50 Jahre Bundespatentgericht
Transcrição
50 Jahre Bundespatentgericht
50 Jahre Bundespatentgericht Reden und Bilder des Festaktes München, 1. Juli 2011 Impressum Herausgeber Die Präsidentin des Bundespatentgerichts Referat für Öffentlichkeitsarbeit, int. Angelegenheiten und Informationsdienste Postfach 90 02 53, 81502 München Redaktion Rin BPatG Dr. Ariane Mittenberger-Huber [email protected] Bildnachweis Presse- und Informationsamt der Bundesregierung (Titel), Monika Wrba Druck Deutsches Patent- und Markenamt, München München 2011 © BPatG 50 Jahre Bundespatentgericht Reden und Bilder des Festaktes aus Anlass des 50‐jährigen Bestehens des Bundespatentgerichts 1. Juli 2011 Allerheiligen‐Hofkirche der Residenz München 3 Inhalt Programm des Festaktes……………………………….……....5 Begrüßung durch die Präsidentin des Bundespatentgerichts Frau Beate Schmidt.…………………………………………...7 Festrede des Bundespräsidenten Herrn Christian Wulff.……………………………………….17 Ansprache der Bundesministerin der Justiz Frau Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, MdB……………27 Vortrag des Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts a.D. Herrn Prof. Dr. Dres. h.c. Hans-Jürgen Papier...…………….39 Übergabe der Festschrift „50 Jahre Bundespatentgericht“…………………………...…53 4 Musikalische Umrahmung: Chor des Amtsgerichts München (Leitung: Robert Scheingraber) 5 Programm des Festaktes Gefangenenchor aus „Nabucco“ (Musik: Giuseppe Verdi) Begrüßung durch die Präsidentin des Bundespatentgerichts Frau Beate Schmidt Übergabe einer Dokumentation über das Bundespatentgericht Festrede des Bundespräsidenten Herrn Christian Wulff Have a nice day (Musik: Lorenz Maierhofer) Ansprache der Bundesministerin der Justiz Frau Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, MdB Vortrag des Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts a.D. Herrn Professor Dr. Dres. h.c. Hans-Jürgen Papier Siyahamba (trad. aus Afrika) Swingender Festtagskanon von der Jugendburg Gemen Grußwort des Vorsitzenden Richters am Bundespatentgericht Herrn Achim Bender Übergabe der Festschrift „50 Jahre Bundespatentgericht“ Nationalhymne Empfang 6 7 Begrüßung durch die Präsidentin des Bundespatentgerichts Frau Beate Schmidt Getreu dem Sprichwort „Erst die Arbeit, dann das Vergnügen“ haben wir uns gestern in unserem Symposium mit dem Thema „Die nationale Patentgerichtsbarkeit in Europa“ beschäftigt und gearbeitet – heute gilt es zu feiern. Wir feiern das 50-jährige Bestehen des Bundespatentgerichts. Als Präsidentin habe ich die große Ehre, Sie, sehr geehrter Herr Bundespräsident Wulff, zu unserem heutigen Festakt zu begrüßen. Nichts unterstreicht die Bedeutung dieser Festveranstaltung und des Bundespatentgerichts in der Bundesrepublik Deutschland mehr als Ihr Besuch. Wir alle freuen uns, dass Sie sich trotz eigener wichtiger Termine in Berlin die Zeit genommen haben, heute zu uns nach München zu kommen, um zu uns zu sprechen. Ein herzliches Willkommen gilt auch Ihnen, sehr geehrte Frau Bundesministerin der Justiz Leutheusser-Schnarrenberger, als Mit-Gastgeberin dieses Festaktes. Ihr Haus hat uns bei der Vorbereitung und Durchführung mit Rat und Tat hervorragend unterstützt. Der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Herr Prof. Dr. Hans-Jürgen Papier, ist nicht nur zum Feiern, sondern 8 auch zum Arbeiten gekommen. Sie werden den Festvortrag halten – dafür schon jetzt ganz herzlichen Dank. Herzlich begrüßen möchte ich auch den Richter des Bundesverfassungsgerichts Herrn Prof. Dr. Huber und den ehemaligen Richter des Bundesverfassungsgerichts Herrn Prof. Dr. Siegfried Broß. Das Bundespatentgericht ist im schönen München im Bundesland Bayern beheimatet: für viele Richter aus dem Bundesgebiet, die sich bei uns bewerben, ist dies sicher ein zusätzlicher Anreiz. Ich begrüße ganz herzlich als Vertreter der Bayerischen Staatsregierung die bayerische Staatsministerin der Justiz und für Verbraucherschutz Frau Dr. Beate Merk und den Bayerischen Staatsminister für Wirtschaft, Infrastruktur, Verkehr und Technologie Herrn Martin Zeil; für den Bayerischen Landtag heiße ich dessen Vizepräsidenten Herrn Peter Meyer sowie die stellvertretende Vorsitzende des Ausschusses für Bundes- und Europaangelegenheiten Frau Dr. Annette Bulfon sowie Frau Petra Guttenberger, MdL, willkommen. Ein weiterer herzlicher Gruß gilt den Vertretern der Landeshauptstadt München, den Stadträten Michael Kuffer und Dr. Michael Mattar. Der gewerbliche Rechtsschutz hat in den letzten Jahrzehnten international stark an Bedeutung gewonnen, was zahlreiche Kontakte zu internationalen und ausländischen Institutionen mit sich brachte, – entsprechend international zeigt sich heute auch die Gästeliste. Der japanische Generalkonsul Herr Akira Mizutani ist unserer Einladung gefolgt. Als Vertreter des Europäischen Patentamts begrüße ich den Vizepräsidenten, Herrn Raimund Lutz, der mein unmittelbarer Vorgänger als Präsident war. Ich freue mich besonders, dass auch der ehema- 9 lige Präsident des Europäischen Patentamts, Herr Dr. Ingo Kober, heute anwesend ist. Den Präsidenten des türkischen Patentamts, Herrn Habip Asan, den Präsidenten des Stockholmer Court of Appeal, Herrn Per Carlson, Judge Colin Birss vom Patents Court und Herrn Dr. Massimo Scuffi aus Italien, die gestern so hervorragend am Symposium mitgewirkt haben, heiße ich herzlich willkommen, ebenso wie zahlreiche weitere Gäste aus Belarus, Dänemark, Japan, Jordanien, Moldavien, Montenegro, Polen, der Schweiz und Ungarn: welcome to all of you and thanks for coming to our birthday celebration! Für die ständige Vertretung der Bundesrepublik Deutschland bei der Europäischen Union begrüße ich Herrn Dr. Sebastian Jeckel. Das Bundespatentgericht ist ein Gericht an der Schnittstelle zwischen Zivil- und Verwaltungsgerichtsbarkeit. Patent-, Gebrauchsmuster-, Geschmacksmuster- und Markengesetz verweisen auf die Zivilprozessordnung, der Bundesgerichtshof ist unsere Berufungs- bzw. Revisionsinstanz. Ich freue mich, dass nicht nur mehrere Richter am BGH, sondern auch der Präsident des Bundesgerichtshofs Herr Prof. Dr. Klaus Tolksdorf heute anwesend sind. Ohne das Bundesverwaltungsgericht hätten wir allerdings heute gar nichts zu feiern. Mit seiner Entscheidung vom 13. Juni 1959 bestätigte es, dass alle Entscheidungen des Patentamts über die Erteilung oder den Fortbestand gewerblicher Schutzrechte einer Überprüfung durch die (Verwaltungs-)Gerichte zugänglich seien und gab damit den Anstoß zur Gründung des Bundespatentgerichts. Ich bedauere sehr, dass der Vizepräsi- 10 dent des Bundesverwaltungsgerichts, Herr Michael Hund, wegen der unerwarteten Streichung seines Fluges unserem Festakt nicht beiwohnen kann. Das Bundesverwaltungsgericht, quasi unser „Geburtshelfer“, durfte aber beim Geburtstagsfest auch wirklich nicht fehlen. Dem damals zuständigen Senat des Bundesverwaltungsgerichts gehörte u. a. der spätere Richter des Bundesverfassungsgerichts, Herr Prof. Dr. Werner Böhmer an, der leider aus gesundheitlichen Gründen an dem heutigen Festakt nicht teilnehmen kann, dem ich aber von hier aus meine besten Genesungswünsche schicken möchte. Als Vertreterin des Bundesfinanzhofs begrüße ich die Richterin am Bundesfinanzhof Frau Silvia Schuster. Weiter freue ich mich, dass zahlreiche Vertreter der Landesjustiz zu den Gratulanten gehören, stellvertretend nenne und begrüße ich den Präsidenten des Bayrischen Verfassungsgerichtshofs und des OLG München, Herrn Dr. Karl Huber, sowie als Vertreterin der gesamten Richterschaft die stellvertretende Vorsitzende des Deutschen Richterbundes Frau Andrea Titz. Doch nicht nur Gerichte sind heute hochrangig vertreten, auch namhafte Berufsverbände nehmen an unserer Feier teil. So freue ich mich über die Anwesenheit der Präsidentin der Patentanwaltskammer, Frau Dr. Brigitte Böhm, des Präsidenten des Deutschen Anwaltvereins, Herrn Prof. Dr. Wolfgang Ewer, des Präsidenten der European Patent Lawyers Association, Herrn Dr. Jochen Pagenberg, sowie des Präsidenten der Europäischen Union der Rechtspfleger, Herrn Thomas Kappl, und der stellvertretenden Vorsitzenden des Deutschen Juristinnenbundes, Frau Renate Maltry. 11 Naturgemäß ist das Bundespatentgericht eng mit dem Deutschen Patent- und Markenamt verbunden, wird doch ein nicht unwesentlicher Teil der Richterschaft aus dem Kreis der dortigen Patent- und Markenprüfer rekrutiert. Ich freue mich daher über die Anwesenheit der Präsidentin des Deutschen Patent- und Markenamts Frau Cornelia RudloffSchäffer sowie der früheren Präsidenten Herrn Dr. Jürgen Schade und Herrn Norbert Haugg. Der gewerbliche Rechtsschutz ist für die deutsche Wirtschaft von großer Bedeutung. Ich freue mich daher sehr, dass der BDI durch Frau Dr. Julia Therese Hoecht und der Deutsche In– dustrie- und Handelskammertag durch Frau Doris Möller vertreten sind. Die traditionell guten Beziehungen des Bundespatentgerichts zu den Organisationen im Bereich des gewerblichen Rechts- 12 schutzes werden durch die Anwesenheit von Herrn Dr. HansPeter Kunz-Hallstein, Präsident der Deutschen Vereinigung für gewerblichen Rechtsschutz und Urheberrecht, Herrn Stephan Freischem, Generalsekretär von AIPPI, Herrn Dr. Lothar Steiling, Präsident der Vereinigung von Fachleuten des Gewerblichen Rechtsschutzes und Herrn Dr. Alexander Dröge, Geschäftsführer des Markenverbands, unter Beweis gestellt. Die zahlreich anwesenden Vertreter aus Forschung und Lehre, die einzeln zu nennen den vorgegebenen Zeitrahmen sprengen würde, zeigen die Verbundenheit der Wissenschaft mit dem Gericht. Es freut uns natürlich sehr, dass heute auch zahlreiche Vertreter der Medien Interesse am Bundespatentgericht zeigen, das sonst eher im Stillen wirkt. Neben allen aus Zeitgründen nicht namentlich genannten Gästen möchte ich es nicht versäumen, die zahlreich erschienenen amtierenden und ehemaligen Angehörigen des Bundespatentgerichts ganz herzlich zu begrüßen. Dazu gehören natürlich besonders mit Frau Antje Sedemund-Treiber und Herrn Dr. Landfermann zwei ehemalige Präsidenten. Auch einige „Männer der 1. Stunde“ sind gekommen: Herr Richter am Bundespatentgericht Paul Terwesten nahm seinen Dienst beim Bundespatentgericht ebenso am 1.7.1961 auf wie die Herren Rechtspfleger Dieter Lück, Alois Hauck, Hilmar Schmitt, Andreas Wenisch und Hans Porzner – dem ich gleichzeitig auch ganz herzlich zu seinem eigenen Geburtstag am heutigen Tag gratulieren möchte. Alle Angehörigen haben mit ihrem Einsatz und ihrem Können das Bundespatentgericht geprägt und seinen Erfolg möglich gemacht. Ein herzliches Dankeschön an Sie – und besonders auch an die vielen Helferinnen und Helfer hinter den Kulissen, die zum Gelingen dieses Festakts beitragen. 13 Zu guter Letzt freue ich mich, dass Herr Rechtsanwalt Prof. Dr. Fromut Völp heute hier sein kann. Herr Prof. Völp, Sie und ihre Mandantin entschlossen sich im April 1956, gegen einen Kostenfestsetzungsbeschluss des Patentamts Anfechtungsklage vor dem Verwaltungsgericht München zu erheben, da Sie es für verfassungswidrig hielten, dass sich das Patentamt selbst überprüfte. Wegen des geringen Streitwertes führten Sie diesen Musterprozess auf eigene Kosten – und Sie bekamen Recht! Auch das Bundesverwaltungsgericht teilte Ihre Rechtsauffassung, und so gaben Sie den entscheidenden Anstoß zur Gründung des Bundespatentgerichts. Die Geschichte dieses Verfahrens hat Frau Vorsitzende Richterin am Bundespatentgericht Marianne Grabrucker dokumentiert. Ich freue mich, Ihnen Herr Prof. Dr. Völp, ein Exemplar dieser Dokumentation zur Erinnerung zu überreichen. 14 Ein Sprichwort, das offensichtlich alle Geburtstagskinder, die mit dem Älterwerden Probleme haben, trösten soll, besagt: „Man wird nicht älter, sondern besser“. Das wünsche ich auch unserem heutigen Geburtstagskind, dem Bundespatentgericht. Herzlichen Dank. 15 16 17 Festrede des Bundespräsidenten Herrn Christian Wulff Wir feiern heute den 50. Geburtstag des Bundespatentgerichts. Dazu herzlichen Glückwunsch! Sie haben allen Anlass, dies zu feiern. Ich bin gerne heute gekommen, um die außergewöhnlichen Leistungen des Bundespatentgerichts als Oberes Bundesgericht bei diesem Festakt zu würdigen. Eine solche Würdigung ist mir tatsächlich wichtig. Ich möchte mit Ihnen aber auch über die Zukunft reden. Als Fachgericht genießen Ihre Entscheidungen nur selten öffentliche Aufmerksamkeit, obwohl der Schutz des geistigen Eigentums, dem Sie verpflichtet sind, eine enorme Bedeutung für Schaffenskraft, Ideenvielfalt und Zukunftsfähigkeit unseres Landes hat: Deutsche Unternehmen erachten immaterielle Güter – Erfindungen, Know-how, Technologie – für wichtiger als materielle Vermögenswerte – so eine Studie der Bundesregierung aus dem Jahre 2009. Und die Europäische Kommission gibt an, dass immaterielle Vermögenswerte bis zu 75 Prozent des Unternehmenswertes ausmachen können. Das Bundespatentgericht ist ein einzigartiges Gericht, verdankt es seine Entstehung doch unmittelbar einem Rechtsstreit: Bis 18 1959 wurden Patentstreitigkeiten in besonderen Beschwerdeverfahren von besonderen Stellen des Patentamtes selbst überprüft. Diese Eigenkontrolle der Patentverwaltung verstieß aber nach einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts von 1959 gegen die Rechtsweggarantie des Artikels 19 Absatz 4 Grundgesetz. Das Bundesverwaltungsgericht eröffnete den Rechtsweg vor den Verwaltungsgerichten. Der Gesetzgeber reagierte prompt – er schuf durch eine Grundgesetzänderung die Voraussetzungen für die Einrichtung des Bundespatentgerichts. Eine zweite Besonderheit zeichnet die Institution des Bundespatentgerichts aus: Es ist die Symbiose von rechtlichem und naturwissenschaftlichem Sachverstand, die in der personellen Besetzung des Gerichts zum Tragen kommt: In Patentfragen kommt es auf komplexe naturwissenschaftliche und technische Zusammenhänge an. Juristen können nicht alles, aber sie müssen trotzdem Urteile fällen. Der Gesetzgeber hat klug gehandelt, indem er neben Juristen naturwissenschaftlich ausgebildete Fachleute als hauptamtliche Richter vorsah. Hier begegnen sich zwei Welten – diese Zusammenarbeit stelle ich mir ungeheuer spannend vor. Das Bundespatentgericht entscheidet, ob ein bestimmtes Schutzrecht eintragungsfähig ist. Dies zeigt den hohen Stellenwert, den unser Staat dem Schutz des geistigen Eigentums beimisst. Ideenreichtum, Forscherdrang, Kreativität sind Ausgangspunkt jeglichen Fortschritts, für Forschung und Entwicklung. Sie sind der eigentliche Rohstoff unserer Industrienation – der wichtigste, den wir haben! Innovationen sind der Motor für Wachstum und die Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit für jedes Land. 19 Trotzdem war die Einführung eines Patentschutzes auch in Deutschland im 19. Jahrhundert nicht unumstritten, unterschiedliche Regelungen in den Deutschen Staaten waren an der Tagesordnung: Erst 1877 hat sich die Einsicht durchgesetzt, dass es neben der zündenden Idee des genialen Erfinders und Forschers auch eines einheitlichen deutschlandweiten rechtlichen Rahmens bedarf, der bestimmt, wer eine Erfindung oder Idee nutzen kann. Denn nur so ist gewährleistet, dass die Früchte oftmals langjähriger Entwicklungsarbeit denjenigen zu Gute kommen, denen sie gebühren. Der Schutz geistigen Eigentums, aber auch Auseinandersetzungen um Erfindungen haben in Deutschland eine lange Tradition: Schon Gottlieb Daimler und Carl Benz stritten – vor der Vereinigung der nach ihnen benannten Unternehmen – um Patentrechtsverletzungen, weil Benz in Motoren die von Daimler erfundene Zündvorrichtung nutzte. Selbst ein späterer Bundespräsident profitierte – so kann man vermuten – schon vom Schutz geistigen Eigentums. Elly Heuss-Knapp, die mit Werbung zum Unterhalt der Familie beitrug, hatte die Idee des Radiojingles: Die Verknüpfung einer Firmenmarke mit einer kurzen Melodie ließ sie sich als „akustisches Warenzeichen“ in den 1930-er Jahren schützen. Der deutsche Erfindergeist ist ungebrochen. Das ist eine gute Nachricht. Im Jahr 2010 wurden fast 60.000 Patentanmeldungen beim Deutschen Patent- und Markenamt gezählt; hinzu kommen jährlich etwa 33.000 deutsche Anmeldungen beim Europäischen Patentamt. Die bereits erwähnte Studie der Bundesregierung belegt, dass zwischen 50 und 70 Prozent der befragten Unternehmen immer wieder von Schutzrechtsverletzungen im In- und Ausland be- 20 troffen sind, von Patentrechtsverletzungen, Marken- und Produktpiraterie. Die Unternehmen verbuchen Umsatzverluste von bis zu 10 Prozent als Schaden. Wir alle kennen die Bilder von Dampfwalzen, die Tausende von nachgemachten Uhren „plattmachen“. Die zusätzlichen Kosten für die Durchsetzung von Rechten, das notwendige intensivere Beobachten des Marktes oder technische Schutzmechanismen werden auf ca. 6,2 Prozent des Jahresumsatzes des Bezugsjahres 2007 beziffert. Bezogen auf den Gesamtumsatz des verarbeitenden Gewerbes würde dies Piraterieschäden von bis zu 50 Milliarden Euro bedeuten. Schon diese wenigen Zahlen belegen: Der Schutz geistigen Eigentums ist ein wirtschaftlich bedeutender Faktor. Er ist eine ganz wesentliche Grundvoraussetzung für die künftige Attraktivität Deutschlands – als Standort für Forschungseinrichtungen, führende Unternehmen und auch junge Wissenschaftler. Damit das so bleibt, dürfen wir die Augen vor den aktuellen Herausforderungen nicht verschließen. Sie alle, die mit Technik, Naturwissenschaft und Kreativität zu tun haben, wissen: Wir leben in einer Zeit der digitalen Kommunikation. Die neuen Medien, ihre Geschwindigkeit und das weltumspannende digitale Netz bergen Chancen, aber auch Gefahren für den wissenschaftlichen und technischen Einfallsreichtum. Revolutionär an all diesen Medien ist vor allem die Möglichkeit, geistige Leistungen – Ideen, Erfindungen, Texte, Kompositionen, Bilder – von ihrem Ursprungsträger zu lösen und sie jedem beliebigen Nutzer zu jeder Zeit und an jedem Ort zugänglich zu machen. Und dies in der überwiegenden Zahl von Fällen, ohne dass der Urheber hierfür ein Entgelt erhält. 21 Eine Enteignung kreativer Leistungen des Einzelnen durch die neuen Möglichkeiten wie das Internet dürfen wir nicht hinnehmen: Selbst wenn es den Zugang vieler zu Wissen und Information bietet, so gestattet es auch die kostenlose und oft auch unkontrollierte Verwertung fremder Ideen, Kenntnisse und Informationen. „Copy and paste“ ist ein Begriff, der durch die jüngsten Ereignisse im Hinblick auf das Urheberrecht besonders bekannt geworden ist. Warum sollte sich jemand künftig überhaupt noch bemühen, kreative Leistungen zu vollbringen, wenn er weiß, dass diese Leistungen von anderen ohne Gegenleistungen genutzt werden? Und: Ist nicht die Verfügungsgewalt des Urhebers über sein geistiges Eigentum Voraussetzung für Wissensdrang und Forschergeist – für Freiheit überhaupt? 22 Die Gegner lehnen bereits den Begriff des „geistigen Eigentums“ ab. Die Vervielfältigung von Ideen potenziere das Wissen. Patente, Urheberrecht und andere Schutzrechte geistigen Eigentums sehen sie als Instrumente großer Konzerne, die ihre Verfügungsgewalt über geistiges Eigentum allein zu kommerziellem Nutzen verwenden. Auf folgende Fragen, über die diskutiert wird, müssen wir Antworten finden: Wem gehören Ideen, Erkenntnisse und Informationen? Was hemmt, was beflügelt die Entfaltung von Wissenschaft und Technik? Auch wenn Urheberrechte, Patente, Geschäftsgeheimnisse eines effektiven Schutzes bedürfen – wie verhalten sich geistiges Eigentum des Einzelnen und der Zugangsanspruch der Allgemeinheit zueinander? Muss dieses Verhältnis neu justiert werden? Muss der Schutzbereich des geistigen Eigentums anders gezogen werden als bislang? Gelten die Prinzipien des Marktes oder das der Allmende? Diese Fragen werden uns hier in Europa und in den USA gestellt, von vielen Netznutzern und den großen Firmen, die als Anbieter auftreten. Sie werden uns aber auch von den Schwellenländern gestellt, die den Schutz des geistigen Eigentums als Hindernis eigener Entwicklung ansehen und sich deswegen schwer tun, diesen zu akzeptieren. Wir sollten die Fragen der Schwellenländer ernst nehmen. Denn geistige Eigentumsrechte steuern den Fluss von Wissen, Informationen und Kulturgütern – national, in Europa und auch weltweit. Auch wenn die Bedeutung des geistigen Eigentums nicht angezweifelt werden sollte, dürfen wir uns bei der Ausgestaltung des Immaterialgüterrechts nicht nur daran orientieren, was den hochentwickelten Ländern nützt. Wir müssen bei der Ausgestaltung der Rechte auch Fragen der Gerechtigkeit 23 gerade gegenüber weniger entwickelten Ländern berücksichtigen. Die Problematik des Zugangs der Entwicklungsländer zu bezahlbaren Medikamenten ist hierfür ein Beispiel – denken Sie nur an Krankheiten wie Malaria, Aids und andere, denen die Menschen dort häufig schutzlos ausgeliefert sind. Es sind also nicht nur rechtliche, sondern auch schwierige ethische Fragen, die für den Schutz des geistigen Eigentums eine große Rolle spielen. Die deutsche und europäische Rechtstradition hat sich – ich glaube, trotz der berechtigten Fragen, die ich oben angedeutet habe und über die natürlich immer neu diskutiert werden muss – mit guten Gründen für einen Schutz geistigen Eigentums ausgesprochen: Ohne ihn gibt es keinen ausreichenden Anreiz für Erfindergeist, Kreativität und technischen Fortschritt. Und ich halte es deshalb für wichtig, am Schutz geistigen Eigentums festzuhalten. Das Bundespatentgericht trägt seit nunmehr 50 Jahren ganz wesentlich zur Erfolgsgeschichte des Patentsystems und damit zum Schutz des geistigen Eigentums bei. Es leistet damit einen wichtigen Beitrag zum Industrie- und Wissenschaftsstandort Deutschland. Doch bei allem Stolz auf das, was in dieser Hinsicht in Deutschland in den vergangenen Jahrzehnten erreicht wurde, müssen wir hier – wie in vielen anderen Bereichen auch – Mut zum Wandel beweisen. Wir müssen über unseren nationalstaatlichen „Tellerrand“ hinausblicken. Das geltende Patentsystem Europas erinnert an das 19. Jahrhundert in Deutschland: Es ist nach wie vor nationalstaatlich fragmentiert, deshalb kompliziert und vor allem: teuer! 24 Um auch in Zukunft wettbewerbsfähig zu bleiben, ist ein einheitlicher europäischer Patentschutz erforderlich. Der Erwerb eines europäischen Patents, das in nur 13 Mitgliedstaaten gilt, kann bis zu zehn Mal mehr kosten als ein US-Patent. Für das Patentrecht sollte daher auch das verwirklicht werden, was schon für den Markenschutz gilt: Die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen in Deutschland, aber auch in Europa insgesamt, verlangt es, schnell und vor allem kostengünstiger als bisher europaweit Patentschutz zu erlangen. Deshalb müssen wir die Einführung des EU-Patents und auch einer Europäischen Patentgerichtsbarkeit weiter vorantreiben. Ich bin überzeugt: Den Unternehmen käme eine spezifische europäische Patentgerichtsbarkeit zugute. Das Bundespatentgericht mit seinen juristischen und technischen Richtern kann hierfür Modell stehen. Eine europäische Patentgerichtsbarkeit vereinfacht, professionalisiert und zentralisiert den Patentschutz insgesamt. Sie trägt dazu bei, den Zugang für kleine und mittlere Unternehmen im Ergebnis zu erleichtern. Kosten von patentgerichtlichen Streitigkeiten könnten sinken, die Bearbeitungszeiten verkürzt und europaweite Rechtssicherheit gewonnen werden. Daran muss Deutschland ein großes Interesse haben. Denn Deutschland ist das Land mit der zweitgrößten Anzahl der Patentanmeldungen beim Europäischen Patentamt, und bei den zugelassenen Patenten steht Deutschland sogar an erster Stelle. Ich begrüße daher eine europäische Lösung, für die die Europäische Kommission am 24. Mai des Jahres eine Gesamtstrategie vorgelegt hat. Die Einrichtung einer europäischen Patentgerichtsbarkeit ist ein Teil dieser Strategie. Wir dürfen sie nicht als Bedrohung, sondern als Chance begreifen. 25 Eine europäische Patentgerichtsbarkeit kann von einer starken deutschen Patentgerichtsbarkeit, die auf eine 50-jährige Tradition zurückblickt, wesentliche Impulse empfangen und von dem hier vorhandenen Erfahrungsschatz profitieren. Selbst wenn über die konkrete Ausgestaltung einer europäischen Patentgerichtsbarkeit noch diskutiert wird, stelle ich schon heute die Frage: Wäre München nicht ein hervorragender Standort auch für ein Europäisches Patentgericht? Ich gratuliere nochmals dem Bundespatentgericht, insbesondere Ihnen, den Richterinnen und Richtern und Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, besonders herzlich! 26 27 Ansprache der Bundesministerin der Justiz Frau Sabine Leutheusser‐Schnarrenberger, MdB "Have a nice day“ – Diesen Titel haben eben die Sänger unter der Leitung von Herrn Scheingraber hier am Klavier des Amtsgerichts München gesungen und gespielt. Ja, es ist heute ein sehr schöner Tag. Es ist ein wichtiges Jubiläum zu feiern und es ist wirklich eine ganz besondere Ehre, dass Sie, Herr Bundespräsident, zum Anlass des 50. Geburtstags des Bundespatentgerichtes hier zu uns nach München gekommen sind. Der festliche Rahmen unterstreicht die Bedeutung dieses Ereignisses. 50 Jahre Bundespatentgericht spricht dafür, dass das geistige Eigentum und sein Schutz eine zentrale Rolle in Deutschland spielen, in unserem ideenreichen, aber eben rohstoffarmen Deutschland. Das Bundespatentgericht ist die wichtige gerichtliche Instanz zur Prüfung technischer Erfindungen. Und da geht es um technische Fragen, um Erfindungshöhe, um die Neuheit. Da spielen – meine Damen und Herren – so Debatten, wie Quoten, keine Rolle. Und wir brauchen auch keine Quotendebatte, wenn es die personellen Fragen, die Besetzung von hoher Funktion beim Bundespatentgericht angeht. Es ist seit vielen Jahren selbstverständlich, dass Frauen wie auch Männer das wichtige Amt des Präsidenten oder der Präsidentin des Bundespatentgerichtes ausüben können. Dieses besonderen oberen Bundesgerichtes, Sie haben es so ausdrücklich ja auch bezeichnet, Herr Bundespräsident, das sich von allen anderen Gerichten abhebt mit technischen und mit juristischen Rich- 28 tern, die eben am Ende zu den Entscheidungen kommen, die Rechtssicherheit bieten für wichtige Investitionen. Und das sind Werte, die gehen in die Millionen. Unternehmen brauchen diese Rechtssicherheit und deshalb hat das Bundespatentgericht in seinen 50 Jahren auch ganz wichtige Grundlagen für die Weiterentwicklung des Wirtschaftsstandorts Deutschland mit gelegt. 1961, das Gründungsjahr, war ein Jahr herausragender Ereignisse auch über das Patentrecht und über das geistige Eigentum hinausgehend. John F. Kennedy wird amerikanischer Präsident, der erste Mensch fliegt ins All, aber auch dramatische Ereignisse, die Berliner Mauer wird gebaut. Und 1961 ist auch das Jahr der Würdigung eines herausragenden deutschen Wissenschaftlers mit dem Nobelpreis: Der Physiker Rudolf Mößbauer erhält ihn für seine Forschungen über Gammastrahlen und Elementarteilchen. Also das gab es nicht für Literatur, sondern das gab es für diese wichtigen Erfindungen. Ich erwähne dies heute an diesem Jubiläumstag, weil Professor Mößbauer ganz eng mit der Stadt München verbunden ist. Denn München ist die Hauptstadt des geistigen Eigentums und Rudolf Mößbauer ist in München geboren gewesen, hier zur Schule gegangen, hat an der TU promoviert, ist am Ende seiner wissenschaftlichen Laufbahn hier emeritiert worden. Und heute werden in der chemischen Analyse zum Nachweis von Elementen Mößbauer-Spektrometer genutzt, die den nach ihm benannten Mößbauer-Effekt nutzen. Seit 1901 gibt es 23 weitere Physiknobelpreisträger: Wilhelm Röntgen, Max Planck, Albert Einstein und Werner Heisenberg. Viele deutsche Erfinder, die auch zur Nutzung der Kernenergie wissenschaftliche Höchstleistungen erbracht haben. Und heute stehen deutsche Ingenieure mit ihren Erfindungen auch an der Spitze der Nutzung erneuerbarer Energien und der Umwelt- 29 technologien. München mit dem Deutschen Patent- und Markenamt, dem Europäischen Patentamt und dem Bundespatentgericht ist damit auch ein bedeutender Standort, damit die grundlegende Energiewende, ein ehrgeiziges und hoch ambitioniertes Projekt, erfolgreich in den nächsten Jahren umgesetzt werden kann. Denn dazu bedarf es auch weiter technischer Leistungen, daneben aber auch der Energie und dem Ehrgeiz, zum Beispiel den entsprechenden Ausbauten von Wasserkraftwerken, Errichtung von Gaskraftwerken, aber auch von Leitungen durch das ganze Land hin vorzunehmen. Der Forschungsstandort und Wirtschaftsstandort Deutschland muss eben auch in Zukunft seine bedeutende Rolle erhalten. Und bislang ist es meist gelungen, Dank Innovation und Erfindungsgeist, die Zahl der Patentanmeldungen als ein Nachweis von Erfindungsreichtum jährlich zu steigern. In der Finanz- und Wirtschaftskrise hat es insgesamt einen Einbruch und Rückgang von Anmeldezahlen gegeben. Das belegen auch die Zahlen, die uns von der World Intellectual Property Organization (WIPO) mitgeteilt und weltweit registriert werden. Aber im Zuge des wirtschaftlichen Aufschwungs in Deutschland ist ja aufgrund auch der Zahlen des letzten Jahres fest davon auszugehen, dass sich dieser Nachweis bzw. Beleg für die wissenschaftlichen Höchstleistungen in Deutschland auch weiter nach oben entwickeln wird. Und in diesem Zusammenhang ist natürlich immer auch der Blick über Deutschland und die europäischen Grenzen hinaus von Bedeutung, denn – Sie haben es schon erwähnt, Herr Bundespräsident – in der Volksrepublik China erleben wir seit Jahren einen ungebremsten Anstieg von chinesischen Patentanmeldungen. Vor einigen Wochen meldete das chinesische staatliche Amt für geistiges Eigentum, an dessen Gründung ich noch als Mitglied des Deutschen Patent- und Markenamtes 30 mitwirken durfte, dass seit 2006 insgesamt 1,5 Mio. Patente in China zur Anmeldung gebracht worden sind. Jahr für Jahr steigert sich die Zahl der Anmeldungen um 18 Prozent. Und diesem Wettbewerb müssen wir uns stellen, indem wir den Wirtschafts- und Forschungsstandort Deutschland natürlich attraktiv halten. Und deshalb erfüllt mit Sorge die sich abzeichnende Zahl des Fehlens von Ingenieuren in verschiedensten Bereichen. Wir brauchen hochqualifizierte Fachkräfte natürlich in Deutschland durch Förderung der Bedingungen für Studium und für den Einschlag einer entsprechenden beruflichen Laufbahn. Aber wir können nicht die Augen davor verschließen, dass wir auch den Zuzug, die Zuwanderung von Fachkräften in den nächsten Jahren dringend brauchen werden. Allein jetzt nennt die Wirtschaft schon Zahlen von ca. 100.000 oder 140.000 fehlenden Ingenieuren in ganz Deutschland und leider ist keine Entwicklung absehbar, die einen Rückgang deutlich machen würde. Wohin hat sich das Bundespatentgericht in diesen 50 Jahren seines Bestehens entwickelt? Darauf, meine Damen und Herren, möchte ich jetzt im Einzelnen nicht eingehen. Ein Blick in die eindrucksvolle Festschrift zeigt, wie nicht nur Präsidenten, Richterinnen, Richter, Wissenschaftler, Vertreter der Berufsverbände, der Kammern Beiträge geleistet haben, um eine Bilanz zu ziehen über die Arbeit des Bundespatentgerichtes und seiner weitreichenden Entscheidungen. Und sich immer wieder mit der Reichweite von Schutzsystemen zu befassen, mit der Schutzfähigkeit von Software und Hardware in welcher Verbindung, in welchem Umfang, mit welchen Abgrenzungsproblemen? Mit der Schutzfähigkeit von Medienmarken, aber auch darzulegen, wie sich internationale Marken und ihre Schutzrechte entwickeln. Aber dazu gehört auch die Frage – und da 31 bietet auch die Festschrift deutliche Nachweise – wie modernisiert sich das Bundespatentgericht in seiner Arbeit selbst? Die elektronische Akte im Bundespatentgericht – Sie, lieber Herr Lutz, nicken mit dem Kopf, ein Projekt, was Sie intensiv beschäftigt hat in Ihrer Amtszeit – ist natürlich auch nach wie vor, weil das Bundespatentgericht damit führend ist, eine wichtige Aufgabe zur technischen Modernisierung der Arbeit und der Arbeitsabläufe des Bundespatentgerichtes. Aber natürlich gibt es Entscheidungen des Bundespatentgerichtes, die auch Bedeutung weit über Deutschland hinaus haben, und ein ganz sensibler, immer wieder auch in der Öffentlichkeit wahrgenommener Bereich sind dabei die Biopatente, die Biotechnologie. Wir alle wissen, dass die Erteilungsvoraussetzungen und Schutzlockerungen von Patenten auf biotechnologische Erfindungen – ja überhaupt deren Existenz auf europäischer Ebene – auch in Deutschland umstritten war und umstritten ist. Und 32 wenn es Aufmerksamkeit für Entscheidungen des Bundespatentgerichtes oder auch des Europäischen Patentamtes gibt, dann sind es doch Entscheidungen, die im weitesten Sinne in diesen Bereich hineinfallen. Patente auf Leben, genetisch veränderte Substanzen, die dann zur sogenannten Genmaus führen können, Brokkoli-Tomate-Entscheidungen. Die Biopatentrichtlinie der Europäischen Union wurde allein zehn Jahre lang beraten. Deutschland brauchte für die Umsetzung weitere sieben Jahre und auch das Brüstle-Patent, die Bundespatentgerichtsentscheidung zu diesem Thema, hat ja eine weite ethische Dimension. Es geht um die Patentierung unter Verwendung menschlicher embryonaler Stammzellen. Und dieser Bereich, diese Entscheidung, liegt jetzt auf Vorlage des Bundesgerichtshofs dem Europäischen Gerichtshof vor. Wir sind gespannt, welche Interpretation der Europäische Gerichtshof hier anwenden und wählen wird. Aber als Politikerin bin ich fest davon überzeugt: Auch mit einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs wird die politische Auseinandersetzung, die Diskussion über die ethische Dimension dieser wichtigen Fragen, nicht beendet sein. Die Europäisierung des Patentrechts befindet sich gerade jetzt in einer ganz entscheidenden Phase. Und ich danke Ihnen, Herr Bundespräsident, für Ihr Plädoyer für diesen Prozess nicht nur im Bereich des Patentrechts, sondern auch der Patentgerichtsbarkeit. Denn für deutsche Firmen ist Patentschutz, der auf sicherer Basis beruht und nachher auch bestandsfest ist, natürlich entscheidend dafür, ob in millionenfachem Umfang Investitionen, natürlich auch über Deutschland hinaus, vorgenommen werden - 40 Prozent aller erteilten Patente des Europäischen Patentamtes gehen ja an deutsche Anmelder. Aber nur auch mit einer noch stärkeren Europäisierung des Patentrechts über das, was wir natürlich noch im Europäischen Patentamt jetzt auch 33 seit Jahrzehnten erleben können hinaus, lassen sich dann ja Patente grenzüberschreitend unter gleichen Voraussetzungen wirksam durchsetzen, auch an den Außengrenzen der EU patentverletzenden Importe aus Fernost oder aus anderen Staaten abwehren. Und deshalb haben wir natürlich eine große Erwartung an diesen jetzt, ich finde, sich noch nie so dynamisch entwickelnden Prozess der letzten Wochen. Denn es soll am Ende ja darum gehen, ein EU-Patent – lassen Sie es mich so einfach nennen – neben der derzeit bestehenden Bündelung Patent beim Europäischen Patentamt, das so qualitativ hochwertig ist, so den technischen Fortschritt nutzt, auch so in der Relation des Aufwands und des Kostenaufwands für den Anmelder und für die Vertreter von klein- und mittelständischen Unternehmen so interessant ist, dass auch gerade dieser Patentschutz dann in Anspruch genommen wird. Und deshalb bin ich froh, dass gerade diese Woche, als hätte man es in Luxemburg beim Wettbewerbsfähigkeitsrat geahnt – noch während der letzten Tage der Ungarischen Präsidentschaft – dass hier in München anlässlich des 50. Geburtstages des Bundespatentgerichts erwartet wird, noch mal Signale für einen Fortschritt der Entwicklung zum EU-Patent auch zu liefern. Im Ministerrat in Luxemburg, das war der Wettbewerbsfähigkeitsrat, hat man sich auf Texte der Verordnungen zum EU-Patent zum Übersetzungsregime geeinigt. Sie alle wissen, was sich dahinter verbirgt. Die Frage, wie teuer wird ein europäisches Patent, denn in je mehr Sprachen übersetzt werden muss, umso mehr Kosten kommen auf die Anmelderinnen und Anmelder zu. Es geht in eine Richtung, wie wir sie immer verfolgt haben – viele Bundesregierungen, die jetzige mit besonderer Intensität. Wir haben uns ausdrücklich für die verstärkte Zusammenarbeit bei dem Versuch, diese Sprachenfrage zu lösen, mit eingebracht. Wir waren Mitinitiatoren und wir werden jetzt drei 34 Sprachen haben, in die zu übersetzen ist. Wir haben besondere Regelungen bei der Übersetzung ins Englische, aber wir werden eben nicht Übersetzungen verpflichtend in andere Sprachen wie Spanisch oder Italienisch bekommen und genau daher rührt natürlich zu Recht aus Sicht dieser Staaten eine hochstreitige Befassung mit diesem Thema. Wir werden aber auch bei der europäischen Patentgerichtsbarkeit weiterkommen. Nach dem klaren und unmissverständlichem Zuruf des Europäischen Gerichtshofs, der nicht uneingeschränkt die eingeschlagene Entwicklung bestätigt hat – ich glaube, das war jetzt sehr diplomatisch zurückhaltend ausformuliert – werden wir jetzt auf der Grundlage dieses Gutachtens des Europäischen Gerichtshofs die Rahmenbedingungen für die europäische Patentjustiz anpassen. 35 Bisher zeichnet sich schon deutlich ab, dass wesentliche Elemente, die gerade wir Deutschland, die Bundesregierung in diese Beratungen eingebracht haben, sich auch wiederfinden werden in dem jetzt formulierten Entwurf. Für alle Patentverletzungen in Deutschland können dann wie bisher – auch hier in Deutschland – Lokalkammern angerufen werden. Sie werden mit zwei nationalen Richtern und einem Kollegen aus dem Ausland besetzt. Über die Nichtigkeit von Patenten entscheiden wie eben beim Bundespatentgericht jetzt stets technische Richter mit. Es war nicht selbstverständlich, das auch nicht nur einzubringen, sondern auch mit durchzusetzen. Denn in vielen anderen Mitgliedstaaten kennt man das, was für uns selbstverständlich die Arbeit des Bundespatentgerichtes ist, überhaupt nicht und hat auch in dieser Form nicht einen vergleichbaren nationalen Patentgerichtsbarkeitsweg und dann auch die entsprechenden Entscheidungen. Nur mit wichtigen Elementen wie Ortsnähe, fachlich hohes Niveau und Kostengünstigkeit lässt sich letztendlich dann eben auch ein Mehrwert der europäischen Patentgerichtsbarkeit und eines Gerichtssystems sicherstellen und ich glaube, wir bewegen uns auf einem ganz guten Weg. Herr Bundespräsident, gerade, weil Sie ja noch mal betont haben, in Europa wird ja nie nach anderen Gesichtspunkten als nach rein sachorientierten und fachlichen entschieden, hoffen wir natürlich, dass das auch für weiter zu diskutierende Standortfragen geht. Ich glaube, da ist jede Überzeugungsarbeit und jedes kraftvolle Wort sehr, sehr hilfreich, um am Ende dann wirklich ein auch in sich konsistentes europäisches Patentgerichtssystem zu haben. 50 Jahre Bundespatentgericht – natürlich kann ich mich den Glückwünschen nur anschließen und auch ausdrücklich den Dank auch an alle Richterinnen und Richter, ehemalig und auch jetzt amtierende, aber auch an alle 36 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aussprechen. 50 Jahre Bundespatentgericht – das war eine sichere Zeit der Existenz, seit 1961 erstritten gegen, nehme ich mal an, sehr ausführliche und lang begründete Stellungnahmen der damaligen Bundesregierung zur Aufrechterhaltung des damaligen Zustandes. Ich glaube, es hat sich gelohnt, dass Sie so hartnäckig in diesen Verfahren waren. Für die nächsten 50 Jahre kommen Veränderungen und Umbrüche auf die Patentgerichtsbarkeit zu. Ich begreife sie als große Chance. Sehen Sie sie nicht unter dem Aspekt des Risikos, das abzuwehren gilt, sondern als eine große Chance, gerade mit dem, was auch für uns Patentgerichtsbarkeit ausmacht, zur Weiterentwicklung der europäischen Patentgerichtsbarkeit und des europäischen Patentwesens insgesamt. Ich bin absolut sicher: Alle die, die in 50 Jahren hier sein werden, werden nicht eine Nachlese veranstalten auf das Bundespatentgericht, das 2011 seinen 50. Geburtstag gefeiert hat, sondern sie werden hier Schritte und dann auch schon gute Erfahrungen mit Entscheidungen auf europäischer Ebene zur Sicherstellung von Erfindungen und Entwicklungen in Deutschland feiern können. Recht herzlichen Dank! 37 38 39 Vortrag des Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts a.D. Herrn Prof. Dr. Dres. h.c. Hans‐Jürgen Papier I. Das Bundespatentgericht hat mit dem Bundesverfassungsgericht vor allem eines gemeinsam: Beide Gerichte sind vom Grundgesetz veranlasste institutionelle Neuschöpfungen der rechtsprechenden Gewalt in Deutschland: das Bundesverfassungsgericht ganz unmittelbar durch die dem Grundgesetz von Anfang an immanenten Art. 92 bis Art. 94 GG, das Bundespatentgericht mittelbar auf Grund einer mutigen, die grundgesetzlichen Garantien von Rechtsschutz und Richtervorbehalt (Art. 19 Abs. 4 GG, Art. 92 GG) durchsetzenden Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 13. Juni 1959.1 Mein akademischer Lehrer Karl August Bettermann feierte damals diese Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts mit den Worten: „Il y a des juges à Berlin“.2 Albrecht Krieger zog in seinem Beitrag in der Festschrift zum 25. Jubiläum des Bundespatentgerichts das alte Sprichwort heran: Kleine Ursachen – es ging im Ausgangsfall um die Erstattung eines Kostenbetrages von 445,12 DM – könnten unverhältnismäßig große Wirkungen zeitigen.3 In der besagten Entscheidung des Bundes1 2 3 BVerwGE 8, 350 ff. Bettermann, Gericht oder Verwaltungsbehörde, Rechtsprechung oder Verwaltung?, DÖV 1959, S. 761 ff. Krieger, Die Errichtung des Bundespatentgerichts vor 25 Jahren, in: 25 Jahre Bundespatentgericht, 1986, S. 31 (35). 40 verwaltungsgerichts, das bekanntermaßen damals in Berlin residierte, wurde festgestellt, dass das Deutsche Patentamt weder insgesamt noch im Hinblick auf seine Beschwerdesenate als Gericht angesehen werden könne; die Entscheidungen der Beschwerdesenate des Deutschen Patentamtes seien daher als Akte einer Verwaltungsbehörde im Rechtsweg der allgemeinen Verwaltungsgerichtsbarkeit anfechtbar. Das Bundesverwaltungsgericht habe sich vom „institutionellen Denken leiten“ und „nicht vom grundsatzlosen Pragmatismus treiben lassen“, so triumphierte Karl August Bettermann und wies darauf hin, dass es darum gegangen sei, das Verfassungsrecht, insbesondere das der rechtsstaatlichen Gerichtsverfassung, „in seinem Vorrang gegenüber dem Patentrecht und gegenüber den tatsächlichen oder vermeintlichen Bedürfnissen des Wirtschaftslebens zu behaupten“. 4 Auf der anderen Seite kann man der damals, nach Ergehen dieser Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts einsetzenden Diskussion unschwer entnehmen, dass der damit entstandene Rechtszustand für die beteiligten Kreise als untragbar angesehen worden war und keineswegs hingenommen werden sollte. Man war offenbar der Auffassung, dass die Rechtslage, die das Bundesverwaltungsgericht festgestellt hatte, so schnell wie möglich geändert werden musste. Eine Verlängerung des patentamtlichen Verfahrens um ein dreistufiges verwaltungsgerichtliche Rechtsschutzverfahren war für viele damals eine Horrorvorstellung und bereitete ihnen Schmerz und Pein. So kam es dann nach kontroversen Diskussionen letztlich zur Änderung des Grundgesetzes, nach der der Bund – über die im Grundgesetz bereits vorgesehenen Bundesgerichte hinaus – für die Angelegenheiten des gewerblichen Rechtsschutzes ein 4 DÖV 1959, S. 350. 41 Bundesgericht errichten darf und das oberste Bundesgericht in diesen Angelegenheiten der Bundesgerichtshof ist (jetzt Art. 96 Abs. 1 und Abs. 3 GG). Das Bundespatentgericht ist also die – allerdings erst 11 Jahre nach In-Kraft-Treten des Grundgesetzes erfolgte – Verwirklichung der grundgesetzlichen Gerichtsverfassung auf dem speziellen Gebiet des gewerblichen Rechtsschutzes. Der Garantie des Art. 19 Abs. 4 GG, wonach jedem, der durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt wird, der Rechtsweg offen steht, war endlich auch auf dem Gebiet des gewerblichen Rechtsschutzes voll entsprochen, die „Krönung des Rechtsstaats“ war vollzogen, der „Schlussstein im Gewölbe des Rechtsstaats“ war gesetzt. 5 Dies geschah nicht durch eine undifferenzierte, gewissermaßen schematische Überstülpung allgemeiner Strukturen des von der verwaltungsgerichtlichen Generalklausel geprägten Rechtsschutzsystems, sondern durch eine intelligente, bereichsspezifische und den speziellen Anforderungen des relevanten Sachbereichs Rechnung tragende Lösung. Das waren und das sind die Grundlagen einer beispiellosen Erfolgsgeschichte des Bundespatentgerichts; das ist auch der Grund dafür, das 50-jährige Bestehen dieser Rechtsschutzinstitution im besonderen Maße zu würdigen und zu feiern. II. Weshalb aber sind Rechtswegegarantie und Richtervorbehalt so essentiell für unsere rechtsstaatliche Ordnung? Dieser Frage soll hier nicht zuletzt vor dem Hintergrund der immer wieder 5 Siehe zu diesen Formulierungen im Hinblick auf die Rechtsschutzgarantie allgemein Ebers, Die Verwaltungs- und Verfassungsgerichtsbarkeit in Österreich, in: Festschrift für Wilhelm Laforet, 1952, S. 269 (271) und Thoma, Über die Grundrechte im Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, in: Recht-Staat-Wirtschaft, Bd. III, 1951, S. 9. 42 vorgebrachten Kritik nachgegangen werden, diese verfassungsrechtlichen Gewährleistungen hätten aus der Bundesrepublik einen Richter- und Rechtswegestaat gemacht. Werden diese Begriffe als Gegensatzpaar zur parlamentarischen Demokratie verstanden, ist ihre kritische Ausrichtung unverkennbar. 1. Wird jemand durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt, so steht ihm der Rechtsweg offen, Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG. Diese Gewährleistung des Rechtsschutzes gegen Akte der öffentlichen Gewalt zielt auf einen richterlichen Rechtsschutz („Gerichtsschutzgarantie“). Diese Garantie gewährleistet die Anrufung des Richters gegen Akte aller sonstiger Träger öffentlicher Gewalt, Art. 19 Abs. 4 GG schützt hingegen nicht gegenüber dem Richterakt selbst durch die Eröffnung weiterer richterlicher Instanzen und Rechtsmittelzüge.6 Nur der unabhängige Richter kann dem Gebot eines wirkungsvollen Rechtsschutzes genügen, den Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG mit seiner Rechtsschutzgarantie speziell gegen Akte der öffentlichen Gewalt und im Übrigen die dem grundgesetzlichen Rechtsstaatsprinzip immanente allgemeine Justizgewährungspflicht fordern. Allgemeiner und besonderer Justizgewährungsanspruch des Bürgers ist auf Grund seiner historischen Entwicklung und der den grundgesetzlichen Rechtsstaatsbegriff prägenden Artikel 92 ff. GG ein Gerichtsschutzanspruch. Er ist als solcher gerichtet auf einen Rechtsschutz und eine Streitentscheidung durch eine richterliche Gewalt, deren Träger den Anforderungen der Art. 92 ff. GG, insbesondere der Art. 97 und 98 GG und der 6 Vgl. BVerfGE 4, 74(96); 11, 263 (265); 15, 275 (280); 22, 106 (110); 25, 352 (375); 49, 329 (340); 65, 76 (90); BVerfG (Kammer), in: NVwZ 1988, S. 523; BVerfG (Kammer), in: NJW 2002, S. 815; Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 19 Abs. IV Rn. 96; Marco Hößlein, Judikatives Unrecht, 2007, S. 181ff.; a. A. Andreas Voßkuhle, Rechtsschutz gegen den Richter, 1993, S. 255ff. 43 darin enthaltenen Garantie sachlicher und persönlicher Unabhängigkeit entsprechen.7 Die Richter ihrerseits sind verpflichtet, ihre richterliche Tätigkeit an jener staatlichen Justizgewährungspflicht auszurichten. Es ist ihre Aufgabe, für die Erfüllung jener staatlichen Justizgewährung Sorge zu tragen. Den Richtern obliegt die Dienstpflicht, ihre richterliche Tätigkeit in strikter Gesetzesbindung und in sachlicher Unabhängigkeit wahrzunehmen. Die von Verfassungs wegen gewährte Unabhängigkeit ist kein Standesprivileg der Richter,8 kein Instrument des richterlichen Wohlfühlens. Sie soll vielmehr die ausschließliche Bindung des Richters an Gesetz und Recht garantieren und die Rechtspre7 8 Papier, Richterliche Unabhängigkeit und Dienstaufsicht, NJW 1990, S. 8 (9) m.w.N. BGHZ 67, 184 (187); NJW 1991, S. 421 (422). 44 chung gegen sachfremde Einflussnahmen von außen absichern. Nur der unabhängige Richter kann dem Gebot eines wirkungsvollen Rechtsschutzes genügen. Dem Prinzip der richterlichen Unabhängigkeit kommt damit verfassungsrechtlich eine doppelte Bedeutung zu: Einerseits stellt es auf institutioneller Ebene eine Ausprägung des Gewaltenteilungsprinzips dar, andererseits ist es notwendige Voraussetzung für die Realisierung des rechtsstaatlichen Justizgewährungsanspruchs des Bürgers. 9 Diese zwei Funktionen stehen jedoch nicht separat nebeneinander, vielmehr ist die Unabhängigkeit von den anderen Gewalten eine der wesentlichen Voraussetzungen für die Realisierung der Neutralität im Verfahren, insbesondere wenn der Einzelne Rechtsschutz gegen den Staat begehrt. Der Hauptinhalt der sachlichen richterlichen Unabhängigkeit ist die Weisungsfreiheit gegenüber den anderen Staatsgewalten. Der Richter ist nicht an Weisungen gebunden, soweit er innerhalb der Rechtsprechungsaufgaben tätig ist. Weiterer Inhalt der Garantie müssen um der Sicherung des Justizgewährungsanspruchs willen die Unabhängigkeit des Richters von den Parteien selbst und die so genannte innere Unabhängigkeit sein. 10 Liegt ein Fall der Bedrohung der richterlichen Unabhängigkeit vor, so ist der Richter nicht nur berechtigt, sondern sogar verpflichtet, dies den Prozessparteien anzuzeigen, da andernfalls der Justizgewährungsanspruch, der mit der richterlichen Unabhängigkeit korreliert, gefährdet wäre und die Streitparteien in ihrem Recht auf den gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 Satz Vgl. hierzu Pasquino, Prolegomena to a Theory of Judicial Power, The Law and Practice of International Courts and Tribunals (LPICT) 2 (2003), S. 11 (14 f.). 10 Vgl. auch Pasquino, Prolegomena to a Theory of Judicial Power, The Law and Practice of International Courts and Tribunals (LPICT) 2 (2003), S. 11 (25). 9 45 2 GG) und auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG verletzt wären.11 2. Ein seit einigen Jahren vieldiskutiertes Thema, das mit dem der richterlichen Unabhängigkeit nicht verwechselt werden darf, stellt die Einführung der Selbstverwaltung der Justiz dar, die in zahlreichen europäischen Ländern anzutreffen ist. Letztlich handelt es sich dabei allerdings vor allem um eine rechtspolitische und nicht um eine verfassungsrechtliche Diskussion.12 Aus der Garantie der richterlichen Unabhängigkeit in Art. 97 GG lässt sich weder eine Verpflichtung ableiten, Justizbereiche einer völligen Selbstverwaltung zu unterstellen und jeglichen Einfluss der Exekutive zu unterbinden,13 noch ein Gebot, den Status quo aufrecht zu erhalten.14 Gegen die derzeitige Organisation der Justiz in Deutschland spricht jedenfalls nicht das Verfassungsgebot der richterlichen Unabhängigkeit, da diese zum einen die eigentliche Richtertätigkeit und eben gerade nicht die Aufgaben der Justizverwaltung erfasst und zum anderen Art. 97 GG die Unabhängigkeit des einzelnen Richters und nicht die der Gerichtsorganisation als Institution garantiert. 15 Letztere könnte sich nur aus dem allgemeinen Gewaltenteilungsgrundsatz ergeben. Die Gewaltenteilung des Grundgesetzes geht aber nicht von einer strikten und ausnahmslosen Tren11 Vgl. BVerfGE 89, 28 (36f.). 12 Vgl. zur Notwendigkeit von Verfassungsänderungen zur Einführung Wittreck, Die Verwaltung der Dritten Gewalt, 2006, S. 660 ff. 13 So aber einige Forderungen vor allem aus Kreisen des Richterbundes, vgl. schon die Äußerung „Der Weg zur Unabhängigkeit der Gerichte führt nur über die Leiche des Justizministers“ (van Husen AöR 78 (1953), S.49 (59)), sowie den Bericht der Arbeitsgruppe Selbstverwaltung des Deutschen Richterbundes, abgedruckt in Auszügen in DriZ 2002, S. 5 (6). Siehe nunmehr auch Thomas Schulte-Kellinghaus, ZRP 2008, S. 205. 14 Vgl. aber die Stimmen gegen eine Selbstverwaltung, etwa Lars Lütgens, ZRP 2009, S. 82 ff. 15 Vgl. zum ganzen Papier, NJW 2002, S. 2585 (2588 f.) m.w.N.; a.A. wohl Reinhardt, Konsistente Jurisdiktion, 1998, S. 114 f. 46 nung der Gewalten aus, sondern von einem System der gegenseitigen Kontrolle und einer gewissen Verzahnung der Gewalten.16 Aus ihr lässt sich keine Notwendigkeit ableiten, die Justizverwaltung gänzlich unabhängig von der Exekutive in die Hand der Justiz selbst zu geben.17 Vor allem führte eine Selbstverwaltung der Justiz zu einer „Legitimationslücke“ zwischen erster und dritter Gewalt. Diese Lücke zu schließen, ist ein verfassungsrechtliches Gebot, das sich aus dem Demokratieprinzip ergibt. Soll die demokratische Legitimation künftig nicht mehr über die zweite Gewalt, insbesondere über die Justizminister, verlaufen, so muss sie unmittelbar von den Parlamenten geleistet werden. Diese Kehrseite einer Selbstverwaltung der Justiz ist bislang noch nicht hinreichend bedacht worden. Hier eine funktionsgerechte und in der Praxis funktionierende Lösung zu finden, die ein hinreichendes demokratisches Legitimationsniveau sicherstellt, erscheint sehr schwierig. Von dieser Lösung hängt jedoch die Verfassungsmäßigkeit eines Selbstverwaltungsmodells ab. 3. Ein Sonderproblem im Zusammenhang mit der richterlichen Unabhängigkeit stellt die Ressourcenallokation dar. Vor dem Hintergrund der allgemeinen Haushaltskrise der öffentlichen Hand, die sich bei den Gerichten sowohl in einer hohen Zahl von Verfahren pro Richter niederschlägt als auch in zum Teil mangelhafter Ausstattung, werden seit einigen Jahren vielfach so genannte „neue Steuerungsmodelle“ diskutiert, mit denen Organisations- und Führungsgrundsätze moderner Unternehmensleitung auf den öffentlichen Sektor übertragen werden sollen. 18 Im Mittelpunkt stehen Schlagworte wie „Haushaltsflexi16 Vgl. Papier, NJW 2002, S. 2585 (2587). 17 Siehe hierzu auch Sennekamp, NVwZ 2010, S. 213. 18 Vgl. Dieckmann, Rpfleger 2000, S. 379. 47 bilisierung“, „Budgetierung“, „dezentrale Ressourcenverantwortung“, „Leistungsvereinbarungen“, „controlling-orientierte Kosten- und Leistungsrechnung“ und „Benchmarking“. Statt einer „Input-Steuerung“ über herkömmliche Haushaltspläne soll eine am Leistungsauftrag orientierte „Output-Steuerung“ stattfinden.19 Selbst wenn man derartige Überlegungen nicht nur aus ökonomischen Erwägungen anstellt, sondern auch eine präventive Qualitätssicherung der Rechtsprechung beabsichtigt, stellt sich die Frage, inwiefern die richterliche Unabhängigkeit von derartigen Konzepten betroffen sein könnte. 19 Vgl. Dieckmann, Rpfleger 2000, S. 379. 48 Außer Streit dürfte stehen, dass jedwede inhaltliche „Steuerung“ der richterlichen Tätigkeit durch die Justizbehörden mit Art. 97 GG nicht vereinbar wäre. Der Richter darf nicht durch Berücksichtigung ökonomischer Zwänge dazu bestimmt werden, für einen Fall eine bestimmte Erledigungsart zu wählen oder gar einen Fall in sachwidriger Weise, dafür aber billiger und schneller zu bearbeiten.20 Die Vorgabe bestimmter Leistungsziele im Interesse der Effizienz ist also unzulässig.21 Es kann daher bei der Umsetzung der „neuen Steuerungsmodelle“ im Justizsektor von vornherein nicht um die Steuerung der Leistung selbst, sondern nur um die „Steuerung des Modus der Leistungserbringung“ gehen.22 Doch auch insofern scheint Vorsicht geboten. In den Schutzbereich der richterlichen Unab20 Vgl. Bernsdorff, in: Umbach/Clemens, Mitarbeiterkommentar, Art. 97 Rn 36. 21 Vgl. Voss, DRiZ 1998, S. 379 (385); Röhl, DRiZ 1998, S. 241. 22 Vgl. Eifert, in: Hoffmann-Riem, Reform der Justizverwaltung, 1998, S. 163 (170). In diese Richtung auch Schütz, ThürVBl. 2006, S. 81 ( 86). 49 hängigkeit sind nämlich alle der Rechtsfindung auch nur mittelbar dienenden – vorbereitenden und nachfolgenden – Sachund Verfahrensentscheidungen einbezogen. Es erscheint daher äußerst problematisch, wenn es auf der Grundlage der erhobenen Daten möglich wäre, zu überprüfen, wie kostengünstig der einzelne Richter arbeitet. Wenn dies in die beförderungsrelevanten Beurteilungen des Dienstvorgesetzten Eingang fände, ähnlich wie die Erledigungszahlen, dann wären eine Bedrohung der Unabhängigkeit und ein Qualitätsverlust des Rechtsschutzes damit wohl unvermeidbar verbunden.23 Dies würde im Übrigen ganz unabhängig davon gelten, ob jener Druck von einem Justizministerium oder einem „autonomen“ Justizverwaltungsrat ausginge. Insgesamt und abschließend lässt sich zur Diskussion um die „neuen Steuerungsmodelle“ festhalten, dass sich jedes Modell zur Verbesserung der Effizienz der Justiz an den bestehenden verfassungsrechtlichen und gesetzlichen Gegebenheiten auszurichten hat.24 Allein das Verfahrensrecht und das materielle Recht sind die verfassungslegitimen Steuerungselemente richterlicher Tätigkeit. Meint die Justizpolitik, die richterliche Tätigkeit unter Effizienzgesichtspunkten verändern zu müssen, so muss und kann sie allein hier ansetzen. Kontrolliert wird der Richter auf die Wahrung der Gesetzmäßigkeit seines Handeln hin grundsätzlich allein nach Maßgabe des Rechtsmittelrechts und in den dort geregelten Verfahren. Es bleibt dem Gesetzgeber unbenommen, die Effizienz der Justiz durch Reformen in der Justizverwaltung, das heißt außerhalb des Kernbereichs richterlicher Tätigkeit, vor allem aber durch eine Straffung der gesetzlichen Verfahrensordnungen und – soweit nötig – Ent23 Vgl. Voss, DRiZ 1998, S. 379 (385). 24 Vgl. Voss, DRiZ 1998, S. 379 (382). 50 schlackung und Vereinfachung des materiellen Rechts zu steigern.25 Wer allerdings – um ein Bonmot meines früheren Kollegen Udo Steiner etwas abzuwandeln – immer mehr und immer kompliziertere und undurchschaubarere Gesetze „sät“, wird immer mehr richterliche Entscheidungen und immer längere Entscheidungsverfahren „ernten“. Gestatten Sie mir folgende Schlussbemerkung: Deutschland weist eine Reihe von „Vorzeigeprodukten“ in Staat, Gesellschaft und Wirtschaft auf, die im Ausland Achtung, manchmal sogar Bewunderung und Übernahmetendenzen erzeugen. Die rechtsprechende Gewalt, ihre Effizienz, ihre geregelten Strukturen und ihre Unabhängigkeit gehören mit Sicherheit dazu. Nach den Ergebnissen der jüngsten Untersuchung des „World Justice Project“ zu Rechtsstandards und Qualität von Justizsystemen in 66 Ländern ist „mit Blick auf Recht und Gesetz Deutschland eines der führenden Länder“. Deutschland habe das zweitbeste zivile Justizsystem weltweit.26 Diese positiven Feststellungen haben in besonderem Maße für die relativ junge deutsche Patentgerichtsbarkeit zu gelten. Dem Bundespatentgericht sage ich daher herzlichen Glückwunsch zum 50-jährigen Bestehen. 25 Instrumente wie eine Untätigkeitsbeschwerde werden dagegen in der Literatur zu Recht eher kritisch bewertet, vgl. etwa Schütz, ThürVBl. 2006, S. 81 (83). 26 Siehe NJW-aktuell 27/2011, S. 10. 51 52 53 Übergabe der Festschrift „50 Jahre Bundespatentgericht“