Historische Orte jüdischen Lebens in Dessau

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Historische Orte jüdischen Lebens in Dessau
Historische Orte jüdischen Lebens in Dessau
Sandvorstadt
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Schloss
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heutiger Stadtplan
Sandvorstadt 1834
Gebäude des jüdischen
Gemeindelebens
historische Gebäude
historische Anlagen
Muldufer 1834
Herzoglicher
Holzmarkt
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Rennstraße
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alte Synagoge
Rabbinerhaus
neue Synagogoe
Israelitischer Friedhof
Franzschule
Geburtshaus Moses Mendelssohn
Geburtshaus Kurt Weill
Textilhandlung Neumann Lipsky (Kleiner Markt 3)
Textilhandlung Neumann Lipsky (Zerbster Straße 41)
Schuhwarenhaus Meyer Reich
Lederhandlung Adolf Goldmann
Landgerichtsdirektor Martin Alterthum
Zahnarzt Dr. Georg Michelsohn (Eli Elkana)
Zahnarzt Dr. Georg Hirschfeld
Textilwarenhandlung Hermann Gutmann
Moses Benjamin Wulff
Maudrys Weinhandel
Hagelbergs Tuchgeschäft
Bankhaus Sonnenthal
Kaufmann Salomon Königsberg
Kaufmann Salomon Königsberg
Kaufhaus Eduard Bochardt
Papier- und Geschenkwarenhandlung Josef Schuber
Restaurant „Zur Wolfsschlucht“
Tuch- und Manufakturwarenhandel David Reichenheim
Hermann Eiseck und die Dessauer Gewerbebank
Zahnarzt Dr. Georg Hirschfeld
Rechtsanwalt Dr. Hermann Cohn
Kaufhaus Joske
Kaufhaus Hugo Rosenthal
Schuhwarenhaus Markus Rosenkranz
Dr. Adolph Arnhold – Arzt und Politiker
Bankhaus I. H. Cohn
Palais Baronin Cohn-Oppheim (Messelhaus)
Rechtsanwalt und Staatsrat Dr. Hermann Cohn
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alte Synagoge
Rabbinerhaus
neue Synagogoe
Israelitischer Friedhof
Franzschule
Geburtshaus Moses Mendelssohn
Geburtshaus Kurt Weill
Textilhandlung Neumann Lipsky (Kleiner Markt 3)
Textilhandlung Neumann Lipsky (Zerbster Straße 41)
Schuhwarenhaus Mayer Reich
Lederhandlung Adolf Goldmann
Landgerichtsdirektor Martin Alterthum
Zahnarzt Dr. Georg Michelsohn (Eli Elkana)
Zahnarzt Dr. Georg Hirschfeld
Textilwarenhandlung Hermann Gutmann
Moses Benjamin Wulff
Maudrys Weinhandel
Hagelbergs Tuchgeschäft
Bankhaus Sonnenthal
Kaufmann Salomon Königsberg
Kaufmann Salomon Königsberg
Kaufhaus Eduard Bochardt
Papier- und Geschenkwarenhandlung Josef Schuber
Restaurant „Zur Wolfsschlucht“
Tuch- und Manufakturwarenhandel David Reichenheim
Hermann Eiseck und die Dessauer Gewerbebank
Zahnarzt Dr. Georg Hirschfeld
Rechtsanwalt Dr. Hermann Cohn
Kaufhaus Joske
Kaufhaus Hugo Rosenthal
Schuhwarenhaus Markus Rosenkranz
Dr. Adolph Arnhold – Arzt und Politiker
Bankhaus I. H. Cohn
Palais Baronin Cohn-Oppheim (Messelhaus)
Rechtsanwalt und Staatsrat Dr. Hermann Cohn
Historische Orte jüdischen Lebens in Dessau
Die Sandvorstadt
Urkundlich ist der ständige Aufenthalt von Juden in einem der anhaltischen Teilfürstentümer
ab dem Jahre 1671 in Dessau nachgewiesen, als Fürst Johann Georg II. von Anhalt-Dessau die
Ansiedlung von Juden genehmigte, beschränkt vorerst jedoch auf die Vorstadt auf dem Sande.
Vom Leben in der Sandvorstadt: Nach 1500 entstand im Osten von Dessau die Muldvorstadt,
die unter der Verwaltung des Rates stand. Mit fürstlicher Genehmigung entstand ab 1534
südlich der Altstadt, außerhalb der Ringmauer die „Sandvorstadt“, benannt nach der dortigen
Bodenbeschaffenheit. Ihre Grenze wurde bestimmt durch den Verlauf der Fürsten- und der
Askanischen Straße zwischen Kavalierstraße und Askanischem Platz. Sie unterstand nicht dem
Rat, sondern dem fürstlichen Amt und hatte einen eigenen „Sandrichter“. Es waren hauptsächlich ärmere Leute, die sich hier ansiedelten.
Bei Aufstellung des Landregisters von 1547/49 standen in der Sandvorstadt 15 Häuser. 1663
waren es schon 130.
Jeder Hausbesitzer in der Sandvorstadt hatte dem fürstlichen Amt einen halben Gulden und
der fürstlichen Hofküche ein Huhn zu entrichten. Später betrug der Geldzins 12 Groschen
(1617) und fünf Eier zusätzlich. Zu den Abgaben kamen noch Dienstleistungen. Ursprünglich
sollten die „Sänder“ acht Tage mehr als die Bewohner in der Ringmauer dienen. Die Arbeiten
waren bei Damm- und Deichbauten zu verrichten. Später gesellte sich das Harkergeld hinzu,
eine Steuer, die den Hausbesitzern anstelle einer zusätzlichen Fron zum Einbringen des Sommergetreides und Heus auferlegt wurde und 9 Groschen pro Haus betrug. Dazu kamen noch
andere Auflagen, wie Scheuern, Kehren sowie Waschen im Schloss, und die Bewohner wurden
zu weiteren Hofdiensten verpflichtet. Der schwerste war der Jagddienst, zu dem eine regelrechte Musterung auf Tauglichkeit vorgenommen wurde. Die dazu bestimmten Leute mussten
die Hunde zu den Jagden führen. Die hiermit belasteten Häuser hießen Jagdhäuser. Die Straßen und Gassen der Sandvorstadt erhielten im Jahre 1694 Namen.
Seit der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts lebten auch Juden in der Sandvorstadt und
schlossen sich zu einer Gemeinde zusammen. Sie wählten aus ihren Reihen die Ältesten, die
für Ordnung und Einigkeit sowie strenge Einhaltung ihres Ritus sorgten, stellten einen Kantor
ein und gewannen als Berater in Glaubenssachen den Rabbiner zu Halberstadt. Sie zahlten wie
die anderen Sandvorstädter ihren Erbzins und das Harkergeld an den Sandrichter, die übrigen
Abgaben aufgrund ihrer Schutzbriefe aber direkt an das fürstliche Amt.
Bei der Umsetzung der ihnen zugesprochenen Rechte kamen aber Juden des öfteren in Konflikt mit Dessauer Innungen, wie z. B. der Fleischer, wenn es sich um das Schächten handelte,
oder der Kramer, die das Hausieren der Juden beanstandeten. Den Juden waren Handel und
Geldverleih gestattet. Nicht koschere Fleischteile durften sie pfundweise verkaufen. Der Hauskauf war ihnen erlaubt, jedoch nicht der Erwerb von Garten- oder Ackerland.
Die Juden ihrerseits suchten keinen Kontakt zur Dessauer Einwohnerschaft und deren geistigen oder kulturellen Leben. Das Erlernen wie Benutzen der deutschen Sprache sowie das Lesen deutscher Bücher war ihnen durch die jüdische Gemeinschaft bei Strafe untersagt, um die
kulturelle Eigenständigkeit zu bewahren. Die Umgangssprache der Juden war das Jiddische,
ihre Gelehrtensprache das Hebräische.
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Historische Orte jüdischen Lebens in Dessau
Alte Synagoge
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Alte Synagoge Blick von Nordwesten in den Hofbereich Schulstraße 10, um 1900
Alte Synagoge Blick in den Innenraum
© Museum für Stadtgeschichte Dessau
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Alte Synagoge
Bis 1908 Schulstraße 10, im dortigen Hofareal befindlich, dann abgerissen,
heute: Kantorstraße 3
Die Synagoge erfüllt einen dreifachen Zweck: Erstens dient sie zu Gottesdiensten, zweitens ist
sie Ort zum Studium der Thora bzw. der Diskussion um ihre Auslegung, und drittens ist sie Versammlungsort der Gemeinde. Damit stellt eine Synagoge den wichtigsten Ort der Gestaltung
des religiösen Lebens überhaupt dar.
1686 gestattete Fürst Johann Georg II. von Anhalt-Dessau den Bau der (ersten) Synagoge.
Hierfür hatten Gemeindemitglieder bereits 1684 anlässlich der Aufteilung von Gärten des so
genannten Mittelkreises ein Grundstück erworben.
Mit dem Bau wurde alsbald begonnen. Damit zählt die Dessauer Synagoge zu einem der frühesten jüdischen Glaubenshäuser im mitteldeutschen Raum.
Mit dem stetigen Anwachsen der jüdischen Gemeinde in der Dessauer Residenzstadt erwies
sich der Bau bald als zu klein und wurde 1711 erweitert. Nach einem Brand wurde im Jahr 1729
– unter der Regierung des Fürsten Leopold I. von Anhalt-Dessau, dem „Alten Dessauer“ – die
wiederaufgebaute Synagoge fertig gestellt.
1858/59 wurde sie umgebaut und umgestaltet.
Die Synagoge stand den Blicken der christlichen Nachbarschaft entzogen, hinter dem Vorderhaus in der Schul- (heute: Kantor-) straße und war von einem freien Gang umgeben.
Auch diese Synagoge war ein bescheidener Raum, zu dessen Innenraum, der von Tageslicht
nur schwach erhellt wurde, einige Stufen hinab führten.
Im Zuge des Neubaus von Synagoge und Gemeindehaus von 1906–08 in der Steinstraße wurde die alte Synagoge abgerissen.
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Historische Orte jüdischen Lebens in Dessau
Rabbinerhaus
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Das Rabbinerhaus vor dem Neubau von 1889, in den das rechte Nachbarhaus einbezogen
wurde (zeitgenössische Lithographie)
Das 1889 erbaute ehemalige Rabbinerhaus (nach 1945)
© oben: Museum für Stadtgeschichte Dessau; unten Stadtarchiv Dessau-Roßlau
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Rabbinerhaus
Schulstraße 10, nach 1933 Auf dem Sande 9/10, heute: Kantorstraße 3
- Rabbinerhaus und Schulgebäude - seit 1994 Sitz der Jüdischen Gemeinde
Mitglieder der jüdischen Gemeinde erwarben im Jahre 1684 das Grundstück Nr. 164 (später
Schulstraße 10, heute Kantorstraße 3). Auf dessen Hintergelände errichtete die Gemeinde in
den folgenden Jahren – vor den Blicken der christlichen Nachbarschaft geschützt – ihre erste
Synagoge.
Im Vorderhaus lebte der Rabbiner, wohl nie – wie die lange verwendete Bezeichnung
„Kantorhaus“ nahe legt – der Kantor, und hier befand sich die Schule. Später wurde das Rabbinerhaus unter Einbeziehung des südlichen Nachbarhauses erweitert: Hier hatte sich 1687
der Strumpfwirker Hans Gürge Beck ein Haus errichten lassen. Er verkaufte das Haus 1711 an
den Schutzjuden Abraham Levi. Zuvor hatte er bereits 1699 einen Teil des Hofraumes an die
jüdische Gemeinde veräußert. Nach weiteren jüdischen Besitzern kamen Haus und Grundstück
1781 in den Besitz der jüdischen Gemeinde, die es dem 1785 gegründeten jüdischen Gymnasium, der Talmudschule, zur Verfügung stellte. 1809 erwarb es deren Vorsteher Hirsch Benjamin.
Nachdem die Talmudschule 1825 mit der Franzschule vereinigt worden war, kam das Haus
wieder in den Besitz der jüdischen Gemeinde.
Beide Häuser wurden 1889 unter Vereinigung der Grundstücke durch einen Neubau ersetzt.
Dieser erhielt einen Dacherker mit seiner heute noch vorhandenen zwiebelförmigen Haube.
Während die im Hintergelände stehende Synagoge 1908 nach Einweihung der neuen abgerissen und der Platz zu einer Gartenanlage umgestaltetet wurde, blieb das Wohnhaus des Rabbiners stehen.
Das Haus überstand die Pogromnacht vom 9. November 1938, als aufgehetzte SA-Banden
auch dieses Gebäude plünderten, und mit geringen Schäden auch den Feuersturm des 7. März
1945.
Schon im Sommer 1945 zogen in das Gebäude städtische Verwaltungsstellen ein, und am 15.
Juni 1951 wurde hier das Lehrlingswohnheim des VEB Reichsbahnausbesserungswerk „Otto
Grotewohl“ eingerichtet. Von 1971 bis 1981 war es Gästeheim des RAW, dann ging es in den
Besitz des Impfstoffinstituts über und wurde – unter maßgeblicher Beibehaltung der ursprünglichen Ansicht – zu einem Gäste- und Lehrlingswohnheim umgestaltet.
Mit Gründung der neuen Dessauer Jüdischen Gemeinde 1994 ist an dieser
geschichtsträchtigen Stelle deren Sitz.
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Historische Orte jüdischen Lebens in Dessau
Rabbinerhaus
Die Rabbiner in Dessau im 19. Jahrhundert bis 1938 waren:
Speyer, Michael
Rabbiner ab etwa 1800 bis 1822,
geb. um 1736 in Frankfurt am Main, gest. 27.5.1822 in Dessau.
Er kam im Jahre 1798 aus Friedberg nach Dessau, der damaligen Residenzstadt des Fürstentums Anhalt-Dessau. – Seine Frau Marianne starb im Jahre 1811 im Alter von 36 Jahren im
Kindbett, wenige Tage nach der Geburt des Sohnes Salomon.
Lippschütz, Israel
Rabbiner in Dessau zwischen 1823 und 1828,
geb. 1782 in Groß-Grogau, gest. 19.9.1860 in Danzig.
Er entstammte einer orthodoxen Rabbinerfamilie und war Sohn des Rabbiners Gedalja ben
Israel Lippschütz (1746–1826). Er war zunächst Rabbiner in Wronke bei Posen. Im Hebst 1823
wurde er in Dessau am jüdischen Gymnasio und zugleich in Nachfolge des verstorbenen
Rabbiners Michael Speyer als „Vize-Rabbiner“ bei der Dessauer und sämtlichen Landgemeinden in Anhalt-Dessau angestellt. Sein Vertrag wurde wegen verschiedener Kritikpunkte nicht
verlängert, und er verließ Dessau. Später wurde er Rabbiner in Danzig. Er verfasste mehrere
religionsphilosophische Abhandlungen und Kommentare zur Mischna. – In Dessau wurde am
25.11.1825 Lippschütz und seiner Frau der Sohn Jacob Asniae geboren.
Dr. Hirsch, Samuel
Rabbiner in Dessau zwischen 1839 und 1841,
geb. 8.6.1815 in Thalfang, gest. 15.5.1889 in Chicago.
Er wuchs in Thalfang in bescheidenen Verhältnissen auf. In seinem damals rein landwirtschaftlich geprägtem Heimatdorf Thalfang lebten nach seinen eigenen Angaben - wohl zur Zeit
seiner Kindheit - unter der überwiegend evangelischen Bevölkerung 18 jüdische Familien. Im
Laufe seines Lebens wurde er zu einem bedeutenden jüdischen Religionsphilosophen und zu
einer der führenden Persönlichkeiten des Reformjudentums. Zugleich gilt er als ein heute noch
moderner Vertreter der jüdisch-christlichen Versöhnung.
Er studierte an den Universitäten Bonn, Berlin und Leipzig, erhielt seine rabbinische Ausbildung in Metz und war ab 1838 Rabbiner in Dessau, bis er wegen der seinen Gegnern zu radikal
erscheinenden reformerischen Ansätze 1841 aus dem Amt gedrängt wurde. Von 1843 bis 1866
war er im Großherzogtum Luxemburg als Großrabbiner tätig. Auf den deutschen Rabbinerversammlungen der Jahre 1844/45 vertrat er eine radikale Reform des Judentums, womit er in
Deutschland allerdings nicht durchdringen konnte. Er wanderte nach Amerika aus und gründete dort die Orphan’s Guardian Society und den ersten amerikanischen Zweig der Alliance
Israélite Universelle, wurde als Nachfolger David Einhorns 1866 Rabbiner der Reformgemeinde in Philadelphia, Penn./USA, und Vorsitzender der ersten Konferenz der amerikanischen (de
facto Reform-) Rabbiner (Philadelphia 1869). Als solcher hatte er großen Anteil an der Ausformulierung der Grundsätze des Reformjudentums. Er blieb 22 Jahre Rabbiner in Philadelphia,
retirierte 1888 und zog mit seinem Sohn, Emil Gustav Hirsch (ebenfalls Philosoph und Rabbiner), nach Chicago, wo er bald darauf verstarb. Samuel Hirsch unternahm den Versuch, zwischen einem bleibenden ideellen Kern und einem der Tagesnotwendigkeit unterliegenden bloß
äußerlichen Ritus des Judentums zu unterscheiden (vgl. seinen Katechismus der israelitischen
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Rabbinerhaus
Religion) und nahm auf Basis dieser Lossprechungsformel radikalste Änderungen vor, z. B. die
eifrig verfochtene Einführung des Sonntagsgottesdienstes.
Levy, Samuel
Rabbiner zwischen ? und ?
Lebensdaten unbekannt.
Er muss entweder vor oder nach Samuel Hirsch Rabbiner in Dessau gewesen sein. Seine Witwe
Veilchen Levy starb am 19.7.1854 im Alter von 83 Jahren.
Stadthagen, Vorname?
Rabbiner in Dessau zwischen 1850 und 1851.
Philippson, Gustav
Prediger zwischen 1859 und 1869,
geb. 3.2.1817 Dessau, gest. 1880 Dessau, Lehrer in Dessau
Gustav Philippson besuchte die Franzschule und das angeschlossene Lehrerseminar in Dessau. Danach studierte er Philosophie und israelitische Theologie in Berlin. Später arbeitete er
als Hauslehrer u. a. in Prag und Teplitz. Seit 1842 lebte er in Dessau und arbeitete als Lehrer an
der Franzschule. In den politischen Auseinandersetzungen nach 1848 trat er als engagierter
Demokrat auf und war u. a. zusammen mit dem Gesellen Achilles Vorsitzender des Dessauer
Gesellenvereins. Er bewirkte, dass die Franzschule in eine staatliche Handelsschule umgewandelt wurde und die Lehrer staatliche Beamte wurden. 1859 wurde er als Prediger an der
Israelitischen Kultusgemeinde angestellt. Er trat am 6. April 1869 in den Ruhestand und ging
am 12. Mai 1869 nach Berlin. Er war Abgeordneter der drei Dessauer Sonderlandtage und des
1. und 2. ordentlichen Gesamtlandtages von Anhalt-Dessau-Köthen. Er schrieb „Die Geschichte
der herzoglichen Franzschule in Dessau 1799–1869“, erschienen 1869 in Dessau.
Dr. Saalfeld, Siegmund
Rabbiner in Dessau zwischen 1870 und 1880,
geb. 24.3.1843 in Stadthagen, Schaumburg-Lippe, gest. 1.5.1926 in Main.
Er studierte in Berlin und promovierte hier 1870 zum Dr. phil. (?). Im selben Jahr kam er als
Rabbiner nach Dessau. Nach 10-jähriger Tätigkeit in der anhaltischen Haupt- und Residenzstadt
wurde er zum Rabbiner in Mainz gewählt. Er blieb in diesem Amt bis 1918 und war danach
Privatgelehrter in Mainz. Er war auch publizistisch tätig und hier u. a. als Mitarbeiter an „Meyers
Conversations-Lexikon“ und an der „Jüdischen Enzyklopädie“. Dazu kamen zahlreiche Veröffentlichungen zur jüdischen Geschichte in Mainz.
Schönberger, Philipp
Rabbiner in Dessau zwischen 1880 und 1884,
Seine Lebensdaten sind unbekannt. Er muss nach dem Weggang Dr. Siegmund Saalfelds im
Jahre 1880 bis 1884 Rabbiner in Dessau gewesen sein.
Dr. Weiße, Samson
Rabbiner in Dessau zwischen 1884 und 1893,
geb. 1857 in Waag-Neustadt, gest. 1946 in London.
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Historische Orte jüdischen Lebens in Dessau
Rabbinerhaus
Er kam nach seinem Studium im Jahre 1884 nach Dessau, zunächst als Prediger und Leiter der
Religionsschule, und wurde bald zum Landesrabbiner berufen. Er verließ Dessau im Jahre 1893
und wurde Rabbiner in Berlin. Dr. Weiße gehörte der konservativen Richtung an, war in Berlin
Mitbegründer der Religiösen Mittelpartei und sehr aktiv auch im Schulwesen tätig. Seit 1926
gehörte er der Repräsentantenversammlung und dem Verbandstag des Preußischen Landesverbandes jüdischer Gemeinden an. Im Jahre 1939 wanderte er nach England aus.
Dr. Freudenthal, Max
Rabbiner zwischen 1893 und 1900,
geb. 12. 6. 1868 in Neuhaus, gest. 11. 7. 1937 in Nürnberg.
Als Sohn eines Volksschullehrers geboren, besuchte er zunächst die Volksschule in Grünbach
(Pfalz), zuletzt das Gymnasium in Worms. 1886 begann er sein Studium an der Universität und
am jüdisch-theologischen Seminar in Breslau. 1890 promovierte er zum Dr. phil. an der Universität Greifswald mit dem Thema Die Erkenntnislehre Philos von Alexandria. 1891 wurde er Lehrer
am Gymnasium und der Töchterschule in Breslau, wobei er seine Studien weitertrieb und seine
Autorisation als Rabbiner erhielt. 1893 wurde er Rabbiner von Dessau und gleichzeitig auch
Landesrabbiner von Anhalt. 1900 wurde er Rabbiner von Danzig und 1937 von Nürnberg. –
Er war ein Vertreter der liberalen Richtung, so war er Mitbegründer und Vorstandsmitglied
der Vereinigung für das liberale Judentum in Deutschland. Daneben war er auch Ausschuss­
mitglied des Allgemeinen Deutschen Rabbinerverbandes. Seit 1928 war er Mitherausgeber der
Zeitschrift für Geschichte der Juden in Deutschland.
Dr. Walter, Isidor
Ab 1900 bis 1938 letzter Rabbiner in Dessau,
geb. 12.5.1872 in Neustettin im heutigen Polen, ermordet 2.4.1943 in Theresienstadt.
Nach seinem Philosophiestudium arbeitete er als Rabbiner einige Jahre in Brandenburg. Im
Jahr 1900 wurde er Rabbiner in Dessau, zugleich Landesrabbiner von Anhalt. Begünstigt durch
die Industrialisierung, welche viele jüdische Bürger aus den ländlichen Gegenden als Geld­
geber und Investoren in die Städte zog, blühte unter ihm die Israelitische Kultusgemeinde
Dessau auf. Er kümmerte sich um Stiftungen für die Gemeinde, die zum Beispiel zwischen 1906
und 1908 den Bau einer neuen Synagoge ermöglichten. Mit diesem Neubau präsentierte sich
die Gemeinde erstmals sichtbar als gleichberechtigtes Mitglied des Dessauer Stadtbürgertums.
Obwohl Isidor Walter ein orthodoxer Jude war, akzeptierte er, dass die Dessauer Gemeinde
eher aufklärerisch-liberal geprägt war. Den Ersten Weltkrieg erklärte er als Verteidigungskrieg
und forderte junge jüdische Männer auf, sich freiwillig zum Kriegsdienst zu melden. Isidor
Walter war mit Helene Stern, die am 11. Oktober 1882 in Königshütte geborenen wurde, verheiratet. Zusammen hatten sie zwei Kinder, Ernst und Edith, die später Deutschland verließen
und nach Haifa in Palästina flüchten konnten. Am 4. April 1933 wurde er durch die Nationalsozialisten seines Amtes als Landesrabbiner enthoben. Der Landesverband der Israelitischen
Kultusgemeinden Anhalts stellt ihn daraufhin am 13. Mai 1934 als Landesrabbiner ein. Im
Novemberpogrom 1938 gehörte auch Dr. Isidor Walter zu den im Konzentrationslager Buchenwald inhaftierten und gequälten Männern. Nach seiner Freilassung strebte das Ehepaar die
Auswanderung an, was jedoch nicht gelang. Sie zogen nach Berlin, von wo sie am 27. Juli 1942
nach Theresienstadt deportiert wurden. Dort starben Dr. Isidor Walter am 5. April 1943, Helene
Walter am 9. März 1944.
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Historische Orte jüdischen Lebens in Dessau
Synagoge
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Eckehaus Askanische Straße/Steinstraße
vor dem Abriss 1905 (für den Neubau des Gemeindehauses)
Neue Synagoge mit Gemeindehaus an der Ecke Askanische Straße/Steinstraße, um 1909
© oben: Museum für Stadtgeschichte Dessau; unten Mendelssohn-Gesellschaft Dessau
Historische Orte jüdischen Lebens in Dessau
Synagoge
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Neue Synagoge
Sandvorstadt mit Kuppel der Synagoge, nach 1910 (Kuppel neu gedeckt)
Steinstraße nach Süden, rechts mündet die Fürstenstraße in die Steinstraße
© Stadtarchiv Dessau-Roßlau
Historische Orte jüdischen Lebens in Dessau
Synagoge
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Neue Synagoge Thoraschrein, Almemor, Kanzel und Orgel im Osten in der Apsis
Neue Synagoge
© Museum für Stadtgeschichte Dessau
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Synagoge
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Neue Synagoge nach dem Pogrom am 9. November 1938
© Museum für Stadtgeschichte Dessau
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Synagoge und Gemeindehaus
1908 bis 1938 Steinstraße 11/14, heute: ca. Askanische Straße 5,
in der Pogromnacht 1938 ausgebrannt, eine Woche später abgetragen.
Zwischen 1900 und 1905 erwarb die Israelitische Kultusgemeinde für den geplanten Neubau
der Synagoge die Grundstücke Steinstraße 11 bis 14 und Askanische Straße 162/63.
Die Synagoge an der Askanischen Straße/Steinstraße wurde zwischen 1906 und 1908 nach
Plänen des Architekturbüros Cremer & Wolffenstein aus Berlin errichtet. Die Grundsteinlegung
erfolgte am 14. Mai 1906. Am 18. Februar 1908 wurde die neue Synagoge in Anwesenheit des
Herzogs Friedrich II. (regierte 1904–1918) und vieler Repräsentanten der Dessauer und Anhaltischen Gesellschaft aus Verwaltung, Politik, Wirtschaft und Kultur mit einem Festgottesdienst
eingeweiht.
Möglich wurde dieser imposante Neubau mit angrenzendem Gemeindezentrum durch das
Erbe der Baronin Julie von Cohn-Oppenheim. Das Gebäude war in neoromanischen Formen
gehalten, der Innenraum wurde nach gotischer Art gegliedert. Die hohe stattliche Kuppel mit
goldenem Davidstern prägte fast 30 Jahre lang das Stadtbild Dessaus. Sie war die wichtigste
Synagoge Anhalts.
Bereits in den Nachmittagsstunden des 9. November 1938, der so genannten ReichsKristallnacht, wurde die Synagoge geplündert und in Brand gesetzt. Eine große Anzahl Thorarollen und weitere Kultgeräte aus den gesamten jüdischen Gemeinden Anhalts, die hier zum
Teil gelagert waren, wurden zerstört. Nur wenige Tage später wurde die Ruine abgetragen.
Am 9. November 1988 wurde an der Askanischen Straße/Ecke Kantorstraße eine Gedenkstele
errichtet.
Im Rahmen des Neubaus der Synagoge zwischen 1906 und 1907 wurde auch das
Gemeindehaus der Israelitischen Kultusgemeinde errichtet. Im Erdgeschoss befand sich neben
Verwaltungsräumen auch die Wohnung des Kantors. Bis 1919 war dies Albert Weill. Sein Sohn
Kurt Weill, der später als Komponist in Berlin weltberühmt wurde, und nach seiner Emigration
1935 in den USA erfolgreich wirkte, verbrachte hier Kindheit und Jugend. Er lebte hier noch
einmal von August bis Dezember 1918. Nach dem Wegzug Albert Weills 1919 lebten hier Walter Heumann und zuletzt Ludwig Ickelheimer. Die Kantoren waren teilweise als Schächter bzw.
Lehrer in der Gemeinde angestellt.
Im ersten Stockwerk befanden sich Räume für das gesellige Leben der Gemeindemitglieder. Im
zweiten Stockwerk versammelten sich die Brüder der Anhalt-Loge des Unabhängigen Ordens
B’nai B’rith. Die Loge wirkte bildend, erzieherisch und philanthropisch in die öffentliche Gesellschaft bis zur Auflösung und Enteignung durch den NS-Staat.
Auch das Gemeindehaus wurde 1938 zerstört.
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Historische Orte jüdischen Lebens in Dessau
Synagoge
Kantoren in Dessau im 19. und 20. Jahrhundert waren:
Königsberg, Hirsch W.,
geb. 1792, gest. 16.12.1862 in Dessau, beigesetzt auf dem Israelitischen Friedhof.
Er war ein Sohn es beliebten Kantors Wolf Königsberg (um 1764 – 1848) und wirkte als Nachfolger seines Vaters 42 Jahre lang als Kantor der jüdischen Gemeinde in Dessau. Hirsch Königsberg wurde als einer der besten Kantoren seiner Zeit bezeichnet. Anlässlich seines 40-jährigen
Amtsjubiläums als Kantor erhielt er vom Gemeindevorstand einen Silberpokal überreicht. Er
starb im Jahre 1862, seine Frau Friederike Im Jahre 1875. Die jüngste Tochter Fanny verlobte
sich in Dessau am 18. Mai 1845 mit dem Kaufmann Moritz Sonnenthal.
Kornick, H. David,
geb. 1784, gest. 10.7.1864 in Dessau.
Der gegenüber H. W. Königsberger ältere Kantor und Gemeindediener H. David Kornick könnte
bereits vor Königsberger als Kantor amtiert haben. Seine Frau Friederike (geb. 1799) starb am
15.9.1850.
Abel, Moritz,
Geburtsdatum unbekannt, gest. um 1890 in Dessau.
Er war als Nachfolger des 1864 verstorbenen Kantors David Kornick ab 1864 Kantor und
Schächter, später auch Vorbeter und Elementarlehrer der Israelitischen Kultusgemeinde.
Am 14. Dezember 1858 heiratete Moritz Abel Rosalie Cohn (geb. 25.4.1832, gest. 1.5.1880 in
Dessau). Am 30.10.1859 wurde dem Ehepaar eine Tochter und am 1.10.1860 ein Sohn geboren.
Horwitz, Ludwig,
geb. 8.2.1862, Todesdatum unbekannt.
Er stammte nicht aus Dessau und kam als Nachfolger von Moritz Abel ab ca. 1888/89 als Kantor
und Lehrer nach Dessau. Er verließ wohl 1898 Dessau und ging in gleicher Funktion nach Kassel. In Dessau schrieb er wichtige Arbeiten zur örtlichen Geschichte: „Geschichte der Herzoglichen Franzschule in Dessau 1799–1849“ (1894), „Emanzipation der Juden in Anhalt-Dessau“
(1896). Auch später hat Ludwig Horwitz weitere Publikationen zur anhaltischen Geschichte verfasst. In Kassel beschäftigte er sich ebenfalls mit der jüdischen Geschichte. – Er war mit Paula
geb. Rosenthal (geb. 5.5.1864) verheiratet.
Blitz, B.
Lebensdaten unbekannt.
Er war zwischen 1897 und 1911 als Beamter der Israelitischen Kultusgemeinde in verschiedenen Funktionen angestellt, u. a. auch lange Jahre als Kantor (um 1897) – zusammen mit
Ludwig Horwitz – danach als Schächter und Gemeindediener.
Weill, Albert,
geb. 2.1. 1867 in Kippenheim, gest. 30.12.1950 in Nahariya/Israel.
Der Sohn des Kaufmanns Nathan Weill absolvierte eine Ausbildung zum Kantor und Religionslehrer und war zunächst in mehreren badischen Gemeinden tätig. Bekannt wurde er durch die
im Jahre 1893 veröffentlichten „Synagogen-Gesänge“.
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Historische Orte jüdischen Lebens in Dessau
Synagoge
1897 heiratete er Emma Ackermann. Vater Weill wurde frühzeitig Zionist und kam im Jahre
1898 als Kantor an die Israelitische Kultusgemeinde nach Dessau. Zum Höhepunkt seines
Wirkens in Dessau wurde die Einweihung der neu errichteten großen Synagoge in der Steinstraße am 18. Februar 1908 in Anwesenheit des Herzogs und der gesamten herzoglichen
Familie, der Spitzen des anhaltischen Staates sowie der Stadt Dessau mit einem Festgottesdienst, den Albert Weill musikalisch begleitete. Nach den Veränderungen durch die Revolution
1918, die sich auch auf das Gemeindeleben auswirkten, verließen Albert und Emma Weill 1919
Dessau und gingen nach Leipzig. Albert Weill übernahm die Leitung eines Kinderheims und
Waisenhauses der jüdischen Loge B‘nai B‘rith.
Zusammen mit seiner Frau konnte Albert Weill 1935 nach Palästina emigrieren, wo Albert 1950
und Emma 1955 starben.
Heumann, David,
geb. 8.11.1880 in Brühl, gest. 20.6.1929 in Dessau, beigesetzt auf dem Israelitischen Friedhof.
Er kam im Jahre 1911 aus Pasewalk nach Dessau und wirkte hier als Kantor, Schächter und
Religionslehrer – also noch zu Zeiten von Kantor Albert Weill – an der Israelitischen Kultusgemeinde. 1914 wurde er zum Kriegsdienst eingezogen, von dem er erst 1918 nach Dessau
zurückkehrte. Er war ein beliebtes Mitglied der Dessauer Israelitischen Gemeinde und wegen
seiner hervorragenden Stimme und seiner rheinischen Frohnatur sehr geschätzt. Er starb 1929
nach schwerer Krankheit im 49. Lebensjahr. Er war mit Erna, geb. Lewin aus Pasewalk verheiratet. Beider Töchter waren Anneliese,
verh. Michaelis (geb. 1908), langjähriges Mitglied des Dessauer Friedrich-Theaters und Lotte
Heumann (geb. 1912 in Dessau), die nach ihrem Abitur Rechtswissenschaft in Bonn studierte.
Erna Heumann, beide Töchter und die Tochter von Anneliese Michaelis, Judith Michaelis,
wurden im Holocaust ermordet. Der Sohn Werner Heumann (geb. 1910) hat als einziger der
Familie die Schrecken des Nationalsozialismus überlebt. Er konnte 1939 nach London
emigrieren.
Ickelheimer, Ludwig,
geb. 21.11.1903 in Rieneck/Mainfranken, gest. 30.6.1963 in Israel.
Ludwig Ickelheimer wurde zum 1. April 1930 als Kantor, Religionslehrer und Sekretär der Israelitischen Kultusgemeinde als Nachfolger des 1929 verstorbenen Kantors David Heumann nach
Dessau berufen.
1932 heiratete Ludwig Ickelheimer Lotte, Tochter des Lederfabrikanten Adolf Goldmann. 1936
emigrierte er mit seiner Frau nach Palästina.
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Historische Orte jüdischen Lebens in Dessau
Israelitischer Friedhof
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Die 1906 errichtete Kapelle auf dem Israelitischen Friedhof
Moses Mendelssohn-Denkmal auf dem Bahnhofsvorplatz, 1933 entfernt und auf dem Friedhof
vor der Kapelle aufgestellt
© Museum für Stadtgeschichte Dessau
Historische Orte jüdischen Lebens in Dessau
Israelitischer Friedhof
1687 gestattete Fürst Johann Georg II. die Anlegung eines Begräbnisplatzes vor dem Leipziger
Tor, damals weit außerhalb der Stadt.
Der Friedhof wurde in der folgenden Zeit mehrmals erweitert, so 1695 durch den Kauf eines
Gartenplatzes „an der Kienheide“. 1715 erwarb die jüdische Gemeinde zwei Drescherhäuser
„neben dem Juden-Kirchhof nebst dem dazu gehörigen Platz“ und 1718 einen Garten mit
Wohnhaus neben der „Tanne“. In einem der Häuser wurde das Armen- und Krankenhaus
(Hekdish) eingerichtet.
1902 wurden das noch heute stehende Gärtnerhaus und die Wagenremise (heute Trauerhalle)
gebaut.
1906 wurde die Kapelle errichtet, wie die ab 1906–1908 erbaute Sanagoge nach Entwürfen des
Berliner Architekturbüros Cremer und Wolffenstein.
Das am 16. Juni 1890 in den Anlagen vor dem Bahnhof aufgestellte Denkmal für Moses Mendelssohn wurde 1933 von den Nationalsozialisten entfernt, auf dem Friedhof vor der Kapelle
aufgestellt und am 10. November 1938 – wie große Teile des Friedhofes – zerstört.
Nach 1945 stand der Friedhof unter Obhut der jüdischen Gemeinde in Magdeburg.
Ab 1970 fanden durch Jugendliche im Rahmen der Aktion Sühnezeichen Aufräumarbeiten
statt, und in den 1980er Jahren wurde der Friedhof mit kommunaler, kirchlicher und privater
Hilfe rekonstruiert.
Nachdem 1994 wieder eine jüdische Gemeinde in Dessau entstand, finden seit 1995 hier
wieder Beisetzungen statt.
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Historische Orte jüdischen Lebens in Dessau
Franzschule
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Franzschule, ab 1849 Handelsschule, zeitgenössische Lithographie
Die ehemalige Franzschule, vor 1945
© oben: Stadtarchiv Dessau-Roßlau; unten: Museum für Stadtgeschichte Dessau
Historische Orte jüdischen Lebens in Dessau
Franzschule
Leipziger Straße 9
Im Jahre 1785 trat fast die gesamte jüdische Gemeinde an den Fürsten heran, ein Gymnasium
errichten zu dürfen. Der Fürst bewilligte das Vorhaben und im Oktober 1785 – im selben Jahr
wie die fürstliche Hauptschule – wurde die Schule gegründet. Es war eine Talmud-Hochschule
rein religiösen Charakters, die der Vorbereitung auf das Lehrer- und Rabbiner-Amt diente.
Durch Vermächtnisse erhielt sie nach und nach einen Fonds von etwa 3.000 Talern, ein eigenes
Haus und eine Bibliothek. Sie verlor aber rasch an Bedeutung.
1799 hatte sich ein Verein junger jüdischer Menschenfreunde zusammengefunden und regten,
nach Mendelssohns Vorbild in Berlin, die Gründung einer weiteren Schule an, der „Frey-Schule“.
Unter Leitung David Fränkels, einem Großneffen des gleichnamigen Rabbiners, entwickelte
sie sich bald zu einer anerkannten Musterschule, die auch Lehrer ausbildete. Die Schule erhielt
1801 zwar die Sanktion des Fürsten, existierte jedoch bis 1815 ohne staatliche Zuschüsse. Sie
finanzierte sich ausschließlich aus freiwilligen Beiträgen, Spenden und Schulgeldern. Schon
bald erlangte die Schule einen hervorragenden Ruf in ganz Deutschland. 1815 bewilligte Herzog Franz der Schule einen Zuschuss. Im Jahr darauf bestätigte die Regierung die von Direktor
Fränkel verfasste neue Schulordnung und gab der Schule mit Zustimmung des Herzogs den
Namen „Franzschule“. Während die Schülerzahl der Franzschule stetig anstieg, nahm die Anzahl
der Lernenden des daneben bestehenden israelitischen Gymnasiums, der Talmudschule, ab.
Deshalb vereinigte man 1825 beide Anstalten.
Nach der Gleichstellung der Juden 1849 besuchten jüdische Schüler von nun an staatliche
Schulen. Die Franzschule hörte auf, eine Einrichtung der Israelitischen Kultusgemeinde zu sein
und wurde in eine staatliche Handelsschule umgewandelt.
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Historische Orte jüdischen Lebens in Dessau
Franzschule
Schüler, Gelehrte und Lehrer an der Franzschule:
Auerbach, Isaak (Isak)
Prediger, Schriftsteller und Pädagoge,
geb. 21.3.1791 in Inowraclaw/Posen, gest. 5.7.1853 in Dessau.
Er gehört zu den Pionieren der religiösen Reform in Deutschland. Anfangs als Prediger am
Beer-Jakobsonschen Tempel (Berliner Reform-Synagoge) tätig, wirkte er später längere Zeit als
Lehrer an der Israelitischen Mädchenschule in Berlin und war mehrere Jahre lang Direktor des
dortigen „Brüdervereins“. Über 25 Jahre war er dann Prediger in Leipzig. Zur Rechtfertigung des
Gebrauchs der deutschen Sprache beim Gottesdienst veröffentlichte er anonym die Schrift:
„Sind die Israeliten verpflichtet. Ihre Gebote durchaus in der hebräischen Sprache zu verrichten? Aus den Quellen des Talmuds und der späteren Gesetzlehrer erörtert“ (Berlin 1818). Der
Idee der politischen und religiösen Toleranz gab er Ausdruck in seiner Schrift „Die Aufnahme
Israels in die große Gemeinschaft der Nationen“ (Leipzig 1833). Über die Reformbewegung
überhaupt äußerte er sich in der Predigt „Das Verständnis der Zeit“ (Leipzig 1845). Die Blut­
beschuldigung und Judenverfolgung in Damaskus gab ihm Anlass zu einer kleinen Schrift:
„Israels Heimsuchung im Morgenlande“ (Leipzig 1840). Neun seiner Predigten sind gesammelt
erschienen u. d. T. „Die wichtigsten Angelegenheiten Israels“ (Berlin 1815).
Bacharach, Bernhard
Lehrer,
geb. 1806, gest. 15.9.1854 in Dessau.
Es ist nicht bekannt, wann er nach Dessau kam. 1839 starb Therese Bacharach im Alter von 30
Jahren (seine erste Frau?). Er muss später Henriette geb. Munck geheiratet haben. Dem Paar
wurde am 18.2.1848 ein Sohn geboren. Im Jahre 1850 erwarb Bernhard Bacharach, Lehrer und
Leiter einer Pensionsanstalt für israelitische Schüler, das Haus Nr. 172 (später Schulstraße 2, das
Grundstück gegenüber dem Rabbinerhaus). Seine Witwe heiratete 1856 den Lehrer Nathan
Schlesinger. Von beiden kam das Haus 1861 an den Schuhmachermeister Eduard Mehnert.
Caspari, Carl Paul
Dr. phil. Theologe und Orientalist,
geb. 8.2.1814 in Dessau, gest. 11.4.1891 in Christiania.
Der Sohn jüdischer Eltern besuchte in seiner Geburtsstadt die jüdische Schule und das Gymnasium. In Leipzig belegte er Vorlesungen über die orientalischen Sprachen Arabisch und Persisch. Durch seine Freunde und Studienkollegen Karl Graul und Franz Delitzsch wurde er mit
dem Neuen Testament bekannt gemacht. An Pfingsten 1838 ließ er sich christlich taufen. In den
Jahren 1839/1840 studierte er u. a. bei Ernst Wilhelm Hengstenberg Theologie. 1842 erwarb er
in Leipzig den Titel eines Doktors für Philosophie. 1844 veröffentlichte er eine zweibändige arabische Grammatik. Eine Berufung als außerordentlicher Professor nach Königsberg in der Nachfolge des frühzeitig verstorbenen H. A. Chr. Hävernick zerschlug sich aufgrund seiner positiven
Haltung gegenüber den separierten Lutheranern und den sich daraus ergebenden Konflikten
mit dem preußischen Staat. 1847 ging er als Lektor an die Universität von Christiania, dem heutigen Oslo, wo er 1857 schließlich eine Professorenstelle erhielt. Rufe nach Deutschland lehnte
er wiederholt ab, so auch 1867 nach Erlangen als Nachfolger seines Freundes Delitzsch, um
weiter in Norwegen wirken zu können. Er engagierte sich besonders für die Widerlegung der
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Historische Orte jüdischen Lebens in Dessau
Franzschule
These des dänischen Pfarrers und Theologen Nikolai Frederik Severin Grundtvig, der in Christus
die höchste Autorität sah und diese über die Bibel stellte und somit gegen den lutherischen
Grundsatz sola scriptura („nur die Schrift allein“) verstieß. Daneben war er Präsident der Vereinigung zur Bekehrung der norwegischen Juden und Mitglied der Bibelkommission. Bis 1891 war
er mit der Erstellung einer neuen Übersetzung des Alten Testaments ins Norwegische beschäftigt. Der Tod ereilte ihn bei der Übersetzung des Neuen Testaments.
Cohn, Falk
Dr. phil. Rabbiner,
geb. 18.9.1833 in Dessau, gest. 6.3.1901 in Bonn.
Der Sohn des Rabbiners und Lehrers an der Herzoglichen Franzschule in Dessau Hermann
Cohn (um 1798–1842) begann in jungen Jahren mit dem Studium des Talmud. Er studierte
Philologie und Philosophie in Berlin und setzte seine Talmud-Studien fort. 1860 Promotion an
der Universität von Leipzig über „Philosophisch-kritische Abhandlung über den Schlussvers des
Zweiten Buchs der Psalmen“. Anschließend war er fünf Jahre Prediger und Religionslehrer in
Wahren/ Mecklenburg. 1867 ging er nach Bielitz/Schlesien als Direktor der dortigen jüdischen
Schule. 1872 wurde er Prediger in Oels. 1882 wurde er Rabbiner in Bonn, wo er bis zu seinem
Tod blieb. Er verfasste zahlreiche Essays für Zeitschriften. Seine Hauptwerke sind: „Jüdische Religionsschulen neben Höheren Lehranstalten“ (Breslau 1878), „Zur Frage über die Arbeitsüberbürdung der Schüler und Schülerinnen Höherer Lehranstalten“ (1881) und „Disziplin in den
Jüdischen Religionsschulen“ (Oels 1881). 1901 erschienen seine „Jugenderinnerungen eines
ehemaligen Franzschülers“.
Cohn, Gerson B.
Dr., Lebensdaten unbekannt,
Sohn von Berend Isaac Cohn (um 1753–1832), des langjährigen Vorstehers und Rendanten der
Franzschule und Amalie Cohn, geb. Levy (um 1781–1835).
Gerson studierte in Halle Philosophie und jüdische Theologie und promovierte an der Universität Rostock. Danach war er einige Zeit als Hauslehrer in Penzlin/ Mecklenburg tätig. Im Oktober
1835 wurde er als Lehrer an der Franzschule angestellt. Zugleich war er Aushilfsprediger an der
Dessauer Synagoge. Wegen des zu geringen Einkommens verließ Dr. Gerson Cohn Dessau und
nahm eine Hauslehrerstelle in Tessin/Mecklenburg an. 1838 bewarb er sich um die
Predigerstelle in Dessau, die er jedoch nicht erhielt.
Coßmann, Bernhard
Musiker/Cellovirtuose,
geb. 17.5.1822 in Dessau, gest. 7.5.1910 in Frankfurt am Main.
Er besuchte die Franzschule, später die Herzogliche Hauptschule. Zugleich war er Schüler von
Karl Drechsler in Dessau. In Dessau ausgebildet, saß er später u. a. im Orchester der Italienischen Oper in Paris, ferner in dem des Leipziger Gewandhauses, und spielte auch in Weimar
unter Friedrich Liszt. 1866 wurde er Professor am Konservatorium in Moskau, 1870 bis 1878
lebte er privat in Baden-Baden, seither war er Professor am Hoch’schen Konservatorium in
Frankfurt am Main. Er trat nicht nur solistisch, sondern auch in Gruppierungen (Quartett) auf.
Mit eigenen Kompositionen ist er außer einigen kleinen Cellostücken (3 Phantasien: Tell und
Euryanthe, Etüden und Studien für Cello) und einigen Solowerken für andere Instrumente
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Historische Orte jüdischen Lebens in Dessau
Franzschule
nicht hervorgetreten, doch sind von ihm Klavierbearbeitungen von Philipp Emanuel Bach und
dem polnischen Komponisten Moniuszko für Cello gesetzt worden. Im Jahre 1890 adaptierte
Bernhard Cossmann den Erlkönig von Schubert für Cello-Solo eigens für seinen Schüler Heinrich Kiefer.
Fränkel, David 5
Rabbiner,
geb. 1707 in Berlin, gest. 4. 4.1762 in Berlin.
Er war Sohn des Naphtali Hirsch und Abkömmling einer bekannten Familie von TalmudGelehrten. David Fränkel war Rabbiner zu Dessau und dort der Lehrer des jungen Moses
Mendelssohn. In Dessau veranlasste er u. a. die Drucklegung der Schriften des Maimonides
wie „Mischneh Thora“ (4 Bände, Jeßnitz 1739–42) und ebenso „Moreh Nebuchim“ („Führer der
Verirrten“, 1743), die das Denken des jungen Moses Mendelssohn anregten. 1743 ging er als
Oberlandesrabbiner nach Berlin zurück, wo er Mendelssohn unterstützte, der ihm nachgefolgt
war. David Fränkel machte den von den meisten damaligen Rabbinern wenig beachteten
palästinensischen Talmud zum Hauptgegenstand seiner Studien.
Literatur: Kayserling, M., Moses Mendelssohn. Sein Leben und Wirken, Leipzig 1888; Auerbach, Jakob, Lessing und
Mendelssohn, in: Einladungsschrift zu der öffentlichen Prüfung der Bürger- und Realschule der israelitischen Gemeinde,
Frankfurt/Main 1867; Brühl, N., David Fränkel, in: ADB 7, S. 269; Wininger, S., Große Jüdische Nationalbiographie, 2. Bd.,
Cernauti 1927, S. 286.
Fränkel, David
Dr., Lehrer, Mitbegründer der jüdischen Knabenschule,
geb. 20.4.1779 in Berlin, gest. 18.5.1865 in Dessau.
Als Zwanzigjähriger gründete er im Jahre 1799 zusammen in Dessau mit Gleichgesinnten die
jüdische Knabenschule, die neben den in Berlin und Wolfenbüttel zu den ersten dieser Art in
Deutschland zählte. Nur ein Jahr später wurde er deren Vorsteher. Bereits im Jahre 1806 gründete er auch eine jüdische Töchterschule. Im Jahre 1808 wurde er vom Herzog Franz zum Direktor der israelitischen Schulen bestellt, damit auch gleichzeitig zum Leiter sämtlicher Lehrer
der israelitischen Schulen in den Landstädten des Herzogtums Anhalt-Dessau.
David Fränkel leitete das israelitische Schulwesen über 50 Jahre lang. Im Jahre 1806 begründete David Fränkel zusammen mit Josef Wolf die Monatsschrift Sulamith, die erste jüdische Zeitschrift in deutscher Sprache. Bis zum Jahre 1848 leitete er sie allein und verschaffte ihr schnell
Ausbreitung in ganz Europa. In insgesamt 99 Heften informierte sie jahrzehntelang über die
Lage der Juden in Europa. Gleichzeitig standen künstlerisch/kulturelle Fragen im Mittelpunkt.
David Fränkel war Großneffe des Dessauer Rabbiners gleichen Namens (siehe oben), der 1737
nach Dessau kam und von hier aus 1743 wieder zurück nach Berlin ging,
um dort Oberrabbiner zu werden.
Verfasste: (zus. mit Bock:) Pentateuch. Die fünf Bücher Moses, nach der deutschen Übersetzung von Moses
Mendelssohn,Dessau 1815; Vorläufige Bemerkungen über die zweckmäßigen Mittel zur Beförderung der Kultur und
Humanität unter der jüdischen Nation, in: Sulamith 1 (1806), Nr. 1; Gallerie schädlicher Mißbräuche, unanständiger
Convenieny und absurder Ceremonien unter den Juden, in: ebd. 1 (1806), Nr. 2 ff.
Literatur: Brüll, N., David Fränkel, in: ADB 7 (1878), S. 269; Philippson, Ph(öbus), in: Biographische Skizzen 1. und 2. Heft
Leipzig 1864 und 3. Heft, Leipzig 1866; Philippson, Gustav, Geschichte der Herzoglichen Franzschule (Handelsschule) in
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Historische Orte jüdischen Lebens in Dessau
Franzschule
Dessau von ihrer Entstehung 1799 bis zu ihrer Auflösung 1869, Dessau 1869; Horwitz, Ludwig, Geschichte der Herzoglichen Franzschule in Dessau 1799–1849, in: Mitteilungen des Vereins f. Anhaltische Geschichte und Altertumskunde,
Dessau 6 (1893), S. 504–543; ders.: Die Emanzipation der Juden in Anhalt-Dessau, Dessau 1896.
Louis, Isaac
Sprachlehrer,
geb. 4.2.1787 in Dessau, gest. 2.2.1858.
Er besuchte die Israelitische Franzschule.
Unter den Professoren Du Toit und Olivier und unter Dr. Ernst Tillich widmete er sich dem Studium der französischen und englischen Sprache, deren Kenntnis er bei einem Engländer, dem
Leipziger Lektor M. Young, vertiefte. Besonders Prof. Du Toit nahm sich seiner an und bildete
ihn zum Sprachlehrer aus. Als solcher unterrichtete Louis anfangs am Tillich’schen Erziehungsinstitut in Dessau, danach ab 1806 an der Franzschule. Außerdem veröffentlichte er eine Reine
von Büchern für den französischen und englischen Sprachunterricht. Er wurde am 29. April
1856 als Lehrer an der Franzschule zum Professor ernannt. Er erwarb im Jahre 1821 das Haus
Nr. 150 (später Steinstraße 16, seit 1960 Teil der Grünfläche zwischen Wohnblock Kantorstraße
7–11 und Hochhaus) für 2.100 Tlr.
Prof. Louis starb 1858, seine Witwe 1879.
Marcus, Ludwig
Geograph. Semitologe.
geb. 1898 in Dessau, gest. 15.7.1844 in Paris.
Ludwig Marcus besuchte die Herzoglichen Franzschule und das Herzogliche Gymnasium und
studierte anschließend an der Universität Berlin. 1825 ging er für weitere Studien nach Paris,
hatte dort zeitweilig eine Stelle als Deutsch- und Englischlehrer in Dijon inne und lebte zuletzt
als Privatgelehrter in Paris, wo er in geistiger Umnachtung jung starb. Er wurde auf dem Friedhof Montmartre beigesetzt.
Er hinterließ umfangreiche Studien zur Geschichte, Geographie, Linguistik, Astronomie und
Botanik.
Philippson, Gustav
Lehrer,
geb. 3.2.1817 Dessau, gest. 1880 Dessau.
Er besuchte die Franzschule und das angeschlossene Lehrerseminar in Dessau. Danach
studierte er Philosophie und israelitische Theologie in Berlin. Später arbeitete er als Hauslehrer
u. a. in Prag und Teplitz. Seit 1842 lebte er in Dessau und arbeitete als Lehrer an der Franz­
schule. In den politischen Auseinandersetzungen nach 1848 trat er als engagierter Demokrat
auf und war u. a. zusammen mit dem Gesellen Achilles Vorsitzender des Dessauer Gesellen­
vereins. Er bewirkte, dass die Franzschule in eine staatliche Handelsschule umgewandelt wurde
und die Lehrer staatliche Beamte wurden. 1859 wurde er als Prediger an der Israelitischen
Kultusgemeinde angestellt. Er trat am 6. April 1869 in den Ruhestand und ging am 12. Mai des
gleichen Jahres nach Berlin. Er war Abgeordneter der drei Dessauer Sonderlandtage und des
1. und 2. ordentlichen Gesamtlandtages von Anhalt-Dessau-Köthen. Er schrieb „Die Geschichte
der herzoglichen Franzschule in Dessau 1799–1869“, erschienen 1869 in Dessau.
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Historische Orte jüdischen Lebens in Dessau
Franzschule
Verfasste: Die Judenfrage von Bruno Bauer näher beleuchtet, Dessau 1843; Jeremias oder die Zerstörung des ersten Tempels. Ein Oratorium in drei Abteilungen, Anhang zu: Ernst: Zeitstimmen, Leipzig 1841; Der Golem und die Ehebrecherin.
Eine Prager Legende, in: Sulamith, 8 (1842), H. 10, Dessau, S. 254–57; Herzensergießungen eines Handlungslehrlings an
seinen jugendlichen Freund, in: Gehricke, Album Anhaltischer Schriftsteller, Oranienburg,1859, S. 873–90; Der jüdische
Hausierer. Eine kulturhistorische Skizze aus dem Anfange dieses Jahrhunderts, in: Gehricke, Album Anhaltischer Schriftsteller, Dessau 1860, S. 83–90; Geschichte der Herzoglichen Franzschule in Dessau 1799–1869, Dessau 1869.
Literatur: Horwitz, Ludwig, Geschichte der Herzoglichen Franzschule in Dessau 1799–1849, in: Mitteilungen des Vereins f.
Anhaltische Geschichte und Altertumskunde, 6 (1893), S. 504–43; Brückner, Franz, Häuserbuch der Stadt Dessau,
S. 957, 1696.
Philippson, Ludwig
Prof. Dr. phil.,
geb. 28.12.1811 in Dessau als Bruder des vorigen, gest. 29.12.1889 in Bonn.
Nach seinem Studium wurde er 1833 Prediger der israelitischen Gemeinde Magdeburg,
gründete im gleichen Jahr eine Religionsschule und verfasste selbst deren Lehrbücher. 1837
gründete er die Allgemeine Zeitung des Judentums, deren Herausgeber er bis zu seinem Tode
auch blieb. Er gab wegen Krankheit 1837 sein Rabbineramt ab, arbeitete seitdem ausschließlich wissenschaftlich und publizistisch für die Emanzipation des Judentums und war auch
zwischen 1854 und 1866 Herausgeber des Jüdischen Volksblattes. 1862 verzog er nach Bonn.
Für seine Bibelübersetzung, die in 16 Lieferungen erschien, erhielt er vom Zaren von Russland
die Große Goldene Verdienstmedaille. - Sein Sohn Martin, geb. 27.6.1846 in Magdeburg, gest.
2.8.1916 in Berlin, war ein bekannter Historiker und Professor in Bonn und 1878–90 in Brüssel,
zuletzt in Berlin. Dessen Bruder Alfred ( geb. 1.1.1864 in Bonn, gest. ?) war Geograph und
Professor in Bern, später in Halle bzw. Bonn.
Verfasste: Israelitisches Predigt- und Schulmagazin, Magdeburg 1834 ff.; Neueste Geschichte des jüdischen Volkes,
11 Bde. und Anhang, Berlin 1907 ff.
Philippson, Moses
Mitbegründer und erster Lehrer an der Franzschule,
geb. 9.5.1775 in Sandersleben, gest. 20.4.1814 in Dessau.
Er besuchte zunächst eine jüdische Winkelschule in Sandersleben und kam mit 12 Jahren an
eine rabbinische Hochschule in Halberstadt, mit 14 Jahren nach
Braunschweig und danach nach Frankfurt/Main. Er war zuerst als Hauslehrer in Bayreuth tätig,
wurde im Jahre 1799 einer der Mitbegründer und ersten Lehrer der israelitischen Schule in
Dessau und unterrichtete Hebräisch, Religion und Sittenlehre, verbunden mit biblischer
Geschichte und Talmud, dann auch Arithmetik. Er richtete in Dessau eine hebräische Druckerei
und Buchhandlung ein und vertrieb die Literatur u.a. auch auf der Leipziger Messe, weshalb er
auch aus dem Schuldienst ausscheiden musste.
Verfasste: Pentateuch. Kommentar zu den zwölf kleinen Propheten; Ein Lehr- und Lesebuch für die Jugend jüdischer Nation und für jeden Liebhaber der hebräischen Sprache, 2 Teile, Dessau 1808; Buch Daniel, ins Deutsche übers. von J. Wolf
und erläutert von M. Ph., Dessau 1808; Herausgeber der Zeitschrift „Neuer Sammler“, Fortsetzung der ersten jüdischen
Zeitschrift „Der Sammler“ in deutscher Sprache und in hebräischen Lettern.
Literatur: Phöbus Philippson, Moses Philippson, in: Biographische Skizzen, Leipzig 1864; Salomon, Gustav,
Lebensgeschichte des Herrn M. Ph. Lehrer an der Israelitischen Haupt- und Freischule zu Dessau, Dessau 1814; Brückner,
Franz, Häuserbuch der Stadt, S. 1680, 1730.
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Historische Orte jüdischen Lebens in Dessau
Franzschule
Rubens, Levy
Privatlehrer, Anglist, Gymnasiallehrer in Dessau,
geb. 1776 in Frankfurt (Oder), gest. 14.3.1855 in Dessau, beigesetzt auf dem Israelitischen
Friedhof in Dessau.
Er lebte ab 1800 in der anhalt-dessauischen Residenzstadt zunächst als Privatlehrer. Ab 1818
war er Lehrer für Englisch und Französisch an der Herzoglichen Hauptschule und wurde auch
bald zum Professor ernannt.
Ostern 1850 trat er in den Ruhestand, als der berühmte Anglist Karl Elze sein Nachfolger wurde.
Rubens verfasste Lehrbücher der englischen Sprache und wirkte auch als Übersetzer aus dem
Französischen. Er war Autor der von Fränckel begründeten Zeitschrift „Sulamith“.
Er war mit Henriette geb. Meyer (um 1787–1850) verheiratet.
Steindorff, Georg
Prof. Dr. phil., Ägyptologe,
geb. 12.11.1861 in Dessau, gest. 28.8.1951 in North Hollywood/Cal./USA.
Er entstammte einer jüdischen Kaufmannsfamilie. Georg Steindorff war Absolvent des
Ägyptologischen Seminars der Universität Göttingen. Er wurde 1884 bei de Lagarde mit der
Dissertation „Prolegomena zu einer koptischen Nominalclasse” promoviert. 1893 berief ihn die
Universität Leipzig. Den seit 1870 bestehenden Lehrstuhl für Ägyptologie hatte zuvor Georg
Ebers (1837–1898) inne. Die von dem Archäologen Gustav Seyffarth (1792–1885) begründete
ägyptische Sammlung erhielt durch Steindorff ihre wesentliche Prägung. Er baute die kleine
Lehrsammlung zu einem Museum, dem Ägyptischen Museum der Universität Leipzig, aus.
Auf seinen Forschungsreisen nach Ägypten erwarb er Gegenstände des Haus- und Grab­
gebrauchs, aber auch Kunstwerke kleineren Formats. Auch die Funde von Ausgrabungen
(z. B. den Kalksteinkopf der Königin Nofrete) brachte er mit Erlaubnis des damals von Franzosen
verwalteten Antikendienstes nach Leipzig. Von besonderer Bedeutung sind Steindorffs
Grabungstätigkeit in Giza, Qau el-Kebir und Aniba in den Jahren 1903–1931. Das Ägyptische
Museum besitzt viele Objekte, die auf diesen Expeditionen entdeckt wurden. Nach seiner
Emeritierung im Jahre 1934 lebte Steindorff noch vier Jahre in Leipzig. Da er wegen seiner
jüdischen Herkunft unter der nationalsozialistischen Diktatur zu leiden hatte, wanderte er 1939
mit seiner Frau nach Los Angeles, USA, aus. Georg Steindorff war mit Elise Oppenheimer
verheiratet, einer Schwester von Franz Oppenheimer.
Steinthal, Walter
Journalist, Dozent für ägyptische Geschichte Basel,
geb. 27.11.1887 in Dessau, gest. 27.3.1951 in San Francisco.
Er war Schüler Jacobsohns und Hardens, zuerst Journalist in Berlin beim 12-Uhr-Blatt,
emigrierte 1933 in die USA und war 1940 bis 1947 Professor für frühasiatische
Kulturgeschichte an der Stanford University in Kalifornien. Er schrieb auch ein Buch über
Dreyfus (Dreyfus, Berlin 1930).
Wolf, Abraham Nathan („Wolf Dessau“)
Gelehrter,
geb. 18.7.1751 in Dessau, gest. 6.9.1784 in Dessau, beigesetzt auf dem israelitischen Friedhof.
Er entstammte einer seit dem Ende des 17. Jahrhunderts in Dessau ansässigen Familie, erhielt
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Historische Orte jüdischen Lebens in Dessau
Franzschule
eine rabbinisch gelehrte Ausbildung und studierte anschließend an verschiedenen deutschen
Universitäten. Nach deren Abschluss war er zunächst als Privatlehrer in Dessau tätig, mit dem
Philanthropen Salzmann befreundet und vermittelte dessen Bekanntschaft mit Mendelssohn
in Berlin.
Verfasste: Kommentar zum Buche Hiob, Berlin 1777.
Literatur: Freudenthal, M., R. W. Dessau, in: Festschrift zum 70. Geburtstag Martin Philippsons, Breslau 1916, S. 184–212
(Schriften, hrsg. von der Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaft des Judentums. Beiträge zur Geschichte der deutschen Juden).
Wolf, Joseph
Prediger und Lehrer,
geb. 1762 in Dessau, gest. 17.3.1826 in Dessau.
Seine erste Ausbildung erhielt er bei seinem Vater und Abraham Nathan Wolf (s.o.). 1773
sandte ihn sein Vater nach Sandersleben, um sich dort unter der Leitung seines Onkels, des
Rabbiners Meinster, den talmudischen Wissenschaften zu widmen. Im Alter von 14 Jahren ging
er nach Berlin, wo er in einem israelitischen Gymnasium als Freischüler eine vorzügliche Ausbildung genoss. Hier verschaffte er sich bald Zutritt zu den besten Gelehrten. Danach war er
einige Jahre als Hauslehrer tätig, zunächst in Freienwalde, dann in Treuenbrietzen. Nach sieben
Jahren kehrte er in seine anhaltische Heimat zurück und ging nach Sandersleben. 1796 kam er
nach Dessau, wo er Unterricht in der deutschen, hebräischen und französischen Sprache
erteilte. 1799 wurde er Lehrer an der israelitischen Hauptschule, 1802 zugleich Gemeindeschreiber und vereideter Translator, schließlich seit 1812 auch Prediger. Im Jahre 1808 hielt er
anlässlich des 50jährigen Regierungsjubiläums die erste Predigt in deutscher Sprache, indem
er eine Rede hielt und eine verfasste Hymne auf den Fürsten in dessen Anwesenheit vortrug.
Er war neben Moses Philippson und Gotthold Salomon der gebildetste Lehrer an der israelitischen Schule.
Zusammen mit David Fränkel (siehe dort) gab er seit 1806 bis 1815 die Sulamith heraus.
Verfasste: zusammen mit Moritz Neumann, Moses Philippson und Gotthold Salomon: Übersetzung der 12 kleinen Propheten, Dessau 1805; mit denselben: Reines Speisopfer (Mal. 1,11), enthaltend die zwölfe, mit einer deutschen
Übersetzung und einem Kommentar von 4 Jugendgelehrten in Dessau, Dessau 1805; Übersetzung des Propheten Daniel,
Dessau 1811; Sechs deutsche Reden, gehalten in der Synagoge zu Dessau, Dessau 1812; Predigt bey der hohen Jubelfeier
Sr. Majestät des Königs von Sachsen, Friedrich August, am 20. September 1818, Dessau und Leipzig 1818; Predigt bei dem
israelitischen Gottesdienste nach dem gesegneten Einzuge Sr. Herzoglichen Durchlaucht Friedrich Ferdinand, Herzog
und Fürst zu Anhalt-Köthen am 16. Februar 1819.
Literatur: Leipziger Pol. Zeitung 1826, S. 855/56; Neuer Nekrolog der Deutschen 1826, II, S. 831–38; Meusel XXI; Schmidt,
S. 454–55.
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Historische Orte jüdischen Lebens in Dessau
Moses Mendelssohns Geburtshaus
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Das Vorderhaus Askanische Str. 10 geschmückt anlässlich der Feier zum 150. Geburtstag von
Moses Mendelssohn
Geburtshaus von Moses Mendelssohn
im Hof Askanische Straße 10, um 1950
Neubau des Vorderhauses von 1880 mit der
neuen Marmor-Gedenktafel, vor 1938
© Museum für Stadtgeschichte Dessau; unten rechts: Stadtarvhiv Dessau-Rolau
Historische Orte jüdischen Lebens in Dessau
Moses Mendelssohns Geburtshaus
Askanische Straße 10, heute: Askanische Straße 12
Die Stätte von Moses Mendelssohns Geburtshaus war in der alten Hauszählung die Nummer
337. Seitdem uns Hausbesitzer hier bekannt sind, wechselten diese häufiger, zuletzt war das
Haus im Besitz der Familie Hentze. Der Erbe, Meister Johann Christoph Hentze, verkaufte 1708
das Nachbarhaus (338) an die Witwe des Seifensiedemeisters Dorothee Elisabeth Würdig
und errichtete auf Nr. 337 ein neues Gebäude. Da er seine dafür aufgenommenen Schulden
nicht begleichen konnte, überließ Hentze auch Nr. 337 den Erben der Witwe Würdig. Ihr Sohn
Johann Gottlieb Würdig vermietete den Seitenflügel auf dem Hof dem jüdischen Lehrer und
Thoraschreiber Mendel Moses und dessen Frau Sara Wahl. In diesem Haus wurde am 6. September 1729 deren Sohn Moses geboren, später als Moses Mendelssohn bekannt.
Würdig gab das Haus 1741 seiner Tochter Johanna Sophie in die Ehe mit dem Futtermarschall
Friedrich Wilhelm Woche. Als Woche 1758 als Bürgermeister nach Spandau ging, verkauften die
Eheleute das Haus ihrem Bruder, dem Seifensiedemeister Johann Georg Gottfried Würdig. Von
Würdigs Erben erwarb das Haus 1799 der Stadtchirurg Ernst Friedrich Christian Fleischer.
Nach weiteren Besitzerwechseln erwarb das Haus schließlich im Jahre 1863 der Bankier Moritz
von Cohn, um das Geburtshaus Mendelssohns der Nachwelt zu erhalten. Im Rahmen der Feierlichkeiten zum 150. Geburtstag des großen Philosophen in dessen Vaterstadt erwarb nunmehr
der Israelitische Gemeindebund Leipzig das Haus. In die Feierlichkeiten wurde auch das
Grundstück einbezogen und zu diesem Anlass die Fassade festlich geschmückt und in dem
eigentlichen Geburtshaus eine Ausstellung eingerichtet. Danach wurde an Stelle des
altersschwachen Fachwerkbaus ein einstöckiges massives Wohnhaus mit Klinkerfassade aus
den Greppiner Ziegelwerken errichtet. Das Geld dafür kam von der am 26. November 1879
gegründeten (ersten) Moses Mendelssohn-Stiftung, die von einem Enkel Mendelssohns, dem
Berliner Bankier Franz v. Mendelssohn (sen.) gegründet worden war. Das neu errichtete Haus
diente nun einer kleinen Anzahl jüdischer Gemeindemitglieder als Altersheim.
Im Jahre 1880 wurde am Vorderhaus in der Askanischen Straße eine Gedenktafel aus weißem
Marmor und mit goldener Inschrift angebracht. Sie ersetzte eine gusseiserne, die auf Veran­
lassung der Familie Cohn bereits 1833 hier am Vorgängerbau angebracht worden war.
Die Feierlichkeiten zum 200. Geburtstag Moses Mendelssohns vom 5. bis 8. September 1929
gestalteten sich noch einmal zu einem bedeutenden, Höhepunkt des gesellschaftlichen
Lebens in Dessau mit überregionaler Ausstrahlung, der letzte vor der Machübernahme der
NSDAP, die das Andenken an Moses Mendelssohn auszulöschen versuchte. So wurde u. a. die
(zweite) Moses Mendelssohn-Stiftung mit dem Zusatz „zur Förderung der Geisteswissenschaften“ gegründet. Der Seitenflügel als eigentliches Geburtshaus, zweigeschossig, lang gestreckt,
mit Stuben im Obergeschoss, die von einer hölzernen Galerie aus zugänglich waren, wurde
neu aufgezogen. Ein Zimmer im Erdgeschoss richtete man als Gedenkstätte ein.
Nach 1933 konnte die Gedenktafel am Vordergebäude des Geburtshauses Mendelssohns
gerettet werden, indem eine Lage Tapetenpapier darüber geklebt und sie unter Putz gelegt
wurde. 1952 kam es zum Abriss des Hauses, und die Tafel gelangt in das benachbarte Museum.
Die Gedenktafel wurde zusammen mit einem Zusatz „Wieder angebracht zum 250. Geburtstag
im Jahre 1979“ in der neu erstandenen Askanischen Straße 12 an einem Wohnblock enthüllt.
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Historische Orte jüdischen Lebens in Dessau
Moses Mendelssohns Geburtshaus
Moses Mendelssohn
Unternehmer, Schriftsteller und Philosoph,
geb. 17.8.1728/6.9.1729 in Dessau, gest. 4.1.1786 in Berlin.
Er wurde als Sohn armer jüdischer Eltern geboren. Sein Vater Mendel war bei der
jüdischen Gemeinde in Dessau als Schreiber und Lehrer an der Primärschule angestellt. Seine
Mutter stammte aus der Familie Wahl, die sich rühmte, von dem berühmten Moses Isserles aus
Krakau abzustammen, nach welchem der kleine Moses seinen Namen bekam. Er erhielt seine
erste Ausbildung in der jüdischen Gemeinde u. a. bei seinem Vater in Dessau. Er kam anschließend zur weiteren Ausbildung zu Rabbi Hirsch in Halberstadt, später bei dem Dessauer Rabbiner David Fränkel. Als dieser im Jahre 1743 eine Berufung nach Berlin erhielt, folgte er diesem
nach. Trotz bitterster Armut studierte er mit Unterstützung ihm verbundener Gönner
eifrig Sprachen, Philosophie und Mathematik bei Oberrabbiner David Fränkel. 1750 wurde er
Hauslehrer bei dem Seidenfabrikanten Isaak Bernhard und 1754 dessen Buchhalter. Es begann
auch seine enge Freundschaft mit Lessing, der 1755 Mendelssohns Philosophische Gespräche
herausgab, zu Nicolai, Euler und Sulzer. Seit 1758 gab er die hebräische Wochenschrift Kohelet
Mussar heraus. Nach dem Tod Bernhards war er alleiniger Geschäftsführer.
1771 wurde Moses Mendelssohn zum Mitglied der Berliner Akademie gewählt, wobei jedoch
König Friedrich II. die Bestätigung verweigerte. In der jüdischen Gemeinde Berlin wurde er
1780 zu deren Schatzmeister gewählt und 1784 zu einem ihrer Repräsentanten. In klarer und
eingängiger Sprache hat Mendelssohn für die Verbreitung der Gedanken der Aufklärung
(Deismus, Toleranz, Gleichberechtigung der Konfessionen, Emanzipation der Juden, Gewissensfreiheit usw.) gewirkt. Dabei verband er seine ästhetischen Auffassungen eng mit der Aufklärungsmoral. Seine Abhandlung über die Evidenz in methaphysischen Wissenschaften (1763) erhielt
den ersten Preis der Berliner Akademie. Die bekannteste religionswissenschaftliche Schrift
Mendelssohns war Phädon oder Über die Unsterblichkeit der Seele (1767) sowie Jerusalem oder
Über die religiöse Macht des Judentums (1783), in der er, die Rechte der Juden verteidigend, die
allgemeinen Rechte der Menschen vertrat. Im Urteil der Zeitgenossen wurde immer die scharfe Intelligenz und menschliche Güte des Philosophen gerühmt.
Literatur: (Auswahl): Meyer, Hermann, Moses-Mendelssohn-Bibliographie. Mit einigen Ergänzungen zur Geistesgeschichte des ausgehenden 18. Jahrhunderts, Berlin 1965 (Veröffentlichungen der Hiko Berlin; 26); Altmann, Alexander, A
biographical Study, Alabama 1973; Wahl, Peter, M.M., in: Mitteldeutsche Lebensbilder 3 (1928), S. 64-85; Kayserling. M.,
M.M. Sein Leben und seine Werke, Leipzig 1888 (2), (Neuherausgabe Hildesheim 1972); Freudenthal, M., Aus der Heimat
Mendelssohns, Berlin 1910; Kornfeld, Heinrich, M.M. und die Aufgabe der Philosophie, Berlin 1896; Goldstein, Ludwig,
Die Bedeutung M.M.s für die Entwicklung der ästhetischen Kritik und Theorie in Deutschland, Diss. Königsberg, 1897;
Knobloch, Heinz, Herr Moses in Berlin, Berlin (Ost) 1979, 1993 (6); Hensel, S., Die Familie M. 1729-1847, nach Briefen und
Tagebüchern, 2 Bde., Leipzig 1924 (18); Kupferberg, Herbert, Die Mendelssohns, Tübingen; Stuttgart (1972); Schoeps,
Juliens H., Moses Mendelssohn, Königstein 1979;Altmann, Alexander, Moses Mendelssohn, London 1998 (Erstausgabe
1969); Kupferberg, Herbert, Die Mendelssohns. Aus dem Amerikanischen von Klaus Leonhardt. Reiner Wunderlich Verlag
Hermann Leins, Tübingen und Stuttgart 1982; Albrecht, Michael Albrecht: Moses Mendelssohn: 1729–1786, das Lebenswerk eines jüdischen Denkers der deutschen Aufklärung. Ausstellung in der Herzog-August-Bibliothek Wolfenbüttel. Acta
Humaniora, Weinheim 1986; Lohmann, Ingrid Lohmann: Über die Anfänge der Gesprächskultur – Moses Mendelssohn
(1729-1786) und die Berliner Aufklärung, in: Pädagogische Rundschau 46 (1992) 1, 35-49; Berghahn, Cord-Friedrich,
Moses Mendelssohns „Jerusalem“. Ein Beitrag zur Geschichte der Menschenrechte und der pluralistischen Gesellschaft
in der Aufklärung. Tübingen: Niemeyer, 2001; Behm, Britta L., Moses Mendelssohn und die Transformation der jüdischen
Erziehung in Berlin. Eine bildungsgeschichtliche Analyse zur jüdischen Aufklärung im 18. Jahrhundert. Jüdische Bildungs-
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Historische Orte jüdischen Lebens in Dessau
Moses Mendelssohns Geburtshaus
geschichte in Deutschland, Band 4. Münster, New York, München, Berlin: Waxmann Verlag 2002; Schulte, Christoph, Die
jüdische Aufklärung. München 2002; Bourel, Dominique, Moses Mendelssohn. Begründer des modernen Judentums. Eine
Biographie. Aus dem Französischen von Horst Brühmann, Ammann Verlag, Zürich 2007; Tree, Stephen, Moses Mendelssohn. Rowohlt Verlag, Reinbek 2007; Meier, Brigitte Meier, Jüdische Seidenunternehmer und die soziale Ordnung zur Zeit
Friedrichs II. Moses Mendelssohn und Isaak Bernhard. Interaktion und Kommunikation als Basis einer erfolgreichen Unternehmensentwicklung. Berlin 2007; Feiner, Shmuel, Moses Mendelssohn. Ein jüdischer Denker in der Zeit der Aufklärung.
Aus dem Hebräischen von Inge Yassur, Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2009; Simon, Hermann, Moses Mendelssohn.
Gesetzestreuer Jude und deutscher Aufklärer, Hentrich & Hentrich Verlag Berlin 2003; Scheer, Regina, Mausche mi-Dessau.
Moses Mendelssohn. Sein Weg nach Berlin, Hentrich & Hentrich Verlag Berlin 2006.
Werke: (Auswahl) Gesammelte Schriften, hrsg. von Georg Benjamin Mendelssohn, 7 Bd.e, Leipzig 1843-45 (Nachdr. Hildesheim 1976); Moses Mendelssohn: Gesammelte Schriften, Jubiläumsausgabe. In Gemeinschaft mit Fritz Bamberger, Haim
Borodianski, Simon Rawidowicz ..., Berlin 1929-32, Breslau 1938, Stuttgart-Bad Cannstadt 1974 ff.; Moses Mendelssohn:
Gesammelte Schriften. Jubiläumsausgabe; hrsg. von Alexander Altmann s. A., Eva J. Engel, Brocke, Michael und Krochmalnik, frommann-holzboog Verlag, Stuttgart-Bad Cannstatt 1972 ff.
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Historische Orte jüdischen Lebens in Dessau
Kurt Weills Geburtshaus; weitere Wohnhäuser der Familie Weill
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Leipziger Straße kurz nach 1945, das zweite Haus ist das Geburtshaus von Kurt Weill
© Stadtarchiv Dessau-Roßlau
Historische Orte jüdischen Lebens in Dessau
Kurt Weills Geburtshaus; weitere Wohnhäuser der Familie Weill
Leipziger Straße 59, heute: Freifläche
Als Kantor der Israelitischen Kultusgemeinde kam Albert Weill mit seiner Frau Emma geb.
Ackermann (1872–1955), und dem noch in Kippenheim 1898 geborenen ältesten Sohn Nathan
(1898–1957) nach Dessau. Die bescheidenen finanziellen Mittel ermöglichten den Einzug in
die erste Etage eines Mietshauses in der Leipziger Straße 59. Dabei handelte es sich um ein
mehrgeschossiges Wohnhaus, das dem ehemaligen Bäckermeister Wilhelm Martini gehörte.
Hier wurden in den kommenden Jahren drei weitere Kinder geboren: Hanns Jakob (1899–
1947), Kurt Julian (1900–1950) sowie die Schwester Ruth (1901–1975?). Das Gebäude selbst
überstand stark beschädigt die Bombenangriffe auf Dessau und blieb nach dem Zweiten Weltkrieg weiterhin bewohnt. Später musste es einem Neubau weichen und wurde daher 1967
abgerissen.
Für die wachsende Familie wurde die Wohnung in der Leipziger Straße bald zu klein. Sie zog
deshalb in eine Parterrewohnung in dem Haus Franzstraße 45.
An dieser Stelle stand vorher ein Fachwerkhaus, in dem bis zu seinem Tode der ehemalige
Hofmaler Johann Heinrich Beck (1788–1875) lebte. Seine Tochter Therese, die im Jahre 1842
den späteren Historienmaler Franz August Schubert geheiratet hatte, erbte das Gebäude von
ihren Geschwistern. 1901 kam es in den Besitz des Töpfermeisters Karl Dreßler. Er setzte noch
im selben Jahr an die Stelle des alten Gebäudes einen zweigeschossigen Neubau und betrieb
im Erdgeschoss ein gut gehendes Geschäft mit Ofensetzerei und Fliesenlegerei. In dieses neu
errichtete Haus zog nun die Familie Weill und wohnte hier bis zum Jahre 1903.
Das Gebäude wurde in der Bombennacht des 7. März kaum beschädigt und nimmt heute
noch die Ecke zur (heutigen) Kantorstraße ein.
Aber auch hier scheint der Platz für die inzwischen sechsköpfige Familie zu eng geworden zu
sein, weshalb der Vater sich erneut um eine größere Wohnung umsah, die er in der
Muldstraße 20 fand. Hier zog die Familie in die erste Etage. Das Haus wurde im Jahre 1888
durch die Geschäftsleute Gebr. Plenz neu erbaut und befand sich – im Gegensatz zu den
anderen beiden Wohnungen der Familie Weill – nun nicht mehr in der Sandvorstadt, sondern
unmittelbar in der Altstadt von Dessau, in direkter Nachbarschaft zum Rathaus. Das Haus wurde am Ende des 2. Weltkrieges zerstört.
Noch einmal wechselte die Familie Weill innerhalb der Stadt Dessau ihren Wohnsitz, als nämlich mit dem Neubau der Synagoge auch das dazu gehörende Gemeindehaus an der Ecke
Stein-/Askanische Straße – im Adressbuch Steinstraße 11/14 – am 1. April 1907 fertig gestellt
wurde. Im Erdgeschoss befand sich nun die Wohnung des Kantors und seiner Familie. Hier verbrachte Kurt Weill Kindheit und Jugend. 1918 ging er zum Studium der Musik nach Berlin. Von
Juli bis Dezember 1918 lebte er nach Abbruch des Studiums noch einmal hier.
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Historische Orte jüdischen Lebens in Dessau
Kurt Weill
Kurt Weill wurde am 2.3.1900 in Dessau geboren, als Sohn des Kantors an der Dessauer Synagoge Albert Weill (1867–1955) und dessen Frau Emma geb. Ackermann (1872–1957). Er starb
am 3.4.1950 in New York, und wurde auf dem Mount Repose Friedhof in Haverstraw beigesetzt.
1906 begann seine Schulzeit in Dessau an der Herzoglichen Vorschule. Er besuchte ab 1909
das Friedrichs-Oberrealgymnasium. Hier legte er Ostern 1918 die Reifeprüfung ab. Seinen
ersten Klavierunterricht erhielt er bei seinem Vater und ab 1915 Unterricht in Klavier, Komposition, Theorie und Dirigieren bei Albert Bing, Kapellmeister am Herzoglichen Hoftheater Dessau.
Er schuf im Jahre 1916 wichtige frühe Kompositionen nach Texten von Arno Holz, Joseph von
Eichendorff und Anna Ritter. Im Jahre 1917 wurde Kurt Weill durch Vermittlung von Albert Bing
freier Mit­arbeiter für Korrepitition am Herzoglichen Hoftheater in Dessau. Im April 1918
bestand er die Aufnahmeprüfung an der Hochschule für Musik in Berlin u. a. bei Engelbert
Humperdinck in Komposition und Rudolf Krasselt in Dirigieren. Im Juli 1919 brach er das
Studium ab und kehrte nach Dessau zurück, wo noch immer seine Eltern lebten. Er nahm
erneut die Tätigkeit als Korrepetitor am Friedrich-Theater unter Generalmusikdirektor Hans
Knappertsbusch an. Ende des Jahres 1919 verließ er Dessau, seine Eltern zogen nach Leipzig.
Kurt Weill war von Januar bis Mai 1920 Kapellmeister am Stadttheater Lüdenscheid. Ab
Januar 1921 studierte er in der Meisterklasse für Komposition an der Preußischen Akademie
der Künste zu Berlin unter Feruccio Busoni. Im Frühjahr 1922 wurde er Mitglied der Musikabteilung in der Berliner Novembergruppe. 1923 kam es zu ersten viel beachteten Uraufführungen
seiner Orchesterstücke op. 6 unter Alexander Selo und 5 unter Heinz Unger. Im Dezember 1923
endete das Studium in Berlin. Im Februar 1924 lernte er Georg Kayser kennen, mit dem er 1926
den Operneinakter „Der Protagonist” zur Uraufführung brachte. Im Januar 1925 arbeitete er als
Theaterkritiker bei der Wochenschrift „Der deutsche Rundfunk“. Am 26. Januar 1926 heiratete
er Lotte Lenya. Am 2. März 1927 erfolgte die Uraufführung der Werke „Der neue Orpheus“ und
„Royal Palace“ an der Berliner Staatsoper. 1927 begann die Zusammenarbeit mit Bertolt Brecht
u. a. am „Mahagonny-Songspiel“ für Baden-Baden. Die Zusammenarbeit mit Kayser ergab am
18. Februar 1928 die Uraufführung von „Der Zar lässt sich photographieren“ im Neuen Theater
in Leipzig. Am 31. August 1928 erfolgte die Uraufführung der „Dreigroschenoper“ am Theater
am Schiffbauerdamm Berlin. Später arbeitete er zusammen mit Brecht u. a. an „Berliner Requiem“, „Lindberghflug“, „Happy End“ und schließlich der zweiten großen Oper „Aufstieg und Fall
der Stadt Mahagonny“ (Uraufführung am 9. März 1930 im Neuen Theater in Leipzig), zuletzt
der Schuloper „Der Jasager“. Zusammen mit Caspar Neher arbeitete er an der Oper „Die Bürgschaft“ (Uraufführung am 10. März 1932 an der Städtischen Oper in Berlin). Seine letzte Arbeit
in Deutschland war „Der Silbersee“; die Ringuraufführung fand am 18. Februar 1933 an den
Theatern in Leipzig, Magdeburg und Erfurt statt. Aufgrund scharfer Angriffe über die nationalsozialistische Presse und drohender Verhaftung verließ Kurt Weill am 21. März 1933 Deutschland. Zunächst war er in Paris (bis 1934) und London (Januar bis Juni 1935), ab Juli 1935 wieder
in Paris, ab September 1935 in den USA tätig. Er beeinflusste das amerikanische Musikleben
beträchtlich und schuf 1947 mit „Street Scene“ seine erste amerikanische Oper. In den USA
arbeitete er mit den bedeutendsten amerikanischen Dramatikern zusammen wie Maxwell
Anderson, Hofmann R. Hayes, Elmer Rice u. a. Zu seinen erfolgreichen Broadwayproduktionen
zählen „Johnny Johnson“ (1936), „Knickerbocker Holiday“ (1938), „Lady in the Dark“ (1941),
„One Touch of Venus“ (1943), „The Firebrand of Florence“ (1945, mit nur 43 Aufführungen sein
einziger Misserfolg am Broadway) und „Lost in the Stars“ (1949).
Seit 1993 findet in Dessau alljährlich das Kurt-Weill-Fest statt.
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Historische Orte jüdischen Lebens in Dessau
Textilhandlung Neumann Lipsky
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Blick auf den Kleinen Markt zum Rathaus. Im Hintergrund die Marienkirche. In dem Haus Kleiner Markt 3 befand sich von 1883 bis 1898 die Textilhandlung von Neumann Lipsky.
Werbeanzeige für das Wäschegeschäft von
Neumann Lipsky, Kleiner Markt 3
© Stadtarchiv Dessau-Roßlau
Historische Orte jüdischen Lebens in Dessau
Textilhandlung Neumann Lipsky
Kleiner Markt 3, heute: Rathaus, etwa die Stelle des Hauptportals
Neumann Lipsky zählte in Dessau mit seiner Textilhandlung über Jahrzehnte zu den
erfolgreichen jüdischen Kaufleuten. Er stammte nicht aus Dessau: Er wurde am 31. Mai 1857
in Lyck/Ostpreußen (heute Polen) geboren. Im Alter von 24 Jahren kam Neumann Lipsky nach
Dessau. Am 8. April 1881 eröffnete D. V. N. Lipsky eine Filiale mit „Weißwaren, Strumpf-, Trikotagen- und Wollwaren“ am Kleinen Markt 3 und hatte drei Hauptgeschäfte in Berlin.
Er scheint sich dann fest in Dessau niedergelassen zu haben. 1883 erschien er erstmalig im
Dessauer Adressbuch mit „Wäschefabrik, Manufakturwaren, Konfektion (N. Lipsky)“ und verkaufte in den Läden des Erdgeschosses im Haus Kleiner Markt 3, direkt neben dem alten Rathaus,
sein reichhaltiges Sortiment an Textilwaren.
Er wohnte mit seiner Familie in dem Wohnhaus Zerbster Straße 51 b. Um das Jahr 1885 zog er
in das Haus Zerbster Straße 30. Ein weiterer Wechsel seines privaten Wohnsitzes erfolgte 1887
in die Rathausstraße 10, 2. Etage. Dort wohnte er bis zum Jahre 1895. Ab dem Jahr 1898 war
sein Wohnsitz in dem Wohnhaus Muldstraße 4 (2. Etage).
Das Wohn- und Geschäftshaus am Kleinen Markt 3 befand sich auf der Südostecke des Kleines
Marktes und war über einige Generationen im Besitz der Familie Kaulitz. Das Haus befand sich
in unmittelbarer Nähe zum Rathaus. Das alte Rathaus stammte aus dem Jahre 1563, wurde
1789 erweitert, und 1827/28 erhielt der Giebel zum Markt hin einen neugotischen Aufbau.
Durch die grundlegenden Veränderungen und damit verbundenen Erweiterungen bei den
Aufgaben in der städtischen Verwaltung reichte der Platz in dem alten Rathaus am Ende des
19. Jahrhunderts nicht mehr aus. 1882/83 erhielt daher das gesamte Rathaus eine Aufstockung
in Renaissanceformen durch den Dessauer Architekten Paul Rathke. Bereits nach kurzer Zeit
war klar, dass der Platzgewinn durch diese Erweiterung noch nicht ausreichend ist. Daher
entschied man sich 1898 für einen Neubau, der sich auf einige Grundstücke rund um das alte
Rathaus auf dem Kleinen Markt und in der Schloßstraße erstrecken sollte. In den folgenden
Monaten erwarb daher die Stadt die umliegenden Grundstücke, so auch das von der Familie
Kaulitz zum Abriss vorgesehene Haus. Die Stadt richtete hier zum Übergang zunächst Verwaltungsräume ein. Diese riss sie 1899 ab und errichtete hier das neue Rathaus, dessen heutiges
Hauptportal etwa die Stelle des alten Hauses Kleiner Markt Nr. 3 einnimmt.
Neumann Lipsky verlegte noch im Jahre 1898 seine Geschäftsadresse schräg gegenüber nach
Zerbster Straße 50.
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Historische Orte jüdischen Lebens in Dessau
Textilhandlung Neumann Lipsky
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1898 bis 1918/19 befand sich die Textilhandlung Neumann Lipsky im Eckhaus Kleiner Markt/
Muldstraße (Hotel „Zum Goldenen Schiff“)
© Stadtarchiv Dessau-Roßlau
Historische Orte jüdischen Lebens in Dessau
Textilhandlung Neumann Lipsky
Zerbster Straße 50/Ecke Kleiner Markt/Muldstraße , heute: Zerbster Straße 6
Das 1887 erbaute Haus war das „Hotel zum Goldenen Schiff“. Der Name stammte von einer
Gaststätte in dem vorher hier stehenden Haus. Dieses hatte 1749 Johann Andreas Mente
gekauft – er hatte Anfang des Jahres die Witwe des Schwanenwirtes Schander geheiratet. Er
war Schiffsherr und Holzhändler in Magdeburg. Ohne seinen bisherigen Erwerb aufzugeben,
wollte er in seinem neu erworbenen Haus eine Gastwirtschaft betreiben, die er „Zum Goldenen
Schiff“ nannte. Die Gaststätte „segelte“ in den folgenden Jahrzehnten erfolgreich unter verschiedenen Betreibern.
1887 erfolgte der Abbruch des alten Hauses und mit einer gleichzeitigen Verbreiterung der
Muldstraße wurde ein Neubau ausgeführt. Mit Jahresende 1888 erwarb das nunmehrige Hotel
Johann Saupe, Pächter des „Goldenen Hirsch“ in der Steinstraße. 1925 richtete Saupe hier ein
Schnell-Büfett und Café ein. Nach seinem Tod heiratete seine Witwe den Hotelier Paul
Maronde, letzter Besitzer des „Schiffchens“, das bei dem großen Fliegerangriff am 28. Mai 1944
zerstört wurde.
Aus seinem Geschäftslokal Kleiner Markt 3 zog Neumann Lipsky im Jahre 1898 in das Haus
Zerbster Straße 50, das bis weit in die Muldstraße hinein reichte, um. Auch hier waren
Manufaktur-, Modewaren, Wäsche und Damenkonfektion sein breites Geschäftsspektrum.
Im Jahre 1919 gab er sein Geschäft auf, er war zu diesem Zeitpunkt 62 Jahre alt. Danach
verlebte Neumann Lipsky seinen wohlverdienten Ruhestand im Haus Körnerstraße 8 (1. Etage),
wohin er mit seiner Familie 1905 gezogen war.
Auf dem Israelitischen Friedhof in Dessau befinden sich Gräber zahlreicher Träger des Namens
Lipsky: Aurelia geb. Salinger, die am 19.1.1935 im Alter von 72 Jahren starb. Die 1863 Geborene
war wahrscheinlich die Frau von Neumann Lipsky.
Der Medizinstudent Walter Lipsky (1886–1907) wurde nur 18 Jahre alt, er war wohl ein Sohn
des Ehepaares. Ein weiterer Sohn war vermutlich Felix Lipsky, geb. am 27. September 1883 in
Dessau. Er lebte 1939 in Mainz, als er am 25. März 1942 mit einem Transport nach Piaski deportiert wurde und wahrscheinlich in dem Vernichtungslager Belzec ermordet wurde.
Mit der „Machtergreifung“ der Nationalsozialisten sollte sich auch das Leben des inzwischen
76-jährigen Neumann Lipsky schlagartig ändern. Die Lebensumstände verschlechterten sich
von Jahr zu Jahr. Neumann Lipsky, der letzte Vertreter seiner Familie, gehörte mit weiteren
älteren Dessauer Juden zu einem Sammeltransport, der am 18. November 1942 von Magdeburg nach Theresienstadt fuhr. Nach elf Tagen starb er am 29. November 1942 im Alter von 85
Jahren im Lager Theresienstadt.
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Historische Orte jüdischen Lebens in Dessau
Schuhwarenhaus Mayer Reich
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Das Schuhwarenhaus Mayer Reich, vor dem Umbau Ender der 1920er Jahre
Plünderung des Schuhgeschäfts Mayer Reich am Nachmittag des 9. November 1938
© Stadtarchiv Dessau-Roßlau
Historische Orte jüdischen Lebens in Dessau
Schuhwarenhaus Mayer Reich
Zerbster Str. 41, der ehemalige „Goldene Ring“, heute: etwa Schloßplatz 2
Dieses Gebäude zählte einst zu den bedeutendsten Häusern der Stadt. Es ging aus einem
freien Sattelhof hervor. 1611 errichtete Ernst von Kötzschau hier den prächtigen Neubau eines
Giebelhauses. Im Dreißigjährigen Krieg kam das Haus in fürstliches Eigentum, als es von
Fürstin Sophie Margarethe erworben wurde. Sie vereinigte es mit dem Nachbarhaus (später Nr.
42 „Drei Kronen“) und hinterließ beide Grundstücke ihrem Sohn Fürst Johann Georg II. Dieser
verlegte die fürstliche Münze hierher und ließ einige Jahre größere Gepräge schlagen. Johann
Georg vererbte das Haus seinem Sohn Leopold, dem „Alten Dessauer“, der die Häuser
separierte und auf Nr. 41 im Jahre 1712 das Gasthofsprivileg „Zum Goldenen Ring“ verlieh. In
der Nacht vom 2. zum 3. Mai 1809 übernachtete hier Major von Schill. Im Jahre 1875 endete
der traditionsreiche Gasthof.
Mayer Reich betrieb hier spätestens seit 1904 über drei Jahrzehnte lang ein anerkanntes und
beliebtes Schuhwarengeschäft. Seine Kundschaft kam aus allen Schichten der Bevölkerung
von Dessau und Umgebung..
Mayer Reich wurde am 15. Oktober 1877 in Kolomea (Polen) geboren. Im Alter von 22 Jahren
zog er 1899 in die anhaltische Haupt- und Residenzstadt Dessau. Hier lebte er zunächst im
Haus Wallstraße 32. Erstmals ist sein Schuhwarengeschäft im Dessauer Adressbuch von 1904
unter der Adresse Zerbster Straße 41 verzeichnet. Das Gebäude befand sich zu diesem Zeitpunkt noch im Besitz des Hofjuweliers Wilhelm Krüger. 1907 erwarb Mayer Reich das Haus und
ließ das Erdgeschoss zu Geschäftsräumen ausbauen.
Mayer Reich zählte bald zu den angesehenen Bürgern der Stadt. Nach Krieg und Inflation zu
Beginn der 1920er Jahre florierte auch sein Schuhwarengeschäft bald wieder. Ende der Dekade baute er das Erdgeschoss modern um; das Spiel von alter Fassade und moderner Innen­
einrichtung harmonierten hervorragend miteinander.
Auch Mayer Reich und seine Familie waren von den Ausschreitungen des Antisemitismus mit
dem Aufruf zum Boykott jüdischer Geschäfte am 1. April 1933 betroffen. In den folgenden
Jahren verschlechterte sich die Lage der in Dessau verbliebenen Juden erheblich.
Am 9. November 1938 wurde das Geschäft geplündert und zerstört, Mayer Reich kam in das
Konzentrationslager Buchenwald. Seine Frau und seine verwitwete Schwägerin Bella Adler
verblieben im Haus.
Mayer Reich und seine Frau Selma – sie stammte aus Forchheim in Bayern – verloren als
„Volljuden“ die deutsche Staatsbürgerschaft. Schließlich gelangten die Eheleute als staatenlose
Flüchtlinge nach Paris. Hier lebten sie bei ihrer Tochter Irma Starer geb. Reich (1908–1987).
Der Sohn Walter (1914–1999) war 1934 nach Palästina emigriert. Nach dem Einmarsch der
deutschen Truppen in Paris im Juni 1940 sowie der Besetzung des von der Vichy-Regierung
verwalteten unbesetzten Südfrankreichs begann auch in Frankreich die Verfolgung und Vernichtung der Juden. Mayer und Selma Reich kamen nach Drancy, einem Vorstadtbahnhof in
Paris, der zu einem Durchgangslager umfunktioniert wurde. Die versammelten Juden wurden
nach Osten transportiert. Von dort wurden sie schließlich nach Auschwitz deportiert, wo sich
die Namen der Eheleute Selma und Mayer Reich auf der Transportliste Nr. 49 vom 2. März 1943
befinden. Sie starben im Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau oder – vermutlich – während
des Transports.
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Historische Orte jüdischen Lebens in Dessau
Lederhandlung Adolf Goldmann
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Die Gartenseite des Wohn- und Geschäftshauses Kavalierstraße 23. Hierin befand sich
die Lederhandlung Adolf Goldmann,
hier wohnten auch die Familien Alterthum
und Dr. Michelsohn.
Geschäftsbriefbogen der Lederhandlung
Adolf Goldmann, kurz vom dem 9. November 1938
Mit dieser Anzeige warb Adolf Goldmann
über Jahre hinweg in den Theaterprogrammen des Friedrich-Theaters.
© Stadtarchiv Dessau-Roßlau
Historische Orte jüdischen Lebens in Dessau
Lederhandlung Adolf Goldmann
Kavalierstraße 23, heute: etwa Kavalierstraße 67
Das Wohn- und Geschäftshaus befand sich ab 1883 im Besitz der Familie des
Handschuhfabrikanten August Ohle und wurde 1906 durch das Familienmitglied, den
Regierungsbauführer Max Ohle, durch einen 5-geschossigen Neubau ersetzt.
Im Jahre 1919 erwarb der Kaufmann Adolf Goldmann, Kurz-, Galanterie- und Lederwaren, das
Wohn- und Geschäftshaus.
Adolf Goldmann wurde am 27.1.1880 in Pysznica (heute Polen) geboren. Er heiratete 1904
Hinde Klipstein. 1905 zogen die Eheleute nach Dessau. 1906 richteten sie in der Mittelstraße 8
ein Geschäft für Haushaltsbedarf, Lederwaren u. a. ein. Bald zählte der Kaufmann Adolf Goldmann zu den erfolgreichsten Kaufleuten der Stadt.
Adolf und Hinde Goldmann hatten fünf Kinder: Lotte (1905–1978, verheiratete Ickelheimer),
Sally (1906–1925), Jenny (1908-2003, verheiratete Wahl), Martin (1913–1968), Malli (1918–1990).
Im Jahre 1934 wurde Adolf Goldmann in den Landesverband der Israelitischen Gemeinden Anhalts gewählt. Er stand als „Abraham Goldmann“ zusammen mit seiner Frau und Tochter Malli
auf der berüchtigten Liste jüdischer Bürger, veröffentlicht am 8. November 1938 in Dessau, die
als Aufruf zum Pogrom gemeint war. Nach der „Reichskristallnacht“ am 9. November 1938 und
der „Arisierung“ des Familienunternehmens 1938 emigrierte die Familie zwischen 1939 und
1940 nach Palästina. Tochter Lotte hatte bereits 1936 Deutschland verlassen. 1960 beging Adolf
Goldmann seinen 80. Geburtstag, und das Paar feierte 1964 seine Goldene
Hochzeit. In dem Haus Kavalierstraße 23 wohnten u. a. einige Zeit auch die jüdischen Familien
Martin Alterthum und Dr. Georg Michelsohn (Eli Elkana).
Das Haus wurde am 7. März 1945 durch Bomben zerstört, danach provisorisch
wiederhergestellt. 1960 wurde die Stelle in den Wohnblock Wilhelm-Pieck-Straße 67 (heute
wieder Kavalierstraße 67) einbezogen.
Seit 2008 erinnert eine Gedenktafel an die hier ehemals lebenden Familien am Haus
Kavalierstraße 67 (etwa der Standort des früheren Wohnhauses). Am 3.4.2008, dem 100.Geburtstag von Jenny Goldmann-Wahl, wurde die Tafel von ihrem Sohn Chanania Wahl (der hier
seinen 70. Geburtstag beging) enthüllt.
Martin Althertum und Jenny Goldmann-Wahl ist es zu verdanken, dass 1971 eine Gedenktafel
für die zerstörten jüdischen Gemeinden Dessau, Köthen, Bernburg und Zerbst auf dem Zionsberg in Jerusalem eingeweiht wurde.
Der spätere Landgerichtsdirektor Martin Alterthum wurde am 31.8.1887 in Staßfurt als
ältester von fünf Söhnen des Kaufmanns Adolf Alterthum geboren. Er wuchs in Bernburg auf,
studierte Rechtswissenschaften und war als Freiwilliger im 1. Weltkrieg. 1920 trat er als Regierungsrat in den anhaltischen Staatsdienst ein. Zu diesem Zeitpunkt lebte er mit seiner Familie
im Haus Lange Gasse 16. Später wechselte er in den juristischen Dienst und wurde Landgerichtsrat, 1929 Landgerichtsdirektor. 1924/25 war er in die Wohnung in der 2. Etage des Hauses
Kavalierstraße 23 gezogen. Bereits zum 1. April 1933 wurde Martin Alterthum durch das „Gesetz
zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ entlassen. Als Nachfolger von Dr. Hermann
Cohn wurde er 1933 zum Vorsteher der Israelitischen Kultusgemeinde gewählt. 1934 schied er
aus, als er Dessau verließ und nach Leipzig verzog. 1939 emigrierte er mit seiner Frau Toni
geb. Maschke nach Palästina. Er starb im Jahre 1976 in Israel.
Der Zahnarzt und Schriftsteller Georg Michelsohn wurde am 11.12.1876 in Königsberg als
Sohn des Kaufmanns Moritz Michelsohn geboren. Er besuchte das Kneiphöfische Gymnasium
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Historische Orte jüdischen Lebens in Dessau
Lederhandlung Adolf Goldmann
in Königsberg. Als die Eltern nach Berlin verzogen, ging er auf das Friedrichwerder’sche Gymnasium. Nach dem Schulbesuch studierte er an der Friedrich-Wilhelm-Universität Zahnheilkunde. 1911 ließ er sich in Dessau als Zahnarzt nieder; seine Praxis befand sich zunächst in der
Fürstenstraße 8 (2. Etage). 1914–18 war er im Kriegsdienst. Später verlegte er seine Wohnung
und Praxis in das Haus Kavalierstraße 23. Er emigrierte in den 1930er Jahren nach Israel. Er trat
bereits in Dessau als Lyriker unter dem Pseudonym Eli Elkana hervor.
Er starb am 5.12.1968 in Ramath Gan bei Tel Aviv.
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Historische Orte jüdischen Lebens in Dessau
Zahnarzt Dr. Georg Hirschfeld/Textilwarenhandlung Hermann Gutmann
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Das Wohn- und Geschäftshaus Kavalierstraße 11. Hierin befand sich von 1873 bis 1900 die
Zahnarztpraxis von Dr. Georg Hirschfeld und von 1904 bis 1933 die Textilwarenhandlung Hermann Gutmann
© Stadtarchiv Dessau-Roßlau
Historische Orte jüdischen Lebens in Dessau
Zahnarzt Dr. Georg Hirschfeld/Textilwarenhandlung Hermann Gutmann
Kavalierstraße 11, ab 1954 Wilhelm Pieck-Straße 66, heute: Kavalierstraße 66
Der damalige Hof- und Geheime Archivrat Siebigk erwarb 1864 das Haus und ließ hier einen
Neubau ausführen, der 1873 an den Kaufmann Paul Schwarzlose in Potsdam ging. Nur ein Jahr
später ging es an den Zahnarzt Dr. Georg Hirschfeld (vorher siehe unter Hospitalstraße Nr. 163).
Im Jahre 1904 erwarb Hermann Gutmann Haus und Grundstück Kavalierstraße11.
Hermann Gutmann wurde 1857 in Jastrow in Westpreußen geboren. Er kam zusammen mit
seiner Frau Emma geb. Simon (geb. 1863) im Jahre 1900 nach Dessau, wo er ein Textilgeschäft
eröffnete. Die Familie wohnte im Haus Antoinettenstraße 38 (1. Etage) und betrieb sein
„Geschäftslokal“ zunächst in der Kavalierstraße 36. Noch im Jahre 1904 ließ Hermann Gutmann
das Haus niederreißen und an seiner Stelle ein großzügiges Wohn- und Geschäftshaus errichten, das Erdgeschoss für die Auslagen seines reichhaltigen Textilwarenangebotes. Es war eines
der ersten Häuser der Stadt, das über eine moderne Zentralheizung und elektrisches Licht
verfügte. In den oberen Etagen befanden sich die Wohnräume für die Familie.
Haus und Geschäft übernahm im Jahre 1933 der Kaufmann Otto Nähser.
Die Familie Gutmann blieb vorerst im Haus wohnen, ab 1934 ist Hermann Gutmann im Adressbuch als „Privatmann“ geführt. Hermann Gutmann war Mitglied der Repräsentantenversammlung der Israelitischen Kultusgemeinde. 1937 konnte das Ehepaar im Kreise seiner Kinder und
Enkel die Goldene Hochzeit begehen.
Gutmanns hatten fünf Kinder: Ernst, Hertha (geb.1886), Meta (geb. 1887), Else (geb. 1895) und
Gertrud. Ernst starb 1916, Gertrud 1924. Hertha heiratete den Textilfabrikanten Max Braunsberg.
Sie lebte mit ihren Kindern Hugo und Rosi in Berlin-Grunewald. Auch Else, verheiratete
Jacobowitz, zog nach ihrer Hochzeit nach Berlin.
Noch 1939 wurde das Ehepaar Gutmann mit ihrer Tochter Meta (sie blieb unverheiratet) unter
der Adresse Kavalierstraße 11 registriert.
Alle Drei wurden später Opfer des Holocaust, jedoch sind die genauen Umstände ihres Todes
nicht bekannt. Die Töchter Herta und Else wurden 1943 von Berlin nach Auschwitz deportiert
und dort ermordet.
Das Gebäude überstand die Bombennacht vom 7. März 1945. Kaufmann Otto Nähser stellte
das nur wenig beschädigte ehemalige Gutmann’sche Haus in einfachen Formen wieder her
und eröffnet am 1. Dezember 1951 hier ein Textilhaus. Die Firma Otto Nähser KG, der auch ein
Kaufhaus in Köthen gehörte, hörte 1974 auf zu bestehen. Das Gebäude wurde von der Verwaltung des HO-Kaufhauses „Magnet“ übernommen.
Werbeanzeige für Dr. Georg Hirschfeld,
Kavalierstraße 11.
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Historische Orte jüdischen Lebens in Dessau
Moses Benjamin Wulff/Maudrys Weinhandel/Hagelsbergs Tuchgeschäft
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Blick in die Steinstraße nach Süden mit dem Neubau des „Goldenen Beutels“, neben dem die
Fürstenstraße in die Steinstraße mündet. An der südlichen Ecke Fürstenstraße/Steinstraße
befanden sich die Grundstücke von Moses Benjamin Wulff. Das Eckhaus ist Nr. 5, zuerst
Maudrys Weinhandel und später Hagelsbergs Tuchgeschäft
Werbeanzeige L. Hagelberg
© Stadtarchiv Dessau-Roßlau
Historische Orte jüdischen Lebens in Dessau
Moses Benjamin Wulff, Maudrys Weinhandel, Hagelsbergs Tuchgeschäft
Steinstraße 5, heute: etwa Steinstraße 2
Eine wichtige Rolle in der Entwicklung und frühen Geschichte der jüdischen Gemeinde und
des Fürstentums Anhalt-Dessau spielte der spätere Hoffaktor Moses Benjamin Wulff. Er
errichtete sich an exponierter Stelle der Stadt, im Süden der Altstadt - auf der Stätte des alten
„Jägerhauses“ -, unweit des fürstlichen Schlosses, ein „steinernes Haus“. Betreffs der Stätte des
alten Jägerhauses heißt es bei Würdig (Chronik): „Die Häuser des Herrn Kaufmann Hagelberg
(Nr. 351=5), des Juweliers Saran (Nr. 350=6) und Bankiers Sonnenthal (Nr. 348/49=7) sind als
ein Haus vom Hofagenten des Fürsten Johann Georg II., Moses Benjamin Wulff, 1695 … erbaut
worden, bald aber getrennt.“
Der Hoffaktor Moses Benjamin wurde um 1661 geboren und starb am 29. 8. 1729 in Dessau
und wurde auf dem israelitischen Friedhof beigesetzt. Er kam 1686 nach Dessau und wurde mit der fürstlichen Familie eng vertraut - bald Hoffaktor Johann Georgs II. von Anhalt-Dessau
und blieb es bis zu seinem eigenen Tode auch unter Leopold I. Durch ihn erhielt Anhalt-Dessau
eine regelmäßige Postverbindung nach Berlin, er richtete die „Fürstlich-Anhaltische Land- und
Postkutsche“ ein, betreute das Münzwesen, pachtete das Elbzollhaus. Er finanzierte alle Transaktionen des Fürsten Leopold, nicht zuletzt auch die Standeserhebung Anna Louises in den
Reichsfürstenstand durch Kaiser Leopold. Hervorzuheben ist sein Verdienst um die
Errichtung der ersten Druckerei in Dessau.
Wulff war ein Nachkomme des gelehrten Rabbiners Moses Isserles in Krakau – auf den auch
Moses Mendelssohn seine Familie mütterlicherseits zurückführte. Moses Benjamin hatte 1670
Zippora, Tochter des Berliner Hofjuden Berend Wulff geheiratet. Anfang der 1680er Jahre war
er wegen seines Juwelenhandels in Differenzen mit dem dortigen Hofjuden Jost Liebmann
geraten, vor Gericht gestellt und eine Zeit lang ins Spandauer Gefängnis gesperrt. 1686 wurde
er von dem Liebmann und dessen Frau „vermittels allerhand jüdischer Praktiken und Beibringung falscher, wenigstens ganz unordentlicher Zeugnisse in große Ungnade gebracht“. Am 15.
November erhielt er deshalb den kurfürstlichen Befehl, binnen 24 Stunden mit all den Seinen
Berlin zu verlassen, und bat am 17. November den Fürsten Johann Georg II. um Schutz und
Aufnahme in Dessau.
Das erste Haus (später Nr. 5) blieb nach Moses Benjamins Tod in der Hand seines Sohnes Elias
Moses Wulff, auch nachdem dieser 1727 Konkurs gemacht hatte. Sein Hauptgläubiger Salomon Nathan Gans aus Hannover hielt sich am Gasthof „Zum Grauen Wolf“ und dem Gehöft in
der Leipziger Straße Nr. 65 schadlos. Große Finanzoperationen wie sein Vater hat Elias Moses
Wulff nicht getätigt, konnte es finanziell auch nicht. Die Pachtung des Elbzolls und der Akzise
gab er ebenfalls auf. Die ererbten Häuser Nr. 341 und 342 verkaufte er 1730.
Das Haus blieb mehrere Jahre unbewohnt, bis es 1761 der Bernburger Hofagent Moses Isaac
erwarb und es noch im selben Jahr mit einem Aufschlag dem Schutzjuden Herz Jacob übereignete, der mit Juwelen handelte. 1779 erbte es dessen Sohn Elkan Herz. Diesem zahlte dafür
1784 der jüdische Kaufmann Bernhard Maudry aus Genf 2.300 Taler.
Maudrys Weinhandel
Bernhard Maudry ließ das Haus abreißen und einen Neubau an seine Stelle setzen. Das erforderliche Baumaterial durfte er akzisefrei einführen und erhielt sogar aus dem Vorrat seines
Landesherrn Fürst Franz 2 Schock pirnaische Grundsteine. Nach Dessau gezogen war Maudry
bereits 1782. Sein Hauptgeschäft war der Handel mit Wein und Champagner neben einem
Kleinverkauf von Messing-, Stahl- und Eisenwaren sowie Gelegenheitsgeschäfte mit Kupferstichen u. ä. Im Jahre 1784 gewährte ihm der Fürst auf die Weineinfuhr einen Akzise-Erlass von
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Historische Orte jüdischen Lebens in Dessau
Moses Benjamin Wulff, Maudrys Weinhandel, Hagelsbergs Tuchgeschäft
50 Talern. Drei Jahre später verbuchte das Akziseamt von Maudeys Weinhandel eine Einnahme
von über 600 Talern, und dieser behauptete, der Handel könne noch besser sein, wenn die
Akzise auf das Niederlagegeld für Wein und Champagner ermäßigt würden. Doch war der
Amtskammerrat von Raumer (der spätere Kammerpräsident) dagegen.
Ab 1804 brauchte Maudry nur noch 25 Taler Fixakzise jährlich zu entrichten und 1807 wurde
diese auf 15 Taler herabgesetzt, „… da der Handel mit englischen Waren ungünstig war und
sein Kleinhandel deshalb sehr nachgelassen hatte…“. Der Sieg Napoleons über Preußen 1806
und die Absperrung des europäischen Kontinents gegen England bedingten diesen Geschäftsrückgang. 1806 musste Maudry das Grundstück mit 3.000 Talern Hypothek belasten; 1821 starb
er. Bei der Erbteilung kam das mit 5.000 Talern angesetzte Haus, auf dem 8 Taler Erbzins lagen,
an den Sohn Carl Marcus Maudry. Dieser führte den Weinhandel und das Metallwarengeschäft
weiter, bis er 1830 das Haus für 7.175 Taler dem Kaufmann Louis Hagelberg abtrat.
Hagelbergs Tuchhandel
Kaufmann Louis Hagelberg gründete einen Tuchhandel, verbunden mit dem Verkauf von
fertiger Garderobe. Er war seit den 1820er Jahren einer der Gemeindeältesten der Israelitischen
Gemeinde. Obwohl die Schneiderinnung 1848 dagegen protestierte, durfte er sein Geschäft
weiter betreiben. Er starb am 1.3.1863 in Dessau und wurde auf dem Israelitischen Friedhof beigesetzt. Seine älteste Tochter Mathilde heiratete 1846 M. Levinson aus Breslau, Sidonie heiratete 1850 Georg Cohn aus Falkenberg (Schlesien), Ida heiratete 1854 Ferdinand Levy aus Breslau und die jüngste Tochter heiratete am 29.3.1862 den Gutsbesitzer Moritz Schlesinger aus
Gaudau. Haus und Geschäft fielen an seinen einzigen Sohn Bernhard. Er wurde am 5.6.1825 in
Dessau geboren. Am 25. März 1863 übernahm er die väterliche Firma L. Hagelberg in Dessau,
und am 1. April 1864 erfolgte die Eintragung als „Louis Hagelberg“ im Handelsregister. Bernhard
Hagelberg war von 1874 bis 1876 und erneut 1876 bis zu seinem Tod im Jahre 1882 Mitglied
des Anhaltischen Landtages. Er starb am 11.7.1882 bei einem Kuraufenthalt in Marienbad und
wurde auf dem Israelitischen Friedhof beigesetzt.
Nach seinem Tod hinterließ er die „Hagelberg-Stiftung“, die alljährlich am Todestag des Stifters
für vier würdige und bedürftige Einwohner der Stadt Dessau, die in Ausübung ihres Berufes
in Unglück geraten sind, genutzt werden sollte. Seine Frau Marie geb. Groß (1830–1880) - die
Heirat war 1858 - ist ebenfalls auf dem Israelitischen Friedhof beigesetzt.
Dann kam das Geschäft in die Hände der Prokuristen Moritz Probst und Albert Steinthal, während das Haus der Prokurist Eduard Ackermann erwarb. Die Erben Ackermanns verkauften es
1939 der Stadt Dessau. Von ihr tauschte es die Witwe des Buchdruckereibesitzers Walter
Kniestedt gegen ihr bisheriges Grundstück Zerbster Straße 35 ein, das die Stadt zur Anlage einer neuen Straße zur Muldbrücke verwenden wollte, ein Plan, der infolge des Krieges nicht zur
Ausführung kam. Das vormals Ackermann’sche Haus wurde in der Bombennacht am 7. März
1945 zerstört. Die Stelle ist seit 1956/57 Teil des Wohnblocks Steinstraße 2–8.
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Historische Orte jüdischen Lebens in Dessau
Bankhaus Sonnenthal
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Blick in die Steinstraße nach Süden, Nr. 6 am südlichen Ende rechts das ehemaligen Bankhaus
Sonnenthal und dem Kaufmann Salomon Königsberg
© Stadtarchiv Dessau-Roßlau
Historische Orte jüdischen Lebens in Dessau
Bankhaus Sonnenthal
Steinstraße 6, heute: etwa Steinstraße 6
Dieses Haus war einige Zeit im Wulff’schen Familienbesitz (s. Nr.13: Moses Benjamin Wulff ).
1815 wechselte der Besitz an den Weinhändler Martin Lilia aus Wittenberg. Das abgabenfreie
Haus kam nach Lilias Tod im Jahre 1831 für 4.000 Taler in die Hände seiner Tochter Marianne.
Ihr zahlte der Bankier Bernhard Meyer 1837 dafür 3.300 Taler. Dessen Nachfolger wurden 1849
mit 3.500 Talern der Geheime Kabinettsrat und Theaterintendant Johann Georg von Berenhorst
und 1852 dessen Witwe Oda geb. von Saldern. Auf sie folgte 1855 der Bankier August Sonnenthal und nach dessen Tod 1864 Hugo Sonnenthal.
Gegründet wurde das fast 100 Jahre lang in Dessau erfolgreich wirkende Bankhaus Sonnenthal
von Samuel Sonnenthal (gest. 1855). Das Bankgeschäft betrieben hier zunächst die Geschwister Sonnenthal gemeinsam: Samuel, Friederike, Jacob, Jermer (gest. 1865), Moritz und August
(gest. 1867), danach wurde es unter Bankier August Sonnenthal fortgeführt.
Nach August Sonnenthals Tod 1867 führte sein Sohn Hugo Sonnenthal (geb. 1845) das Bankgeschäft mit seinem Bruder Eugen bis 1870 weiter. Die Erben verlegten das Bankgeschäft in
das Gebäude Kavalierstraße 26.
Das Haus Steinstraße 6 kam in die Hände des Gymnasialprofessors Dr. Carl Böttger.
Die Stätte des am 7. März 1945 zerstörten Gebäudes ist seit 1957/58 Teil des in Großblockbauweise errichteten Wohnblocks Steinstraße 2–8.
Kommerzienrat Hugo Sonnenthal wurde 1906 zum Geheimen Kommerzienrat ernannt und
war ab 1911 auch Königlich-Preußischer Lotterie-Einnehmer. Sein Sohn Richard, der bis 1913
in Dessau blieb, war wohl auch bis dahin am Bankgeschäft beteiligt. 1914 wurde das Bankgeschäft in die Mitteldeutsche Privatbank überführt. Hugo Sonnenthal gehörte fast vier Jahr­
zehnte dem Vorstand der Israelitischen Kultusgemeinde an, die letzten 22 Jahre seines Lebens
als dessen Vorsitzender. Er starb am 24.4.1921 im Alter von 76 Jahren in Dessau. Seine Witwe
Adele geb. Lipmann (1853–1929) verzog nach Berlin, wo sie 1929 verstarb. Ihr Leichnam wurde
nach Dessau überführt und an der Seite ihres Mannes auf dem Israelitischen Friedhof
beigesetzt.
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Historische Orte jüdischen Lebens in Dessau
Kaufmann Salomon Königsberg
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Blick in die ehem. Fürstenstraße nach Osten, rechts geht die Bürstenbindergasse ab.
Das zweite Haus ist Fürstenstraße 1. Hier befand sich von 1864 bis ca. 1888 das Geschäftshaus
von Salomon Königsberg
Der Ziergiebel am Haus des
Kaufmanns Salomon
Königsberg in Fürstenstraße 1
von Hofbildhauer
Friedemann Hunold.
© Stadtarchiv Dessau-Roßlau
Historische Orte jüdischen Lebens in Dessau
Kaufmann Salomon Königsberg
1864 Fürstenstraße 1, heute: Wallstraße 25
Das Haus ging 1782 an Simon Isaak Joel, genannt Schimme, über. Er kaufte 1804 das kleine
Nebenhaus des Schneidermeisters Johann Georg Leopold Matthias hinzu, vereinigte es mit
seinem Haus. Joels Grundstück kam 1829 an seinen Schwiegersohn, den Kaufmann Adolph
Betzold und 1842 an dessen Sohn, Adolph Betzold jun. Den Frontgiebel zierte ein Relief des
Hofbildhauers Hunold.
Von Betzold erwarb es 1864 die Witwe Fanny Königsberg geb. Sonnenthal. Ihr Sohn Kaufmann
Salomon Königsberg richtete hier sein Geschäft ein, und es erfolgte die Umbenennung in
Fa. Sonnenthal & Königsberg OHG.
1873 erbte Salomon Königsberg das Haus von seiner Mutter und blieb alleiniger Inhaber.
Er starb wohl im Jahre 1886. Salomon Königsberg wurde am 30.4. 1877 zum Hoflieferanten
ernannt. Womit er handelte, ist nicht bekannt.
1886 kaufte das Haus der Korbmachermeister August Schurig, der es 1919 dem
Korbmachermeister Wilhelm Boas abtrat, von dem es im Jahre 1933 die Stadt übernahm.
Das Haus fiel dem Großangriff vom 7. März 1945 zum Opfer. An seiner Stelle wurde 1957/58,
in Zusammenhang mit dem Aufbau des Viertels Marktstraße/Steinstraße/östliche Askanische
Straße, das Haus Wallstraße 25 in Großblockbauweise errichtet.
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Historische Orte jüdischen Lebens in Dessau
Kaufhaus Eduard Borchardt
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Blick auf das Kaufhaus Eduard Borchardt, Kavalierstraße 18a und 18, der ehemalige Gasthof
„Zum Wilden Mann“ und Restaurant „Askania“ gegenüber dem Museum für Naturkunde und
Vorgeschichte
Verkaufsanzeige für das Kaufhaus Eduard
Borchardt
© Stadtarchiv Dessau-Roßlau
Historische Orte jüdischen Lebens in Dessau
Kaufhaus Eduard Borchardt
Kavalierstraße 18a und 18 (ehem. Gasthof „Zum Wilden Mann“, 18 und „Askania“, 18a), heute
Freifläche vor dem Wohnblock Kavalierstraße 74–78
Der „Wilde Mann“ war um die Jahrhundertwende vom 19. zum 20. Jahrhundert auch Herberge
der Schuhmachergesellen. 1864 erbte ihn die Witwe Luise Diener, die 1867 eine zweite Ehe mit
dem Gastwirt Gustav Rödiger einging. Als sie 1879 starb, fiel das Haus an ihre Tochter Caroline
Diener, seit 1870 Ehefrau des Hoboisten Wilhelm Schulze. 1886 brannte der „Wilde Mann“ aus,
und damit endete die Zeit der Gastwirtschaft. Schulzes setzten auf die Brandstätte einen zweistöckigen großen Neubau mit Geschäftsräumen im Erdgeschoss und Mietwohnungen in den
beiden Obergeschossen. Das Haus gehörte ab 1908 der Witwe Schulze. Ihre Erben
verkauften es 1930 der Firma Eduard Borchardt. Ihm gehörte schon das Nachbarhaus Nr. 18.
Bereits ab 1900/01 hatte der jüdische Kaufmann Eduard Borchardt im Erdgeschoss zusammen
mit Martin Borchardt (sein Bruder?) das „Geschäftslokal“ für „Putz-, Mode- und Manufakturwaren, Geschäft für Herren- und Damenkonfektion“ geführt. Ende des Ersten Weltkrieges erwarb
er vom Betreiber des Restaurants „Askania“ Franz Große das benachbarte Haus 18 a hinzu und
hatte dadurch Gelegenheit, die Ladenfront mit großen Schaufenstern im Erdgeschoss zu verlängern. Die Firma Eduard Borchardt, Putz- und Modewaren, Kleiderstoffe wurde ab 1919 von
den Erben (Martin und Georg Borchardt in Schievelbein) fortgeführt. Sie mieteten außer dem
Erdgeschoss auch die erste Etage und richteten ein Kaufhaus ein, 1930 wurden sie auch Hauseigentümer. Im Oktober 1933 wechselte das Kaufhaus an „arische“ Betreiber: an die Kaufleute
Stolze und Nähser, während der Kaufmann Borchardt nach Berlin ging. Ab 1935 war
Otto Nähser alleiniger Eigentümer, der 1938 auch Besitzer des Hauses 18a wurde.
Im Haus Kavalierstraße 18 befand sich das ehem. Restaurant „Askania“ von Gustav Diener.
Es genoss einen guten Ruf, es blieb auch unter seinem Nachfolger Franz Große ab 1891 ein
viel besuchtes Lokal. Die Gaststätte schloss im März 1920 ihre Pforten. Schon vorher hatte
Franz Große das Haus dem Geschäftsmann Eduard Borchardt verkauft, der das Erdgeschoss
zu Ladenräumen mit großen Schaufenstern umbaute. 1925 fiel es an seine Erben. 1938 wurde
Kaufmann Otto Näser Besitzer auch dieses Hauses.
Beide Gebäude brannten 1945 aus. Die Ruine wurde 1956 beräumt und 1957 die Stelle Standort einer Kiosk-Gruppe und ist seit 1969 Vorplatz vor dem Wohn- und Geschäftsblock Kavalierstraße 74–84.
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Historische Orte jüdischen Lebens in Dessau
Wäschegeschäft Josef Schuber
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Das Wohn- und Geschäftshaus Askanische Straße 39 a, in dem sich von 1922 bis 1938 das Wäschegeschäft von Josef Schuber befand
© Stadtarchiv Dessau-Roßlau
Historische Orte jüdischen Lebens in Dessau
Wäschegeschäft Josef Schuber
Askanische Straße 39 a, heute: Askanische Straße 54
Im Jahre 1891 wurde der westliche Teil des Grundstücks in der Askanischen Straße abgetrennt
und mit dem neuen Haus Nr. 39 a besetzt. Dieses erwarb 1892 Klempnermeister Fritz Koch,
dann wechselte es an den Kürschnermeister Julius Boege und von dessen Erben 1922 an den
Kaufmann Josef Schuber (1881–1952), der hier ein Wäschegeschäft eröffnete.
Ab dem Jahre 1909 lebte der aus Kulaskowce bei Kolomea in Österreich-Ungarn stammende
Josef Schuber (1881–1952) mit seiner Frau Sophie in der damaligen Haupt- und Residenzstadt
Dessau. Im Ersten Weltkrieg war er Feldsanitäter in der österreichischen Armee. Nach Ende des
Krieges kehrte er nach Dessau zurück. Im Jahre 1929 erwarb er mit seiner Familie die anhaltische Staatsbürgerschaft, die ihnen 1935 aberkannt wurde.
Mit seiner aus Przemysl stammenden Frau Sophie geb. Brecher-Wagenberg (1886–1949) führte
er zunächst im Haus Askanische Straße 134, später in seinem Haus Askanische Straße 39a ein
„Weiß-, Woll- und Kurzwarengeschäft“. Bald nach der Machtübernahme durch die National­
sozialisten zog Paul Mayling mit einer Papier- und Geschenkwarenhandlung hier ein.
Josef Schuber wurde am 10. November 1938 misshandelt und musste wegen eines dadurch
ausgelösten Herzinfarktes ins Krankenhaus eingeliefert werden.
Haus und Grundstück wurden im Dezember 1938 „arisiert“. Im Juli 1939 gelang den Eltern die
Emigration nach Palästina; ihre zwei Söhne Alfred (Pinchas, geb. 1914) und Max (Mosche,
geb. 1920) konnten 1933 und 1937 auswandern. Die Tochter Dora (geb. 1911) heiratete 1938 in
Dessau Isidor (Issy) Feder (geb. 1913). Während Isidor die Flucht vor der nationalsozialistischen
Vernichtungsmaschinerie gelingen konnte, wurde Dora 1942 in das Warschauer Ghetto deportiert und von dort 1943 in das Vernichtungslager Majdanek.
Das Haus Askanische Straße 39 a wurde am Ende des 2. Weltkrieges zerstört. Die Ruine wurde
beseitigt. Die Stelle ist seit 1968 Teil des Wohnblocks August-Bebel-Straße 58–54.
Persönliche Erinnerungen der Familie Schuber vermittelt die Rede von Dan Schuber anlässlich
der Verlegung von Stolpersteinen am 28.10.2010 an dieser Adresse.
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Historische Orte jüdischen Lebens in Dessau
Restaurant „Zur Wolfsschlucht“
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Das Restaurant „Zur Wolfsschlucht“, Askanische Straße 35. Es gehörte ab 1825 Marum Wolf und
wurde bald eine der besten Gasthäuser der Stadt. Nach seinem Tod betrieb die „Wolfsschlucht“
zunächst seine Witwe, dann bis 1868 seine Töchter.
© Stadtarchiv Dessau-Roßlau
Historische Orte jüdischen Lebens in Dessau
Restaurant „Zur Wolfsschlucht“
Askanische Straße 35, heute: Askanische Straße 44
In das Haus zog im Jahre 1772 die 1752 von Fürst Dietrich gegründete Freischule ein. 1786
wurde das Haus verkauft. 1825 kaufte es Marum Wolff. Er bekam eine Schankkonzession und
machte aus der Schnapsstube eine Gaststube. Sie erhielt den Namen „Zur Wolfsschlucht“, weil
in dem Dachstübchen des Hauses eine Zeit lang der Opernsänger Friedrich Kuhn (?–1867) gewohnt hatte, der den Dessauern als Kaspar im „Freischütz“ bekannt war. Der später berühmte
Bass wurde 1838 an das Hoftheater als Herzoglicher Hofopernsänger engagiert.
Wahrscheinlich hat aber auch der Name des Besitzers zum Namen beigetragen.
Die „Wolfsschlucht“ war während der Revolution von 1848 das Lokal der Liberalen um die beiden Minister Habicht und Köppe, während sich die kleinbürgerlichen Demokraten im „Adler“
versammelten.
Wolff starb 1851, seine Witwe Emma 1855, seine Töchter Johanna und Lina bewirtschafteten
die „Wolfsschlucht“ bis 1868 und verkauften dann Haus und Gaststätte dem Gastwirt Friedrich
Reif.
Im Jahr 1875 berichtete ein Korrespondent des „Berliner Tageblatts“: „Dessau ist unzweifelhaft
eine der langweiligsten kleinen Städte, die man kennen lernen kann. … Die kleinen Kinder, die
das Unglück haben, in der Kavalierstraße geboren zu werden, sterben gewiss zu allermeist bald
wieder an Gähnkrampf. … Wie es scheint, gibt es in der Stadt nur einen einzigen Garten, in
dem sich die gute Gesellschaft zusammenzufinden pflegt. Es heiß die ‚Wolfsschlucht’ …“.
Im Jahre 1879 kam das Haus in den Besitz der Waldschlösschen-Brauerei, und es folgten verschiedene Pächter. 1901 erwarb es der Restaurateur Krauthause, unter dem die „Wolfsschlucht“
wegen des gepflegten Bieres und einer vorzüglichen Küche ein gut besuchtes Lokal wurde.
Nach seinem Tod blieb das Restaurant im Besitz seiner Witwe Emma, die es verpachtete.
Das Haus brannte am 7. März 1945 aus und wurde vom Goldschmied und Uhrmacher
Bruno Wieckenberg wieder instand gesetzt (ab 1947 August-Bebel-Straße 44). In dem großen
Laden, der früheren Wolfsschlucht, richtete die HO eine Fleischerei ein.
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Historische Orte jüdischen Lebens in Dessau
Tuch- und Manufakturwarenhandel David Reichenheim
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Die Häuser Steinstraße 56 bis 59 (von rechts nach links) nach dem Neubau des „Schwarzen
Adler“. In Haus Nr. 57 befand sich von 1867 bis 1876 der Tuch- und Manufakturwarenhandel
David Reichenheim
© Stadtarchiv Dessau-Roßlau
Historische Orte jüdischen Lebens in Dessau
Tuch- und Manufakturwarenhandel David Reichenheim
Steinstraße 57, heute: Teil der Grünfläche vor Askanische Straße 5
Das Haus gehörte bis 1860 dem Schönfärber Friedrich Leopold Robitzsch, der hier seinem
Gewerbe nachging. Von Robitzschs Erben kaufte das Haus der Handschuhfabrikant Karl Lange,
der an die Stelle des baufälligen Fachwerkhauses einen massiven Neubau setzte. Im Jahre 1867
verlegten die Gebrüder Reichenheim ihren Tuch- und Manufakturwarenhandel sowie Engroshandel in den Neubau. Nach dem Tod des erfolgreichen Kaufmanns David Reichenheim hatten
seine Erben das väterliche Geschäft übernommen. 1864 firmierten Kaufmann Hirsch Ruben
Reichenheim, Witwe Johanne Reichenheim geb. Meyer, Robert Reichenheim, Thekla Reichenheim, Mathilde Reichenheim, Hugo Reichenheim, Hedwig Reichenheim, Feodore Reichenheim
in Firma Gebrüder Reichenheim. Prokurist wurde Julius Reichenheim, später Isidor Reichenheim. Die Firma erlosch am 22. April 1876.
Im Jahre 1885 übernahm Grundstück und Haus der Kaufmann Eduard Bloßfeld, dem 1901 der
Bürstenfabrikant Wilhelm Greis und 1921 dessen Sohn Otto Greis folgten. Er war der letzte
Besitzer des Hauses und Inhaber der Firma bis zur Zerstörung am 7. März 1957 im Zuge der
Neugestaltung der Stadt. Seit 1962 ist der ehemalige Standort des Gebäudes Teil der Grün­
fläche zwischen Kantorstraße und Ludwigshafener Straße.
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Historische Orte jüdischen Lebens in Dessau
Tuch- und Manufakturwarenhandel David Reichenheim
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Im Vordergrund die Häuser der alten Nummerierung 156 (Eckhaus) bis 158. In Nr. 158 (ab 1856
Hospitalstraße 77, ab 1887 Askanische Straße 161) befand sich von 1852 bis 1867 der Tuchund Manufakturwarenhandel David Reichenheim, heute: Teil der Fahrbahn und Fußgängerweg
Kantorstraße
© Stadtarchiv Dessau-Roßlau
Historische Orte jüdischen Lebens in Dessau
Tuch- und Manufakturwarenhandel David Reichenheim
Askanische Straße 161, heute: Teil der Fahrbahn und Fußgängerweg Kantorstraße
Das Haus befand sich viele Jahre lang in jüdischem Besitz: 1811 kam es an den Schutzjuden
Seelig Juda, der 1821 den Familiennamen Calmann annahm. Sein Nachfolger wurde 1841 der
Schutzjude Seelig Isaak Cahn, von dem es 1847 der Mützenmacher Gustav Mayländer kaufte.
Er ließ das „… gewiss unansehnlichste und baufälligste Haus der ganzen Stadt…“ niederreißen
und an dessen Stelle „… ein massives dreigeschossiges Gebäude mit Souterrainwohnung…“
aufführen. Dadurch geriet er in finanzielle Schwierigkeiten, erhielt aus der Staatskasse eine
zweite Hypothek von 1.000 Talern, obwohl gegen ihn seit 1848 ein Konkursverfahren
schwebte.
Im Jahre 1852 wurde der Kaufmann David Reichenheim Eigentümer des Hauses und nach
seinem Tod am 9. Februar 1862 seine Witwe Johanne, geb. Meyer.
David Reichenheim betrieb hier ein Tuch- und Manufakturwarenhandel. Das Paar hinterließ
eine große Kinderzahl: Hirsch Ruben, wohl sein ältester Sohn, gest. 4.9.1865, Hermine R., die
den Architekten Lehmannbeer in Berlin heiratete, Julius R., der 1862 Flora Bertram aus Berlin
heiratete, Kora, verheiratet mit Kaufmann S. Heinemann aus Büren, Robert, Thekla, Mathilde,
Hugo, Hedwig und Feodore.
Das Geschäft führten zunächst seine Erben weiter, Prokurist war der Sohn Julius Reichenheim.
1867 verlegten sie das Geschäft nach Steinstraße 57 (siehe Nr. 19).
Das Haus Askanische Straße 161 ging 1867 in den Besitz des Lederwarenhändlers Friedrich
Hesse über. Hier befand sich später die Zigarettenhandlung Busch. Das Haus wurde 1945 zerstört. 1973 entstand hier die neu geschaffene Einmündung des Straße des NAW (heute Kantorstraße).
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Historische Orte jüdischen Lebens in Dessau
Hermann Eiseck und die Dessauer Gewerbebank
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Das Wohnhaus des Kaufmanns Hermann Eiseck, Mitbegründer der Gewerbebank, in der Hospitalstraße 73, das zweite Haus von rechts
© Stadtarchiv Dessau-Roßlau
Historische Orte jüdischen Lebens in Dessau
Hermann Eiseck und die Dessauer Gewerbebank
Hospitalstraße 73, ab 1887 Askanische Straße 158, heute: Grünfläche, etwa auf Höhe der
Gedenkstele Askanische Straße/Kantorstraße
Diese Baustelle bekam 1684 der Schutzjude Bernd David. Nachdem der Erbauer das Haus 1687
und 1689 mit 150 Talern verpfändet hatte, verkaufte er es 1689 für 225 Taler seinem Glaubensbruder Philipp Moses, dem um 1726 der Jude Friebel und 1742 der Schutzjude Kauffmann
Jacob folgten. Von ihm kauften es 1780 der Schutzjude Abraham Kauffmann, und nach
dessen Tod 1816 waren die Besitzer die Gebrüder Moritz und Abraham Kauffmann. Sie waren
in Kassel beheimatet und gaben es deshalb sofort für 2.200 Taler weiter an den Schutzjuden
Isaac Hirsch, der sich 1821 den Familiennamen Eiseck zulegte. Er vermachte es 1850 seinem
Sohn, dem Kaufmann Hermann Eiseck. Hermann Eiseck war bei der Gründung der Dessauer
Gewerbebank im Jahre 1858 beteiligt. Infolge der damals einsetzenden Wirtschaftskrise war
die Zahl der Genossenschaftler anfangs gering. Nachdem dann später das Unternehmen
erfolgreicher wurde, stieg die Beteiligung auf über 400Dessauer Handwerker und Gewerbetreibende. Hermann Eiseck wurde 1864 zum Vorsitzenden des Kuratoriums gewählt, und unter
ihm begann die Bank, mit den Geldern zu spekulieren. Das ging bis zu den Gründerjahren gut,
doch kamen nach 1872 große Rückschläge, die 1877 schließlich zum Zusammenbruch der
Bank führten. Eiseck wurde steckbrieflich gesucht und setzte sich nach Amerika ab. Sein Haus
kam unter den Hammer. Nach einem Brand des Nachbarhauses im Jahre 1868 hatte Eiseck –
offenbar mit seinem Nachbarn – einen Neubau errichten lassen. Das Haus kam in den Besitz
des Bäckermeisters Wilhelm Zickert. In dessen Familie blieb es bis zur Zerstörung am 7. März
1945. Die Ruine wurde nach 1945 abgetragen und an ihrer Stelle eine Grünfläche angelegt.
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Historische Orte jüdischen Lebens in Dessau
Der erste Zahnarzt – Dr. Georg Hirschfeld
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Das Eckhaus Hospitalstraße 72 (später Askanische Straße 156). Dr. Georg Hirschfeld, der erste
ständige Zahnarzt.
© Stadtarchiv Dessau-Roßlau
Historische Orte jüdischen Lebens in Dessau
Der erste Zahnarzt – Dr. Georg Hirschfeld
Hospitalstraße 72 (später Askanische Straße 156), heute: Grünfläche Ecke Kantorstraße
Eigentümer des Hauses war im Jahre 1808 der Schutzjude und Pfandleiher David Mendel
Salomon, nach dessen Tod 1844 Seilermeister Johann Friedrich Anton aus Wörlitz. In diesem
Haus bezog 1860 der jüdische Barbier-Chirurg Georg Hirschfeld eine Mietwohnung und
befasste sich vornehmlich mit der Zahnbehandlung. Schon 1861 bezeichnete er sich als
Zahntechniker, empfahl Pariser Emaillezähne, das Stück 1½ bis 5 Taler, und setzte Transparentzähne zum Preis von 1 bis 3 Talern je Stück „…ohne Schmerzen…“ ein. Im Jahre 1862 war er als
Zahntechniker zugelassen und offerierte Kautschukgebisse für Ober- und Unterkiefer zum Preis
von 50 bis 80 Taler. 1864 nannte er sich Dentist, 1866 erhielt er die Approbation als Zahnarzt
und wurde Hofzahnarzt. Einige Jahre später promovierte er. Seine Praxis und Wohnung sind
1874 in seinem eben erworbenes Haus Kavalierstraße 11.
Hirschfeld war offenbar der erste Zahnarzt, der ab 1860 ständig in unserer Stadt ansässig war.
Das Haus Askanische Straße 156, das 1868 wie das Nachbarhaus abgebrannt war, baute Seilermeister Anton neu auf. 1881 gab er Werkstatt und Geschäft an seinen Sohn Ernst Anton, der
1887 auch in den Besitz des Hauses kam, weiter. Ihm folgte 1893 Kaufmann Salomon Schwarz,
nach dessen Tod 1910 seine Witwe Johanna, 1913 der Privatmann Friedrich Rose.
Das Gebäude wurde am Ende des Zweiten Weltkrieges beschädigt und wieder bewohnbar
gemacht. Das Erdgeschoss diente jahrelang dem Fotografen Erich Metzger als Atelier.
Im Jahre 1960 wurde es zur Verbreiterung der August-Bebel-Straße abgetragen. Die Stelle ist
seit 1973 Teil der Straße bzw. Grünfläche.
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Historische Orte jüdischen Lebens in Dessau
Rechtsanwalt Dr. jur. Hermann Cohn
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Kavalierstraße 8. Hier wohnte von 1900 bis 1908 Dr. jur. Hermann Cohn und betrieb hier auch
seine Kanzlei als Rechtsanwalt und Notar
© Stadtarchiv Dessau-Roßlau
Historische Orte jüdischen Lebens in Dessau
Rechtsanwalt Dr. jur. Hermann Cohn
Kavalierstraße 8, heute: Teil des Stadtparks in der Nähe des Denkmals für die Opfer des
Faschismus
Der in Dessau geborene Rechtsanwalt Dr. Hermann Cohn zog im Jahre 1903 mit seiner Kanzlei
sowie seiner Wohnung in die zweite Etage des Wohn- und Geschäftshauses Kavalierstraße 8.
Dieses Haus war viele Jahre im Eigentum des Konditormeisters Franz Voigt, der hier ein gut
gehendes Café betrieb. Das Haus stammte noch aus der Zeit der Erstbebauung der Kavalierstraße des frühen 18. Jahrhunderts. Im Erdgeschoss links vom Eingang befand sich von 1865
bis 1898 die Geschäftsstelle des Dessauer Sparvereins, eine Kombination von Wohltätigkeitsverein und Sparkasse. Einmal sammelte man freiwillige Beiträge bei den gut situierten Bürgern,
um sofort helfend eingreifen zu können, zum anderen forderte man die unbemittelten Einwohner zur Selbsthilfe auf. Der Sparverein erwarb 1908 das Haus Fürstenstraße 8 und endete in
den Zeiten der Inflation.
Konditor Voigt schloss im Jahre 1897 sein gut besuchtes Café und veräußerte das Grundstück an den Schneidermeister Bebber, dessen Kundschaft aus dem gehobenen Bürgertum
und dem Offizierscorps kam. Das alte Haus ließ er abreißen und an seiner Stelle ein vier­
geschossiges Gebäude errichten. Es verfügte im Erdgeschoss über Geschäftsräume mit großen
Schaufenstern und in den Etagen komfortable Wohnungen, für die Bebber aber nur schwer
zahlungskräftige Mieter fand. Den Laden rechterhand übernahm das Maßatelier der Firma
Bebber mit einem großen Tuchlager. Um seine Schuldenlast abtragen zu können, richtete
er im Laden linkerhand – nach dem Vorbild von Aschinger in Berlin – ein Selbstbedienungs­
restaurant als „Bebbers Automat“ ein (eröffnet am 8. April 1911). Dennoch wurde die Schuldenlast Bebbers nicht geringer, und er musste 1919 sein Haus seinen Gläubigern überlassen.
Bis 1905 blieb Dr. Hermann Cohn in der Kavalierstraße wohnen, verlegte seine Kanzlei kurzzeitig nach Zerbster Straße 51b. Schon nach einem Jahr kehrte er in das Haus Kavalierstraße 8
zurück und mietete sich diesmal in der ersten Etage mit Wohnung und Kanzlei ein.
Hermann Cohn trat neben seiner rechtsanwaltlichen Tätigkeit auch bald politisch in Erscheinung, zunächst in der Fortschrittspartei, später in der Deutschen Demokratischen Partei. Er war
von 1900 bis 1918 als Stadtverordneter Mitglied des Dessauer Gemeinderates und von 1902
bis 1918 des Anhaltischen Landtages. Vor allem in der Zeit der Weimarer Republik wurde er
zu einem der wichtigsten anhaltischen Landespolitiker. Er war als Staatsrat auch Mitglied aller
anhaltischen revolutionären Nachkriegsregierungen und 1918-24 Mitglied des anhaltischen
Landtages.
Das Gebäude wurde am 7. März 1945 zerstört und später abgetragen.
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Historische Orte jüdischen Lebens in Dessau
Kaufhaus Joske
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Das Kaufhaus Joske, Askanische Straße 138 (Ecke Neue Reihe)
© Stadtarchiv Dessau-Roßlau
Historische Orte jüdischen Lebens in Dessau
Kaufhaus Joske
Askanische Straße 138, ab 1910 Neue Reihe 1 vereinigt, heute: Askanische Straße 45
Im Jahre 1900 kaufte der Kaufmann Emil Joske das Eckhaus Askanische Straße / Neue Reihe
für 54.000 Mk., der hier mit seinem Compagnon Siegfried Meyerstein ein Kaufhaus mit „Putzund Manufakturwaren“ eröffnete. Das Kaufhaus wurde im Jahre 1910 – unter Einbezierung der
Häuser auf den Grundstücken Neue Reihe 1/2 – im späten Jugendstil neu erbaut. Die großen
Schaufenster gingen wie beim gegenüberliegenden Eckfenster von Allner/Ziegenhorn ebenfalls über zwei Etagen.
Emil Joske scheint nie in Dessau gelebt zu haben, denn er wird als in Weißenfels lebend in
den Adressbüchern geführt. Auch in Leipzig gab es ein erfolgreiches Kaufhaus Joske, als 1904
der Kaufmann Michael Max Joske im westlichen Stadtteil Plagwitz ein Unternehmen als
M. Joske & Co. firmierte. Es war das erste Kaufhaus in Plagwitz. Ob es sich dabei um einen
Verwandten von Emil Joske handelt, ist nicht bekannt.
Emil Joskes Kompagnon Siegfried
Meyerstein wurde1870 in Leipzig geboren. Er führte das Geschäft unter dem Namen Firma
Joske & Co. ab 1925 fort. Siegfried Meyerstein war ein aktives Mitglied der Israelitischen
Gemeinde Dessau, hier vor allem als Vorsitzender der Chewra Kadischa.
Das Unternehmen wurde 1936 an Kurt Engelbrecht abgegeben, womit auch dieses ehemalige
jüdische Kaufhaus arisiert wurde. 1940 waren „Joskes Erben“ Eigentümer von Grundstück und
Gebäude, 1944 das „Deutsche Reich“.
Das Gebäude ist am 7. März 1945 ausgebrannt und wurde provisorisch wiederhergestellt.
Im Jahre 1968 wurde es im Rahmen der „sozialistischen Rekonstruktion“ des Stadtzentrums
gesprengt. Die Stelle ist seit 1970 in die Verbreiterung der August-Bebel-Straße bzw. den Block
August Bebel-Straße 45–49 einbezogen (= 45).
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Historische Orte jüdischen Lebens in Dessau
Das Kaufhaus Hugo Rosenthal
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Das Kaufhaus Hugo Rosenthal, Askanische Straße 137
© Stadtarchiv Dessau-Roßlau
Historische Orte jüdischen Lebens in Dessau
Das Kaufhaus Hugo Rosenthal
Askanische Straße 137, 1910 mit dem Nachbarhaus Nr. 136 vereinigt,
heute: Askanische Straße 47
Grundstück und Haus waren lange Jahre im Eigentum des einzigen Dessauer Gelbgießers
Nathanael Abraham Jollage, der 1768 aus Berlin in die Stadt Dessau gekommen war und 1814
verstarb. Haus und Grundstück blieben in Familienbesitz, bis sie 1887 der Zigarrenfabrikant
Friedrich Thomas und 1909 der Fleischermeister Richard Limmer erwarben. Limmer ließ hier
1910, wie sein Nachbar zur Linken Joske, und unter Einbeziehung des rechten Nachbarhauses
Askanische Straße 136, einen Neubau aufführen. Dieser gehörte ab 1934 Limmers Erben.
Die Geschäftsräume im Erdgeschoss mietete ab dem Jahre 1919 Kaufmann Hugo Rosenthal,
dessen Kaufhaus bis 1930 bestand.
Hugo Rosenthal ist ab 1909 in Dessau als Kaufmann, und zwar damals im Wohn- und Geschäftshaus Askanische Straße 36, das sich im Besitz des Gastwirts Dose befand, nachzuweisen.
Das Kaufhaus Rosenthal scheint bis 1930 existiert zu haben, danach wurden die Räume von
Otto Günther betrieben. Außerdem verkaufte der Italiener Toscani hier ab 1938 in den
Sommermonaten echt italienisches Speiseeis.
Das Gebäude ist am 7. März 1945 ausgebrannt, wurde danach teilweise provisorisch
wiederhergestellt, in dem Paul Kurth Ende April 1954 eine Eisdiele – die erste in Dessau nach
dem Ende des Zweiten Weltkrieges – eröffnete. Das Gebäude wurde 1968 abgerissen.
Die Stelle ist seit 1970 in den Block August-Bebel-Straße 45–49 einbezogen (= 47).
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Historische Orte jüdischen Lebens in Dessau
Das Schuhwarenhaus Markus Rosenkranz
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In dem Wohn- und Geschäftshaus Askanische Straße 135 befand sich von1920 bis ca. 1930 das
Schuhwarenhaus Markus Rosenkranz
© Stadtarchiv Dessau-Roßlau
Historische Orte jüdischen Lebens in Dessau
Das Schuhwarenhaus Markus Rosenkranz
Askanische Straße 135, heute: Askanische Straße 49
In diesem Haus (ab 1893 Eigentum des Kaufmanns Hermann Lüdicke, 1926 nach dessen Tod
seiner Witwe Martha, geb. Weertz) befand sich im Erdgeschoss ab dem Jahr 1920 das Schuhwarenhaus Markus Rosenkranz.
Markus Rosenkranz hat wohl darauf das Haus gekauft, starb aber bereits ein Jahr später. Erbin
wurde seine Witwe Jente geb. Mautner, die einige Jahre auch das Geschäft weiterführte.
Die Verkaufsräume übernahm im Jahre 1935 der Klavierstimmer Fritz Erber mit einer Musik­
instrumentenhandlung.
Das Gebäude Askanische Straße 135 wurde am 7. März 1945 zerstört. Die Stelle ist seit 1970 in
dem Wohnblock Askanische Straße 45–59 einbezogen (= 49).
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Historische Orte jüdischen Lebens in Dessau
Dr. Adolph Arnhold – Arzt und Politiker
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Kreuzung Kavalierstraße/Franzstraße, Blick in Franzstraße nach Süden, links die Adler-Apotheke,
rechts das Restaurant „Stadt Rom“. Das Haus Franzstraße 9 (später 8), Wohnhaus von Dr. Adolph
Arnhold, befand sich weiter südlich auf der rechten Seite,
© Stadtarchiv Dessau-Roßlau
Historische Orte jüdischen Lebens in Dessau
Dr. Adolph Arnhold – Arzt und Politiker
Franzstraße Nr. 9, ab 1901 Nr. 8, heute: Vorplatz vor dem Neubaublock Franzstraße
Der Augenarzt und Politiker Dr. Adolph Arnhold entstammte einer seit Mitte des 18. Jahrhunderts in Dessau ansässigen jüdischen Familie. Er wurde am 17.12.1810 als Sohn des Händlers
Abraham Meyer (gest. 1808) geboren. Nach seinem Besuch der Franzschule und des Gymnasiums in Dessau (1826 nach Prima) folgte ein Studium zunächst der klassischen Sprachen, dann
der Medizin in Halle und Berlin. 1832 promovierte er in Halle, und 1833 ließ er sich in Dessau als
Armen- und Gemeindearzt nieder.
Im Jahre 1843 heiratete er Mathilde Cohn aus Berlin. In Dessau wurde er in der Revolutionszeit
1848/49 politisch aktiv und war u. a. am 29. April 1849 zum Stadtverordneten gewählt. Die
Abgeordneten des Vereinigten Landtages von Anhalt-Dessau-Köthen übertrugen ihm das
Amt des stellvertretenden Schriftführers. 1849 wurde er Mitglied der Herzoglichen MedizinalDeputation, und in der sich neu konstituierenden Israelitischen Kultusgemeinde gehörte er
dem Vorstand an. Im Jahre 1852 trat er von allen Ämtern zurück und zog sich enttäuscht vom
politischen Leben zurück. Im Jahre 1866 verzog er mit seiner Frau nach Berlin, wo er den
Arztberuf aufgab und eine Buchhandlung mit Leihbibliothek betrieb.
1858 erwarb er das Haus Nr. 227, später Franzstraße 9, später Nr. 8. Im Jahre 1866 verließ die
Familie Dessau. Ihre Kinder waren: Max, Eduard und Georg.
Sein Sohn, der spätere bedeutende Unternehmer und Kunstmäzen Eduard Arnhold, wurde
am 10.6.1849 in Dessau geboren. Nach dem Besuch der Dessauer Franzschule war er ab 1863
Lehrling und ab 1871 Prokurist und schließlich ab 1882 Firmenchef bei einem Berliner Kohlenhändler. Führend beteiligte er sich an der Entwicklung des oberschlesischen Kohlenbergbaus
sowie auch der chemischen und Gasindustrie. Er wurde im Jahre 1900 Aufsichtsratsvorsitzender der Berlin-Anhaltischen Maschinenbau AG (BAMAG) und 1903 in den Zentralausschuss der
Reichsbank berufen. Ab 1913 war er Mitglied des Preußischen Herrenhauses
sowie Mitglied der deutschen Delegation bei den Konferenzen von Versailles (1919), Spa (1920)
und London (1921). Er erwarb sich Verdienste bei der Förderung der Naturwissenschaften (als
Senator der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft) sowie als Kunstsammler und Mäzen für die Berliner
Museen. Als Kunstsammler war er als so sachverständig anerkannt, dass er 1911 als einziger
Fachfremder in die Ankaufskommission der Nationalgalerie berufen wurde. Er stiftete 1910
in Verbindung mit dem preußischen Fiskus die Stiftung Deutsche Akademie Villa Massimo in
Rom, deren Vorsitzende seine Urenkelin Elisabeth Wolkelm heute ist. Er war Ehrenmitglied der
Akademie der Wissenschaften. Er starb am 10.8.1925 in Neuhaus am Schliersee.
Das Wohnhaus Arnhold in der Franzstraße wurde in den 1950er Jahren abgetragen und ist seit
1973 Teil der Museumskreuzung.
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Historische Orte jüdischen Lebens in Dessau
Das Bankhaus I. H. Cohn
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Das Stammhaus des Bankhauses I. H. Cohn, Kavalierstraße 32 (rechts)
© Stadtarchiv Dessau-Roßlau
Historische Orte jüdischen Lebens in Dessau
Das Bankhaus I. H. Cohn
Kavalierstraße 32, heute Vorplatz vor der „Scheibe Nord“
Das Grundstück erwarb im Jahre 1817 die herzogliche Regierung für 1.025 Taler, die im darauf
folgenden Jahr einen Neubau errichten ließ. Da bei dem öffentlichen Verkaufstermin 1819 für
das neue Haus nur ein Höchstgebot von 3.200 Talern abgegeben wurde, was keineswegs den
Baukosten entsprach, wurde das Haus nicht verkauft, sondern das Erdgeschoss an die Medizinal- und Armenkommission und die obere Etage für 120 Taler an den Bankier Itzig Hirsch Cohn
aus Wörlitz vermietet.
Er wurde am 21.10.1777 in Wörlitz als Sohn eines Wörlitzer Schutzjuden geboren. Cohn hatte
für sich und seine Familie das Schutzrecht in Dessau erworben und betrieb ab 1817 in der
Kavalierstraße 26 ein Leihhaus – er durfte sich damit als erster Jude außerhalb der Sandvorstadt
niederlassen.
Dieser verlegte nun sein Leihhaus von Kavalierstraße 26 nach Nr. 32. Im Jahre 1830 erwarb er
das gesamte Haus für 4.600 Taler mit der Auflage, es im Fall der Weiterveräußerung nicht an
einen Juden zu verkaufen. 1833 erhielt Itzig Hirsch Cohn die Konzession zur Errichtung der
ersten Sparkasse, die er bis 1849 innehatte. Itzig Hirsch Cohn wurde 1861 zum Geheimen
Kommerzienrat ernannt und starb am 1. November 1863 im gesegneten Alter von 86 Jahren.
Er war mit Marianne C. (1787–1879) verheiratet. Sein Sohn Moritz, führte das Bankhaus nun
allein weiter. Das Cohn’sche Leihhaus war 1853 aufgelöst worden.
Moritz Cohn wurde am 19.9.1812 in Wörlitz als Sohn des Schutzjuden Itzig Hirsch Cohn geboren. Moritz trat im Jahre 1839 als Kompagnon in das väterliche Unternehmen ein, weitete
das Familienhaus und baute es zur Anhalt-Dessauischen Landesbank aus. Herzog Leopold IV.
Friedrich ernannte ihn 1850 als Kommerzienrat zum Herzoglich-Anhaltischen Hofbankier und
verlieh ihm - als erstem Juden - den anhaltischen Hausorden Albrechts des Bären. 1854 zum
Geheimen Kommerzienrat und 1866 zum Geheimen Finanzrat ernannt, wurde er 1880 Geheimer Oberfinanzrat und schließlich 1881 Wirklicher Geheimer Rat. In der Revolutionszeit lernte
Moritz Cohn in Berlin den damaligen Prinzen (späteren Kronprinzen und König von Preußen
sowie ersten deutschen Kaiser) Wilhelm kennen, dessen Flucht nach England Moritz Cohn
finanzierte. Wilhelm I. machte Moritz Cohn im Jahre 1859 zum Hofbankier. 1869 wurde er
durch den Herzog von Sachsen-Coburg-Gotha in den erblichen Freiherrenstand erhoben.
Die Stadt Dessau ernannte Baron Moritz von Cohn im Jahre 1892 zu ihrem Ehrenbürger.
1863 förderte er den Ankauf des Geburtshauses von Moses Mendelssohn durch den Leipziger
Jüdischen Verein, um das Haus als Gedenkstätte zu erhalten. Aus seinem hinterlassenen umfangreichen Vermögen stiftete Moritz von Cohn der Stadt Dessau u. a. das Denkmal für Kaiser
Wilhelm, das bis 1942 in der Kaiserstraße (heute Fritz-Hesse-Platz) stand. Baron Moritz von
Cohn starb am 30.4.1900 im Alter von 88 Jahren in Dessau und wurde auf dem israelitischen
Friedhof beigesetzt. Er war mit Charlotte Wolff, Tochter des Bankiers Wolff aus Bonn, verheiratet.
Charlotte Cohn ließ sich später von ihrem Mann scheiden und heiratete einen Pariser Zeitungs­
verleger. Die einzige Tochter war die Baronin Julie Cohn-Oppenheim, später bedeutende
Mäzenin der Stadt Dessau und der Israelitischen Kultusgemeinde Dessau.
Das ehem. Bankhaus wurde nun Sitz des Bankhauses Maerker, langjähriger Prokurist.
Das Bankhaus wurde 1935 arisiert und das Gebäude Sitz der I. H. Cohn-Stiftung (bis 1938).
Diese wurde enteignet und zum Haus des SS-Abschnitts 16 (Schutzstaffel der NSDAP).
Am 7. März 1945 fiel das Haus den Bomben zum Opfer, die Ruine wurde bereits Mitte der
1950er Jahre abgetragen.
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Historische Orte jüdischen Lebens in Dessau
Palais der Baronin Julie von Cohn-Oppenheim (Messelhaus)
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Das zwischen 1901 und 1902 neu errichtete Palais der Baronin von Julie von Cohn-Oppenheim
(Messelhaus), Kavalierstraße 33 (Fotografie nach 1933)
Blick von Osten in den Garten des Messelhauses mit dem Turm des Hauptpostgebäudes.
© Stadtarchiv Dessau-Roßlau
Historische Orte jüdischen Lebens in Dessau
Palais der Baronin Julie von Cohn-Oppenheim (Messelhaus)
Kavalierstraße 33, heute Westgiebel der „Scheibe Nord“
Haus und Grundstück kamen im Jahre 1782 in den Besitz von Marius Heinrich Wilhelm Siebigk, in dessen Familie sie bis 1846 verblieben. Nach Wilhelm Siebigks Tod fiel das Haus an den
Sohn Leopold Wilhelm Ludwig Siebigk, fürstlicher bzw. herzoglicher Kammersekretär, später
Kammerdirektor. Er ließ 1840 das Haus in spätklassizistischen Formen durch einen einstöckigen
Neubau von neun Achsen mit einem Mittelrisalit und Toreinfahrt rechterhand ersetzen.
1846 kaufte es von Siebigks Erben der Bankier Itzig Hirsch Cohn, der im Nachbarhaus (Nr. 33)
wohnen blieb und nur den großen Garten nutzte. Ihm folgte im Besitz des Hauses 1852 sein
Sohn Moritz Cohn und nach dessen Tod im Jahre 1900 seine Enkelin, die Baronin Julie von
Cohn-Oppenheim. Auf der Stelle des klassizistischen Palais ließ Julie von Cohn-Oppenheim
1901 ein modernes Palais errichten. Der Entwurf stammte von Alfred Messel. Julie wurde am
5.11.1839 in Berlin geboren. Sie heiratete 1858 den Bankier Ferdinand Oppenheim aus Breslau
und lebte mit ihm abwechselnd in Breslau und Wiesbaden. Die Ehe war unglücklich, und ihr
waren keine Kinder beschieden. Schon früh entfaltete sie ein reges Kunst- und Bildungsinteresse und trat als segensreiche Wohltäterin auf. Nachdem ihr Vater 1900 gestorben war, erbte Julie
ein großes Vermögen. In Tradition ihres Vaters tat auch sie in Dessau viel für das Allgemeinwohl
und stiftete bzw. förderte u. a. die Alexandraschule und deren Kindergarten sowie die spätere
städtische Handelsrealschule. Handwerkerlehrlinge und Studenten erhielten aus Stiftungs­
mitteln weitgehende Förderung. Am 30. April1901, dem ersten Todestag ihres Vaters, wurde ihr
als erster (und bisher einziger Frau) die Ehrenbürgerschaft verliehen, „in Anerkennung ihrer in
wahrhaft großherziger Weise durch Schenkungen und Stiftungen für die Stadt Dessau betätigten Liebe zu ihrer Vaterstadt“. Am gleichen Tag wurde der Grundstein für ein vornehmlich
von ihr finanziertes Armenstift gelegt. Die Straße, an der es errichtet wurde, erhielt den Namen
„Cohn-Oppenheim-Straße“, die durch die Nationalsozialisten 1935 in „Fröbelstraße“ umbenannt
wurde.
Mit dem von ihr neu errichteten Palais in der Kavalierstraße, neben dem Bankhaus Cohn,
verband sie die Vorstellung, in Dessau ihren Lebensabend zu verbringen und ihr Haus zu einer
Stätte der Geselligkeit und zur Pflege der Kunst, besonders der Musik, zu machen. Aber es war
ihr nur vergönnt, einen Tag und eine Nacht darin zu verbringen. Baronin von Cohn-Oppenheim starb am 5.1.1903 in Berlin. Ihr Leichnam wurde in Gotha eingeäschert und im Grab ihrer
Eltern auf dem Israelitischen Friedhof in Dessau beigesetzt.
In ihrem Testament vermachte sie der Stadt sowie der Israelitischen Kultusgemeinde je
5 Millionen Mark. Die Cohn-Oppenheim-Stiftung wurde ins Leben gerufen und damit der Stadt
neue Möglichkeiten zu einer kulturellen Entwicklung gegeben. Sie finanzierte daraus die Volks­
bibliothek und Lesehalle, gab Zuschüsse zum Bau der Städtischen Schwimmhalle und von
Schulen, verteilte Präbenden an alte und hilfebedürftige Bürger sowie Ausbildungsbeihilfen
für Jugendliche. Ihr Palais in der Kavalierstraße fiel an den Herzog. Der 1904 auf den Thron
gelangte Herzog Friedrich II. wusste mit dem Haus nichts anzufangen und überließ es 1910
leihweise der Stadt Dessau zur Einrichtung des Landesmuseums. Daneben diente das
prächtige Haus ab dem Jahre 1920 zu repräsentativen Zwecken und lud im Namen des Oberbürgermeisters zu geselligen Abenden.
Das Messelhaus wurde 1922 durch die Stadt angekauft und beherbergte bis 1933 die Dienstwohnung des Oberbürgermeisters. 1933 wurde das von einer Jüdin errichtete repräsentative
Haus Amtssitz des „Reichstatthalters in Braunschweig und Anhalt“.
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Palais der Baronin Julie von Cohn-Oppenheim (Messelhaus)
Beim Angriff vom 28.5.1944 wurde das Haus zur Hälfte zerstört, nach dem 7.3.1945 standen
noch erhebliche Teile.
Ab Sommer 1946 wurden Wiederaufbauarbeiten begonnen, 1947 abgebrochen und die Reste
der Ruine Ende der1950er Jahre abgetragen.
Auf der Stätte des Messelhauses und seines großen Gartens wurde 1964–66 der erste moderne
Wohnblock neuerer Zeit, die „Scheibe Nord“ errichtet.
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Rechtsanwalt Dr. Hermann Cohn
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Blick auf den Kleinen Markt (Marktplatz). In dem viergeschossigen Eckhaus zur Böhmischen
Straße lebte und arbeitete zwischen 1897 und 1900 der Rechtsanwalt Dr. Hermann Cohn
© Stadtarchiv Dessau
Historische Orte jüdischen Lebens in Dessau
Rechtsanwalt Dr. Hermann Cohn
Zerbster Straße 56, heute Zerbster Straße 18
Das Wohn- und Geschäftshaus Zerbster Straße 56 war zwischen 1897 und 1903 die zweite Geschäftsadresse Dr. Cohns in seiner Rechtsanwaltstätigkeit. Der Vater, Kaufmann Heymann Cohn,
heiratete am 13. Oktober 1868 in Dessau Sidonie Dahlheim. Sie lebten zu dieser Zeit im Haus
Schulstraße 9, das 1889 in die Erweiterung des Rabbiner- und Schulhauses einbezogen wurde.
Am 28.10.1869 wurde dem jungen Paar der Sohn Hermann, am 21.11.1871 die Tochter Sidonie,
die am 11.9.1871 starb, und am 23.5.1879 eine weitere Tochter geboren.
Hermann Cohn besuchte in Dessau das Gymnasium und wurde 1887 nach Prima versetzt.
1889 erwarb sein Vater das Haus Fürstenstraße 6. Er wurde Lotterie-Kontrolleur, erhielt den Titel
Hofagent verliehen und war auch gerichtlich vereidigter Taxator. Ab 1888 studierte Hermann
Cohn Rechtswissenschaften. Nach dem zweiten Staatsexamen kehrte er als promovierter Referendar 1895 in seine Vaterstadt zurück und ließ sich im väterlichen Haus Fürstenstraße 6 nieder.
1897 gründete er seine eigene Kanzlei, die er in dem Haus Zerbster Straße 56 einrichtete.
Dieses Haus spielte in der Dessauer Geschichte mehrfach eine Rolle: Hier befand sich, in einem
barocken Gebäude, die Föhse’sche Apotheke und war damit das Elternhaus der späteren
Fürstin Anna Louise. Im 19. Jahrhundert gehörte es dem Stadtphysikus Dr. med. Kretzschmar,
Reformator des Gesundheits- und Armenwesens im Herzogtum Anhalt-Dessau. Daneben
kümmerte er sich auch um das Entstehen eines Theaterlebens und war zwischen 1771 und
1793 Kopf des „gesellschaftlichen Theaters“ und ließ durch Erdmannsdorff im nicht genutzten
Brauhaus einen ordentlichen Theaterraum einrichten. Nach den Befreiungskriegen erwarb das
Haus der Kaufmann Johann Friedrich David Fiedler, der seit 1810 bereits das Nachbarhaus besaß. Sein Sohn spielte als Demokrat und Stadtrat in den Märztagen 1848 eine Rolle. Er trat 1852
enttäuscht von allen seinen Ämtern zurück.
1905 wurde der Architekt Wilhelm Stieler Eigentümer des Hauses, der sogleich den Neubau
eines großen Eckhauses aufführte. Um das Jahr 1918 erwarb Dr. Hermann Cohn das Haus
Antoinettenstraße 8, in dem er dann bis zu seinem Tode im Jahre 1933 arbeitete und lebte.
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Rechtsanwalt Dr. Hermann Cohn
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Blick in die Antoinettenstraße nach Norden. Auf der rechten Straßenseite befindet sich das
Haus Nr. 8. Es erwarb um 1918 Rechtsanwalt und Notar Dr. Hermann Cohn.
© Stadtarchiv Dessau-Roßlau
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31. Rechtsanwalt Dr. Hermann Cohn
Antoinettenstraße 8, heute etwa Antoinettenstraße 8?
Um das Jahre 1918 erwarb Dr. Hermann Cohn das stattliche Wohnhaus Antoinettenstraße 8.
Die Antoninettenstraße war eine zentrale Achse des „neuen Stadtviertels“ zwischen Kavalierstraße und Bahnhof und mit repräsentativen Häusern und öffentlichen Gebäuden der wilhelminischen Zeit bebaut.
Er zog in das Erdgeschoss mit der Kanzlei ein und mit seiner Familie in die erste (= belle) Etage.
In seine Kanzlei trat zunächst Dr. Riemeyer und später Dr. Sonder ein. Auch nach seinem Ausscheiden aus der aktiven Politik zum Ende der 1920er Jahre behielt er maßgeblichen Einfluss
auf die Politik der Regierung wie auch der liberalen Deutschen Demokratischen Partei in Anhalt. Er starb am 24. Januar 1933, eine Woche vor der „Machtergreifung“ Hitlers und wurde auf
dem Israeltischen Friedhof von Dessau beigesetzt.
Von seinem Haus in der Antoinettenstraße aus sollte er bis zu seinem Tod im Jahre 1933 zu den
bedeutendsten Dessauer bzw. Anhaltischen Persönlichkeiten jüdischen Glaubens zählen, der
mit seinem öffentlichen Wirken an vorderster Stelle des gesellschaftlichen Lebens der Hauptund Residenzstadt auch in republikanischer Zeit stand.
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