China im Wandel - Ostfalia Hochschule für angewandte
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China im Wandel - Ostfalia Hochschule für angewandte
Ostfalia • Salzdahlumer Str. 46/48 • 38302 Hochschule Wolfenbüttel Braunschweig/Wolfenbüttel Fakultät Soziale Arbeit Prof. Dr. phil. M.A. Ludger Kolhoff Studiengangleiter „Master of Social Management“ Telefon +49(0)5331 939 +49(0)5331 939 37215 Telefax 37217 E-Mail [email protected] Web Wolfenbüttel, 20.08.2014 www.ostfalia.de/ Unser Zeichen: Kol. DOKUMENTATION DER EXKURSION China im Wandel (Peking und Shanghai) 20.11.13 Ostfalia Hochschule für angewandte Wissenschaften Hochschule Braunschweig/Wolfenbüttel Postanschrift: Salzdahlumer Str. 46/48 • 38302 Wolfenbüttel Besucheranschrift: Am Exer 6 • 38302 Wolfenbüttel – 27.11.13 Seite 2 von 119 Inhalt 1 EXKURSIONSPROGRAMM......................................................................................... 5 2. DOKUMENTATION DER EXKURSION ............................................................................ 7 2.1Besichtigung eines Dorfes und Gespräch mit den dortigen Zuständigen (Protokoll: Farina Albrechtsen, Valerie Schierenbeck, Ilsemarie Meyer) ...................7 2.1.1 Einleitung .......................................................................................................................................... 7 2.1.2 Besuch der Grundschule .............................................................................................................. 8 2.1.3 Gespräch mit dem Bürgermeister............................................................................................ 8 2.1.4. Besichtigung einer Anlage für den Anbau von Obst und Gemüse........................... 9 2.2 Besuch der deutschen Botschaft in Peking – Ein Vortrag des Sozialreferenten Herr Dr. Speidel (Protokoll: Manuela Kinel, Linda Raupers, Ryanne Schmidt) ...... 11 2.2.1Begrüßung und Vorstellung der deutschen Botschaft in Peking................................. 11 2.2.2 China im Jahr 2013 – eine grobe Charakterisierung .................................................... 13 2.2.3 Wanderarbeiter – Urbanisierung – Landreform ............................................................. 16 2.2.4 Gewerkschaften – Tarifverhandlungen .............................................................................. 17 2.2.5 Schlussbemerkung des Herrn Dr. Speidels ......................................................................... 17 2.3 Besuch der Peking Universität (Protokoll: Bastian Thiedau)................................ 19 2.4Die Wanderarbeiter in China (Protokoll: Andrea Schötz, Markus Ecke) ............ 23 2.4.1 Besuch bei Frau Gao Wei von der NGO „Little Bird“ am 22.11.2013........................ 23 2.4.2 Die Situation der Wanderarbeiter ......................................................................................... 25 2 Seite 3 von 119 2.5 DER HIMMELSTEMPEL IN PEKING (PROTOKOLL: IMEN NESAIBI) ............................... 29 2.6 Besuch des VW Werks in Shanghai (Protokoll: Viktoria Konkus) ....................... 37 2.6.1 Einführung .................................................................................................................................... 37 2.6.2 Unsere Studiengruppe im VW Werk .................................................................................... 38 2.7 Besuch der Tongji-Universität Shanghai (Protokoll: Andreas Kikillus) ............ 41 2.8 Besuch der Parteihochschule in Shanghai (Protokoll: Tobias Bolitz und Marc Endlich) .......................................................................................................................................... 47 2.8.1 Einleitung ....................................................................................................................................... 47 2.8.2 Aufgaben der Parteihochschule ............................................................................................. 48 2.8.3 Inhalte des Gesprächs mit Professor Rong Zhi: ............................................................... 49 2.8.4 Fazit ................................................................................................................................................. 52 2.9 Stadtteilentwicklung Shanghais am Beispiel des Bezirks Pudong (Protokoll: Jonas Lehmann, Erich Wiebe, Viviane Schönau).............................................................. 53 2.9.1 Ziele und Erwartungen an den Termin ............................................................................... 53 2.9.2 Die Informationsphase ............................................................................................................. 54 2.9.3 Die Diskussion ............................................................................................................................. 56 2.9.4 Fazit und Reflektion ................................................................................................................... 57 2.10 Interview zu aktuellen gesellschaftlichen Konflikten (Arne Ehlers, Marina Dik ) ................................................................................................................................................. 59 2.10.1 Einleitung..................................................................................................................................... 59 2.10.2 Interview mit Herr Chang..................................................................................................... 60 3. HAUSARBEITEN ZUR NACHBEREITUNG DER EXKURSION ............................................ 65 3.1 Auswirkung von Mao Zedong auf die chinesische Gesellschaft (Valerie Schierenbeck) .............................................................................................................................. 65 3 Seite 4 von 119 3.1.1 Einleitung ....................................................................................................................................... 65 3.1.2 Vom Bauernsohn zum kommunistischen Revolutionär............................................... 66 3.1.3 Mao: die Machtergreifung über China ................................................................................ 68 3.1.4 Wirkung auf die Gesellschaft in China nach Maos Tod ................................................. 71 3.1.5 Fazit und persönliche Stellungnahme................................................................................. 73 3.1.6 Literaturverzeichnis .................................................................................................................. 74 3.2 Zur Stellung der Frau in China im 20. Jahrhundert (Farina Albrechtsen) ......... 76 3.2.1 Einleitung ....................................................................................................................................... 76 3.2.2 Geschichtlicher Hintergrund .................................................................................................. 77 3.2.3 Stellung der Frau im 20. Jahrhundert .................................................................................. 84 3.2.4 Fazit ................................................................................................................................................. 97 3.3.5Literaturverzeichnis ................................................................................................................... 99 3.4Sozialpolitik und soziale Sicherung in China(Arne Ehlers) ................................. 101 3.4.1 Einleitung .................................................................................................................................... 101 3.4.2 Sozialpolitik in China .............................................................................................................. 102 3.4.3Soziale Sicherung in China .................................................................................................... 108 3.4.4 Fazit .............................................................................................................................................. 116 3.4.5 Literaturverzeichnis ............................................................................................................... 118 4 Seite 5 von 119 1 Exkursionsprogramm 20.11.13 Mittwoch: Flug mit (China Eastern) MU ab Frankfurt um 14:40h 21.11.13 Donnerstag: Landung in Schanghai um 07:00h, hier erfolgt die Einreise und Weiterflug nach Ankunft Peking, das dann um 11:45h erreicht wird. Fahrt zur Besichtigung eines Dorfes und Gespräch mit den dortigen Zuständigen. 22.11.13 08:00h Frühstück. Abfahrt vom Hotel zum Treffen mit dem Sozialreferenten der deutschen Botschaft. 11:00h Besichtigung des Olympia Parks 13:00h Besuch der Peking Universität 16:00h Treffen mit Frau Wao Gei (NGO für Wanderarbeiter mit Projekten in Peking) 23.11.13 Ausflug zur Großen Mauer, mit Besichtigung des Ming Grabs. 5 Seite 6 von 119 24.11.13 Besuch des Himmelstempels Bummel durch einen Hutong. Besichtigung des Mao Mausoleums, des Tian An Men Platzes und des Kaiserpalastes 19:05h Flug nach Shanghai, Ankunft 21:20h 25.11.13 07:45h Abfahrt nach Anting zum VW Werk. 09:00h Ankunft und Begrüßung durch die Firma mit anschließender Werksbesichtigung. Danach Abfahrt zur Tongji Universität 14:00h Treffen bei der CDH, Sino-German-College. 16:00h Gespräch beim Shanghai Administration Institute mit Prof. Rong Zhi 26.11.13 14:00h Komitee für Stadtentwicklung, Gespräch zur Stadtentwicklung Shanghais am Beispiel Pudongs 23:55h Rückflug nach Frankfurt. 27.11.13 06:05h Landung in Frankfurt 6 Seite 7 von 119 2. Dokumentation der Exkursion 2.1Besichtigung eines Dorfes und Gespräch mit den dortigen Zuständigen (Protokoll: Farina Albrechtsen, Valerie Schierenbeck, Ilsemarie Meyer) 2.1.1 Einleitung Nach einem 10 stündigen Flug von Frankfurt, mit einem Umstieg in Shanghai, landete unsere 20-köpfige Reisegruppe am 21.11.2013 in Peking. Von dort aus starteten wir direkt mit unserem eigenen Reisebus und der deutschsprachigen Reisebegleiterin die Exkursion durch Peking. Unser erster Halt 7 Seite 8 von 119 war ein Dorf in der Nähe von Peking, welches wir besichtigten. Zudem bekamen wie einen Einblick in die dortige Grundschule. Anschließend nahmen wir einen Termin mit dem Bürgermeister wahr und informierten uns über die Strukturen des Dorfes. Anschließend besuchten wir noch einen „Ecological and Agricultural Demonstration Park“. 2.1.2 Besuch der Grundschule Angekommen in der Schule, begrüßte uns die Schulleitung freundlich, zeigte uns zunächst das Schulgebäude und lud uns zu einem gemeinsamen Gespräch ein. So erhielten wir Einblicke in das chinesische Schulsystem und die Besonderheiten dieser Grundschule. Hier erfuhren wir, dass die Grundschulzeit in China sechs Jahre beträgt, die Hauptfächer Chinesisch, Englisch und Mathematik sind und die Kinder täglich acht Stunden in der Schule verbringen. Anschließend bekamen wir die Möglichkeit an einer Schulstunde teilzunehmen, sowie mit den Kindern auf Englisch ins Gespräch zu kommen. Dies gestaltete sich jedoch etwas schwierig, da die Schüler/innen nur über sehr geringe Englischkenntnisse verfügen. Währenddessen überreichten wir den Kindern mitgebrachte Süßigkeiten aus Deutschland, über die sie sich sehr gefreut haben. 2.1.3 Gespräch mit dem Bürgermeister Im Verwaltungsgebäude des Dorfes „Dajianchang“ wurden wir vom Bürgermeister persönlich begrüßt. Dieser berichtete uns, dass in diesem chinesischen Dorf ca. 400 Familien leben. Es weist eine Einwohnerzahl von 1700 Menschen auf und kann eher als ein finanziell gut dastehendes Dorf eingestuft werden kann. Das Nettoeinkommen pro Kopf beträgt 11000 Yuan pro Jahr, was umgerechnet ca. 8 Seite 9 von 119 1100 Euro im Jahr entspricht. Andere chinesische Dörfer weisen in den meisten Fällen lediglich ein Nettoeinkommen im Jahr von 500- 800 Euro pro Kopf auf. Im Dorf arbeiten ungefähr 650 Bauern, die bei anfallenden Problemlagen das Verwaltungsgebäude aufsuchen können. Die Höfe der Bauern und auch die Häuser, der dort lebenden Familien sind Eigentum des Dorfes, welches keine Miete von der Bevölkerung verlangt. Die Bauern des Dorfes besitzen sogar seit einigen Jahren eine Krankenversicherung, die sie jedoch selbst finanzieren müssen. Als großer Vorteil des Dorfes erweist sich ein nahe gelegener Fluss, der sich über 2000 Kilometer erstreckt und als günstiger Handelsweg nach Shanghai dient. Die Bauern bauen hauptsächlich Weizen, Mais, Gemüse und Sesam für die Ölproduktion an. 2.1.4. Besichtigung einer Anlage für den Anbau von Obst und Gemüse Einige Kilometer vom Dorf entfernt, besuchten wir einen sogenannten „Ecological and Agricultural Demonstration Park“. Bevor wir die Anlage besichtigten, wurde uns auf einer großen Leinwand im Freien ein Video vorgeführt, welches uns einen Überblick darüber geben sollte, was uns unter Anderem in der Anlage erwartet. 9 Seite 10 von 119 Nach dieser Vorführung wurde uns eine Rundfahrt mit mehreren Golfcarts geboten. Dadurch war es uns möglich, die Größe dieser Anlage zu erfassen. Zwischendurch hielten wir an, um in die Gewächshausanlagen hineinschauen zu können. In diesen werden unter anderem Gemüsesorten wie Fenchel, Gurken, Tomaten und Kohl angebaut. Das dort angebaute Obst und Gemüse wird vorwiegend in die umliegenden großen Supermärkte aus dem Raum Peking geliefert. Zudem kommen auch viele Menschen aus der Stadt, um sich die Anlage anzuschauen. Das Besondere an dieser Anlage ist, dass es sich ausschließlich um ökologischen Anbau handelt. Insgesamt befinden sich auf dem „Ecological and Agricultural Demonstration Park“ 700 Gewächshäuser, welche jeweils eine Länge von 80 Metern aufweisen. Vor jedem Gewächshaus befindet sich ein kleiner Vorbau, der kleinen steinernen Hütten ähnelt. Während der Rundfahrt konnten wir sehen, dass sich in diesen teilweise Betten befanden. Einige der Arbeiter leben (teilweise) mit ihren Familien in diesen Bauten. Zum Schluss der Rundfahrt durften wir eine Art von Zieräpfeln selbst pflücken und probieren. Diese Äpfel werden unter anderem zu Marmelade verarbeitet oder dienen auch der Herstellung von Getränken. Danach ging es mit unserem Bus weiter zum Abendessen in ein Restaurant und anschließend ins Hotel. 10 Seite 11 von 119 2.2 Besuch der deutschen Botschaft in Peking – Ein Vortrag des Sozialreferenten Herr Dr. Speidel (Protokoll: Manuela Kinel, Linda Raupers, Ryanne Schmidt) 2.2.1Begrüßung und Vorstellung der deutschen Botschaft in Peking Herr Dr. Speidel hat unsere Exkursionsgruppe und Professor Dr. Ludwig Kolhoff am 22.11.2013 herzlich in der deutschen Botschaft in Peking empfangen. Die Exkursionsgruppe bestand aus 19 Studierenden der Fakultät Soziale Arbeit, der Fachhochschule Ostfalia für angewandte Wissenschaften. Einleitend hat sich Herr Dr. Speidel persönlich vorgestellt und seinen beruflichen Werdegang kurz erläutert. Des Weiteren stellte Herr Dr. Speidel uns die deutsche Botschaft in Peking vor. Diese ist nach Moskau und Washington die drittgrößte deutsche Botschaft weltweit. Die Angehörigen der Botschaft werden durch verschiedene Ministerien abgesandt und für die Ämter ausgewählt. Dazu gehören 11 Seite 12 von 119 zum Beispiel die Bundesbank oder der BDA. Beschäftigt werden rund 200 Mitarbeiter. Sowohl Diplomaten als auch sogenannte Ortskräfte, die gleich ob deutscher oder chinesischer Nationalität, jeweils in China leben. Arbeitsbereiche der Diplomaten untergliedern sich in wirtschaftliche, kulturelle und politische Abteilungen. Außerdem wird die Presse, die Verwaltung, das Militär und die Sprache im Sinne von Dolmetschertätigkeiten und die Rechts-, und Konsularabteilung vertreten. Unter den politischen Bereich fallen neben der Gesundheits-, Bevölkerungs-, Arbeits-, Sozial-, Innen- und Außenpolitik und auch die zu verwaltende Industrie, Umwelt, Wissenschaft, die Menschenrechte, Landwirtschaft/Verbraucherschutz. der Beispielsweise Verkehr wurden im und Jahre der 2013 voraussichtlich 120.000 Visa vergeben, demnach 20% mehr, als im Jahre 2012. Da die Zahlen der Visa steigen herrscht die Sorge einer zu großen Einwanderungswelle vor. Herr Dr. Speidel als Sozialreferent, ist für den gesamten politischen Bereich zuständig. Nach einer freundlichen Begrüßung leitet Herr Dr. Speidel (Sozialreferent an der Deutschen Botschaft), welcher für den Aufgabenbereich des Bundesministeriums zuständig ist und sich unter anderem mit dem sozialen Sicherungssystem und der Gesundheitspolitik Chinas auseinandersetzt, die fachlichen Themenpunkte ein. Begonnen wurde mit der Charakterisierung Chinas im Jahr 2013. Infolgedessen wurden uns die sozial-, arbeits-, und arbeitsmarktpolitischen Herausforderungen dargestellt. Ebenso wurden die Wanderarbeiter in Verbindung mit der Urbanisierung-/ Modernisierung der chinesischen Gesellschaft und die Landreform thematisiert. Schlussendlich wurde über die Gewerkschaften und Tarifverhandlungen referiert und im Anschluss auch diskutiert. 12 Seite 13 von 119 2.2.2 China im Jahr 2013 – eine grobe Charakterisierung China ist ein autoritärer Parteistaat, die KPCH steht über allem. Die KPCH ist eine kommunistische Partei die sowohl Regierung als auch die Partei darstellt. In diesen Bereichen herrscht eine Deckungsgleichheit. Die Partei schreibt die Gesetzte und besetzt die Ämter des Landes. Pluralismus wird simuliert und Gruppierungen die sich gegen die Partei bilden schnellstmöglich Mundtot gemacht. Speidel nannte hier das Beispiel der DDR als Vergleich. Die chinesische Bevölkerung verfolgt ein sozialistisches und kapitalistisches Wirtschaftsmodell. Das Wirtschaftswachstum in China fällt auf hohem Niveau, der Nachlass liegt bei 7,5%. Diese sinkende Zahl ruft Sorgen bei den Wirtschaftsexperten und Verantwortlichen hervor, da diese nicht unter 7,2% sinken darf, um den Arbeitsmarkt aufrecht erhalten zu können. 8% sind mindestens erforderlich um die ökonomische Sicherung gewährleisten zu können. Allerdings ist die chinesische Bevölkerung der „Exportweltmeister“. Sie verfolgen nach wie vor ein exportorientiertes Wachstumsmodell, welches auf der Niedriglohnstrategie basiert. Der Gegensatz dazu wäre ein binnenmarktorientiertes Konsummodell. Dies betrifft vor allem mittelwertige Produkte, somit wird eine Niedriglohnstrategie gewährleistet. Ein angestrebtes Ziel ist das Hochlohnmodell, um den Arbeitnehmern ebenfalls den Konsum der Produkte zu ermöglichen. Dies soll anhand von hochwertiger Produktion realisiert werden, sodass der Binnenkonsum angekurbelt wird. Diese Kaufkraft und die Konsumorientierung der chinesischen Gesellschaft kann allerdings nur mit einer Erhöhung des Lohns realisiert werden. Bis 2020 soll das Ziel der Modernisierung Chinas realisiert werden. In der Deutschen Botschaft werden Ideen dazu ausgewertet. Auch China verfolgt Jahrespläne. Derzeitig herrscht der zwölfte Fünfjahresplan (2011-2015). Ein Ziel des Fünf-Jahres-Plans ist es, wirtschaftliche und soziale 13 Seite 14 von 119 Stabilität zu erreichen (Quantitativ orientiert). Diesbezüglich wird die Realität und das gewünschte Ziel mithilfe der Zielformulierung abgeglichen, das bedeutet: Wird ein Ziel nicht erreicht, so wird improvisiert, um demnach das Ziel als erfüllt zu sehen. Des Weiteren wurde im 3. Plenum eine weitreichende Absichtserklärung des ZKs der KPCh zur Einführung von mehr Marktkoordination, allerdings nur wenig konkrete Reformmaßnahmen, angekündigt. Sozial- arbeits- und arbeitsmarktpolitische Herausforderungen Herr Speidel berichtete ebenfalls über die sozial- arbeits- und arbeitsmarktpolitische Herausforderungen Chinas. In China steht die soziale Nachhaltigkeit und Stabilität auf dem Spiel. Die Unterschiede zwischen arm und reich, Land und Stadt, Ost und West, Alt und Jung und niedrig und hoch Qualifizierten nehmen drastisch zu. Die Sozialpolitik in China befasst sich mit gewichtigen Themen, die zu verbessern gelten. Infolge stetig steigender Akademikerabschlüssen erhöht sich die Nachfrage und das Interesse an einer dualen Berufsausbildung in China, die geschaffen werden möchte. Des Weiteren möchte sich die Bevölkerung zu einer vorrausschauenden Beschäftigungs- und Bildungspolitik entwickeln. Das System braucht allerdings auch produzierende Fachkräfte (die Mittelklasse). Demnach ist ein DualesAusbildungssystem notwendig, um weniger Masterabschlüsse und mehr Praxisorientierung zu fördern, da sich in China vermehrt theoretisches Wissen angeeignet wird. Das Verhältnis zwischen Akademikern und Produktionsarbeitern muss also ausgeglichen werden um den Lebensstandard zu gewährleisten. Die Chinesen leben und bilden sich unter den Grundsätzen: „inovate“ „make your own buisness“, „go west“. 14 Seite 15 von 119 China möchte außerdem ein flächendeckendes Sozialversicherungssystem aufbauen. Sozialpolitisch ist das Ziel ein Ausgleich zwischen arm und reich, Land und Stadt, niedrig und hoch Qualifizierten, Osten (welcher weit entwickelt ist) und Westen, sowie demografisch gesehen, Alt und Jung zu schaffen. Seit 10 Jahren existiert in China ein Sozialversicherungssystem. Die durchschnittliche Rente beträgt in der Stadt 400 €. Auf dem Land besteht kein Anspruch auf Rente und kein Gesundheitssystem. Diesbezüglich teilte Herr Speidel mit, dass ein flächendeckendes Sozialversicherungssystem geschaffen werden soll (Junge zahlen für Alte, Beitragssystem). Der soziale Aspekt hierbei ist die Notwendigkeit einer Familienhilfe. Die Eltern leben häufig auf dem Land, während die Kinder in die modernisierte Stadt wandern. Daraus resultiert ein unsicherer Familienzusammenhalt bzw. kann dieser durch diese Umstände nicht gewährleistet werden. Ebenso ist das Beschäftigungsverhältnis von den Menschen nach der Rente sehr gering. Des Weiteren herrscht derzeit kein Verständnis für die Umwelt: Übersäuerte Böden, Smog, kein Trinkwasser aus Leitungen. Die Mittelschicht lebt mit dem Bewusstsein der schlechten Lebensumstände, möchte diese jedoch nicht länger dulden. Die Smokbelastung der Städte ist ein ökologisches Desaster welches aus der Ökonomisierung resultiert. In China wird die offizielle Arbeitslosigkeit auf 4% gemessen. Inoffiziell wird allerdings von 7-10% ausgegangen. Offiziell in Rente gehen Frauen derzeitig mit 55 und Männer mit 60 Jahren. China ist in 50 Jahren um 30 Jahre gealtert. Diese Bilanz ist dramatisch, da die notwendigen Mittel fehlen um diese Problematik zu lösen. Mit dem Thema „Umgang mit der Alterung in der Bevölkerung“ antwortet der Staat weiterhin mit einer „Ein-Kind-Politik“, die allerdings gelockert werden soll. Außerdem soll eine Erhöhung des Renteneintrittalters stattfinden. 15 Seite 16 von 119 2.2.3 Wanderarbeiter – Urbanisierung – Landreform Die Zahl der Wanderarbeiter beträgt derzeitig ca. 260 Mio. Die sogenannte LandStadt-Migration war eine lange Zeit politisch gewollter Treiber der chinesischen Urbanisierung. Nun mehr kommen Zweifel auf. Die Stadt-Land-Migration zieht mehrere Großprobleme mit sich. Beispielsweise die unzureichende soziale Absicherung der Migranten aufgrund des Hukou-Systems (Haushaltsregistrierung). Die Arbeitsmigranten sind in den Städten nicht gemeldet und haben aufgrund dessen nur eine eingeschränkte soziale Absicherung. Es herrscht eine starke Trennung zwischen den auf dem Land und den in den Städten Registrierten. In Anbetracht dieses Problems ist zukünftig eine bessere soziale Integration der Arbeitsmigranten durch die Lockerung der Hukou-Regelung in Planung. Ein weiteres Großproblem stellt die Bevölkerungskonzentration in den Städten dar. Diese zieht im Osten Chinas soziale und ökologische Probleme nach sich. Beispielsweise kaum bezahlbare Wohnräume oder die zunehmende Smogbelastung. Außerdem wird das Land in den meisten Fällen aufgegeben, statt verkauft. Die älteren Generationen bleiben auf dem Land, können allerdings keine produktive Landwirtschaft betreiben. Demnach werden die demographischen, landwirtschaftlichen und ökonomischen Ressourcen regelrecht erschöpft. Eine effektive Lösung der Landreform besagt, dass den Bauern künftig die Möglichkeit geboten werden soll, ihr Land zu verkaufen. Eine gesteuerte, qualitative Urbanisierung soll das politische Ziel sein (Grüne Technologien, mehr Umweltsorge etc.). Das politische Ziel erstreckt sich auf die „qualitative Urbanisierung“, wodurch unter anderem die Aufhebung der Stadt-Land-Disparität aufgehoben werden soll. Es besteht aufgrund der ärmlichen Verhältnisse auf dem Land jedoch eine hohe Diskrepanz zu der modernisierten Stadt. 16 Seite 17 von 119 2.2.4 Gewerkschaften – Tarifverhandlungen Zu Letzt informierte Herr Speidel die Studierenden über die Gewerkschaften und Tarifverhandlungen. Der „All-Chinesiche-Gewerkschaftsverbund (ACGB)“ mit ca. 250 Mio. Mitgliedern ist zahlenmäßig die größte Gewerkschaft der Welt. Es liegt allerdings eine enge institutionelle, politische und personelle Verzahnung mit der KPCh (Partei) in chinesischen Unternehmen vor. Das bedeutet, dass die Zugehörigkeit nicht immer freiwillig ist. In China wird das Rollenverständnis einer Gewerkschaft anders interpretiert. Gewerkschafter sind viel eher Vermittler, anstatt Verhandler oder Interessenvertreter. Streiks finden täglich (180000 pro Tag) aufgrund nicht gezahlter Löhne, Rechtsverletzungen des Arbeitgebers und schlechter Arbeitsbedingungen statt. Allerdings sind Streiks, nicht wie in Deutschland, das letzte Mittel in Tarifverhandlungen. In China wurde das Streikrecht gar 1982 aus der Verfassung gestrichen, wodurch sich Streikende zwangsläufig in einer rechtlichen Grauzone bewegen. Auch wenn Tarifbeschlüsse angestrebt werden, gibt es dazu keinen Zeitplan und keine Maßnahmen zur Umsetzung dieses Ziels. Positiv zu erwähnen ist, dass das System trotz alledem in Bewegung gerät. Geplant sind eine stärkere Verrechtlichung kollektiver Arbeitsbeziehungen und die Einführung verbindlicher Lohnverhandlungsmechanismen. Deutsche Unternehmen spielen dabei eine Vorreiterrolle. 2.2.5 Schlussbemerkung des Herrn Dr. Speidels Bei dem Besuch der Deutschen Botschaft ist erkenntlichen geworden, dass die Bevölkerung sich nach Wohlstand sehnt. Die Beschlüsse des 3. Plenums unterstreichen das Problembewusstsein der politischen Klasse. Diese Wünsche sind nicht nur bezüglich der ökonomischen Entwicklung, sondern besonders der 17 Seite 18 von 119 sozialen und ökologischen Nachhaltigkeit. Die Politik ist sich dem bewusst und formuliert hinsichtlich eines Wandels Ziele, jedoch scheitert es häufig an der Umsetzung. Der Übergang von einer sozialistischen hin zu einer sozialen Marktwirtschaft gestaltet sich als äußerst schwierig. Hier gilt, Traditionalisten vs. Modernisten. Ebenso hat sich herauskristallisiert, dass die politische Steuerung im chinesischen System schwierig ist. Die einzelnen Provinzen haben beispielsweise eigene ökonomische Ressourcen und Gestaltungsspielräume. Es herrscht demnach weiterhin eine hohe Diskrepanz zwischen Stadt, Land und Provinzen. Auf zentraler Ebene werden politische Ziele und dezentral politische Instrumente definiert. 18 Seite 19 von 119 2.3 Besuch der Peking Universität (Protokoll: Bastian Thiedau) Begrüßt wurden wir im Hauptgebäude der Universität von der Koordinatorin des Overseas Exchange Centers. Allgemeine Informationen über die Universität wurden uns anhand eines Filmes bereitgestellt. Die Peking Universität versteht sich als eine Gesamthochschule. Dies bedeutet, dass die Universität unzählige Fachrichtungen bedient, wie Beispielsweise Lehramt, Jura, Medizin oder Journalismus. Des Weiteren gibt es sehr spezifische Studiengänge, wie Marxismus oder „chinesische Regierung“. So verfügt die Hochschule über 30 Colleges, 5 Fakultäten, 29 Institute und 12 Abteilungen sowie 103 Forschungsinstitute. Angeboten werden 95 Bachelorstudiengänge und 199 Masterprogramme. Zudem stehen 173 Doktorandenprogramme zur Auswahl. 19 Seite 20 von 119 Die Peking Universität kann auf eine lange Tradition zurückblicken. Sie wurde als erste Universität Chinas 1898 gegründet. Nach einigen Umzügen und Fusionen, aber auch Lehrunterbrechungen, befindet sich die Universität heute wieder in Beijing. In China gilt die PKU als Eliteuniversität und selbst weltweit genießt sie einen guten Ruf und belegt in der Weltrangliste Platz 46 aller Universitäten. (http://www.topuniversities.com/university-rankings/world-universityrankings/2013#sorting=rank+region=+country=+faculty=+stars=false+search=, Zugriff: 11.12.13) Voraussetzung für die Zulassung zum Studium an der Peking-Universität sind schwere Aufnahmetests, die sehr hohe Durchfallquoten aufweisen. Laut Informationen mehrerer Chinesen, die wir auf unserer Exkursion begegnet sind, sind allgemein für den Zugang an den chinesischen Hochschulen nicht die Abschlussnoten der Schule ausschlaggebend, sondern nur eine Aufnahmeprüfung, „Gao Kao“. Laut meinem Verständnis findet einmal jährlich, mehrere Tage lang, in ganz China, ein Einstufungstest statt. Anhand mehrerer geprüfter Fächer findet eine Leistungseinordnung, in Form eines Punktesystems, statt. Abhängig von dem Punktestand, kann sich der angehende Student nun nur für eine Auswahl von Universitäten und Fächer, die seinem Leistungsstand entsprechen, bewerben. Die Prüfung findet nur einmal jährlich statt, kann aber im Folgejahr wiederholt werden. Eine Studentin der PKU berichtet von 160 Bewerbern auf 10 Studienplätzen. Derzeit sind an der Peking-Universität rund 46.000 Studenten eingeschrieben. Alleine der Standort „Yan Yuan“, den wir besucht haben, beherbergt ca. 30.000 Studenten und Studentinnen. Dieser Campus ist sehr auffallend grün, dafür, dass er Mitten in einer Metropole wie Beijing liegt, in der sonst Grünflächen rar sind. Auf dem Gelände sind viele Grünflächen angelegt und es verfügt über einen eigenen See, „der See ohne Namen“. Auf dem Gelände befinden sich auch der 20 Seite 21 von 119 ehemalige Sommerpalast und dazugehörige Gartenanlagen und eine Sporthalle, in der die Tischtenniswettkämpfe bei den Olympischen Spielen 2008 ausgetragen wurden. Nach dem Film stellte sich uns eine junge studentische Mitarbeiterin des Overseas Exchange Centers vor, die uns offene Frage beantwortete. Auf Fragen der Wohnsituation berichtete sie, dass die meisten Studentenwohnheime direkt auf dem Campus oder sich in unmittelbarer Nähe dieses befinden. Organisiert wird das Wohnen von der Universität selbst. Gewohnt wir mit bis zu vier Studenten in einem Raum die Mieten hängt sehr von der Ausstattung und Größe der Unterkunft ab und betragen zwischen 800 Yuan im Jahr und 3000 Yuan im Monat. Des Weiteren wurde uns berichtet, dass speziell für Studenten aus dem Ausland gerade ein neues Wohnheim gebaut wurde. Wir hatten den Eindruck, dass es sich dabei um westlich orientierte Wohneinheiten handelt, welche aber laut Aussagen teurer sei. Weiter wurde uns berichtet, dass es ca. 300 Hochschulgruppen gibt, denen man sich neben dem Studium anschließen kann, wie beispielsweise Sport- oder Kulturgruppen. Wobei dies für uns kaum vorstellbar war, da uns von 20-30 Wochenstunden für Lehrveranstaltungen und dem gleichen Zeitumfang für Selbststudium berichtet wurde. Vorlesungsfreie Zeiten gibt es zwei Monate im Sommer und ein Monat im Winter, in denen auch keine Prüfungsleistungen erbracht werden müssen. Das Hochschulsystem scheint an das amerikanische angelehnt zu sein, da die Studenten in Undergraduats und Postgraduats eingeteilt sind. Studiengebühren werden je nach Abschluss und Studienfach in Höhe von 4000 bis 80000 Yuan pro Jahr erhoben. Nach einer kurzen Fragerunde führte uns die Studentin ein wenig über den Campus, wo wir uns Beispielsweise die Bibliothek anschauten, die auf Grund der Wohnsituation, der Lernort der meisten Studierenden ist. Die Bibliothek umfasst 21 Seite 22 von 119 ca. 6 Millionen Bücher und ist damit die Größe in ganz Asien. Des Weiteren sahen wir den „See ohne Namen“ und die Porta-Pagode, die einen Wasserspeicher beinhaltet. Bei diesem Rundgang konnten wir einen Eindruck von der Größe und Geschäftigkeit der Universität bekommen und auch typische Studentenwohnheime, wenigstens von außen, sehen. Selbst in dieser kurzen Zeit in der Universität wurden uns klare kulturelle Unterschiede und vor allem Unterschiede des studentischen Lebens klar. Die Aussagen „education pays back“, mit der große Disziplin, Fleiß und Verzicht während der Studienzeit erklärt werden sollte, stellt den Unterschied gut dar. Wo in Deutschland auch eine Persönlichkeitsentwicklung und Selbstfindung stattfindet, wird in China während des Studiums nur Erfolg und Fleiß fokussiert. Quellen: www.edu-china-embassy.ch/peking-universitat-hochschule-mit-langer-tradition/, Zugriff: 11.12.13 www.english.pku.edu.cn/Schools_Departments/, Zugriff: 11.12.13 www.topuniversities.com/university-rankings/world-universityrankings/2013#sorting=rank+region=+country=+faculty=+stars=false+search=, Zugriff: 11.12.13 22 Seite 23 von 119 2.4Die Wanderarbeiter in China (Protokoll: Andrea Schötz, Markus Ecke) 2.4.1 Besuch bei Frau Gao Wei von der NGO „Little Bird“ am 22.11.2013 Little Bird wurde am 6. Juni 1999 gegründet. Es wird zunächst von Wei Wei, einem Jugendarbeiter aus der Provinz Henan gegründet. Die NGO – Non-Government-Organisation hilft Wanderarbeitern bei Fragen zur Beschäftigung, über die Lohnzahlung, und zur Rechtsberatung. Die Wanderarbeiter können sich an die Telefon-Hotline wenden und dort ihre Fragen stellen. Durch Kooperationen mit Peking Radio Station und Liaoning Provincial Radio Station wurde die Hotline von Little Bird bekannt gemacht. Mittlerweile besteht eine Medienstrategie, die den Bekannheitsgrad von Little Bird durch den gezielten 23 Seite 24 von 119 Einsatz von verschiedenen Medien erweitern soll. Im Jahr 2012 haben mehr als 170.000 Anrufer sich an die Telefon-Hotline im Standort Peking gewendet. Insgesamt besteht „Little Bird“ aus vier Büros in unterschiedlichen Städten. Zu dem Hauptbüro in Peking kamen 2008 zwei neue Büros in Shenzhen und Shenyang, sowie im Jahr 2011 ein neues Büro in Shanghai. Es arbeiten 20 Angestellte in vier Büros. Dazu kommen noch einige freiwillige Mitarbeiter. 2003 hatte Little Bird große Schwierigkeiten ihre Arbeit fortzuführen, weil sie keine staatliche Förderung erhielten. Durch die Unterstützung mehrerer Botschaften, u.a. der kanadischen und deutschen Botschaft, konnte ihre Arbeit fortgeführt werden. Seit 2004 wird „Little Bird“ als NGO geführt. Durch die Organisation als NGO bekam „Little Bird“ finanzielle Mittel zur Verfügung gestellt, sodass die bisher zumeist freiwilligen Angestellten auch entlohnt werden konnten. Heutzutage wird Little Bird von einer Vielzahl von internationalen Stiftungen und verschiedenen Regierungen unterstützt. „Little Bird“ bietet neben der Service-Hotline, auch ein „Mediationsangebot“ an. Hierbei fungiert „Little Bird“ als Mediatior zwischen Arbeitgeber und Wanderarbeiter. Weiter bieten sie Trainings für die Gesundheitsvorbeugung für Wanderarbeiter an. Little Bird bietet auch verschieden Veranstaltungen für andere NGOs an: Austauschprogramme mit anderen NGOs (seit 2008) Kompetenztraining Unterstützung von 10 anderen NGOs in 9 Städten finanziert durch das Land Österreich Öffentlichkeitsarbeit Transparenz (als Schutz) Konferenz für 30 GNOs Finanziert durch die ILO aus Genf Ausbildung – Öffentlichkeitsarbeit, Umgang mit Spenden, Netzwerkarbeit 24 Seite 25 von 119 2.4.2 Die Situation der Wanderarbeiter Ginge es nach dem Staat blieben die Chinesen ein leben lang an den Wohnort, an dem sie geboren wurden, gebunden. Der Staat hat die Absicht mit einem staatlichen Haushaltregistrierungssystem (Hukou - System), das Ende der 1950er Jahre eingeführt wurde, die Immobilität der Bevölkerung zu erzwingen. Ländliche Armut und die Tatsache, dass die ländliche Bevölkerung im Vergleich zur städtischen Bevölkerung weniger vom Wachstum der chinesischen Wirtschaft profitiert sind nur zwei Gründe einer massiven Landflucht. Der wirtschaftliche Aufschwung hat eine Lockerung dieses starren Registrierungssystems mit sich gebracht, da für diesen viele Arbeitskräfte benötigt werden. Allgemeine Informationen zum Thema Wanderarbeiter erhielten wir im Büro „Little Bird“, das es sich zur Aufgabe gemacht hat, Wanderarbeiter zu unterstützen und das im folgenden zweiten Teil des Berichts näher vorgestellt wird, vom Sozialreferenten Herrn Dr. Frederic Speidel in der Deutschen Botschaft, sowie in der kommunistischen Parteischule in Shanghai. Zudem enthält dieses Protokoll auch Inhalte eines Leserbriefes, der in einer auf dem Rückflug im Flugzeug ausgelegten Zeitung abgedruckt war und eine kurze Meinungswiedergabe einer Chinesin. Nach Angaben der Mitarbeiterin des nicht staatlichen Büros „Little Bird“ gibt es etwa 260 Mio. Wanderarbeiter im Alter von 16 bis 60 Jahren, von denen die Männer hauptsächlich auf Baustellen oder in Fabriken tätig sind, die Frauen in der Regel im Dienstleistungsbereich, so in Restaurants oder Hotels. Probleme entstehen für die Wanderarbeiter, da sie nicht die Sozialleistungen erhalten, die die städtische Arbeitnehmerschaft bekommt. Der Arbeitslohn wird nicht monatlich, sondern jährlich ausgezahlt und die Kinder der Wanderarbeiter dürfen nicht die gleichen 25 Seite 26 von 119 Schulen wie die städtischen Kinder besuchen. Die eigens für die Kinder der Wanderarbeiter gegründeten Schulen bieten nicht das gleiche Niveau wie die anderen Schulen, da der Unterricht oft von unqualifiziertem Personal abgehalten wird. Die Wohnverhältnisse der Wanderarbeiter sind oftmals sehr problematisch. So sind auf der Kelleretage eines Hotels, auf der das Büro „Little Bird“ Räume angemietet hat, Unterkünfte von dort arbeitenden weiblichen Wanderarbeiterinnen zu sehen gewesen, deren Türeingänge nur durch davor gehangene Decken verdeckt waren. So leben die Frauen in der Regel mit mehreren Personen in diesen Kellerräumen ohne jegliche Privatssphäre und getrennt von ihren Männern, die in separaten Männerunterkünften wohnen, die sich in der Umgebung deren jeweiliger Arbeitsplätze befinden, und vielleicht auch getrennt von ihren Kindern, die in der Heimat auf dem Land bei den Großeltern zurückgeblieben sind. Im Krankheitsfall sind die Wanderarbeiter in der Stadt nicht versichert und müssen gegebenenfalls in ihre Heimatstadt zurückkehren, um sich behandeln zu lassen. Zur Rentenversorgung erfuhren wir in der Parteischule in Shanghai, dass die Rente städtischer Arbeiter zu je einem Drittel über deren eigene erbrachte Leistungen, Beiträge des Arbeitgebers und des Staates finanziert wird, während der Staat keine Rentenanteile an die Wanderarbeiter zahlt, deren Rente also zur Hälfte aus den Beiträgen der Wanderarbeiter selbst und den Beiträgen des Arbeitgebers besteht. Die Rentenzahlungen müssen in der jeweiligen Stadt, in der sie erarbeitet wurden, selbst eingefordert werden. Im Gegensatz zu den monatlichen Rentenzahlungen, die ein Städter auf Lebenszeit erhält, wird einem Wanderarbeiter die Rente einmalig im Ganzen ausgezahlt. Als Antwort auf die Frage, was passiert, wenn diese Einmalzahlung aufgebraucht ist, wurde darauf hingewiesen, dass jeder 26 Seite 27 von 119 Wanderarbeiter, als ehemaliger Bauer vom Staat ein Stück Land zur Bebauung zur Verfügung gestellt bekommen hat. Dieses gehört ihm auf Lebenszeit und soll auch als Absicherung im Alter dienen, wenn es verpachtet wird, womit er auch die fehlende Rentenbeitragsbeteiligung des Staates für die Wanderarbeiter begründet. Auf Nachfrage erfahren wir in der Parteischule, dass das die Wanderarbeiter auf dem dritten Plenum der kommunistischen Partei, das fast zeitgleich mit unserer Reise im November stattgefunden hat, Thema war, erhielten aber keine weiteren inhaltlichen Informationen. Aufschluss über die Benachteiligung der Wanderarbeiter gab auch ein Leserbrief abgedruckt in der Zeitung „Global Times“ vom 26.11.2013: Der Verfasser beschreibt auf Seite 17, dass in Peking geborene Personen an ihrer ID-Nummer „110“ der Hukou-Zugehörigkeit zu erkennen sind, da alle anderen nicht in Peking geborenen Pekinger eine andere ID-Nummer haben. Dies wiederum wäre der Grund für eine Frau gewesen, einen heiratswilligen jungen Mann zurückzuweisen, da sie wirtschaftliche Nachteile befürchtete, da davon auszugehen ist, dass ein in Peking selbst geborener durch dessen Eltern finanziell abgesicherter ist, als jemand, der nur ein Arbeitsrecht für Peking vorweisen kann. Falls es den Wanderarbeitern gelänge nach den Lockerungen eine ID-Nummer für Peking zu bekommen, hätte diese, beziehungsweise deren Kinder laut Leserbrief auch Nachteile bei der Einschreibung an einer Universität, oder beim Kauf eines Autos oder eines Hauses (Wohnung), dem eine fünfjährige Steuereinzahlung vorausgeht. In der Regel liegen diese Anschaffungsobjekte außerhalb der finanziellen Möglichkeiten der Wanderarbeiter, die sich eher mit niedrigen Löhnen abfinden oder sich gar willkürlichen Aussetzungen der Gehälter ausgeliefert sehen. Die in dem Leserbrief geäußerte Hypothese, dass die Zahl der Wanderarbeiter in den nächsten 10 Jahren auf 400 Mio. Wanderarbeiter steigen könnte, lässt die Notwendigkeit einzuführender Veränderungen erkennen. 27 Seite 28 von 119 Dagegen vertritt die Chinesin, bei der es sich um eine Angestellte eines Büros handelt, mit dem das Unternehmen, in dem ich arbeite, geschäftlich verbunden ist, die Meinung, dass niemand von den Wanderarbeitern gezwungen ist, in die Stadt zu ziehen, denn auf dem Land hätte jeder in aller Bescheidenheit ein Auskommen und wäre versorgt. Dabei bleibt die von Herrn Dr. Seidel in der Dt. Botschaft angesprochene Rückläufigkeit der Produktivität der Landwirtschaft unberücksichtigt. 28 Seite 29 von 119 2.5 Der Himmelstempel in Peking (Protokoll: Imen Nesaibi) Der Himmelstempel (tian tan) in Peking – auch Himmelsaltar genannt – ist im Süden der Stadt Peking auf einer Gesamtfläche von 273ha im Jahr 1420 von Kaiser Yongle erbaut worden. Er ist einer von sechs Altären, die sich in der Palaststadt verteilen, und diente den Kaisern der Ming- und Qing-Dynastie als Kult- und Opferstätte des Hofes. Der Himmelsaltar hebt sich durch seine Architektur, die als vollkommenste der chinesischen Baukunst bezeichnet wird und durch seine große Parklandschaft von den anderen fünf Altären ab. 1924 wurde er vom Kaiser Yuan Shikai letztmalig als Opferstätte benutzt. Der Kaiser ließ sich zur jährlichen Opferzeremonie – begleitet von ca. 2000 Würdenträgern – auf einem Elefanten tragen. Hier verbrachte er fastend und meditierend die Nacht der Wintersonnenwende. 29 Seite 30 von 119 Durch die Nord-Süd-Ausrichtung des Altars empfiehlt es sich, die Anlage durch das Südtor (nan men) zu betreten und die Anlage durch das Nordtor (bei men) wieder zu verlassen. In der kaiserlichen "Halle des Himmelsgewölbes", welche mit blau glasierten Ziegeln bedeckt ist, befindet sich eine Ahnentafel. Die Anzahl der Steinplatten der 3-stufigen Altarterrasse lässt sich durch 3 und durch 9 teilen. Diese beiden Zahlen symbolisieren das himmlische Yang. Der Hof ist von einer Echomauer umgeben, welche absolut glatt und exakt kreisförmig gebaut ist und man das Echo auf der anderen Seite hören kann. Eine Marmorstraße führt nördlich zur "Halle der Erntegebete" (qinian dian) hin. Die runde Halle mit dem dreistufigen, in einer vergoldeten Kugel, welche eine Lotusknospe darstellt endenden, mit blau glasierten Ziegeln bedeckten Dach, erhebt sich auf einer weißen Marmorterrasse. Die Halle der Erntegebete ist erst im Jahr 1890 nach einem verheerenden Feuer 1889 wieder aufgebaut worden. Irrtümlich wird diese Halle auch "Himmelstempel" genannt, obwohl sie in die eigentlichen Opferzeremonien nicht mit einbezogen wurde. Vielmehr bat der Kaiser zum Frühlingsanfang hier um eine reiche Ernte. Das Dach ruht auf 28 Holzsäulen. Die inneren 4 Säulen symbolisieren die 4 Jahreszeiten während die beiden umlaufenden Ringe mit je 12 Säulen einmal die 12 Monate und die 12 Doppelstunden des Tages darstellen. Die bedeutendsten Gestaltungsmerkmale des Himmelsaltares/ Himmelstempels, die sich immer wieder finden, ist die runde Form, die Farbe Blau und die Zahl 3 – alles Symbole für den Himmel. Die Hallen sind durch die 360 m lange Danbi-Brücke miteinander verbunden und umgeben von Jahrhunderte alten Thujen. Von oben betrachtet sieht der Mauergrundriss aus wie eine langgezogene Kuppel, welche aus der Vorstellung rührt, dass der Himmel rund und die Erde eckig ist. Im Gebet sagt man im Tempel "mein Himmel" und nicht "mein Gott", da im Himmel der 30 Seite 31 von 119 Himmelskaiser wohnt. Die UNESCO setzte den Himmelstempel im Dezember 1998 auf die Liste der Weltkulturerben. Der Park des Himmelstempels dient als Treffpunkt für die meist ältere Generation Pekings. Sie treffen sich in Gruppen am Anfang des Südtors, um z.B. gemeinsam mit der Meisterin Tai Chi zu machen oder Aerobic zu schneller, poppiger Musik. Etwas abgelegen vom Trubel der Musik treffen sich Selbsthilfegruppen, um z.B. den Tod eines geliebten Menschen in der Familie aufzuarbeiten. Am Ausgang des Nordtors schreiben einige mit einem großen Pinsel und Wasser in Kalligrafie auf die dunklen Steine des Bodens und andere tanzen im Paartanz Walzer oder battlen sich zur Hip-Hop Musik. Die chinesische Kalligrafie ist eine Kunstrichtung, die in engem Zusammenhang mit der chinesischen Malerei steht. In beiden Künsten werden die gleichen Werkzeuge, die Vier Schätze des Gelehrtenzimmers, verwendet: Schreibpinsel, Stangentusche, Reibstein und Papier. Deshalb verwundert es nicht, dass berühmte chinesische Kalligrafen oft auch bedeutende Maler waren. Einer der berühmtesten chinesischen Kalligrafen war Wang Xizhi, dessen Stil nach mehr als einem Jahrtausend heute noch Grundlage des Kalligrafieunterrichts ist. Die Kalligrafie wurde als wichtiger Teil der Ausbildung angesehen und sollte auch Rückschlüsse auf die Persönlichkeit ermöglichen. Wang Xizhi ersetzte den rechtwinkligen Duktus durch kursive Linienführung, die individuelle Gestaltung ermöglicht. Seitdem galt die Kalligrafie in China neben dem Wei-Qi-Spiel (im Westen unter dem Namen Go bekannt), der Malerei und der Musik als vierte der Künste. Das hohe Prestige der Kalligrafie zeigt sich unter anderem auch darin, dass sogar chinesische Kaiser bemüht waren, sich in Kalligrafie auszuzeichnen. Am weitesten 31 Seite 32 von 119 brachte es in dieser Kunst der Kaiser Song Huizong, dessen Stil schlankes Gold einen Höhepunkt der chinesischen Kalligrafie darstellt. In Asien, hauptsächlich im chinesischen Raum und Japan, hat die Kalligrafie immer noch einen hohen Stellenwert im gesellschaftlichen und künstlerischen Leben. Die am meisten verwendeten Werkzeuge sind Pinsel, Tuschestange und -stein, sowie das Papier als wesentlicher Bestandteil des Schreibprozesses. Vor dem eigentlichen Schreiben wird Tusche von der Tuschestange im Tuschestein mit Wasser oder Wein angerieben. Der Schreibakt ist heutzutage oftmals impulsiv, was die Schriftzeichen schwer leserlich, aber umso ausdrucksstärker macht. Schriftstile wie die Grasschrift stellen den eigentlichen Text und seine Lesbarkeit sogar bewusst hinter die kalligraphische Gestaltung zurück, selbst gebildete Chinesen können Grasschriften oft nicht lesen. Sie gelten als Bild, nicht als Text. Die traditionelle chinesische Musik wird auch noch in einem reichhaltigen Repertoire aufgeführt, das heitere wie ernste Stücke miteinschließt und bisweilen sogar auf westlicher Popmusik oder Filmliedern beruht. Verwendung findet sie insbesondere auch bei Festlichkeiten wie Hochzeiten und Beerdigungen. Daneben ist aber auch das gesamte alltägliche Leben eines Chinesen mit Musik erfüllt, sei es bei der Arbeit auf dem Reisfeld, auf dem Weg nach Hause oder frühmorgens in den städtischen Parks. Es wird viel und gerne gesungen, der traditionelle Liedschatz ist unüberblickbar groß. 32 Seite 33 von 119 Das Taijiquan, auch Tai-Chi Chuan (abgekürzt Tai-Chi) oder chinesisches Schattenboxen genannt, ist eine im Kaiserreich China entwickelte Kampfkunst, die heutzutage von mehreren Millionen Menschen weltweit praktiziert wird und damit zu den am häufigsten geübten Kampfkünsten zählt. In der Volksrepublik China werden einzelne Bewegungsabläufe aus dem Taijiquan als Volkssport praktiziert. Ursprünglich ist Taijiquan eine sogenannte innere Kampfkunst für den bewaffneten oder unbewaffneten Nahkampf. Vor allem in jüngerer Zeit wird es häufig als System der Bewegungslehre oder der Gymnastik betrachtet, das der Gesundheit, der Persönlichkeitsentwicklung und der Meditation dienen kann. Der eigentliche Kampfkunstaspekt tritt vor diesem Hintergrund immer häufiger zurück und verschwindet bisweilen ganz. Das Hauptprinzip des Taijiquan ist die Weichheit – der Übende soll sich natürlich, entspannt, locker und fließend bewegen. Beim Üben des Taijiquan gibt es keine Kraft-, Schnelligkeits- oder Abhärtungsübungen, wie die in vielen Kampfsportarten üblichen Bruchtests. Im Gegenteil wird verlangt, dass die Bewegungen möglichst mit einem Minimum an Kraft ausgeführt werden. Anders als bei vielen Kampfkünsten wird das Taijiquan meistens langsam geübt, um die Techniken möglichst korrekt auszuführen. Beim Üben soll der Körper „entspannt“ sein. Das bedeutet nicht, dass alle Muskeln im Körper schlaff sind (wie etwa im REM-Schlaf), sondern dass nur die für eine bestimmte Bewegung oder Haltung wirklich benötigten Muskeln angespannt werden und die übrigen Muskeln in Ruhestellung (Ruhetonus) sind. Es geht dabei um die Ausprägung der sogenannten Jin-Kraft, gerichtete Bewegungen, die im Körper gesamtkoordiniert werden und keinen hemmenden Spannungen unterliegen. 33 Seite 34 von 119 Der Atem soll tief sein und locker und natürlich fließen. Durch die angestrebte Bauchatmung ist die Atemfrequenz deutlich niedriger, als in der normalerweise verwendeten Brustatmung. Während Anfänger meistens erst lernen müssen, den Atem frei fließen zu lassen oder ihn an die Bewegungen anzupassen, passt sich der Atemrhythmus bei Fortgeschrittenen natürlicherweise an die Bewegung an. Allerdings gehen verschiedene Taijiquan-Stile mit dem Atem unterschiedlich um, so dass hier keine verallgemeinernden Aussagen zu treffen sind. Die Bewegungen im Taijiquan sollen bewusst und aufmerksam ausgeführt werden. Dabei wird jedoch nicht eine ausschließliche Konzentration auf die Vorgänge im Körper des Übenden gefordert, sondern sie soll sich gleichmäßig zwischen der Wahrnehmung der eigenen Bewegungen und der Umwelt aufteilen. Die folgenden „zehn Grundprinzipien“ von Yang Chengfu fassen die angestrebte Körper- und Geisteshaltung eines Übenden zusammen. In den verschiedenen Stilen gibt es darüber hinaus eine Vielzahl von weiteren Prinzipien. 1. Den Kopf entspannt aufrichten 2. Die Brust zurückhalten und den Rücken gerade dehnen 3. Das Kreuz/die Taille locker lassen 4. Die Leere und die Fülle auseinander halten (das Gewicht richtig verteilen) 5. Die Schultern und die Ellenbogen hängen lassen 6. Das Yi (Absicht, Intention‘) und nicht die Gewaltkraft (Muskelkraft) anwenden 7. Die Koordination von Oben und Unten 8. Die Harmonie zwischen Innen und Außen 9. Der ununterbrochene Fluss (die Bewegungen sollen fließen) 34 Seite 35 von 119 10. In der Bewegung ruhig bleiben Qi (Ch’i) Wegen seiner engen Verbindung zum philosophischen Daoismus kommt im Taijiquan wie in allen inneren Kampfkünsten dem Konzept des Qi eine wichtige Bedeutung zu. Bei den Bewegungen soll das Qi fließen können, indem die Muskeln und Gelenke möglichst entspannt werden und die Bewegungen locker und fließend ausgeführt werden. Durch das Üben soll sich das Qi im Körper mehren und der Übende soll in zunehmendem Maße in der Lage sein, das Qi wahrzunehmen und schließlich zu kontrollieren. Von vielen Praktizierenden wird die dabei auftretende Empfindung als eine Art Energiefluss beschrieben, den man im Körper zirkulieren lassen und gezielt an bestimmte Körperstellen senden kann. Dies soll einerseits der Gesunderhaltung und Körperkontrolle dienen und andererseits im Kampf anwendbar sein. Im Westen wird bisweilen über die Natur des Qi diskutiert, ob es sich dabei um eine Art feinstoffliche Energie handelt, oder ob es sich vor allem um ein hilfreiches Konzept handelt, das dabei hilft, die für das Taijiquan erforderliche Bewegungsart und biomechanische Effizienz zu entwickeln. Für die Anwendung des Begriffes im Taijiquan ist es unerheblich, woran der Praktizierende dabei glaubt. Taiji ist im Daoismus ein Synonym für das allerhöchste Wirkprinzip und schwer zu übersetzen, da es keinen entsprechenden Begriff in der deutschen Sprache gibt. Es wird meist durch das Yin und Yang Symbol dargestellt, das das harmonische Wechselspiel der dualen Kräfte Yin und Yang ausdrücken soll. In den Bewegungen des Taijiquan spielt dieser Dualismus von Yin und Yang eine wichtige Rolle, die sich beispielsweise in den oben genannten zehn Grundregeln widerspiegelt. Quan bedeutet Faust; im Zusammenhang mit Kampftechniken wird es benutzt, wenn mit 35 Seite 36 von 119 leerer Hand, also ohne Waffen gekämpft wird. Eine sinngemäße Übersetzung von „Taijiquan“ wäre daher: „Kämpfen nach dem höchsten Prinzip“. In China gehen die Frauen ab 50 Jahre und die Männer ab 60 Jahre in Rente, weshalb in dem Park überwiegend Frauen vertreten sind. Es geht nicht nur um das physische gesund bleiben durch die diversen Angebote, sondern auch um das psychische gesund bleiben. Die Chinesen möchten sich mitteilen, in dem sie im öffentlichen Raum ihre Tai-Chi Übungen machen, sich in jeglicher Form zur Musik bewegen oder sich durch die Kalligrafie mitteilen. Mit 50 Jahren steht man mitten im Leben und fühlt sich einfach zu jung, um den ganzen Tag zu Hause zu bleiben. Das Gemeinschaftsgefühl wird gestärkt und durch die Regelmäßigkeit der Treffen in dem Park ist eine Aufgabe vorhanden, die man nicht missen möchte. Die Chinesen haben eine unglaublich positive Ausstrahlung und genießen es, vom Publikum umschwärmt zu werden und einfach von ihrer Fröhlichkeit abgeben zu können. Sie machen sich und den Menschen um sie herum eine Freude, die unheimlich bestärkend ist und von deren Aura man einfach mitgerissen wird. Es ist jederzeit möglich gewesen, bei Interesse einfach mit in die Übungen oder den Tanz einzusteigen. Generell ist die Stimmung und das Erleben sehr freundlich, offen und mitreißend gewesen, so dass es fast unmöglich war nicht mit zu machen. Es ist einfach schön zu sehen, wie die Lebensfreude das Dasein bestimmt und der Alltag ausgeblendet wird. Quellen: chinas-weltkulturterbe.de wikipedia.de 36 Seite 37 von 119 2.6 Besuch des VW Werks in Shanghai (Protokoll: Viktoria Konkus) 2.6.1 Einführung Die Shanghai Volkswagen Automotive Co. (SVW) beschäftigt heute über 27.000 Mitarbeiter und ist somit eines der größten Werke von Volkswagen. Die Produktion begann 1984 mit dem Volkswagen Santana. Seit 1988 ist SVW ein Joint Venture der Volkswagen AG, der Volkswagen China Investment Co. und der Shanghai Automotive Industry Corporation, die das Unternehmen gründete. Die Anteile der beiden Mutterunternehmen liegen bei jeweils 50%, deshalb sind viele der Managementpositionen doppelt besetzt (deutsch und chinesisch). Im November dieses Jahres wurde das 10. Millionste Auto des Werkes gefertigt. 37 Seite 38 von 119 2.6.2 Unsere Studiengruppe im VW Werk Am 25.11 trafen wir um 10:30 im VW Werk Shanghai ein. Da Herr Song Weilang auf einer Dienstreise war, wurde unser Programm dort geändert. Wir wurden von einer Mitarbeiterin und zwei deutschen Praktikantinnen des Personal Developments in Empfang genommen. Anschließend wurden wir in einen Vorführraum gebracht und uns wurde ein ca. fünf min. Film über die Entwicklung und die Erfolge von SVW gezeigt. Im Film erfuhren wir, dass die wichtigsten Punkte für das Unternehmen Forschung und Entwicklung sind. In den vergangenen Jahren wurden 6,7 Milliarden investiert und es gibt über 1000 hoch qualifizierte Fachkräfte. Der Slogan „Qualität ist SVW“ wurde im Film mehrmals betont. Sehr viel Wert wird auch auf die aktive Kundenberatung gelegt. Es gibt mehrere Kundendienstwerke für die spezielle Programme entwickelt werden. Auch die Optimierung der Umweltstandards ist von Interesse und die Herstellung von Elektroautos zählt zu den Säulen von SVW. Schon sechs Mal wurde SVW als bester Arbeitgeber ausgezeichnet. Sich selbst sieht das Unternehmen als perfekte Chance für Mitarbeiter sich selbst zu verwirklichen. Des Weiteren erfuhren wir im Film, dass in den letzten Jahren sechs Millionen für Karitative Zwecke gespendet wurden. Das abschließend genannte Motto, „Nach Exzellenz streben, die Nummer Eins sein“, fasst das Leitbild und die Hauptaussagen des Filmes gut zusammen. 38 Seite 39 von 119 Nach dem Film folgte eine Besichtigung der Produktionsstätten. In kleinen Wagen, die mit Lautsprechern und Schutzbrillen ausgestattet waren, fuhren wir durch die einzelnen Fertigungsbereiche Stamping Center, Assemly Shop, Quality Control Center und Bodyshop, und wurden während der Fahrt von der Mitarbeiterin mit einigen Informationen versorgt. Wir erfuhren unter anderem, dass 40% der Arbeit von Maschinen gemacht wird. Die Produktionshallen waren zwischen 25000 und 45000 qm groß. Auffällig waren die deutschen Namen auf den Maschinen und auch viele Schilder (Toilettenschilder, Wegweiser) waren mit deutscher Übersetzung. Nach der Besichtigung standen uns die Praktikantinnen und die Mitarbeiterin des Personal Developments noch für eine Fragerunde zur Verfügung. Wir erfuhren etwas über die Aufgaben der Praktikantinnen und das Bewerbungsverfahren für ein Praktikum. Fragen die unsere Gruppe auch interessierten waren, ob es eine Gewerkschaft gibt oder wohin man sich bei Problemen wenden kann. Die Mitarbeiterin erklärte, dass es zwar so etwas wie eine Gewerkschaft gibt, diese jedoch für ganz andere Aufgaben zuständig ist als in Deutschland. Sie organisiert z.B. Aktivitäten, kann aber nicht mitbestimmen. Mitarbeiter/innen können sich an den Manager wenden, falls es ein Problem gibt. Dass Gewerkschaftsarbeit politisch auch gar nicht möglich ist, erfuhren wir schon bei unseren vorhergehenden Begleitseminaren. 39 Seite 40 von 119 Wie sind die Rahmenbedingungen des Arbeitsverhältnisses? Daraufhin erzählte die Mitarbeiterin, dass die meisten Beschäftigten bei SVW nach drei Jahren unbefristet, ein befristeten Arbeitsvertrag bekommen. Nach 2,5 Jahren stehen den Mitarbeiter/innen 7,5 Urlaubstage zu. Die Beschäftigten sind über ihren Arbeitsvertrag kranken- und sozialversichert. Verglichen mit anderen Arbeitsgebern in der Region ist SVW sehr attraktiv. Da an den Hochschulen kein Duales System herrscht, hat SVW in Kooperation mit der Tongji Universität ein Ingenieurprogramm entwickelt um den Studierenden Praxis anzueignen. Zum Abschluss sahen wir uns das SVW Werk als Miniaturdarstellung an, und machten ein Gruppenfoto vor dem Shanghai Volkswagen Logo. 40 Seite 41 von 119 2.7 Besuch der Tongji-Universität Shanghai (Protokoll: Andreas Kikillus) Am ersten Tag unseres Aufenthalts in Shanghai trafen wir nach einem Termin im dort ansässigen VW Werk, um ca. 12:00 auf dem Campus der Chinesisch Deutschen Hochschule für Angewandte Wissenschaften (CDHAW), der Tongji Universität Shanghai ein. Sie zählt dabei zu den 10 besten Universitäten des Landes und belegt damit einen der Spitzenplätze im chinesischen Hochschulwesen. Nach einem reichlich angebotenen Mittagessen im Restaurant der Mensa des Campus konnten sich die Studierenden einen individuellen und persönlichen Eindruck des studentischen Alltags der Studierenden verschaffen. Leider war es aus organisatorischen Gründen nicht möglich mit den Studierenden zusammen in der Mensa zu essen. Bei 56 000 eingeschriebenen Studierenden für alle Beteiligten verständlich. Im Anschluss an das Mittagessen besuchte ein Teil unserer Gruppe 41 Seite 42 von 119 die im Bereich der Mensa befindlichen Geschäfte, ein weiterer Teil die gegenüberliegenden Sportanlagen der Universität. Sport spielt in vielen Bereichen des täglichen Lebens Chinas eine primäre Rolle. So auch in der Tongji – Universität. Fußball, Basketball, Tischtennis, Tai chi sollen dafür stellvertretend genannt werden. Von dieser Begeisterung konnte sich ein Teil der Gruppe selbst überzeugen und einem gerade begonnenen Fußballspiel beiwohnen. Leider bot sich durch den eng gefassten Zeitplan keine Möglichkeit selbst ein Spiel gegen eine chinesische Mannschaft durchzuführen, was ich persönlich als sehr bedauerlich empfand. Als weiteren Programmpunkt dieses Tages erfolgte ein Gespräch mit dem Lehrkörper Hr. Prof. Tan sowie einem Studenten der Fakultät Fahrzeugtechnik/Fahrzeugservice, im Gebäude der CDHAW auf dem Campus der Tongji – Universität Shanghai. Die Atmosphäre dieses Treffens war frei und herzlich, was sich in den recht offenen und ehrlichen Ausführungen seiner Präsentation widerspiegelte. Nach einer beidseitigen Vorstellungsrunde durch Hr. Prof. Dr. Kolhoff und Hr. Prof. Tan begann er mit seinen Ausführungen. Mittels PowerPoint und Broschüren, stellte Hr. Prof. Tan weitgehende Ziele, Fachbereiche, Kooperationspartner und das Studium selbst vor. Untermalt wurden seine Ausführungen durch einen von Studenten selbst gedrehten Film über das Leben und wirken eines chinesischen Studenten sowie einer Fragerunde mit einem in der CDHAW eingeschriebenen Studenten. 2012 feierte die Universität einige Jubiläen, von denen eines das vor 105 Jahren durch den deutschen Arzt Erich Paulun 1907 begründete Medizinstudium einer der dortigen Fakultäten war. Nach weiteren fünf Jahren erfolgte die Gründung eines 42 Seite 43 von 119 weiteren Zweiges, der bis dato unter der Bezeichnung „Deutsche Medizin- und Ingenieurschule für Chinesen“ bekannten Hochschule, durch den deutschen Ingenieur Bernhard Berrens. Erst 1924 erhielt Sie den offizielle Status einer Universität und nach weiteren drei Jahren die Bezeichnung „Nationale TongjiUniversität“. Zu den damals angebotenen Studiengängen gehörten die Bereiche Medizin, Jura, Natur-, Ingenieure- und Geisteswissenschaften. Schon zu dieser Zeit genoss die Universität einen weltweit sehr geachteten Ruf als Hochschule, deren Studenten eine exzellente Ausbildung in ihren Fachgebieten erlangen konnten. Nachdem im Jahr 1950 die im gesamten Land befindliche Hochschullandschaft umstrukturiert wurden, entwickelte sich die Tongij-Universität zur größten Technischen Universität Chinas. Weitere 28 Jahre später und der Einführung gesellschaftlicher Reform- und Öffnungspolitik des Landes im Jahre 1978, entwickelte Sie sich zu einer multidisziplinären Universität mit dem Schwerpunkt Ingenieurwissenschaften. Im inländischen Ranking aller Universitäten Chinas, nimmt die Tongji-Universität den Spitzenplatz im Bereich Ingenieurwissenschaften ein. Dabei führt Sie enge Koopertationsbeziehungen mit verschiedenen Universitäten Weltweit wie zum Beispiel Deutschland, Japan, den USA, Frankreich, Großbritannien, Kanada, Australien, Österreich, Südkorea, Schweiz um nur einige zu nennen. Im Verlauf dieser fruchtbaren Zusammenarbeit, wurde im Jahr 2004 das deutsche Erfolgsmodell einer praxisorientierten Fachhochschulausbildung, als bildungspolitisches Modellprojekt der chinesischen Hochschulen eingeführt. 43 Seite 44 von 119 Wie schon einleitend erwähnt, bildet die CDHAW einen sekundären Zweig, der dort ansässigen Tongji-Universität in der an zwei von einander getrennt befindlichen Standorten in Shanghai, 56 000 Studenten aus verschiedenen Ländern der Welt geschult und ausgebildet werden. Im Zweig der CDHAW können Studenten verschiedene Abschlüsse erlangen. Das Angebot umfasst vier vierjährige Studienbereiche, die durch einen einjährigen Studienaufenthalt an verschiedenen deutschen Hochschulen bereichert werden kann. Zu den Bachelorstudiengängen im Bereich der Ingenieurwissenschaften zählen: • Mechatronik, • Gebäude-, Versorgungs- und Umwelttechnik, • Fahrzeugtechnik/Fahrzeugservice, • Wirtschaftsingenieurwesen. Partneruniversitäten im Bereich Mechatronik sind z.B. die Hochschulen Esslingen und Bochum, im Bereich Fahrzeugtechnik die Hochschulen Braunschweig / Wolfenbüttel und Berlin, im Bereich Gebäude-, Versorgungs- und Umwelttechnik die Hochschulen Braunschweig / Wolfenbüttel und Erfurt sowie im Bereich des Wirtschaftsingenieurswesens die Hochschulen München und Esslingen. Als Partnerunternehmen dieses dualen Ausbildungssystems, konnten namhafte Deutsche unternehmen gewonnen werden. Volkswagen, BOSCH, SIEMENS, LUK um nur einige zu nennen. Ziel des Studiums ist es die praxisnahe Ausbildung von Ingenieuren mit interdisziplinären Kenntnissen, internationalen Kompetenzen und Problemlösungsfähigkeiten für die Industrie und Wirtschaft beider Länder fruchtbar 44 Seite 45 von 119 zu gestallten. Darüber hinaus ermöglicht die CDHAW einen intensiven Austausch, wissenschaftlich - kultureller, chinesisch – deutscher Beziehungen. Alle in der CDHWA angebotenen Vorlesungen werden auf Deutsch gehalten. Hierfür ist es erforderlich, dass die chinesischen Studenten im 1. Jahr neben ihren laufenden Veranstaltungen, in 1200 Stunden die deutsche Sprache erlernen müssen. Dieses ist Voraussetzung, die letzten beiden Semester an deutschen Hochschulen zu absolviert. Ebenso machen viele Studenten nach dem Erwerb des Bachelorabschlusses ihren Masterabschluss in Deutschland. Bachelor und Masterarbeiten können dabei sowohl in Englischer als auch in Deutscher Sprache eingereicht werden. Studierende der CDHWA erhalten nach Beendigung ihres Studium nicht nur den Abschluss in ihrem Heimatland, sondern auch den Hochschulabschluss im Partnerland, was ihre beruflichen Perspektiven merklich verbessert. Nahezu alle Studierenden erreichen ihren Bachelor- bzw. Masterabschluss in der vom Curriculum vorgegebenen Regelstudienzeit. Erreichbar ist dieses nur durch äußerst hoher Disziplin und Aufopferung für das Studium. Ein Versagen ist dabei nicht vorgesehen! Eltern und Gesellschaft geben den Weg vor, denn nur wer in China einen Hochschulabschluss erreichen konnte, wird von der Öffentlichkeit mit Anerkennung bedacht. Wie ich finde ein immenser Druck der das auf den Studierenden lastet. Um das Projekt der CHDAW zu realisieren war eine Vielzahl von deutschen und chinesischen Institutionen erforderlich, deren große finanzielle Unterstützung zum gelingen erforderlich waren. Zu nennen sind hier das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) und das Ministry of Education of the People's 45 Seite 46 von 119 Republic of China (MoE). Auf deutscher Seite sind dies der Deutsche Akademische Austauschdienst (DAAD), die Hochschulrektorenkonferenz (HRK), der Verein Deutscher Ingenieure (VDI) und die Bundesvereinigung Deutscher Arbeitgeberverbände (BDA). Auf chinesischer Seite sind dies die Tongji-Universität, das China Scholarship Council (CSC) und das Chinesische Service Center for Scholary Exchange (CSCCE). Zum Abschluss seiner Ausführungen standen Hr. Prof. Tan und sein Student den Zuhören für weitere Fragen zur Verfügung. In diesen wurden die Kosten der Ausbildung, die Freizeitgestaltung, der Austausch mit anderen Studenten und die Frage nach der Zukunftsperspektive erörtert. Somit bekamen die Zuhörer einen kleinen Einblick in das Leben eines Studierenden an der Chinesisch – Deutschen – Hochschule, der Tongji Universität Shanghai. Nach dem gegenseitigen Überreichen kleiner Gastgeschenke, erfolgte zu Abschluss dieses Programmpunktes, ein für beide Seiten obligatorisches Gruppenfoto, vor dem Gebäude der Hochschule. Als Fazit dieses Besuches können wir somit festhalten, dass beide Seiten, sowohl Deutschland als auch China ein hohes Interesse einer gleichrangigen Partnerschaft von Wirtschaft und Studium wünschen und die Beziehung beider Länder ausgebaut werden soll. Zu bedenken ist in diesem Zusammenhang aber der immense Chinesische Durst an deutschem Wissen und Knowhow, welches für den Aufbau eigener Wirtschaftsbereiche notwendig ist. Zu erkennen war dieses besonders an der Aussage von Hr. Prof. Tan, in dem er äußerte: „Schön wäre es, wenn die Absolventen der Hochschule für ein paar Jahre in Deutschland arbeiten würden und dann erst zurück nach China kommen würden.“ 46 Seite 47 von 119 2.8 Besuch der Parteihochschule in Shanghai (Protokoll: Tobias Bolitz und Marc Endlich) 2.8.1 Einleitung Die Parteihochschule ist ausgelegt für Beamte die in der Parteiideologie der KP China geschult werden. Diese Schulungsmaßnahmen ermöglichen den Beamten gewisse Aufstiegsmöglichkeiten. Empfangen wurden wir von Professor Rong Zhi, welcher als Dozent an der Hochschule fungierte und uns für Fragen offen stand. Zur Vorbereitung auf den Termin in der Hochschule, einigten wir uns gemeinsam darauf, das es von Vorteil ist, bestimmte Fragen auszulassen. 47 Seite 48 von 119 Einige Beispiele dafür waren: - Tibet-China Konflikt - Die Umsetzung von Menschenrechten - Der Umgang mit der Todesstrafe 2.8.2 Aufgaben der Parteihochschule In der Parteihochschule finden Kurzzeitfortbildungen für Beamte im höheren Dienst statt. Grundvoraussetzungen für die Fortbildungen ist, das die teilnehmenden Beamten eine gewisse Berufserfahrung nachweisen können. Die Grundlegenden Seminare sind die Themen: - Neue Gesetze und Vorschriften - Umstellung auf moderne Technik - Verwaltungsaufgaben und Prozessoptimierung - Studium der Lehren von Marx und die Umsetzung in der Praxis Nach der Ausbildung in der Parteihochschule, kehren die Beamten zurück in ihren Berufsalltag und haben sehr hohe Aufstiegschancen. Das Lehrpersonal besteht in der Regel aus Professoren. 48 Seite 49 von 119 2.8.3 Inhalte des Gesprächs mit Professor Rong Zhi: Soziales Sicherungssystem Stadtbewohner: Das soziale Sicherungssystem für jeden gemeldeten Bürger der Stadt, setzt sich aus drei Anteilen zusammen: - Arbeitgeberanteil - Arbeitnehmeranteil - Anteil der Stadt Wanderarbeiter: Das soziale Sicherungssystem der Wanderarbeiter, welche in Städte zugezogen sind, setzt sich aus folgenden Anteilen zusammen: - Arbeitgeberanteil - Arbeitnehmeranteil Problematik: Da die Wanderarbeiter nicht die Möglichkeit haben, sich in der Stadt anzumelden, zahlt die Stadt auch keinen Anteil für sie. Zwar Leben und arbeiten sie in der Stadt, aber in China sind die Menschen immer in ihrem Geburtsort gemeldet und versichert. Wenn nicht in diesem Ort leben, Zahlt dieser auch nicht für sie. 49 Seite 50 von 119 Weitere Probleme sind, das der Lohn den Wanderarbeitern jährlich ausgezahlt wird und nicht monatlich. Ähnlich gestaltet es sich mit der Rente. Auch diese wird den Wanderarbeitern bei Rentenantritt ausgezahlt. Die Regierung versucht damit den unkontrollierten Zustrom Menschen aus dem Land in die Städte zu regulieren. An Entsprechenden Reformen wird nach Aussage von Herrn Prof. Rong Zhi aber gearbeitet. Staatliche Hilfsangebote: Es gibt generell für notleidende Menschen Hilfsangebote in Form von Anlaufstellen über die man aber keine Barauszahlung bekommen kann. Hilfe Für Menschen mit Behinderung: Es gibt Heime für Menschen mit Behinderung, allerdings müssen diese Institutionen mit sehr geringer staatlicher Unterstützung auskommen. Es gibt einen staatlich geförderten Behindertenverein, der Fördermaßnahmen anbietet, wie z.B. Bildungsprojekte oder Unterstützung bei der Jobsuche anbietet. Dieser Verein finanziert sich unteranderen auch aus Spenden. Für Menschen die als schwerbehindert eingestuft werden, gibt es eine monatliche finanzielle Unterstützung von 1620,- CNY (ca. 200,- €). Dieser Betrag ist vergleichbar mit dem chinesischen Mindestlohn. 50 Seite 51 von 119 Ein-Kind-Politik: In der Volksrepublik China herrscht generell die Ein-Kind-Politik, die Familien dazu bringt nicht mehr als ein Nachkommen in die Welt zu setzen. Grund Dafür ist die hohe Bevölkerung von 1,3 Mil. Menschen. Familien die sich an dieses Gesetz halten, werden symbolisch durch Gesten, wie z.B. kostenlose Impfungen für die Kinder, entsprechen belohnt. Familien die mehr als ein Kind bekommen, müssen ein Strafgeld von mindestens 1/3 des Jahreseinkommens der Familie bezahlen. Sollte das Strafgeld nicht bezahlt werden, ist es für diese Kinder nicht möglich ins Melderegister aufgenommen zu werden. Das bedeutet, dass die Kinder im Auge des Staates nicht existieren und somit bleiben sie auch frei von jeglicher sozialen Absicherung. Parteimitgliedschaft: Auf die Frage aus unserer Gruppe, ob auch Menschen ohne chinesische Abstammung oder Staatsbürgerschaft Mitglied in der Kommunistischen Partei Chinas werden können, antwortete Herr Prof. Rong Zhi: Ja, Allerdings muss man als Ausländer schon mindestens fünf Jahre nachweislich in China leben. Daraufhin hat man die Möglichkeit, genau wie der Rest der Chinesischen Bevölkerung sich bei der Partei zu bewerben. Nach der Bewerbung wird man weitere drei Jahre beobachtet. Wen die Partei nach dieser Zeit zu dem 51 Seite 52 von 119 Entschluss kommt, das man die sozialistischen Prinzipien der Volksrepublik China entsprechend vertritt, steht der Aufnahme nichts im Weg. 2.8.4 Fazit Die Stimmung unter den Studierenden war vor der Begegnung ein wenig angespannt. Das löste sich allerdings relativ schnell, wenn man von den Kameras und den Mikrofonen an der Decke des Raums einmal absieht. Im Nachhinein war es aber eine sehr informative Begegnung mit einer sehr besonderen Atmosphäre. Herr Prof. Rong Zhi wirkte sehr kompetent und interessiert, allerdings auch sehr kontrolliert. 52 Seite 53 von 119 2.9 Stadtteilentwicklung Shanghais am Beispiel des Bezirks Pudong (Protokoll: Jonas Lehmann, Erich Wiebe, Viviane Schönau) 2.9.1 Ziele und Erwartungen an den Termin Im Rahmen der Exkursion „China im Wandel“ trafen die Studentinnen und Studenten in Shanghai, auf eine Vertreterin des Stadtentwicklungskomitees. Die Delegation der Ostfalia wurde zu diesem Zweck in einem Konferenzraum des Rathauses von Pudong empfangen. Ziel dieses Konvents war es, den strukturellen Wandel, die dynamische Stadtentwicklung und die industriellen Ressourcen Chinas –am Beispiel Pudongs- verständlich nachvollziehen zu können. 53 Seite 54 von 119 Bei einem gegenseitigen Austausch vor und nach dem Termin unter den Studenten kristallisierte sich schnell heraus, dass die Erwartungen vor allem darin lagen, etwas über die sozialen Strukturen und das Miteinander in einem Stadtteil solcher Größenordnung zu erfahren. Der Fokus der Protokollführer lag mehr auf der Planung von Wohnraum und die allgemeine Logistik, welcher einer solchen Metropole bedarf. Bevor darauf eingegangen werden kann, ob die Erwartungen der Studenten erfüllt wurden und welche Erkenntnisse aus diesem Arbeitskreis bleiben, ist es zwingend notwendig das Gespräch mit Frau Jung und den daraus resultierenden Diskurs zwischen ihr und den Studenten schriftlich festzuhalten. 2.9.2 Die Informationsphase Nach einer kurzen Vorstellungsrunde aller Parteien, wurde ein kurzer Image- Film gezeigt. Dabei ging man auf die wichtigsten Industriezweige, öffentliche Transportmittel ebenso ein, wie auf Freizeitgestaltungsmöglichkeiten und Wahrzeichen. Anknüpfend an den visuellen Einstieg, wurde durch die Vertreterin des Stadtentwicklungskomitees mehr auf die Reformen in Pudong eingegangen. Die Stadteile Shanghais werden durch den Fluss Huangpu getrennt. Pudong befindet sich auf der östlichen Seite des Flusses. Auf einer Fläche von 1210 km² leben permanent 5.26 Millionen Menschen. Dabei handelt es sich bei Pudong um einen sehr jungen Stadtteil. Erst 1990 wurden durch staatliche Gremien und zentrale Komitees die Öffnung und der Ausbau Pudongs beschlossen. Vor diesem Entschluss dominierten ländliche Strukturen das architektonische und gesellschaftliche Landschaftsbild des Stadtteils. Doch innerhalb von 20 Jahren fand hier ein Wachstum statt, der sich an den Wolkenkratzern und Prestigeträchtigen Bauprojekten auch optisch wiederspiegelt. 54 Seite 55 von 119 Gestützt und getragen wird diese Entwicklung von der Industrie. Das Wirtschaftswachstum ist atemberaubend und lag seit 1990 durchschnittlich immer bei 20 Prozent. Unternehmen außerhalb Chinas investierten bisher über 40 Milliarden Dollar in den Stadtteil. Dabei gibt es vier Zonen, welche in unterschiedlichen Bereichen angesiedelt sind. Bei der Präsentation wurden zwei Bereiche im Detail besprochen: Finanzzone: Hier finden bereits einige Pilotprojekte statt, welche sich vor allem mit der Öffnung des Finanz- und Kapitalmarktes beschäftigen. Dadurch finden sich bereits international agierende finanzielle Institutionen in Pudong wieder. Mit der Schaffung einer Finanzeingangszone entstand ein Börsenmarkt, der vergleichbar mit Manhattan und Frankfurt am Main ist. Durch Freihandelszonen beginnt sich der Markt in Pudong mehr und mehr zu öffnen. Hightech Park: Im Zhangjiang Hightech Park finden sich Software, Hardware und große Pharmakonzerne wieder. Pharmakonzerne von globaler Wichtigkeit und wirtschaftlicher Größe, erhalten unterstützung von der Regierung, Ist eine Zone von großer wirtschaftlicher Bedeutung und generiert genug finanzielle Ressourcen wird sie als national eingestuft. Dies wiederum bringt ihr Vergünstigungen ein. Dies ist nicht unerheblich für ausländische Unternehmen, die sich in Pudong ansiedeln wollen. 55 Seite 56 von 119 Neben diesen beiden Zonen ist der Tourismus eine aufkommende Einnahmequelle. Auch das ungenutzte Expo Gelände soll für Zeitungen und die Filmindustrie genutzt werden. Dennoch geht der Trend und die zukünftige Aufstellung Shanghais und Pudongs mehr in Richtung Industrie, denn Freihandelszone. Es ist beabsichtigt Auto- und Flugzeugindustrie in Pudong anzusiedeln. 2.9.3 Die Diskussion Nach dieser Input Phase folgte eine Diskussion bei denen die Studenten des 5ten und 6ten Semesters ihre Fragen stellen konnten. Ein aktuelles Problem der Bundesrepublik Deutschland wurde dabei schnell ein Thema. Bei der Frage nach der Regelung von Kindergartenplätzen, wurde erklärt, dass sich eine Nachbarschaft oder Community aus 50.000 Menschen zusammensetzt und dass dabei immer ein Kindergarten zu Verfügung steht. Verbrechen und soziale Unruhen sind in Pudong ein weniger gewichtiges Thema. Die meisten Verbrechen werden nach den Angaben des Stadtentwicklungskomitees von Wanderarbeitern verübt. Dennoch haben andere Themen eine zentralere Bedeutung die auch für die soziale Arbeit Relevanz besitzen. Für die Expertise gibt es spezielle Angebote, Vergütungen und Vergünstigungen um ein Bürger Shanghais zu werden. Für die breite Masse die in Shanghai leben möchte ist dies schwieriger. Zwar besteht die Möglichkeit einer Registrierung, doch erst nach fünf Jahren, einer geregelten Arbeit und einem festen Wohnsitz, kann man ein Bürger Shanghais werden und von den Vorteilen (wie der Zugang zu einem besseren Gesundheits- und Versorgungssystem) profitieren. Es ist also immer schwieriger ein Bürger Shanghais zu werden. In dem Gespräch wurde sehr schnell deutlich, dass der ökonomische Fortschritt über allem stand. Das führte wiederum zu der Vernachlässigung anderer Themen. 56 Seite 57 von 119 Durch die Ein- Kind- Politik entstand ein Phänomen, welches auch Deutschland vor Herausforderungen stellt. Der demografische Wandel ist in China angekommen und stellt die dortige Altenhilfe vor eine Herausforderung. Die Altenhilfe wird durch Gemeindekrankenhäuser die die lokale Alten Verwaltung aufnehmen. reguliert. Teilweise Dabei gibt es sollen auch Seniorenwohnanlagen. Doch diese beiden Konzepte genießen in der Gesellschaft einen schlechten Ruf, da in China die Versorgung durch die Angehörigen, als Ideal angesehen werden. Ein Heimplatz und die Versorgung durch Dienstleiter werden als Schande für den älteren Menschen betrachtet. Doch in Zeiten erhöhter Mobilitätsbereitschaft und der Ein- Kind- Politik wird es immer schwieriger die Versorgung zu Hause und im Kreis der Familie zu sichern. Ein anderes Model ist deshalb vorstellbar. Da die Pension oftmals nicht für die Pflege und die Grundsicherung ausreicht wird ein sozialer Hausbesuchsdienst, als soziales Projekt angestrebt. Um diesen finanzieren zu können, kann die Eigentumswohnung an die Regierung verkauft werden. Dadurch erhält man ein monatliches Entgelt und darf weiterhin in der Wohnung leben. Beim Tod verfällt jedoch der Erbanspruch an die Kinder und der Besitz der Wohnung geht an die Regierung über. Da es in China kein wirkliches Mietrecht gibt in dem die Rechte des Mieters geregelt sind, ist eine Eigentumswohnung wichtig um sozial Abgesichert zu sein. Besitz wird also Existenziell. 2.9.4 Fazit und Reflektion Nach diesem Termin bleibt festzuhalten, Pudong ist das Symbol für ein neues China. Dennoch ist die Öffnung nicht genug. Anstrengungen um die Wirtschaftliche Wichtigkeit auszubauen und zu stärken, werden bereits unternommen. Dennoch 57 Seite 58 von 119 bleibt der Demografische Wandel und die soziale Ungleichheit Shanghais und damit auch Chinas weiterhin ein großes Problem mit dem die Regierung konfrontiert ist. In Dialog mit den Kommilitonen im Anschluss dieses Termins, kristallisierte sich das Meinungsbild eines wertvollen Treffens heraus. Es bleiben die Probleme Chinas und die Lösungsstrategien im Gedächtnis. Dennoch bleibt darauf hinzuweisen, dass der Fokus in manchen Punkten zu sehr auf die Finanzdienstleistung gelegt wurde und Themen wie Bauentwicklung, Schaffung von Wohnraum und nachhaltige Ökologische Konzepte für urbane Ballungsräume zu wenig oder gar nicht angesprochen wurden. 58 Seite 59 von 119 2.10 Interview zu aktuellen gesellschaftlichen Konflikten (Arne Ehlers, Marina Dik ) 2.10.1 Einleitung Das folgende Protokoll behandelt thematisch ein umfassendes Interview unseres Reiseführers und Dolmetschers Herr Chang in Shanghai und spiegelt grundlegende Fakten zu aktuellen gesellschaftlichen Konflikten und Gegebenheiten in China wieder. Dem Protokoll liegt die Exkursion „China im Wandel“ im Rahmen des Moduls 14, Interkulturalität und Internationalisierung zugrunde. An der Exkursion nahmen 19 Studentinnen und Studenten der Fakultät Soziale Arbeit der Fachhochschule Braunschweig/Wolfenbüttel und der Dozent Professor Ludger 59 Seite 60 von 119 Kolhoff teil und führte die Teilnehmer im Zeitraum vom 20.11.2013 bis zum 27.11.2013 nach Peking und Shanghai. Das Interview führte Frau Dik und stützte sich mit ihren Fragen an Herrn Chang auf den Text „Aktuelle gesellschaftliche Konflikte“ von Thomas Heberer und Lothar Scholz. Das Protokoll wurde von mir, Arne Ehlers verfasst. 2.10.2 Interview mit Herr Chang Das Interview führte Frau Dik am 26.11.2013 am Flughafen in Shanghai. Die Fragen bezogen sich auf die Diskussionen, ob China immer noch ein Entwicklungsland sei, was die Regierung in Bezug auf das Bildungsrecht sagt und ob es ein Amt für hilfebedürftige Familien gibt. Desweiteren behandelt das Interview einige Fragen zur 1 – Kind – Politik, dem Demonstrationsrecht und inwiefern Soziale Arbeit in China eine Chance hätte. Die letzte Frage bezieht sich auf die Aussage, dass wirtschaftliche Veränderungen immer Vorteile hätten. Ist China ein Entwicklungsland? Frau Dik erklärt Herr Chang, dass China laut dem Weltentwicklungsbericht 2006 immer noch ein Entwicklungsland sei. Die Autoren Heberer und Scholz belegen dies damit, dass knapp 20% der Bevölkerung in absoluter Armut lebe und sich damit auf dem vergleichbaren Stand des Jemen befände. Dennoch hat China in den letzten 30 Jahren einen ökonomischen Wandel erfahren. Es stellt sich dabei die Frage, ob damit eine soziale Stabilität oder eine Destabilisierung erreicht wird. 1 Herr Chang meint, dass der Aufschwung in den letzten drei Jahrzehnten sowohl in China selbst als auch in den Medien sichtbar würde, aber nicht jeder in der Bevölkerung Chinas davon profitiere. Die Spanne zwischen reichen und armen 1 Vgl. Heberer und Scholz 2009: S. 389. 60 Seite 61 von 119 Menschen sei größer geworden und die Regierung müsse mehr für die Interessen der Bürger eintreten und den entstandenen Unterschied von Arm und Reich verkleinern, so Herr Chang. Herr Chang sagte, dass in der Bevölkerung eine gewisse Unzufriedenheit vorhanden sei, aber niemand Maßnahmen gegen die vorherrschende Korruption bereit halte. Um eine Stabilisierung für die Zukunft zu wahren, sei laut unserem Reiseführer die Hoffnung die größte Kraftschöpfung für Chinesen. Recht auf Bildung In China gibt es wie in Deutschland ebenfalls die Schulpflicht. Dennoch zeige sich auch hier das Einkommensgefälle zwischen Stadt und Land, schreiben Heberer und Scholz, sodass auf Grund der hohen Schulgebühren viele Eltern ihre Kinder nicht zur Schule schicken könnten. 2 Es stellt sich hier die Frage, wie die Regierung gegen den Widerspruch zwischen der Schulgebühr und Schulpflicht angehen möchte. Herr Chang erzählte, dass in China eine Schulgebühr im herkömmlichen Verständnis nicht existiere. Es gebe aber die normalen Kosten für Schulbücher und Heizkosten für die Schulen, die jedoch sehr gering seien. Im Gegenzug würde den Eltern eine Geldstrafe auferlegt, wenn sie ihre Kinder nicht zur Schule schickten. Trotzdem könnten beispielsweise Wanderarbeiter ihre Kinder nicht in die Schule schicken, da die Kosten für Menschen mit Niedriglöhnen zu hoch wären. Unser Dolmetscher Chang räumt ein, dass die Familien, die in abgelegenen Gebieten Chinas wohnen teilweise nicht die Schulpflicht wahrnehmen könnten, doch das wäre eine Seltenheit. Chang erklärte desweiteren, dass eine Unterstützung seitens der Regierung mittels Erlass der zusätzlichen Kosten für Bücher erfolge. Eine zusätzliche Lösung die Herr Chang angibt und die seiner Meinung nach auch seitens der Regierung gewollt sei, um weite Schulwege zu verhindern, wäre das 2 Vgl. Heberer und Scholz 2009: S. 389. 61 Seite 62 von 119 Erbauen von Wohnheimen nahe der Schule, in dem die Kinder unter der Woche wohnen und schlafen könnten. Eine weitere Schwierigkeit für abgelegene Gegenden würde der Mangel an Lehrern sein, die wegen zu geringen Lohns und der Abgeschiedenheit der ländlichen Gegenden dort nur ungern arbeiten. Gibt es Ämter die sich um Familien in Not kümmern? In Deutschland gibt es Organisationen wie das Sozialamt an das sich eine sozial schwache Familie wenden kann, wenn sie die Finanzierung ihrer Wohnung und des Lebensunterhalts nicht gewährleisten können. Wir haben Herr Chang gefragt, ob es so eine Organisation auch in China gibt. Chang erklärt die Versorgung von ärmeren Menschen anhand einer geringen finanziellen Stütze, die vor allem in den Großstädten Chinas vorhanden sei. In Shanghai betrage der monatliche Grundsatz 1620 Yuan, den Arbeitslose vom Staat für zwei Jahre erhalten würden. Ältere Menschen die keine Kinder haben, bekommen von der Regierung ebenfalls einen sehr geringen Geldbetrag der zumindest zur Finanzierung des Unterhalts sorge. Das in Deutschland bekannte Wohnungsgeld existiere in China nicht meinte Herr Chang, da 90% der Chinesen in der Regel mit mehreren Familien zusammen wohnen würden. Fragen zur 1 – Kind – Politik Wegen der 1 – Kind – Politik gelten Kinder als Besonderheit und würden verwöhnt, meinte unser Dolmetscher. Das Geld wird quasi in das Kind finanziert. Wie verfahren Familien, wenn ein Kind in einer Leistungsgesellschaft nicht den Erwartungen entspricht? Herr Chang erklärt, dass Eltern das Recht nutzen ihr Kind zu bestrafen, da der Konkurrenzdruck nicht mit dem vorherrschenden Druck in anderen Ländern vergleichbar sei. Dies resultiert aus der in China vorherrschenden Situation, dass es zu wenige Ausbildungsmöglichkeiten auf zu viele Menschen verteilt gibt, die die Chance nutzen wollen eine gesicherte Zukunft zu haben. So 62 Seite 63 von 119 kommt es auch oft vor, dass Kinder von ihren Eltern geschlagen werden. Allerdings zeigte Herr Chang auf, dass Lehrer seit Anfang des Jahres 2000 die Schüler nicht mehr schlagen dürften. Zum Demonstrationsrecht Aufgrund dieser sehr strengen Regeln die in der Gesellschaft vorherrschen, könnte es auch sein, dass einzelne Jugendliche und Studenten sich gegen das System auflehnen wollen, da sie sich zu bedrängt fühlen. Unser Reiseführer und Dolmetscher gibt das Recht zu demonstrieren an, was in China ab dem 18. Lebensjahr gilt. Proteste seien in China allerdings ein sehr empfindliches Thema erklärt Herr Chang, da man diesen erst anmelden müsse und die Genehmigung dazu praktisch nie erfolge. Soziale Arbeit in China – Ein Wunschdenken? Bei dem Besuch der Tongje – Universität sah man, dass es in China das Studienfach Soziale Arbeit nicht gibt. Dies warf die Frage auf, ob es irgendwann möglich sei, eine gewisse Kernstruktur einer sozialen Arbeit in China zu verankern. Unser Reiseführer Chang hofft für die Stabilität der Gesellschaft eine Etablierung der Sozialen Arbeit, doch dies sei momentan noch schwer. Für ein „Wohlgefühl“ in der Gesellschaft könnte das Studienfach sehr wichtig sein meinte Herr Chang, doch er stimme zu, dass die gesellschaftlichen Strukturen in China noch nicht bereit für ein professionelles Sozialwesen seien. Sind Wirtschaftliche Veränderungen immer gut? Der Aufschwung in den letzten Jahren hat das Bewusstsein vom Wohlstand gebessert, aber auch zum Verlust der Denkweisen über Traditionen geführt, Arbeitslosigkeit verursacht und zu mehr Unsicherheit in der Bevölkerung geführt. 63 Seite 64 von 119 Was kann die Regierung machen, damit die Unsicherheit verschwindet? Herr Chang erklärte eindringlich, dass der wirtschaftliche Aufschwung in der chinesischen Politik in den letzten 30 Jahren der wichtigste Eckfeiler gewesen sei und die Wirtschaft jetzt an einen Punkt angekommen wäre, an dem sie eigentlich etwas mehr in den Hintergrund rücken solle. Ein Kernthema das dabei unumgänglich wäre, sei die Diskussion um die Rentenversicherung. Es gebe nachwievor ein starkes Gefälle zwischen der Rente eines Beamten und eines Arbeiters und jenes Gefälle müsse angeglichen werden. Eine Besserung gebe es seit Anfang dieses Jahres für die Bauern. Chang gibt uns das Beispiel einer speziellen Krankenversicherung, die nur für Bauern eingeführt wurde. So würden bei Arztbesuchen 60% der Kosten von der Versicherung gezahlt und nur noch 40% von der betroffenen Person selbst. Auf Grund solcher Maßnahmen wolle die Regierung dem Volk ein gewisses Maß an Sicherheit geben doch bis grundlegende Änderungen durchgesetzt werden, würde es noch dauern. Literaturverzeichnis Heberer, Thomas u.a. (2009): Aktuelle gesellschaftliche Konflikte. China verstehen lernen. Bonn 2009: bpb 64 Seite 65 von 119 3. Hausarbeiten zur Nachbereitung der Exkursion 3.1 Auswirkung von Mao Zedong auf die chinesische Gesellschaft (Valerie Schierenbeck) 3.1.1 Einleitung Mao Zedong „Das böse Genie der Revolution“, war erfolgreich und ebenso grausam wie Chinas erster Kaiser. Dank ihm ist China bis heute eine Volksrepublik. Mao Zedong oder auch Mao Tse-tun genannt, war Chef der kommunistischen Partei und erlangte nach und nach die Herrschaft des Landes. 55 Millionen Menschen starben durch Maos Revolutionskriege und brutalen Kampagnen in denen er sogar die Bürger Chinas gegeneinander aufhetzte. 3 Die Geschichte Chinas wird immer mit Mao Zedong in Verbindung gebracht werden, so betonte es auch im Oktober 1921 der Kaiser „Haile Selassie“ von Äthiopien: „Wer immer heute von China spricht, erwähnt im nächsten Atemzug auch seinen großen Führer, den Vorsitzenden Mao Tsetung. Denn das Leben des Vorsitzenden Mao spiegelt die wesentlichen Begebenheiten der Geschichte des Neuen China wider. Es kommt nicht oft vor, dass ein einzelner die Geschichte seines Volkes so entscheidend prägt.“ 4 Im Folgenden, wird in dieser Ausarbeitung über das Leben des Mao Zedongs berichtet, wie er es vom Bauernsohn zum kommunistischen Revolutionär geschafft hat. Daraufhin folgen eine Vertiefung seiner 3 4 GEO Epoche Nr.51, S. 3 + 7 Suyin, H., S.7 Z.:3-8 65 Seite 66 von 119 Machtergreifung von China, sowie eine Beschäftigung mit den entsprechenden Revolutionen wie „Der große Sprung nach vorn“ und die „Kulturrevolution“. Anschließend, wird die Wirkung auf die chinesische Gesellschaft von Mao Zedongs politischem Handeln näher erläutert. Letztlich wird die Ausarbeitung mit einem Fazit und einer persönlichen Stellungnahme beendet. 3.1.2 Vom Bauernsohn zum kommunistischen Revolutionär Am 26. Dezember des Jahres 1893 wurde Mao Zedong in Schaoschan Tschung, der Provinz Hunan, geboren. Zu dieser Zeit herrschte amtlich der „Kaiser Guangxu“, der mandschurischen Qing-Dynastie, über China. Tatsächlich besaß jedoch seine Tante, die Kaiserwitwe „Ci Xi“, die Macht. 5 Mao wuchs in einer Bauernfamilie als Ältester von 8 Geschwistern auf. Von den acht Geschwistern, erreichten drei das Erwachsenenalter, vier von ihnen starben bereits im Kindsalter. Schon als Kind, wurde Mao mit den Tätigkeiten eines Bauern vertraut gemacht, er musste die Schweineställe ausmisten, bei der Bohnen- und Reisernte helfen, Unkraut jäten, die Büffel tränken und striegeln sowie Holz für Holzkohle beschaffen. In der Schule sträubte sich Mao oft gegen die Lehrer und wollte, beispielsweise bei Aufforderung, nicht aufstehen und floh wenn der Lehrer ihm mit Prügel drohte. Diese Eigenarten von dem jungen Mao hinterließen Eindrücke, er organisierte und leitet Schülerrevolten und korrigierte Lehrer in ihrem Verhalten, wenn dies nicht Maos Vorstellungen entsprach. Sein enormer Gerechtigkeitssinn sowie die Diskussionslust und seine Hartnäckigkeit, wenn er seiner Ansicht nach im 5 Wemheuer, F., S.15 66 Seite 67 von 119 Recht war, charakterisierten Mao Zedong schon im jungen Alter. 6 Zu Maos Schulzeit herrschten in der Provinz Hunan Aufstände, die Bauern rebellierten und die Kriminalitätsrate stieg. Mit sechszehn Jahren verließ Mao, gegen den Willen seines Vaters, das Elternhaus und lernte an dem "Xin Xiang-Internat" viel über das Land China. 7 Im September 1927, wurde Mao zum ersten Mal gefangen genommen, er hatte in der Provinz Hunan und Kiangsi einen Herbstaufstand veranlasst. Bevor Mao hingerichtet werden sollte, gelang ihm die Flucht. Wenig später verbündete sich Mao mit fast 1000 Kommunisten und wanderte in die Berge von Yingangshan, hier startete Mao den Wiederaufbau. Zu der sogenannten „Roten Armee“, die zum späteren Zeitpunkt aus ca. 8000 Bauern, Soldaten und Banditen bestand, stieß im Jahre 1928 der Verbündete „Zhu De“ dazu. Zhu De war zu der Zeit ernsthafter Kommunist und füllte die Rote Armee mit fast 2000 Mann. Auf einem Marsch stießen Mao, Zhu De sowie die Rote Armee auf die KTM (Kuomintang Chinas oder auch Nationale Volkspartei Chinas) und verloren knapp 2000 Mann. 8 Angesichts der Tatsache, dass Mao drei Regeln aufstellte, erlangte er die Aufmerksamkeit der Bürger. Regel 1: „Strikter gehorsam bei allen Handlungen“ Regel 2: „Den Massen darf nicht einmal eine einzige Nadel oder ein Stück Faden genommen werden.“ Regel 3: „Sämtliche Beute muss abgegeben werden.“ Anhand der folgenden Verhaltensformen, die Mao veröffentlichte, wurde er berühmt sowie beliebt bei dem Volk. Suyin, H., S.15, 23-25 Rowohlt Taschenbuch, S.9,12 8 Rowohlt Taschenbuch, S.69-73 6 7 67 Seite 68 von 119 Sprich höflich. - Zahle für alle Käufe einen angemessenen Preis. - Gib alles Entliehene zurück. - Zahle für jeglichen Schaden. - Die Leute dürfen nicht geschlagen oder beschimpft werden. - Die Ernte darf nicht beschädigt werden. - Frauen dürfen nicht belästigt werden. Gefangene dürfen nicht misshandelt werden. 9 Durch diese Regeln und Verhaltensformen, die durch Mao aufgestellt und preisgegeben wurden, gelang ihm die Macht und die volle Aufmerksamkeit von einem großen Teil der chinesischen Gesellschaft. 3.1.3 Mao: die Machtergreifung über China 3.1.3.1 Der große Sprung nach vorn (1957 – 1964) In den Jahren von 1957 – 1964 starben 30 Millionen Menschen durch Hungersnot. 90 Millionen wurden Stahlarbeiter, sie verrichteten massiv schwere Arbeit um Stahl zu gewinnen. Mao versprach ihnen, dass auf drei Jahre harte Arbeit 10.000 Jahre Glück folgen würde. 10 Der große Sprung wurde von der Ökonomie hergerufen, wie bereits von Mao Zedong in seiner Arbeit: „Über die richtige Behandlung der Widersprüche im Volke“, in dieser er darauf hinwies: „Wenn unsere Landwirtschaft im zweiten und dritten Planjahrfünft eine noch größere Entwicklung erfahren kann und sich dementsprechend die Leichtindustrie noch breiter entwickelt, wird das der gesamten Volkwirtschaft von Nutzen sein.[…]“ 11 Die Bauern schufteten hart für die Landwirtschaft, der Landwirtschaftsminister bestärkte die Bauern und Bürger indem er sagte, dass die Landwirtschaft eine wichtige Quelle der Rowohlt Taschenbuch, S.75 Nicolai, J., Spiegel TV Reportage 11 Matthiessen, G., S.82, Z.9-13 9 10 68 Seite 69 von 119 staatlichen Kapitalbildung sei und ein Großteil der Steuereinnahmen sowie der Gewinn der staatlichen Industrie-, Verkehrs-, und Handelsunternehmen aus der Weiterverarbeitung von Agrarprodukten hervorgeht. 12 Ziel des „großen Sprungs“ war es, dass die Landwirtschaft von 35% um das 2,5fache ansteigen sollte. Darüber hinaus, sollte der Große Sprung jedes Jahr wiederholt werden und kein einmaliges Geschehen sein. In dem Zeitfenster von 1957 – 1958 gelang den Bauern eine Ernte an Nahrungsmitteln, die von 185 Millionen Tonnen auf 375 Millionen Tonnen gestiegen war. Nun verlangte man von den Bauern eine Ernte, die deutlich mehr Gewicht haben sollte, einen Anstieg um 150 Millionen Tonnen auf 525 Millionen Tonnen, im Jahre 1959. Das Prinzip der Regierungsform bestand darin, dass sich die Bauern auf die eigenen Kräfte verlassen sollten, die der Produktionseinheiten zu Gute kommen sollte. Soziale Ansprüche des Volkes wurden gedrosselt, materielle Anreize und Interessen kritisierte man als Ökonomismus, dieser jedoch wurde in der Kulturrevolution zu einem Hauptgrund des Angriffs auf das Staatsoberhaupt „Liu Schao-t`schi“, der 1959 Maos Rücktritt anpeilte. 13 3.1.3.2 Die Kulturrevolution Aufgrund der Tatsache, dass „Yao Wen-yüans“ den zweiten Bürgermeister Pekings „Wu Han“, angeblich auf Maos Anweisung, angriff, begann die Proletarische Kulturrevolution offiziell im November 1965. „Yao Wen-yüans“ 12Matthiessen, 13 G., S.82 Matthiessen, G., S.87-88 69 Seite 70 von 119 warf „Wu Han“ vor, er hätte in seinem historischen Drama „Hai Jui wird seines Amtes enthoben“, alle aufgefordert von dem Beamten „Hai Jui“ zu lernen und den Bauern das Land zurückzugeben. Die Angriffe auf das Stadtparteikomitee in Peking verdeutlichten, dass das unmaoistische Denken im Mittelpunkt stand. Dieses Denken herrschte in einem Gebiet, welches besonders von der Kulturrevolution betroffen war, in der Erziehung und der Künste. Anfang Juni 1966 überflutete die „Säuberungswelle“ die Zeitungsredaktionen, die Parteikomitees, die Propagandaabteilungen und die Hoch-, Fach-, und Mittelschulen. Während Autoritätspersonen an diesen Institutionen ihre Macht verloren, richteten sich Schüler und Studenten, herausragend diejenigen, die sich hinsichtlich des Erziehungssystems benachteiligt fühlten, auf. Aktiv waren besonders die Schüler, dessen Hochschulzukunft ungewiss war, sie wiesen zwar die richtige Herkunft, dennoch aber nicht das nötige Wissen auf. Deutlich wurde, dass das zweite Stadium der Kulturrevolution unter der Macht der Jugend stand. 14 Es wird davon ausgegangen, dass die Schüler der Pekinger Ch’inghua-Universität die „Rote Garde“ gegründet haben. Aufgrund der Aufschiebung, um ein halbes Jahr, aller Universitätsaufnahmeprüfungen am 18. Juni 1966 des Zentralkomitees der kommunistischen Partei Chinas und des Staatsrats, stieg die jugendliche Teilnahme an der Kulturrevolution. Zudem wurde erkannt, dass die Zensuren, bei dem alten Erziehungssystem, deutlichen Vorrang gehabt hätten und nun die Massenlinien im neuen Bildungssystem herrschen würden. Dieses Ergebnis, regte die linksorientierten Jugendlichen an, mit dem Strom der Kulturrevolution zu schwimmen, auch, wenn sie nicht linksgerichtet waren. Die Jugendlichen fühlten sich von dem Erziehungssystem betrogen, sie rebellierten und rächten sich nun an den 14 Hsia A., S.163-164 70 Seite 71 von 119 herrschenden Autoritätspersonen. 15 Die Revolutionäre Jugend geht mit Spitzhacken, Brecheisen und Hämmern gegen Chinas Vergangenheit vor und schlägt einer Buddha-Statue im Garten des Kaisers den Kopf ab. Vom Stadttor bis zum Palast Pekings, wurden durch die Jugendrebellen 4922 von 6843 historische Denkmale zerstört. Die Kulturrevolution erreichte ihren Höhepunkt, die Jugendlichen setzten Kirchen, Tempel, Museen und Archive in Brant. Auch in Shanghai rebellieren Gruppen in den Fabriken, fordern höhere Löhne, bezahlten Urlaub und bessere Arbeitsbedingungen. Mao war fortan begeistert und lobte die Kulturrevolution sowie den Klassenkampf. 16 „Doch dann eskalierte die Gewalt in den Provinzen. Denn im revolutionären Chaos kann sich jeder zum Rebellen erklären. Schüler, Arbeiter, Anhänger der alten Kader, Studenten aus linientreuen Elternhäusern und Kinder bürgerlicher Familien: Alle gründen eigene Rebellentruppen. […]Jetzt entgleitet Mao die Revolution.“ 17 Es entstanden unkontrollierte Machtkämpfe in den Städten, gegen Gruppen die beliebte oder erfolgreiche Parteiarbeiter in Schutz nahmen. China steht im Januar 1967 vor dem Bürgerkrieg. Mao wollte mit der Kulturrevolution bezwecken, dass die Jugend rebelliert und predigte: „Ohne Zerstörung kann nichts Neues entstehen!“ Die Folge sind Millionen Tote sowie eine verlorene Revolution. 18 3.1.4 Wirkung auf die Gesellschaft in China nach Maos Tod Hsia A., S.167-170 GEO Epoche Nr.51, S.122 17 GEO Epoche Nr.51, S.122-123, 3.Spalte, Z.22-32 18 Nicolai, J., Spiegel TV Reportage 15 16 71 Seite 72 von 119 Am 9. November 1976 starb Mao Zedong im Alter von 82 Jahren in Peking. Nach seinem Tod hinterlässt Mao viele trauernde Menschen und mehr als 55 Millionen Tote, die durch Kriege und Revolutionen ihr Leben opferten. Eine weitere Revolution, war für die chinesische Gesellschaft zu diesem Zeitpunkt undenkbar. Ende 1970, markierte die Ausgabe der Parole von den „Vier Modernisierungen“, Landwirtschaft, Industrie, Militär, Wissenschaft und Technik, sowie der Beginn der Reform- und Öffnungspolitik, eine neue Ära in der Geschichte der Volksrepublik China. Mao hinterließ ein Volk, welches aufgewühlt und teilweise hilflos war. Nachteile und Mängel der Reformpolitik, wurden in dieser Zeit umso stärker erkannt und empfunden. Zahlreiche Proteste, folgten Aufgrund wachsender Ungerechtigkeit, Korruption und ausbleibender politischer Reform. Diese Proteste fanden im Frühjahr 1989, auf dem Tiananmen-Platz in Peking statt. Ziel dieser Proteste waren unter anderem, Demokratie, Meinungsfreiheit sowie Pressefreiheit. Die Gesellschaft in China war stark besorgt um die weitere Politik der kommunistischen Partei Chinas, da besonders zu jener Zeit gewaltsame Demonstrationen aktuell waren. Sowie der Sturz zahlreicher Reformen als auch das veränderte gesellschaftliche Klima in China, konnte erst 1992 „Deng Xiaoping“ anhand seiner erfolgreichen „Reise in den Süden“ auffangen. „Deng Xiaoping“ untersuchte im Süden Chinas die Sonderwirtschaftszonen und lobte die Modernisierungspolitik sowie die Forderung weiterer Reformen. Des Weiteren, bestärkte die Rede einer „sozialistischen Marktwirtschaft“ Chinas Vertrauen in die Weiterführung der Reformpolitik und verlieh Chinas „Wirtschaftswunder“ weiterer Energie und Kraft. 19 19 Grosse-Ryuken, J., & Scholz, L., S.302-303 72 Seite 73 von 119 3.1.5 Fazit und persönliche Stellungnahme Mao – der Rote Kaiser, hat viel Gutes und viel Böses über China gebracht. Er wurde von seinem Volk vergöttert und verehrt, dies zeigt der folgende Slogan deutlich: „Wenn wir Maos Anweisungen verfolgen, gewinnen wir – wenn nicht verlieren wir.“ Mao Zedong wurde von der chinesischen Gesellschaft als Gott gefeiert. Es entstanden sogar Lieder zu Ehren Mao, „…und Mao lässt sich von Untertanen huldigen, der Osten ist Rot die Sonne geht auf, China hat Mao Zedong hervorgebracht, er plant Glück für das Volk – hurra! Er ist der große Erlöser des Volkes.“ Seine Biografie ist allerdings bemerkenswert, Mao Zedong oder auch Mao Tse-tung geschrieben, war von 1943-1976 Vorsitzender in der Kommunistischen Partei Chinas und von 1949-1954 Vorsitzender der Zentralen Volksregierung sowie 1954-1959 und somit wohl Höhepunkt seiner politischen Karriere, Staatspräsident der Volksrepublik China. Nach ihm wurde zudem der „Maoismus“, eine politische Bewegung, benannt. Wie bereits erwähnt wurde Mao von der chinesischen Bevölkerung vergöttert und verehrt. Dies zeigt, meiner Meinung nach, dass ein großer Teil der Gesellschaft an Maos politischen Handeln geglaubt und auch profitiert haben muss. Mittels seiner aufgestellten Regeln und Verhaltensformen, sprach er der Nation „aus der Seele“ und gewann so die Herzen Chinas für sich. Ich bin der Meinung, dass Mao seine idealistischen Ziele zu hartnäckig verfolgt hat und dass er blind vor Macht und Erfolg war. Letztendlich starben indirekt mehr als 55 Millionen Menschen durch die Kriege und Revolutionen die er hervorgerufen hat. Trotz dieser vielen Morde, liebten ihn die Menschen in China und sahen ihn als Vorbild und „Erlöser“ oder „Retter“. Hinzuzufügen ist, dass sich am Tage seiner Trauerfeier 500 000 Chinesen, auf dem „Platz 73 Seite 74 von 119 des himmlischen Friedens“ in Peking, versammelten und Mao ihre letzte Ehre erwiesen. Ich selbst war letztes Jahr, Ende November 2013, von meiner Hochschule aus in Peking und Shanghai. Dies war ein einzigartiges und prägendes Erlebnis. Als ich den „Platz des himmlischen Friedens“ sah und betrat, war mit nicht bewusst welche Bedeutung er für dich Chinesen hat. Auch, als ich die Grabstätte von Mao Zedong besichtigt habe, wurde mir nicht klar, aus welchem Grund dieser Mann immer noch so verehrt und geschätzt wird. Nun, nach meiner Ausarbeitung über sein politisches Handeln, wird mir deutlich bewusst, dass er China in schweren Zeiten gerettet und geholfen hat. Er gab den Menschen in China Hoffnung und setzte, für ihn realistische, Ziele. Mao wollte durch sein Handeln eine ganz neue Gesellschaft erschaffen, ein neues China. Abschließend möchte ich noch erläutern, dass Mao Zedong maßlos im Streben nach absoluter Herrschaft war. Er ließ sich behandeln wie ein Kaiser und lebte gut behütet in seinen Herrenhäusern, unter anderem mit dutzenden jungen Konkubinen. Meiner Meinung nach, ist es tragisch, dass Mao nie zur Rechenschaft gezogen werden konnte. Zudem sollte man sich vor Augen halten, dass China ein Land ist in dem immer noch viel Gewalt, Kriminalität und Sklaverei herrscht, sowie 150 Millionen rechtlose Wanderarbeiter besitzt. Dies, gibt mir zu glauben, dass China noch immer reichlich aufzuarbeiten hat, sowohl in der Politik als auch auf der sozialen Ebene. 3.1.6 Literaturverzeichnis 74 Seite 75 von 119 GEO Epoche Nr. 51 „Das China des Mao Zedong 1893-1976“, Gruner + Jahr AG & Co KG, Druck- und Verlagshaus, Hamburg Grosse-Ryuken, J., und Scholz, L., „Geschichte Chinas“, bpb, 2009 Hsia, A., „Die chinesische Kulturrevolution“, Hermann Luchterhand Verlag GmbH, Neuwied und Berlin, 1971 Matthiessen, G., „Kritik der philosophischen Grundlagen und der gesellschaftspolitischen Entwicklung des Maoismus“, Phal-Rugenstein Verlag, Köln, 1973 Rowohlt Taschenbuch, "Mao für Anfänger", Rowohlt Taschenbuch Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg, 1980 Suyin, H., „Die Morgenflut“, Diana Verlag Zürich, 1972 Wemheuer, F., „Mao Zedong“, Rowohlt Taschenbuch Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg, 2010 Quellenverzeichnis Nicolai, J., „Mao – der lange Marsch zur Macht“, Spiegel-TV, Hamburg, 2008 75 Seite 76 von 119 3.2 Zur Stellung der Frau in China im 20. Jahrhundert (Farina Albrechtsen) 3.2.1 Einleitung „ Man wollte mir sehr oft einen Mann vermitteln. Aber ich bin doch kein Produkt, das man auf dem Markt anbietet...In unserer Gesellschaft haben unverheiratete Frauen ein negatives Image. Sie entsprechen nicht dem typischen traditionellen Frauenbild...Ich bin gar nicht neidisch auf die verheirateten Frauen. Nicht wenige haben mir gesagt: „Verheiratet zu sein ist wie in einem Käfig. Die draußen stehen, wollen rein, die drinnen sind, wollen raus.“ Aber sie sagen auch: „ Wir sind nicht stark genug. Wir brauchen den Halt der Gesellschaft. Wir könnten dem Druck allein nicht standhalten.“... In China sind auch heute noch viele Frauen nicht aufgeklärt. Sie wissen nichts über ihren Körper, geschweige denn über Sexualität.... Eine Freundin hat mir erzählt. Einige hätten ihr gesagt, die Männer seien wie Tiere. Sie hätten große Angst vor dem Abend. Oft hätten sie ein Gefühl, als würden sie vergewaltigt.“ Dieses Zitat einer unverheirateten chinesischen Frau aus dem 20. Jahrhundert lässt erahnen, welche Unsicherheit, Angst, und Wertlosigkeit Frauen Chinas im 20. Jahrhundert spürten. Natürlich gehören die verkrüppelten „Lotusfüße“ und die Kinderheirat der Vergangenheit an, jedoch sind andere Ideale und Verhaltensweisen auch im 20. Jahrhundert noch tief in der chinesischen Kultur verankert. Hierzu zählen die durch die Eltern arrangierten Eheschließungen, die Keuschheit oder der Zwang gewisse Gewänder tragen zu müssen. Die Geschichte der Frauen im 20. Jahrhundert lässt sich nur sehr lückenhaft darlegen, da die Männer in China das öffentliche Leben beherrschten. Als erkenntnisleitende Fragestellung soll im Fokus dieser Arbeit der Frage nachgegangen werden, welche Stellung die Frau im 20. Jahrhundert einnimmt und 76 Seite 77 von 119 wie sich diese von der Stellung der Frau in der Geschichte Chinas unterscheidet. Darüber hinaus soll der Frage auf den Grund gegangen werden, welchen Einfluss die Ein-Kind-Politik auf die Stellung der Frau in China im 20. Jahrhundert hatte. Um die Stellung der Frau im 20. Jahrhundert adäquat bearbeiten zu können, scheint es unumgänglich, sich zunächst einmal mit der Geschichte Chinas zu beschäftigen, um anschließend ein Verständnis für die politischen Gegebenheiten des 20. Jahrhunderts erreichen zu können und der Leser nachvollziehen kann, wie es zu ihrer Entstehung kommen konnte. Daraufhin wird die Rolle der Frau in den Fokus genommen, um die Veränderung der Stellung der Frau darlegen zu können. Demnach beginnt der Hauptteil der Arbeit, indem sich mit der Stellung der Frau Chinas im 20 Jahrhunderts beschäftigt wird. Hierbei gibt es eine Unterteilung in eine familiäre- eine sozio-kulturelle- und eine politische Sphäre. Im anschließenden Fazit wird ein Ausblick auf die heutige Situation Chinas und die Stellung der Frau im 21. Jahrhundert gegeben. Außerdem werden die wichtigsten Aspekte noch einmal zusammengefasst und auf noch offenstehende Fragen eingegangen. 3.2.2 Geschichtlicher Hintergrund Die 20000-jährige Geschichte Chinas, die durch einen ständigen Wandel geprägt ist, wurde vor allem im 20. Jahrhundert als Belastung empfunden. Hieraus ergibt sich eine große Herausforderung für China, seine eigene Geschichte zukünftig als ein Teil der Menschheitsgeschichte deuten zu können. Das Reich Chinas ist in seiner Geschichte durch eine Vielzahl von Dynastien, Religionen, sowie verschiedenste Wirtschafts- und Lebensweisen geprägt. Das heutige China ist ein zusammengesetztes Konstrukt, welches mit den Jahren immer wieder neue Gesichter zeigte und oftmals knapp vor einer Auflösung stand. Das heutige China wirkt trotz allem einheitlich. Dies ist einer einheitlichen Schriftkultur zu verdanken, die zunächst einmal durchgesetzt werden musste, aber eine enorme Kraft besaß. Sie half über all die schwierigen Jahre hinweg, die Idee einer „Kultur-Chinas“, trotz 77 Seite 78 von 119 gravierender politischer Zustände. Sie unterstützte diese Idee nicht nur, sondern gab ihr Flügel, um sich zu entfalten. Drei Punkte sind grundlegend dafür, dass von einer mehrere tausend Jahre alten Geschichte Chinas gesprochen werden kann. Zum einen ist es für China seit dem Eintritt in die Weltgesellschaft unerlässlich, auf die lange Standhaftigkeit seiner Kultur verweisen zu können. Ebenso ist es entscheidend, dass China sowohl von außen, also seinen Nachbarn, als auch seit dem 16. Jahrhundert aus Sicht Europas, als ein Reich gesehen wird, welchem eine lange Geschichte zugrunde liegt. Drittens liegt im Reich China eine starke Tendenz zur Integration und Einheit vor. Somit sprechen wir von einer chinesischen Integrationsdynamik. Die Vergangenheit Chinas ist bis heute wirksam, sie ist grundlegend für alle Chancen und Risiken der Gegenwart und ohne eine Beschäftigung mit der Geschichte Chinas sind diese nicht zu verstehen. Aufgrund dessen findet zunächst einmal die allgemeine Historik Chinas Erwähnung. Daraufhin wird auf die Rolle der Frau in der Geschichte eingegangen und erst dann kann eine tatsächliche Bearbeitung der Stellung der Frau in China im 20. Jahrhundert von statten gehen. 3.2.2.1Allgemeine Historik Chinas Um. ca. 5000 v. Chr. siedelten sich die ersten neolithischen Stämme und Völker in China an. Hierzu zählen beispielsweise die Majiayao-, die Yanshao- oder auch die Xinle Kultur, welche alle die Gemeinsamkeit besaßen, ein sehr hohes technisches Niveau aufzuweisen. So lässt sich anhand von Ausgrabungen darauf schließen, dass diese Kulturen bereits hochwertige Keramik, Werkzeuge, Seide und Webinstrumente produzierten und zu Bronzetechniken in der Lage waren. Seit 2000 v. Chr. kann von der Durchsetzung einer Leitkultur gesprochen werden, die tatsächlich den Kern der chinesischen Zivilisation bildete und grundlegend für die spätere Shang-Dynastie und Herrschaftsbeziehungen war. Im Altertum, ca. 2000 v. Chr., entwickelte sich aus den Ur-Völkern in der nordchinesischen Ebene eine 78 Seite 79 von 119 hochdifferenzierte Bronzekultur. Diese wird mit dem Namen der Xia- Dynastie und dem der folgenden Shang-Dynastie in Verbindung gebracht. In dieser Kultur war bereits eine eigene Schrift vorhanden, sowie die Technik der Metallverarbeitung bekannt. Die Kultur blieb stets stabil, da sie sich in allen Erneuerungsphasen immer wieder an Ordnungsvorstellungen orientierte, die mit dem Reichsgedanken verknüpft waren. So haben selbst die Modernisierungsprozesse des 20. Jahrhunderts und die Kulturrevolution hieran keine Veränderungen hervorrufen können. Diese kulturelle Vielfalt bei gleichzeitiger politischer Zentralisierung ist bis heute das Geheimnis Chinas. In der Bronzezeit startet in China die Zeit der Dynastien, wobei die bereits erwähnte Shang- Dynastie die Erste bildete und ca. vom 16. - 11. Jahrhundert existierte. 1045 v. Chr. wurde diese von der ZhousDynastie abgelöst, unter welcher sich die Schrift und die Kultur Chinas ausschlaggebend weiterentwickelt und sogar erste Bücher entstanden. Es folgte eine Teilung der Zhous-Dynastie. Gebietsansprüche mit festgelegten Grenzen in dieser Zeit formuliert, da einzelne Teilstaaten sich gegeneinander durch Wälle oder auch Verteidigungslinien abgrenzten. Teile dieser Grenzen finden sich in der später entstandenen „Großen Mauer“ wieder. 722-481 v. Chr. begann die Zeit der „Wandernden Philosophen“, welche besonders durch Konfuzius geprägt wurde. Der Weg zur Hochkultur begann dadurch, dass das politische Denken ausgeformt wurde. In der Periode zwischen 403 bis 221 v. Chr., die sich die „Streitende Reiche“ nannte, endete das Altertum und ein Einheitsreich unter der Zhous-Dynastie entstand. 221. v Chr. wurde die Quin-Dynastie ins Leben gerufen, die 14 Jahre andauerte und in deren Verlauf sich ein Einheitsstaat bildete. Infolgedessen entstand das zentralisierte bürokratische China. Darauf folgte die Han-Zeit, in welcher die Konsolidierung des Kaisertums, sowie die Sicherung des zentralistischen Staatsmodelles eine große Rolle spielten. Außerdem wurde diese Zeit von Kämpfen zwischen Hunnen und Mongolen beeinflusst. Die Zeit der HanDynastie erstreckte sich in drei Perioden von 206 v. Chr. bis 220 n. Chr. In dieser Zeit war die Lehre Buddhas nach China über den See- und Handelsweg 79 Seite 80 von 119 gekommen. Ende des 3. Jahrhunderts. n. Chr. erfasste der Buddhismus den größten Teil der chinesischen Gesellschaft. Religiös-soziale Bewegungen häuften sich, Rebellen forderten einen neuen Herrscher und damit einhergehend einen Dynastiewechsel. 184 n. Chr. wurden diese Aufstände niedergeschlagen. Im Folgenden entstanden verbreitet über das gesamte Land starke Unruhen. Dies führte wiederum bei einzelnen Feldherren zu einer enormen Machtvergrößerung, so dass diese sich zu einer Bedrohung der Dynastie entwickelten, die daraufhin zerbrach. 265 n. Chr. entstand die Jin-Dynastie, welche jedoch schnell wieder zerbrach und ein Riesenreich in zwei Teilen entstehen ließ und aus fünf parallel laufenden Dynastien zusammengesetzt war. Von 581- 619 n. Chr. standChina unter der Sui-Dynastie. 618 entstand ein Machtwechsel zur Tan-Dynastie. In dessen Herrschaft erwachte ein Bildungssystem, welches eine Zusammensetzung einer Elite zur Folge hatte, sowie eine ethische Vielfalt mit kultureller Weltoffenheit, wodurch fremde Religionen und Menschen nach China gelangten und sogar Ausländer es in höhere Ämter schafften. So entstand das Zitat: „In einem Haus, in dem Chinesen (hua) und Nicht-Chinesen (yi) gleich sind“. Die sogenannte „Rebellion des An Lushan“ in der Mitte des 8. Jahrhunderts war geprägt durch Unruhen. Hierdurch entwickelte sich eine Schwächung des Kaisers und gleichzeitig eine Stärkung regionaler Militärgouverneure. Der Buddhismus verlor immer mehr an Bedeutung. Im 9. Jahrhundert gewannen die Eunuchen an Macht zu und seitdem der Kaiser Wenzongs (827-840) herrschte, entwickelten sich zunehmend mehr Unruhen im Land, sodass 881 die Hauptstadt Chang´an für zwei Jahre in die Hände von Rebellen fiel. 905 wurde die Tang-Dynastie schließlich beendet. Nach dem gravierenden Aufstand des Huang Chaos im 9. Jahrhundert, zerbrach das Reich in zehn Einzelstaaten. Der Norden Chinas wurde im 10. Jahrhundert von fremden Staaten beherrscht. Das 10. Jahrhundert ist als eine Zeit des Umbruchs Ostasiens zu sehen. Somit erlebte auch China in dieser Blütezeit besonders im Süden einen wirtschaftlichen Aufschwung. Der Wandel Chinas war in den Zeiten des Übergangs zur Song-Dynastie so groß, dass die Bevölkerung des 11. und 12. 80 Seite 81 von 119 Jahrhundert die Tang-Zeit als äußerst fremd einstuften. China entwickelte sich zu einem Land der Städte, des Handwerks, des Handels, des Vergnügens der Kultur. Es folgten Dynastien, wie die Liao- und die Jin-Dynasie, bis schließlich 1271 die Mongolen, als erste Fremdherrscher, China übernahmen. Die Chinesen waren nun auf die Unterstützung fremder Völker angewiesen, um ihr Gebiet zu sichern. Dadurch wurden sie zur Minderheit im eigenen Land. 1368 schafften es die Chinesen, die Mongolen aus ihrem Land zu vertreiben. Im 14. Jahrhundert war China in viele kleine politische Fragmente aufgeteilt, wodurch die Religion einen immer wichtigeren Stellenwert einnahm. 1368 startete die Ming-Dynastie. Nach einem durch die Pest bedingten Bevölkerungsabschwung, erlebte China im 15. und 16. Jahrhundert einen kontinuierlichen Aufschwung. Das Manufaktursystem bildete sich aus, es entstand eine städtische Mittelschicht und China machte sich einen Namen auf dem Weltmarkt. In der Mitte des 17. Jahrhunderts zerbrach jedoch die Ming-Dynastie. Die Gründe hierfür lassen sich hauptsächlich an einer Krise der Staatsfinanzen, agrarsozialen Spannungen und einer Unfähigkeit in der Politik, diese zu beheben, festhalten. 1644 ist ein sehr entscheidendes Jahr für China. Peking fällt zweimal in die Hände erobernder Truppen, Der Ming- Kaiser begeht Selbstmord und die Manschu-Dynastie, die letzte Dynastie Chinas, entsteht. Diese Kaiserzeit wurde von einem starken Bevölkerungswachstum, einer Entwicklung zum Vielvölkerstaat, dem Ausbau des Welthandels, den Opiumkriegen (18391842), dem Taiping- Aufstand ( 1951-1866), den Muslim-Aufständen (1850-1878), dem Krieg mit Frankreich ( 1884-1885) und Japan (1894/95), dem Beginn einer Industralisierung und der Hundert- Tage-Reform (1898), dem Wuchand-Aufstand (1911) geprägt. 1914 bis 1916 übernahm Yuan Shikai die Diktatur Chinas und es begann eine Zeit grausamer Bürgerkriege und Selbstfindungsprozesse. 1921 wurde die Kommunistische Partei Chinas ins Leben gerufen. Es kam zu einem politischen Kampf zwischen den beiden Parteien Chinas, der KPCh und der GMD, die jedoch keine Chance gegen die bereits bestehende Macht der KPCh hatte. In Folge dessen rief Mao 1949 vor dem „Tor zum Himmlischen Frieden“, als 81 Seite 82 von 119 Vorsitzender der neuen Regierung, die Volksrepublik aus. Somit stand fest, dass der Versuch, eine demokratischen Revolution in China durchzuführen, gescheitert war. Die nationale Einheit wurde als das primäre Ziel genannt und das eigentliche Ziel der Durchsetzung einer kommunistischen Herrschaft wurde erst einmal verschwiegen. Das 20. Jahrhundert steht vor allem für die Besetzung Taiwans (1947), den Kampf zweier Linien 1956, die Bodenreform 1949, die Genossenbewegung 1951-1956 und die Nachahmung des sowjetischen Vorbildes, vor allem in den Jahren 1953-1957. 1954 wurde die KPCh als zentrale Instanz für alle Bereiche der Wirtschaft und Politik festgeschrieben. 1966 bis 1976 folgte die grausame Kulturrevolution unter Mao, mit dem Ziel, seine Machtposition innerhalb der Partei zu stärken. Sie forderte 3 Mio. Opfer. Nach Maos Tod 1976 in Gefangenschaft, übernahm Deng-Xiaoping die Parteispitze. Die KPCh sorgte dafür, dass China sich für den Westen öffnete und China einen wirtschaftlichen Aufschwung erlebte. Zwischen 1900 und 1949 sind ca. 19 Mio. Menschen durch politische Verfolgung, 9 Mio. durch Kriege und Revolutionen, 15 Mio. an der Folge von Hungersnöten und Naturkatastrophen gestorben. Von 1949 bis 1987 sind schätzungsweise über 35. Mio. Menschen Opfer der kommunistischen Verfolgung geworden. Außerdem sind alleine zwischen 1959 und 1961 unter Mao Zedong 27 Mio. am Hungertod gestorben. 3.2.2.2 Die Rolle der Frau in der Geschichte Besonders charakteristisch für eine traditionelle chinesische Frau in der Zeit vor dem 20. Jahrhundert war, auf die Frage, ob Jemand zu Hause sei und nur sie es war , diese Frage zu verneinen. Chinesische Frauen stellten sich selbst als eine „Un-Person“ dar. Diese schlechte Selbst- Einschätzung lies sich im 20. Jahrhundert auf diese Art und Weise nicht mehr wiederfinden. Somit lässt sich feststellen, dass die Veränderungen im Leben der chinesischen Frauen in den letzten Jahrzehnten eine atemberaubende Entwicklung durchzogen haben. 82 Seite 83 von 119 Gehorsamkeit, Unterwerfung, Fleiß, Keuschheit, Bescheidenheit und auch die Selbstlosigkeit wurden als wichtige Eigenschaften einer vorbildlichen chinesischen Frau gesehen. Aufgrund der beginnenden Verstädterung gegen Ende der TangZeit, sank allmählich der Wert weiblicher Arbeitskräfte. Zuvor waren besonders auf dem Land Frauen in ihrer Arbeit zumeist selbstständig und vor allem unersetzbar. Diese Situation wandelte sich jedoch bald, sodass vor allem Frauen aus reichen Familien in der Arbeitswelt eine nutzlose Stellung einnahmen. Für die Hausarbeit wurden Mägde, Ammen und Zofen beschäftigt und den Frauen blieb allein die Aufgabe übrig, ihren Ehemännern alle sexuellen Wünsche von den Lippen abzulesen und für diesen fleißig Nachwuchs zu gebären. Besonders in der darauf folgenden Song-Dynastie sollten Frauen ihrem Mann als ihrem „Herrscher“ dienen und diesem gegenüber blinde Loyalität erweisen. Die chinesische Frau unterlag in dieser Zeit einer Menge gravierender Tabus. Sie musste sich beispielsweise im Falle einer Vergewaltigung das Leben nehmen oder es war Witwen strengstens untersagt, eine erneute Bindung einzugehen. Als besonders vorbildlich galt eine wunderschöne Witwe aus einer Geschichte, die sich die Nase abschnitt, um unattraktiv zu wirken. Die Frauen galten als Eigentum ihrer Männer, über diese sie frei verfügen und entscheiden konnten. Zu dieser Zeit entstanden vermutlich auch die „Lotusfüße“. Durch die entstandene Gehbehinderung wurden die Frauen an das eheliche Haus gebunden. Im Zuge der wirtschaftlichen Revolution im 10. Jahrhundert, setzte sich allmählich die Praxis des Fußbinden bei Frauen als Erotiksymbol durch. Frauen wurden in China als käufliche Objekte gesehen. Besonders im 12. Jahrhundert fand diese Verstümmelung an Mädchen in Südchina ihren Höhepunkt. Die Lotusfüße waren nun nicht mehr nur Prostituierten und Konkubinen vorbehalten, sondern auch Mädchen aus reichen Elternhäusern. Diese mussten nun mit den Prostituierten um die Aufmerksamkeit der Männer konkurrieren. Erst seit den 90er Jahren des 19. Jahrhunderts wurde in der Öffentlichkeit gegen diese Verkrüppelungen vorgegangen. Im 20. Jahrhundert wurde schließlich dieser Brauch aufgegeben, bei dem der Fuß durch Binden in eine 83 Seite 84 von 119 hochhackige Form gebracht wurde. Während der Fremdherrschaft der Mongolen Ende des 13. Jahrhunderts, blieben die Chinesen ihren Sitten weiterhin treu und auch die mongolischen Frauen verloren immer mehr an Bewegungsfreiheit. Sie nahmen die Kultur Chinas weitgehend als höherstehend als ihre eigene an. In der anschließenden Ming-Zeit wurde alles, was in Richtung Sexualität und Erotik ging, an den Rand der Legalität gedrängt und Sexualität sollte von nun an allein der Fortpflanzung dienen. Auch die Prostitution, die noch in der Zhou-Zeit gesellschaftlich angesehen war, wurde strengstens verboten. Die Prostituierten waren oft hochgebildet. Auf Grund dessen blieb Mädchen aus gutem Hause die Bildung oft verwehrt, damit diese dem Bild der Prostituierten nicht ähnelten. Die nächste wirklich radikale Veränderung für die Frauen Chinas lässt sich erst wieder im 19. Jahrhundert in der Taiping-Rebellion manifestieren. Dort wird mit dem orthodoxen Konfuzianismus gebrochen. Die Taping-Bewegung stützte sich auf das christliche Gleichheitsideal und forderte die Gleichberechtigung aller Menschen. Das Ideal der kriegerische Frau, die mit dem Mann auf einer Ebene steht, wurde wiederentdeckt. Auch diese Bewegung scheiterte und die Frauen mussten weiterhin vergebens auf eine Gleichberechtigung hoffen. 1898 wurde die Reformbewegung ins Leben gerufen. Um China zu einer starken Macht heranwachsen zu lassen, stand als primäres Ziel, aus der weiblichen Gesellschaft mündige Menschen zu machen. In Folge dessen wuchs eine Bildungsbewegung unter den Frauen der Oberschicht heran. Ab dem Sturz der Quing-Dynastie 1911, kämpfte eine Frauenbewegung um das Frauenwahlrecht, Schulbildung für alle Mädchen und allgemeine bürgerliche Rechte für jede einzelne Frau. 3.2.3 Stellung der Frau im 20. Jahrhundert Um die Stellung der chinesischen Frau im Zeitalter des 20. Jahrhunderts genau darstellen zu können, folgt eine Unterteilung in die familiäre-, sozio-kulturelle- und ökonomische Sphäre. 84 Seite 85 von 119 3.2.3.1 Familiäre Sphäre Auch die Volksrepublik China gehört zu einem Land, in dem die Familie im Fokus steht und als Dreh- und Angelpunkt zwischen dem Einzelnen und der Gesellschaft fungiert. Die Familie ist ein wichtiger Einflussfaktor der Sozialisation des einzelnen Individuums und gleichermaßen ein wichtiger Bestandteil der Gesellschaft Chinas. Die chinesische Familie ist ausschlaggebend dafür, in welchem Umfang die chinesische Kultur weiterlebt. 3.2.3.1.1 Verhältnis zwischen Mann und Frau 1950 wurde ein neues Ehegesetz verabschiedet, welches der Frau sowohl innerhalb als auch außerhalb der Familie einen gleichberechtigten Status verlieh. Diese neue Gesetzgebung sollte jedoch in erster Linie dazu dienen, die Rolle der Familie dem Einfluss der Partei gegenüber zu relativieren. Dieses verabschiedete Gesetz kann daher vielmehr als ein „Moralkodex“ gesehen werden, dem es an einer richtigen Substanz fehlte, der viel zu ungenau ausformuliert war und jeglicher Interpretation und unkontrollierbarer Bürokratie freien Lauf ließ. Ab dem 20. Jahrhundert lebten aufgrund der Landflucht immer mehr Familien in der Stadt. Die Frau gewann immer mehr an Entscheidungsfreiheiten. Viele Ehemänner ertrugen diesen Zustand nicht, wurden alkohol- oder spielsüchtig. Die Frauen wiederum standen vor einer Doppelbelastung. Sie mussten, um einer Erwerbslosigkeit zu entkommen, weiterhin Hausfrau und Mutter sein, aber auch als Industriearbeiterin tätig werden.1931 wurde von der KMT-Regierung ein neues Familiengesetz zur Gleichberechtigung der Geschlechter geschaffen. Zur Eheschließung bedurfte es nun der Zustimmung beider Parteien, Töchter wurden erbberechtigt und das Konkubinat rutschte in die Illegalität. Dieses Gesetz wurde vor allem in intellektuelleren Haushalten der Stadtregion sehr gut aufgenommen. In ländlichen Gegenden hingegen fand die Anwendung des Gesetzes wenig bis keine Beachtung. Unter Mao Zedong, nach dem Sturz der letzten Dynastie 1911, wurde kurzzeitig die freie Sexualität in China eingeführt. Nach nur kürzester Zeit verlor 85 Seite 86 von 119 jedoch die Partei jegliche Kontrolle über die Gesellschaft. Viele Männer konnten ihrer aufgestauten Frustration nun Luft lassen, sodass sie Frauen kurzzeitig auswählen, um ihren Gelüsten nachzugehen. Viele Frauen wehrten sich gegen diesen Zustand und es entwickelten sich heftige Auseinandersetzungen zwischen den Geschlechtern und Generationen. Für die kommunistische Partei Chinas stand als primäres Ziel, ihre alte Macht über die Gesellschaft wiederzuerlangen. Sie waren nicht dazu bereit, mit der Bevölkerung zu erarbeiten, wie man mit der neu gewonnenen Freiheit umzugehen habe. Die kommunistische Partei Chinas strich die „freie Sexualität“ aus ihrem Wahlprogramm. Von dort an wurde die „freie Sexualität“ oder auch „sexuelle Befreiung“ nur noch als Schlagwörter der Abschreckung gewählt. Sie galt von nun an als etwas chaotisches aus dem westlichen, kapitalistischen Ausland, einem anarchistischen unmoralischen Ausland, das als Ursprung für Aids angesehen wurde. Einer Umfrage nach waren im Jahre 1986 66,4 Prozent der Frauen und 59,4 Prozent der Männer für eine „reine“ Eheschließung. Männer die sich für Sexualität vor der Hochzeit einsetzten, taten dieses lediglich für das männliche Geschlecht und schlossen es für das weibliche Geschlecht vollkommen aus. Frauen, die vor der Ehe sexuell tätig wurden, rückten in China im 20. Jahrhundert immer mehr in die Richtung der Prostituierten. Jede Frau sollte Jungfrau bleiben und falls sie doch vor der Ehe mit einem Mann Geschlechtsverkehr hatte, so schien es als sicher zu gelten, dass diese einmal die Ehe eingehen würden. 3.2.3.1.1 Beziehung zu den Kindern Das chinesische Regierungssystem begann in den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts das Dilemma der Doppelbelastung der Frau Chinas zu verstehen. Von nun an wurde sich verstärkt um die Errichtung sozialer Einrichtungen, wie Kinderkrippen und Kindergärten in den Städten gekümmert. Die Frau spürte zumindest in der Erziehung eine kleine Entlastung und gekam die Möglichkeit, berufstätig zu werden. In ländlichen Regionen übernahmen in Fällen beruflicher 86 Seite 87 von 119 Tätigkeit seitens der Mutter Schwiegermütter die Sorge für die Kinder. Viele Kinder von Eltern, die in der Stadt berufstätig waren, lebten bei ihren Großeltern auf dem Land, um dort eine ausreichende Erziehung genießen zu können. Krippenplätze galten als „Kinderaufbewahrungsanstalten“, waren jedoch aufgrund der enormen Belastung der Mütter stark gefragt. Die Kinder Chinas waren im 20. Jahrhundert, wie auch heute noch, als enorm folgsam und respektvoll ihren Eltern gegenüber einzustufen. Dieser Respekt den Eltern gegenüber lässt sich mit einer Form der Hochachtung vergleichen. Viele Jugendliche waren dazu bereit, jeden Lebensweg einzuschlagen, den ihnen ihre Eltern vorschlugen. So bekommt man auf die Frage, was ihre Berufswünsche seien, von chinesischen Kindern sehr vernünftige und zielstrebige Antworten zu hören. Westliche kindliche Berufswünsche, die eher als Traumvorstellungen anzusehen sind, wie beispielsweise Astronaut, ließen sich hier nicht wiederfinden. Der Rat der eigenen Mutter galt als enorm wichtig und wurde in so gut wie jedem Fall von den Kindern in die Tat umgesetzt und blind darauf vertraut. 3.2.3.2 Sozio-kulturelle Sphäre Unter dem Begriff Soziokultur versteht man die Gesamtheit aus allen kulturellen, sozialen sowie politischen Bedürfnissen und Interessen einer Gesellschaft oder auch Gesellschaftsgruppierung. Dieser Begriff stellt die Gesellschaft mit der Kultur in einen engen Zusammenhang. Um die Soziokultur Chinas darzulegen und dabei besonders auf die Bedürfnisse und Interessen der chinesischen Frauen einen Blick zu werfen, werden im folgenden Abschnitt, die kulturellen, sozialen und politischen Gesichtspunkte bearbeitet. 3.2.3.2.1 Sozialer Gesichtspunkt Der Anteil des weiblichen Geschlechts in der Grundschule lies sich im 20. Jahrhundert noch auf die Hälfte aller Schüler festlegen. Dieser ausgeglichene Anteil an Mädchen im Bildungssystem sank jedoch bereits in der Mittelschule auf einen 87 Seite 88 von 119 Anteil von lediglich 40 Prozent der Mädchen. An den Universitäten war nur noch ein Drittel der Studenten dem weiblichen Geschlecht zuzuordnen. Laut einer Statistik aus dem Jahre 1987 wird deutlich, dass 2,79 Millionen schulpflichtige Kinder die Schule nicht besuchten und 3,69 diese nur selten aufsuchten. Hierbei ist besonders bedeutsam, dass von diesen Kindern 80 Prozent dem weiblichen Geschlecht zugehörig waren. Diese hohen Zahlen lassen sich darauf zurück führen, dass gerade im 20. Jahrhundert die Kinderarbeit auf dem Land enorm gestiegen war. Die chinesischen Studentinnen und berufstätigen Frauen waren einer enormen Doppelbelastung ausgesetzt. Fast die gesamte Hausarbeit lastete immer noch auf ihren Schultern. So gaben 84 Prozent von ihnen an, mit dem Haushalt alleine dar zu stehen und 50 Prozent der Frauen noch mit Pflege und Betreuung ihrer Eltern beschäftigt gewesen zu seien. Viele dieser stark überbelasteten Frauen verzichteten der Familie zu Liebe auf weitere berufliche Qualifikationen. Für viele hochqualifizierte und hochgebildete Frauen ergaben sich aus ihrem hohen Bildungsstand enorme Schwierigkeiten bei der Ehemannfindung. Männer schreckte es ab, eine gebildetere Frau zu haben und befürchteten, diese könnte sich zu sehr ihrer Karriere widmen und Haushalt, Kinder und vor allem den Mann und seine Wünsche vernachlässigen. So lässt sich feststellen, dass je höher eine akademische Position war, desto weniger Frauen in dieser anzufinden waren. Besaß eine Frau einen qualifizierten Hochschulabschluss, so stellte es sich als äußerst schwierig für sie dar, tatsächlich eine Anstellung zu finden. Denn gerade in der Personalabteilung wurden hauptsächlich Männer gesucht, da diese keine Doppelbelastung aufwiesen. Frauen galten als unproduktiv, da sie Sozialleistungen in Anspruch nehmen müssen für den Fall, dass Kinder oder kranke Eltern gepflegt werden mussten. 3.2.3.2.2 Kultureller Gesichtspunkt Seit ungefähr den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts, seit der Verbreitung des Diamanten-Buddhismus in der chinesische Kultur, engagierten sich gleichermaßen Frauen wie auch Männer an dem Aufbau der buddhistischen Mediationspraxis. In 88 Seite 89 von 119 der Rolle der Lehrenden für die Praxis war ein ebenso großer Anteil an Frauen, wie auch an Männern angesiedelt. Jedoch wurde auch im 20. Jahrhundert weiterhin im Buddhismus der Frau keine Wichtigkeit zugesprochen und diese kaum geschätzt. Der Diamantenlager-Buddhismus verstand die Weiblichkeit mit der Weisheit, die mit einer grundlegenden Erkenntnis und Leerheit verbunden war. Das Männliche hingehen wurde als ein geschicktes Mittel beschrieben, das von Methoden und Dynamik nur so sprüht. Eine weibliche Wiedergeburt wurde auch in Tibet noch als viel niedriger als die eines Mannes geachtet. Denn die Religion Tibets und ihre Organisation wurden hauptsächlich von Männern dominiert. Wenn die Leerheit richtig ausgelegt würde, so ist dem Bild einer festen Geschlechterzugehörigkeit keine Wichtigkeit mehr zuzuordnen und der Weg und die Lehre des Buddhismusses war und ist weder weiblich noch männlich zu verstehen. 3.2.3.2.3 Politischer Gesichtspunkt Bereits um die Jahrhundertwende entstanden Ansätze einer Frauenbewegung. Diese Avantgardistinnen wirkten, indem sie Pfeife rauchten, ein Schwert mit sich trugen, kurze Haare hatten und Männerkleidung trugen, rein äußerlich sehr maskulin. Zu dieser Zeit galt das Tragen von Hüten bei einer Frau charakteristisch für den weiblichen Willen zur Befreiung. Mit dieser feministischen Selbstdarstellung wollten sie die Männerwelt schockieren und für Aufruhr sorgen. Dies beschränkte sich hauptsächlich auf die größeren Städte wie Peking oder Shanghai. In diesem Zusammenhang stand als Ideal ihre weiblichen Zeitgenossien Qin Jin, die sich für die Rechte der Frauen einsetzte, was sie in Folge eines missglückten Aufstandes 1907 ihr Leben kostete. Sie wurde von den Monarchisten brutal hingerichtet. „ Wenn sie, in Männerkleidung durch die Straßen ritt, erweckte die gebildete Kämpferin zugleich Faszination, Empörung und Bewunderung.“ Neben Qin Jin gab es noch zahlreiche andere Frauen, die sich in der republikanischen Bewegung für die Stellung der Frau erhoben. Einige von ihnen waren sogar fanatische Anarchistinnen, verübten Attentate, schmuggelten Bomben und Dynamit und 89 Seite 90 von 119 scheuten nicht einmal vor einem Selbstmordattentat zurück. Weniger radikal ging eine Mehrzahl der aktiven Frauen vor, indem sie Öffentlichkeitsarbeit betrieben und Pionierarbeit in der Schule für Mädchen betrieben. All diese Frauen setzten ihr Leben aufs Spiel, um die korrupte und dekadente Manschu-Regierung zu stürzen und China vor seinem Untergang zu bewahren. Nachdem jedoch 1911 die republikanische Revolution siegte, wurden die Euphorie und die Hoffnungen der Frauen Chinas bitter enttäuscht. Die Verfassung, welche 1912 verabschiedet wurde, beinhaltete nicht den Gleichheitsgrundsatz der Geschlechter, wie es die Feministinnen sich erhofft hatten. Weiterhin blieb ihnen das Wahlrecht verwehrt. 1913 kam es schließlich zum Höhepunkt der Männerdomäne Chinas im 20. Jahrhundert, sodass alle Ansätze einer Frauenbewegung zu Nichte gemacht wurden. Frauen durften keine politischen Versammlungen mehr besuchen, die Herausgabe von feministischen Zeitschriften wurde verboten und Frauen, die Waffen besaßen, wurden zur Abschreckung hingerichtet. Die Frauen Chinas konnten jedoch bereits 1919 wieder aufatmen. Die Frauenassoziation der Provinz Hunan forderte sowohl ein aktives, wie auch ein passives Wahlrecht, gleiche Arbeitsrechte, gleiches Erbrecht und gleiches Recht in der Erziehung für beide Geschlechter. Ebenso propagierten sie die Selbstbestimmung der Frau bei der Heirat. Nun standen viele junge Frauen zwischen einer Vision von einer selbstbestimmten Zukunft und ihrer familiären Realität. Viele von ihnen zerbrachen an diesem Dilemma und einige der jungen Frauen entschieden sich aus ihrer Notlage heraus für den Selbstmord. 1921, als die KPCh gegründet wurde, spaltete sich die Frauenbewegung in einen reformerischen und einen revolutionären Flügel. 1925-1927 kam die Frauenbewegung allmählich wieder ans Licht. Ca. 300 bis 400 Frauen schlossen sich als Mitglieder von Propagandateams dem Nordfeldzug an und zogen mit dem Vorhaben durchs Land, lokale Gruppen zur Verteidigung der Frauenrechte zu gründen. Auch wenn sie nicht überall mit ihren politischen Vorhaben auf Zuspruch stießen, entstand ein Netz von Frauenbünden. Gemeinsam setzten sie beispielsweise durch, dass ehemals Prostituierte erneut eine Ehe 90 Seite 91 von 119 eingehen konnten, misshandelte Schwiegertöchter fanden bei ihnen Unterstützung und Witwen wurden vor dem Verkauf durch die Familie des verstorbenen Mannes geschützt. Die Frauenbünde entwickelten solch enorme Macht, dass sie „quasirichterliche-Entscheidungen“ treffen konnten. Sie hatten das Recht, Scheidungen auszusprechen und Ehemänner, die ihre Frauen beispielsweise misshandelten, öffentlich zu bestrafen. 1927 kam es erneut zu einer Lahmlegung der Frauenbewegung. Tsching Kai-Shek verriet die Einheitsfront zwischen der KMT und der Kommunistischen Partei und ein Blutbad überrollte die kommunistische Bewegung. Viele aktive Frauen wurden ermordet und allein der Bubikopf reichte nun aus, um als linkslastig zu gelten und aufgrund von weiblicher Unangepasstheit vernichtet zu werden. In Folge des „Langen Marsches“ 1934 unter Mao Ze-Dong gerieten die Frauen immer mehr zurück in ihre alten traditionellen Muster. Für die Genossinnen war es sehr schwierig, vor allem in ländlichen Gegenden Veränderungen hervorzurufen. Ehemänner untersagten ihren Frauen den Kontakt mit den kommunistischen Genossinen, da sie befürchteten, sie könnten sich mit Themen wie der Ehe oder Scheidung kritisch auseinandersetzten. Bei den alten Frauen stieß ebenfalls diese Aufklärungsarbeit ebengfalls auf erbitterten Widerstand. Sie hatten Angst, die Macht über ihre Töchter und Schwiegertöchter zu verlieren. Der japanische Krieg und der darauf folgende Bürgerkrieg zwischen 1937 und 1949 brachten eine entscheidende Veränderung der Geschlechterrollen in China hervor. Frauen übernahmen von nun an Aufgaben, die zuvor dem männlichen Geschlecht vorbehalten waren. Die Emanzipationsbewegung, welche in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts entstand, ist neben der Befreiung der Frau aus der Herrschaft und der Unterdrückung durch den Mann auch als eine Rebellion der chinesischen Jugend gegen die Moralvorstellungen der älteren Generation zu verstehen. Die Jugendbewegung forderte ein Mitspracherecht innerhalb der Familie und besonders bei ihrer Partnerwahl. Diese Aufstände brachten vor allem für die jüngeren Frauen Veränderungen mit sich. Für die Frauen der ländlichen Regionen wurden erst die Voraussetzungen einer geschlechtlichen 91 Seite 92 von 119 Gleichberechtigung erst im Gefüge der kommunistischen Revolution geschaffen. Die Frauenbewegung sowie die Frauenforschung sind in China nicht als ein Phänomen der unmittelbaren Gegenwart zu betrachten, sondern als ein Konstrukt, das mindestens in den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts einsetzte. Nach 1949 wurde sie durch die einzige Frauenenorganisation Chinas, den staatlich geförderten „Allchinesischen Frauenverband“, auf praktischer Ebene durch- und fortgesetzt. Dieser Verband war in allen größeren Städten und Provinzen Chinas anzufinden. Jedoch stand der Verband unter ständigen staatlichen Kontrollen und auch die Partei hatte ihn kritisch im Visier. Somit wurde auch die Frauenarbeit stark vom kommunistischen Staat geprägt. In den 20er Jahren begann bereits aus den Reihen des männlichen Geschlechts, wozu ebenfalls Mao Zedong gehörte, eine Debatte über die Stellung der Frau in der chinesischen Gesellschaft. Diese versuchten deutlich zu machen, dass eine Frauenbefreiung dringlich nötig sei. Durch Schriften setzten sie sich gegen die Diskriminierung der Frau und das traditionelle Frauenbild ein. Infolgedessen entstand immer mehr chinesische Fachliteratur, bei der die Frau mit ihren Rechten im Fokus stand. Ebenfalls entstanden zu dieser Zeit Studienfächer, wie die Psychologie und Soziologie, die sich der Frauenforschung annahmen. 3.2.3.3 Ökonomische Sphäre Der Begriff Ökonomie ist synonym zu dem der Wirtschaft. Menschen einer Gesellschaft, in diesem Fall der chinesischen Gesellschaft, sind mit Bedürfnissen nach Gütern und Dienstleistungen ausgestattet. Die Aufgabe der Ökonomie ist es, mit diesen knappen Gütern sparsam umzugehen und trotz allem so zu agieren, dass die Bedürfnisse jedes einzelnen Individuums befriedigt werden. Um deutlich zu machen, ob und in welchem Umfang die chinesische Frau von der Wirtschaft Chinas profitiert, wird ihre Arbeitssituation im 20. Jahrhundert dargestellt. Daraufhin folgt ein Exkurs in die Thematik der Ein-Kind-Politik Chinas, um heraus zu filtern, 92 Seite 93 von 119 welchen Einfluss diese auf die Wirtschaft Chinas hatte und wie sich durch diese die Stellung der Frau veränderte. 3.2.3.3.1 Die Frau auf dem Arbeitsmarkt Die Frauen Chinas erhielten ungefähr 30 % weniger Gehalt als die männliche Bevölkerung. Der Grund dafür liegt darin, dass ihnen weniger lukrative Arbeitsstellen angeboten wurden und Spitzenpositionen in den meisten Fällen den Männern vorbehalten waren. In der kommunistischen Partei Chinas war nur eine Minderheit der dort tätigen Chinesen weiblich. Auch im 20. Jahrhundert waren Frauen im Durchschnitt schlechter ausgebildet als Männer und nur ca. ein Viertel der Studierenden waren Frauen. Daher waren erheblich mehr Frauen als Männer arbeitslos. Wie bereits unter 3.1.1 erwähnt, waren zu Beginn des 20. Jahrhunderts viele Frauen, die vom Land kamen, in Fabriken tätig. Viele von ihnen waren unverheiratete Frauen, die von ihren Eltern gezwungen wurden, in die Stadt zu ziehen. Die Eltern schlossen für ihre Töchter Verträge ab, wobei der Lohn häufig als Vermittlungsgebühr einbehalten wurde. Ein Großteil der jungen Frauen erlebte aufgrund der unmenschlichen Arbeitsverhältnisse in den Fabriken nicht einmal das Vertragsende. In Gewerkschaften setzten sich die Frauen schließlich gegen diese unwürdigen Arbeitsbedingungen in Formen von Streiks Anfang der 20er Jahre des 20. Jahrhunderts ein. Da die Industriearbeiterinnen lediglich höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen forderten, waren dies keine frauenspezifischen Ziele und ihre Vorstelllungen ließen sich somit problemlos mit denen der neuentstanden Kommunistischen Partei Chinas vereinen. Infolgedessen schlossen sich viele junge Frauen dieser neuen politischen Macht an. Für die Partei war jedoch klar: „An erster Stelle steht die <allgemeine> soziale Revolution, dann erst kommt die Befreiung der Frau.“ Durch die Landreform Chinas wurde erreicht, dass der Boden Chinas unabhängig von Alter und Geschlecht neu aufgeteilt und somit auch den Frauen ihr rechtmäßiger Anteil zugeteilt wurde. Frauen, die bislang als wertlos galten, nahmen nun einen vollkommen anderen Stellenwert innerhalb ihrer Familie 93 Seite 94 von 119 ein. Diese Gleichstellung der Geschlechter war in den meisten Fällen nur auf theoretischer Ebene möglich. Denn einem Großteil der Frauen fehlte es an praktischen Erfahrungen, sodass sich an der Arbeitsteilung nichts ändern konnte. Den Frauen wurde jedoch erstmalig ein Gefühl der Gleichberechtigung gegeben und sie wussten, dass sie im Fall einer Scheidung nicht mit leeren Händen da stehen müssten. In den 70er Jahren wurden Frauen und Mädchen politisch dazu aufgefordert, sich an den Modernisierungsprozessen und der Industrialisierung ihres Landes aktiv zu beteiligen. In dieser Zeit wurde ein Großteil der Frauen unter 45 Jahren in sämtliche Produktionsprozesse integriert. Es galt zwar theoretisch „gleicher Lohn für gleiche Arbeit“, doch wurden die Arbeiten der Frauen zumeist in niedrigere Lohnstufen als die der Männer eingeteilt. Dies wurde in den meisten Fällen anhand ihrer familiären Pflichten begründet. 3.2.3.3.2 Ein-Kind-Politik Laut einer Studie aus dem Jahre 1924, die in 5 Regionen Chinas durchgeführt wurde, lag der weibliche Anteil der Bevölkerung unter 10 Jahren nur bei Prozent. Bei einer anderen Befragung, die noch aus dem 19. Jahrhundert stammt und bei der 160 ältere Frauen befragt wurden, wurden insgesamt 158 Tötungen von Mädchen gestanden. Die Tötung an männlichen Neugeborenen wurde verneint. Hierbei ist die Tötung von Neugeborenen jedoch nicht als ein Ausnahmezustand zu verstehen. Es mussten bereits in etlichen Dynastien Chinas in den Jahrhunderten zuvor Gesetzestexte verfasst werden, die sich klar gegen die Kindestötung aussprachen. Dies fand seinen Höhepunkt in dem nachrevolutionären Ehegesetz aus dem Jahre 1950, in dem im Artikel 13 der Mord an Neugeborenen verboten wurde. Töchter galten als wertlos, als ein Luxusgut, was man sich nur bedingt leisten konnte, sodass zwar die Tötung von Neugeborenen bestraft wurde, aber in den Köpfen der Gesellschaft nicht als ein Verbrechen angesehen wurde. Nur durch Söhne konnten sich chinesische Eltern für das Alter abgesichert fühlen. In vielen 94 Seite 95 von 119 Städten Chinas waren sogenannte „Baby-Türme“ entstanden, zu denen Eltern ihre getöteten Töchter bringen konnten. Viele Hebammen ließen die Mädchen direkt nach der Geburt in einem Eimer Wasser fallen, sodass diese ertranken. Ebenso fand man an Flüssen oder Seen Chinas immer wieder Schilder, auf denen zu lesen war: „ Mädchen ertränken verboten“. 1982 appellierte der Premierminister Zhao Ziying an die chinesische Gesellschaft, dass diese sich gegen den Mord an weiblichen Neugeborenen und an der Misshandlung von Müttern weiblicher Kinder stark zu machen haben. Im 20. Jahrhundert mangelte es selbst der ländlichen Bevölkerung nicht mehr an genügend Lebensmitteln, sodass es ihnen eigentlich möglich war, eine größere Anzahl an Kindern großzuziehen. Hierbei machte jedoch die Ein-Kind-Politik Chinas, die von der Regierung durchgesetzt wurde, der Bevölkerung einen Strich durch die Rechnung. Da diese nur noch ein Kind bekommen durften, war es von enormer Bedeutung, dass dieses männlich war, um den Eltern später einmal bei der körperlichen Arbeit helfen zu können. Noch zu Beginn der 50er Jahre des 20. Jahrhunderts galten Verhütungsmittel als Mordmittel. Zwischen 1954 und 1958 setzte ein heftiger Umdenkungsprozess in der Bevölkerungspolitik ein. Aufgrund der schnellen Landflucht waren die Städte allmählich überfüllt und es kam bereits in der Wirtschaft bereit zu Verteilungsschwierigkeiten Hauptsächlich von Frauenverbänden entstanden erste Aufklärungsversuche, die beinhalteten, dass mit einer hohen Kinderzahl enorme Kosten verbunden seien und aufgrund dessen Töchter möglichst spät eine Ehe eingehen sollten. Jedoch fanden diese Aufklärungsversuche kaum fruchtbaren Boden, sodass die ersten Versuche, die Explosion der Bevölkerung zu mindern, scheiterte. Anfang der 70er Jahre des 20. Jahrhunderts, nachdem das kulturrevolutionäre Engagement abnahm, wurde von staatlicher Seite begonnen, das Bevölkerungswachstum zu kontrollieren. Dem Staat war klar, dass aufgrund der Pläne, das Modernisierungsprogramm weiterhin durchzuziehen, die Bevölkerung nicht weiter in diesem Ausmaße wachsen dürfe. Eine Nahrungsmittelknappheit und eine enorm hohe Arbeitslosenzahl wären ansonsten die Folge gewesen. Aufgrund 95 Seite 96 von 119 des starken Wachstums der Bevölkerung in den 60er und 70er Jahren, lies sich vor der Einführung der Ein-Kind-Politik feststellen, dass 65 Prozent der Bevölkerung unter 30 Jahre alt waren. Seit 1979 wurde deshalb die Ein-Kind-Politik propagiert. Die Kpch versuchte hiermit die Geburtenrate, die aufgrund der nach 1949 verbesserten Gesundheitsversorgung und besseren Lebensstandards entstanden war, einzudämmen. Daher wurden im 20. Jahrhundert Schwangerschaftsabbrüche gesellschaftlich nicht mehr verurteilt. Diese Abbrüche wurden auf Wunsch der Eltern kostenlos durchgeführt. Hierbei ist es als sehr fragwürdig einzustufen, ob die Mütter der Ungeborenen tatsächlich mit dieser Abtreibung einverstanden waren. 1980 lag einer Meldung zufolge in der Stadt Tianjin die Abtreibungsrate über der Geburtenrate. Dies lies sich nicht auf ungewünschte Schwangerschaften zurückführen, sondern auf den enormen Druck, dem die Frauen ausgesetzt waren. Unverheiratete Mütter wurden im 20. Jahrhundert von ihrem Umfeld verstoßen und geächtet. Alle jungen Ehepartner Chinas mussten ein Zertifikat unterschreiben, indem sie sich verpflichteten, der Ein-Kind-Politik zu folgen. Im Gegenzug dazu, erhielten sie unter anderem Unterstützung in der Erziehung, Vorteile bei Kitaplätzen oder späteren medizinische Studienplatzfindungen Versorgung. Alle ihres Vorteile, die Kindes Eltern oder mit auch diesem eine freie Zertifikat zugesprochen wurden, wurden ihnen im Fall der Geburt eines zweiten Kindes sofort wieder entzogen und ein Bußgeld verlangt. Sie erhielten enormen Druck von Seiten des Arbeitsplatzes und mussten mit einer Lohnkürzung von bis zu 10 Prozent rechnen. Den Eltern blieb jegliche medizinische, erzieherische und finanzielle Hilfe ab dem zweiten Kind verwehrt. Setzten sich Eltern trotz allem gegen die Ein-Kind-Politik durch und gebaren ein zweites Kind, das zudem ein Mädchen war, so sah die Situation für diese noch drastischer aus. In den Städten konnte somit im 20. Jahrhundert das Ziel der Familienpolitik erreicht werden. In den ländlichen Regionen, in denen 80-85 Prozent der chinesischen Bevölkerung lebten, hatte diese politische Entscheidung nur sehr wenig Durchsetzungskraft. Dies ist darauf zurückzuführen, dass auf dem Dorf viele Bewohner mit den politischen 96 Seite 97 von 119 Akteuren verwandt waren, sodass gerne einmal „ein Auge zugedrückt“ wurde. Außerdem waren die Anreize und Bestrafungen der Ein-Kind-Politik lediglich auf die städtischen Regionen zugeschnitten. Die Frauenverbände versuchten nun durch Aufklärung die Ehemänner dazu zu bewegen, nach der Hochzeit in das Haus der Eltern der Ehefrau zu ziehen, wodurch der Tochterstatus hätte enorm gesteigert werden können. Nur 2 Prozent der Eltern Chinas wünschten sich im 20. Jahrhundert als einziges Kind ein Mädchen. Gravierende Folgen der Ein-KindPolitik waren, das Töchter mit Ignoranz bestraft, Tochtermütter mit Desinteresse nach der Geburt begegnet und der Frau als auch dem Mädchen eine enorme Wehrlosigkeit des weiblichen Geschlechts eingetrichtert wurde. Es gab hingegen bereits im 20. Jahrhundert erste Ausnahmen innerhalb der Ein-Kind-Politik. Wenn beispielsweise beide Elternteile Einzelkinder waren, durften sie noch ein weiteres Kind zeugen. Auch aus einem weiteren Grund sind die Frauen als primäre Opfer der Ein-Kind-Politik zu betrachten. Denn der Anteil der sterilisierten Frauen lag weit über dem der Männer, obwohl die medizinische Durchführung beim männlichen Geschlecht um einiges leichter, günstiger und ungefährlicher als bei einer Frau war. In Folge der Ein-Kind-Politik kam es immer wieder zu Zwangssterilisationen und Zwangsabtreibungen bei Frauen. Im Alten China mussten Frauen so viele Kinder zu Welt bringen, bis sie ihrer Familie mindestens zwei gesunde Jungen mindestens schenken konnte. Nun jedoch wurde ihnen vom Staat bereits ein zweites Kind verwehrt. Die Frauen Chinas standen erneut vor einem Dilemma, da der Druck von Seiten ihrer Familie ihrem eigenen Wunsch, sich dem Gesetz zu beugen, entgegen stand. 3.2.4 Fazit Wünsche, Bedürfnisse und Neigungen der chinesischen Frauen fanden auch im 20. Jahrhundert noch immer keine Beachtung. Die Verstaatlichung ihrer Gebärfähigkeit und die Enteignung ihres eigenen Körpers haben Traditionen, Normen, Werte und Ansprüche des alten Chinas weitgehend abgelöst. Die Stellung der Frau in China 97 Seite 98 von 119 hat sich zwar verändert, aber betrachtet man vor allem die drastische Ein-KindPolitik, so hat sich ihre Stellung keinesfalls verbessert. Im 20. Jahrhundert zeigten die politisch aktiven chinesischen Frauen enorme Stärke und Willenskraft. Immer wieder wurden sie durch menschenverachtende Entscheidungen und politische Ereignisse in ihrem Vorhaben, eine Gleichstellung der Geschlechter zu schaffen, bitter enttäuscht. Trotz allem haben sie nie ihre Hoffnung aufgegeben und nicht aufgehört, für ihre Rechte und Freiheit zu kämpfen. Heute im 21. Jahrhundert hat sich die Stellung der Frau in China stark zum Positiven entwickelt. Frauen, die nach 1970 geboren wurden, haben heute in China die gleichen Karrierechancen wie ihre männlichen Mitstreiter. Das Zitat Maos „ Frauen tragen die Hälfte des Himmels“, hat die Stellung der Frau in China ausschlaggebend beeinflusst und kann als ideologische Basis für die Gleichstellungspolitik in China betrachtet werden. Unter Mao wurde ein Anreiz dazu gegeben, die Kinderbetreuung Chinas auszubauen. Hiervon profitieren die chinesischen Frauen im 21. Jahrhundert. Menschenunwürdige Traditionen, wie beispielsweise die Lotusfüße, gehören der Vergangenheit an. Es ist weiterhin eine Tatsache, dass die weibliche Bevölkerung in der Politik unterrepräsentiert ist, doch erreichen Chinas Frauen im „Global Gender Report des Genfer World Economic“ den zwanzigsten Platz. Deutschland liegt diesem Ranking nach lediglich auf Platz 46. Drei Viertel der Chinesinnen zwischen 16 und 46 Jahren sind berufstätig und 32 Prozent der chinesischen höheren Managementposten sind heute von Frauen besetzt. Laut einem Reichen-Ranking, kommen elf der 20 reichsten Frauen weltweit aus China. In Chinas Städten kann es sich mittlerweile auch die Mittelschicht leisten, ein Kindermädchen zu beschäftigen. Jedoch ist im China des 21. Jahrhunderts nicht nur ein wirtschaftlicher, sondern auch ein gesellschaftlicher Wandel vonstatten gegangen. Die heute 20-25 Jährigen sind auf Grund der EinKind-Politik als Einzelkinder aufgewachsen und somit im Wohlstand erzogen wurden. Viele dieser jungen Erwachsenen sind heute sehr verwöhnt und süchtig nach Luxus. Ebenso erwarten die jungen Chinesinnen, dass ihr zukünftiger 98 Seite 99 von 119 Ehemann eine Eigentumswohnung mit in die Ehe bringt. So heißt ein häufiges Zitat der jungen Generation „Ohne Wohnung keine Ehefrau“. Bei vielen Eltern hat sich der Wunsch des Geschlechtes des zukünftigen Babys gewandelt. Bei einem Jungen befürchten diese, später einmal für den Kauf einer Wohnung einstehen zu müssen. Es bleibt weiterhin interessant zu beobachten, in welcher Art und Weise sich Familienkonstrukte und vor allem die Stellung der Frau mit dem steigenden Wohlstand, aber auch dem möglicherweise immer stärker werdenden Einfluss des Westens, verändern werden. Auch Chinas familiärer Zusammenhalt wird, wie im Westen, irgendwann zerfallen und jeder Einzelne wird nur noch für sich kämpfen. Trotz all der fragwürdigen Traditionen, Bräuche und menschenverachtenden politischen Ereignisse, stand auch im 20. Jahrhundert die Familie immer noch im Mittelpunkt jedes Einzelnen. Nun konnte die Frau Chinas sich aus ihren unsichtbaren Fesseln befreien, doch ist es meinerseits als sehr bedauernswert einzustufen, dass dadurch das gesamte Konstrukt Familie untergehen muss. Somit ist Chinas Gesellschaft nur zu wünschen, dass sie es schaffen wird, trotz der immer weiter wachsenden Emanzipation der Frau, gewisse Bräuche und Traditionen beizubehalten und sich nicht vollkommen der eher kühlen westlichen Konsumgesellschaft anzugleichen. 3.3.5Literaturverzeichnis Bundesvereinigung Soziokultureller Zentren e. V. (2009): Begriff Soziokultur..http://www.soziokultur.de/bsz/node/17. Letzter Zugriff 13.01.2014 Chambers, Ruth Elisa (2013): Familienbande in China.http://www.chinatoday.com.cn/ctgerman/soziales/txt/200911/19/content_230389.htm. Letzter Zugriff 12.01.2014 99 Seite 100 von 119 Diamantenweg Stiftung (2003): Frauen im Buddhismus. http://www.buddhismusschule.de/inhalte/frauen.html. Letzter Zurgriff 13.01.2014 Die Dudenredaktion (2001): Duden. Das Fremdwörterbuch. Mannheim, Leizig, Wien, Zürich: Dudenverlag Frick, Heike; Leutner, Mechthild; Spakowski, Nicola (1995): Frauenforschung in China. Analysen, Texte, Bibliographie. München: K. G. Saur Verlag GmbH & Co. KG Gerstlacher, Anna; Miosga, Marit (Hg.) (1990): China der Frauen.Reise & Kultur.Wang Xiaohui,München: Frauenoffensive Kerner, Charlotte; Scheerer, Ann-Kathrin (1980): Jadeperle und Großer Mut. Chinesinnen zwischen gestern und morgen.Ravensburg: Otto Maier Verlag Kristeva, Julia (1976): Die Chinesin. Die Rolle der Frau in China. München: Nymphenburger Verlagshandlung GmbH Linck, Gudula (1988): Frau und Familie in China. München: Süddeutscher Verlag Schmidt-Glintzer, Helwig (2008): Kleine Geschichte Chinas. München: C.H. Beck Verlag Unbekannt (2013): http:// www.wiwo.de/politik/ausland/weltwirtschaft-chinas- frauen-machen-karriere-seite-all/576190-all.html Letzter Zugriff 27.12.2013 Wandel, Elke (1989): Frauenleben im Reich der Mitte. Chinesische Frauen in Geschichte & Gegenwart. Reinbeck bei Hamburg: Rowohlt Taschenbuch Verlag GmbH 100 Seite 101 von 119 3.4Sozialpolitik und soziale Sicherung in China(Arne Ehlers) 3.4.1 Einleitung In der westlichen Welt, insbesondere in Deutschland, müssen sich die Bürger in Zeiten der Geldnot, Arbeitslosigkeit und Krankheit keine Sorgen machen. Die soziale Sicherung in Deutschland basiert darauf, dass ein Arbeitnehmer knapp die Hälfte des Monatslohns als Steuern in die Renten-, Kranken- und Arbeitslosenversicherung abgibt und in Notfällen abgesichert ist. Doch wie sieht das in einem Land aus, dass in der Hinsicht seit Jahren Reformen anstrebt und in den letzten drei Jahrzehnten einen wirtschaftlichen Aufschwung erlebt? Was unternimmt die Sozialpolitik Chinas im Hinblick auf Ungerechtigkeiten in diesem System? Wie werden in China Arbeitslose, Kranke und alte Menschen aufgefangen? Mit dieser Thematik setze ich mich in dieser Hausarbeit auseinander. Der erste Teil meiner Arbeit beschreibt die Sozialpolitik in China und geht in den Unterpunkten weiterhin auf wichtige Bestandteile, wie mögliche Missstände in der sozialen Sicherung ein. Des Weiteren ist es wichtig zu wissen, welche Reformen die Politik in den vergangenen Jahrzehnten angestrebt und umgesetzt hat. Anschließend wird die „Ein – Kind – Politik“ behandelt, die erst kürzlich eine Wende erlebt hat. Der Hauptteil meiner Hausarbeit basiert auf belegten Erkenntnissen, die die soziale Sicherung in China erklärt. Hier beschreibe ich wie die Versicherungen geschichtlich gewachsen sind und durch Reformen gestärkt wurden. Beginnen werde ich mit der Krankenversicherung. Außerdem gehe ich auf das Rentensystem und die Absicherung im hohen Alter ein. Abschließend beschäftige ich mich in meiner Arbeit mit der Arbeitslosenversicherung und der Unfallversicherung. Im Fazit gebe ich eine kurze Zusammenfassung und stelle meine persönlichen Eindrücke der Exkursion nach Peking und Shanghai dar. 101 Seite 102 von 119 3.4.2 Sozialpolitik in China Genau wie andere Länder, setzt sich die chinesische Politik mit sozialen Fragen auseinander. Besonders laut werden immer wieder Fragen nach Missständen im sozialen System Chinas. Welche Ungerechtigkeiten gibt es und wer wird bevorzugt behandelt? Ebenfalls von Bedeutung sind die gewachsenen Reformen der letzten Jahrzehnte, ausgelöst durch den wirtschaftlichen Aufstieg seit den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts, die im Endeffekt auf die Menschen zurückfallen. Eine weitere wichtige Komponente der Sozialpolitik Chinas ist die Einführung der 1- Kind- Politik, die erst vor kurzem gelockert worden ist. 3.4.2.1 Missstände im Sozialwesen Missstände innerhalb der sozialen Sicherung Chinas im herkömmlichen Sinne sind durch mehrere Faktoren entstanden. Die folgende Abbildung zeigt nach Wei Zhang die demographische Entwicklung der chinesischen Bevölkerung der Jahre 1949 bis 2000. 102 Seite 103 von 119 (Abb1: Wei Zhang 2005: Die Geburtenrate, die Sterberate und natürliche Wachstumsrate der chinesischen Bevölkerung 1949 – 2000, S. 20). Mit der Abbildung beschreibt der Autor Wei eindringlich, dass die Sterberate (hier in Promille) seit 1949 (20 Promille) mit Ausnahme des Jahres 1960 (25,43 Promille) stetig zurückgeht. Im Jahr 2000 betrug sie nur noch 6,6 Promille. Wei Zhang zeigt uns weiterhin, dass hingegen die Geburtenrate zwischen 1949 und 1971 mit 35 Promille konstant blieb. Auch in den Jahren ab 1971 bis 2000 verharrte die Geburtenrate bei 19 Promille. Die Wachstumsrate sank von 16 Promille im Jahr 1949, auf 8,7 Promille im Jahr 2000, so Dr. Wei Zhang. Dies zeigt das immer wiederkehrende Dilemma der Demographischen Entwicklung, ausgelöst durch die vor 30 Jahren beschlossene Ein - Kind - Politik. Die Zahl der Erwerbstätigen geht zurück, die Zahl der Menschen die im Alter versorgt werden müssen steigt. Doch die Menschen im Rentenalter können nicht mitgetragen werden, wenn niemand da ist, der sie finanziell unterstützt. 20 Heberer und Scholz greifen den Aspekt der Ungleichbehandlung von ländlichen Arbeitern in den Städten auf. In den 90ern galt beispielsweise die Arbeitslosenversicherung nur für Staatsbedienstete. Arbeitnehmer im nicht20 Vgl. Wei 2005: S. 21 – 23. 103 Seite 104 von 119 öffentlichen Dienst waren nachwievor davon ausgenommen. 21 Die Verfassung Chinas beschreibt in Artikel 45 jedoch unter anderem: „Die Bürger der Volksrepublik China haben das Recht auf materielle Unterstützung von Seiten des Staates und der Gesellschaft im Alter, in Krankheitsfällen oder bei Arbeitsunfähigkeit.“ 22 Doch dieses Recht scheint für viele Unternehmer ungeschrieben zu sein. Die Autoren Heberer und Scholz verdeutlichen dies an den Tatsachen, dass ländliche Arbeiter im Gegensatz zu Stadtbewohnern mindestens 12 Stunden am Tag arbeiten und das sieben Tage die Woche. Auch gelten für Arbeitsmigranten kein Arbeitsschutz und keine geregelte Bezahlung, da sie illegal arbeiten. Thomas Heberer schreibt, dass in Peking jährlich ca. 2000 Menschen auf Baustellen sterben, da Arbeitsschutzrichtlinien nicht eingehalten werden. 23 3.4.2.2 Reformen in der sozialen Sicherung Vor den Reformen bestand die soziale Sicherung seit 1951 im Wesentlichen aus der allgemeinen Absicherung. Dieses System entwickelte sich auf dem Land und der Stadt jedoch parallel zueinander. Dies erklärt sich mit der Fokussierung der Regierung auf die Industrialisierung, die auf Grund der technischen Möglichkeiten nur in den Städten stattfinden konnte. So waren Sozialleistungen nur für städtische Arbeiter vorgesehen. 24 Sowohl Wei, als auch der Autor Rolf Geffken bezeichnen die Vgl. Wei 2005: S. 65. Zit. nach Heuser 2003: S. 221. 23 Vgl. Heberer u. Scholz 2009: S. 413. 24 Vgl. Wei 2005: S. 80. 21 22 104 Seite 105 von 119 Familie als ganzheitliche Einheit als den wichtigsten Bestandteil der sozialen Sicherung in China. 25 Sie basiert auf dem Subsidiaritätsprinzip, in dem jeder für sich und für seine Familie verantwortlich ist. 26 Vor den Reformen sind dies zusätzlich die „danwei’s“, die städtischen Arbeitseinheiten gewesen, die bis heute in der Gesellschaft verankert sind. Danwei’s organisieren für Arbeiter Wohnungen, kümmern sich um die Bezahlung eines Arztes im Krankheitsfall und sorgen für die Vermittlung einer Ehefrau. 27 Für die Bauern ergaben sich ebenfalls Vorteile im Hinblick auf die Erwirtschaftung von Gewinnen. Zunächst stellte zwischen 1979 und 1984 die Reform die Bauern vor landwirtschaftliche Neuerungen. Der Autor Oskar Weggel, ein führender Asienexperte aus Deutschland, beschreibt die drei zentralen Neuerungen Verantwortlichkeitssystem, Freihandel und Freimärkte und spezialisierte Betriebe. Das Verantwortlichkeitssystem löste das bis dahin gültige subordinative Genossenschaftssystem ab, welches für eine kollektive Zusammenarbeit der Bauern sorgte. Weiterhin schreibt Oskar Weggel, dass der Anbau, die Ernte und Rechnungsführung beim einzelnen Haushalt, „hukou“ genannt, lag. Somit wurde vertraglich festgelegt das bestimmte Mengen der Ernte auf den Markt gebracht werden können. Die Gewinne können jetzt für die Finanzierung ihres Haushalts genutzt werden. 28 Die zweite Neuerung neben der Betriebsautonomie, so Weggel, bezieht sich auf die Liberalisierung des Dorfhandels. Oskar Weggel zeigt uns, dass über Jahrzehnte hinweg ein chinesischer Bauer kein Recht hatte, Reis und Gemüse zu an- und verkaufen. Mit Aufhebung des Staatsmonopols mittels des „ZK-Dokuments Nummer Vgl. Geffken: S.17. Vgl. Wei 2005: S. 80. 27Vgl. Handelsblatt 2008: http://www.handelsblatt.com/panorama/aus-allerwelt/china-lexikon-danwei/2949040.html. 28 Vgl. Weggel 2000: S. 24 – 25. 25 26 105 Seite 106 von 119 1“ vom ersten Januar 1985 mussten die staatlichen Ankaufstellen mit den Erzeugern direkt in Kontakt treten und Verträge schließen. Doch diese neue Regelung brachte auch Nachteile mit sich. „So entwickelte sich beispielsweise im Handumdrehen eine beinharte Konkurrenz, die vielen Betrieben ins Mark ging und sie zur Aufgabe zwang“. 29 Der Autor Weggel zeigt uns mit diesem Zitat sehr gut, wie schwer es auch heute noch für Bauern ist, in diesem System Fuß zu fassen und ihre Unternehmung, die Landwirtschaft, aufrecht zu erhalten. Die dritte Neuerung, die Oskar Weggel uns zu Grunde legt, ist die Spezialisierung. Haushaltsbetriebe hatten nun die Möglichkeit sich auf bestimmte Erntemethoden festzulegen. Der Autor legt uns das Beispiel des Dorfes Huaxi in der Provinz Jiangsu vor. Dort hatten sich Haushalte zusammengeschlossen, um sich auf Gemüse- und Obstanbau zu spezialisieren. Für eine bessere Infrastruktur gründeten einige Haushalte eigene Busverbindungen um eine kontinuierliche Anbindung an die Großstädte zu festigen. 3.4.2.3 Wandel der Ein – Kind – Politik Der Philosoph Han Fei sagte einmal: „Fünf Kinder sind zu viel. Wenn jedes Kind wieder fünf Kinder bekommt, wird der Großvater mit 25 Enkelkindern gesegnet sein. Das sind noch mehr Leute, noch mehr Arbeitskräfte, aber weniger Essen zum Verteilen“. 30 29 Zit. nach Weggel 2000: S. 25. 106 Seite 107 von 119 Dieses Zitat, aufgegriffen von Helmut Opletal, verdeutlicht die Aktualität des Kernthemas Ein – Kind – Politik. Helmut Opletal interviewte zwei 27- jährige Frauen, die trotz der strengen Regelungen zwei oder mehrere Kinder haben. Das Beispiel von Frau Qu, eine Bäuerin aus einem Dorf in der Provinz Hubei verdeutlicht die Folgen, denen junge Familien ausgesetzt sind. Zwar ist ein zweites Kind seitens der Regierung nicht mehr so stark geächtet, doch müssen Familien Sanktionen wie eine Strafzahlung von 5000 Yuan in Kauf nehmen, für ein drittes Kind dann 10000 Yuan. Der Grund, warum sich chinesische Familien trotzdem für mehrere Kinder entscheiden ist laut dem Autoren Opletal der Wunsch nach einem Jungen, der die Familie in eine erfolgreiche Zukunft führt. Helmut Opletal gibt ein weiteres Beispiel. Frau Huan, ebenfalls 27 Jahre, ist Vorarbeiterin in einem Staatsbetrieb und darf erst schwanger werden, wenn der Betriebsausschuss es ihr erlaubt. Wird sie vorher schwanger schreibt Opletal wörtlich, so würde der Betriebsausschuss die Frauen zur Abtreibung drängen und die monatliche Prämie gekürzt. 31 Wie ist die Ein – Kind – Politik entstanden und welche Änderungen gibt es in den letzten Jahren? Diese besondere Art der Geburtenkontrolle wurde, wie es Helmut Opletal kennzeichnet, 1980 eingeführt und mit Ausnahme von Regionen mit sehr wenig Bewohnern, landesweit für gültig erklärt. 32 Baochang Gu schreibt dazu, dass die Ein – Kind – Politik, auch Fertilitätspolitik genannt, landesweite Unterschiede aufwirft. Die vier Arten der Fertilitätspolitik spalten sich in die Ein – Kind – Politik, Anderthalb – Kinder – Politik, Zwei – Kinder – Politik und drei Kinder – Politik auf. Der Autor Gu zeigt uns deutlich, dass die Gebiete mit der strengsten Fertilitätspolitik unter der Zuständigkeit der Zentralregierung, überwiegend Kommunen sind. 33 Zit. Nach Opletal 1997: S. 35. Vgl. Opletal 1997: S. 34 – 35. 32 Vgl. Opletal 1997: S. 35. 33 Vgl. Gu 2011: S. 478 – 479. 30 31 107 Seite 108 von 119 Wie sieht der Wandel der Ein – Kind – Politik aus? Die demographische Entwicklung hat kürzlich dazu geführt, dass die kommunistische Führung zukünftig Paaren erlaubt, zwei Kinder zu kriegen, wenn nur einer der Partner selbst ein Einzelkind ist. Vorher mussten beide Partner ein Einzelkind sein. Neben dem erwiesenen Fakt der extremen demographischen Entwicklung, ist der Rückgang der Zahl der erwerbsfähigen Personen ein entscheidender Faktor, der für eine Lockerung spricht. 34 Ein weiterer Grund entsteht innerhalb der chinesischen Gesellschaft selbst. Die Nachrichtenagentur „Xinhua“ meldet ein Lauterwerden der kritischen Stimmen an der Ein-Kind-Politik, weil sie häufig mit menschenunwürdigen Verfahren durchgesetzt wurde. So gab es Spätabtreibungen und Zwangssterilisationen und einige Behörden nutzten die dazu Regelung aus, um für unerlaubt geborene Kinder Bestechungsgeld zu verlangen. 3.4.3Soziale Sicherung in China In Deutschland sieht das System der sozialen Sicherung voraus, dass Arbeitnehmern ein gesetzlicher Schutz im Falle eines Unfalls oder Krankheit zusteht. Ebenfalls zahlt man einen Großteil des Lohns in die gesetzliche Rentenund Arbeitslosenversicherung ein, um im hohen Alter oder bei Arbeitslosigkeit abgesichert zu sein. Wie sieht dieses System in China aus und wie ist es geschichtlich durch Reformen gewachsen? Diese Fragen werden im nächsten Hauptkapitel beleuchtet. Vgl. Manager Magazin 2013: http://www.managermagazin.de/politik/weltwirtschaft/china-a-933813.html. 34 108 Seite 109 von 119 3.4.3.1Krankenversicherung Die Autorin Dr. Yuanshi Bu verdeutlicht in ihrem Text zum chinesischen Arbeitsmarkt, aus § 24 Arbeitsrecht, dass der Umbau der Planwirtschaft zur Marktwirtschaft arbeits- und sozialrechtliche Folgen hatte. Die Arbeitgeber hatten während der Planwirtschaft die Verantwortung, eine Kranken-, Renten- und Unfallversicherung hervorzubringen. 35 Der Autor Wei Zhang unterscheidet dabei zwischen der Krankenversicherung in den Städten und der ländlichen Krankenversicherung. In den 1980er Jahren konzentrierte sich die Reform der städtischen Krankenversicherung auf zwei Probleme. Die Ausgaben sind bis zum Ende der 80er Jahre sehr stark angestiegen und Wei schreibt weiter, dass der Deckungsgrad unvollständig war. Die Kostensteigerung wird von dem Autor Dr. Wei durch ineffiziente Strukturen in der Krankenversorgung beschrieben. Einzelne Unternehmen werden bestimmten Einrichtungen wie Krankenhäusern fest zugeordnet, wodurch sich Arbeitnehmer nicht mehr außerhalb nach einer anderen Art der Krankenversorgung umschauen können. Weiterhin bringt uns der Autor den Faktor der Interessenkonstellation zwischen Patient und Krankenhaus und Arzt und Pharmaindustrie näher. So sind der Gewinnanreiz und die hohen Einnahmen aus der Behandlung sowie der Übergang zu zunehmend westlicher Medizin in Verbindung mit entsprechenden, teureren Geräten ausschlaggebend für einen teilweise verschwenderischen Umgang bei den Ausgaben. 36 Der Deckungsgrad der städtischen Krankenversicherung ist nach Dr. Wei von 44,7 Prozent im Jahr 1998, auf 38,8 Prozent im Jahr 2003 zurückgegangen. Gründe sind der rapide Anstieg der Bevölkerung in den Städten, die Verweigerung der Teilnahme mancher Betriebe 35 Vgl. Bu 2009: S. 255. Wei 2005: S. 54. 36 Vgl. 109 Seite 110 von 119 am Versicherungssystem und die Nichterfassung von Wanderarbeitern und Arbeitslosen. 37 Am 14.12.1998 erließ der Staatsrat eine Basiskrankenversicherung für Arbeiter, Beamte und Angestellte in den Städten. Finanziert wird sie von den Arbeitnehmern mit zwei Prozent der Lohnsumme, wie es der Autor Wei schreibt und sechs Prozent zahlt der Arbeitgeber. Dr. Wei schreibt weiterhin, dass bis Ende 2001, 97 Prozent der Städte in China die Basiskrankenversicherung eingeführt haben und die Anzahl der Versicherungsnehmer von 15,1 Millionen im Jahr 1998, auf 120,74 Millionen (Oktober 2004) angestiegen ist. Auch die medizinische Absicherung auf dem Land hat sich geändert. Bis zum Jahr 2002 gab es erhebliche Unterschiede zwischen der Versicherung in den Städten und auf dem Land. Durch die Reformen der 80er Jahre wurde das sogenannte dreistufige Netz zur Prävention und Gesundheitserhaltung auf den zwei unteren Stufen, der Gemeindeebene und Dorfebene stark geschwächt. Wei bezeichnet ebenfalls die Korruption beim Arzneimittelkauf als ausschlaggebenden Faktor für die bis dato vorherrschende Unterversorgung für Bauern. Bauern mit niedrigen Einkommen konnten die Arzneikosten nicht bezahlen. 38 Ab 2003 gilt, dass ein neues, kooperatives medizinisches System schwere Krankheitsfälle absichern sollte. Wei Zhang schreibt dazu ausführlich, dass jeder beteiligte Bauer in den Mittel- und Westregionen Chinas ein Zuschuss von 10 Yuan pro Jahr zu Gute kommt. Mit dem Beschluss einhergehend sollten die staatlichen Investitionen gestärkt, ein Abbau des stark differenzgeplagten Niveaus zwischen Land und Stadt gefördert werden und der Aufbau des neuen medizinischen Systems bis zum Jahr 2010 gewährleisten sein. 39 Vgl. Wei 2005: S. 54 – 56. Vgl. Wei 2005: S. 58 – 60. 39 Vgl. Wei 2005: S. 60 – 62. 37 38 110 Seite 111 von 119 3.4.3.2 Rentenversicherung Die chinesische Verfassung gewährleistet nach „Artikel 44 (Rente)“ eine Zusicherung der Rente: „Der Staat führt gemäß den gesetzlichen Bestimmungen das Ruhestandssystem für die Arbeiter und Angestellten der Betriebe und Institutionen und für die Funktionäre der Staatsorgane durch. Der Lebensunterhalt der Menschen im Ruhestand wird durch den Staat und die Gesellschaft gesichert“. 40 Mit diesem Zitat zeigt Robert Heuser eine Zusicherung und gewissermaßen ein Versprechen seitens der chinesischen Regierung für eine finanzielle Absicherung im Alter. Baochang Gu wirft seinen Blick auf das Zusammenspiel der niedrigen Fertilität und der zunehmenden Alterung der Gesellschaft in China. Doch dieses System existierte nicht immer in dieser Form und auch hier gibt es Unterschiede zwischen städtischen Arbeitern und Bauern. Wei Zhang verdeutlicht in seinem Buch, dass erst mit den Reformen ab 1984 für Staatsunternehmen ein überbetriebliches Rentensystem eingeführt wurde, in China „tuixiu feiyong shehui tongchou“ genannt. Übersetzt bedeutet es „einheitliche Planung für Rentenkosten“ und verpflichtete die staatlichen Betriebe 15 – 25 Prozent der Lohnsumme an örtliche Altersrentenversicherungs-Fonds abzugeben. Diese Vorgehensweise war sehr undurchsichtig, da die Berechnung der Beträge unterschiedlich war. Wei zeigt uns in seinem Text, dass in einigen Regionen beispielweise die Banken die Gelder verwalteten, in anderen Regionen wurden Sonderausschüsse mit der Verwaltung beauftragt. 40 Zit. nach Heuser 2003: S. 221. 111 Seite 112 von 119 Erst zwischen 1991 und 1996 führte die Regierung ein mehrschichtiges Rentensystem ein. Die drei Säulen in diesem neuen System stellten nach Dr. Wei die Grundrentenversicherung, die betriebliche Zusatzversicherung und eine individuelle Zusatzversicherung dar, dessen Finanzierung durch das Umlage- und Kapitaldeckungsverfahren gewährleistet wurde. Mit dem Beschluss vom 16.7.1997 verabschiedete der Staatsrat den „Aufbau einer einheitlichen Grundrentenversicherung für Arbeitnehmer in Betrieben“, so der Autor Wei Zhang. Die Reform hatte zum Ziel, den Beitragssatz des Betriebs auf 20 Prozent und den Beitrag des Arbeitnehmers auf 4 Prozent der Lohnsumme zu vereinheitlichen. Des Weiteren zeigt uns die zweite Neuerung, von Herrn Wei, dass eine zweite Säule, ein kapitalgedecktes Konto eröffnet wurde, auf dem Arbeitgeber und Arbeitnehmer einzahlten. 41 Rolf Geffken zeigt uns ausführlich, dass ein Arbeitnehmer mit 55 Jahren in den Ruhestand gehen kann, vorausgesetzt er hat mindestens 15 Jahre in einem einzigen Unternehmen gearbeitet. 42 Auch Wei bestätigt das, aber fügt hinzu, dass seit 2006 die Dauer der Beitragszahlung und bei der Zusatzrente das Renteneintrittsalter berücksichtigt wird. Die Absicherung auf dem Land geschah mittels der privaten Vorsorge und Familie und als letztes Auffangbecken mit dem gepachteten Boden. Mit Beschluss vom 3.1.1992 wurde eine soziale Rentenversicherung auf Kreisebene festgelegt. Der Autor Wei schreibt, dass die Grundprinzipien auf eine Anpassung der ländlichen Produktivität geschehen musste, da die Einkommen in den ländlichen Regionen stark variieren. Weitere Grundprinzipien waren die Kombinierbarkeit der Versicherung mit der Alterssicherung durch Familie, Boden und Sozialhilfe sowie die Finanzierung durch die Person selbst und Gültigkeit des Kapitaldeckungsverfahrens. 41 42 Vgl. Wei 2005: S. 44 – 46. Vgl. Geffken 2004: S. 137. 112 Seite 113 von 119 Zusammengefasst ergeben sich verschiedene Charakteristika, die die Grundvoraussetzungen für den Erhalt der Rente darstellen. Demnach gilt unter Punkt eins diese Regelung für alle Bewohner in ländlichen Regionen zwischen 20 und 60 Jahren und unter Punkt zwei, dass die Beiträge die Versicherten und die Kommune zahlen. Außerdem erhält eine Ein – Kind – Familie einen kommunalen Zuschuss. Unter Punkt drei fasst Dr. Wei den Beitragssatz zusammen, welcher von 2 – 20 Yuan im Monat beträgt, die Beiträge werden auf ein individuelles Konto gezahlt und ältere Bauern bis 40 Jahre, dürfen sogar rückwirkend einen Pauschalbetrag nachzahlen. Punkt vier beinhaltet, dass die Auszahlung ab dem 60. Lebensjahr möglich ist und der gesetzliche Erbe im Todesfall sämtliche Beiträge einschließlich Zinsen erhält. Probleme ergaben sich ab 1993 bei der geringen Deckung, die bis zum Jahr 2000 sogar noch weiter sank und dazu führte, dass Bauern nicht abgesichert waren. Unsicherheiten ergaben sich seitens der Landbevölkerung im Hinblick auf die unverhältnismäßig hohen Verwaltungskosten. Auch wurde über Missbrauch und Fehlinvestition gesprochen. Wei zeigt damit ausführlich, dass die Rentenbeiträge eher als zusätzliche Steuern angesehen wurden und keine Rechtsicherheit besteht, da die Versicherung selbst vom Ministerium für Zivilangelegenheiten festgelegt wurde. 43 3.4.3.3 Arbeitslosenversicherung Um zu wissen wie Arbeitslose in China abgesichert werden, muss erst veranschaulicht werden, wie die allgemeine Situation im Blick auf den Arbeitsmarkt aussieht. Die Autorin Heike Holbig bezeichnet die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit als eines der oberen Ziele der chinesischen, politischen Führung. Sie beschreibt weiterhin, dass der stellvertretende Arbeitsminister Wang Dongjin 2002 auf die 43 Vgl. Wei 2005: S. 50 – 53. 113 Seite 114 von 119 wachsende Gefahr sozialer Destabilisierung hingewiesen hat. Jährlich kommen 12 – 13 Millionen neue Arbeitskräfte hinzu, aber im Gegenzug nur 8 Millionen neue Arbeitsplätze. So rechnete man ist bis zum Jahre 2006 mit einem Anstieg der Anzahl der städtischen Arbeitslosen auf über 20 Millionen, so die Autorin Holbig. Chinesischen Rechnungen zu Folge liegt somit im Jahr 2006 die Arbeitslosenrate bei über 20 Prozent. 44 W ie ist nun die Arbeitslosenversicherung aufgebaut? Dr. Wei Zhang bringt uns den Zeitraum zwischen 1986 und 1993 als Probephase näher. In diesen Jahren wurden in manchen Städten und ländlichen Regionen Fonds der Arbeitslosenversicherung eingerichtet. Finanziert werden diese Fonds mit Zinsen und Zuschüsse lokaler Regierungen sowie der Einzahlung der beteiligten Betriebe von einem Prozent des Gesamtlohns. Der Autor Wei schreibt weiterhin, dass eine Unterstützung aus diesen Fonds hauptsächlich für Arbeitnehmer vorgesehen war, deren Betriebe in Konkurs gegangen waren oder deren Verträge ausgelaufen waren. Die Höhe dieser finanziellen Unterstützung, so Wei, richtete sich nach Beschäftigungsdauer und der Ursache, die zur Arbeitslosigkeit geführt hat. Wei Zhang verdeutlicht uns die Arbeitslosenleistungen im ersten Jahr nach Ausscheiden aus dem Betrieb am Beispiel der Provinz Heilongjiang. So erhielten Arbeitnehmer, die wegen eines Konkurses arbeitslos sind noch 75 Prozent ihres Lohns, bei Aussprache des Betriebs zur Vertragsauflösung erhielten diese noch 70 Prozent ihres Lohnes und Arbeiter, die selbst gekündigt haben, erhielten noch 60 Prozent des Lohns. Die drei Gruppen erhielten im zweiten Jahr der Arbeitslosigkeit immerhin noch 50 Prozent von ihrem Einkommen. 45 Wei Zhang beschreibt am Jahr 1989, dass 171 Millionen Yuan aus der neuen Arbeitslosenversicherung gezahlt wurden. Davon gingen alleine 8 Millionen Yuan an Arbeitsanwärter, 68 Millionen Yuan an Menschen 44 45 Vgl. Holbig 2003: S. 74. Vgl. Wei 2006: S. 64. 114 Seite 115 von 119 die an einer Umschulungsmaßnahme teilnahmen und 34,41 Millionen Yuan für Produktionsmaßnahmen zur Eigenhilfe, so Dr. Wei. So gingen jeweils umgerechnet 45 Yuan an einen Arbeitslosen, was sehr wenig Geld ist. Das System der Finanzierung durch den Arbeitgeber wurde nun, nach Dr. Yuanshi Bu beschrieben, durch das Sozialversicherungswesen abgelöst. Im Jahr 1998 wurde das Ministerium für Arbeit und soziale Sicherung gegründet und im März 2008 mit dem Ministerium für Personalwesen zusammengeführt. Im Kampf gegen die steigende Arbeitslosigkeit legte der Staatsrat im April 2002 das sogenannte „Weißbuch zur Beschäftigung und sozialen Sicherung“ vor, so beschreibt es die Autorin Heike Holbig. Es beinhaltet Strategien zur Schaffung neuer Arbeitsplätze, die Flexibilisierung des Arbeitsmarktes sowie fundierte Ausbildungsmöglichkeiten, eine effizientere Arbeitsvermittlung und den Ausbau eines landesweit gültigen Sicherungssystems. 46 3.4.3.4 Unfallversicherung Rolf Geffken schreibt, dass chinesische Arbeitsplätze zu den gefährlichsten der Welt gehören. Jedes Jahr verunglücken 100000 Menschen tödlich am Arbeitsplatz. Die Todesrate liegt beispielweise in den Bergminen 10 mal höher, als in den Bergminen in den USA. 47 Daraus resultiert zwangsläufig ein Einblick in die Unfallversicherung Chinas. Barabara Darimont, Sinologin, datiert Chinas Unfallversicherung bis in das Jahr 1950 zurück. Diese war damals allerdings noch in der Form reglementiert, als dass Staatsbetriebe bei einem Unfall eine allgemeine Kostenübernahme der Behandlung und Invalidenrente zahlten, sofern dies nötig war. Ab 1990 etablierte sich eine Unfallversicherung, die wie die Altersversicherung aus Fonds finanziert werden soll. Die Autorin Darimont beschreibt den Test dieses 46 47 Vgl. Holbig 2003: S. 75 – 76. Vgl. Geffken 2004: S. 86. 115 Seite 116 von 119 neuen Unfallversicherungssystems an den Provinzen Hainan, Lianing und Fujian. Bis 1996 gab es schon 31 Millionen Versicherte und 2001 43,55 Millionen. 48 2004 traten die Regeln der Unfallversicherung in Kraft. Die wichtigste Erneuerung ist das Einbeziehen aller Betriebe und nicht nur mehr die Berücksichtigung der Staatsunternehmen. Unternehmer mussten seit in Kraft treten der Regelung den Beitrag zur Unfallversicherung zahlen. Der Beitrag bewegt sich zwischen 0,5 bis 2% der Gesamtlohnsumme. Der Versicherungsschutz bezieht sich dabei auf Arbeits- und Wegeunfälle und Berufskrankheiten. Außerdem fallen darunter gesondert Ersatzzahlungen bei Lohnausfällen, Abfindungen, Hinterbliebenengelder und Sterbegelder sowie Pflegegelder, berufliche Rehabilitation und die Behandlung mit medizinischen Geräten. Bei einer Wiedereingliederung, bedingt durch eine teilweise Arbeitsunfähigkeit kann das Unternehmen eine der Fähigkeiten abgepassten Arbeitsstelle anbieten und bis zu 70% des Lohns weiterzahlen. 49 3.4.4 Fazit Untersucht man das System der sozialen Sicherung in China stellt man einige Gemeinsamkeiten und einige Defizite im Vergleich zu dem vorherrschenden System in Deutschland fest. Eine Finanzierung seitens des Staates geschieht, doch erst seit Beschluss vieler einzelner Reformen. Die mir vorliegende Literatur hat dies sehr veranschaulicht. Einige Missstände der Sozialpolitik in China sind allgegenwärtig, doch erst mit der Auseinandersetzung, insbesondere mit der entsprechenden Literatur, wurde mir klar, wie zum Beispiel die demographische Entwicklung ein Faktor für viele Gegebenheiten in China, aber auch in Deutschland ist. Blickt man hinter die 48 49 Vgl. Darimont 2003: S.1102. Vgl. Darimont 2003: S. 1108 – 1109. 116 Seite 117 von 119 Entwicklungen stellt man fest, dass auch die deutsche Bevölkerung in einer alternden Lebenswelt agiert: Immer weniger Familien mit Kindern, dafür immer älter werdende Menschen, die finanzielle und gesundheitliche Probleme vorweisen. Weniger Kinder, weil immer mehr Menschen karrierebehaftete Berufe ergreifen und wir werden auf Grund moderner medizinischer Standards vitaler. In China hat diese Entwicklung jetzt zur Lockerung der Ein – Kind – Politik geführt. Eine gute Beschreibung für einen Gesamtüberblick liefert das Buch von dem Autoren Dr. Wei Zhang, der eindringlich und kompakt die Entwicklungsgeschichte der Versicherungsebenen darstellt. So habe ich sehr viele neue Erkenntnisse zu der geschichtlich gewachsenen Entstehung verinnerlicht und erlernt. Gemeinsamkeiten zu der Absicherung in Deutschland existieren in der Bezuschussung durch Unternehmen und Betriebe. Die Zusammensetzung der Unfallversicherung schildert Barbara Darimont sehr gut, doch wird der die Verletzung der Rechte der Bürger immer wieder deutlich. Für mich persönlich war es nicht klar, dass im Falle eines Unfalls auf offener Straße einem Menschen nicht geholfen wird. Die Tatsache wurde mir auf der Exkursion nach Peking und Schanghai im Wintersemester 2013/14 von unserem Dolmetscher und Reiseführer in Shanghai bekannt und hat mich in meinem Weltbild erschüttert. In Deutschland ist es selbstverständlich, dass bei einem Autounfall Menschen zur Hilfe eilen und einen Notarzt rufen. Abschließend kann ich sagen, dass China für zukünftige Sozialarbeiter nicht nur im Blick auf die soziale Sicherung, sondern im Kennenlernen der gesamten gesellschaftlichen Kontexte eine Reise wert ist. Eine Wahrung der Kultur und Tradition ist sowohl in Form von Gemälden, altertümlichen Gebäuden und chinesischer Musik allgegenwärtig. Man trifft auf bittere Armut und grenzenlosen Reichtum, aber eine Tatsache verbindet beide Schichten: Die Hoffnung und der Optimismus, von dem viele Europäer in Zeiten der Not etwas lernen können. 117 Seite 118 von 119 3.4.5 Literaturverzeichnis Bücherquellen Bu, Yuanshi (2009): Einführung in das Recht Chinas. München, 2009: C.H.Beck Verlag. Geffken, Rolf (2004): Arbeit in China. 1. Auflage 2004. Baden-Baden, 2004: Nomos Verlagsgesellschaft. Gu, Bauchang (2011): Das Auftreten der niedrigen Fertilität in China. In: Bertram, Hans; Ehlert, Nancy (Hrsg.): Familie, Bindungen und Fürsorge. Familiärer Wandel in einer vielfältigen Moderne. Opladen u.a., 2011: Verlag Barbara Budrich. Heuser, Robert (2003): „Sozialistischer Rechtsstaat“ und Verwaltungsrecht in der VR China (1982 – 2002). Analyse, Texte, Bibliographie. Hamburg, 2003: Verbund Stiftung Deutsches Übersee – Institut. Holbig, Heike (2003): Gelingt die politische Steuerung der wirtschaftlichen Dynmaik in China? In: Draguhn, Werner (Hrsg.): Chinas und Japans Bedeutung für Ostasien und die Weltwirtschaft. Hamburg, 2003: Verbund Stiftung Deutsches Übersee – Institut. Opletal, Helmut (1997): „Ein Kind ist genug“. In: China verstehen. Sympathie Magazin Nr. 10. Seefeld-Hechendorf, 1997: Klett – Verlag. Weggel, Oskar (2000): Alltag in China. Neuerungsansätze und Tradition. Institut für Asienkunde. Hamburg, 2000: Verbund Stiftung deutsches Übersee – Institut. 118 Seite 119 von 119 Internetquellen Darimont, Barbara (2003): Rechtsgrundlagen der chinesischen Sozialversicherung. In: China aktuell. Hamburg, 2003: Giga Hamburg. http://www.gigahamburg.de/sites/default/files/openaccess/chinaaktuell/2003_9/giga _cha_2003_9_darimont.pdf (letzter Abruf 21.12.2013). Handelsblatt (2008): Danwei. Die „Danwei“, die Arbeitseinheit, ist die wichtigste soziale Gruppe für die Chinesen. http://www.handelsblatt.com/panorama/aus-aller- welt/china-lexikon-danwei/2949040.html (letzter Abruf: 06.12.2013). Manager Magazin (2013): China lockert Ein – Kind – Politik. http://www.managermagazin.de/politik/weltwirtschaft/china-a-933813.html (letzter Abruf: 21.12.2013). Süddeutsche Zeitung (2013): China will Ein – Kind – Politik lockern. http://www.sueddeutsche.de/politik/reformen-in-der-volksrepublik-china-will-einkind-politik-lockern-1.1819500 (letzter Abruf: 21.12.2013). Abbildungen Abb. 1: Wei, Zhang (2005): Soziale Sicherung in China. Ein Überblick über die soziale Sicherung sowie die chinesisch-deutsche Zusammenarbeit im Bereich sozialer Sicherung. Chemnitz, 2005: Aka GmbH Berlin. 119