J. Henker ua: Slawen und Deutsche 2008-4-139 - H-Soz-Kult

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J. Henker ua: Slawen und Deutsche 2008-4-139 - H-Soz-Kult
J. Henker u.a.: Slawen und Deutsche
Henker, Jens; Schöfbeck, Tilo; Weiß, Uwe: Slawen und Deutsche im Hochmittelalter östlich der
Elbe. Archäologisch-historische Studien zur Siedlungsentwicklung. Bonn: Rudolf Habelt Verlag
2008. ISBN: 978-3-7749-3485-6; 366 S.
Rezensiert von: Sabine Altmann, Geisteswissenschaftliches Zentrum Geschichte und Kultur Ostmitteleuropas, Universität Leipzig
Mit den Transformationsprozessen des Hochmittelalters wurde die slawische Bevölkerung
östlich der Elbe zu einem bedeutenden Bestandteil der deutschen Geschichte, eine Tatsache, die wenig im öffentlichen Geschichtsbewusstsein verankert ist. Nichtsdestotrotz
wurden die damit verbundenen strukturellen und herrschaftlichen Veränderungen innerhalb der Germania Slavica, bei denen die
slawische Bevölkerung eine nicht unwesentliche Rolle spielte, bereits seit den siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts von namhaften Mediävisten als ein wesentlicher Bestandteil dieser Transformationsprozesse verstanden. Dem Landesausbau in den ursprünglich
slawisch besiedelten Gebieten, der vor allem
mit der Übernahme westlicher Wirtschaftsund Rechtsformen verbunden ist, kommt dabei eine besondere Aufmerksamkeit zu. Mit
Band 8 der „Studien zur Archäologie Europas“ des Habelt-Verlages Bonn liegen nun
drei Magisterarbeiten vor, die am Lehrstuhl
für Ur- und Frühgeschichte der HumboldtUniversität Berlin entstanden sind und als
archäologisch-historische Studien einen Beitrag zu dieser Geschichte der Siedlungsentwicklung bieten. Unter Anwendung unterschiedlicher Methoden werden dabei drei Regionen innerhalb der Germania Slavica untersucht.
Den ersten Teil des Bandes bildet die
Arbeit von Jens Henker, dessen Forschungen sich auf die Veränderungen einer slawischen Siedlungslandschaft im ländlichen
Raum der beiden heutigen Landkreise Barnim und Märkisch-Oderland konzentrieren,
der im Laufe des 13. Jahrhunderts in den
Herrschaftsbereich der Askanier integriert
wurde.1
Den Einfluss auf die slawische Siedlung untersucht Henker anhand der Analyse von Siedlungsverlagerung und Siedlungs-
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konstanz sowie der Dorf- und Flurstrukturen
einzelner Siedlungen. Auf diese Weise nähert
sich Henker einem Vorgang, der wenig Niederschlag in den schriftlichen Quellen fand,
trotzdem er das Bild der Siedlungslandschaft
bis heute geprägt hat. Der Untersuchung werden die wichtigsten Methoden der Dorfkernarchäologie zugrunde gelegt und archäologische, schriftliche und onomastische Quellen
sowie die Orts- und Flurformen ausgewertet,
wobei Henker der kritischen Einschätzung
der Aussagefähigkeit der einzelnen Quellen
mit großer Sorgfalt begegnet (S. 18-25). Anschließend an eine Darstellung der spätslawischen Besiedlung (S. 26-27), der eine detaillierte Aufnahme aller slawischen Funde
zugrunde liegt (Katalog S. 93-138 darin enthalten auch die spätmittelalterlichen Funde),
widmet er sich der Genese der einzelnen Dörfer (S. 33-46). Mittels der sicheren Anwendung seiner eingangs erläuterten Methode gelingt es Henker, ein sehr detailliertes, aber
auch differenziertes Bild über die Umstrukturierungen der Siedlungslandschaft zu entwerfen. Dies wird besonders bei der Betrachtung der Dörfer mit einer slawischen Vorbesiedlung deutlich. Eine ethnische Interpretation von einzelnen Quellen (S. 21-23, 24, 59-66)
lehnt Henker ab und kann dies eindrücklich
belegen (S. 33-46, S. 59-66, S. 60 Tabelle 4, S. 61
Tabelle 5, S. 66 Tabelle 7). Angenehmerweise
strapaziert er auch die Aussagefähigkeit der
archäologischen Quellen nicht über, wenn es
beispielsweise um den konkreten Anteil der
Slawen am hochmittelalterlichen Landesausbau geht. Trotzdem kann er mithilfe des gesamten Methodenspektrums der Dorfkernarchäologie den Anteil der slawischen Bevölkerung am hochmittelalterlichen Landesausbau
im Barnim und im nördlichen Teil des Landes Lebus höher einschätzen, als das in der
älteren Forschung angenommen wurde (S. 68,
70).
Mit einem Raum in seinen historischen
Grenzen befasst sich die Magisterarbeit von
Tilo Schöfbeck. Ausgehend von der Annahme, dass für die mittelalterlichen Vogteigrenzen die spätslawische Landesgliederung von
1 An
dieser Stelle sei darauf verwiesen, dass mit der Bezeichnung Land Lebus im Mittelalter ein Territorium
umschrieben wurde, das viel weiter nach Süden ausgriff und dessen Siedlungen in die Untersuchung Henkers nicht einbezogen wurden.
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entscheidender Bedeutung gewesen sei, widmet er sich der mittelalterlichen Vogtei Sternberg. Diese gehörte zum Einflussgebiet der
obodritischen Fürsten und gelangte seit der
Mitte des 12. Jahrhunderts in den Machtbereich deutscher Territorialherren. Seine Arbeit basiert hauptsächlich auf der Auswertung schriftlicher und archäologischer Quellen. Da keine direkte Grenzbeschreibung dieser mittelalterlichen Vogtei überliefert ist, bietet die detaillierte Rekonstruktion der Grenzen aus den urkundlichen Erwähnungen heraus einen wesentlichen Bestandteil der Studie (S. 149-156). Verdeutlichen diese Darstellungen vor allem die Möglichkeiten der
Auswertung diplomatischer Quellen, zeigen
sie gleichzeitig den großen Interpretationsspielraum. Schöfbeck gelingt es jedoch, seine
Überlegungen fundiert und nachvollziehbar
zu gestalten und als Grundlage weiterer Diskussionen anzubieten.
Mit der Beschreibung der Burgen und
Siedlungen der Sternberger Siedlungskammer zeichnet er die slawische Besiedlung
nach, wobei die Einordnung der älteren Frühdatierungen entsprechend neuerer Untersuchungsergebnisse eine wichtige Ergänzung
darstellt (S. 157-167). Die detaillierten Schilderungen der Vorgänge in den slawischen
Siedlungskammern, die mit dem Ausbau des
Landes einhergingen, sind ein wichtiger Beitrag zum Verständnis dieses Prozesses, an
dem auch der einheimische Adel beteiligt war
(S. 168-175, 184). Einen erweiterten Blick auf
den hochmittelalterlichen Landesausbau ermöglicht die Rekonstruktion des mittelalterlichen Pfarreinetzes, wobei die dendrochronologische Datierung einiger Kirchenbauten einen grundlegenden Beitrag zur Bestimmung
des Einsetzens des Prozesses darstellt (S. 176180). Nach Schöfbecks Analysen knüpfte die
Kirchenorganisation in der Anfangszeit an
slawische Siedlungszentren an (S. 179). Sollten sich diese Annahmen trotz der teilweise
erfolgten ethnischen Interpretation von Einzelquellen bestätigen (S. 174, 178, 183), würde das ähnlich wie es Uwe Weiß in der dritten und letzten in diesem Band vereinten
Arbeit zeigen kann, den teilweise vorhandenen Einfluss der slawischen Landesgliederung auf hochmittelalterliche Strukturen verdeutlichen.
Als Otto I. dem Bistum Havelberg 946 den
Zehnten in einigen slawischen Provinzen östlich der Elbe verlieh, wird dabei auch die provincia der Müritzer erwähnt,2 die sich wahrscheinlich weitestgehend im heutigen Müritzgebiet erstreckte und ebenfalls zum Einflussgebiet der obodritischen Fürsten gehörte. Dieser Raum, der seit dem 12. Jahrhundert auch in den Machtbereich deutscher Territorialfürsten gelangte, ist Gegenstand der
Untersuchungen von Uwe Weiß. Zwar interessiert auch er sich für die Beziehungen zwischen slawischer Siedlung und hochmittelalterlichem Landesausbau, doch liegen
Schwerpunkt und Verdienst seiner Untersuchungen eindeutig in der Erforschung der
slawischen Siedlungsstrukturen. Er nähert
sich seiner Fragestellung mittels der Auswertung archäologischer, onomastischer und
schriftlicher Quellen und nutzt dazu die
kartographisch-komparative Methode. Anhand der Kartierung von Fundstellen, landschaftsgliedernden Merkmalen und auch von
schriftlichen Grenzbeschreibungen ist es ihm
im ersten Teil der Arbeit möglich, einzelne Siedlungsgebiete, die er teilweise mit den
überlieferten slawischen Stammesnamen in
verschiedenen Zeitstufen verknüpft, herauszuarbeiten und damit auch die Gliederung
der slawischen Besiedlung zu veranschaulichen (S. 245-265). Allein die Katalogisierung
der archäologischen Quellen (S. 318-366), wie
auch diejenige in den Arbeiten von Schöfbeck
und Henker, bedeuten eine notwendige Aktualisierung eines teilweise 30 Jahre alten Forschungsstandes und eine Fortführung der Arbeiten, die einst durch eine intensive Bodendenkmalpflege geleistet wurden (S. 231-233
Abb. 2-4).3 Auch die Erstellung des Ortsnamenkataloges bietet eine Grundlage für weitere Forschungen (S. 296-317). Doch besticht
die Arbeit von Uwe Weiß, ebenso wie diejenige Henkers, vor allem durch die hervorragenden Karten, wobei ein Blick auf die entsprechenden Legenden die differenzierte und
wohl überlegte Basis der Analysen verdeutlicht.
2 Mecklenburgisches
Urkundenbuch Band 1, Schwerin
1863, Nr. 14.
3 Joachim Herrmann / Peter Donat (Hrsg.), Corpus archäologischer Quellen zur Frühgeschichte auf dem Gebiet der Deutschen Demokratischen Republik (7. bis 12.
Jahrhundert), 1.-3. Lieferung, Berlin 1973/1979.
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In einem logisch arrangierten Auswertungsteil stellt Weiß seine Detailstudien in einen komparatistischen Zusammenhang und
zeichnet damit ein Besiedlungsbild für den
gesamten Untersuchungsraum (S. 266-287).
Den Einfluss der slawischen Siedlung vermag Weiß mittels der Deckungsgleichheit einiger slawischer Siedlungskammern mit den
hochmittelalterlichen terrae, die ab dem 12.
Jahrhundert in den Quellen auftauchen, nachzuweisen (S. 283, 284 Abb. 39) – Strukturen, die aber bereits während des Fortschreitens des hochmittelalterlichen Landesausbaus
überformt werden (S. 284).
Die drei Untersuchungen zeigen auf hervorragende Weise, wie es durch die Anwendung unterschiedlicher Methoden möglich wird, einen Teil der mittelalterlichen Geschichte nachzuzeichnen und den Einfluss
der slawischen Siedlung in seinen unterschiedlichen Ausprägungen auf diesen Prozess herauszustellen. Alle drei Arbeiten stellen einen wichtigen Beitrag zur Erforschung
der slawischen Besiedlung und des hochmittelalterlichen Landesausbaus dar und machen
deutlich, welchen Anteil die Siedlungsarchäologie zum Verständnis dieses Transformationsprozesses in Mitteleuropa beitragen kann.
Die in einigen Details auch voneinander abweichenden Teilergebnisse, die freilich nicht
die Gesamtaussagen in Frage stellen, sollten
dabei als Diskussionsgrundlage und Anregung für weitere Untersuchungen auch anderer Regionen dieser Art verstanden werden.
HistLit 2008-4-139 / Sabine Altmann über
Henker, Jens; Schöfbeck, Tilo; Weiß, Uwe: Slawen und Deutsche im Hochmittelalter östlich der
Elbe. Archäologisch-historische Studien zur Siedlungsentwicklung. Bonn 2008, in: H-Soz-Kult
14.11.2008.
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