Volltext - Herbert-Quandt
Transcrição
Volltext - Herbert-Quandt
Herbert-Quandt-Stiftung Die Stiftung der ALTANA AG Unternehmerischer Patriotismus in Zeiten globaler Märkte Mark Speich Lars Zimmermann Jan-Philipp Görtz Rush M. McCloy Gedanken zur Zukunft 15 © Herbert-Quandt-Stiftung Bad Homburg v. d. Höhe Dezember 2005 ISSN 1615-8008 ISBN 3-937831-16-9 Unternehmerischer Patriotismus in Zeiten globaler Märkte Mark Speich Lars Zimmermann Jan-Philipp Görtz Rush M. McCloy Grundlagenpapier für das 25. Sinclair-Haus-Gespräch der Herbert-Quandt-Stiftung am 25./26. November 2005 Gedanken zur Zukunft 15 Gedanken zur Zukunft Im Sinne Herbert Quandts fördert die Stiftung der ALTANA AG auf vielfältige Weise Wissenschaft und Forschung und versteht sich zudem als „Think Tank“, der profilierten Persönlichkeiten und vielversprechenden Nachwuchskräften aus Wissenschaft, Politik und Publizistik ein Forum bietet, um über grundlegende Zukunftsfragen von Wirtschaft und Gesellschaft nachzudenken. Mit dieser Schriftenreihe sollen einige der im Rahmen von Veranstaltungen der Stiftung entwickelten Überlegungen einem interessierten Publikum zugänglich gemacht werden und damit zum öffentlichen Diskurs beitragen. Möge dies ein kleiner Beitrag zur verantwortungsvollen Zukunftsgestaltung sein. Herbert-Quandt-Stiftung Die Stiftung der ALTANA AG INHALT Mark Speich 6 I. Patriotismus – Zur Aktualität eines Begriffs Lars Zimmermann 14 II. Unternehmerischer Republikanismus im Zeitalter der Globalisierung Jan-Philipp Görtz 23 III. Patriotische Unternehmer – Eine deutsche Sicht Rush M. McCloy 31 IV. Unternehmerischer Republikanismus in den Vereinigten Staaten – Ein Erfolgsmodell Autoren 42 Herbert-Quandt-Stiftung 45 Publikationen 46 Impressum 48 Mark Speich I. Patriotismus – Zur Aktualität eines Begriffs Ein mit der Patina des 19. und 20. Jahrhunderts überzogener Begriff hat in jüngster Zeit seine Renaissance erlebt. Im Zuge der Diskussion um die Auslagerung von Arbeitsplätzen ins Ausland und die Übernahme heimischer oder vermeintlich heimischer Unternehmen durch ausländische Konzerne oder Beteiligungsgesellschaften wird der sonst in anderen Kontexten mit mehr oder weniger großer Selbstverständlichkeit gebrauchte Begriff des „Patriotismus“ auch auf wirtschaftliche Zusammenhänge bezogen. So hat John Kerry in der amerikanischen Wahlkampfdiskussion über das „Offshoring“ den Begriff ebenso auf Unternehmen angewandt 1 wie der deutsche Bundeskanzler in einer Regierungserklärung2 oder der SPDVorsitzende Müntefering bei seiner berüchtigten Heuschrecken-Suada. Der französische Premierminister de Villepin wiederum begründete eine Intervention seiner Regierung gegen den Kauf des Nahrungsmittelkonzerns Danone durch die amerikanische Pepsico mit einer patriotischen Grundhaltung.3 1 Griswold, Daniel: Which John Kerry will shape U.S. trade policy, https://www.cato.org/dailys/08-23-04.html. 2 Schröder, Gerhard: Aus Verantwortung für unser Land: Deutschlands Kräfte stärken, Regierungser- klärung von Bundeskanzler Gerhard Schröder vor dem Deutschen Bundestag am 17. März 2005, http://www.bundeskanzler.de/Navigation/Aktuelles/regierungserklaerungen,did=19134.html. 3 Jakubyszyn, Christophe: Dominique de Villepin en appelle au „patriotisme économique“, in, Le Monde vom 29. Juli 2005. Herbert-Quandt-Stiftung 6 I. Patriotismus – Zur Aktualität eines Begriffs Der deutsche Fall ist in zwiefacher Hinsicht besonders interessant. Erstens ist der emphatische Bezug auf das eigene Vaterland, die „invocatio patriae“, in Deutschland seit dem Zivilisationsbruch der nationalsozialistischen Terrorherrschaft zumindest dann schwierig geworden, wenn mit „Vaterland“ – und der Begriff als solcher legt dies nahe – auch die Vergangenheitsgemeinschaft gemeint ist. Die Ungebrochenheit französischer, britischer oder amerikanischer Erinnerungskultur ist den Deutschen schlichtweg abhanden gekommen. Und folglich hat die politische Diskussion – oftmals in verkrampfter Weise – einen weiten Bogen um diesen Begriff geschlagen. Zweitens ist bemerkenswert, dass gerade ein Bundeskanzler an den Begriff des Patriotismus appelliert, der in der langen Tradition der sozialdemokratischen Partei steht. Deren Wurzeln freilich reichen auch in die internationale sozialistische Bewegung, der eigentlichen ideologischen und organisatorischen Widersacherin des Patriotismus. 4 Der Vorwurf der „vaterlandslosen Gesellen“ richtete sich während des deutsch-französischen Kriegs von 1870/71 und später im Kaiserreich gegen die Sozialdemokraten und spielte bewusst auf den internationalen Anspruch des Klassenkampfes an. Deutsche Unternehmer hingegen handelten im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts zwar in rasant zunehmendem Maße weltweit, engagierten sich aber zugleich in Patriotischen Gesellschaften, unterstützten – aus gewiss vielfältigen Motiven – den Flottenbau als nationales Anliegen und nahmen mit Genugtuung wahr, wie sich das Siegel „Made in Germany“ in kurzer Zeit vom Diskriminierungssymbol zum international anerkannten Qualitätsausweis wandelte. In Fortschreibung dieser hier sehr grob und vereinfachend skizzierten Dichotomie ließe sich sagen, dass sich die Situation fast umgekehrt hat: Ein sozialdemokratischer Kanzler tadelt heute jene augenscheinlich vaterlandslosen, nur noch in multinationalen Kontexten aufgehenden Unter- 4 Schwarz, Hans-Peter: Patriotismus in Europa aus Sicht der Zeitgeschichte, in, Weigelt, Klaus (Hg.), Pa- triotismus in Europa. Festgabe für Bruno Heck zum 70. Geburtstag, Bonn 1981, S. 31. Gedanken zur Zukunft 15 7 Mark Speich nehmer, die in Verfolg ihrer unternehmerischen Interessen keine Deutschen mehr, sondern nur noch Arbeitskräfte kennen – und solche weltweit zu möglichst kostengünstigen Bedingungen finden. Auch wenn diesem Bild die notwendigen Grauschattierungen fehlen, macht es in seinem zuspitzenden Charakter doch eine unbestreitbare Entwicklung deutlich. Vor allem aber zeigt es, dass der Begriff des Patriotismus, der in der bundesrepublikanischen Wohlstandsgemütlichkeit der vergangenen 25 Jahre allenfalls noch im konservativen Milieu eine gewisse Pflege erfuhr und insgesamt eher als abgestanden oder wie oben dargelegt als belastet galt, plötzlich auch auf der anderen Seite des politischen Spektrums wieder debattentauglich geworden ist. Das wirft die Frage nach dem aktuellen Bedeutungsgehalt des Begriffs auf. Der Brockhaus versteht unter Patriotismus „die im staatsbürgerlichen Ethos wurzelnde, zugleich gefühlsbetonte, oft leidenschaftlich gesteigerte Hingabe an das überpersönliche staatliche Ganze“.5 Bevor an anderer Stelle der Versuch unternommen wird, eine solche Begriffsdefinition auf Unternehmer oder Unternehmen anzuwenden, wird nachfolgend zu klären versucht, ob mit dieser Definition trotz der augenscheinlichen Konjunktur des Begriffs nicht eine Haltung beschrieben wird, der der Gegenstand abhanden zu kommen droht. Dieser Gegenstand scheint nämlich gleichermaßen von außen wie von innen heraus in Frage gestellt. Einerseits könnte einiges dafür sprechen, dass die allenthalben zu beobachtende Verdichtung transnationaler Beziehungen, die Durchlöcherung staatlicher Souveränität und der Bedeutungszuwachs suprastaatlicher Institutionen dem „staatlichen Ganzen“ die klare Kontur und emotionale Bezugstauglichkeit nehmen. Andererseits lässt die oft als Kennzeichen der Moderne beschriebene Pluralisierung der Lebensstile und Individualisierung daran zweifeln, ob ein überpersönliches Ganzes, das Hingabe verdient, überhaupt noch Geltung beanspruchen kann. 5 Eintrag „Patriotismus“, Brockhaus-Enzyklopädie, Bd. 14, Wiesbaden 1972, S. 304. Herbert-Quandt-Stiftung 8 I. Patriotismus – Zur Aktualität eines Begriffs Von einem ähnlichen Befund geht der Begriff der „Glokalisierung“ aus. Etwas vereinfacht dargestellt legt er nahe, dass sich das menschliche Identitätsbedürfnis mit der durch den Prozess der Globalisierung zunehmenden Entgrenzung und Konturenarmut vormals nationaler Ordnungsstrukturen vor allem auf die lokalen, unmittelbaren und noch klar erkennbaren Lebensumstände richtet. In diesen unmittelbaren Lebensumständen findet auch der Patriotismus seine alteuropäischen Ursprünge. Begriffsgeschichtlich lässt sich der Patriotismus auf die „fassbare Identifizierung mit den Schicksalen der eigenen Gemeinschaft“ zurückführen.6 Dabei ging es – wie etwa in der athenischen Polis – immer um vergleichsweise überschaubare Gemeinwesen. Es liegt auf der Hand, dass es leichter fällt, individuelle Interessen hinter jene des Kollektivs zurückzustellen, wenn emotionale Bande persönlicher Bekanntschaft zu den meisten Mitgliedern des Kollektivs bestehen. Insofern ist es ein höchst bemerkenswerter Vorgang, dass es den werdenden Staaten der Moderne gelingt, die emotionale Anteilnahme, die landsmannschaftlicher Zuordnung und unmittelbarem Lebenskreis gilt, auch für den sehr viel abstrakter fassbaren Groß-Staat zu erschließen.7 Hierzu geht der Patriotismus in je nach Land unterschiedlicher Ausprägung und Gewichtung zwei folgenreiche Bündnisse ein. Zum einen verbindet er sich mit dem „Republikanismus“, einer bereits von Marcus Tullio Cicero gültig formulierten und von Jean-Jacques Rousseau auf den modernen Staat bezogenen Haltung,8 die an die Tugend des Staatsbürgers appelliert, sich für die Republik „als Name für das Ganze der freiheitlichen Ordnung, der Staat und Gesellschaft, Institutionen und Ethos umschließt“9, verantwortlich zu 6 Schwarz, a.o.a.O., S. 21. 7 Ebd., S. 24. 8 Mager, Wolfgang: Republik, in, Brunner, Otto / Conze, Werner/Koselleck, Reinhart, Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland, Stuttgart 2004 (Studienausgabe), Bd. 5, S. 553, 593. 9 Isensee, Josef: „Republik“. Sinnpotential eines Begriffs. Begriffsgeschichtliche Stichproben, in, Juristenzeitung 36 (1981), S. 8. Gedanken zur Zukunft 15 9 Mark Speich fühlen und das eigene Handeln mit den Belangen des „bonum commune“ in Einklang zu bringen. Zum anderen verbindet er sich sehr viel verhängnisvoller mit dem Nationalismus, einer Haltung die – verkürzt dargestellt – den Sonderstatus der eigenen behaupteten Herkunftsgemeinschaft gegenüber anderen Herkunftsgemeinschaften betont. Sein Anknüpfungspunkt ist nicht die staatliche Ordnung und schon gar nicht die staatliche Ordnung der Freiheit, sondern die Nation. Hinsichtlich der Mobilisierung emotionaler Ressourcen und Bindungen ist er im 19. und beginnenden 20. Jahrhundert sehr viel erfolgreicher als der Republikanismus. Dem Nationalismus gelingt es, die auf das Gemeinwesen bezogene Verteidigungsbereitschaft, die dem Patriotismus eigen ist, ins Offensive zu wenden. Aber die Radikalität und das ungekannte Ausmaß der durch den Nationalismus befeuerten Auseinandersetzungen und Kriege diskreditieren ihn zugleich. Sein enges Bündnis mit dem Patriotismus belastet in manchen Ländern – so gerade in Deutschland – auch diesen. Gleichwohl findet sich das Phänomen auch noch im 21. Jahrhundert. Bleibt der auf das staatliche Ganze gerichtete Patriotismus angesichts der oben geschilderten Entwicklungen damit historische Episode, und richtet sich die mit diesem Begriff verbundene Haltung oder emotionale Hingabe im Zeitalter der Globalisierung wieder ganz auf die Kleinräumigkeit individueller Lebensumgebung und persönlicher Bezüge? Im Zuge supranationaler Überwölbung staatlicher Strukturen und gesellschaftlicher Atomisierung mag das eine denkbare Folge sein. Eine solche Entwicklung wäre allerdings höchst problematisch. Tatsächlich ist die Rolle des Staates Veränderungen unterworfen – auch weil multinationale Unternehmen dem Staat nicht mehr als Rechtsunterworfene gegenüberstehen, „sondern den Staaten als unter Rechtsalternativen Auswählende“10 und die Regelungsmacht des Staates bei transnationalen Akteuren an ihre Grenzen gerät. 10 Kirchhof, Paul: Staat und Nation in einer weltoffenen und integrierten Völkergemeinschaft, in, Knies, Wolfgang (Hg.), Staat. Amt. Verantwortung, Stuttgart/München 2002, S. 110. Herbert-Quandt-Stiftung 10 I. Patriotismus – Zur Aktualität eines Begriffs Aber gleichzeitig gilt immer noch: Die Freiheitsräume, die individuelle Lebensgestaltung erst möglich machen, werden allen Durchlässigkeiten staatlicher Souveränität zum Trotz immer noch im Wesentlichen durch die staatliche Ordnung konstituiert. Geht dieser Ordnung die staatsbürgerliche Zuwendung verloren, „die in der Verknüpfung zwischen dem eigenen Glück und dem Wohl des Ganzen“ (John Stuart Mill) ihren eigentlichen Ausdruck findet, so verliert sie damit zugleich auch die Zukunftsfähigkeit. Was hier so abstrakt klingt, lässt sich an der deutschen Reformdebatte sehr anschaulich machen. Das mehr oder weniger ernsthaft verfolgte Bemühen, einen zu Lasten kommender Generationen aufrecht erhaltenen bevormundenden Wohlfahrtsstaat auf das notwendige und künftig finanzierbare Maß zurückzuführen, um auch kommenden Generationen Freiheitsräume zu sichern, erfordert es, tradierte Ansprüche einzuschränken. Solche Einschränkungen hinzunehmen, wird aber nur derjenige bereit sein, der sich nicht ausschließlich der Verwirklichung individueller Lebensziele verpflichtet weiß – der also sein Glück mit der Gewohnheit verbindet, „so zu handeln wie es die Rücksicht auf das allgemeine Glück gebietet“ (John Stuart Mill). Ein solchermaßen tugendhaftes Verhalten setzt freilich ein emotionales Band, eine Hingabe zu einem als Zukunftsgemeinschaft verstandenen überpersönlichen Ganzen voraus – und damit also Patriotismus.11 Wenn es heißt, dass Patriotismus „aus freier Bereitschaft zu Dienst und Opfer“ erwächst 12, wird damit keineswegs nur eine Sprachfigur des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts wieder belebt. Die in dieser Formulierung angesprochene Opferbereitschaft ist nicht allein auf den Krieg bezogen, sondern im republikanischen Sinne auch auf den individuellen Verzicht zu Gunsten des Fortbestandes eines Gemeinwesens 13 – 11 Viroli, Maurizio: For Love of Country. An Essay on Patriotism and Nationalism, Oxford, 2003, S. 13. 12 Eintrag „Patriotismus“, Brockhaus-Enzyklopädie, Bd. 14, Wiesbaden 1972, S. 304. 13 Dagegen aber Buchstab, Günter / Gauger, Hans-Dieter: Was die Gesellschaft zusammenhält. Plädoyer für einen modernen Patriotismus, (Zukunftsforum Politik der Konrad-Adenauer-Stiftung Nr. 6.2), Sankt Augustin 2004, S. 17. Gedanken zur Zukunft 15 11 Mark Speich selbst dann, wenn dieser Fortbestand über die Lebensperspektive des verzichtbereiten Individuums hinausweist. Eine Haltung, die in letzter Konsequenz das Opfer akzeptiert, unterscheidet republikanischen Patriotismus vom Republikanismus. Erzwingen lässt sich eine solche Haltung nicht (denn dann wäre nicht mehr der Tatbestand der „Hingabe“, sondern jener der „Wegnahme“ erfüllt). Sie beruht immer auf einer individuellen, freiwilligen Entscheidung und erwächst insbesondere aus der unmittelbar wahrgenommenen krisenhaften, möglicherweise sogar kriegerischen Bedrohung des Gemeinwesens. Und nichts anderes hatte Thomas Jefferson im Sinn, als er im November 1787 an William Smith, den Privatsekretär von John Adams, schrieb: „The tree of liberty must be refreshed from time to time with the blood of patriots and tyrants.” Bedrohte Freiheit zu verteidigen, fällt aber sehr viel leichter als sie Tag für Tag verantwortungsvoll und tugendhaft zu leben und sich damit gegen die schleichende Erosion einer Ordnung der Freiheit zu stellen. Eine solche Haltung setzt republikanischen Patriotismus bei den Freiheitsträgern voraus. Eine Bildung, die sich nicht als Ausbildung, sondern als Bildung begreift, die auf dem „Bild“ einer verantwortlichen Persönlichkeit beruht, kann dazu ebenso einen Beitrag leisten, wie das Denken in den Kategorien eigener Nachkommenschaft oder ein verschärftes gesellschaftliches Krisenbewusstsein, das durch externe Schocks im Sinne Mancur Olsons hervorgerufen wird. Das zukunftsfähige Gemeinwesen jedenfalls bleibt auf Patriotismus in seiner republikanischen Variante angewiesen, denn richtig bleibt, was bereits Alexis de Tocqueville aus dem Studium der frühen amerikanischen Demokratie folgerte: „[…] allein der Patriotismus oder die Religion sind imstande, die Gesamtheit der Bürger über einen langen Zeitraum hinweg auf dasselbe Ziel hin marschieren zu lassen.“ Bei Müntefering und de Villepin, um zu diesem Ausgangspunkt zurückzukehren, liegt das Ziel in der Vergangenheit. Bei beiden wird Patriotismus als Verteidigungsbegriff einer überkommenen, hier umfassend Herbert-Quandt-Stiftung 12 I. Patriotismus – Zur Aktualität eines Begriffs wohlfahrtsstaatlich oder durch „nationale Champions“ geprägten Ordnung verstanden. Um in der oben entwickelten Terminologie zu bleiben, wird hier ein Protektionismus sichtbar, der im Gewande des nationalistischen Patriotismus daher kommt. Von einem republikanischen auf den langfristigen Erhalt einer Freiheitsordnung gerichteten Patriotismus ist diese Haltung weit entfernt. Sie ist weder bei de Villepin noch bei Müntefering zukunftsfähig. Sehr viel fundamentaler bleibt nach dem oben Dargelegten aber die Frage, ob Unternehmen als Träger patriotischer Gesinnung überhaupt in Frage kommen. Wenn sich Patriotismus nämlich in letzter Konsequenz durch die individuelle Hingabe für das Kollektiv auszeichnet, wird damit ein nur auf Individuen, nicht aber auf Körperschaften anwendbarer Begriff beschrieben. Von diesem Befund ausgehend werden die folgenden Beiträge versuchen, das Verhältnis von Unternehmen zu ihren Gemeinwesen gültiger zu formulieren und ebenso die Rolle von Unternehmern und Unternehmenslenkern diskutieren. J Gedanken zur Zukunft 15 13 Lars Zimmermann II. Unternehmerischer Republikanismus im Zeitalter der Globalisierung Je mehr die ordnungspolitische Gestaltungskraft nationaler Politik im Zuge der Globalisierung abnimmt und die Unternehmen den Freiraum einer globalisierten Wirtschaft nutzen, desto lauter wird die politische Forderung nach mehr gesellschaftspolitischer Verantwortung und patriotischer Rückbindung der Unternehmen an ihr Heimatland. So wichtig und richtig ein Nachdenken über die gesellschaftliche Rolle der Unternehmen ist, so sehr repräsentiert die Forderung nach unternehmerischem Patriotismus in Zeiten globaler Märkte den Versuch, die Abwesenheit politischer Ideen und Strategien zur Lösung anstehender gesellschaftlicher Herausforderungen zu überdecken. Die Diskussion über die Gesellschaftsbindung unternehmerischen Handelns „Made in Germany“ ist zur Chiffre politischer Orientierungslosigkeit geworden, weil eine auf nationale Denk- und Handlungsmuster reduzierte Politik die gesellschaftlichen Herausforderungen und Chancen der globalisierten Welt noch immer nicht wirklich erkannt hat. So bleiben die zentralen Fragen in der Debatte über die unternehmerische Mitverantwortung für die res publica bis heute unbeantwortet: Kann ein Unternehmen unter den Bedingungen der Globalisierung überhaupt erfolgreich nach patriotischen Grundsätzen handeln? Um die Antwort gleich vorweg zu nehmen: Es kann, aber nur dann, wenn es das patriotiHerbert-Quandt-Stiftung 14 II. Unternehmerischer Republikanismus im Zeitalter der Globalisierung sche Dogma der einseitig-nationalen Rückbindung unbeachtet lässt und die Haltung der Hingabe als Aufgabe begreift, die es neu auszufüllen gilt. Voraussetzung hierfür ist die Entwicklung eines Staats- und Gesellschaftsbildes, das eine gesellschaftlich und ökonomisch erneuerte Republik als politische Zukunftsgemeinschaft begreift. Neue Geographien als ökonomischer Imperativ Lange Zeit galt in Deutschland, dass die Wettbewerbsfähigkeit deutscher Großunternehmen wie Siemens, Volkswagen oder DaimlerChrysler als Indikator für den wirtschaftlichen Zustand der Bundesrepublik anzusehen sei. „Was gut ist für Daimler, ist gut für das Land“. So oder ähnlich lautete die politische Argumentation in einem Land, dessen volkswirtschaftliche Prosperität bis in die Gegenwart überdurchschnittlich von der industriellen Produktion, insbesondere der Automobilwirtschaft, abhängig ist.1 Welcher empirische Zusammenhang zwischen unternehmerischer Wettbewerbsfähigkeit und nationalökonomischer Prosperität in Deutschland auch immer bestanden hat, er ist durch die Globalisierung nachhaltig geschwächt worden. Immer mehr Unternehmen emanzipieren sich von den volkswirtschaftlichen Rahmenbedingungen in Deutschland, weil Konzerne ebenso wie große Mittelständler zunehmend in der Verantwortung stehen, die volkswirtschaftliche Prosperitätslücke in Deutschland durch ihre Einbindung in globale Wertschöpfungsnetzwerke betriebswirtschaftlich auszugleichen. Ein Ende dieser Entwicklung ist nicht abzusehen, ganz im Gegenteil. Die Globalisierung bietet Unternehmen unabhängig von ihrer Herkunft neue Wertschöpfungschancen, die durch die zeitliche Überlagerung neuer Geographien zu Stande kommen. 1 Nach Berechnungen des Bundeswirtschaftsministeriums ist in Deutschland jeder siebte abhängig Be- schäftige direkt und indirekt in der Automobilindustrie tätig. Dies entspricht einer absoluten Zahl von 5,3 Mio. Arbeitsplätzen. Gedanken zur Zukunft 15 15 Lars Zimmermann Die neue Geographie der Wertschöpfung In dem Maße, wie sich die Grenzen für Güter und Kapital öffnen, haben Unternehmen die Möglichkeit, ihre Wertschöpfung oder zumindest Teile davon ins Ausland zu verlagern. Die jüngst viel kritisierte globale Aufspaltung von Wertschöpfungsketten bezeichnen Wirtschaftsforscher als die „dritte globale Revolution der Wertschöpfung“, weil die zusätzlichen Wertschöpfungspotenziale der Unternehmen weniger durch die Erhöhung von Produktivität (Rationalisierung der Arbeit in den 80er Jahren) oder die Verringerung von Fertigungstiefen (Auslagerung der Produktion in den 90er Jahren) erschlossen werden, sondern erstmals die Verringerung der Leistungstiefe bei allen dienstleistungs- und informationsbasierten Prozessen im Vordergrund steht. Da Geschäftsprozesse immer stärker durch Informations- und Kommunikationstechnologien unterstützt werden, treibt die zunehmende Reduzierung der Leistungstiefe die weltweite Dynamik der Outsourcingmärkte weiter an, Globalisierung wird in ihrer geographischen Ausdehnung tatsächlich immer globaler. Die neue Geographie des Welthandels Durch die zunehmende Einbindung neuer, hoch dynamischer Outsourcingmärkte wie Indien, China oder Brasilien in die globale Wertschöpfungsarchitektur erreicht auch der globale Handel eine neue Quantität und Qualität. Der aktuelle Handels- und Entwicklungsreport der UNCTAD (United Nations Conference on Trade and Development) zeigt, dass nicht nur der Export so genannter Entwicklungsländer gegenüber dem Vorjahr 2004 um 16 Prozent angestiegen ist, sondern auch China (+22%), Indien (+18%) und Lateinamerika (+10%) eine immer wichtigere Rolle in der Dynamik des globalen Welthandels einnehmen, von dem Länder wie Deutschland besonders profitieren.2 Besonders relevant ist in diesem Zu2 UNCTAD (2005): Trade and Development Report. New Features of Global Interdependence, New York. Herbert-Quandt-Stiftung 16 II. Unternehmerischer Republikanismus im Zeitalter der Globalisierung sammenhang die Tatsache, dass der zwischenstaatliche Handel zwischen China, Indien und Brasilien eine Dimension erreicht hat, die bei anhaltenden Wachstumsraten langfristig zum Handelsvolumen der etablierten Triade (EU, USA, Japan) aufschließen kann. Die neue Geographie des Kapitalmarktes Die rasante Veränderung der globalen Wertschöpfungs- und Handelsarchitektur wird zudem von einer nachhaltigen Neustrukturierung der internationalen Kapitalmärkte begleitet. Die Anzahl der am internationalen Kapitalverkehr teilnehmenden Länder wächst in diesem Zusammenhang ebenso wie die Brutto-Kapitalflüsse über die Ländergrenzen hinweg. China gehört zu den Haupttreibern dieser Entwicklung, da es aufgrund angewachsener Währungsreserven nicht nur zu einem Kapitalgeber aufgestiegen ist, sondern auch seine Direktinvestitionen im Ausland erheblich steigern konnte.3 Mittelfristig kann daraus insbesondere eine neue Dynamik in der Eigentümerstruktur der Unternehmen in Europa und Nordamerika resultieren, weil beide Regionen nach Angaben der chinesischen Gesellschaft für Auslandsinvestitionsförderung in den kommenden Jahren nach Asien zu den wichtigsten Zielregionen chinesischer Auslandsinvestitionen gehören.4 Unternehmerischer Patriotismus in einer globalisierten Wirtschaftswelt Vor dem Hintergrund einer anhaltenden Globalisierung der Märkte scheint die Forderung nach einem stärkeren Rückzug „deutscher Unternehmen“ hinter die nationalstaatlichen Grenzen der Bundesrepublik Deutschland paradox. Dies spiegelt sich nirgends besser wider als in dem Versuch die Frage zu beantworten, was ein Unternehmen objektiv zu einem deut3 Nach Angaben des chinesischen Handelsministeriums erreichten Chinas Auslandsinvestitionen im Jahr 2004 in insgesamt 149 Ländern eine Höhe von 5,5 Mrd. US-Dollar, was einem Wachstum von 93 Prozent gegenüber dem Vorjahr entspricht. 4 Besonders die europäische Autozuliefer-, Maschinenbau-, Elektro-, sowie die Lebensmittel- und Getränkeindustrie zählen zu den Zielbranchen chinesischer Auslandsinvestitionen. Gedanken zur Zukunft 15 17 Lars Zimmermann schen Unternehmen macht. Bedient man sich der klassischen Merkmale zur Unternehmensklassifizierung – Umsatz, Mitarbeiter, Eigentümer oder Führungsstrukturen –, ist der Erkenntnisgewinn eher gering. So machen beispielsweise die im deutschen DAX-30 geführten Unternehmen nach einer Studie des Bundesverbandes der deutschen Banken nur noch etwa 56 Prozent ihres Umsatzes im Inland, Tendenz fallend. 66 Prozent ihrer Mitarbeiter sind zugleich im Ausland beschäftigt, nur noch 34 Prozent ihrer weltweiten Mitarbeiter sind deutsche Arbeitnehmer. Die mittelständischen, als erfolgreichste Globalisierungsstrategen bezeichneten „Hidden Champions“ zeigen eine ähnliche Entwicklung. Wie „deutsch“ ist darüber hinaus ein in Deutschland gegründetes Unternehmen, dessen Aktien zu über 50 Prozent von ausländischen Anteilseignern gehalten werden oder dessen Vorstand überwiegend aus ausländischen Führungskräften besteht? 5 Welche und wie viele Kriterien müssen letztlich erfüllt sein, um ein Unternehmen nicht mehr als „deutsch“ zu bezeichnen? Es ist zweifellos schwierig, bei der Frage nach der nationalen Identität von Unternehmen eine objektiv eindeutige Zuordnung vorzunehmen, die nicht durch subjektive Empfindung oder Meinungsbildung motiviert ist. Darüber hinaus ist die Frage nach der nationalen Identität von Unternehmen aus zwei Gründen wenig zielführend. Erstens verändern nationale Identitäten nichts an den vorherrschenden Rahmenbedingungen. Immer mehr Unternehmen sind global handelnde oder in ihren Geschäftsstrategien global argumentierende Akteure, die mit unterschiedlicher Intensität die Wertschöpfungschancen globaler Märkte nutzen müssen. Zweitens ist es in Zeiten globaler Märkte weniger entscheidend, woher Unternehmen kommen, als vielmehr was sie tun. Nach einer Studie des Fraunhofer Instituts für Systemtechnik und Innovationsforschung schaffen gerade viele der 5 Laut einer Studie der Unternehmensberatung Simon Kucher&Partners vom August 2005 besitzt im Jahr 2005 durchschnittlich jeder fünfte Dax-Vorstand einen ausländischen Pass (20,4 Prozent). 57,1 Prozent des Vorstands von Henkel sind ausländischer Herkunft, bei Adidas-Salomon sind es 50 Prozent, bei Bayer, BMW oder der Deutschen Telekom – hochgradig internationalisierte Unternehmen – sind die Vorstandsposten ausschließlich mit Deutschen besetzt. Herbert-Quandt-Stiftung 18 II. Unternehmerischer Republikanismus im Zeitalter der Globalisierung als „vaterlandslose Gesellen“ titulierten Unternehmen, die Produktionsteile ins Ausland verlagert haben, überdurchschnittlich viele neue Arbeitsplätze im Inland.6 Zudem sind viele international ausgerichtete Unternehmen der exportorientierten deutschen Wirtschaft im Inland höchst erfolgreich – eine Voraussetzung für die Schaffung sicherer Arbeitsplätze im In- und Ausland. Für immer mehr Unternehmen ist die Internationalisierung im Zeitalter der Globalisierung ein wesentlicher Faktor unternehmerischer Stärke, die in der Kleinräumigkeit nationaler Volkswirtschaften allzu schnell verloren ginge. Vor diesem Hintergrund international erfolgreiche Unternehmen aus Deutschland in die Pflicht eines nationalistisch umrissenen Patriotismus zu nehmen, ist somit ein zutiefst unpatriotischer Akt, wenn im Ergebnis die betriebswirtschaftliche Basis eines Unternehmens in seinem Heimatland, seine Existenz insgesamt gefährdet wäre. „Dulce et decorum est pro patria mori!“ – Süß und ehrenvoll ist es, für das Vaterland zu sterben! So müsste wohl die Überschrift des letzten Kapitels in der Geschichte vieler Unternehmen lauten, die dem politischen Ruf in die Vergangenheit folgen würden, indem sie ihre Wertschöpfungschancen sowohl gegen ihre eigenen als auch gegen die Interessen der Gesellschaft ungenutzt ließen. Ist die „emotionale Anteilnahme“, die Mark Speich in seinem Beitrag beschrieb, als bindende Kraft zwischen Unternehmen und ihrem Gemeinwesen in Zeiten der Globalisierung somit obsolet geworden? Sie ist es zweifellos dann, wenn sich Unternehmen im Zeitalter der Globalisierung einem vergangenheitsbezogenen Patriotismusverständnis unterwerfen. Sie ist es jedoch nicht, wenn Unternehmen die langfristige Entwicklung der Gesellschaft als ein Ziel zukunftsorientierter Investitionen begreifen. Die Ausgestaltung solcher Investitionen in Deutschland resultiert dabei weniger 6 Fraunhofer Institut für Systemtechnik und Innovationsforschung (2004): Produktionsverlagerungen ins Ausland und Rückverlagerungen. Bericht zum Forschungsauftrag 8/04 an das Bundesministerium der Finanzen, Karlsruhe, unter: http://www.isi.fhg.de/i/dokumente/Bericht_final_Nov.pdf, (zitiert am 30.10.2005). Gedanken zur Zukunft 15 19 Lars Zimmermann aus der Pflicht gegenüber der deutschen Nation als vielmehr aus der Verantwortung für die Republik, ihre Institutionen und Gesellschaftsordnung in einer globalisierten Gesellschaftswelt. Unternehmerischer Republikanismus in einer globalisierten Gesellschaftswelt Grundvoraussetzung für den langfristigen Erfolg von Unternehmen ist nicht nur ihre kontinuierliche Anpassung an veränderte wirtschaftliche Rahmenbedingungen, sondern die Existenz eines institutionellen, freiheitlichen Ordnungsrahmens, der die Interessen von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft auszugleichen vermag. Ohne ein gesellschaftsbezogenes Verständnis von unternehmerischer Freiheit und langfristiger Verantwortung lässt sich ein solcher Ordnungsrahmen nicht definieren. Unternehmen müssen die gesellschaftliche und ökonomische Erneuerung der Republik aktiv mit unterstützen und sie als Zukunftsgemeinschaft begreifen, in der sich Unternehmen und Politik als partnerschaftliche Akteure verstehen. Das gegenwärtige, auf Effizienzgewinne abzielende Reformmanagement der deutschen Politik zielt jedoch ebenso wenig auf die Erneuerung der Republik wie jene Form des praktizierten Wirtschaftsliberalismus, der die Kernidee einer demokratischen Gesellschaft freier und gleichberechtigter Akteure auf die inhaltsleere Phrase des freien Marktes verkürzt. Unternehmerisches Handeln muss in Zukunft stärker solche Aktivitäten beinhalten, die auf die freiheitliche Gesellschaftsordnung und ihre Institutionen abzielen. Außerdem müssen sie Verantwortung für die Gestaltung der gesellschaftlichen Veränderungsprozesse übernehmen. Es gilt einem neuen gesellschaftlichen Liberalismus gerecht zu werden, für den die Schaffung von Werten nicht nur aus der effizienten Produktion von Gütern und Dienstleistungen resultiert, sondern das Ergebnis von langfristig ausgerichteten Investitionen ist, die über den unmittelbaren beHerbert-Quandt-Stiftung 20 II. Unternehmerischer Republikanismus im Zeitalter der Globalisierung triebswirtschaftlichen Bedarf hinausgehen. Solche Investitionen wandeln sich zu einem positiven Freiheitsbegriff, weil sie über die Stärkung des gesellschaftlichen Ordnungsrahmens hinaus die Prosperität ihres betriebswirtschaftlichen Umfeldes gewährleisten. Für Unternehmen in Deutschland kann dies ebenso bedeuten, dem demographischen Wandel durch die Integration älterer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer Rechnung zu tragen wie (Aus-)Bildung, gesellschaftliches Engagement oder Unternehmertum – etwa durch die Einrichtung eines deutschen Public Venture Capital Fund – zu fördern. Es gibt eine Vielzahl von Möglichkeiten, die als unternehmerische Investitionsziele zur Weiterentwicklung der deutschen Gesellschaftsordnung in Frage kommen. Sie alle haben gemein, dass sie nicht das Dogma eines vergangenheits- und nationalstaatsbezogenen Patriotismusverständnisses erfüllen, sondern eine Haltung von zukunftsgerichteter Verantwortung gegenüber der Fortentwicklung einer republikanischen Gesellschaftsordnung einnehmen, die das Wesen von unternehmerischem Republikanismus ausmacht. Ausblick Voraussetzung für eine Fortentwicklung der republikanischen Gesellschaftsordnung in Deutschland ist die Definition eines neuen normativen Staats- und Gesellschaftsbildes, durch das sich gesellschaftliche Verantwortung von Unternehmen ausrichten und bewerten lässt. Ein solches Staats- und Gesellschaftsbild muss allein die übergeordnete Frage beantworten, welchen Platz die Bundesrepublik Deutschland in der Zukunft einnehmen will. Drei Parameter müssen dabei abgedeckt werden. So müssen erstens übergeordnete gesellschaftliche Grundwerte – public commons – definiert werden, die bei dem dringend notwendigen Prozess der Veränderung von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft jederzeit und für jedermann einen Rückbezug auf Gemeinsamkeiten möglich maGedanken zur Zukunft 15 21 Lars Zimmermann chen. Zweitens müssen die gesellschaftlichen Ziele definiert werden, die den tiefgreifenden Veränderungen eine gesellschaftliche Perspektive geben. Drittens müssen geeignete Strategien entwickelt werden, die eine langfristige Umsetzung dieser Ziele ermöglichen. Die Ausgestaltung von unternehmerischem Republikanismus ist dabei der Teil dieser Strategien, der in der alleinigen Verantwortung der Unternehmen liegt. Die Krisenhaftigkeit der gegenwärtigen Umbrüche in Deutschland eröffnet ungeahnte Chancen zur Definition eines solchen freiheitlichen, partizipativen Staats- und Gesellschaftsentwurfes, die bisher weder von der Politik, noch von den Unternehmen ausreichend wahrgenommen worden sind. Politik und Unternehmen müssen hierfür ihre Dogmen im Denken und Rituale im Handeln überwinden. So müssen die Parteien in Deutschland dem pseudo-pragmatischen Management des Augenblicks „abschwören“, das an die gesellschaftliche Erneuerung allein durch politisches Effizienzmanagement glaubt. Die Unternehmen stehen ihrerseits gerade in den gegenwärtigen Umbruchzeiten in der Verantwortung, sich stärker als bisher an die Gesellschaft zu binden und – nicht zuletzt im eigenen Interesse – den Anpassungsprozessen an den ökonomischen Imperativ der Globalisierung gesellschaftliche Investitionen entgegenzusetzen. J Herbert-Quandt-Stiftung 22 Jan-Philipp Görtz III. Patriotische Unternehmer – Eine deutsche Sicht Deutschland und Patriotismus Patriotismus als Grundhaltung hat in Deutschland keinen leichten Stand. Das Verhältnis der Deutschen zur eigenen Nation ist seit jeher anders als das ihrer Nachbarn und hat sich im 20. Jahrhundert noch komplizierter gestaltet. Auch eine Tradition des verantwortlichen Handelns des Einzelnen jenseits des Staates ist hier schwieriger zu finden, da das Verhältnis zwischen Individuum und Gemeinschaft in Deutschland nicht immer vom Prinzip der individuellen Freiheit und Verantwortung bestimmt gewesen ist. Im Gegenteil. Beide Punkte sind aber – wie hier postuliert – Voraussetzungen eines republikanischen Patriotismus. Patriotismus bedarf sowohl eines positiven Selbstbildes von Individuum und Gemeinschaft als auch eines zu erstrebenden Zieles, d. h. es bedarf einer „Idee von der Zukunft“. Hieraus ergeben sich die Fähigkeit und der Wille des Individuums, für die Gemeinschaft etwas zu opfern. Zum Selbstbild oder auch zur Identität einer Gemeinschaft gehört immer auch der Bezug zur eigenen Vergangenheit. Gerade dieser Bezug ist in Deutschland nicht einfach oder eindeutig. Er erfordert die Akzeptanz von Brüchen ebenso wie das Aufspüren von Erfolgen. Für Deutsche ist es schwierig, aber vielleicht auch besonders lohnenswert, eine positive eigene Identität zu entwerfen. Gedanken zur Zukunft 15 23 Jan-Philipp Görtz Der wiederholte Bruch im Bereich der Ideen und Symbole in Deutschland ist evident und zeigt sich in der Kurzlebigkeit seiner nationalen Symbole. Immer wieder musste sich Deutschland neu erfinden und hat sich erfunden. Das gilt insbesondere für das Jahr 1949. Nach der Diskreditierung der Symbole der „späten Nation“ durch den Nationalsozialismus, musste sich die Bundesrepublik angemessene neue Ideen und Ziele geben. Sie fielen mit Wiederaufbau und -integration, Wiedergutmachung und Wiedervereinigung sehr bescheiden aus. Das Gleiche gilt für die Symbole der zweiten deutschen Republik: das Grundgesetz, Schwarz-Rot-Gold, die D-Mark, der VW Käfer oder „Made in Germany“. Die Betonung von D-Mark, VW Käfer oder „Made in Germany“ zeigt den besonderen Stellenwert, den materielle Werte im Nachkriegsdeutschland genossen. Gerade diese Betonung nicht-komplexer, materieller Kriterien ist das Spezifische an der Identität, wie sie sich in der deutschen Nachkriegsgeschichte entwickelte. Es ist nicht erstaunlich, dass sich mit der Zeit eine materialistische Sichtweise bei der Bewertung des Wiederaufbaus durchsetzte. Die Erfolge des Wiederaufbaus wurden weniger mit der persönlichen Opferbereitschaft der Nachkriegsgeneration sondern vielmehr als quasi naturgesetzliche Folge mit dem System „Soziale Marktwirtschaft“ in Verbindung gebracht. Die Opferbereitschaft der Trümmerfrauen trat in der kollektiven Erinnerung zunehmend hinter Währungsreform, Mitbestimmung und Tarifvertrag zurück und fügte sich somit in deutsche Traditionen von Staatsfürsorge ein. Somit gehen die positiven Erfahrungen der jüngsten deutschen Geschichte in gewisser Weise für die Begründung von Patriotismus, dessen Bedingung immer auch die persönliche Opferbereitschaft ist, verloren. Was bedeutet dies aber für Deutschland und deutsche Unternehmen? Wie kann in Zeiten, in denen materielle Ziele entweder erreicht sind oder aber zunehmend unerreichbar werden – sich mithin so oder so „erledigt haben“ –, nationale Identität und Energie für die anstehenden Aufgaben gewonnen und erhalten werden? Mit Sicherheit bedarf es eines positiven Herbert-Quandt-Stiftung 24 III. Patriotische Unternehmer – Eine deutsche Sicht Selbstbildes und der Definition neuer, lohnenswerter Ziele. Diese Definition hat seit 1990 nicht stattgefunden. Die Verantwortung von Unternehmen In den letzten Jahren wird immer deutlicher, dass Deutschland diese Definition dringend benötigt und dass es besonderer Anstrengungen bedarf, für das Gemeinwesen eine Vision von der Zukunft und der Aufgabe Deutschlands in diesem Zusammenhang zu entwerfen. In dem Maße, in dem Staaten nicht mehr alle wichtigen Bedürfnisse zu befriedigen vermögen, entsteht Freiraum für das Individuum und private Akteure. Dieser Freiheitsraum muss mit Verantwortung und Handeln ausgefüllt werden. Was liegt näher, als diese Übernahme von Verantwortung von Privatunternehmen zu fordern und sich dabei gewissermaßen auf deren patriotische Pflicht zu berufen. Die Grenzen, die einem solchen Unterfangen durch wirtschaftliche Gesetzmäßigkeiten und Globalisierung gesetzt werden, sind im Aufsatz von Lars Zimmermann dargestellt worden, ebenso wie der Hinweis, dass Unternehmen durch selbstvergessene Opferbereitschaft unter Umständen die eigene Existenz, und somit elementare Pflichten, gefährden. Das Gemeinwesen würde dann gerade nicht vom „patriotischen Verhalten“ profitieren, sondern Schaden nehmen. Die primäre Aufgabe des Unternehmers bleibt die Rentabilität des Unternehmens. Erst Unternehmenserfolg ermöglicht eine positive Entwicklung der Gesellschaft, von den Aufträgen bis zu den Löhnen, von Renditen und Steuern bis zu nützlichen Produkten und Dienstleistungen. Dabei kann es zu einem Konflikt zwischen dem betriebswirtschaftlichen Interesse eines Unternehmens und des von der Öffentlichkeit als solches angenommenen Allgemeinwohls kommen. Insbesondere die Verlagerung von Arbeitsplätzen oder das Investieren im Ausland wurden in letzter Zeit von der Politik und der Öffentlichkeit scharf kritisiert und als „unpatriotisch“ Gedanken zur Zukunft 15 25 Jan-Philipp Görtz abqualifiziert. Dabei erfordert zunehmende wirtschaftliche Offenheit und der damit verbundene Wettbewerbsdruck flexible Reaktion. Allerdings würde es zu weit führen, bereits profitable Unternehmensführung als patriotisches Handeln zu bezeichnen. Und betriebswirtschaftlicher Erfolg ist auch nicht der einzige Beitrag eines Unternehmens für ein Gemeinwesen. Die nachhaltige Entwicklung sowohl des Unternehmens als auch des Gemeinwesens, in dem dieses aktiv ist, macht es für die Unternehmen erforderlich, nicht nur die eigene Entwicklung, sondern auch die des Gemeinwesens mit in den Blick zu nehmen. Ohne ein Nähren der gesellschaftlichen Wurzeln wird ein Unternehmen keinen Erfolg haben. Bereits in den 1990er Jahren ist daher eine Debatte über das gesellschaftliche Engagement von Unternehmen entbrannt, die im Zusammenhang mit Internationalisierung und Globalisierung auch als „Corporate Social Responsibility“ bezeichnet wird. An Kapitalmärkten ist Corporate Social Responsibility mittlerweile zu einem wichtigen Indikator für die Nachhaltigkeit der Unternehmensführung und damit eines Investments geworden. Darüber hinaus bietet es Unternehmen positive Effekte wie die Steigerung der Reputation und der lokalen Rolle. Der Aufsatz von Rush McCloy verweist auf diesen Effekt der Ökonomisierung und Internalisierung gesellschaftlich sinnvollen Handelns, der allerdings im Bezug auf „patriotisches Handeln“ in Deutschland ganz anderen Bedingungen unterworfen ist als in den USA. Allerdings wären solche Opfer, die sich – zumindest als Werbung – rechnen, eben keine Opfer im patriotischen Sinne. Wirtschaftsunternehmen sind darüber hinaus tendenziell – auch wegen ihrer nationalen und wirtschaftlichen Interessensvielfalt – nicht zu Opfern, insbesondere zu patriotischen, fähig. Die Verantwortung von Unternehmern Wenn es also nur bedingt sinnvoll ist, von Unternehmen einen Beitrag für das Gemeinwesen zu fordern und dabei Opfer zu erwarten, so stellt sich Herbert-Quandt-Stiftung 26 III. Patriotische Unternehmer – Eine deutsche Sicht die Situation bei Eigentümern und Leitern der Unternehmen anders dar. Hier kann in der Tat von einer besonderen patriotischen Pflicht als Individuum gesprochen werden, an deren Einhaltung appelliert werden muss. Die Ansicht, dass jemand, der in besonderer Weise begabt oder überdurchschnittlich begütert ist, auch verpflichtet ist, seine Güter oder Begabungen zum Wohle der Allgemeinheit einzusetzen, hat eine lange Tradition. Sie ist eng verbunden mit dem christlichen Verständnis von Gaben und Begabungen.* Aufgrund seiner wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Stellung verfügt der Unternehmer in der Regel in besonderer Weise über Möglichkeiten, das Gemeinwesen mitzugestalten. Auch in diesem Sinne ist der Unternehmer vermögend, weil er im wahrsten Sinne des Wortes etwas zu verändern vermag. Dieses Engagement muss in der freien Gesellschaft, die Ziel des republikanischen Patriotismus ist, bestimmte Aspekte umfassen: Im heutigen Deutschland ist dies mehr denn je die Stärkung des Selbstvertrauens durch Partizipation an den produktiven Prozessen und Diskursen der Gesellschaften. Mut und Selbstvertrauen kommen letztlich nur durch Handeln und Erfolg. Dies anzuleiten, indem sie Menschen motivieren und zum Handeln anleiten, ist patriotische Aufgabe auch der Führungskräfte der Wirtschaft. Dies kann zumindest im Diskurs oder Auftritt in der Öffentlichkeit berücksichtigt werden. Darüber hinaus gibt es viele Initiativen in Wirtschaft und Politik, die die Werbung für das eigene Land und für praktikable Lösungen ermöglichen. Beispiele hierfür sind u. a. Engagements bei „Invest in Germany“ oder „Partner für Innovation“. Stichwort Partizipation – diese Grundvoraussetzung der republikanischen Ordnung ist in Deutschland vielfach außer Mode gekommen. Der Staat vermag jedoch heutzutage immer weniger, die Einlösung eines patriarchalischen Fürsorgeversprechens zu garantieren. Gefragt sind daher die * Wem viel gegeben worden ist, von dem wird auch viel verlangt. Je mehr einem Menschen anvertraut wird, desto mehr wird von ihm gefordert (Lk 12,48). Gedanken zur Zukunft 15 27 Jan-Philipp Görtz Werte der Freiheit und Verantwortung. „Stell Dir vor, wir hätten Demokratie und Marktwirtschaft – und keiner geht hin.“ Das wäre in der Tat das Ende dieser Ordnungen. Bei mehr als fünf Millionen Arbeitslosen, Jugendarbeitslosigkeit und Schulabbrecherquoten von konstant mehr als zehn Prozent und einer Partizipationsrate der über 55-Jährigen im Arbeitsmarkt von ca. 40 Prozent muss man aber diese Feststellung fast treffen. Deutschland hat ein Partizipationsproblem in allen Bereichen. Ganz unabhängig vom Hintergrund gibt es in Deutschland zu wenig Menschen, die „mitmachen“. Dieses Problem findet sich innerhalb der einzelnen gesellschaftlichen Bereiche ebenso wie im Austausch zwischen ihnen. Zu wenige Menschen haben eine breite Bildung, zu wenige die Glaubwürdigkeit, für „das Ganze“ zu sprechen, weil sie auch so denken und handeln. Zu wenige Menschen besitzen ein republikanisches Dienstethos. Zu wenige der 25- bis 40-Jährigen beschäftigen sich in irgendeiner Form – als Eltern, Lehrer, Trainer, Betreuer, etc. – mit den nächsten Generationen. Gerade in dieser Partizipation liegt aber die Basis für die Nachhaltigkeit einer Gesellschaft. Die Eliten müssen Partizipation vorleben und ermöglichen. Hier haben Führungskräfte in der Wirtschaft sowohl eine aktive als auch eine „ermöglichende“ Rolle. Sie müssen mehr als bisher selbst an Gesellschaft und Politik partizipieren. Sie müssen insbesondere glaubwürdig ihre Werte leben, d. h. die eigenen Maßstäbe auch selbst erfüllen. Dies erfordert kein spartanisches Leben, doch ein Reflektieren über die Wirkungen der eigenen Handlungen in Bezug auf Kompensation oder Lebensstil und die eigenen Forderungen an Mitarbeiter oder Dritte. Ausblick Die Verantwortung des Unternehmers ergibt sich aus seiner Stellung als in verschiedener Weise vermögendem Bürger, der sich in besonderer Weise für das Gemeinwesen einsetzen kann und muss. Auf der Suche nach Herbert-Quandt-Stiftung 28 III. Patriotische Unternehmer – Eine deutsche Sicht unternehmerischem Patriotismus ist hier beim Bürger anzusetzen und weniger bei den Unternehmen. Das Aufstellen patriotischer Pflichten für Unternehmen wäre ein ungeeignetes Substitut für die Handlung der Einzelnen und bewirkt nur eine Anonymisierung der Verantwortung und ein ängstliches Nicht-Aufnehmen der Freiheit. Eine Umsetzung der Unternehmerpflicht könnte zweierlei bedeuten: So wie es im globalen Kontext den „Global Compact“ gibt, in dem sich Unternehmen zu einem gewissen Verhalten verpflichten, brauchen wir heute einen freiwilligen Kodex der Eliten, der vielleicht von der Wirtschaft angeregt werden könnte. Er sollte erkennbar machen, dass die Eliten bereit sind, ihre Freiheit anzunehmen und die damit zusammenhängende Verantwortung – die persönliche Verantwortung, die nicht mit fremden Ressourcen handelt – auch auszuüben. Wir haben keine Elitetraditionen und -schulen, an denen die notwendige Selbstverpflichtung, die letztlich der einzige Weg aus einer Krise ist, gelehrt wird. Deswegen ist ein solcher Kodex notwendig. Einen solchen Kodex zu gründen und zu leben, würde den Namen Patriotismus verdienen. Er ist bei offener Wirtschafts- und republikanischer Gesellschaftsform unerlässlich. Doch ebenso notwendig sind die Schulen und Traditionen: Unternehmer und Führungskräfte müssen daher junge Menschen, die elitewillig und -fähig sind, fördern. In Partnerschaften, Patenschaften, durch Stipendien, Workshops und andere akademische und praktische Mittel. Hier ergäbe sich ein breites Feld, nicht nur für Stiftungen, die sich bereits mannigfaltig betätigen, sondern auch für Personen. Und es gibt gute Vorbilder, große Unternehmergestalten, wie beispielsweise Herbert Quandt. Vielleicht ist es auf diesem Weg möglich, die nationale Identität in Deutschland wieder um die Vorstellung zu erweitern, dass ein Gemeinwesen in der Krise auch auf die Opferbereitschaft seiner Bürger angewiesen ist. Identität und Ideen, die einen Staat ausmachen, sind nicht selbstverständlich gegeben. Vielmehr sind es die vermögenden Einzelnen, die Gedanken zur Zukunft 15 29 Jan-Philipp Görtz hier – als Gruppe – Gestaltungsmöglichkeit und -auftrag haben. Ohne dass diese den Weg zuerst beschreiten und andere mitnehmen, wird nationale Identität in Deutschland schwierig und viel nationales Potenzial, das oft nur durch Opfer entwickelt werden kann, für die Zukunft ungenutzt und stattdessen eine Belastung bleiben. J Herbert-Quandt-Stiftung 30 Rush M. McCloy IV. Unternehmerischer Republikanismus in den Vereinigten Staaten – Ein Erfolgsmodell Einleitung Viele amerikanische Firmen sind in der Lage, sowohl sozial fortschrittlich als auch betriebswirtschaftlich weitsichtig zu agieren. Sie setzen den Patriotismus amerikanischer Konsumenten so wirksam ein, dass Markenwert und Kundenbindung entsteht. Dies funktioniert, weil US-amerikanische Konsumenten außerordentlich loyal gegenüber Organisationen sind, die in ihr Gemeinwesen investieren. Häufig wird in den Vereinigten Staaten dem liberalen Republikanismus ein unternehmerischer Republikanismus entgegengesetzt. Der Begriff des unternehmerischen Republikanismus wird dann missbraucht, um die Rolle von Corporate America in der Politik abzuwerten. Der Begriff des Republikanismus beinhaltet bürgerliche Pflichten. Unternehmerischer Patriotismus ist dementsprechend das Engagement von Unternehmen für die Gesellschaft und beschreibt, wie Unternehmen ihre Pflichten in der Gesellschaft wahrnehmen. Erfreulicherweise ist es Unternehmen in den Vereinigten Staaten möglich, unternehmerischen Republikanismus zu zeigen und gleichzeitig betriebswirtschaftliche Gewinne zu erzielen. Diese Dynamik funktioniert, da der Patriotismus amerikanischer Konsumenten und Investoren Anreize für unternehmerischen Republikanismus schafft. Gedanken zur Zukunft 15 31 Rush M. McCloy In den Motiven unterscheidet sich Patriotismus sowohl vom Gewinnstreben einerseits, als auch von Protektionismus und Nationalismus andererseits. Gewöhnlich erwarten Unternehmen jedoch auch bei wohltätigen Initiativen einen Nettogewinn. Da ein solcher Gewinn das Element des Opfers ausschließt, wird hier von unternehmerischem Republikanismus, und nicht von unternehmerischem Patriotismus, gesprochen. Es ist in erster Linie der Begriff des unternehmerischen Republikanismus, der beschreibt, wie Unternehmen ihr Land unterstützen. Das Gewinnstreben der Unternehmen soll die positiven Effekte des unternehmerischen Republikanismus nicht schmälern. Letztlich ist es aber der Patriotismus des Einzelnen, sei es als Konsument oder als Investor, der es den Unternehmen ermöglicht, ihre lokalen Gemeinwesen zu unterstützen und gleichzeitig wirtschaftlich erfolgreich zu sein. Amerikanische Konsumenten Um zu verstehen, inwiefern sich der US-amerikanische Markt hinsichtlich der Unterstützung eines unternehmerischen Republikanismus von anderen Märkten unterscheidet, muss man das Konsumentenverhalten vergleichen. Es gibt beachtliche Unterschiede zwischen amerikanischen und europäischen Konsumenteneinstellungen. Eine Untersuchung aus dem Jahr 2004 zeigt, dass 69 Prozent der Amerikaner der Aussage „Ich identifiziere mich sehr mit meinem Land und seinen Bewohnern“ zustimmen. In Deutschland hingegen ist es nur etwa ein Drittel; weniger als die Hälfte der Briten, und nur vier von zehn Franzosen stimmen dieser Aussage zu.1 Darüber hinaus bejaht eine große Mehrheit der Amerikaner die These, seit dem 11. September 2001 einen größeren Stolz zu empfinden, Amerikaner zu sein, als zuvor.2 Diese Gefühle lassen zwar keine direkten Rückschlüsse 1 Euro RSCG Worldwide, „New Study from Euro RSCG Worldwide Examines Patriotism, Politics, and Perils in the USA and other Nations; American Patriotism – July 4th 2004“, 1. Juli 2004. 2 Euro RSCG MVBMS Partners, „What does ,American‘ Mean Two Years After 9/11?“, 4. September 2003. Herbert-Quandt-Stiftung 32 IV. Unternehmerischer Republikanismus in den Vereinigten Staaten auf das Kaufverhalten zu, aber sie geben einen ersten Hinweis auf Loyalität und Patriotismus der Durchschnittsamerikaner. Bemerkenswert ist, dass patriotisches Konsumentenverhalten auch dann ausgeprägt blieb, als Skandale amerikanischer Unternehmen dauerhaften Schaden anrichteten. Eine überwältigende Mehrheit vertritt standhaft die Überzeugung, dass es notwendig ist, die heimische Industrie zu unterstützen und stimmt mit folgender Aussage überein: „Ich hoffe, dass amerikanische Unternehmen auch weiterhin patriotische Symbole auf ihren Produkten und in ihrer Werbung verwenden.“ Zwar wird im Zeitalter der Globalisierung die Herkunft eines Produktes zunehmend undurchsichtiger, jedoch bevorzugt nach wie vor mehr als die Hälfte der Amerikaner Produkte, die im eigenen Land hergestellt werden. In Frankreich sind es nur 34 Prozent, in Großbritannien 31 Prozent und in Deutschland nur 25 Prozent, die diese Ansicht vertreten.3 Man könnte nun einwenden, dass diese Zahlen auf eine spezifisch nationalistische Einstellung in den Vereinigten Staaten hinweisen, allerdings sind amerikanische Bürger auch außergewöhnlich unterstützungsfreudig, wenn es um internationale Wohltätigkeitsinitiativen geht. Diese Statistiken sprechen daher eher für die Loyalität gegenüber ihrem unmittelbaren Gemeinwesen und darüber hinaus für den Wunsch, Beschäftigungsverhältnisse zu erhalten. Politik und Unternehmenskultur prägen diese Einstellung. Die Tatsache, dass es in Europa staatliche Vorschriften und Regelungsmechanismen gibt, die das Gesundschrumpfen von Unternehmen einschränken und Arbeitslosigkeit sozial abfedern, mag dazu führen, dass europäische Konsumenten nicht die gleiche Notwendigkeit wie Amerikaner verspüren, ihr Geld für einheimische Produkte auszugeben, um dadurch Arbeitsplätze zu erhalten. Viele Amerikaner leben in einer Hire-and-fire-Kultur von einem Gehaltsscheck zum nächsten, und Entlassungen sind für Unternehmen leicht möglich. 3 Euro RSCG Worldwide, „New Study from Euro RSCG Worldwide Examines Patriotism, Politics, and Perils in the USA and other Nations; American Patriotism – July 4th 2004“, 1. Juli 2004. Gedanken zur Zukunft 15 33 Rush M. McCloy Beispiele von unternehmerischem Republikanismus Unterstützung des Militärs Amerikanische Firmen haben bereits vielfältige Strategien angewandt, um durch wohltätige Initiativen an die Loyalität der amerikanischen Konsumenten zu appellieren. Wal-Mart und Home Depot sind die wichtigsten Beispiele, wenn es darum geht, durch die Unterstützung des amerikanischen Militärs das Ansehen und den Wert der eigenen Marke zu steigern. Keine der beiden Firmen ist in der Lage, nur amerikanische Produkte zu verkaufen und dabei wettbewerbsfähig zu bleiben. Stattdessen bekunden beide Firmen öffentlich, dass sie früheres Militärpersonal beschäftigen. Der finanzielle Aufwand ist nicht unerheblich, denn viele der Reservisten werden wieder einberufen, was wiederum auf Seiten der Unternehmen zu finanziellen Belastungen führt. Es zeigt sich jedoch, dass die Unternehmen aus ihrer Selbstverpflichtung insgesamt einen Nettogewinn erzielen: Indem die Unternehmen ihre Anstrengungen öffentlich machen und auch öffentlichen Zuspruch finden, entsteht aufgrund hoher Konsumentenloyalität ein höherer Markenwert. So wurde Home Depot mit dem Secretary of Defense Employment Support Freedom Award und dem Corporate Patriotism Award der Amerikanischen Veteranenvereinigung ausgezeichnet. Auch Wal-Mart gewann den Corporate Patriotism Award. Der stellvertretende Vorstandsvorsitzende von Wal-Mart Tom Coughlin sagte anlässlich der Preisverleihung mit sehr patriotischen Worten: „Die Gesellschafter von Wal-Mart und SAM’S CLUB sind stolz, unser Land zu unterstützen und unserer Gemeinschaft zu dienen. Veteranen sind ein wichtiger Teil unserer Gesellschaft, sie repräsentieren die Werte, die unser Land so großartig machen.“ 4 4 PR Newswire Association, Inc., „Wal-Mart Stores Inc., to Receive Corporate Patriotism Award at the 9th Annual American Veteran Awards: A Tribute to Freedom,“ 20. November 2003. Herbert-Quandt-Stiftung 34 IV. Unternehmerischer Republikanismus in den Vereinigten Staaten Diese Unterstützung des eigenen Landes durch Wal-Mart sollte anerkannt werden, auch wenn das Unternehmen den Nettogewinn durch erhöhte Kundenbindung einkalkuliert hat. Damit handelt es sich zwar nicht mehr um Patriotismus, das Resultat ist jedoch positiv und Wal-Mart beweist Pflichtbewusstsein gegenüber der Gesellschaft. Es ist wichtig hier festzuhalten, dass patriotisches Konsumentenverhalten zum Erfolg solcher Initiativen beiträgt und dadurch unternehmerischen Republikanismus möglich macht. Rolle der Werbung Da der durchschnittliche amerikanische Konsument patriotisch ist, müssen Unternehmen dafür sorgen, dass die amerikanischen Konsumenten auf wohltätige Handlungen aufmerksam werden. Amerikanische Unternehmen werben erfolgreich, indem sie ihre Initiativen öffentlich bekannt machen. Das Werben mit karitativem Engagement impliziert, dass Unternehmen davon überzeugt sind, für ihre Bemühungen belohnt zu werden. So strahlte McDonalds einen Werbespot aus, der der amerikanischen Öffentlichkeit zeigt, wie viele Nahrungsmittel und Gelder für die Hurricane-Opfer gespendet wurden und die Bürger gleichzeitig zu Spenden in den McDonalds Filialen aufrief. Der Aufwand hat einen positiven sozialen Effekt für die amerikanische Gesellschaft und erhöht gleichzeitig die Konsumentenloyalität und damit den Markenwert. McDonalds spendet zwar auch auf internationaler Ebene, doch der Schwerpunkt seiner karitativen Tätigkeiten und dessen Vermarktung liegt in den Vereinigten Staaten.5 Und die amerikanischen Konsumenten belohnen McDonalds für die Unterstützung ihrer Landsleute. Unternehmen nutzen auch ihre Filialen, um ihr gemeinwohlorientiertes Engagement hervorzuheben. So richtete Wal-Mart in seinen Geschäften Telefonzellen für Familien ein, deren Angehörige ihren Militärdienst in ei5 http://www.mcdonalds.com/usa/good/community.html Gedanken zur Zukunft 15 35 Rush M. McCloy nem Auslandseinsatz absolvieren, damit sie mit diesen Kontakt aufnehmen können. Darüber hinaus bietet Wal-Mart mithilfe seiner Infrastruktur und der seiner Zulieferer die Möglichkeit, Verwundeten und den Truppen Kleidung und Hilfsgüter zu schicken. Insgesamt steuerte Wal-Mart im Jahr 2004 140 Millionen US-Dollar bei, um Gemeinden und Non-Profit-Organisationen zu unterstützen. Weitere 70 Millionen US-Dollar erbrachten die Spenden der Kunden.6 Home Depot beschäftigte zum Beispiel Olympia-Athleten, um diesen die Finanzierung ihres Trainings zu ermöglichen. Home Depot vermarktete dies, indem sie betonten, dass ihre Kunden nicht nur Athleten unterstützen, sondern dass sie möglicherweise sogar von einem amerikanischen Olympioniken bedient werden. Innerbetriebliche karitative Programme mit gemeinnütziger Ausrichtung sind also nicht nur dazu geeignet, aktiv Hilfe zu leisten, sondern auch um Kunden an sich zu binden. Wichtige Unterscheidungen Protektionismus Unternehmerischer Republikanismus muss deutlich von staatlichem Protektionismus unterschieden werden. Die amerikanische Autoindustrie und insbesondere die Entscheidung von Ford, seinen Produktionsstandort im kanadischen Oakville zu schließen, ist hierfür ein gutes Beispiel. Die amerikanische Autoindustrie geriet unter beachtlichen Druck, ihre Kostenstruktur zu verbessern. Im Fall von Ford hätte man erwarten können, dass die gewinnbringenden Werke gefördert und die anderen geschlossen worden wären.7 Trotz der öffentlich vorgetragenen Begründungen für die 6 PR Newswire Association, Inc., „Wal-Mart Stores Inc., to Receive Corporate Patriotism Award at the 9th Annual American Veteran Awards: A Tribute to Freedom“, 20. November 2003. 7 Financial Post DataGroup, „Pain felt everywhere as Ford gears up to close truck plant“, 15. Februar 2002. Herbert-Quandt-Stiftung 36 IV. Unternehmerischer Republikanismus in den Vereinigten Staaten Schließung seiner kanadischen Niederlassung, die das F-150 Modell produziert, bleibt der Eindruck, dass hier entweder Patriotismus oder staatlicher Protektionismus den Ausschlag gegeben haben. Oakville war der zweitstärkste Betrieb und hätte mit einer zusätzlichen Schicht möglicherweise die Führung übernehmen können. Wären Fords Sanierungspläne rein ökonomischen Interessen gefolgt, hätte das Unternehmen höchstwahrscheinlich Produktionslinien in das Werk nach Oakville verlagert, besonders unter dem Aspekt der niedrigeren Lohn- und Gesundheitskosten. Die komplexe Beziehung, die die amerikanische Autoindustrie zur Regierung pflegt und die Abhängigkeiten, die sich daraus ergeben, mögen die patriotischen Motive, Arbeitsplätze zu erhalten, abschwächen. Dieses Beispiel zeigt jedoch auch Aspekte unternehmerischen Republikanismus, da Ford die potenziell negativen Kundenreaktionen in Betracht ziehen muss, die eine Verlagerung der Produktion des sehr populären Pick-ups ins Ausland mit sich bringen würde. Das Resultat ist vorteilhaft für die Vereinigten Staaten. Die Entscheidung, die Niederlassung in Kanada zu schließen, folgt jedoch weder ökonomischen Kriterien noch ist sie rein patriotisch. Vielmehr entspringt sie einer Mischung aus Protektionismus und dem Bewusstsein, bei anderer Entscheidung möglicherweise Kunden zu verlieren. Aufgabe der Staatsbürgerschaft Im Vorfeld der letzten Präsidentschaftswahlen wurde diskutiert, wie mit antipatriotischem Verhalten umzugehen sei, wenn Unternehmer ihre Staatsbürgerschaft aufgäben, um günstige ausländische Steuerschlupflöcher zu nutzen. Dies ist ein extremes Beispiel für Unternehmen, die ausschließlich ökonomischen Anreizen folgen. Patriotismus spielte dabei insofern eine Rolle, als die Aufgabe der Staatsbürgerschaft einen unpatriotischen Akt darstellt. Jedoch lassen sich auch alle Versuche der amerikanischen Regierung, Unternehmen davon abzuhalten ins Ausland abzuwandern, als nationalistisch ansehen. Gedanken zur Zukunft 15 37 Rush M. McCloy John Kerry bezeichnete Vorstandsvorsitzende, die ihre Staatsbürgerschaft aufgeben, aber gleichzeitig bei amerikanischen Unternehmen tätig sind und ihren Profit in Amerika erwirtschaften als „Benedict Arnold CEOs“8. John Kerry wollte Unternehmen, die ihrer Pflicht als Teil der Gesellschaft nicht nachkommen, nicht die gleichen Rechte wie ehrbaren USFirmen zugestehen. Auch wenn sein Argument nachvollziehbar ist, so wird das Bestrafen von Unternehmen diesen keinen Patriotismus einflößen. Der einzige Weg, diese Unternehmen zurückzuholen, besteht darin, neue wirtschaftliche Anreize zu schaffen.9 Eine Reform der Unternehmensbesteuerung, die die Vereinigten Staaten wirtschaftlich attraktiver macht, würde auch unternehmerisches Verhalten verändern. Ein Beispiel für unpatriotisches Verhalten bietet Ingersoll-Rand. Ingersoll hat eine lange Geschichte in den Vereinigten Staaten und ist nicht nur für Alltagsprodukte, sondern auch wegen der Presslufthämmer bekannt, die zur Gestaltung des Mount Rushmore benutzt wurden. Diese historische Tatsache nutzte Ingersoll auf der Firmenwebseite, um ein proamerikanisches Image aufzubauen und Kundenbindung herzustellen, nachdem das Unternehmen seinen Firmensitz auf die Bermudas verlagert hatte, um dort Steuervorteile zu nutzen. Der Vorstandsvorsitzende lebt jedoch weiterhin in den Vereinigten Staaten. Sein Tochterunternehmen, Bobcat, produzierte in limitierter Auflage die Miniaturplanierraupe „Spirit of America“, deren Verkaufserlöse zum Teil den Hilfsmaßnahmen nach dem 11. September 2001 zugute kamen. Bobcats Kampagne zeigt, wie unternehmerischer Republikanismus in den USA funktioniert. Das Verhalten der Mutterfirma in Zeiten von Krieg und Rezension wirft allerdings einen dunklen Schatten auf die von Bobcat gespendeten 200 000 US-Dollar für die Opfer des 11. Septembers.10 8 Benedict Arnold gilt als Inbegriff des Verräters, da er im amerikanischen Unabhängigkeitskrieg zur bri- tischen Armee desertierte (Anm. des Übersetzers). 9 Interessanterweise hat die amerikanische Regierung über eine Milliarde US-Dollar an Unternehmen ver- liehen, die ins Ausland verlagert wurden (The Times Union, „Patriotism vs. Profit.“ 14. Juli 2003). 10 The Times Union, „Patriotism vs. Profit.” 14. Juli 2003. Herbert-Quandt-Stiftung 38 IV. Unternehmerischer Republikanismus in den Vereinigten Staaten Ingersoll ist jedoch kein Einzelfall. Unternehmen wie Tyco, Fruit of the Loom und der Arthur Anderson Nachfolger Accenture haben sich ähnlich verhalten. Die Kritik an der Aufgabe der Staatsbürgerschaft und der Verlagerung von Firmensitzen sollte nicht verwechselt werden mit notwendigen multinationalen Strategien, um sich einer dynamischen und globalen Wirtschaftswelt anzupassen. Dort zu investieren, wo Unternehmen effizient produzieren können, ist nicht unpatriotisch, sondern schlichtweg wirtschaftlich notwendig und steuerlich weitsichtig. Investorenpatriotismus Die „Benedikt CEOs“ sollten besser verstehen lernen, inwieweit amerikanische Investoren amerikanisches Konsumentenverhalten nachahmen. Unternehmen müssen abwägen, ob antipatriotisches Verhalten nicht Investitionsentscheidungen negativ beeinflusst. Eine schlechte Presse bestimmt das Anlegerverhalten, aber es ist offensichtlich, dass Patriotismus Anlegerentscheidungen auch positiv beeinflussen kann. Das Verhalten der Anleger nach dem 11. September ist zwar nicht repräsentativ für durchschnittliche unternehmerische Entscheidungsprozesse, dient aber als Beispiel dafür, dass Anleger Patriotismus in ihre Anlageentscheidungen mit einbeziehen und es als ihre Pflicht ansehen, in einem rückläufigen Markt in Aktien zu investieren.11 In einer Umfrage des Spectrum von November 2001 unter wohlhabenden Anlegern machten 52 Prozent der Befragten deutlich, sich bei Anlageentscheidungen in amerikanische Unternehmen von Patriotismus leiten zu lassen. Ob Anleger weiterhin so patriotisch bleiben, ist unklar, aber anekdotische Evidenz bestätigt, dass Patriotismus das Anlegerverhalten beeinflusst hat. 11 Bradley, Diane, in, Business Week, 8. November 2001. Gedanken zur Zukunft 15 39 Rush M. McCloy Anlegerpatriotismus oder „home bias“ ist eine Theorie. In den Vereinigten Staaten konnte man nach dem 11. September aber tatsächlich einen deutlichen Anstieg inländischer Investitionen feststellen. Regierungsanleihen gibt es bereits seit dem amerikanischen Bürgerkrieg, damals um die Aufrechterhaltung der „Union“ zu unterstützten. Nach dem 11. September wurden Series I und EE Staatsanleihen in „Patriot Bonds“ umgetauft. Diese Umbenennung führte zu einem Anstieg von 43 Prozent im Vergleich zum Vorjahr.12 Bei fallenden Aktienkursen glauben viele Investoren im Inland investieren zu müssen, um damit ihrer Loyalität Ausdruck zu verleihen. Außerdem sind amerikanische Anleger dafür bekannt, eine starke Gewichtung zugunsten inländischer Anlagen vorzunehmen. Genauere Untersuchungen müssen zeigen, ob das Maß an Patriotismus unter amerikanischen Investoren statistisch signifikant ist. Loyalität ist in jedem Falle offenkundig. Je weniger stark ausgeprägt Loyalität und Patriotismus, umso höher der Bestand an Investitionen im Ausland. Schlussbetrachtung Mögen unternehmerische Entscheidungen von patriotischen Motiven oder von ökonomischem Kalkül getrieben werden oder auch von einer Mischung aus beidem, sicher ist, dass der amerikanische Konsument und möglicherweise auch der Finanzinvestor Unternehmen für gemeinnütziges Verhalten belohnt. Eine solche Wertschätzung für gemeinnütziges Handeln ist richtig, unabhängig von möglichen finanziellen Gewinnen. Aber auch die amerikanischen Konsumenten verdienen für ihren Patriotismus eine Auszeichnung, da eben dieser Patriotismus viele unternehmerische Strategien im Interesse der Gemeinschaft verändert hat. Unternehmen müssen ihr Handeln vor Ak- 12 Morse, Adair and Shive, Sophie: „Patriotism in Your Portfolio“, Doctoral Essay, University of Michigan Business School, 4. Juli 2003, S. 4. Herbert-Quandt-Stiftung 40 IV. Unternehmerischer Republikanismus in den Vereinigten Staaten tionären rechtfertigen und nutzen – wenn sie umsichtig sind – Shareholder Value als Maß bei wichtigen Entscheidungen. Wenn der Shareholder Value im Wesentlichen durch das Unternehmensergebnis bestimmt wird, dann können amerikanische Unternehmen durch die Stärkung von Kundenbindung sowohl gemeinnützig als auch finanziell erfolgreich agieren. J Gedanken zur Zukunft 15 41 Autoren Jan-Philipp Görtz Geboren 1970 in Emsbüren. Studium der Rechtswissenschaften an der Universität Heidelberg. 1994 Erstes Staatsexamen. 1995 Referendar beim United Nations Development Programme in Windhuk, Namibia. 1996 Wehrdienst beim Führungsstab der Streitkräfte im Referat für UN-Operationen und internationale Abrüstung. 1997 Assistent des NATO-Beauftragten für Zentral- und Osteuropa. Studium der Internationalen Beziehungen und International Business an der Ecole Nationale des Ponts et Chaussées in Paris und an der Fletcher School of Law and Diplomacy, Tufts University, USA. 1998 MA in Recht und Diplomatie. Seit Oktober 1999 Direktor der Abteilung International and Governmental Relations, Deutsche Lufthansa AG, zunächst in Brüssel, dann Berlin. Herbert-Quandt-Stiftung 42 Autoren Rush M. McCloy Geboren 1974 in Greenwich, Connecticut. BA an der University of Virginia. MBA an der Wharton Business School mit den Spezialisierungen Finance und Entrepreneurial Management, Auszeichnung mit dem Paul Green Award for Knowledge Creation. Parallel dazu erwarb er einen MA mit Auszeichnung in International Studies an der University of Pennsylvania. Zu Beginn seines beruflichen Werdegangs gründete und leitete er Epache Inc., ein auf Wissensmanagement spezialisiertes Softwareunternehmen, und war für Chase Securities tätig, zunächst im Investmentbanking, später in der Organisation und Verwaltung von Derivaten. Anschließend arbeitete er bei Allianz Capital Partners in München. Seit Juli 2005 Partner von Channelstone Partners (MicroCap Acquisitions) in New York City. Er dient als Reserveoffizier bei der US Navy, ist Gründungsmitglied im Aufsichtsrat von Students4Students und Mitglied im Exekutivausschuss der Deerfield Academy. Mark Speich Geboren 1970 in Bonn. 1989 Abitur am Collegium Josephinum, Bonn, Wehrdienst, 1990–1994 Studium der Wissenschaft von der Politik, der Neueren Geschichte sowie des Staats- und Europarechts an den Universitäten Bonn und Cambridge (Pembroke College). 1994 Master of Philosophy; Promotion zum Dr. phil. bei Professor Hans-Peter Schwarz, Universität Bonn. Nach dem Studium wissenschaftlicher Mitarbeiter der Stabsstelle „Politische Beratung und Sonderaufgaben“ im Konrad-Adenauer-Haus. Von Anfang 1997 bis Ende 1998 Gedanken zur Zukunft 15 43 Persönlicher Referent des Rektors der Universität Bonn. 1999–2002 wissenschaftlicher Referent der Herbert-Quandt-Stiftung. Seit 2003 Leiter deren Repräsentanz Berlin. Lars Zimmermann Geboren 1974. Studium der Wirtschaftsgeographie, Politikwissenschaften und Wirtschaft in Bonn. Studentischer Mitarbeiter bei verschiedenen Beratungsfirmen, wie z. B. Arthur D. Litte International und McKinsey. Nach dem Studium Persönlicher Referent eines Beraters des luxemburgischen Premierministers. 2002–2003 Projektleiter für strategische Planung und Organisation bei der Bertelsmann Stiftung. 2003–2004 Beratertätigkeit für das Aspen Institut Berlin und 2004–2005 Fellow im Planungsstab des Auswärtigen Amtes. Seit 2004 Doktorand am Zentrum für Europäische Integrationsforschung, Bonn. 2005–2007 McCloy Stipendiat der John F. Kennedy School of Government, Harvard University, Boston. Herbert-Quandt-Stiftung 44 Herbert-Quandt-Stiftung Die Stiftung wurde 1980 von der ALTANA AG aus Anlass des 70. Geburtstages von Herbert Quandt gegründet und erinnert an eine der großen Unternehmerpersönlichkeiten der deutschen Nachkriegsgeschichte. Verbunden ist der Name Herbert Quandts vor allem mit der Rettung des Ende der fünfziger Jahre in Bedrängnis geratenen Automobilherstellers BMW und der weitblickenden Realteilung des Vartakonzerns, aus der 1977 die ALTANA AG hervorgegangen ist. Heute ist die ALTANA AG eine im Dax 30 notierte international tätige Pharma- und Chemiegruppe. Im Sinne Herbert Quandts fördert die Stiftung der ALTANA AG auf vielfältige Weise Wissenschaft und Forschung und versteht sich zudem als „Think Tank“, der profilierten Persönlichkeiten aus Wissenschaft, Politik und Publizistik ein Forum bietet, um über grundlegende Zukunftsfragen unserer Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung nachzudenken. Die Berliner Arbeit der Herbert-Quandt-Stiftung richtet sich insbesondere an den Führungsnachwuchs der in der Hauptstadt vertretenen Institutionen. Der Vorstand der Herbert-Quandt-Stiftung setzt sich wie folgt zusammen: Dr. Nikolaus Schweickart (Vorstandsvorsitzender), Dr. Albrecht Graf von Kalnein (Geschäftsführender Vorstand), Dr. Thomas Gauly, Dr. Hans-Joachim Lohrisch, Dr. Matthias L. Wolfgruber. Dem Stiftungsrat gehören an: Hans Graf von der Goltz (Ehrenvorsitzender), Susanne Klatten (Vorsitzende), Dr. h. c. Michael Klett, Janusz Reiter, Prof. Dr. Hermann Schäfer, Dr. Frank Schirrmacher, Lord Weidenfeld of Chelsea, Prof. Dr. Ernst-Ludwig Winnacker. Gedanken zur Zukunft 15 45 In der Reihe Gedanken zur Zukunft sind bisher erschienen: Band 1, Juni 2000: Ernst-Ludwig Winnacker Gentechnik – Eingriffe am Menschen Was wir dürfen und was wir nicht dürfen Singen, 30. März 2000 Band 2, August 2000: Detlev Ganten Interdisziplinarität – Herausforderung für Wissenschaftler und Wissenschaften Konstanz, 14. Juni 2000 Band 3, Januar 2001 Claus Leggewie Römisches Minarett und deutscher Islam Wie weit geht der religiöse Pluralismus? Berlin, 8. Juni 2000 Band 4, August 2001 Norbert Berthold Rainer Fehn Sascha von Berchem Der deutsche Arbeitsmarkt in der Krise – Reformen nötig, Reformen möglich Eine Zusammenfassung der Studie „Innovative Beschäftigungspolitik – Wege aus der Strukturkrise“ im Auftrag der Herbert-Quandt-Stiftung Bad Homburg 2001, 208 Seiten, Schutzgebühr Euro 10,– Band 5, Dezember 2001 Hartmut Weule Strategische Aspekte der technischen Zukunftssicherung in Unternehmen Konstanz, 13. Juni 2001 Band 6, Dezember 2002 Claus Leggewie Auf dem Weg zum Euro-Islam? Moscheen und Muslime in der Bundesrepublik Deutschland Berlin, 14. Mai 2002 Eine Zusammenfassung der Studie von Claus Leggewie, Angela Joost und Stefan Rech „Der Weg zur Moschee – eine Handreichung für die Praxis“ im Auftrag der Herbert-Quandt-Stiftung Bad Homburg 2002, 142 Seiten, Schutzgebühr Euro 7,50 Band 7, Dezember 2002 Philip Campbell Brücken bauen: den Austausch fördern zwischen Öffentlichkeit und Wissenschaft Konstanz, 11. Juni 2002 Band 8, Dezember 2003 Mark Speich, Jan Bittner, Claudia Decker, Ulf Gartzke Jenseits des Staates? „Außenpolitik“ durch Unternehmen und NGOs Grundlagenpapier für das 21. SinclairHaus-Gespräch der Herbert-QuandtStiftung am 21./22. November 2003, Bad Homburg v. d. Höhe Band 9, Februar 2004 Michael C. Burda Zwischen ideologischer Traumwelt und ökonomischer Einsicht – Die deutschen Gewerkschaften am Beginn des 21. Jahrhunderts Herbert-Quandt-Stiftung 46 Band 10, März 2004 Xuewu Gu Die Perspektiven des interkulturellen Dialogs zwischen China und Europa Wesel, 30. Oktober 2003 Band 11, März 2004 Bodo Hombach Medien als Akteur und Instrument der Politik Berlin, 27. November 2003 Band 14, Juli 2005 Mark Speich, Greta Shelley Medina, Barbara Konner, Ursula Stiegler, Pedro Germán Cavallero Europa und Lateinamerika – Auf dem Weg zu strategischer Partnerschaft? Grundlagenpapier für das 24. SinclairHaus-Gespräch der Herbert-QuandtStiftung am 22./23. April 2005, Bad Homburg v. d. Höhe Band 12, Mai 2004 Mark Speich, Gregor Kirchhof, Rainer Ohliger, Stefan Bergheim Gesellschaft ohne Zukunft? – Bevölkerungsrückgang und Überalterung als politische Herausforderung Grundlagenpapier für das 22. SinclairHaus-Gespräch der Herbert-QuandtStiftung am 7./8. Mai 2004, Bad Homburg v. d. Höhe Band 13, Januar 2005 Mark Speich, Florian Becker, Hans Jörg Hennecke, Stephan Gutzeit Mehr Führung wagen – Zu einem vernachlässigten Faktor der Demokratie Grundlagenpapier für das 23. SinclairHaus-Gespräch der Herbert-QuandtStiftung am 12./13. November 2004, Bad Homburg v. d. Höhe Die Publikationen können bei der Herbert-Quandt-Stiftung bezogen werden. Gedanken zur Zukunft 15 47 Herausgeber Herbert-Quandt-Stiftung Am Pilgerrain 15 61352 Bad Homburg v. d. Höhe T +49 (0) 61 72 17 12-5 00 F +49 (0) 61 72 17 12-5 45 [email protected] www.herbert-quandt-stiftung.de Redaktion: Jan Bittner, Berlin Lektorat: Monika Miller, Karlsruhe Übersetzung: Derek Whitfield, Frankfurt/M. Gestaltung: Gesa Emde, Darmstadt Druck: Jan van der Most, Düsseldorf Fotos: Mirko Krizanovic, Darmstadt S. 42 und S. 44, privat © Herbert-Quandt-Stiftung, Dezember 2005 ISSN 1615-8008 ISBN 3-937831-16-9