Jahrbuch Stiftung Preußische Schlösser und

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Jahrbuch Stiftung Preußische Schlösser und
Jahrbuch Stiftung Preußische Schlösser und
Gärten Berlin-Brandenburg
Band 7
2005
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Afra Schick
Die Möblierung des Konzert­zimmers
Friedrichs II. von Preußen
im Schloss Charlottenburg –
Zur Neukonzeption nach 1918
In der Interpretation der friderizianischen Raumschöpfungen kommt den
Konzertzimmern besondere Geltung zu, da sich an ihnen die Interessen, Fähigkeiten und
die Lebensweise König Friedrichs des Großen (1712–1786) ablesen lassen. Während sich
die Konzertzimmer in Sanssouci und in der Königswohnung im Neuen Palais in Potsdam
ohne einschneidende Veränderungen bis in die Gegenwart erhalten haben, war dasjenige
im Schloss Charlottenburg vielfachen Eingriffen in der mobilen Ausstattung unterworfen,
ehe es im Zweiten Weltkrieg zerstört wurde.
Entstehung
Das Konzertzimmer bildet den Auftakt der so genannten Zweiten Wohnung
Friedrichs II. im Neuen Flügel von Schloss Charlottenburg. Der 1740–1746 errichtete Anbau
nahm im Obergeschoss westlich des Speisesaals und der Großen Galerie die so genannte
Erste Wohnung Friedrichs II. auf. 1747 ließ der preußische König am östlichen Ende des
Neuen Flügels eine zweite, kleinere Wohnung einrichten; sie bestand nur aus vier Räumen.
Der Hauptzugang erfolgte über das große Treppenhaus und die beiden Festräume, zudem
erreichte man die Wohnung über ein kleines Treppenhaus an der Gartenseite, von dem eine
große zweiflügelige Tür in das Konzertzimmer sowie eine kleinere in das Schlafzimmer führt.
(Abb. 1 und 2) Der Beschreibung von Friedrich Nicolai aus dem Jahr 1779 ist zu entnehmen,
dass Friedrich II. die persönlich genutzten Räume der ersten Wohnung – Schreibzimmer und
Schlafkammer – zugunsten der zweiten Wohnung dauerhaft aufgegeben hat.1
Der Fußboden erhielt bei der Ersteinrichtung ein Parkett aus Eichentafeln. Die Wände
trugen eine wohl weiß gefasste Täfelung, bestehend aus einer einfachen Sockellambris mit
ebenso schlichten profilierten Rechteckfeldern darüber.2 Nur die weiß-goldene Stuckdecke
und die vier hohen zweiflügeligen Türen, die symmetrisch die Langwände einfassen, wurden reicher dekoriert, etwa mit Blütenketten und Rocaillekämmen auf den geschnitzten
Türfüllungen. Die Ostwand nahm einen Kamin aus grauem Blankenburger Marmor auf.
Wer den Auftrag für den Entwurf der Innenausstattung erhielt, lässt sich nicht mehr
nachweisen. Der Entwurf der Rocaille in der Deckenmitte ist stilistisch eng verwandt mit
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Abb. 1 Konzertzimmer, Zweite Wohnung Friedrichs II., Schloss Charlottenburg, 1747, Blick nach Nordosten, 1888
den „Schleuderrocaillen“ (Tilo Eggeling) der beiden Deckenspiegel der angrenzenden Großen Galerie. 1746, ein Jahr vor der Fertigstellung, waren der Architekt Georg Wenzeslaus
von Knobelsdorff sowie der „Directeur des ornements“ Johann August Nahl aus dem Hofdienst ausgeschieden. Möglicherweise wurden die Zeichnungen zum Konzertzimmer von
den Gebrüdern Hoppenhaupt geschaffen.3
Aus der Zeit um 1770/1780 hat sich ein Inventar erhalten, das gemeinsam mit den Be­
schreibungen von Friedrich Nicolai sowie von Matthias Oesterreich 1773 eine recht genaue
Vorstellung von der friderizianischen Einrichtung gibt. Das Konzertzimmer war als Bilderkabinett eingerichtet. Unter den insgesamt 26 Gemälden befand sich – wohl von Anfang an
– das berühmte „Ladenschild des Kunsthändlers Gersaint“ von Antoine Watteau in zwei
Teilen.4 Zudem besaß der Raum einen Flügel, fünf Notenpulte, sechs weiß-goldene Stühle
mit gris-de-lin-farbenen, das heißt blassvioletten Damastkissen und zwei vergoldete vierbeinige Konsoltische, deren Deckplatten mit Verde-antico-Marmor furniert waren.5
Aus der Beschreibung der Sitzmöbel ist zu schließen, dass das Konzertzimmer eine
zurückhaltende, keineswegs repräsentative Möblierung besaß. Die nur in den Verzierungen vergoldete Fassung der Stühle lässt eine einfache Ornamentierung der geschnitzten
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Die Möblierung des Konzert­zimmers Friedrichs II. von Preußen im Schloss Charlottenburg
Abb. 2 Schlafzimmer, Zweite Wohnung Friedrichs II., 1747, Blick auf
die Westwand, 1888
Gestelle vermuten. Sitz und Rückenlehne dürften mit Rohrgeflecht bespannt gewesen sein.
Entscheidend war offenbar, dass die Stühle – leichter als etwa Armlehnstühle – von den
Konzertteilnehmern rasch umgestellt werden konnten. Die losen Kissen boten im Gegensatz
zu einer festen Polsterung den Vorteil, dass sie austauschbar waren und, auch im Hinblick auf die Sitzhöhe, eine individuelle Anpassung an die Bedürfnisse der Musizierenden
ermöglichten. Die beiden Konsoltische befanden sich sicherlich an den beiden Fensterpfeilern des Raums.
Wahrscheinlich entsprach die geschilderte Einrichtung der Erstausstattung; zwar war
das Schloss während des Siebenjährigen Krieges geplündert worden, jedoch ließ der König
die Schäden umgehend beheben, so dass Nicolai einige Jahre später feststellen konnte:
„Das Schloß in inwendig sehr prächtig und nach dem besten Geschmack meubliret. Im Jahre
1760 ward es zwar von Rußischen, Oesterreichischen und Sächsischen Truppen gänzlich
geplündert, und alle Tapeten, Spiegel und Gemälde ruiniret, es ward aber auf des Königs
Befehl, (verschiedene Gemälde ausgenommen, […]) alles so wie es vorher gewesen neu
meubliret.“6
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Veränderungen 1786–1918
Nach dem Tod Friedrichs II. ging die Möbel-Ausstattung des Raumes vollständig verloren. Bereits 1800 waren der Flügel und das gesamte Mobiliar mit Ausnahme
der Konsoltische entfernt worden, wenngleich der Raum weiterhin zum Musizieren genutzt
wurde, wie ein Doppelnotenpult aus Fernambukholz sowie im Wandschrank aufbewahrte
Musikalien beweisen; die genaue Lage des Wandschranks ist nicht mehr zu ermitteln. Als
Sitzmöbel diente ein Satz von acht klassizistischen Stühlen mit Bezügen aus grünem Gros
du Tour, der spätestens 1810 durch blauen Damast und schließlich 1820 dem Stil der Zeit
folgend durch schwarzes Rosshaar ersetzt wurde.
In den folgenden Jahren erhielt der Raum zusätzlich Möbel aus Mahagoniholz, da­runter
ein hoher Aufsatzsekretär, der die Vermutung nahelegt, dass der weiterhin „Concert-Cammer“ genannte Raum von der zweiten Gemahlin Friedrich Wilhelms III. (1770–1840), der
Fürstin Auguste von Liegnitz (1800–1873), die das Appartement nach der Heirat 1824
bewohnte, als Wohn- und Arbeitszimmer genutzt wurde. Nach 1835 überführte man die
beiden friderizianischen Konsoltische ins Alte Schloss, wo sich ihre Spur verliert.7
Kaiser Friedrich III. (1831–1888) diente Schloss Charlottenburg während der kurzen Zeit
seiner Regierung 1888 als Wohnort.8 Aus diesem Jahr stammt das früheste Bildzeugnis des
Konzertzimmers. Wie die von Ernst Wasmuth verlegte Fotografie zeigt, bot der Raum damals
den Anblick eines im Stil des Historismus dicht und heterogen möblierten Salons, wobei
friderizianische Möbel eindeutig überwogen. (Abb. 1) An den frei gewordenen Fensterpfeilern standen zwei der berühmten barocken vergoldeten Etageren aus Schloss Oranienburg.9
Davor ist das aus dem Unteren Fürstenquartier des Neuen Palais geholte französische
Bureau Plat Friedrichs II. von 1746 zu erkennen.10 Die Westwand nahm vergoldete friderizianische Sitzmöbel – ein Kanapee mit geschlossenen Wangen und Ohrenbacken sowie
insgesamt drei Armlehnstühle mit geschnitzten Granatäpfeln in den oberen Abschlüssen
– auf.11 Davor stand ein dreibeiniger geschnitzter und vergoldeter Schreibtisch.12 Während
das Konzertzimmer im 18. Jahrhundert keinen Spiegel besaß, hing nun über dem Kamin ein
großer vergoldeter Spiegel.
Die Möblierung im
Museumsschloss Charlottenburg 1927–1943
Nach dem Ende der Monarchie wurden die Raummöblierungen durch die
Verwaltung der Staatlichen Schlösser und Gärten tiefgreifend verändert. Auf der Grundlage
der historischen Inventarbände wurden in den 1930er Jahren die Schlösser Friedrichs II.
auf die Möblierung zur Zeit ihrer Entstehung zurückgeführt und im Zuge dessen purifiziert.
Paul Ortwin Rave berichtete 1934 über die „Wiederherstellung“ von Schloss Sanssouci, die
„mancherlei Veränderungen im Innern, selbstredend im Sinne des ersten Zustandes“ zur
Folge hatte: „Auch in der Ausstattung der Räume wird mit größtem Fleiß anhand der alten
Akten und Verzeichnisse das Friderizianische möglichst wieder hergestellt.“ Ebenso war
man ein Jahrzehnt zuvor bei der Neueinrichtung des Neuen Palais verfahren, über die Charles F. Foerster 1923 berichtete: „Ihr Ziel war, nach Ausscheidung des in neuerer Zeit [nach
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Die Möblierung des Konzert­zimmers Friedrichs II. von Preußen im Schloss Charlottenburg
Abb. 3 Konzertzimmer, Schloss Charlottenburg, Blick nach Nordosten, Fotografie nach 1932/vor 1943
etwa 1880, Anm. d. Verf.] hinzugekommenen Mobiliars die Einrichtung nach Möglichkeit
wieder so herzustellen, wie sie zur Zeit des Erbauers gewesen und durch die Beschreibungen des 18. Jahrhunderts sowohl wie durch die älteren Inventarien belegt ist.“13
Im Zuge der Neueinrichtung von Charlottenburg als Museumsschloss überführte man
1930 Watteaus „Ladenschild“ aus dem Berliner Schloss in das Konzertzimmer der Zweiten
Wohnung in Charlottenburg. Zwei Jahre später wurde der im 18. Jahrhundert nicht nachgewiesene Kaminspiegel entfernt; er wurde in eine Bodenkammer auf der Südseite des Alten
Schlosses gestellt und ist seither verschollen.14 Da geeignete Objekte nicht zur Verfügung
standen, wurden friderizianische Möbel anderer als der durch das Inventar um 1770/1780
belegten Gattungen für die Neueinrichtung ausgewählt.
An den Fensterpfeilern kam ein Paar friderizianischer Palisander-Kommoden aus den
Potsdamer Schlössern – wohl nach Entwurf von Georg Wenzeslaus von Knobelsdorff – zur
Aufstellung, wo sie heute noch stehen.15 Seitlich des Kamins wurden hochlehnige friderizianische Armlehnstühle platziert. Bei der Aufstellung wurde experimentiert, ob die Sitzmöbel frontal vor die Wand gestellt werden sollten oder als Sitzgruppe um den Kamin. Das
Ergebnis schien einen atmosphärischen Eindruck eines Möbelensembles aus der Zeit des
großen preußischen Monarchen zu geben. (Abb. 3 und 4)
Im Zweiten Weltkrieg wurde der Raum bei dem Luftangriff in der Nacht vom 22./
23. November 1943 zerstört; nur ein Teil des Dachs über der Zweiten Wohnung blieb ste-
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Abb. 4 Ansicht des Kamins an der Ostwand, Konzertzimmer,
Schloss Charlottenburg, Fotografie nach 1932/vor 1943
hen. Eine Aufnahme des ausgebrannten Konzertzimmers ist nicht bekannt, man kann den
vollständigen Verlust jedoch erahnen aufgrund einer Fotografie der Großen Galerie aus der
frühen Nachkriegszeit, die den Blick auf die westliche Schmalwand und die offene Enfilade
der Zweiten Wohnung zeigt.16 Das mobile Kunstgut war ab 1941 aus Mangel an Kapazitäten
nur teilweise ausgelagert worden, wobei die ausgewählten Möbel aus Charlottenburg nach
Schloss Molsdorf in Thüringen und in das Jagdschloss Grunewald verbracht wurden. Ein Teil
des Charlottenburger Möbelbestandes wurde auf diese Weise gerettet.17
Die Wiedereröffnung des Konzertzimmers 1973
In der frühen Nachkriegszeit schien eine Wiederherstellung der Zweiten
Wohnung Friedrichs II. im Neuen Flügel undenkbar. So schrieb Margarete Kühn 1955: „[…]
die Festräume des Neuen Flügels mit der anschließenden Zweiten Wohnung Friedrichs des
Großen werden in ihrer dekorativen Auszierung nicht wiedererstehen können.“18 Einige
Jahrzehnte später wurde das Konzertzimmer jedoch vollständig rekonstruiert und im Jahr
1973 wieder eröffnet; bis 1982 wurden die beiden folgenden Räume vollständig, das Schlafzimmer nur in vereinfachten Formen wiederhergestellt.19
Grundlage der Rekonstruktion war der Vorkriegszustand. Da das Konzertzimmer seit
seiner Entstehung keine baulichen Veränderungen erfahren hatte,20 waren damit keine
wesentlichen konzeptionellen Entscheidungen verbunden; anders als im Alten Schloss
waren die Sprossenfenster des Neuen Flügels im Laufe des 19. Jahrhunderts nicht durch
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Die Möblierung des Konzert­zimmers Friedrichs II. von Preußen im Schloss Charlottenburg
Flügeltüren ersetzt worden. Fußboden, Wände und Decke waren in Messbildaufnahmen und
anderen Fotografien sowie Inventaren dokumentiert.21 Der Kamin wurde ebenfalls rekonstruiert, wobei man sich dafür entschied, die vor 1892 angebrachten blau-weißen Keramikfliesen der Laibungen ebenfalls zu erneuern.22
Schwierigkeiten bereitete in den 1970er Jahren die Frage, wie der Grund der rekonstruierten Vertäfelung des Konzertzimmers zu fassen sei. Die Entscheidung fiel zugunsten von
„Gris-de-Lin“, das Margarete Kühn für die ursprüngliche friderizianische Farbe hielt.23 Kritik
an dieser Farbwahl und der inventargestützte Nachweis der Fassungsgeschichte führten
dazu, dass die Boiserie 1982 eine weiße Fassung erhielt.24
An der Raumkonzeption hatte sich im Vergleich zu der Vorkriegseinrichtung wenig
geändert, abgesehen davon, dass die Möblierung weiter reduziert wurde. Im Zentrum der
Neuausstattung stand die museale Präsentation von Gemälden. An Möbeln wurde nur das
Kommodenpaar ausgewählt, das im Konzertzimmer schon vor dem Zweiten Weltkrieg Aufstellung gefunden hatte und für den Versuch steht, einem historischen beziehungsweise
rekonstruierten Raumgefüge Kunstwerke aus der Erbauungszeit so einzugliedern, dass die
Ergänzung für den Besucher nicht sichtbar wird.25 Aus diesem Grund wurden die Kommoden
der höfischen Praxis des 18. Jahrhunderts folgend an die Fensterpfeiler gestellt und nicht
etwa in die Raummitte, wo sie als museale Ergänzung erkennbar gemacht würden.
Einige Jahre später kamen an der Nord- und Ostwand die bereits genannten drei friderizianischen Armlehnstühle mit Granatäpfeln hinzu (Farbabb. 30), die sich bereits im späten
19. Jahrhundert im Raum befunden hatten (Abb. 1, links),26 als freilich die Gemäldeausstattung gegenüber der Epoche Friedrichs II. deutlich reduziert war. Somit ergab sich eine
hybride mobile Ausstattung, die einen museal in einreihiger Hängung platzierten GemäldeBestand mit Elementen der heterogenen Möblierung aus der Kaiserzeit verband.
Nach der Wiedervereinigung Deutschlands, als viele Gemälde in ihre Herkunftsschlösser in Berlin und Potsdam zurückkehren konnten, wurde die Hängung der Bilder im Konzertzimmer in Annäherung an die friderizianische Ausstattung grundlegend neu konzipiert.27
1999 wurde außerdem ein ungewöhnliches friderizianisches Bildhauermöbel, ein vergoldeter, mit Trauben und Granatäpfeln dekorierter Tisch, der Johann August Nahl zugeschrieben
wird, ins Konzertzimmer verbracht und unter dem großen Gemälde von Watteau an der
Wand aufgestellt.28 (Farbabb. 31) Der Tisch, der auf allen vier Seiten reich geschnitzt ist und
folglich im 18. Jahrhundert frei im Raum gestanden haben dürfte, gehört zum Vorkriegsbestand von Schloss Charlottenburg. Während mit der neuen Gemäldehängung soweit wie
möglich eine Rekonstruktion des friderizianischen Interieurs vorgenommen wurde, bedeutete die Aufstellung des Nahl’schen Tisches für die Möblierung den Abschied von einer wie
komplex auch immer konstruierten Interieurnachbildung im Konzertzimmer, hin zu einer
musealen Präsentation von Kunstwerken aus der friderizianischen Entstehungszeit des wiederhergestellten Raumes.
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Fazit
Die bis 1973 rekonstruierte Wandfassung des Konzertzimmers gibt das
Erscheinungsbild des Raumes von 1747 bis 1943 wieder. Sieht man von den Kaminfliesen
ab, die sein Aussehen auf die Zeit vom Ende des 19. Jahrhunderts bis 1943 einengen, lassen sich für die Konzeption der mobilen Ausstattung theoretisch keine Vorgaben ableiten.
Ausgangspunkt aller Überlegungen, wie der Raum heute möbliert werden kann, ist der
charakteristisch reiche friderizianische Gemäldebestand, der bis ins frühe 19. Jahrhundert
hinein kaum Veränderungen unterworfen war und von dem 13 Werke erhalten sind. Aus
den anderen Kunstgattungen sind keine größeren Werkgruppen mehr vorhanden, die vor
1918 nachweisbar sind. Eine Rekonstruktion der friderizianischen Ausstattung wird dadurch
erschwert. Dürfte ein Flügel von Gottfried Silbermann – er belieferte wiederholt den preußischen Hof – bereits schwer zu finden sein, so erscheint die Hoffnung, eines Tages fünf
friderizianische Notenpulte erwerben zu können, utopisch.
Aus dem Dargelegten ist zu schließen, dass man bereits mit der nach 1918 gewählten
Lösung die Lücken im überlieferten Objektbestand zu kompensieren suchte und in der Folge
die Aussage des Interieurs verwässerte. Wünschenswerter als die Präsentation möglichst
vieler Kunstwerke erscheint aus heutiger Sicht die Vermittlung des Konzertzimmers als Werk
der friderizianischen Raumkunst, wobei die Grenzen, die sich aus der bruchstückhaft erhaltenen Ausstattung ergeben, zu respektieren sind.
Bereits als Kronprinz ließ sich Friedrich im Obergeschoss des Südflügels von Rheinsberg um 1734/1739 ein Musikzimmer einrichten.29 Es entstand wie die folgenden beiden
Konzertzimmer – im Stadtschloss Potsdam 1744 und im Schloss Berlin 1745 – im Zuge
eines Umbaus. Keines dieser frühen Beispiele ist erhalten. Das 1746 fertiggestellte Konzertzimmer im Schloss Sanssouci, das ungleich reicher dekoriert ist als das nur ein Jahr
später entstandene in Charlottenburg, stellt das erste Konzertzimmer in einem Neubau
dar. Im 1763–1769 erbauten Neuen Palais ließ Friedrich II. schließlich nicht weniger als fünf
Konzertzimmer einrichten, wobei der charakteristische Grundriss der frühen Anlagen, mit
Zugängen an den Langwänden und Fenstern an den Schmalwänden, zugunsten von annähernd quadratischen oder längsrechteckigen Grundrissen mit Zugängen an den Schmalwänden variiert wurde.
Das Konzertzimmer Friedrichs II. in Charlottenburg stellt einen Sonderfall unter den
friderizianischen Konzertzimmern dar.30 Es wurde ursprünglich als Bilderkabinett eingerichtet, weswegen seine Wände keine wandfeste Dekoration erhielten. Der vergleichsweise einfache Wand- und Deckenschmuck des Konzertzimmers im Neuen Flügel von Schloss Charlottenburg sollte nicht dazu verleiten, seine Bedeutung zu unterschätzen. Im Interesse einer
differenzierten Vermittlung der Funktion, der Anlage sowie der Ausstattung dieses für die
friderizianische Architektur so charakteristischen Raumtyps verdient es ebenso Beachtung
wie die weitaus prächtiger dekorierten Konzertzimmer in Sanssouci und im Neuen Palais.
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Die Möblierung des Konzert­zimmers Friedrichs II. von Preußen im Schloss Charlottenburg
Anmerkungen
1 Nicolai, Friedrich: Beschreibung der königlichen Residenzstädte Berlin und Potsdam und aller
daselbst befindlicher Merkwürdigkeiten, 2. Aufl., Berlin 1779, 2. Bd., S. 767, 771.
2 Inventarium des Königlichen Neuen Schlosses zu Charlottenburg aufgenommen im Jahre 1810,
SPSG, Hist. Inventare, AK 47, S. 11: „Fußboden getäfelt [in Bleistift ergänzt:] Eichenholz“.
3 Schreyer, Alexander: Die Möbelentwürfe Johann Michael Hoppenhaupts d. Ä. und ihre Beziehungen
zu den Rokokomöbeln Friedrichs des Großen, Straßburg 1932, S. 65; Eggeling, Tilo: Die Wohnungen
Friedrichs des Großen im Schloss Charlottenburg, Berlin: Verwaltung der Staatlichen Schlösser und
Gärten Berlin (Aus Berliner Schlössern. Kleine Schriften, 5), Berlin 1990, S. 45.
4 Vogtherr, Christoph Martin: Friedrich II. von Preußen als Sammler von Gemälden und der Marquis
d’Argens, in: Preußen. Die Kunst und das Individuum. Beiträge gewidmet Helmut Börsch-Supan,
Hrsg. Hans Dickel/Christoph Martin Vogtherr, Berlin 2003, S. 41–55; Oesterreich, Mat­thias: Beschreibung aller Gemählde, Antiquitäten, und anderer kostbarer und merkwürdiger Sachen, so in denen
beyden Schlößern von Sans-Souci, wie auch in dem Schloße zu Potsdam und Charlottenburg enthalten sind, Berlin 1773, Nachdruck Potsdam 1990, S. 95.
5 Inventarium Von Mobilibus, im Königl. Schloße Charlottenburg, o. J. (um 1770–1780), GStA PK, I.
HA Geh. Rat., Rep. 21, Nr. 197, S. 2; Inventarium des Königlichen Schlosses zu Charlottenburg und
der angehörigen Königlichen Gebäude. Aufgenommen im August 1800, SPSG, Hist. Inventar, AK 32,
S. 6; Inventarium des Königlichen Neuen Schlosses zu Charlottenburg aufgenommen im Jahre 1810,
SPSG, Hist. Inventar, AK 47, S. 11.
6 Nicolai, Friedrich: Beschreibung der königlichen Residenzstädte Berlin und Potsdam und aller
daselbst befindlicher Merkwürdigkeiten, 1. Aufl., Berlin 1769, S. 483.
7 Inventarium des Königlichen Schlosses zu Charlottenburg und der dazugehörigen Gebäude, Vol. 5,
1835, SPSG, Hist. Inventar, AK 42, S. 135.
8 Schloss Charlottenburg, Amtl. Führer der Verwaltung der Staatlichen Schlösser und Gärten Berlin,
bearb. Margarete Kühn, Berlin 1937, S. 24.
9 Schloss Oranienburg, R. 13, Inv. Nr. SPSG IV 18–20, 26, 2245, 2246.
10 Im Inv. 1892: Inventarium des Königl. Schlosses zu Charlottenburg, Bd. IV, SPSG, Hist. Inventare, AK
53, nicht nachweisbar. Schloss Sanssouci, R. 5, Inv. Nr. SPSG IV 21.
11 Kanapee verschollen. Armlehnstühle: Inv. Nr. HM 3680, Schloss Charlottenburg, R. 364.
12 Im Inv. 1892 (wie Anm. 10) nicht nachweisbar. Schloss Sanssouci, R. 9, Inv. Nr. SPSG IV 1221.
13 Rave, Paul Ortwin: Sanssouci, in: Deutsche Kunst und Denkmalpflege, H. 3, 1934, S. 49–57 hier:
S. 56; Foerster, Charles Friedrich: Das Neue Palais bei Potsdam, Berlin 1923, S. 6.
14 Inv. 1892 (wie Anm. 10), Bd. IV, S. 238, Nr. 11.
15 Inv. Nr. SPSG IV 2258, 2259. Zuschreibung nach Tilo Eggeling: Raum und Ornament. Georg Wenceslaus von Knobelsdorff und das friderizianische Rokoko, 2., akt. u. erw. Aufl., Regensburg 2003,
S. 98–99.
16 Eggeling, Tilo/Hannemann, Regina/Julia, Jürgen: Ein Schloss in Trümmern. Charlottenburg im November 1943, hrsg. v. der Verwaltung der Staatlichen Schlösser und Gärten Berlin, 1993, S. 10, Kat. Nr.
70; Margarete Kühn: Schloss Charlottenburg, Berlin 1955, Anm. 138.
17 Anders, Friedhild-Andrea: Schlösser in der Stunde Null. Die Berliner und Potsdamer Schlösser während der Kriegs- und Nachkriegszeit, Potsdam 1999; Quelle 7. Die Denkmäler, ihre Erhaltung und
Wiederherstellung. Berlin. Ehemals Staatliche Schlösser und Gärten, in: Kunstchronik, 1, 1948, H. 9,
S. 12–13.
18 Kühn, 1955 (wie Anm. 16), S. 127.
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19 Schloss Charlottenburg, Amtl. Führer der Verwaltung der Staatlichen Schlösser und Gärten Berlin,
4., veränd. Aufl. Berlin 1974, S. 72.
20 Sperlich, Martin: Denkmalpflegerische Prinzipien beim Wiederaufbau von Schloss Charlottenburg,
in: Schloss Charlottenburg – Berlin – Preußen. Festschrift für Margarete Kühn, Hrsg. Martin Sperlich/Helmut Börsch-Supan, München 1975, S. 13–22, hier: S. 16–19.
21 Messbilder: Raumansicht, Nr. 1615.140, Messbildarchiv/BLDAM, aufgenommen im Zeitraum
1913/1921; Frdl. Auskunft Frau Astrid Mikoleietz, Referatsleiterin Dokumentation, Messbildarchiv.
Deckenansicht, Nr. 1615.141, SPSG, DIZ. Es haben sich keine Fragmente aus dem zerstörten Raum
erhalten. Frdl. Auskunft von Thomas Tapp, Diplom-Restaurator für Architekturfassung, Wandbild,
Abteilung Restaurierung, Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg.
22 Es bestehen geringe Abweichungen im Entwurf der Blüten und Rocaillen des Kamins. Die davor
eingelegten weißen Marmorplatten wurden in drei anstatt in vier Teilen rekonstruiert. Nicht erklärlich sind die in den Inventaren 1810 und 1835 genannten Maßangaben: „Ein Kamin […], dessen
obere Sturzplatte 5 ’ 9 “ [180,46 cm] lang, 7 “ [219,69 cm] breit ist.“ (Inv. 1835). Dass die Breite des
rekonstruierten Kamins von 180 cm dem Vorkriegszustand nahe kommen muss, ist an dem derzeit
darüber hängenden Bildnis der Tänzerin La Reggiana von Antoine Pesne abzulesen, das sich in den
1930er Jahren ebenfalls an dieser Stelle befand (Abb. 3 und 4). Die näheren Umstände der Rekonstruktion waren von der Verf. nicht in Erfahrung zu bringen. Die umfangreichen Unterlagen zu den
Wiederherstellungsarbeiten im Archiv der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg wurden bislang nur teilweise ausgewertet. Frdl. Auskunft Astrid Fritsche, Kustodin, Abteilung
Baudenkmalflege, Bauforschung, Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg.
23 Kühn, 1955 (wie Anm. 16), S. 72; Margarete Kühn: Die Bauwerke und Kunstdenkmäler von Berlin
– Schloß Charlottenburg, 2 Bde., Text- u. Tafelbd., Berlin 1970, Bd. 1 (Textband), S. 122. Die Quelle
der Angabe „Tempera gris-de-lin“ ist unbekannt. Die erwähnte Signatur ist nicht belegt. Beides
dürfte allenfalls auf vor 1945 gemachte Beobachtungen Margarete Kühns an der noch unzerstörten
Vertäfelung zurückzuführen sein. Frdl. Auskunft Dr. Tilo Eggeling, Berlin, und Prof. Dr. Helmut BörschSupan, Berlin.
24 Ausführlich Eggeling, 1990 (wie Anm. 3), Anm. 29.
25 AF 1974 (wie Anm. 19), S. 72.
26 Inv. Nr. HM 3680; Kreisel, Heinrich/Himmelheber, Georg: Die Kunst des deutschen Möbels, Bd. II.
Spätbarock und Rokoko, München, 2. Aufl., 1983, Abb. 780. Inv. 1892 (wie Anm. 10), Bd. IV, 1892,
S. 238, Nr. 14, S. 252, Nr. 24 (Armlehnstühle), S. 239, Nr. 24–25 (Kommoden).
27 Vogtherr, Christoph Martin: Watteau und seine Nachbarn. Zur Neuhängung der Gemälde in der
Zweiten Wohnung Friedrichs II., in: Museums-Journal, 13, 1999, H. 3, S. 66–67.
28 Inv. Nr. SPSG IV 2257. Kreisel/Himmelheber, 1983 (wie Anm. 26), Abb. 752.
29 Es ging nach 1763 in der Bildergalerie (R. 34) des Prinzen Heinrich auf; Hennert, Carl Wilhelm:
Beschreibung des Lustschlosses und Gartens Sr. Königl. Hoheit des Prinzen Heinrichs Bruders des
Königs, zu Rheinsberg, wie auch der Stadt und der Gegend um dieselbe, Berlin 1778, Nachdruck Potsdam, 1991, S. 20–21. Zur Lage des Musikzimmers abweichend Eggeling, 2003 (wie Anm. 15), S. 78–81.
30 Frdl. Hinweis Dr. Christoph Martin Vogtherr, Kustos für französische und italienische Malerei, Abteilung Schlösser und Sammlungen, Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg.
Abbildungsnachweis: Abb. 1 und 2: Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg, Foto:
Ernst Wasmuth Verlag, 1888, Eigentum des Hauses Hohenzollern, SKH Georg Friedrich Prinz von
Preußen – Abb. 3 und 4 : Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg – Farbabb. 30
und 31: Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg, Foto: Daniel Lindner, 2002
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