Ein anderes Berufsleben wartet - Athlete Career Programme

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Ein anderes Berufsleben wartet - Athlete Career Programme
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SPORT 33
ZO/AvU
FREITAG, 16. DEZEMBER 2011
NACHGEFRAGT
Claudia Kaufmann
Projektmanagerin des
Athleten-Karriere-Programms von Swiss Olympic
«Die grösste Hürde
ist die mangelnde
Berufserfahrung»
Viele Sportler sind am Karrieren­
ende in einem fortgeschrittenen Alter
und verfügen meist über wenig
Berufserfahrung. Wann sollte sich
­
ein Profisportler mit der Zeit nach
der Karriere befassen?
Claudia Kaufmann: Ein Sportler
sollte sich schon während der Karriere immer auch mit dem Ende
­befassen. Die meisten Sportler sind
heute so weit, dass sie eine Aus­
bildung abgeschlossen haben. Viele
Athleten müssen bereits während
der Karriere arbeiten, um finanziell
über die Runden zu kommen. Für
sie ist der Übergang nicht so schwierig wie für die Vollprofis.
Wo sehen Sie die grössten Hürden
für einen Spitzensportler auf dem Weg
ins Berufsleben?
Die grösste Hürde ist die mangelnde
Berufserfahrung. Ein Sportler muss
sich gegen gleichaltrige Leute durchsetzen, die schon zehn Jahre im
­Beruf gearbeitet haben. Mühe bereitet vielen Athleten auch die ein­
geschränkte Bewegungsfreiheit. Als
Profi trainierten sie rund 20 bis
30 Stunden pro Woche – und plötzlich arbeiten sie 100 Prozent in einem
Büro. Vor allem Einzelsportler sind
im neuen Umfeld mehr fremdbestimmt als während ihrer Karriere
im Spitzensport.
Was bringt ein ehemaliger Spitzen­
sportler einer Firma?
Ein Athlet, der etwas erreicht hat,
hat nur schon durch seinen Namen
Vorteile. Etwa als Aussendienstmitarbeiter oder indem er sich gut vermarktet. Zielstrebigkeit, Eigenmotivation und Durchhaltewillen, die
ein Athlet mitbringt, sind bei Arbeitgebern sehr gerne gesehen. Diese
Eigenschaften ermöglichen den Athleten deshalb oft, in ihrem neuen
Umfeld schnell erfolgreich zu sein.
Gibt es Sportarten, in denen sich
die Athleten vergleichsweise wenig mit
der Zeit nach der Karriere befassen?
Nein, das ist sehr individuell. Was
wir jedoch beobachten: Wenn ein
Sportler viel Geld verdient, rückt
das Thema Nachsportkarriere in den
Hintergrund.
Was raten Sie Sportlern, die ver­
letzungsbedingt ihre Karriere abrupt
beenden müssen, damit sie nicht in
ein Loch fallen?
Wichtig ist, dass sich die Athleten
möglichst schnell einen Job suchen.
Falls sie sich dabei schwertun, bietet
ihnen Swiss Olympic in Zusammenarbeit mit Adecco interne und externe Praktika an, die durch das
«Swiss Olympic Athlete Career
­P rogramme» finanziert werden.
In welchen Branchen kommen Pro­
fisportler ohne Abschluss am ehesten
unter?
Ich arbeite jetzt sechs Jahre in dieser
Funktion, coache jährlich 40 bis
50 Athleten und hatte noch nie einen
Profi, der keinen Abschluss vorzuweisen hatte. Früher war das eine
grössere Problematik. Mittlerweile
sind selbst Fussball- und Eishockeyklubs darauf bedacht, dass ihre
­Talente eine Ausbildung abschliessen. Junge Sportler sollten eine Ausbildung anstreben, für die sie nicht
allzu viel Aufwand betreiben müssen um einen 4,5-, 5er-Notenschnitt
hinzukriegen. So erhöht sich die
Chance eines Abschlusses.
Interview: Nikolas Lütjens
Ein anderes Berufsleben wartet
SPORT ALLGEMEIN. Der Schritt
vom Spitzensport in den
Berufsalltag ist schwierig. Die
ehemaligen Profis Mark Disler,
Andreas Schweizer und Stefania
Boffa sprechen über den Umstieg,
den der Schweizer Radsportler
des Jahres 2011, Oliver Zaugg,
noch vor sich hat.
NIKOLAS LÜTJENS
«Ich habe immer gewusst, dass
das ­
L eben erst nach der Karriere
beginnt. Dann erweist es sich, ob
man als Mensch zurechtkommt», sagt
der ehemalige Bayern-München-Torhüter Jean-Marie Pfaff in einem Interview
mit dem M
­ agazin «11 Freunde».
Nicht alle Fussballer sind so geerdet.
Viele leben über Jahre «im Moment»
und planen ihre berufliche Zukunft
nicht. Der langjährige Profi und jetzige
Uster-Spieler Mark Disler (37) bestätigt das. Die Frage, ob er ehemalige
Mitspieler kenne, die den Sprung vom
Profi- in den Berufsalltag nicht geschafft haben, kann der Oberdürntner
aber nicht abschliessend beantworten.
Er habe nur noch mit wenigen Leuten
aus dem Profifussball Kontakt. Die
meisten davon seien weiterhin im Fussball tätig. «Einige, von denen ich dach­te, es würde eng, gingen zu einem Erst­
ligisten – und erhielten über den Klub
einen Job.»
Dislers eigener Weg ist eher atypisch.
Der ehemalige Rüti-Junior wurde mit
19 Jahren Profi. Als seine Karriere zwei
Jahre später ins Stocken geriet, begann
er mit einem Studium an der Tech­
nischen Hochschule. «Ich wollte mir
einen zweiten Weg offenhalten», begründet Disler. Diesen verfolgte er
neben seiner Karriere weiter. Mit 30
Jahren setzte der damalige YB-Spieler
durch, dass er neben dem Fussball ein
Nachdiplomstudium zum Wirtschaftsingenieur beginnen konnte. «Dafür
musste ich kämpfen, weil ich ab und zu
im Training fehlte.» Die abwehrende
Haltung seines damaligen Vereins kann
Disler zumindest nachvollziehen. «Man
ist Angestellter des Vereins, und der
fordert Präsenz ein. Was nach der
­Karriere aus dir wird, interessiert den
Klub nicht gross.»
Noch nicht der Abschiedsgruss: Lombardei-Rundfahrt-Sieger Oliver Zaugg will noch ein paar Jahre als Radprofi anhängen. Bild: key
23 Fussball spielen lassen. Falls er dann
nicht im Ausland ist und viel Geld verdient, würde ich ihn auffordern, nebenbei eine Ausbildung zu machen.»
Froh um die Matur im Sack
Genau das tat Andreas Schweizer. Der
Olympia-Teilnehmer im Kunstturnen
machte während seiner Profizeit parallel die Erwachsenen-Matur. Nicht nur
zur Freude seines Trainers. Schweizer
sagt aber, ansonsten sei er vom Verband
Kompromiss für den Neuling
angehalten worden, sich weiterzubilAls Disler 2005 vom damaligen Super- den. «Ein Fussballer wie Shaqiri muss
League-Verein Schaffhausen freige- sich nach einem grossen Transfer wohl
stellt wurde und kein Angebot erhielt, keine Gedanken mehr machen, was er
das ihm zusagte, bewarb er sich auf ein mit 40 tut, ein Kunstturner kann sich
Zeitungsinserat und erhielt den Job als nach dem Karrierenende finanziell vielProjektleiter in der Kältebranche. «Am leicht ein halbes Jahr ausruhen.»
Anfang hatte ich Mühe. Man kommt
Eine kleine Pause gönnte sich
mit mehr als 30 Jahren in den Berufsall- Schweizer tatsächlich, um sich nach dem
tag und hat noch nie gearbeitet. Dafür Karrierenende 2008 neu zu orientieren.
hat man Familie und einen Standard, «Ich brauchte Abstand.» Den ursprüngden man halten möchte.» Ausserdem lichen Plan einer Ausbildung zum Phyvermisse man die öffentliche Wert- siotherapeuten verwarf er und begann
schätzung: «Früdeshalb ein Praktiher wussten die
kum in einer MarLeute im Quartier:
ketingfirma. «Ich
«Man kommt
Der spielt in der
bin froh, dass ich
NLA.»
eine Matur im
mit über 30 Jahren
Disler hatte behatte und
in den Berufsalltag und Sack
ruflich
insofern
nicht nur eine
hat noch nie gearbeitet.» Lehre. Wenn du
Glück, als es nur
wenige
«fertige
zehn Jahre weg
Ex-Fussballprofi Mark Disler
Haustechnik-Probist, ist es schwiejektleiter» gibt und
rig, in deinem ansein Arbeitgeber deshalb zu einem gestammten Beruf etwas zu finden.»
Kompromiss bereit war: zu einer AnHeute arbeitet der 32-jährige Andstellung mit einer zweijährigen Ein- reas Schweizer zu 70 Prozent als Mararbeitungszeit. «So war ich gut einge- keting- und Kommunikationsberater
bettet und nicht von Beginn an grossem und studiert nebenbei BusinesskommuDruck ausgesetzt.»
nikation.
Um den Übergang vom Fussballprofi
zum Berufseinsteiger zu verarbeiten, Kopflastig statt dynamisch
brauchte Disler rund ein Jahr. «Als Seine Erfahrungen als Spitzensportler
Fussballer wirst du geführt. Der ganze kommen ihm im Umgang mit der DopAlltag ist bestimmt. Im Beruf ist das pelbelastung zugute. «Das ist stressig,
nicht so», hebt er einen der grossen aber der Druck ist nicht mehr der gleiUnterschiede hervor. Er habe zwar als che wie im Spitzensport.» Etwas erFussballprofi mehr Freizeit gehabt, schwerend kommt hinzu, dass in seiner
aber nicht dann, wenn er sie gewollt Studiengruppe alle zehn Jahre jünger
habe. Dislers Urteil: «Wenn mein Sohn sind. «Beissen, vorwärts schauen, zielFussballer wird, würde ich ihn bis gerichtet arbeiten – das habe ich als
Sportler gelernt», sagt Schweizer. Und
wie fällt der Vergleich zwischen den
beiden Berufswelten aus? «Der Alltag
als Profisportler war sehr dynamisch; es
gab absolute Highlights, längere Verletzungsphasen. Es war eine stete Bergund-Tal-Fahrt. In meinem jetzigen Beruf ist das nicht mehr so.»
Der Umstieg in ein kopflastigeres
Arbeitsumfeld habe zu Beginn viel
Energie gekostet. Als Ausgleich trainiert Schweizer am Dienstagmorgen
Turntalente im Regionalen Leistungszentrum Rümlang und turnt einmal pro
Woche mit ehemaligen Kaderathleten
«Freestyle». Eine Arbeit als vollamt­
licher Trainer kam für Schweizer nie
infrage. «Ich wollte etwas anderes
sehen», sagt er. «Nur Sport ist auch
­
nicht gut.»
ärgere ich mich auch, weil dann die
Gedanken an meine Profikarriere
­
hochkommen.»
Aus
emotionalen
Gründen schaut sie sich denn auch fast
nur ­Männertennis an.
Jungen Sportlern, die in eine ähn­
liche Situation kommen, rät sie, sich
möglichst schnell ein neues Ziel zu setzen. Sonst drohe die Gefahr einer Depression. Etwas anders machen würde
sie rückblickend nicht. «Eine Tennisspielerin reist so viel. Da ist es schwierig,
parallel noch eine Ausbildung zu machen.» Einen grossen Vorteil hatte die
Reiserei für ihren künftigen Berufsalltag: Boffa spricht fünf Sprachen.
Nicht mehr als Gedankenspiele
Mehrere Sprachen spricht auch Oliver
Zaugg. Der in Pfäffikon aufgewachsene
und im Tessin lebende Radprofi gehört
Neue Ziele nach dem Aufprall
mit seinen 30 Jahren zu den arrivierten
«Das ganze Leben nur Tennis im Kopf» Fahrern. Er hofft, noch ein paar Jahre
hatte Stefania Boffa. ehe sie 2010 ­wegen als Profi anhängen zu können. Dass
einer langwierigen Schulterverletzung Zaugg nicht an einen Rücktritt denkt,
ihren Traum, als
versteht
sich.
Profi an die WeltSchliesslich hat er
spitze vorzustos«das beste Jahr»
sen,
begraben «Als Profi erlebte ich eine seiner
Karriere
muss­
te. Der Um- stete Berg-und-Tal-Fahrt. hinter sich. Im
stieg sei hart ge­ In meinem jetzigen Beruf ­Oktober gewann
wesen. «Ich sah
er mit der Lom­
ist das nicht mehr so.»
mich in der Berufsbardei-Rundfahrt
welt nirgends. Ich
sein erstes ProfiEx-Kunstturner Andreas Schweizer
fühlte mich ver­
rennen,
danach
loren», sagt die
wurde er zum
23-Jährige rückblickend. «So, als ob dir Schweizer Radsportler des Jahres gejemand den ­Teppich unter den Füssen wählt.
wegzieht.»
Gedanken über eine allfällige berufAuf Anraten ihrer Eltern entschied liche Zukunft hat sich der gelernte Kasich die ehemalige Fedcup-Spielerin minfeger gleichwohl gemacht. Allzu viel
für eine KV-Ausbildung mit einem will er sich aber nicht entlocken lassen.
BMS-Abschluss. Bereuen tut sie diesen Er werde sich nach dem Karrierenende
­Entscheid nicht. Auch wenn sich nach wohl selbständig machen, sagt Famieineinhalb Jahren noch kein genauer lienvater Zaugg. In welcher Branche,
Berufswunsch herauskristallisiert hat. sei offen. Vorderhand tritt Veloprofi
«Es war wichtig, dass ich mir ein neues Zaugg weiterhin kräftig in die Pedale.
Ziel setzen konnte», sagt Boffa.
Dass sich das Rad aber auch in beruflicher Hinsicht drehen wird, scheint der
Reisen mit Vor- und Nachteilen Pfäffiker zu wissen. Schliesslich hat er
Auf dem Tenniscourt steht die Wer- für seine Homepage das Motto gewählt:
matswilerin nur noch selten. «Spiele ich «Wer glaubt, etwas zu sein, hat aufgeschlecht, ärgere ich mich. Spiele ich gut, hört, etwas zu werden.»