschenrechte geschaffen werden können. Gerade
aus diesem Grund nimmt der noch junge Wettbewerb
auch für den Präsidenten von MBDHP, Chrysogome
Zougmoré, bereits jetzt einen sehr wichtigen Platz in der
Menschenrechtsarbeit in Burkina Faso ein. Für ihn hat
Kunst – insbesondere die bildende Kunst – die Eigenschaft, den Betrachter auf ganz eigene Weise zum Nachdenken anzuregen, da sie, so Zougmoré, nicht nur die
primären Sinne, sondern auch den Geist und das Be-
© Ouoba Boukari
des Wettbewerbs 2010.
wusstsein anspricht. „Kunst drückt Gedanken von Individuen oder ganzen Gruppen aus und fordert wiederum
Individuen beziehungsweise ganze Bevölkerungsgruppen dazu auf, sich mit einer bestimmten Thematik auseinanderzusetzen, in unserem Fall mit dem Recht auf
körperliche und physische Unversehrtheit.“ Eine besondere Bedeutung misst er den Genres bei, die ohne geschriebenes Wort auskommen – zum Beispiel Musik,
Malerei oder auch Theater. „Auch wenn man nicht lesen oder schreiben kann, kann man in diesen Werken
nichtsdestotrotz ,lesen‘: mit seiner Kultur, seinem Glauben, seinen gesellschaftlichen Vorstellungen oder seinen
Werten. In diesen Beiträgen – auch denen, die nicht
ausgezeichnet wurden – sehe ich ein besonders großes
Potential für die Sensibilisierungsarbeit.“
Der Kreativitätswettbewerb zeigt anschaulich, wie Kultur – und im hiesigen Kontext ganz konkret Kunst –
genutzt werden kann, um die Entwicklung eines Landes
zu fördern und wie die Zivilgesellschaft dazu angeregt
werden kann, sich auf kreative Weise mit einem entwicklungsrelevanten Thema auseinanderzusetzen.
Viel zu häufig werden Kulturarbeit und Entwicklungszusammenarbeit als zwei unterschiedliche Paar Schuhe
betrachtet. Dass dies nicht zutrifft, zeigt das hier vorgestellte Projekt ganz deutlich. Und schon hoffen Viele,
dass es den Wettbewerb ein drittes Mal geben wird.
Sara Worch
Der Präsident
von MBDHP,
Chrysogome Zougmoré,
während der
diesjährigen
Preisverleihung.
Sara Worch ist Anglistin und Ethnologin
und seit Februar 2011 Entwicklungsstipendiatin
der GIZ in Burkina Faso
22 23
Mali
AIDS ist sichtbar – mach dir ein Bild davon!
HIV und AIDS sind auch in Mali
Themen, über die vor allem
© Heide Wegat
Ein Ausstellungsprojekt zur kultursensiblen Gesundheitsprävention
Jugendliche informiert und
aufgeklärt werden müssen.
Die malische Nichtregierungsorganisation JIGI (Hoffnung) hat
eine interaktive Ausstellung zu
HIV/AIDS, Liebe und Sexualität
unter dem Titel Le SIDA est visible,
fais-toi une image (AIDS ist sichtbar – mach dir ein Bild davon!)
entwickelt und im Kontext der
deutschen Entwicklungszusammenarbeit in Mali über viele Jahre
erfolgreich eingesetzt.
Schülerinnen beim
M
empfunden ist. An der Konzeption waren erfahrene
Mitarbeiter/innen der Gesundheitsprävention von JIGI,
zwei Künstler (der Kunstfotograf Alioune Bâ und der
Autor, Regisseur, Dramaturg und Musiker Lassana
Justin Yao), Schüler/innen von Partnerschulen und die
damals bei JIGI tätige Entwicklungshelferin des DED
beteiligt. Finanziert wurde die Ausstellung unter anderem mit Mitteln des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ).
Die Ausstellung Le SIDA est visible, fais-toi une image
wurde konzipiert, um vor allem Schülern und Schülerinnen unter professioneller Anleitung einen Austausch
zu HIV/AIDS und darüber hinaus zu Fragen im
Zusammenhang mit ihrer Sexualität zu ermöglichen.
Ziel war es, einen Kommunikationsraum zu schaffen,
der öffentlich zugänglich und andererseits den vertrauten Kommunikationsorten für sensible Themen nach-
Die Ausstellung untergliedert sich in drei Hauptbereiche: Der erste ist die Fotoausstellung: 20 Jugendliche
haben ihre Gedanken und Fragen zu HIV und AIDS
über das Medium Fotografie visualisiert. Die Fotografien entstanden in einem Workshop unter Anleitung
von Alioune Bâ. Der zweite Bereich sind verschiedenen
Stationen, an denen die Besucher/-innen über aktive
Beteiligung Wissen über HIV/AIDS erhalten und die
Besuch der
Ausstellung.
Stoffmuster
mit Motiven zur
Ausstellung.
© Heide Wegat
ali gehört mit etwa 1,5 Prozent zu den
HIV-Niedrigprävalenz-Ländern, nur sechs
Prozent der Bevölkerung kennen ihren HIVSerostatus, nur etwa 20 Prozent der malischen Bevölkerung verfügen über Grundkenntnisse zu HIV und
AIDS und die Kondom-Nutzung liegt bei circa einem
Kondom pro Person pro Jahr. Fragen rund um die
Sexualität und somit auch zu HIV/AIDS werden
weiterhin tabuisiert.
왘 THEMA
© Heide Wegat
gizBrief 4.2011
Animatricen
im Gespräch
mit Schülerinnen
im Lieu de tresse
eigene Meinung zur Diskussion stellen können. Die
geschieht zum Beispiel über Spiele wie das „Spiel der
Zukunft“, das von JIGI entwickelt wurde und unter
anderem die Ansteckungsrisiken verdeutlicht, oder eine
Pinnwand, auf der sich die Besucher/innen mit einem
eigenen Standpunkt zur Problematik HIV und AIDS
ablichten lassen können. Das entstandene Motiv wird
allen Besuchern und Besucherinnen zugänglich gemacht. Alle Stationen werden von erfahrenen Animateuren und Animatricen begleitet. Und der dritte Bereich, sozusagen das Herzstück der Ausstellung, ist eine
den traditionellen Kommunikationsorten Grin und Lieu
de tresse nachempfundenen Installationen, in denen sich
die Besucher/innen niederlassen und untereinander beziehungsweise mit den erfahrenen Animateuren/Animatricen austauschen können.
Grin und Lieu de tresse – Orte der Kommunikation
Grin und Lieu de tresse sind in der malischen Kultur
tief verankert. Bei Grin handelt es sich um männerdominierte Zusammenkünfte von Freunden, meist
unter freiem Himmel, bei denen sich diese in aller
Ruhe beim Tee über vielfältige Themen und intensiv
auch über das andere Geschlecht und Beziehungsfragen
austauschen. Das Äquivalent für Frauen stellt der Lieu
de tresse dar, ein Ort, an dem in stundenlanger Arbeit
die Haare geflochten und dabei Gespräche geführt werden. Der malische Kunstfotograf Alioune Bâ schuf für
die Ausgestaltung von Grin und Lieu de tresse großformatige erotische Fotografien, die die Träume und
Wünsche Jugendlicher beiderlei Geschlechts im Kontext ihres sexuellen Lebens widerspiegeln. Während in
der Gedankenwelt der Männer, die im Grin angebracht
wurden, überwiegend erotische Fotos des weiblichen
Körpers dominierten, wurde die Darstellung männlicher Körper im Lieu de tresse mit der Ablichtung materieller Güter wie Telefon und Auto ergänzt. Über den
Fotos wurde ein Geflecht aus miteinander verbundenen
und mit bunten Flüssigkeiten gefüllten Infusionsflaschen installiert, an denen in Kondomen verpackte Alltagsgegenstände aus dem jugendlichen Alltag (zum Beispiel Handys) hingen. Vor allem diese Installation und
die Fotografien waren Auslöser für Verwunderung und
Ausgangspunkt, miteinander ins Gespräch zu kommen.
Grin und Lieu de tresse sind während der Ausstellung
mittels Stellwänden oder großen Tüchern abgeschirmte
Orte, an denen eine private und vielleicht sogar intime
Atmosphäre entsteht, in der es leichter fällt, Fragen zu
Sexualität und HIV/ AIDS zu stellen. Als Animateure
und Animatricen agieren hier vor allem HIV-positive
Menschen, die von ihren Erfahrungen berichten, HIV
ein Gesicht geben und Berührungsängste abbauen. Im
geschützten Raum von Grin und des Lieu de tresse haben
die Besucher/innen auch die Möglichkeit, sich mit Hilfe
von Abbildungen dem ebenfalls tabuisierten Thema
Geschlechtskrankheiten zu nähern und sich mit den
daraus ergebenden Fragen an die Animateure und
Animatricen zu wenden.
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Interview
„Das war eine meiner positivsten Erfahrungen“
Heide Wegat bat Lassana Justin Yao, Autor, Regisseur, Dramaturg und Musiker (und mit
seinen vielfältigen Kompetenzen Kulturmanager und Berater für Kommunikation durch
Theater), der an der Gestaltung der Ausstellung „AIDS ist sichtbar – mach dir ein Bild
In der Ausstellung wurden Kunstfotografien und Fotografien von Schülern und Schülerinnen verarbeitet und
der Kern der Ausstellung und gleichzeitig intensivste
Kommunikationsort war eine ungewöhnliche Kunstinstallation. Damit unterschied sich dieses Projekt von
herkömmlichen Präventionsaktivitäten. Besonders
aufschlussreich war jedoch der intensive Prozess der
Auseinandersetzung und Annäherung zwischen den
Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen der lokalen Nichtregierungsorganisation (NRO) und den lokalen Künstlern, der fast unversöhnlich begann und nach intensiven
gemeinsamen Arbeitswochen mit einem gegenseitigen
Verständnis und Respekt endete. Es entstand ein
Ausstellungskonzept mit einer gelungenen Kombination aus Erfahrungswerten bei gesundheitspräventiven
Maßnahmen der NRO-Mitarbeiter/innen (die stark
von ausländischen Konzepten der Sensibilisierungsarbeit geprägt waren) unter stärkerer Berücksichtigung
lokaler kulturangepasster Elemente, die von den Künstlern als lokale kultursensible Kommunikationsspezialisten eingebracht wurden. So entstand auch unter Einbeziehung Betroffener ein kreativer gemeinsamer Schaffensprozess.
davon!“ maßgeblich beteiligt war, um einen Rückblick auf das Ausstellungsprojekt.
© Heide Wegat
Kultursensible Entwicklung der Ausstellungsidee
Die Künstler
Alioune Bâ
und Lassana
Justin Yao (r.).
Welches sind Deine Erinnerungen an das Ausstellungsprojekt?
Mir gefiel die Arbeit des Kunstfotografen Alioune Bâ sehr gut. Die Schüler/innen wurden
nicht nur in der Technik der Fotografie geschult, sondern sie erhielten vor allem die
Möglichkeit, mittels ihrer Fotografien über ein tabuisiertes Thema zu kommunizieren,
ohne dabei selbst verletzlich zu sein. Die meisten Fotos thematisieren Sex, den überwiegenden Weg der Ansteckung mit HIV in Mali. Für mich war das mutig und innovativ.
Ich sehe viele Möglichkeiten, innovative Ideen zu entwickeln, aber natürlich braucht es
dazu immer auch die entsprechenden Mittel.
Zu Beginn der Arbeit an der Ausstellungsidee prallten die verschiedenen kulturellen
Heide Wegat
Prägungen der Mitarbeiter/innen von JIGI, der Künstler und der Entwicklungshelferin
aufeinander, zum Beispiel auch hinsichtlich der Frage der Entscheidungshoheit.
Aber alle Beteiligten konnten im Prozess der Zusammenarbeit über sich hinauswachsen
Heide Wegat ist Rehabilitationspädagogin und Gesundheitswissenschaflerin und war von 2003 bis 2009 Entwicklungshelferin des DED in Mali und Mozambik.
und ein Team bilden, welches gemeinsam diese großartige Arbeit leistete.
Inwieweit unterschied sich die Zusammenarbeit von rein kulturellen Projekten
zur Sensibilisierungsarbeit im Bereich der HIV/AIDS-Prävention?
Die Mitarbeiter/innen von JIGI und die Künstler haben für das gleiche Ziel gearbeitet.
Die Beteiligung von Künstlern hat der Ausstellung in besonderem Maße geholfen,
tabuisierte Themen zu bearbeiten. Die Fotografien habe ich schon genannt, aber auch
Grin und Lieu de tresse als ein bedeutsamer Teil lokaler (Kommunikations-)Kultur
bilden den innovativsten Teil der Ausstellung. Die Theatergruppe „Welekan“ konnte
gleichzeitig ihr Wissen zur Problematik und ihre Erfahrungen mit einer direkten und
sehr offenen Kommunikation mit der Bevölkerung über ein die Ausstellung begleitendes
Theaterspiel einbringen.
Welche Erfahrung prägte Dich besonders bei der Zusammenarbeit?
JIGI hat in ihren Interventionszonen in verschiedenen Landesteilen das Ausstellungsprojekt in mobiler Variante fortgeführt. Als Künstler und Animateur war ich an der
stationären wie auch mobilen Ausstellung beteiligt und erlebte das Projekt als großen
Erfolg. Ich schätze die Art und Weise, wie die Ausstellung mit ihren innovativen Anteilen
konzipiert wurde. Für mich ist diese Ausstellung bis heute eine ideale Umsetzung präventiver Aufklärungsarbeit und gehört zu einer der positivsten Erfahrungen, die ich
machen konnte.
왘 THEMA
gizBrief 4.2011
Algerien
… und Action!
Zukunftsfaktor Kultur- und Kreativwirtschaft
Innerhalb der letzten zehn Jahren hat sich der Umsatz für Kreativgüter und -dienstleistungen weltweit nahezu verdoppelt
und macht inzwischen 3,4 Prozent des Welthandels aus. In Entwicklungsländern stammen 43 Prozent der Exporte
aus der Kreativbranche. Der Sektor bietet also Potenzial für die Gründung kreativer und zukunftsorientierter Unternehmen
und somit Beschäftigungsperspektiven. Vor diesem Hintergrund unterstützt das GIZ-Programm für Nachhaltige Wirtschaftsentwicklung
im Auftrag des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung in Algerien den Sektor der Kulturund Kreativwirtschaft seit Mitte 2009 beim Aufbau eines Netzwerkes engagierter Kreativer.
E
© GIZ
iner der ersten Meilensteine des GIZ-Programms
in Algerien war die Veranstaltungsreihe Diversité
2010 (Vielfalt 2010), die vor einem Jahr im prächtig restaurierten Hafenpalast „Palais des Raïs“, dem kulturellen Herzen Algiers, stattgefunden hat. In verschiedenen Fachseminaren tauschten sich algerische Kulturschaffende und -förderer über Chancen und Hindernisse – beispielsweise die mangelnde Vernetzung der
Akteure – der Entwicklung der Kultur- und Kreativwirtschaft (KKW) aus. Dass die Sensibilisierung durch
die GIZ-Programmaktivitäten einiges bewirken kann,
zeigte sich im Nachgang an die Veranstaltungsreihe: Die
algerische Kulturministerin brachte nach fast zwei Jahrzehnten der Verstaatlichung ein neues Gesetz für die
Privatisierung der Kinolandschaft in Algerien auf den
Weg. Auch die Bereiche Radio und Fernsehen sollen bis
Ende des Jahres privatisiert werden. „Daraus ergibt sich
ein enormes Potenzial für Unternehmen und Kulturschaffende, vom Maskenbildner über den Tontechniker, vom Skriptschreiber bis hin zum Kameramann. Der
ganze Sektor ist von Grund auf neu zu entwickeln“,
freut sich Baya Hachemi, eine der wenigen Filmproduzentinnen in Algerien, die auch während der „schwarzen
Jahre des Terrorismus“ Filme gedreht hat. Mit einer
Gruppe von Mitstreiterinnen gründete sie bereits vor
zehn Jahren den Verband der Filmproduzentinnen
Nouba. „Unser Land steht heute vor der großen Aufgabe, ein neues Bewusstsein für Kunst und Kultur
herauszubilden – wir müssen neu lernen, Bilder und
Kunst im Allgemeinen zu verstehen. Wir müssen die
Bürger für Kunst sensibilisieren.“ Genau um diese Aufgabe kümmert sich der Verband mit verschiedenen
Filmprojekten. Auf dem Filmfestival Afrikamera 2010
in Berlin beispielsweise konnte die algerische Delegation
um Baya Hachemi von diesen Ansätzen berichten. „Wir
profitieren sehr von der Zusammenarbeit mit der GIZ.
Sie bietet uns Künstlern und Kreativen eine Plattform,
um uns auszutauschen, zu netzwerken, zum Beispiel mit
anderen Kunstschaffenden oder Unternehmerinnen aus
der Region – eine Bereicherung. Nouba und andere Unternehmerinnenverbände werden vom GIZ-Programm
für Nachhaltige Wirtschaftsentwicklung in Algerien
und der Partnerorganisation „Sequa“, einer gemeinnützigen Gesellschaft der Spitzenverbände der deutschen Wirtschaft, unterstützt.
Baya Hachemi, Filmproduzentin und 2010
Mitglied der Jury
des Filmfestivals
Afrikamera in Berlin.
„Zukünftig können wir das Gelernte für unser Land
einsetzen, denn der Sektor Kultur- und Kreativwirtschaft schafft Arbeitsplätze, insbesondere auch für die
junge Generation und für Frauen, und er verbessert das
© Eva Näher
26 27
Mann mit Visionen:
Der Fotograf Rafik Zaïdi
vor seinem Bildern.
Image Algeriens in der Welt. Er ist die Zukunft“, ist sich
Baya Hachemi sicher und freut sich auf zukünftige
Filmprojekte, in denen sie gesellschaftliche Tabus offener ansprechen darf.
Studie zeigt Potenzial der Kultur- und
Kreativwirtschaft auf
Insgesamt befindet sich Algeriens Wirtschaft in einem
Transformationsprozess hin zu einer sozialen Marktwirtschaft. Der Sektor KKW kann dazu beitragen,
Wirtschaftspotenziale außerhalb des Erdölsektors zu
erschließen und Beschäftigung in neuen zukunftsträchtigen Bereichen zu schaffen. Gegenwärtig leiden
viele Künstler und Kreative in Algerien jedoch unter
den schwierigen Rahmenbedingungen und dem mangelnden Bewusstsein für das gesellschaftliche, ökonomische, politische und kulturelle Potenzial des
Wirtschaftszweiges. Daher gab das GIZ-Programm
für Nachhaltige Wirtschaftsentwicklung unlängst eine
Studie zu diesem Thema in Auftrag. „Der koordinierte
Wandel zu einer kreativen Ökonomie kann für eine
nachhaltige Entwicklung der algerischen Wirtschaft
einen wesentlichen Beitrag leisten. Wir sehen ein
großes Potenzial der Kultur- und Kreativwirtschaft in
Algerien. Hierfür nutzen wir die Studie als Katalysator.
Indem wir ihre Ergebnisse kommunizieren und den
Dialog anregen, schaffen wir ein breiteres Bewusstsein
und regen zu weiteren Aktivitäten an. Außerdem planen
wir einen Deutschlandbesuch unserer algerischen Partner, der das Thema Gründungsförderung für kreative
Unternehmer auf der Tagesordnung hat. Schließlich ist
diese ein wichtiges Instrument und spiegelt die große
Bedeutung des Sektors für die deutsche Wirtschaft
wider“, so die GIZ-Programmleiterin Marita Riedel.
Doch zurück zu den Kulturschaffenden im Hafenpalast
Palais des Raïs: Der Fotograf Rafik Zaïdi ist seit längerem mit der GIZ in Kontakt. Im Jahr 2009 nahm er an
einem Fotografen-Workshop der GIZ-Repräsentanz
Berlin zum damaligen Jahresthema des Unternehmens
in Johannesburg teil. In Algier schließlich gab er diese
Erfahrungen an seine Fotografenkollegen weiter und
realisierte gemeinsam mit ihnen eine Ausstellung im
Rahmen der Veranstaltungsreihe Diversité 2010. „Ziel
erreicht“, freut sich Randa Kourieh-Ranarivelo gemeinsam mit den GIZ-Programmverantwortlichen vor Ort.
„Wenn es uns gelingt, mit dem Fotografen-Workshop
einen Funken auszulösen, den die Teilnehmer dann in
ihre Länder weitertragen, das heißt, unsere Maßnahmen
im Bereich Kultur und Entwicklung gewinnbringend zu
verknüpfen und Sichtbarkeit und Wirkung zu erzielen,
dann sind wir auf dem richtigen Weg“, so KouriehRanarivelo, die in der GIZ-Repräsentanz Berlin für das
왘 THEMA
gizBrief 4.2011
Thema verantwortlich ist. Auch der algerische Fotograf
erinnert sich gerne an das Projekt, war es schließlich die
Initialzündung, um eine Fotografengruppe zu gründen.
Inzwischen ist die Kooperative dabei, eine gemeinsame
Druckerei für hochwertige Fotoerzeugnisse zu gründen
und so das Angebot an moderner Druckereitechnologie
in der Hauptstadt Algeriens zu verbessern. „Wir haben
gelernt, in der Gruppe zu arbeiten. Der Austausch war
für uns alle sehr wichtig. Wir profitieren von den Erfahrungen der anderen und entwickeln gemeinsam neue
Ideen und Problemlösungen“, so Zaïdi heute.
Handmade Design Algeria
© Eva Näher
Aktuell engagiert sich der Fotograf bei verschiedenen
Ausstellungen und in mehreren Buchprojekten, um den
bislang kaum existierenden Kunstmarkt in Algerien zu
fördern. „Viele Künstler in Algerien müssen in kommerziellen Bereichen tätig sein, um zu überleben. Gerade
der mangelnde Respekt des Urheberrechts stellt uns
vor Probleme.“ Dazu, wie auch zu anderen Themen,
tauscht sich Rafik Zaïdi mit anderen Kunstschaffenden
aus – zum Beispiel über die Dialogplattform, die im
Anschluss an Diversité 2010 ins Leben gerufen und
seither vom GIZ-Programm begleitet wird.
Eine der Künstlerinnen, die sich am jüngst angeregten
Austausch beteiligt, ist Hassiba Boufedji. Boufedji,
die ihren Abschluss als Designerin 2002 an der Universität der Schönen Künste in Algier erhielt, hat eine
eigene Werkstatt für Kunsthandwerk. „In meiner
Arbeit achte ich auf unser kulturelles Erbe, auf unsere
geschichtlichen Ursprünge und unsere Traditionen.
Ich transformiere und schaffe Objekte für die Belange
des modernen Lebens – insbesondere Möbel, Lichtinstallationen und Teppichweberei.“ Hassiba Boufedji
ist Mitglied von Handmade Design Algeria, einer
Gruppe von Handwerkern und Designern, die sich
bereits auf internationalen Messen präsentierte. Das
Programm für Nachhaltige Wirtschaftsentwicklung
der GIZ unterstützt die Gruppe bei der Vorbereitung
von Ausstellungen, zum Beispiel für die Internationale
Designwoche „Passagen“ in Köln oder die Messe
„Ambiente“ in Frankfurt. Außerdem haben die Kulturschaffenden von Handmade Design Algeria in einer
Serie von Fortbildungsveranstaltungen im Rahmen
einer Entwicklungspartnerschaft mit der Wirtschaft
(EWP) Grundlegendes über den europäischen Markt
lernen können, um ihr Angebot entsprechend auszurichten. So spielt die Wiederbelebung des traditionellen algerischen Teppichhandwerks beispielsweise
eine wichtige Rolle. Eine EWP mit einem deutschen
Teppichhändler ist seit 2010 in Vorbereitung, um
algerischen Teppichproduzenten den Zugang zum
deutschen Markt zu ermöglichen. „In unserem
Netzwerk achten wir auf traditionelles Handwerk,
Umweltaspekte, natürliche Färbetechniken und
einen Austausch von tradiertem und modernem
Design – die Handwerker bringen das überlieferte
Know-how mit, wir das zeitgemäße Design“, beschreibt Hassiba Boufedji die Idee von Handmade
Design Algeria. „Wir tauschen uns regelmäßig aus
und können gemeinsam Messe- und Ausstellungsbesuche organisieren, die ein einzelner so nie realisieren könnte. Gemeinsam – und insbesondere auch
mit der sich gerade etablierenden jungen Generation
von Kunstschaffenden – können wir die Kultur- und
Kreativwirtschaft vorantreiben.“
Eva Näher
Hassiba Boufedjis
Design fußt auf
jahrhundertealter
Tradition.
Eva Näher, Mitarbeiterin im Programm für
Nachhaltige Wirtschaftsentwicklung der GIZ in Algerien.
28 29
Nigeria
Das Phänomen Nollywood
Der nigerianische Film erobert den afrikanischen Kontinent
© pong
Vom Westen weitgehend unbemerkt ist in Nigeria seit
den neunziger Jahren eine der größten Filmindustrien
der Welt entstanden. In Anlehnung an Holly- und Bollywood
taufte man das Phänomen kurzerhand Nollywood. Wie konnte
Nollywood entstehen? Warum fehlen bei uns diese Bilder,
die Afrika von sich produziert? Diese und andere Fragen
stellte GIZ-Redakteurin Tanja Stumpff im Oktober 2011
der Filmemacherin und Journalistin Dorothee Wenner. Sie ist Delegierte
der Berlinale für Subsahara-Afrika und Indien. Ihr Dokumentarfilm „Peace Mission“ (2008)
gibt einen lebendigen Einblick in die nigerianische Filmindustrie.
Dorothee Wenner
D
ie Filmindustrie stellt national nach der Ölindustrie den zweitgrößten Arbeitsmarkt in Nigeria dar.
International befindet sich Nigeria in einer Liga
mit den USA und Indien (Spielfilmproduktionen:
Nigeria 872, USA 485, Indien 1091 / Stand: 2009,
Quelle: UNESCO). Seinen Umsatz macht Nollywood
mit Billig- und Schnellproduktionen. Da eine nennenswerte Kinolandschaft in Nigeria nicht existiert, fanden
die Filme zunächst auf VHS-Kassetten ihr Publikum
und werden heute auf DVD und VCD ausgewertet.
Außerhalb Afrikas und seiner Diasporagemeinde sind
die Filme kaum erfolgreich und präsent.
Das Phänomen Nollywood ist vor gut 20 Jahren scheinbar
aus dem Nichts entstanden. In welchem kulturellen und
medialen Umfeld ist das geschehen?
Trotz der hohen Analphabetenrate gibt es in Nigeria
eine starke literarische Tradition. In der Kultur der
Joruba spielt das Theater eine große Rolle, das nun
teilweise durch die DVD abgelöst wurde. Außerdem
reden die Leute sehr gerne. Das hört sich zwar profan
an, aber sie reden mit einer auffälligen Lust am dramatischen Element der Konversation.
Welche politischen und gesellschaftlichen Faktoren spielten
eine Rolle?
Am Ende der Militärdiktatur gab es das Bedürfnis,
alle Ausdrucksmöglichkeiten auszuschöpfen. Nollywood war auch eine Reaktion auf die repressiven
Abacha-Jahre. Während der Diktatur von Abacha
war es sogar verboten, einen Fotoapparat zu besitzen!
Hinzu kommen die hohe Analphabetenrate und eine
weit verbreitete Arbeitslosigkeit. Die Leute, vor allem
Frauen, haben trotz des anstrengenden Alltags viel Zeit.
Nollywood-Filme werden anders als bei uns rezipiert.
Wie schauen die Nigerianer Filme an?
In Nigeria sieht man Filme nicht alleine an. Man spricht
gerne beim Schauen. Es gehört dazu, das Gesehene zu
kommentieren. Es ist schwer zu sagen, ob Nollywood
deswegen spezielle Schnitttechniken entwickelt hat –
oder ob sich das „Reden beim Schauen“ als Reaktion
darauf entwickelt hat: Ein Beispiel für solche speziellen
Momente, die immer wieder auftauchen: Es klopft an
der Tür, der Held steht auf, öffnet die Tür, jemand
anders kommt herein und setzt sich hin. Diese Dinge
würde hier jeder Schnittmeister kürzen. Im nigerianischen Film besitzen diese Momente aber eben eine
Funktion.
Ist diese andere Art, Filme zu schauen und dementsprechend
zu gestalten, ein Grund dafür, warum Nollywood im Westen
nicht erfolgreich ist?
Als Delegierte der Berlinale werde ich manchmal gefragt: „Warum zeigt ihr diese Filme nicht?“ Die Antwort
ist kompliziert, aber tatsächlich eignen sich viele Nollywood-Filme aufgrund ihres technischen Standards, ihrer
Länge nicht für Festival-Aufführungen – und mutmaßlich würde das Publikum bald den Saal verlassen. Diese
Form des Kinos braucht ein Vorinteresse. Man muss
genau analysieren, für welche Märkte diese Filme wie
gemacht werden. Es gibt auch Filme aus Afrika, die sehr
왘 THEMA
© pong
gizBrief 4.2011
Filmwerbung
auf dem Alaba Market
in Lagos.
nuancierte Erzählformen besitzen. Sie sind aber ganz
anders als die Filme aus Nigeria, die speziell für diese
besonderen Rezeptionsformen entwickelt werden.
Der nigerianische Film erreicht sein Publikum auf DVD/
VCD. Die Low-Budget-Produktionen sind sehr stark an der
Nachfrage orientiert. Nach welchen Themen wird gefragt?
Religiöse Themen funktionieren nach wie vor sehr gut.
Die Kirchen spielen für die Gesellschaft eine extrem
wichtige Rolle. Aus meiner Perspektive birgt das ein
großes Sprengstoffpotenzial. In dem halb muslimischen,
halb christlichen Land benutzen die Kirchen Filme als
Seelenfänger. Die Religion ist auch ein Geschäft. Einmal war ich in einem Gottesdienst, in dem um Geld für
eine neue Sound-Anlage und ein neues Schlagzeug für
die Kirche gebeten wurde. Die Leute geben bereitwillig.
Wie sieht die Verbindung zwischen Kirche und Film aus?
Viele Kirchen besitzen eigene Filmstudios, und die
Filmschaffenden bringen ihre eigene enge Bindung an
diese oder jene Kirche in ihre Arbeit ein.
Gibt es andere, staatliche Förderinstitutionen für Film oder
Anlaufstellen für Filmschaffende? Wie sieht die Struktur
der Filmindustrie aus?
Die Stärke der Nollywood-Filmindustrie ist durch Unabhängigkeit und Staatsferne entstanden. Allerdings
sind die Filmschaffenden in Gilden organisiert und
nehmen das sehr ernst. Jeder einzelne Bereich besitzt
seine eigene Gilde. Es gibt so viele Gilden, dass der
oberste Chef von sich sagt: „I’m the president of presidents.“ Es gibt momentan noch keine klare Struktur.
30 31
Lässt sich im nigerianischen Kino eine Art Hoch- und
Populärkultur unterscheiden wie bei uns?
natürlich die Filmproduzenten das Interesse, da sie nur
noch reinbuttern.
Nein. Es gibt zwar einige Leute, die versuchen, einen
gewissen Anspruch umzusetzen, aber man kann die
Ergebnisse nicht als „Arthouse“ im westlichen Sinn
bezeichnen. Es gibt einige wenige afrikanische Filmschaffende in der Diaspora, die versuchen, etwas in
dieser Richtung aufzubauen beziehungsweise an ältere,
klassische Formen des Filmschaffens anzuschließen.
Der Filmmarkt ist zuvor zum zweitgrößten Arbeitsmarkt
Nigerias nach der Ölindustrie aufgestiegen. Trotz der
Größe des Marktes scheint sich an den niedrigen Budgets
der Produktionen nichts geändert zu haben.
Stichwort Diaspora: Auch im Ausland, zum Beispiel
in Antwerpen oder in Berlin, werden Nollywood-Filme
gedreht. Unterscheiden sich die Themen der Diasporagemeinde von denen in Nigeria?
Es geht natürlich um Diasporathemen, aber die sind
auch in den Filmen, die in Nigeria entstehen, sehr präsent. Migration ist generell ein großes Thema. Es ist unglaublich, wie viele Nigerianer nicht in Nigeria wohnen!
Zwillinge sind in diesem Zusammenhang sehr populär:
Ein Zwilling wächst in Amerika oder Großbritannien
auf, einer in Nigeria. Nach Jahren treffen sie sich wieder,
der eine ist ganz toll, der andere ganz böse geworden.
Es gibt ja auch etablierte Filmfestivals wie FESPACO in
Burkina Faso, die eine andere afrikanische Filmtradition
pflegen. Wie sieht das Verhältnis aus?
Nollywood ist sehr weit verbreitet und wird als Modell
in vielen Ländern Afrikas kopiert. Andererseits versucht
man im frankofonen Afrika, weiterhin das klassische
afrikanische Kino aufrecht zu erhalten. Das ist schwieriger geworden, seit EU-Förderstrukturen geändert und
Geldhähne zugedreht wurden. Gaston Kaboré aus Burkina Faso steht beispielsweise für diese Form des afrikanischen Kinos. Die Anzahl dieser Filme ist im Vergleich zu
Nollywood verschwindend gering: Fünf oder zehn stehen
einer momentan nicht mehr herauszufindenden Zahl
nigerianischer Filme gegenüber. Früher waren es 2.000
jährlich. Heute sind es weniger geworden, ich schätze
700, 800. Es gibt aktuell keine verbindlichen Zahlen.
Wie kam es zu dem Produktionsrückgang?
Das hat mit Piraterie zu tun. Beispielsweise existieren in
China zwei extrem aktive Websites, die wahrscheinlich
von Nigerianern betrieben werden. Sie verbreiten die
Filme, bevor sie eine kommerzielle Auswertung erfahren
haben, die in die Produktion zurückfließen könnte.
Wenn hauptsächlich die Piraten verdienen, verlieren
Brandneue Hollywood-Ware, die in Deutschland noch
nicht im Kino ist, ist in Nigeria auf den Schwarzmärkten für einen Bruchteil dessen, was nigerianische Filme
kosten, erhältlich. Daran sieht man, wie populär die
Filme sind. Warum sollten Filmproduzenten etwas verändern und mehr Geld investieren? Auf die Weiterentwicklung der Filmsprache hat man nicht genug Wert
gelegt, denn das ist immer teuer. Um beispielsweise
einen Film mit wirklich gutem Ton aufzunehmen,
benötigt man beim Dreh ein Drittel mehr Zeit, ganz
zu schweigen von der Postproduktion und der Tonmischung im Anschluss. Die Lebendigkeit der Industrie
ist einerseits toll, andererseits auch ein Hindernis, denn
natürlich sind Produzenten, die nur Geld verdienen
wollen, nicht besonders innovationsfreudig.
Ich habe gelesen, dass es in Nollywoodfilmen immer ein
Happy End gibt.
Das kann man so nicht mehr sagen, aber die Filme
besitzen alle eine ausgeprägte Moral. Düstere, pessimistische Filme, wie man sie aus Europa kennt, würden in
Nigeria nicht funktionieren. Der Triumph des Guten
über das Böse ist eine Voraussetzung dafür, dass sich der
Film kommerziell auswerten lässt.
Sollte der Westen Nollywood fördern oder ist das aufgrund
der eigenen Stärke unangebracht – ein Eingriff von außen,
der die Eigenständigkeit behindern würde?
Ich würde nicht von Eingriff sprechen und da ansetzen,
wo Nigerianer und andere Afrikaner unterstützt werden
möchten. Als Berlinale-Delegierte erhalte ich fast täglich
derartige Anfragen von Einzelpersonen, Regisseuren
oder Institutionen wie Filmschulen aus Afrika. Dabei
geht es nicht um Inhalte – und das finde ich wirklich
ganz toll –, sondern häufig um die Pre- und Postproduktion. Als Berlinale reagieren wir darauf zum Beispiel
mit den World Cinema Fund Factories. Das ist eine
vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung finanzierte Initiative, die
wir gemeinsam mit der Deutschen Welle Akademie
durchführen. In diesem Jahr gibt es zwei Pilotprojekte:
왘 THEMA
gizBrief 4.2011
Das erste hat schon in Burundi stattgefunden, die
zweite Factory findet jetzt im Oktober 2011 in Burkina
Faso statt. Gefördert werden Filme, die sowieso gemacht werden. Produzenten aus Afrika bewerben sich
bei unseren afrikanischen Partnern mit ihren Projekten
und beschreiben, wo sie Bedarfe sehen.
Wo seid ihr? Was wollt ihr? Die Förderung funktioniert
eben nicht so, dass wir hier in Berlin sitzen und sagen,
was gut für Afrika ist, nach dem Motto: Jetzt macht
doch mal ein paar Kurzfilme über AIDS. Auf so etwas
reagieren viele afrikanische Filmemacher allergisch.
Sollte die Kultur- und Filmförderung in Entwicklungsländern bei uns eine stärkere Rolle spielen?
Wie funktioniert so eine Factory?
Für die Factory in Ouagadougou (Burkina Faso) haben
wir gemeinsam mit einer Produzentin und Regisseurin
ein Training im Bereich Postproduktion und Schnitt
konzipiert. Insgesamt werden zwölf Cutter aus verschiedenen Firmen zusammenkommen, aber Zentrum des
ganzen Trainings ist ihr Film, den sie finanziert. Diese
Schulung hatte ein Jahr Vorlauf. Wir verwenden viel
Zeit, um mit unseren afrikanischen Partnern zu schauen:
Früher stand der Bau von Brücken, Schulen und Krankenhäusern im Vordergrund. Kultur wurde, wenn überhaupt, unter „Verschiedenes“ auf die Tagesordnung
gesetzt. Ich habe den Eindruck, dass sich das gerade
ändert. Das Pentagon stellt nun Anthropologen ein!
Ein Ziel in Afghanistan ist die Demokratisierung.
Möglicherweise kommt man da mit einem Film weiter
als mit einem Panzer. Damit bezweifele ich nicht die
Wichtigkeit des Aufbaus von Schulen und Bildungskonzepten, aber die Frage ist doch: Wie mache ich das?
© pong
Am Nollywood Filmset.
Welche Folgen hat das globale Fehlen der Bilder, die Afrika
von und für sich produziert?
Die Bilderlosigkeit hat sich verselbstständigt. Es ist, als
wäre ein ganzer Kontinent in einem schwarzen Loch
verschwunden. Sowohl für Afrika als auch für uns hat
das fatale Folgen. Man kann bei dieser entsetzlichen
Flüchtlingssituation anfangen, die auch darauf beruht,
dass in Afrika keine oder falsche Bilder von Europa
existieren. Andersherum herrscht bei uns ein immer
noch von Professor Grzimek geprägtes Afrikabild:
Da gibt es die Savanne, und in ihr stört der Mensch.
Bis heute wird mit einer wahnsinnigen Unwissenheit
über Afrika gesprochen! Wir haben zwar eine Kolonialgeschichte, aber keine Aufarbeitung derselben. Es gibt
viele Ängste und Irrationalität, die verhindern, dass wir
Afrika als das sehen, was es ist, und die zu Rassismen
führen. Übrigens: In Subsahara-Afrika (48 Länder,
750 Millionen Einwohner, die Red.) gibt es insgesamt
28 deutsche Korrespondenten, allein in Washington
D.C. 150 (siehe Lutz Mükke: Der Trend geht zum
Generalisten und Feuerwehrmann. Ein Dossier zum
Zustand der deutschen Auslandsberichtserstattung.
nr-dossier 2/08, Seite 4). Wenn man diese Zahlen weiß,
weiß man alles: Man weiß, warum keiner eine Ahnung
von Afrika hat.
Das Interview führte Tanja Stumpff, Redakteurin der GIZ.
32 33
Mali
Maskentänze der Dogon
Das Dogonland liegt im Osten Malis an
der Grenze zu Burkina Faso in Westafrika.
Bereits 1989 wurde das Dogonland mit
seiner Fläche von etwa 4.000 Quadrat-
© Angelika Frei-Oldenburg
Kulturerhalt und Armutsbekämpfung durch Förderung regionalen Brauchtums
kilometer und seinen 289 Dörfern von der
UNESCO zum Weltkultur- und Naturerbe
erklärt. Im Pays Dogon findet man in
einer spektakulären Felslandschaft ein
faszinierendes architektonisches Erbe.
Das Dogonland konnte bisher seine
traditionellen Bräuche und kulturellen
Praktiken bewahren – noch, denn auch
diese Region ist aufgrund des kargen
Lebens von der Landflucht bedroht.
Können kleine, regionale Festivals zum
Kulturerhalt einer Region beitragen
und zudem Einnahmen generieren?
Tanz der Kanaga
Masken im Ort Indellou.
U
m den Schutz des Kultur- und Naturerbes im
Dogonland kümmert sich die Mission Culturelle
de Bandiagara (MCB). Sie ist dem malischen
Kulturministerium unterstellt und als technische Behörde für das von der UNESCO klassifizierte Gebiet
zuständig. Bereits seit 1993 ist die MCB ein Projektpartner des DED, jetzt der GIZ und wird mit Mitteln
des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung gefördert.
Die MCB kümmert sich um die Konservierung, Inventarisierung und Restaurierung des Kultur- und
Naturerbes. Sie will die Bevölkerung für den Erhalt
ihres Kulturerbes sensibilisieren und berät zum Beispiel
beim Bau mit heimischen Materialien, beim Betreiben
von Dorfmuseen, bei der Inwertsetzung lokalen Handwerks oder bei der Durchführung von kulturellen Veranstaltungen. So unterstützte die MCB in den letzten
Jahren Dogondörfer bei der Revitalisierung alter Maskentänze. Auch im Dogonland gehen viele Bräuche und
Tänze zunehmend verloren. Das Leben auf dem Plateau
und in, beziehungsweise am Fuße der Felswände ist
hart. Immer wieder verlassen Menschen ihre Dörfer.
Damit geht aber auch ein schleichender Verfall des Kulturerbes und der Kulturlandschaft einher. Auf der anderen Seite ist in vielen Gesprächen – vor allem auch mit
der jungen Dorfbevölkerung – ein tiefer Stolz auf ihre
Kultur zu spüren. Hier wollten wir ansetzen: Einerseits
die junge Dorfbevölkerung in ihrem Stolz stärken, andererseits Einnahmequellen für das Dorf schaffen. Die
Dogon kennen ihre Kultur selbst am besten, doch sie
wünschen sich Unterstützung im Umgang mit Touristen und bei Vermarktungsmöglichkeiten.
Dabei funktioniert der Ablauf so, dass sich interessierte
Dörfer an die MCB wenden – nicht umgekehrt. Sie
sind grundsätzlich selbst für ihre Festivals verantwortlich. Seit drei Jahren werden nun schon Festivals für traditionelle Tänze in einigen Dörfern durchgeführt. Jeder
Ort hat seine individuelle Programmgestaltung und
Dauer. Alle gemeinsam wählten den Zeitrahmen Ende
Dezember/Anfang Januar. In der vergangenen Saison
im Dezember 2010/Januar 2011 waren Programmpunkte der Tanz der Frauen und der Tanz der Masken
mit unterschiedlichen Varianten. Darüber hinaus gab es
den Einzug der Jäger, den Tanz der Hirten und Hirten-
왘 THEMA
gizBrief 4.2011
© Pierre Guindo, MCB
tefragebögen, die während den Veranstaltungen an Touristen verteilt worden waren. Wichtig waren aber vor allem die Eindrücke und Erfahrungen der Bevölkerung
selbst. Gemeinsam diskutierte man Möglichkeiten der
Zusammenarbeit und plante die weitere Unterstützung.
Interessiert verfolgen
Bewohner von
Nombori die Präsentation der Ergebnisse
der Auswertung des
Festivals 2010/2011
durch die Entwicklungshelferin.
frauen, eine Präsentation der Schatztruhen der Frauen,
kurze Theatervorführungen zum Alltagsleben, zu Alltagskonflikten und es wurde das Flachsspinnen vorgeführt. Jäger und Medizinmänner traten auf und Gesänge der Alten wurden vorgetragen. Es handelte sich
bei diesen Festivals nicht um große Spektakel, die eine
Vielzahl an Touristen anlocken, sondern um kleine, von
jedem Dorf selbst organisierte Veranstaltungen.
Attraktion für Touristen und
Stärkung der Tradition
Die Saison Dezember 2010/Januar 2011 haben wir danach näher unter die Lupe genommen und folgende Erkenntnisse gewonnen: Die MCB hat sechs Gemeinden
unterstützt. Drei davon sind bekanntere Tourismusorte
mit entsprechender Infrastruktur. Die anderen drei sind
touristisch unbekannt Orte und teilweise schwer erreichbar. Die MCB befragte zunächst die sechs Dörfer anhand eines Fragenkatalogs nach ihren Zielsetzungen und
ihrem Festivalkonzept. Die Tourismusorte hatten vor
allem die Erwartung, mit den Festivals höhere Einnahmen durch Touristen zu erzielen. Primäres Interesse der
unbekannten Orte war dagegen die Stärkung ihrer Tradition und das gemeinsame Feiern. Die MCB nutzte die
Gelegenheit, auch Themen zum „nachhaltigen Tourismus“ anzusprechen. Ebenso war die Einbindung der
Frauen in die Programmgestaltung ein wichtiger Aspekt.
Die MCB konnte die Gemeinden davon überzeugen,
statt der ursprünglich geplanten Einzelaktionen und
Einzelplakate ein gemeinsames, professionell gestaltetes
Plakat zu produzieren. Damit wurden die Festivals von
den Besuchern als Teil eines gemeinsamen Festivalprogramms wahrgenommen. Die Co-Finanzierung erfolgte
durch die MCB, die Kommunen haben aber den größten Teil der Finanzierung selbst getragen. Interessant
war es, gemeinsam mit der Bevölkerung Bilanz zu ziehen: Die MCB präsentierte die Ergebnisse aus den Gäs-
Die Tourismussaison in Mali lief im vergangenen Jahr
eher schlecht. Trotzdem konnte einer der bekannten
Tourismusorte durch das Festival und aufgrund der
konsequenten Vermarktung weit mehr Besucher und
Einnahmen verbuchen als im Jahr zuvor. Auch die
anderen beiden Tourismusorte konnten eine positive
Bilanz ziehen. Ein weiterer ökonomischer Effekt ergab
sich für die Frauen in einem anderen der beteiligten
Orte: Während der Festivalsaison hatte sich vor allem
der Verkauf von Speisen und Getränken sowie
Indigo-Stoffen erhöht.
Stolz auf die eigene Kultur
Einnahmen sind wichtig, doch ein weiterer positiver
Effekt ist, dass sich der Stolz auf die eigene Kultur in
nahezu allen Orten gefestigt hat. Die junge Dorfbevölkerung entdeckt die eigene Identität wieder und feiert
mit den Altehrwürdigen begeistert ihre Festivals der
Masken – ob mit oder ohne Touristen. Studenten aus
Bamako gründen in ihren Dogon-Heimatdörfern Organisationen, um ihre Kultur und auch ihre Festivals wie-
34 35
derzubeleben. Schön ist auch, dass durch das Festival
der Zusammenhalt in den einzelnen Dorfteilen erhöht
wurde und das Gemeinsame stärker in den Vordergrund getreten ist.
Vieles steckt noch in den Kinderschuhen und die Aussichten für die Tourismussaison 2011/2012 sind nicht
rosig. Dennoch sind nahezu alle Dörfer 2011/2012
wieder dabei und auch neue Orte nehmen teil. Der
MCB wird im Frühjahr 2012 einen Leitfaden herausgeben, indem die Erfahrungswerte und unterschiedlichen Ansätze für andere Dörfer aufbereitet sind.
Diese Festivals sind ein Weg, den Kulturerhalt zu
unterstützen. Natürlich unterliegt alles dem zeitlichen
Wandel und der Verfall von Bräuchen ist ein natürliches Phänomen. Auch nicht alle Traditionen müssen
erhaltenswert sein. Es ist also umso wichtiger, dass die
Bevölkerung selbst entscheidet, ob ihnen die Maskentänze und die Pflege des Brauchtums in gemeinsamen
Veranstaltungen wichtig ist.
Angelika Frei-Oldenburg
Angelika Frei-Oldenburg ist Diplom-Betriebswirtin und
seit 2010 Entwicklungshelferin des DED/der GIZ in Mali.
Podiumsdiskussion
Vermarktung oder Chance?
„Welterbe Dogon – Vermarktung einer gefährdeten Kultur oder Chance für eine
nachhaltige Entwicklung?“ Dieser und anderen Fragen ging am 3. November 2011
eine Podiumsdiskussion in der Bundeskunsthalle nach.
„Glaubt jemand, fliegen zu können?“ Mit dieser Frage eröffnete die Moderatorin
Monika Hoegen die Diskussion und lieferte ein plastisches Bild der Lebensbedingungen
der Dogon. Wie Nester hängen ihre Siedlungen in den Felsvorsprüngen und -spalten
eines Sandsteinplateaus in Mali. Vor gut 500 Jahren ließ sich der Volksstamm auf der
Flucht hier nieder. In der Isolation der unzugänglichen Felslandschaft ist eine reiche
Kultur entstanden. 1989 wurde das Dogonland von der UNESCO zum Weltkultur- und
Naturerbe erklärt.
Welche Konsequenzen ergeben sich daraus? Können die Dogon ihr Erbe nutzen?
Auf dem Podium berichtete Lassana Cissé, Direktor der Mission Culturelle de Bandiagara (MCB), von drei Museen, die seine Organisation und die GIZ gemeinsam errichtet
haben, um Touristen anzulocken und gleichzeitig das Erbe zu bewahren. Die parlamentarische Staatssekretärin im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit
und Entwicklung (BMZ), Gudrun Kopp, bekräftigte, dass die behutsame Förderung eines
sanften Tourismus der richtige Weg sei, um das Erbe gleichzeitig wirtschaftlich zu
nutzen und zu bewahren.
Einwände erhielten die beiden von Stefan Schmid. Angesichts der aktuellen Reisewarnung für Mali sei der Tourismus zum Erliegen gekommen. Da falle er als Einnahmequelle weg, meinte der Afrikaforscher und Kurator mehrerer Afrika-Ausstellungen.
Als Folge würden die Einheimischen ihre Kulturgüter unter Wert verkaufen. „Der internationale Markt wird geflutet“, sagte er und fürchtete den kulturellen Ausverkauf des
© Angelika Frei-Oldenburg
Dogonlandes. Er forderte von der deutschen Entwicklungszusammenarbeit, Kulturgüter
für die örtlichen Museen zu erwerben, um so den Verbleib im Land zu sichern.
Das Dilemma zwischen Bewahrung und Ausverkauf ließ sich auch an diesem Abend
nicht lösen. Stattdessen entstand ein differenziertes Bild davon, was es bedeutet,
in einem der ärmsten Länder der Welt in einem Weltkultur- und Naturerbe zu leben.
Noch bis zum 22. Januar 2012 ist die Ausstellung „Dogon – Weltkulturerbe aus Afrika“
in der Bundeskunsthalle Bonn zu sehen. Das Begleitprogramm zur Ausstellung wurde
mit Unterstützung des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung und in dessen Auftrag mit der GIZ realisiert.
Tanja Stumpff, Redakteurin der GIZ
Webseite zur Ausstellung: www.kah-bonn.de/ausstellungen/dogon
Im Ort Gongo gehörte
ein Dogon-Tanz
der Frauen und Männer
zum Programm.
왘 THEMA
gizBrief 4.2011
Guatemala
Das Glück regnet nicht vom Himmel herab
Wer Entwicklung zugunsten
benachteiligter Bevölkerungsgruppen
© Sotz’il Jay
Darstellende Kunst und sozialer Wandel
bewirken will, sollte an ihrer kulturellen
Identität anknüpfen, sich auf ihre
Denkweise und Weltsicht einlassen.
Wirklich Einblick erhält aber nur,
wer auch ihre Sprache spricht.
Zu dieser Erkenntnis kam die Autorin,
die Kaqchikel, die Sprache einer
Mayagruppe in Guatemala, erlernte.
Die Sprache schloss ihr nicht nur
die Herzen der Menschen auf,
sondern gab ihr auch Impulse
für ihre Arbeit als Entwicklungshelferin.
„La danza de los nawales“ – ein Tanz der Gruppe Sotz’il. Die „nawales“ symbolisieren die Energien,
die uns antreiben.
»
Flöhe träumen davon, einen Hund zu kaufen
und die Niemand träumen davon, aus der Armut auszubrechen.
Sie träumen, dass an einem magischen Tag das Glück vom Himmel regnet,
von einem wahrhaftigen Wolkenbruch an Glück träumen sie.
Aber das Glück regnet nicht herab weder gestern, noch heute, noch morgen, niemals.
«
Es tröpfelt nicht einmal vom Himmel, da hilft auch kein Rufen.
(aus: „Der Niemand“ von Eduardo Galeano)
I
ch erinnere mich, dass das erste, was ich nach meiner
Ankunft in Guatemala an die Wand hängte, eine Fotokopie des Gedichtes „Die Niemand“ von Eduardo
Galeano war. Damals wusste ich noch nicht, dass diese
anscheinend unbedeutende Geste sich mit der Zeit als
eine Art Vorahnung herausstellen würde. Das war im
Juli 2007, ich war 29 Jahre alt, und ohne es zu merken,
begann für mich eine Erfahrung, die mein Leben für
immer verändern würde.
Sololá ist ein kleines, vorwiegend indigenes Dorf auf der
Hochebene Guatemalas. All jene Touristen, die in
kleine Busse zusammengepfercht und mit ihren Kameras bewaffnet, den Atitlánsee besuchen wollen, fahren
unweigerlich durch Sololá. Der erste Eindruck, den sie
dabei bekommen, ist, dass die Zeit dort stehen geblieben ist. Auf über 2.100 Meter Meereshöhe gelegen, erwacht Sololá jeden Tag über dem Atitlánsee, welcher
700 Meter tiefer liegt, so nah und doch so fern, umgeben von Vulkanen und eingehüllt in ein intensives Blau.
Ein Ort, der mit Worten schwer zu beschreiben ist.
Sololá ist auch eine der Provinzen Guatemalas, in der
die deutsche Entwicklungszusammenarbeit im Auftrag
des Bundesministeriums für wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit seit geraumer Zeit in der
ländlichen Wirtschaftsentwicklung arbeitet und Demokratisierungsprozesse unterstützt. Eine Provinz, in der
mehr als 90 Prozent der Bevölkerung Indigene sind, in
der es viel Armut und Unterernährung gibt und die
Mütter- und Kindersterblichkeit sehr hoch ist. Meine
Aufgabe als Entwicklungshelferin des DED war es in
Sololá, eine Partnerorganisation zu beraten, die sich für
eine gute lokale Regierungsführung mit einem angemessenen Genderansatz einsetzt. Das Projekt versucht Brücken zwischen den Bürger/innen und der lokalen Verwaltung zu schlagen, indem beide Seiten gestärkt werden. Der Erfolg erklärt sich aus der Tatsache, dass im
Laufe der Zeit sowohl der Respekt der Verwaltung als
auch wichtiger Führungspersönlichkeiten auf Gemeindeebene gewonnen werden konnte.
© Sotz’il Jay
36 37
Sprache ist Brücke zu anderen Denkweisen
Vielleicht weil ich Baskin bin, vielleicht auch aufgrund
meiner angeborenen Neugier, war mir bei meiner Ankunft in Sololá sofort klar, dass ich die Sprache der
größten Mayagruppe lernen wollte: Kaqchikel. An einem Ort wie Sololá, der durch eine hohe Analphabetismusrate und wenig allgemeine Schulbildung gekennzeichnet ist, jemanden zu finden, der mir die Sprache
beibringen könnte, war kein leichtes Unterfangen.
Doch schließlich erhielt ich die Telefonnummer von
einem der Mitglieder des Kulturzentrums Sotz’il Jay.
Das Kulturzentrum Sotz’il Jay ist eine Jugendorganisation, die sich seit dem Jahr 2000 für die Förderung und
Verbreitung der präkolumbischen Mayakunst einsetzt.
Die Kunst ist für die Mayas ganzheitlich: Musik, Tanz,
Theater und Spiritualität fügen sich zu einem Ganzen.
Das war schon immer so, seit dem Beginn dieser großen
Zivilisation. Sotz’il Jay ist das Resultat eines Traums und
einer Suche, der Suche des 20-jährigen Lisandro Guarcax
González nach seinen Wurzeln. Vielleicht lag es an seiner
unkonventionellen Natur, oder daran, dass er Visionär
war: Mit dem Leben der anderen Jugendlichen konnte
er sich nicht identifizieren. Stattdessen führte er lange
Gespräche mit den Ältesten der Gemeinde, und so begann er sein Zugehörigkeitsgefühl und seine Identität als
Maya-Kaqchikel wiederzugewinnen. Andere Jugendliche
schlossen sich ihm an und es entstand das Kulturzentrum
Sotz’il Jay, das heute zu einer weltweiten Referenz für
präkolumbische Kunst geworden ist.
Die Monate vergingen und die Regenzeit machte dem
blauen Himmel Platz, vor dem die Vulkane aussahen,
als wären sie Ausschneidefiguren für Kinder. Langsam
nahm mein Kaqchikel-Wortschatz zu und das erlaubte
mir, Unterhaltungen auf dem Markt zu führen. Ich
merkte, wie ich durch die Sprache die Herzen der Menschen erreichen konnte. Sprachen sind Räume des interkulturellen Dialogs, Brücken, die uns mit anderen Kosmovisionen verbinden, mit anderen Denk- und Sichtweisen, mit einer anderen Art zu fühlen. Wenn wir die
Das Theaterstück
Sprache der Menschen, mit denen wir arbeiten, kennen,
bekommen wir ein ganz anderes Verständnis des Arbeitskontextes.
Mit Theater Entwicklungsprozesse fördern
Mit dem Bewusstsein der enormen Bedeutung sowohl
der Sprache, der kulturellen Formen und der Kosmovision der Maya für unsere Arbeit, begannen wir im
DED, die Arbeitsweise der Partnerorganisation zu hinterfragen. Sie orientierte sich eher an einem belehrenden
Bildungsmodell, am geschriebenen Wort und am linearen westlichen Gedankengut, ohne zu hinterfragen, ob
es andere Formen und Instrumente gibt, die besser zum
Denken und zur Kosmovision der Mayas passen. Die
Gruppe Sotz’il, mit ihren zu diesem Zeitpunkt mehr als
sieben Jahren Erfahrung in den bildenden Künsten, war
ein perfekter Alliierter, um kulturangepasst zu arbeiten
und die Aneignung der Entwicklungsprozesse durch die
indigene Bevölkerung zu fördern.
So kam es, dass Sotz’il gemeinsam mit anderen Jugendgruppen Theaterstücke erarbeitete, die sich um Themen
wie Bürgerbeteiligung, Gender und Umwelt drehen.
Zuerst ging es darum, in ihren Gemeinden anerkannte
Jugendliche für wichtige Themen der kommunalen
„Oxlajuj B’aktun“
erzählt davon,
was das Jahr 2012
für die Mayas bedeutet.
gizBrief 4.2011
Entwicklung zu sensibilisieren, sie auszubilden und zu
stärken. In diesem ersten Schritt bildeten sich die Jugendlichen Meinungen zu Themen, die ihre eigene Entwicklung und die ihrer Gemeinden betrafen und sammelten Ideen. Darauf aufbauend entwickelten sie Theater- und Musikstücke sowie Tänze, um sie danach in ihrer Gemeinde aufzuführen. In einem zweiten Schritt
wurden die Theaterstücke dann aufgeführt und so die
Gemeindemitglieder weitergebildet, für die behandelten
Themen sensibilisiert und das kulturelle und linguistische Selbstbewusstsein der Mayabevölkerung wurde
gestärkt. Denn die, die auf der Bühne standen, sprachen
in ihrer Sprache, mit ihrer Sicht auf die Welt und kleideten sich wie sie. Dieses Mal waren die „Wichtigen“,–
die, die etwas zu sagen haben, denen applaudiert und
zugehört wird– wie sie. So konnten Botschaften kulturell angemessen vermittelt und Entwicklungsprozesse
auf Seiten der Bevölkerung angestoßen werden.
Nach dem Erfolg dieser ersten Pilotphase sind in den
Gemeinden lange Powerpointpräsentationen den kulturellen Ausdrucksformen der Mayas gewichen, die seit
Hunderten von Jahren ihr Wissen von Generation an
Generation weitergegeben haben.
Durch diese Erfahrung konnten wir aus der Praxis
heraus zeigen, dass die kulturellen Ausdrucksformen
ein enorm wichtiges Werkzeug in der Entwicklungszusammenarbeit mit den indigenen Völkern sind.
Völker, die Übermittlungsformen haben, die auf dem
Visuellen basieren, auf Kunst und auf der Sprache, dem
Erzählen. Die Kunst kann so, sofern sie politisch und
nicht rein folkloristisch ist, ein einmaliger Raum für
soziale Transformation sein. Vielleicht werden deswegen Künstler und Künstlerinnen weiterhin von den-
Weitere Informationen
Kulturzentrum Sotz’il Jay: www.gruposotzil.org
Bewegung „Tu Corazón Florece“ (Dein Herz blüht): tucorazonflorece.blogspot.com
© Sotz’il Jay
왘 THEMA
Lisandro Guarcax González
jenigen verfolgt, die versuchen, Strukturen der Ungleichheit und Diskriminierung aufrechtzuerhalten,
unter denen Guatemala und viele Länder des Südens
leiden. Vielleicht wurde deswegen auch am 25. August
2010 Lisandro Guarcax González, Gründer und Koordinator des Kulturzentrums Sotz’il Jay, Künstler,
Lehrer und guter Freund entführt, gefoltert und getötet.
Er wurde 32 Jahre alt. Seine Ermordung löste eine in
der Geschichte Guatemalas noch nicht erlebte Bewegung aus. Zum ersten Mal erhoben Künstler und
Künstlerinnen ihre Stimme und formulierten ihren
Anspruch, Protagonisten des sozialen Wandels zu sein.
Es entstand die Bewegung „Dein Herz blüht“, die nun
mehr als ein Jahr nach der Ermordung von Lisandro ihren Aktionsradius über die Grenzen Guatemalas hinaus
ausgeweitet und begonnen hat, Allianzen mit anderen
Künstlern und Künstlerinnen des Kontinents zu knüpfen. Sie setzen so das um, was Lisandro so oft gesagt hat:
„Der einzige Weg, der garantiert, dass unser Angebot
nicht folklorisiert wird, ist es vom Politischen aus zu
konstruieren. Nur so ist es möglich, die ursprüngliche
Kultur durch die Kunst wiederzuerlangen.“ Lisandro
wusste, dass das möglich war. Und diese Überzeugung
kostete ihn das Leben. Doch seine Liebe zur Kunst und
sein Engagement haben etwas ausgelöst, was von den
Menschen, die ihn kannten, weitergetragen wird.
Film zur Präsentation des Stückes „Oxlajuj B’aktun“ der Gruppe Sotz’il:
Maider Iriarte
www.youtube.com/watch?v=tJKfSMOFc6M&feature=related
Dokumentation: “Una gota de danza por la Vida”: http://vimeo.com/10674992
Maider Iriarte ist Kommunikationswissenschaftlerin
Gumucio-Dagron, A. (2001): Making Waves:
und war von 2007 bis 2010 Entwicklungshelferin des DED
Participatory communication for social change, CFSC Consortium, New York.
in Guatemala.
왘 MEINUNG
38 39
gizBrief 4.2011
© Klaus Wohlmann
Frauen in Burkina Faso kleiden sich in künstlerisch gestaltete Stoffe - ein Ausdruck ihrer kulturellen Identität.
„Kultursensibilität“ als elementare Voraussetzung
für Entwicklungszusammenarbeit
Eine Annäherung an die Thematik aufgrund eigener Erfahrungen
In der Entwicklungszusammenarbeit gibt es viele Themen, die für alle oder nahezu alle Arbeitsbereiche von großer Relevanz sind.
Sie werden als sogenannte Querschnittsthemen identifiziert, und ihre Bedeutung soll allen durch aktive Bewerbung vermittelt werden.
Dies war auch langjährige Aufgabe der Autorin und sie weiß um die Schwierigkeiten, den Kolleginnen und Kollegen ein
Querschnittsthema nahezubringen. Aber sie hat auch erfahren, wie wichtig es ist, bestimmte Themen breit in der Arbeit zu verankern.
In diesem Beitrag stellt sie die Frage, ob kultursensibles Arbeiten nicht als ein solches Querschnittsthema verstanden werden sollte.
Q
uerschnittsthemen rufen häufig reflexartige Abwehrreaktionen hervor, da es ihrer zahlreiche gibt
und sie als zusätzliche und nicht immer nachvollziehbar sinnhafte Aufgabe verstanden werden. In sechs
Jahren Zuständigkeit vor allem für das Querschnittsthema HIV/AIDS konnte ich mich ausführlich mit den
Vor- und Nachteilen der Herausstellung von Querschnittsthemen beschäftigen und ausprobieren, wie sich
diese überzeugend in die Alltagsarbeit einpassen lassen
und wann es sinnvoll ist, darauf zu verzichten. Im Zusammenhang mit dem Thema „Kultur und Entwicklung“ scheint mir die Frage dringlich, ob nicht auch
kultursensibles Arbeiten als verbindliches Querschnittsthema definiert werden kann. Mein Fazit nach den Jahren in der Entwicklungszusammenarbeit ist, dass ich
selten dazu Stellung nehmen musste, inwieweit ich
kultursensibel agiere. Es wurde als notwendige Arbeitsvoraussetzung angenommen, jedoch selten überprüft.
Wenn ich recherchiere, was zum Thema „Kultur und
Entwicklung“ während der letzten Jahre verfasst wurde,
finde ich zahlreiche Dokumente, Berichte von Workshops, Symposien, Konferenzen, Informationen über
vergangene und aktuelle Herangehensweisen, Projekte
und anderes mehr. Bei diesen Literaturstudien entsteht
bei mir der Eindruck, das Thema sei im entwicklungspolitischen Alltag gegenwärtig. Das hat sich in der
Praxis so nicht dargestellt.
Befragte ich Akteure der Entwicklungszusammenarbeit,
inwieweit Kultursensibilität für sie relevant sei, lauteten
typische Antworten unter anderem: „Es gab in unserem
왘 MEINUNG
gizBrief 4.2011
gegneten mir unter anderem: Ist es zum Beispiel kultursensibel, wenn ein großer Teil von Dokumenten nicht
in der Sprache des Partnerlandes verfasst ist und diese
somit nicht von den Partnern gelesen, kommentiert und
modifiziert werden können? Wenn Meetings in einem
Umfeld stattfinden (vorzugsweise in Hotels), welches
mit der Arbeits- und Lebensrealität der meisten Teilnehmer/innen (auch meiner eigenen) keine Berührungspunkte hat? Wenn Geber fertige Projektkonzepte vorgeben, die die lokalen Partner umsetzen sollen, ohne
die Maßnahmen entsprechend eigener Erfahrungen
modifizieren zu können?
Land mal eine Entwicklungshelferin, die beschäftigte
sich mit einem ganz speziellen Stamm und seiner Kultur.“ Oder: „Wir nutzen Theater zur Anregung von
Verhaltensänderungen im Bereich reproduktive Gesundheit.“ „Wir hinterfragen seit Jahren unsere Projekte
auf Kultursensibilität und sehen keinen Handlungsbedarf, uns mit der Thematik besonders auseinanderzusetzen.“ „Kultursensibilität ist uns seit vielen Jahren
ein Herzensanliegen und Grundsatz unserer Arbeit.“
Aus meiner Erfahrung im Bereich HIV/AIDS und
reproduktive Gesundheit weiß ich auch, dass ein Bewusstsein für die Notwendigkeit, sich kulturspezifisches
Wissen anzueignen, oft vorhanden ist (zum Beispiel
hinsichtlich der Art und Weise der Kommunikation
sensibler Themen), aber daraus nicht immer konsequent kultursensibles Handeln erfolgt. Vor allem Zeitdruck (während der Konzeption, Umsetzung und Beendigung von Projekten, Maßnahmen und Aktivitäten)
und voreilige Identifizierung von Kooperationspartnern
auf der Basis unzureichender Auswahlkriterien kann ich
als Hauptgründe für dieses Defizit ausmachen.
Junge Frau
Schon beim Versuch, diese exemplarischen Fragen zu
beantworten, wird deutlich, dass wir nicht ausreichend
kultursensibel unterwegs sind. Und wenn wir uns dem
Anspruch stellen, kultursensibler arbeiten zu wollen,
tun wir das dann, um für unsere Zielsetzungen entwicklungsfreundliche Rahmenbedingungen zu schaffen oder
weil wir akzeptieren, dass das, was als Entwicklung definiert wird, in entscheidendem Maße von unserer lokalen und von ihrer Kultur geprägten Zielgruppe abhängt?
Wann im Arbeitsalltag kamen uns Zweifel, ob das, was
wir tun, wirklich kultursensibel ist? Folgende Fragen be-
Kultur – Stolperstein oder Motor?
© Thomas Müller
aus Ambato, Ecuador.
Nehmen wir kulturelle Besonderheiten und auch kulturelle Vielfalt als Motor oder als Hemmnis wahr? Wie
können wir unsere Interpretation der Welt relativieren
und uns trotzdem aktiv und zielorientiert einbringen?
Schaffen wir es, Zweifel und Fragen zu wertschätzen,
auch wenn die Lösungen in weiter Ferne scheinen?
Können wir Differenzen akzeptieren, gegenseitige Achtung und Toleranz bewahren, auch wenn wir dadurch
den eigenen Zielvorstellungen nicht näher kommen?
Warum werden spezifische kulturelle Fertigkeiten,
Wissen und Erfahrungen zu den jeweiligen Lebensumständen eher als Stolpersteine verstanden und nicht
als Ausgangspunkt für Veränderungsprozesse? Warum
werden kulturelle Differenzen gegenüber gestellt und
nicht kulturelle Vielfalt als Entwicklungschance für kultursensible Entwicklungspolitik definiert? Warum wird
der Kulturbegriff im Kontext der Entwicklungszusammenarbeit häufig zu eng und eher als Kunstbegriff verstanden? Warum werden Künstler/innen, die sich über
ihre künstlerischen Ausdrucksformen, ihr selbstbewusstes, kreatives Handeln und ihre Kenntnis lokaler Kommunikationsformen als Fürsprecher/innen gesellschaftlicher Veränderungsprozesse eignen, als solche zu selten
in Veränderungsprozesse einbezogen (ohne instrumentalisiert zu werden)? Was ist Voraussetzung dafür, dass
Gesellschaften in einer selbstbewussten und kreativen
40 41
Diese Fragestellungen sind nicht neu, aber im Arbeitsalltag habe ich viel zu selten darauf Antworten gefunden, die mir als konkrete Handlungsalternativen dienen
konnten. Und ich habe mir nicht die Zeit genommen,
beziehungsweise nehmen können, nach den Antworten
ausführlicher zu suchen.
„Saying it
the african way“,
Slogan an
© Sabine Hage
Art und Weise Verantwortung für sich übernehmen
und was kann unser Beitrag dazu sein? Wie stellen wir
uns auch im entwicklungspolitischen Alltag der digitalen Kultur, die sich schon jetzt aufgrund ihrer globalen
Reichweite zu einer der stärksten Mischkulturen entwickelt und mit ihrem gigantischen Ausmaß an Interaktion Veränderungsprozesse anstoßen kann?
Voraussetzungen für kultursensibles Arbeiten
Kultursensibles Arbeiten ist untrennbar verbunden mit
interkultureller Kompetenz aller Beteiligten. Dazu gehört es, angemessen miteinander Kontakt aufzunehmen, sich auszutauschen und sich so lange miteinander
zu verständigen, bis eine tragfähige Lösung für alle
Beteiligten ausgehandelt ist (die nicht immer die effektivste sein muss). Möglich wird das nur auf der Basis
von Bewusstheit für die eigene Kultur, Wissen über
einer Hauswand
in Pretoria,
Südafrika.
die andere Kultur und Gewissheit der immer größer
werdenden Kulturmixturen. Und die Geduld, der es zu
einer Konsensfindung bedarf, lässt sich nur aus einem
Bewusstsein für die Relativität von Standpunkten und
grundsätzlicher gegenseitiger Wertschätzung generieren.
Akteure in der Entwicklungszusammenarbeit müssen
sich dabei immer wieder selbst hinterfragen, inwieweit
sie interkulturell sensibel und kompetent in Bezug auf
eine spezifische Zielkultur sind oder über eine interkulturelle Kompetenz als grundsätzliche Arbeitseinstellung
verfügen. In Abhängigkeit von der Beantwortung dieser
Frage müssen sich auch vorbereitende, beziehungsweise
begleitende Trainings zur interkulturellen Kompetenz
gestalten.
Vorschlag für eine Checkliste zur Abfrage der Kultursensibilität
von Programmen und Projekten
Wie bei der Umsetzung anderer Querschnittsthemen werden Akteuren keine
4. die soziale, ökonomische oder kulturelle Situation der lokalen Bevölkerung
Antworten sondern Fragen an die Hand gegeben. Für das Thema Kultur-
oder von Teilen von ihr (zum Beispiel geschlechtsspezifischen oder eth-
sensibilität können das Fragen nach den Wechselwirkungen zwischen
nisch bestimmten) auf eine Art und Weise beziehungsweise mit einem
sozialen, kulturellen, ökonomischen und ökologischen Aspekten sein:
Tempo ändern, dass dies zum Verlust der kulturellen Identität führt?
Könnte das Projekt
5. die traditionellen Handels-, Tausch- oder Verteilungsregeln auf eine Weise
1. mit formalen Rechten oder dem traditionellen Rechtssystem der lokalen
ändern, dass sich erhebliche oder negative Veränderungen im sozio-ökono-
Bevölkerung oder Teilen von ihr (zum Beispiel geschlechtsspezifischen
mischen, geschlechtsspezifischen oder kulturellen Gleichgewicht ergeben?
oder ethnisch bestimmten) in Konflikt geraten?
2. in Hinsicht auf die Besitzrechte, die bestehende Nutzung von Land, Wasser,
Bäumen und anderer Vegetation und/oder zwischen verschiedenen lokalen
Nutzern Konflikte verursachen?
3. die soziale, ökonomische oder kulturelle Situation der lokalen Bevölkerung
oder von Teilen von ihr (zum Beispiel geschlechtsspezifischen oder eth-
6. zu einem Verlust an traditionellem Wissen, traditionellen Wissenssystemen
oder intellektuellen Eigentumsrechten führen?
7. in Gebieten liegen oder unerwünschte Auswirkungen auf Gebiete haben, die
von besonderer sozialer, kultureller und historischer Bedeutung für die Bevölkerung (zum Beispiel Gruppen mit traditioneller Lebensweise, indigene
Gruppen, religiöse Minderheiten) sind?
nisch bestimmten) auf eine Art und Weise verändern, dass ein zunehmender Druck auf die natürlichen Ressourcen ausgeübt wird und die lokale
Bevölkerung Gefahr läuft, ihre natürlichen Ressourcen, beziehungsweise
den Zugang zu ihnen zu verlieren?
(In Anlehnung an Prof. Dr. Brigitte Fahrenhorst, Technische Universität Berlin,
Forschungsarbeit im Auftrag des österreichischen Außenministeriums)
gizBrief 4.2011
© Britta Radike
왘 MEINUNG
Straßenszene
in Feyzabad,
Afghanistan.
Grundsätzlich können folgende Ansprüche formuliert
werden:
T Es braucht offenen Dialog und genügend Zeit, damit
alle Beteiligten die eigenen Bedürfnisse und Ziele darstellen und ein gemeinsames Vorgehen definieren
können.
T Respekt, Neugier, Toleranz und Verantwortlichkeit
unterstützen eine Zusammenarbeit.
T Differenzen dürfen nicht geleugnet werden. Reichtum, Machtverhältnisse und verschiedene Arten von
Expertise schaffen Differenzen, mit denen offen umgegangen werden muss.
T Interessen müssen ehrlich definiert und dürfen nicht
verleugnet werden. Geld verdienen, Impulse für die
eigene Arbeit und das persönliche Leben erhalten, die
Karriere voranbringen, das sind Dinge, die auf beiden
Seiten häufig eine entscheidende Rolle spielen und
guten Arbeitsergebnissen nicht im Wege stehen
müssen.
T Entwicklungszusammenarbeit löst keine Probleme einer Gesellschaft, sie kann nur Anstöße geben. Dementsprechend müssen die Zielvorstellungen inhaltlich
wie zeitlich realistisch formuliert werden.
vorsichtig sollten wir damit sein, Konzepte für Maßnahmen in anderen Ländern zu formulieren. Gleichzeitig bietet es sich an, zu hinterfragen, aus welchen
Lösungsansätzen unserer lokalen Kooperationspartner wir bereichernden Input schöpfen können.
T Die lokalen Partner entscheiden, wie stark sich Maßnahmen ihrer Kultur anpassen und Veränderungen
anstoßen.
Auch wenn kultursensibles Handeln und die Thematik
„Kultur und Entwicklung“ in vieler Munde sind, sind
konkrete Handlungsrichtlinien zur Abfrage und Überprüfung kultursensiblen Handelns im Arbeitsalltag der
Entwicklungszusammenarbeit noch nicht ausreichend
vorhanden. Es kommt in besonderem Maße auf das Interesse und den Mut des Einzelnen an, sich dieser Frage
konsequent bei Planung, Umsetzung und Evaluierung
zu stellen. Wünschenswert für die nahe Zukunft ist eine
stärkere Auseinandersetzung mit operativen Fragestellungen zum kultursensiblen Arbeiten auf allen Handlungsebenen (vielleicht auch, ohne Kultursensibilität als
Querschnittsthema definieren zu müssen).
Heide Wegat
Heide Wegat ist Rehabilitationspädagogin und
Gesundheitswissenschaftlerin und war von 2003 bis 2009
T Für viele Probleme in unserer Gesellschaft haben wir
keine überzeugenden Lösungsansätze, entsprechend
Entwicklungshelferin des DED in Mali und Mosambik.
왘 BLICKPUNKT
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gizBrief 4.2011
© GIZ
Meine Stimme für den Frieden
Die Abschlussveranstaltung
der Crossborder
Peaceweek.
k „Peace and Democracy: Make your voice heard“, vom diesjährigen Thema
In Vorträgen, Theaterstücken und Liedern wurden am Ende der drei Tage die
des Weltfriedenstages inspiriert, stand die Crossborder Peaceweek 2011 in
Ergebnisse der Arbeit präsentiert. Die teilnehmenden lokalen Entscheidungs-
Ruanda und der DR Kongo unter dem Motto „Ma voi/x pour la Paix“: „Meine
träger/innen nahmen den Appell einer Theatergruppe mit: „Wir müssen die
Stimme für den Frieden – mein Beitrag zum Frieden“. 120 Jugendliche aus
Politik mitbestimmen, sonst bestimmt die Politik über uns.“ Der Bürgermeister
beiden Ländern nahmen vom 6. bis 9. Oktober 2011 an der „Crossborder
von Goma, ebenso wie der Vertreter des ruandischen Jugendministeriums
Peaceweek“ teil.
Den Stein ins Rollen brachte vor einem Jahr Jackson Batumike, Präsident der
kleinen kongolesischen Nichtregierungsorganisation Club de Jeunes pour la
Vie: „Wir müssen am Internationalen Tag des Friedens etwas tun“, forderte er.
Es folgten gemeinsame Planungstreffen, bei denen die Idee einer jährlichen,
grenzübergreifenden Friedenswoche zwischen dem kongolesischen Goma
und ruandischen Gisenyi konkret wurde. Jugendliche der Schwesterstädte am
Kivusee bekommen in der Friedenswoche die Gelegenheit, sich intensiv mit
Themen der gewaltfreien Konfliktbearbeitung und Friedensförderung auseinanderzusetzen. Kurz vor den Wahlen in der DR Kongo sind das gewaltfreie
Miteinander ruandischer und kongolesischer Jugendlicher sowie deren Motivation zum politischen und zivilen Engagement ein besonderes Anliegen der
Partnerorganisationen. „Wahlen als deine Stimme, Wahlen als dein Weg“ sowie
die Rolle von unabhängigen Medien waren deshalb zwei der Themen.
An drei Seminartagen diskutierten Jugendliche zudem über Geschlechtergerechtigkeit und entwickelten in einer Zukunftswerkstatt neue Ideen zur Lösung gesellschaftlicher Probleme oder zur Umgestaltung ihres Sozialraumes.
Partizipativ, kreativ und spielerisch erfolgte die Vermittlung komplexer Themen wie Antidiskriminierung und Gerechtigkeitsempfinden, die Voraussetzung
für soziales Engagement sind. Entwickelt wurden die Seminarangebote in gemischten Teams von ZFD-Partnern der GIZ aus Ruanda und ZFD-Partnern des
EED aus dem kongolesischen Goma. Unterstützt wird die gemeinsame Arbeit
von Nina Harder, ZFD-Fachkraft der GIZ in Ruanda sowie den ZFD-Fachkräften
des EED Desiree Lwambo und Judith Raupp in der DR Kongo.
der Provinz Rubavu, äußerten ihre Anerkennung über diese Initiative, die es
Jugendlichen beider Länder ermöglicht, sich über Grenzen und Vorurteile
hinweg die Hand zu reichen und miteinander zu lernen.
In einer Podiumsdiskussion forderten Christine Muzaidizi, kongolesische
Menschenrechtsaktivistin und Vorsitzende der Nichtregierungsorganisation
Children’s Voice, François Mugisha, Vertreter des ruandischen Jugendministeriums der Provinz Rubavu, sowie Professor Ka Mana, Philosoph und Präsident
des Pole Instituts in Goma, die Jugendlichen auf, Unrecht zu bekämpfen und
neue Wege zu beschreiten, Vorurteile abzubauen und Verantwortung für ein
friedliches Zusammenleben zu übernehmen. In der anschließenden lebhaften
Diskussion wurden neben der Jugendarbeitslosigkeit auch die Situation junger
Frauen sowie Gewalt im Alltag thematisiert. Die Jugendlichen bemängelten
das Fehlen positiver Vorbilder und betonten die Herausforderungen, in der
globalisierten Welt ihren eigenen Weg zu finden.
Christiane Kayser vom ZFD-Begleitteam des EED forderte die Jugendlichen
auf: „Wartet nicht auf Lösungen, die vom Himmel fallen, fühlt euch zuständig
für eure Zukunft und die eurer Region, denn ihr seid eine große Kraft.“
Nina Harder, ZFD-Fachkraft der GIZ in Ruanda,
Christiane Kayser, ZFD-Begleitteam des EED für Afrika,
Thomas Rösser, ZFD-Koordinator der GIZ in Ruanda.
왘 BLICKPUNKT
gizBrief 4.2011
Tourismus in Tadschikistan
k Das staatliche Komitee für Sport, Jugend und Tourismus und die
Stiftung Mountain Societies Development Support Programme (MSDSP) mode-
Tadschikische Vereinigung der Touroperator (TATO) veranstalteten am
riert wurde. Die Konferenz stand unter dem Motto: „Unsere Vision. Unsere
27. September 2011 in Dushanbe die Zweite Nationale Tourismus-
Strategie. Unser Plan“ und wollte zum Überdenken der Tourismusstrategie
konferenz. 150 Vertreter/innen aus der Tourismusbranche, der Politik
anregen und Ausblick auf ihre Weiterentwicklung geben.
und der internationalen Zusammenarbeit nahmen an der Konferenz
Neben nationalen leisteten auch internationale Referenten anregende Dis-
teil, die durch Doris Hertampf, Botschafterin der Bundesrepublik
kussionsbeiträge: Herr Umetaliev, Präsident des kirgisischen Tourismusunter-
Deutschland in Tadschikistan und Kishwar Abdulalishoev von der
nehmens Kyrgyz-Concept, referierte zu dem Thema „Wie kann Tadschikistan
© Stephan Härtel
zur Schweiz Zentralasiens werden?“. Frau Mäkelä, Projekt-Koordinatorin der
finnischen Seinäjoki-Universität und Tourismus-Beraterin in verschiedenen
osteuropäischen und zentralasiatischen Ländern, sprach über die Tourismusentwicklung in Finnland und die Erfahrungen und Entwicklungsmöglichkeiten,
die sich daraus für Tadschikistan ableiten lassen.. Herr Owen (Großbritannien),
Direktor von localtravel.com, zeigte auf, wie Tadschikistan zu einem nachhaltigen und attraktiven Reiseziel im Nischen-Tourismus werden könnte.
In moderierten Gruppen wurde im Anschluss über die Möglichkeiten der
Tourismusentwicklung, die Weiterentwicklung des Marketingkonzeptes sowie
die Erhöhung der Qualitätsstandards und über Weiterbildung diskutiert. Das
Resultat waren eine Vision und eine Strategie für die mittelfristige Weiterentwicklung des Programms zur Nationalen Tourismusentwicklung 2010 – 2014.
Die Teilnehmer/innen und Organisatoren waren mit den Ergebnissen der
Konferenz sehr zufrieden.
Zurzeit beraten zwei Entwicklungshelfer der GIZ im Auftrag des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung das
Komitee für Sport, Jugend und Tourismus im Bereich Tourismus.
Teilnehmer/innen der Zweiten Nationalen Tourismus-Konferenz in Tadschikistan.
Stephan Härtel, Entwicklungshelfer der GIZ in Tadschikistan.
Wir verschließen unsere Augen nicht vor HIV und AIDS
k Vor 30 Jahren wurde der HI-Virus, der die Immunschwächekrank-
heit AIDS auslöst, identifiziert. Seitdem haben sich 65 Millionen
Das Cover des Regelwerks gestaltete der
malawische Künstler Elson Aaron Kambalu.
Menschen weltweit mit HIV infiziert, fast die Hälfte starb an AIDS.
Umfangreiche Kampagnen zu Verhütung konnten seitdem die Zahl
der Infektionen senken. AIDS galt lange als unbehandelbar. Heute
HIV-Status diskriminiert werden, gleichzeitig
können immer mehr Patienten weltweit aufgrund der Antiretroviralen
erhalten alle Mitarbeiter/innen freien Zugang
Therapie auch viele Jahre nach der Ansteckung gesund leben. Trotz
zu Informationen und Kondomen.
dieser Erfolge muss noch viel getan werden.
Der Hintergrund: Bis heute sind vor allem die Länder des südlichen Afrikas
Die GIZ in Malawi leistet ihren Beitrag, indem sie Gesundheits-
weiterhin von der Pandemie betroffen. Malawi gehört mit einer Prävalenzrate
förderung und HIV/AIDS-Bekämpfung in all ihren Projekten veran-
von 10,6 Prozent zu den am stärksten von HIV-Infektionen betroffenen Ländern.
kert. DED und GTZ hatten bereits in der Vergangenheit Regularien,
Die GIZ setzt sich in Malawi dafür ein, die Zahl der Neuansteckungen zu
um die Gesundheit ihrer Mitarbeiter zu schützen. Am Weltaidstag,
senken und die Behandlung für AIDS-Patienten zu verbessern.
dem 1. Dezember, präsentierte die GIZ ihren Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen ein gemeinsames Regelwerk zu Gesundheit und
HIV/AIDS: Niemand darf am Arbeitsplatz aufgrund des individuellen
Martina Osterndorff ist Entwicklungsstipendiatin der GIZ
bei AWISA, dem Aids Workplace Programs in Southern Africa.
왘 KULTUR
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gizBrief 4.2011
Literatur
Im Reich der Königin von Saba
Der Blick
über den Tellerrand
3 Die Welt ist näher zusammengerückt: Wege, die
früher Wochen dauerten, werden heute in einigen
Stunden bewältigt oder sind dank elektronischer
Medien überflüssig. Und dennoch gibt es überall
auf der Welt unterschiedliche Sichtweisen, die
über Rang und Status, Krieg und Frieden sowie die
Bedeutung von Leben und Tod entscheiden. Der
Band eröffnet faszinierende Einblicke in die Gemeinsamkeiten, aber auch die Unterschiede in
einer globalisierten Gesellschaft. Hat ein Buddhist
ein anderes Zeitempfinden als ein Europäer?
Wie entstehen Schönheitsideale? Die Autoren gehen den Fragen mithilfe zahlreicher, teilweise
erstmals publizierter Abbildungen einzigartiger
Kunstwerke und von Dingen des alltäglichen Lebens nach. Der Leser wird mitgenommen auf eine
Reise durch die verschiedenen Sichtweisen auf
fünf Kontinenten. Hinzu kommt, dass regional
ausgerichtete Artikel die kulturellen Kontexte beleuchten und die mit spezifischen Dingen verbundenen Vorstellungen der jeweiligen Bevölkerung.
Das Linden-Museum Stuttgart zeigt bis 8. Januar
2012 die große Landesausstellung „Weltsichten –
Blick über den Tellerrand!“ im Kunstgebäude in
Stuttgart.
3 Carmen Rohrbach ist unterwegs. Ihre Reisen führten sie nach Südamerika, Afrika, Asien und Arabien, auf dem Jakobsweg durch Frankreich
und Spanien, stets auf der Suche nach intensiven Begegnungen und Naturerlebnissen.
In dem vorliegenden Werk zeichnet sie ein völlig anderes Bild vom
Land der Königin von Saba als jenes, welches uns aus der Presse ins
Bewusstsein dringt. Nach ihrer Ankunft in der pulsierenden jemenitischen
Hauptstadt Sanaa, einem Kleinod der arabischen Architektur, deren Erhalt auch mit Mitteln der deutschen Entwicklungszusammenarbeit gesichert ist, verbringt sie mehrere Monate mit dem intensiven Erlernen
der arabischen Sprache. Sie ist einer der wichtigsten Türöffner in diesem
arabischen Land. In Sanaa macht sie sich vertraut mit der Kultur und
den interkulturellen Herausforderungen. Sie blickt hinter die Mauern der
Altstadt-Häuser, trifft auf ein Frauenbild, welches so gar nicht mit dem
der europäischen Emanzipation vereinbar scheint, und entdeckt, wie
sich die Frauen in diesem sehr konservativen Umfeld ihre „Freiräume“
schaffen.
Mit Hilfe der in Sanaa entstanden Kontakte bricht Carmen Rohrbach auf,
um das Land auf dem Rücken eines Kamels zu entdecken. Auch das
beginnt erst einmal wieder mit Lernen – dem Erlernen des Umgangs
mit einem Kamel, einem Tier mit Eigensinn und Trotz. Nach vielen Widerständen ist sie dann unterwegs: Auf alten Karawanenwegen, durch die
Wadis, auf einsamen Hochebenen, durch Wüsten, tiefe Schluchten und
in Dörfern, in denen die Zeit stehen geblieben zu sein scheint. Sie trifft
auf „Bedus“, die zu ihren ständigen Begleitern werden, ihr in die unterschiedlichen Lebensweisen der Stammeskultur des Jemen Einblick
gewähren, sie in den Regeln des Beduinen-Lebens unterweisen. Für
die Jemeniten ist es sehr ungewöhnlich, dass eine Frau sich allein
auf eine derartige Reise begibt.
Auf ihrer 1.000 Kilometer langen Reise lernt sie die außergewöhnlich
große Gastfreundschaft der Jemeniten kennen, ist fasziniert von Landschaft und Natur und berichtet über den Alltag der Frauen hinter dem
Schleier. Das vorliegende Werk lässt uns eintauchen in ein für uns
Europäer fremdes Land, in eine so ganz andere Kultur. Es lädt ein, sich
auf dieses Land im Süden der arabischen Halbinsel
am Golf von Aden einzulassen – wenn dies in hoffentlich absehbarer Zeit und nach einer Befriedung der aktuellen politischen Situation wieder möglich sein wird.
Gehen Sie mit auf Reisen – in das Land
des Weihrauchs und der Königin von Saba.
Sabine Ludwig, Pressereferentin
Stephan Härtel,
der Deutsche Lepra- und Tuberkulosehilfe
von 2009 bis 2011 Entwicklungshelfer im Jemen,
Inés de Castro/Ulrich Menter (Hrsg.):
zurzeit Entwicklungshelfer der GIZ in Tadschikistan.
Weltsichten. Blick über den Tellerrand.
Verlag Philipp von Zabern, Darmstadt/Mainz 2011,
Carmen Rohrbach: Im Reich der Königin von Saba. Auf Karawanenwegen
336 Seiten mit ca. 400 Farbabbildungen, 24,90 Euro.
im Jemen. Verlag Malik National Geographic, kartoniert 256 Seiten, 11,95 Euro.
Stichwort: Tellerrand
Stichwort: Königin von Saba
왘 KULTUR
gizBrief 4.2011
Über die Funktionsweise von Verbänden
3 Die Wirtschaftswissenschaften haben die
Untersuchung von Verbänden bisher vernachlässigt. Dabei bieten Verbände spannende
Erkenntnisse für die Organisationstheorie
und die Ökonomie im Allgemeinen. Oliver
Schmidt legt mit seinem Buch „Association–
Concept, Managment, Context“‘ eine Beschreibung von Verbandsarbeit vor, die für die verschiedensten Berufsfelder interessant sein
kann. Das Buch baut auf vielen Fallstudien
und ökonomischer Theorie auf und stellt so
Herausforderungen und Fallstricke der Verbandsarbeit dar. Dieser Ansatz des Autors
überzeugt, denn einerseits hat er in den Jahren
seiner Arbeit bei den Mikrofinanzverbänden
Ugandas und Indiens wesentliche Einblicke
in Funktionsweise und die Herausforderungen
von Verbänden bekommen. Andererseits hat er die Gabe, grundlegende ökonomische Theorie und vor allem Organisationstheorie bildhaft und lebendig darzustellen.
Zentrale Aufgabe eines Verbandes ist die Informationsbereitstellung für die Mitglieder. Für das Management und die Führung des Verbandes gibt dies verschiedene Handlungsoptionen
vor, die Kernfunktionen des Verbandes zu organisieren. Die
Erfahrungen, die Oliver Schmidt im sich rasant entwickelnden
Sektor Mikrofinanzen auf zwei Kontinenten in den dominierenden
(und ebenfalls rasant wachsenden) Verbänden sammeln konnte,
teilt er auf unterhaltsame Weise mit. Als langjähriger Experte
des DED und von CIM war er am Aufbau von Infrastrukturen der
Datensammlung, an Trainings von Verbandsmitgliedern sowie
der Performance Messung der Mitgliedsunternehmen beteiligt.
Diese Erfahrungen sammelte er in Zusammenarbeit mit dominierenden und erfahrenen „Entwicklungsbankern“ der ersten
Stunde.
Das Buch kann Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Entwicklungszusammenarbeit eine große Hilfe in der Kooperation mit
Verbänden sein. Das Verständnis der inneren Logik solcher Netzwerkorganisationen kann möglicherweise Missverständnisse
in der Zusammenarbeit vermeiden. In diesem Sinne würde
Entwicklungszusammenarbeit noch effizienter und effektiver.
Praktiker und Forscher der Mikrofinanzen werden den für ihre
Arbeit so wichtigen Datenfluss besser verstehen. Aber auch
Studenten und Forschern der Organisationstheorie bietet das
Buch neue Einblicke in ihr Fachgebiet, wenn sie sich mit dem
seltsamen Wesen Verband beschäftigen. Und dass es ein seltsames Wesen ist, kann der Autor dieser Buchbesprechung
bestätigen: Er arbeitet als CIM-Experte beim indischen Mikrofinanzverband Sa-Dhan.
Thomas Mehwald, CIM-Experte in Indien
Oliver Schmidt:
Association – Concept, Management, Context.
Lessons from the national microfinance associations
of Uganda and India.
VDM Verlag Dr. Müller, Saarbrücken 2011,
243 Seiten, 79 Euro.
Stichwort: Verbände
Sie können Bücher gewinnen
Die Gewinner/innen
Alle vorgestellten Bücher werden wieder verlost.
der Literaturverlosung aus dem GIZ-Brief 3/2011:
Dazu senden Sie eine
Postkarte mit dem jeweiligen Stichwort bis zum 17. Februar 2012
Christoph-Hermann Bubeck, Stuttgart
an die GIZ-Brief Redaktion, Friedrich-Ebert-Allee 40, 53113 Bonn.
Janinka Lutze, Bernburg
Joachim Vorneweg, Köln
Alle Einsendungen nehmen teil, der Rechtsweg ist ausgeschlossen.
Das Stichwort finden Sie im Anschluss an jede Rezension.
왘 OFFENE STELLEN
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gizBrief 4.2011
Sauberes Trinkwasser für Chipata in Sambia
Nächstes Thema
1/2012
k Sind Sie Wasserbauingenieur/in oder Techniker/in und suchen ein Wirkungsfeld in der Entwicklungs-
Entwicklung
zusammenarbeit, dann bewerben Sie sich für einen Einsatz als Entwicklungshelfer/in der GIZ, zum Beispiel
gemeinsam verantworten
in Sambia. Die GIZ arbeitet dort im Auftrag des BMZ daran, den Zugang zu sauberem Trinkwasser und
sanitären Anlagen für die Bevölkerung von Chipata und anderen Distrikten der Provinz zu verbessern.
Zu Ihren Aufgaben gehören die technische Beratung und Schulung des Personals der Distrikt-Verwaltungen,
www.giz.de
die Entwicklung von nachhaltigen Instandhaltungsstrukturen für Wasserstellen, die Beratung in der Erstellung
von Budgets, Jahresarbeitsplänen und Ausschreibungsunterlagen und die technische Beratung für bauliche
Maßnahmen. (PP-Nr: 11856-ZMB-WS)
Folgende Qualifikationen sollten Sie mitbringen: Praxiserprobte Beratungs- und Schulungskompetenzen,
Kenntnisse im Umgang mit Datenbanken und in ländlicher Sanitärversorgung, Erfahrungen in Projektmanagement, Kenntnisse in Hydrologie und Erfahrungen in ländlichen Trinkwasserprojekten sowie interkulturelle Teamfähigkeit und gute Englischkenntnisse. Die Tätigkeit beinhaltet häufige Aufenthalte in den
Herausgeber:
Deutsche Gesellschaft
für Internationale Zusammenarbeit
(GIZ) GmbH
Friedrich-Ebert-Allee 40, 53113 Bonn
Distrikten. Die Arbeit setzt die Fähigkeit und Flexibilität voraus, auch unter einfachen Bedingungen zu
Vorstand:
arbeiten und zu leben.
Dr. Bernd Eisenblätter (Sprecher)
Dr. Christoph Beier
Adolf Kloke-Lesch
Unterstützung der Forst- und Umweltpolitik
in Kamerun
Tom Pätz
Dr. Sebastian Paust
Dr. Hans-Joachim Preuß
Prof. Dr. Jürgen Wilhelm
Redaktion:
k Im Rahmen des GIZ-Programms zur Unterstützung der Forst- und Umweltpolitik (ProPSFE) unterstützt
die GIZ im Auftrag des BMZ das kamerunische Forstministerium bei der Umsetzung der nationalen Forstund Umweltpolitik. Als Entwicklungshelfer/in beraten Sie das lokale Personal des Forstministeriums sowie
Marion Frank (V.i.S.d.P.)
Maria Ehrke-Hurtado
[email protected]
die anderen an kommunaler, gemeinschaftlicher und privater Forstwirtschaft beteiligten Akteure in der Ent-
Namentlich gekennzeichnete
wicklung und im Einsatz angepasster forstwirtschaftlicher Förderungsansätze. Zu Ihren Aufgaben gehören
Beiträge geben die persönliche
unter anderem die Beratung bei der Überarbeitung und praxistauglichen Fortentwicklung der Bedingungen
Meinung der Verfasser wieder.
für das Komanagement staatlicher Wälder, bei der Anpassung forstwirtschaftlicher Förderungsansätze an
die lokalen Gegebenheiten und die Beratung der Kommunen im Prozess der Übertragung und Gründung von
Kommunalwäldern. (PP-Nr: 11762-CMR-LE)
Ihre Qualifikationen umfassen unter anderem einen Abschluss in einer der folgenden Disziplinen: Forstwissenschaften, Forstwirtschaft, Agrarwirtschaft, Geographie, Umweltwissenschaften oder Agrarsoziologie.
Sie beherrschen die französische Sprache und verfügen unter anderem über eine wenigstens zweijährige
Arbeitserfahrung mit kooperativem Management natürlicher Ressourcen. Standort ist die Regionshauptstadt
Maroua, die Tätigkeit ist aber mit häufigen Dienstreisen zu zum Teil entlegenen Standorten verbunden.
Redaktionsbeirat:
Daniela Baum, Dr Jörn Fischer,
Renate Holzer, Dorothea Otremba,
Susanne Schmitz, Till Winkelmann
Gestaltung: kippconcept gmbh, Bonn
Titelfoto: SCU-Team
(siehe Artikel Elke Tigges)
Steinkonservierung zum Erhalt
des Weltkulturerbes Angkor Wat
Wir freuen uns über Ihre Online-Bewerbung
unter Angabe der Projektplatznummer!
in Kambodscha.
Druck: SZ Offsetdruck-Verlag GmbH
Gedruckt auf FSC-zertifiziertem Papier
Die Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) GmbH ist der weltweit führende
Dienstleister in der internationalen Zusammenarbeit für nachhaltige Entwicklung.
Als Entwicklungshelfer/in der GIZ erhalten Sie ein umfangreiches Leistungspaket. Dazu gehört auch die
gezielte fachliche und persönliche Vorbereitung. Ihre Vertragslaufzeit beträgt mindestens zwei Jahre mit
Nachdruck frei bei vollständiger
der Option der Verlängerung.
Quellenangabe. Bitte ein Belegexemplar an die GIZ-Brief-Redaktion
Weitere Informationen über die GIZ und Details zu den beiden oben genannten Arbeitsplätzen sowie zu den
Leistungen finden Sie unter: www.giz.de
senden.
Eliza Kwaitana aus Malawi profitiert
von einem speziellen von der Bundesregierung unterstützten Programm für
Schulabbrecher. Sie will jetzt den Schulabschluss nachholen und Ärztin werden.
Ich lade Sie ein:
Unterstützen Sie Entwicklung
und werden Sie Chancengeber
für eine bessere Welt.
Ihr Dirk Niebel
Chancen für Bildung
www.bmz.de/chancengeber