Klausurenkurs Polizei- und Ordnungsrecht

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Klausurenkurs Polizei- und Ordnungsrecht
Klausurenkurs Polizei- und Ordnungsrecht
Wintersemester 2002/2003 - 2. Klausur
In Berlin werden immer häufiger Passanten auf öffentlichen Plätzen und in den
Parkanlagen der Stadt durch Stadtstreicher und obdachlose Personen
belästigt. Sie rempeln Passanten an, liegen auf den Bänken der öffentlichen
Plätze und in den Parks. Leere Flaschen, Papier und Lebensmittel sammeln
sich um die bevorzugten Treffpunkte an. Oft sind es größere Gruppen, die
grölend über die Plätze ziehen, um sich dann irgendwo dort niederzulassen.
Vereinzelt ist es auch schon zu kleineren Taschendiebstählen und leichten
Körperverletzungen an Passanten gekommen.
Daraufhin erlässt der Innensenator die „Verordnung über die Aufrechterhaltung
der öffentlichen Sicherheit und Ordnung auf und in den Straßen und Anlagen
im Land Berlin“ (VO), die u.a. folgende Vorschriften enthält:
§2
§3
§4
§8
Jede Verunreinigung von Straßen oder öffentlichen Anlagen durch
Wegwerfen oder Liegenlassen von Gegenständen (z.B. Papier,
Glas...) ist untersagt.
Die Bänke auf Straßen oder in öffentlichen Anlagen dürfen nicht
entfernt, versetzt oder beschmutzt werden. Es ist untersagt auf
Bänken zu liegen oder zu nächtigen.
Jedes sonstige Verhalten, das anderen Personen bei der
Benutzung der Straßen oder öffentlichen Anlagen mehr als nach
den Umständen vermeidbar belästigen kann (z.B. Lärmen,
Aufdringlichkeit, störender Alkoholgenus, Betteln) ist untersagt.
Vorsätzliche oder fahrlässige Zuwiderhandlungen gegen die
Bestimmungen dieser Verordnung können als Ordnungswidrigkeit
mit einem Bußgeld geahndet werden.
A und B, zwei Stadtstreicher ohne festen Aufenthalt, liegen an einem Maiabend
gegen 19 Uhr auf zwei Bänken im Tiergarten. Beide sind stark angetrunken und
sprechen die Passanten mit obszönen Äußerungen um Geld und Alkohol an.
Die entleerten Bierflaschen haben A und B auf den Rasen geworfen. Mehrere
Passanten beschweren sich bei der vorbeikommenden Polizeistreife über die
Belästigungen durch A und B.
Dem Polizisten P sind die beiden Stadtstreicher bereits auf Grund ähnlicher
Vorfälle bekannt. P fordert A und B auf, sich zu ihrem Verhalten zu äußern. A
und B lallen einige unverständliche Worte. Nunmehr fordert P die beiden auf,
den Tiergarten sofort zu verlassen, da ihr Verhalten nach der VO verboten sei,
wie sie aus den im Tiergarten aufgestellten Bekanntmachungstafeln ersehen
könnten. Gleichzeitig droht P den beiden Stadtstreichern die Entfernung aus
dem Tiergarten unter Anwendung von körperlicher Gewalt an, falls sie diesen
nicht innerhalb von 5 Minuten selbst verlassen.
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A und B kümmern sich nicht um die Aufforderung des P und belästigen weitere
Passanten. Daraufhin ruft P über Funk einen Streifenwagen herbei. P, der
andere Streifenbeamte S und die Besatzung des Streifenwagens bringen die
sich vehement sträubenden A und B unter Einsatz körperlicher Gewalt
zunächst zum Eingang des Tiergartens. Auf Veranlassung des P werden A und
B dort in den vor dem Eingang zum Tiergarten stehenden Streifenwagen
verbracht und in ein mehrere Kilometer entferntes Waldgebiet am Stadtrand
von Berlin gefahren und dort abgesetzt.
Prüfen Sie die Rechtmäßigkeit der polizeilichen
Maßnahmen gegen A und B.
Bearbeitungsvermerk: Von der formellen und materiellen Rechtmäßigkeit der
VO ist auszugehen.
Zugelassene Hilfsmittel:
Bearbeitungszeit:
GG, ASOG, VwVfG, VwVfG Bln.,
VwGO, VwVG, UZwG
3 Stunden
Lösungsskizze
I.
Aufforderung des P an A und B, den Tiergarten zu verlassen
1. Art der Maßnahme und Ermächtigungsgrundlage
Die erste polizeiliche Aufforderung des P an A und B, den Tiergarten zu
verlassen, bedeutet einen Eingriff in das Grundrecht der körperlichen
Bewegungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 2 GG bzw. in die allgemeine
Handlungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 GG, so daß es hierfür einer
Ermächtigungsgrundlage bedarf.
Fraglich
ist,
ob
die
Ermächtigungsgrundlage
dem
repressiven
Strafverfolgungsrecht oder dem präventiven Gefahrenabwehrrecht zu
entnehmen ist. Hierbei ist auf den Zweck der ergriffenen Maßnahme
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abzustellen. Da P die beiden Stadtstreicher vorrangig an der Fortsetzung ihres
nach der VO verbotenen Verhaltens hindern will, d.h. präventiv-polizeilich zur
Abwehr einer durch das Verhalten von A und B eingetretenen Störung tätig
geworden ist, handelt es sich um eine Maßnahme zur Gefahrenabwehr und
nicht zur Verfolgung der Ordnungswidrigkeit des § 8 VO.
Bei der Aufforderung handelt es sich um eine Platzverweisung; d.h. das
polizeiliche Gebot, einen bestimmten eng umgrenzten Ort (z.B. Platz,
Straßenteil) vorübergehend zu verlassen oder das Verbot, einen solchen Ort
vorübergehend nicht zu betreten. Als Ermächtigungsgrundlage kommt daher §
29 Abs. 1 S. 1 ASOG in Betracht.
2. Formelle Rechtmäßigkeit
a) Zuständigkeit
Die formelle Rechtmäßigkeit setzt zunächst voraus, daß die Polizei für diese
Maßnahme sachlich zuständig ist. Gemäß § 1 Abs. 1 ASOG hat die Polizei die
Aufgabe, Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung abzuwehren.
Zur öffentlichen Sicherheit gehören die Unverletzlichkeit der Rechtsordnung,
der subjektiven Rechte des einzelnen sowie der Einrichtungen und
Veranstaltungen des Staates oder sonstiger Träger der Hoheitsgewalt.
Gefahrenabwehr ist jede polizeiliche Maßnahme, die darauf gerichtet ist, die
Gefahr zu beseitigen oder zu mindern. Zur Gefahrenabwehr gehören auch die
Verhütung und Unterbindung von Straftaten und Ordnungswidrigkeiten, denn
die Strafbarkeit und Ordnungswidrigkeiten sind Ausdruck dafür, daß ihr
tatbestandliches Verhalten die öffentliche Sicherheit gefährdet.
Die Zuständigkeit der Polizei zur Gefahrenabwehr wird gemäß § 4 ASOG
dadurch eingeschränkt, daß sie nur tätig werden darf, wenn das Handeln einer
anderen Behörde nicht oder nicht rechtzeitig möglich erscheint oder die
Maßnahme zur Gefahrenabwehr notwendig oder unaufschiebbar ist. Im
Interesse eines wirksamen Schutzes der öffentlichen Sicherheit und Ordnung
kann diese Zuständigkeit der Polizei (Recht des ersten Zugriffs) nicht davon
abhängig gemacht werden, ob die zuständige Behörde die Gefahr tatsächlich
nicht rechtzeitig abwehren kann. Es kommt vielmehr darauf an, ob aus der
Sicht der Polizei auf Grund der im Zeitpunkt des Einschreitens erkennbaren
Umstände bei verständiger Beurteilung der Situation die Gefahrenabwehr durch
die Behörde nicht oder nicht rechtzeitig möglich erscheint.
Die Aufforderung des P ist hier gegen 19 Uhr ergangen. Zu diesem Zeitpunkt
ist die zuständige Behörde wegen des Dienstschlusses nicht erreichbar oder
nicht in der Lage, gegen A und B einzuschreiten. Zudem ist die
Gefahrenabwehr notwendig und unaufschiebbar. Die Polizei ist daher gemäß §
4 ASOG zuständig.
Die örtliche Zuständigkeit des P ergibt sich aus § 6 ASOG.
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b) Allgemeine Verfahrensvorschriften
P hat A und B aufgefordert, sich zu ihrem Verhalten zu äußern. Dies ist eine
Anhörung i.S. des § 28 Abs. 1 VwVfG. Die Aufforderung durfte nach § 37 Abs.
2 VwVfG auch mündlich ergehen. Die Platzverweisung muß ferner gemäß § 37
Abs. 1 VwVfG inhaltlich hinreichend bestimmt sein. Die inhaltliche Bestimmtheit
eines VA erfordert, daß die behördliche Regelung für die Beteiligten,
insbesondere den Adressaten so klar, vollständig und unzweideutig erkennbar
sein muß, daß sie ihr Verhalten danach richten können und der VA ohne jede
Erläuterung als Grundlage für seine zwangsweise Durchsetzung dienen kann.
Diesen Anforderungen entspricht die Aufforderung des P, da A und B aus ihr
klar entnehmen können, daß sie den Tiergarten verlassen müssen. Die
Aufforderung ist A und B auch gemäß § 41 Abs. 1 VwVfG bekannt gegeben
worden.
3. Materielle Rechtmäßigkeit
a)
Die materielle Rechtmäßigkeit setzt zunächst voraus, daß die
gesetzlichen Voraussetzungen der Platzverweisung vorliegen. Nach § 29 Abs.
1 S. 1 ASOG setzt die Platzverweisung eine konkrete Gefahr für die öffentliche
Sicherheit oder Ordnung voraus und darf nur eine vorübergehende Maßnahme
sein. Die konkrete Gefahr ist eine Sachlage, bei der im Einzelfall die
hinreichende Wahrscheinlichkeit besteht, daß in absehbarer Zeit ein Schaden
für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung eintreten wird.
Die Gefahr wird von P damit begründet, daß A und B durch ihr Verhalten gegen
die VO verstoßen. Diese Begründung ist zutreffend, wenn die VO
rechtswirksam ist und das Verhalten von A und B einen Verbotstatbestand der
VO erfüllt.
aa)
bb)
cc)
Von der formellen und materiellen Rechtmäßigkeit der VO ist nach dem
Bearbeitungsvermerk auszugehen.
Das Verhalten von A und B verstößt hier in mehrfacher Weise gegen die
rechtswirksame VO. Sie lassen die entleerten Bierflaschen auf dem
Rasen liegen, ruhen auf den Bänken, belästigen in angetrunkenem
Zustand die Passanten mit obszönen Äußerungen und sprechen sie in
aufdringlicher Weise um Geld und Alkohol an. Hierdurch verstoßen sie
gegen §§ 2 – 4 VO und begehen eine Ordnungswidrigkeit gemäß § 8
VO. Das Verhalten von A und B ist daher als Verletzung der
Rechtsordnung eine konkrete Gefahr (Störung) für die öffentliche
Sicherheit.
Mit der Platzverweisung kann nur das vorübergehende Verlassen des
Tiergartens angeordnet werden. Dies trifft auf die Anordnung des P zu,
da A und B den Tiergarten nur solange verlassen sollen, als sie sich
ordnungswidrig verhalten.
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b)
Gemäß § 13 Abs. 1 ASOG sind A und B auch die richtigen Adressaten
der Platzverweisung, da sie mit ihrem Verhalten die Gefahr verursachen.
c)
Die Platzverweisung muß eine nach pflichtgemäßem Ermessen
getroffene Maßnahme sein. Das Ermessen der Polizei bezieht sich darauf, ob
(Entschließungsermessen)
und
wie
(Auswahlermessen)
sie
zur
Gefahrenabwehr einschreitet. Das Auswahlermessen kommt in Betracht, wenn
mehrere rechtlich zulässige (gleich geeignete und gleich belastende)
Maßnahmen möglich sind oder mehrere Störer in Anspruch genommen werden
können.
Die Entschließung des P, gegen A und B vorzugehen, ist frei von
Ermessensfehlern. Für das Auswahlermessen ist kein Raum, da die
Platzverweisung die allein geeignete Maßnahme ist und nur A und B Störer
sind.
d)
Bei der Platzverweisung ist schließlich - wie bei jeder polizeilichen
Maßnahme - der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten. Dieser
Grundsatz bedeutet:
-
-
-
Die von der Polizei getroffene Maßnahme muß möglich ( d.h. rechtlich und
tatsächlich ausführbar) und geeignet sein;
von mehreren möglichen und geeigneten Maßnahmen hat die Polizei
diejenige Maßnahme zu treffen, die den einzelnen und die Allgemeinhait
voraussichtlich am wenigsten beeinträchtigt (mildestes Mittel);
die Maßnahme darf nicht zu einem Nachteil führen, der zu dem erstrebten
Erfolg erkennbar außer Verhältnis steht (Verhältnismäßigkeit im engeren
Sinn) und
die Maßnahme ist nur solange zulässig, bis ihr Zweck erreicht ist oder sich
zeigt, daß er nicht erreicht werden kann (Verbot des zeitliche Übermaßes).
Bei der Verhältnismäßigkeit der Platzverweisung von A und B stellt sich die
Frage, ob diese Maßnahme dem Grundsatz des geringsten Eingriffs entspricht.
Die Aufforderung, das verbotswidrige Verhalten zu unterlassen, wäre zwar
gegenüber dem Gebot, den Tiergarten zu verlassen, der geringere Eingriff.
Dieser ist aber zur Gefahrenabwehr nicht geeignet. A und B sind Stadtstreicher.
Als Stadtstreicher werden üblicherweise Personen bezeichnet, die keinen
festen Wohnsitz und keine geregelte Beschäftigung haben. Sie ziehen im
Gegensatz zu Landstreichern nicht von Ort zu Ort, sondern haben ihren
Bewegungsraum in einer bestimmten Stadt. Typisch für sie ist das Auftreten in
kleinen Gruppen in Parkanlagen, Fußgängerzonen etc. Sie bewegen sich,
wenn überhaupt, im Bereich der Bagatellkriminalität, die meist direkt oder
indirekt der Versorgung mit Alkohol dient. Die überwiegende Mehrheit befindet
sich in einem alkoholabhängigen Zustand, der das Verhalten in der
Öffentlichkeit maßgeblich prägt. Das Verhalten von A und B ist für diesen
Personenkreis typisch. Zudem sind sie der Polizei auf Grund ähnlicher Vorfälle
bekannt. Die bloße Aufforderung an A und B, ihr ordnungswidriges Verhalten
zu unterlassen, wäre daher ohne Wirkung und ist somit keine zur
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Gefahrenabwehr geeignete Maßnahme. Auch den übrigen Anforderungen der
Verhältnismäßigkeit wird die Platzverweisung gerecht.
Im Ergebnis ist die Platzverweisung daher auch materiell rechtmäßig.
II.
Entfernung von A und B aus dem Tiergarten
1. Art der Maßnahme und Ermächtigungsgrundlage
Die Polizeibeamten haben die sich sträubenden A und B außerhalb des
Tiergartengeländes gebracht. Da die Polizeibeamten hierbei körperliche Gewalt
gegen die beiden Stadtstreicher eingesetzt haben, ist diese Maßnahme die
Vollziehung der Platzverweisung durch die Anwendung unmittelbaren Zwanges.
Als Ermächtigungsgrundlage für den Einsatz des Zwangsmittels der
körperlichen Gewalt kommt § 6 Abs. 1 i.V.m. § 12 VwVG und § 1 Abs. 1 UZwG
Bln in Betracht.
2. Formelle Rechtmäßigkeit
a) Zuständigkeit
Die allgemeine Zuständigkeit der Polizei ergibt sich aus § 7 Abs. 1 VwVG und
ihre besondere Zuständigkeit aus §§ 1, 3 UZwG Bln.
b) Rechtmäßigkeit der Androhung
Die Androhung des Zwangsmittels ist, auch wenn sie mit der polizeilichen
Grundverfügung verbunden ist, ein VA, denn sie enthält die Entscheidung, daß
und mit welchem Zwangsmittel das von dem Pflichtigen in der Grundverfügung
geforderte Verhalten erzwungen werden soll. Mit der Androhung beginnt die
Vollstreckung und ihre Rechtmäßigkeit ist daher Voraussetzung für die
rechtmäßige Anwendung des angedrohten Zwangsmittels.
Mit der Androhung der zwangsweisen Entfernung aus dem Tiergarten sollen A
und B gezwungen werden, ihr störendes Verhalten zu beenden. Es handelt sich
dabei um die Androhung unmittelbaren Zwangs zur Durchsetzung des
Platzverweises, deren Rechtmäßigkeit sich nach § 13 VwVG richtet.
Die gem. § 13 II VwVG gleichzeitig mit dem Platzverweis ergangene Androhung
der Entfernung aus dem Tiergarten unter Anwendung von körperlicher Gewalt
enthält die konkrete Ankündigung eines bestimmtem Zwangsmittels
(körperliche Gewalt) nach § 13 III 1 VwVG. Weiterhin muß eine angemessene
Frist gesetzt werden, innerhalb derer dem Verantwortlichen Gelegenheit
gegeben wird, seiner Pflicht nachzukommen (§ 13 I 2 VwVG). Die hier gesetzte
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Frist von 5 Minute erscheint angemessen, da es A und B zuzumuten ist,
innerhalb dieser Zeit den Tiergarten zu verlassen.
Grundsätzlich soll die Androhung von Zwangsmitteln gem. § 13 I 1 schriftlich
erfolgen, was hier unterblieben ist. Die Entbehrlichkeit der Schriftlichkeit ergibt
sich jedoch zum einen aus dem Blick auf § 13 II VwVG, denn danach kann wie
hier die Androhung mit dem Grund-VA verbunden werden. Ist aber für den
Grund-VA die Möglichkeit der Mündlichkeit gegeben, wie sich aus § 37 II
VwVfG ergibt, wäre es widersinnig, für die Androhung die Schriftlichkeit zu
fordern. Zum anderen kann die Androhung im Gefahrenabwehrrecht durch die
Vollzugspolizei dann mündlich ausgesprochen werden, wenn die mit der
Schriftlichkeit verbundene Verzögerung die Abwehr der Gefahr nicht rechtzeitig
gewährleisten würde (§ 6 II VwVG). Die Androhung konnte demnach mündlich
erfolgen. Die Festsetzung des Zwangsmittels gem. § 14 VwVG war entbehrlich,
da hier vom Vorliegen einer Situation des Sofortvollzugs (§ 6 II VwVG Bln)
ausgegangen werden kann. Die Androhung der Entfernung unter Anwendung
von körperlicher Gewalt ist daher rechtmäßig.
3. Materielle Rechtmäßigkeit
a)
Die Grundverfügung des Platzverweises ist mit Bekanntgabe wirksam
geworden (§ 43 VwVfG). Der Platzverweis hat auch einen vollstreckbaren
Inhalt, da er auf eine bestimmte Handlung (Verlassen des Tiergartens) gerichtet
ist. Des Weiteren müsste die Grundverfügung entweder unanfechtbar sein, die
sofortige Vollziehung gemäß § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO müsste angeordnet
worden sein oder ein Rechtsmittel dürfte keine aufschiebende Wirkung haben
(§ 6 Abs. 2 VwVfG). Die Aufforderung des P an A und B, den Tiergarten zu
verlassen, ist als unaufschiebbare Anordnung und Maßnahme der Polizei
gemäß § 80 Abs. 2 Nr. 2 VwGO sofort vollziehbar.
Die schnelle Beseitigung der von A und B ausgehenden Störungen ist nur
durch eine zwangsweise Entfernung aus dem Tiergarten möglich, da die
vorausgegangene Aufforderung erfolglos geblieben ist. Wegen des
Widerstandes der beiden Stadtstreicher, die mit ihrem störenden Verhalten
ungehindert fortfahren, ist die Anwendung körperlicher Gewalt bei der
Entfernung aus dem Tiergarten auch angemessen und verhältnismäßig.
Das Entfernung von A und B aus dem Tiergarten ist daher rechtmäßig.
III.
Verbringung in das Waldgebiet
1. Art der Maßnahme und Ermächtigungsgrundlage
Unter Anwendung körperlicher Gewalt sind A und B in den Streifenwagen
gebracht und dann in das entfernte Waldgebiet transportiert worden. Hierbei
handelt es sich nicht mehr um die Durchsetzung der gegen A und B
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ergangenen Grundverfügung zum Verlassen des Tiergartens, denn die
Platzverweisung beinhaltet nicht, sich an eine bestimme Stelle zu begeben,
sondern sie kann nur verpflichten, sich von einem bestimmten Ort zu entfernen
bzw. ihn nicht zu betreten. Diese weitergehende Zwangsanwendung ist
vielmehr ohne vorausgehende Ge-/Verbotsverfügung, ohne Androhung und
ohne Festsetzung eines Zwangsmittels erfolgt, so daß sofortiger Vollzug durch
Ausübung unmittelbaren Zwangs vorliegt. Als Ermächtigungsgrundlage kommt
daher nur § 6 Abs. 2 i.V.m. § 12 VwVG und § 1 Abs. 1 UZwG Bln in Betracht.
2. Formelle Rechtmäßigkeit
Die allgemeine Zuständigkeit der Polizei ergibt sich aus § 7 Abs. 1 VwVG und
ihre besondere Zuständigkeit aus §§ 1, 3 UZwG Bln.
3. Materielle Rechtmäßigkeit
a) Rechtmäßigkeit des fiktiven Grund-VA
Erforderlich ist zunächst, daß die hier sofort vollstreckte „Maßnahme“
rechtmäßig hätte ergehen können. Das ASOG enthält in seinem Katalog von
polizeilichen Standardmaßnahmen keine ausdrückliche Regelung einer
Maßnahme, die vorsieht, daß Personen, die als Störer einer bestimmten
Öffentlichkeit fernbleiben sollen, von der Polizei festgenommen und an einen
mehr oder weniger entfernten Ort gebracht werden können, von wo sie nicht so
einfach zurückkehren können, um die Störung fortzusetzen. Fraglich ist daher,
auf welche Ermächtigungsgrundlage diese als Verbringungsgewahrsam
bezeichnete Maßnahme, die in das Grundrecht aus Art. 11 Abs. 1 GG
(Freizügigkeit) und Art. 2 Abs. 2 S. 2, Art. 104 GG (Freiheit der Person)
eingreift, gestützt werden kann.
aa)
§ 30 Abs. 1 Ziffer 3 ASOG
Es handelt sich bei dem Verbringungsgewahrsam um keine Maßnahme i.S.
des § 30 ASOG, da der Gewahrsamsbegriff eng auszulegen ist und
demzufolge
durch
die
Verwahrung
in
einer
speziellen
Gewahrsamseinrichtung zu erfolgen hat. Nur die Verbringung in eine solche
Gewahrsamseinrichtung ist daher von der Ingewahrsamnahme erfasst. § 30
ASOG scheidet folglich als Ermächtigungsgrundlage aus. (andere
Auffassung mit entsprechender Begründung vertretbar)
bb) § 17 ASOG
Für Freiheitsentziehungen, wie sie hier durch die Verbringung
vorgenommen werden, ist die Gewahrsamsregelung des § 30 ASOG die
ausschließliche Spezialregelung, die die subsidiäre Generalermächtigung
des § 17 ASOG verdrängt. Da - wie oben ausgeführt - § 30 ASOG nicht zur
Anwendung gelangt, kann auch nicht auf § 17 ASOG zurückgegriffen
werden. Im Übrigen wäre ein Rückgriff auf § 17 ASOG als Befugnisnorm
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auch nicht mit Art. 11 Abs. 2 GG vereinbar, denn der qualifizierte
Gesetzesvorbehalt soll gerade generalklauselartige Ermächtigungen zur
Einschränkung der Freizügigkeit vermeiden. (andere Auffassung mit
entsprechender Begründung vertretbar)
In
Ermangelung
einer
entsprechenden
Verbringungsgewahrsam daher rechtswidrig.
Befugnisnorm
ist
der
(Sofern
Bearbeiter
zu
dem
Ergebnis
kommen,
daß
eine
Ermächtigungsgrundlage für den Verbringungsgewahrsam vorhanden ist, dürfte
die Anordnung der Verbringung jedoch nicht mehr im Einklang mit dem
Grundsatz der Verhältnismäßigkeit stehen, und wäre zumindest aus diesem
Grund materiell rechtswidrig.)
b) Notwendigkeit des Sofortvollzugs
Darüber hinaus sind hier auch nicht die besonderen Eilvoraussetzungen zur
Rechtfertigung des Sofortvollzuges gegeben. Da die Polizei beim „sofortigen
Vollzug“ gemäß § 6 Abs. 2 VwVG nur innerhalb „ihrer gesetzlichen Befugnisse“
tätig werden darf, muß eine besondere Notwendigkeit für die Abweichung vom
Regelverfahren gegeben sein. Im konkreten Fall ist ein sofortiges Tätigwerden
der Polizei, das es entbehrlich machte, auf die Bekanntgabe der Maßnahme
gegenüber A und B zu verzichten, nicht erforderlich gewesen wären. In dem
Moment, wo sich A und B außerhalb des Tiergartens befanden, war die von
ihnen ausgehende Störung zunächst einmal unterbunden. Selbst wenn P
möglicherweise Anlaß zur Befürchtung hatte, daß A und B umgehend in den
Tiergarten zurückkehren werden, so wäre es in zeitlicher Hinsicht durchaus
möglich gewesen, A und B zunächst zu verpflichten, sich an einen bestimmten
anderen Ort zu begeben und ihnen für den Fall der Zuwiderhandlung die
zwangsweise Verbringung dorthin anzudrohen.
Als Ergebnis ist festzuhalten, daß die Verbringung von A und B in das
Waldgebiet rechtswidrig war, da die Vollstreckungsvoraussetzungen nicht
vorlagen.