Internet- und Computersucht bei Jugendlichen

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Internet- und Computersucht bei Jugendlichen
Internet- und Computersucht bei
Jugendlichen
Erhebung zur Internet- und Computerspielnutzung bei Jugendlichen
Ambulante Suchtprävention Innsbruck
Elmar Köppl, Kurt Dornauer
Univ. Klinik f. Medizinische Psychologie
Andrea Stöckl, Rita Gastl, Gerhard Rumpold
Tiroler Bildungsservice (TIBS)
Clemens Löcker
Internet- und Computersucht bei Jugendlichen
Internet- und Computersucht bei Jugendlichen | 2013
Erhebung zur Internet- und Computerspielnutzung bei Jugendlichen
1
Herausgeber:
Elmar Köppl
Ambulanz für Internet- und Spielsucht
Ing. Etzel-Straße 5, 6020 Innsbruck
Telefon: +43 512 5331 7440
[email protected]
www.isd.or.at
Der vorliegende Forschungsbericht unterliegt der CC BY-SA 3.0 AT
(http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/at/)
Redaktion:
Clemens Löcker (Tiroler Bildungsservice)
Gerhard Rumpold (Univ. Klinik f. Medizinische Psychologie)
Andrea Stöckl (Univ. Klinik f. Medizinische Psychologie)
Innsbruck, August 2013
Inhaltsverzeichnis
EINLEITUNG ......................................................................................................................................... 3
WORUM GEHT ES? ............................................................................................................................... 6
METHODE ........................................................................................................................................... 6
STUDIENDESIGN ................................................................................................................................... 7
FORSCHUNGSINSTRUMENTE ................................................................................................................... 8
UNTERSUCHUNGSDURCHFÜHRUNG ....................................................................................................... 10
DIE STICHPROBE ................................................................................................................................. 11
COMPUTERSPIELSUCHT – VORWIEGEND EIN PROBLEM DER MITTEL- UND SONDERSCHULE? ........................ 12
DIE SICHT DER ELTERN ..................................................................................................................... 14
JUGENDLICHE UND IHRE TECHNOLOGIEN............................................................................................. 16
DIE CHARAKTERISTIK DER AUFFÄLLIGEN USER ...................................................................................... 19
FAZIT ................................................................................................................................................ 24
REFERENZEN ...................................................................................................................................... 31
Internet- und Computersucht bei Jugendlichen | 2013
STATISTISCHE AUSWERTUNG – DIE FORSCHUNGSERGEBNISSE .................................................................... 12
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INTERNET- UND COMPUTERSUCHT BEI JUGENDLICHEN
Erhebung zur Internet - und Computerspielnutzung bei Jugendlichen
Einleitung
Computer wie auch Internet haben in private Haushalte Einzug gefunden und sind aus dem Alltag von
Kinder und Jugendlichen, aber auch von Erwachsenen kaum mehr wegzudenken. Immer
kostengünstigere Internetverbindungen sorgen für wachsende Popularität der neuen Medien und
ermöglichen damit einer breiten Masse Zugang. Bereits 63,2 % der Europäer und 78,6 % der Amerikaner
nutzen aktiv das Internet (Minniwatts Marketing Group, 2012). In Österreich sind acht von 10
Haushalten mit einer Internetverbindung ausgestattet. Damit liegt Österreich mit 79,3 % über dem
europäischen Schnitt (Statistik Austria, 2012).
Im
Arbeitskontext
stellen
Computer
wie
auch
Internet
mittlerweile
unentbehrliche
Arbeitserleichterungen dar. Im Unterhaltungssektor ergänzen sie klassischen Medien wie Zeitung, Radio
und Fernsehen und haben die Medienlandschaft bzgl. ihrer Komplexität verändert. Die neuen
Technologien sind durch portable Geräte überall und zu jeder Zeit nutzbar, bieten multiple Zugänge
bzw. ermöglichen die Integration aller
Internet- und Computersucht bei Jugendlichen | 2013
technischen Medien wie Telefonie,
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Film, Radio, Fernsehen und Fotografie
und
ermöglichen
Nutzungsmöglichkeiten.
vielfältige
Computer,
Internet und Handy fungieren als
Fernseher, Radio und Zeitung, dienen
der
Unterhaltung
wie
auch
der
Kommunikation und tragen nach Petry
(2010) mittels vielfältiger interaktiver
Kommunikationsmöglichkeiten
und
virtueller Erlebniswelten zu einer veränderten sinnlichen Wahrnehmung und Sichtweise unserer Welt
bei.
Die neuen Informations- und Kommunikationstechnologien beeinflussen damit viele Bereiche des
privaten als auch des wirtschaftlichen Lebens und wirken sich auf alltägliche zwischenmenschliche
Begegnungsformen und Beziehungsmuster aus.
Sie haben die zwischenmenschliche Kommunikation und Informationsvermittlung dahingehend
verändert, dass sie „Kommunikations- und Darstellungsmedien miteinander verschmelzen lassen und
damit eine globale Beziehungsdimension in das Mediale einführen, die den Nutzer zu interaktiv
Handelnden macht“ (Te Wildt & Fischer, 2011, S. 80).
Das Internet revolutioniert die zwischenmenschliche Kommunikation und Informationsvermittlung,
indem es die Grenzen der Kontaktaufnahme sowie den Gewinn an Wissen verändert. Zudem kann der
Nutzer aktiv in das Medium eingreifen und so die Inhalte mitgestalten. „Es bilden sich so neue Formen
der Kommunikation, des Lernens, der Unterhaltung, der Identitätsbildung und der sozialen
Gruppenbildung, was zu einer immer dichteren Verflechtung zwischen realer Welt und virtuellen
Räumen führt“ (Petry 2010, S. 16).
Der heutige Medienalltag von Kindern und Jugendlichen zeichnet sich vor allem durch die Integration
der neuen Medien aus und unterscheidet sich somit von dem vor 10 Jahren (Jukschat et al., 2012).
Für den größten Teil der Jugendlichen sind PC und Internet routinemäßig verfügbar und werden als
selbstverständlicher Teil der sie umgebenden Welt betrachtet und auch genutzt. Kinder und Jugendliche
sind es gewohnt mit Handy, PC und Internet umzugehen, permanent auf irgendeinem Kanal für die
Das Anwendungsspektrum von Computer und Internet gilt als breit gefächert und reicht vom
Arbeitsmittel bzw. als Informationsquelle beim Lösen von Hausaufgaben, dient der Entspannung und
Unterhaltung und fungiert als Kommunikationsplattform (Jukschat et al., 2012).
Internet und PC repräsentieren bei Jugendlichen eine Form des Leitmediums, mit deren Hilfe der/die
Jugendliche selbst oder auch eine Gruppe von Gleichaltrigen neue Rollen jederzeit ausprobieren
können. Jene können somit bei der Identitätsbildung eine potenzielle Rolle spielen. Beispielsweise
ermöglicht Chatten jungen Mädchen, neue Beziehungs- und Kommunikationsformen aus einer sicheren
Distanz heraus auszuprobieren, während junge männliche Nutzer beispielsweise beim „Gamen“
Anerkennung und Emotionsregulation erfahren können. Die neuen Medien spielen eine potenzielle
Rolle in der Entwicklung von Jugendlichen und tragen zur Sozialisation der Jugendlichen bei (Petry,
2010).
Internet- und Computersucht bei Jugendlichen | 2013
Außenwelt erreichbar zu sein und mehrere Medien gleichzeitig aktiviert zu haben (Morgenroth, 2012).
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Die Nutzung dieser Medien in ihrer Summierung erscheint Erwachsenen, denen der Umgang von klein
auf weniger vertraut ist, oft als „eine bedrohliche Entsinnlichung“. (Morgenroth, 2012, S. 66).
Nach Morgenroth (2012) stellen die neuen Medien vor allem im Zeitraum der frühen Adoleszenz ein
beliebtes Feld dar, um sich im Rahmen der Individuation von seinen Eltern abzugrenzen.
Die Sorge, dass virtuelle Räume und
technische Geräte Realbeziehungen
ersetzen, erweist sich in den meisten
Fällen als unbegründet, denn die
wirklichen Beziehungen behalten für
gewöhnlich ihre wichtige Bedeutung.
Für den Großteil der Kinder und
Jugendlichen sind
PC und Internet
Gebrauchsgegenstände und stellen
„ein geeignetes Handwerkszeug zur
leichten Unterhaltung zur Verfügung,
das einen praktischen Nutzen besitzt und gelegentlich eine libidinöse Besetzung erlangt“ (Morgenroth,
2012, S. 66). Der heutige Medienalltag von Kindern und Jugendlichen zeichnet sich vor allem durch die
Integration der neuen Medien aus und unterscheidet sich somit von dem vor 10 Jahren (Jukschat et al.,
Internet- und Computersucht bei Jugendlichen | 2013
2012).
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Nichtsdestotrotz gibt es besonders verletzliche und gefährdete Jugendliche, für die sowohl die neuen
Medien als auch bestimmte Substanzen oder Verhaltensweisen eine potenzielle Gefahr sein können.
Steigende Fallzahlen von Betroffenen bzw. deren Angehörigen, die aufgrund von nicht kontrollierbaren
Online- und Computerspielzeiten ihrer Kinder Beratungsstellen aufsuchen sowie immer wieder neu
erscheinende epidemiologische Studien mit den unterschiedlichsten Ergebnissen wecken das Interesse
von Forschern. Darüber hinausgehend stößt auch in der Öffentlichkeit das Thema Internet- und
Computerspielsucht auf reges Interesse.
Die universelle Durchdringung des Alltags durch die neuen Medien entfacht die Diskussion zwischen
Kulturoptimisten, welche die Mediennutzung stark befürworten, und Kulturpessimisten, welche die
Nutzung der neuen Medien als ein mögliches Potenzial
geistigen und kulturellen Verfalls der
Gesellschaft betrachten. Die Bewertung der Medien hat sich seit jeher zwischen den beiden
Extrempositionen, der Medienbejahung und Medienkritik, bewegt und zeigt sich zu allen Umbrüchen
der Mediengeschichte wie beispielsweise beim Übergang von Oralität zur Literarität wie auch in der
heutigen Zeit beim Übergang von Literarität zur Virtualität (Petry, 2010).
Kritisch sei jedoch angemerkt, dass beide Positionen in ihrer radikalen Sichtweise das komplexe
Bedingungsgefüge personaler, sozialer und gesellschaftlicher Einflussfaktoren auf das individuelle
Mediennutzungsverhalten vernachlässigen. Im Rahmen der Nutzung dieses neuen Mediums ergeben
sich neue Erlebnisformen, Entwicklungsmöglichkeiten der Persönlichkeit und Kommunikationsmuster
beim jeweiligen Nutzer, die sowohl positiver als auch negativer Natur sein können (Petry, 2010).
Bislang gilt es aber als ungeklärt, ob exzessives Nutzungsverhalten in diesem Bereich eine bedeutsame
Störung mit klinischer Relevanz verkörpert und ob deren Prävalenz Handlungsbedarf erfordert.
Das quantitative Ausmaß der Problematik dürfte mit der Verbreitung von Internetzugangsmöglichkeiten
korrelieren. Den steigenden Behandlungszahlen steht bislang nur ein geringes klinisches und empirisch
fundiertes Wissen gegenüber.
Worum geht es?
Die vorliegende Studie setzt sich mit den erhobenen Daten zur Computerspiel- und Internetnutzung bei
Tiroler Jugendlichen auseinander, um repräsentative epidemiologische Daten zu erhalten.
Ein Ziel der Studie besteht darin, zu untersuchen, inwieweit sich der psychosoziale Verlauf der
der Fragestellung sind also mögliche Zusammenhänge bzw. Erkenntnisse, die bislang nur ansatzweise
untersucht worden sind, in ihrer Konsequenz aber (vor allem in der primären Prävention) von großer
Bedeutung sind.
Die gewählte Fragestellung setzt die theoretische und empirische Auseinandersetzung mit dem
Gesundheitsbegriff voraus, den Jugendliche in der Regel für sich beanspruchen. Vermutlich entspricht
dieser Begriff bei weitem nicht jenen Inhalten und Konnotationen, die unter „Gesundheit“ in der
Erwachsenenwelt verstanden, bzw. den Jugendlichen vermittelt werden.
Methode
Die repräsentative Stichprobe soll ca. 1.000 Jugendliche flächendeckend an Innsbrucker Schulen im Alter
zwischen 11 und 18 Jahren umfassen. Mit Hilfe eines semistrukturierten Interviews und einer
standardisierten Fragebogenbatterie sollen die Jugendlichen und ihre Eltern in Bezug auf Internet- und
Internet- und Computersucht bei Jugendlichen | 2013
Adoleszenz auf die Art und Weise der Internet- und Computerspielnutzung niederschlägt. Gegenstand
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Computerspielnutzung befragt werden. Das erste Ziel ist, mittels einer Querschnittstudie die Häufigkeit,
Art und Intensität der Internet- und Computerspielnutzung und den Zusammenhang mit dem
psychosozialen Status und der psychosozialen Entwicklung von Jugendlichen in Tirol zu erfassen. Zudem
sollen die Einschätzungen der Eltern bezüglich der Internet- und Computerspielnutzung ihrer Kinder mit
den Aussagen der Jugendlichen korreliert werden.
Mit einer in 4 Jahren geplanten Follow-up Untersuchung der derzeit 10 bis 11-Jährigen (N=200) soll
erstmals eine Längsschnittuntersuchung durchgeführt werden um den Verlauf der Internet- und
Computerspielnutzung zu beobachten und in Beziehung zu den oben erwähnten intervenierenden
Variablen zu setzen.
Beim Missbrauch von Internet- und PC handelt es sich um ein vergleichsweise seltenes Geschehen.
Demgegenüber steht aber die mittlerweile häufige und immer weiter ausufernde Besorgnis der Eltern
und der Gesellschaft bezüglich des Internet- und Spielverhaltens der Jugendlichen.
Die Mechanismen hinter den in den meisten Studien bestätigten alterskorrelierenden Verläufen
scheinen mit der Lebensqualität, mit den persönlichen Ressourcen und Defiziten, mit dem sozialen
Netzwerk und mit der individuellen Entwicklung zusammenzuhängen.
Studiendesign
Die Fragebögen und das semistrukturierte Interview werden aus bereits an der Univ. Klinik f.
Internet- und Computersucht bei Jugendlichen | 2013
Medizinische Psychologie vorliegenden Arbeiten erstellt und speziell für diese Untersuchung adaptiert.
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Herbst 2011
Querschnitt (N~1000)
14-18 Jährige
CSV-S,CIUS,
ILK,
SWE,
semistrukturiertes Interview
(Dauer ca. 30 min.)
Elternbefragung (N~1000)
Adaptierter CIUS (5 min.)
Längsschnitt (N~200)
CSV-S, CIUS, ILK, SWE,
semistrukturiertes Interview
(Dauer ca. 30 min.)
10-11 Jährige
Q UELLE : I NTERNET - UND C OMPUTERSUCHT BEI J UGENDLICHEN 2013
G EPLANTER F ORSCHUNGSVERLAUF
Herbst 2015
CSV-S, CIUS, ILK,
semistrukturiertes
Interview
SWE,
Folgende Variablen werden dabei mit den unterschiedlichen Instrumenten erhoben.
Variablen
Untersuchungsmethode
Deskriptive Daten
(Alter, Geschlecht, soziale
Schicht, Schulart ...)
Fragebogen
Ist - Stand Erhebung
CIUS,
CSV-S
standardisiertes Verfahren
Fragebogen
Einstellungen
(Schule, Beruf, Zukunft,
Gesellschaft, Sport ....)
semistrukturiertes Interview
Aufklärungsstand
(Auswirkungen,
Helfersysteme)
semistrukturiertes Interview
Lebensqualität
ILKVerfahren
standardisiertes
Fragebogen
Selbstwirksamkeit
SWE
Verfahren
standardisiertes
Fragebogen
Ressourcen & Konflikte
persönliche
Ressourcen,
familiäre,
institutionelle,
persönliche Konflikte
semistrukturiertes Interview
Forschungsinstrumente
Fragebogen „Compulsive Internet Use Scale “ (CIUS), Meerkerk et al. (2009)
Dieser Selbsteinschätzungsfragebogen umfasst 14 fünfstufig skalierte Items, mittels welcher die
Kernelemente einer Internet-/Computerspielabhängigkeit (Verlust der Kontrolle, Beschäftigung,
Konflikte, Entzugssymptomatik und Bewältigungsverhalten) ökonomisch erfasst werden können.
Teststatistische Überprüfungen belegen diesem Verfahren ausgezeichnete Kennwerte.
Fragebogen zum Computerspielverhalten bei Kindern (CSV -S), Wölfling et al. (2009)
Dieses Selbstbeurteilungsverfahren erfasst das Ausmaß „exzessiven Computerspielens“ und liefert
zudem einen Überblick über die Bereiche „Familie und Wohnen“, „Freizeit und Freunde“, „Schule“,
Aussagen zum subjektiven Befinden, Fernsehen sowie Aussagen zum Konsum von Drogen.
Internet- und Computersucht bei Jugendlichen | 2013
Q UELLE : I NTERNET - UND C OMPUTERSUCHT BEI J UGENDLICHEN 2013
V ARIABLEN , DIE IM R AHMEN DER U NTERSUCHUNG ERHOBEN WERDEN
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Zudem werden psychologisch relevante Variablen wie etwa Selbstwert, soziale Akzeptanz und
Problemlösungsstrategien erhoben.
Skala zur allgemeinen Selbstwirksamkeitserwartung (SWE), Schwarzer& Jerusalem
(1995)
Die eindimensionale Skala SWE erfasst mittels 10 Items die allgemeine optimistische Selbstüberzeugung
bzw. Kompetenzerwartung auf einer 4 stufigen Likertskala. Die SWE weist gute psychometrische
Kennwerte auf (interne Konsistenz 0,80-0,90), Mittelwerte liegen in repräsentativen Stichproben bei 29
Punkten (SD=4,00) (Schwarzer & Jerusalem, 1999; Schwarzer, Mueller & Greenglass, 1999).
Inventar zur Erfa ssung der Lebensqualität bei Kindern und Jugendlichen (ILK),
Mattejat, (1998)
Das ILK ist ein ökonomisch einsetzbares Screening-Instrument zur Erfassung der Lebensqualität bei
Kindern und Jugendlichen. Die internen Konsistenzen (Cronbachs Alpha) liegen für den Gesamtwert
zwischen α = .55 und α = .76. Die verschiedenen Retest-Reliabilitäten (2 bis 6 Wochen) liegen für den
Gesamtscore zwischen rtt = .60 und rtt = .80.
Semistrukturiertes Intervi ew
30 PsychologiestudentInnen mit Erfahrungen in der semistrukturierten Interviewtechnik, werden an der
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Univ. Klinik f. Medizinische Psychologie eingeschult. Das Interview enthält Fragen zu
9
·
den persönlichen Ressourcen, Konflikten und Beziehungsstrukturen
·
den Einstellungen zu Schule, Beruf, Gesellschaft, Zukunft, Sport, Familie
·
dem Aufklärungsstand bzgl. Internet- und Computerspielen & deren Auswirkungen
Untersuchungsdurchführung
Im Rahmen dieser Studie wurden im Zeitraum von November 2011 bis Jänner 2012 insgesamt 588
Schüler mittels einer standardisierten Fragebogenbatterie und einem semistrukturierten Interview
hinsichtlich ihres Internet- und Computerspielverhaltens an Innsbrucker Schulen randomisiert
untersucht.
Es wurden nach dem Zufallsprinzip 10 verschiedene Schulen ausgewählt. Um eine Stigmatisierung
einzelner Schüler zu verhindern, wurden alle Schüler der 31 ausgewählten Klassen befragt. Die
Genehmigung zur Durchführung der wissenschaftlichen Erhebung wurde vom Stadtschulrat für
Innsbruck gemäß §46 des Schulunterrichtsgesetzes erteilt, und die jeweiligen Schuldirektoren wurden
um Erlaubnis gebeten. Auf Seiten der Eltern wie auch auf Seiten der SchülerInnen lag nach Erhalt
umfassender Informationen über die Ziele der Studie und des Verfahrens ein Informed Concent vor. Die
Fragebogenuntersuchung wurde in den jeweiligen Klassenräumen in Anwesenheit des Klassenlehrers
und eines testpsychologisch erfahrenen Untersuchungsleiters durchgeführt, der bei Rückfragen zur
Verfügung stand. Die semistrukturierten Interviews wurden von 10 geschulten Interviewern
(fortgeschrittene Studierende der Psychologie) durchgeführt. Die Interviews fanden in separaten
Räumen statt und dauerten im Durchschnitt 20 Minuten. Die Daten wurden in anonymisierter Form
gesammelt.
Im Mittelpunkt der Prävalenzschätzung für pathologischen Internetgebrauch und für pathologisches
Computerspielverhalten stand die Compulsive Internet Use Scale (CIUS, Meerkerk et al., 2009) ein
Computerspielverhalten
(CVS-S,
Wölfling
et
al.,
2009).
Neben
dem
Internet-
und
Computerspielnutzungsverhalten wurden Variablen zu allgemeinen Selbstwirksamkeitserwartung (SWE,
Schwarzer & Jerusalem, 1995), Lebensqualität (ILK,
Mattejat, 1998), persönlichen Ressourcen,
Konflikten und Beziehungsstrukturen, den Einstellungen zur Schule, Beruf, Freizeitgestaltung Sport,
Familie und hinsichtlich dem Aufklärungsstand bezgl. Internet- und Computerspielen & deren
Auswirkungen erhoben.
Auf Seite der Eltern wurden das Wissen zum Internet- und Computerspielverhalten ihrer Kinder mittels
eines Fragebogens erhoben. Der Fragebogen wurde in einem frankierten Kuvert den Schülern
mitgegeben.
Internet- und Computersucht bei Jugendlichen | 2013
Fragebogeninventar zur Erfassung von Merkmalen der Internetabhängigkeit und die Skala zum
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Die Stichprobe
Schüler (n=588)
Alter in Jahren, MW(SD)
15,58 (2,68)
Geschlecht: n(%)
- weiblich
134 (22,8%)
- männlich
267 (45,4%)
- fehlend
187 (31,8%)
Nationalität n(%)
- Österreich
357 (60,7%)
- Andere
44 (7,5%)
- fehlend
187 (31,8%)
Internet- und Computersucht bei Jugendlichen | 2013
Schultyp n(%)
11
- Hauptschule und Mittelschulen
82 (13,9%)
- Sonderschule
44 (7,5%)
- Polytechnische Schule
18 (3,1%)
- Handelsschule
18 (3,1%)
- Berufsschule
66 (11,2%)
- allgemein/beruflich höher bildende
375 (63,8%)
Schulen:
HLW
114 (19,4%)
Villa Blanka
98 (16,7%)
HTL
99 (16,8%)
BORG
15 (2,6%)
HAK
49 (8,3%)
Q UELLE : I NTERNET - UND C OMPUTERSUCHT BEI J UGENDLICHEN 2013
Z USAMMENSETZUNG DER S TICHPROBE
Statistische Auswertung – die Forschungsergebnisse
Am Anfang steht die deskriptive Aufarbeitung der Daten mit anschließenden Berechnungen eventueller
Korrelationen und Unterschiede. Die statistische Auswertung erfolgte mit Hilfe des Software
Programmpaketes von SPSS für Windows Version 15.0. Die Rohdaten wurden auf ihre Plausibilität
(Eingabefehler) hin überprüft. Die Stichprobenbeschreibung (z.B. Alter, Geschlecht) wurde primär durch
die Methoden der deskriptiven Statistik mittels relativer Häufigkeiten und Prozentangaben ausgewertet.
Variablen auf Nominalskalenniveau wurden durch kategoriale Verfahren (Chi2-Test) analysiert. Aufgrund
der Stichprobengröße kamen vorwiegend Mittelwertsvergleiche zur Anwendung. Im Rahmen der
Auswertung wurde auf eine statistische Signifikanz mit einer Irrtumswahrscheinlichkeit von 5 % geprüft.
Mit Hilfe einer logistischen Regressionsanalyse sollten anschließend Risikofaktoren und deren
Q UELLE : I NTERNET - UND C OMPUTERSUCHT BEI J UGENDLICHEN 2013
Computerspielsucht – vorwiegend ein Probl em der Mittel- und Sonderschule?
Insbesondere vor dem Hintergrund einer möglichen schulischen Präventionsarbeit sind die Fragen nach
dem Auftreten von Computerspielsucht bezogen auf Alter und Schultyp zentral. Während in der
Sonderschule und in der Mittelschule jeweils 3,7 % der Befragten suchtartiges Computerspielverhalten
aufweisen, gibt es im Gymnasium keine derartigen Fälle. Beim exzessiven Verhalten zeigt sich in der
Sonderschule mit einem Anteil von 11,1 % ein fast doppelt so hoher Wert wie im Gymnasium.
Suchtartiges Verhalten konnte zwar auch in Berufsbildenden Höheren Schulen und in Berufsschulen
lokalisiert werden, jedoch in einem wesentlich geringeren Anteil als in den Sonder- bzw. Mittelschulen.
Internet- und Computersucht bei Jugendlichen | 2013
Einflussgröße (Odds Ratio) für die Internet- und Computerspielnutzung bestimmt werden.
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Q UELLE : I NTERNET - UND C OMPUTERSUCHT BEI J UGENDLICHEN 2013
Einhergehend mit dem Schultyp lässt auch das Alter, in dem suchtartiges bzw. exzessives Verhalten
auftritt, bildungsrelevante Schlüsse zu. Jüngere tendieren eher zu einem derartigen Fehlverhalten. Der
höchste
Anteil
Computerspielern
an
wurde
exzessiven
in
der
Altersstufe der 10-jährigen festgestellt.
Erstaunlicherweise wurden aber in
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dieser Altersgruppe keine suchtartigen
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Tendenzen festgestellt. Diese finden
sich am stärksten verbreitet bei der
Gruppe der 11-jährigen. Im Gegensatz
dazu finden sich bei den älteren
Befragten
wesentlich
weniger
exzessive Spieler. Im Alter von 18
beispielsweise finden sich keine exzessiven und mit einem Anteil von 1,1 % ein sehr geringer Anteil
computerspielsüchtiger Nutzer.
Die Sicht der Eltern
Die Sicht der N utzungsdauer von el ektr onischen G eräten durch di e Eltern
Während über 50 % der befragten Eltern keinen bzw. sehr selten den Wunsch nach einem
verminderten Konsum von elektronischen Geräten bei ihren Kindern verspüren, wünschen sich knapp
über 24 % sehr häufig bzw. häufig, dass ihre Kinder die Nutzungsdauer reduzieren.
Q UELLE : I NTERNET - UND C OMPUTERSUCHT BEI J UGENDLICHEN 2013
26,5 % der befragten Eltern geben an, dass ihre Kinder manchmal die Anwendung von elektronischen
Geräten der Pflege von Sozialkontakten vorziehen. Über 9 % beobachten dieses Verhalten häufig bis
sehr oft, während bei über 60 % dieses Verhalten selten bis nie wahrgenommen wird.
Befragten häufig bzw. sehr häufig beobachtet. Bei über 68 % kommt es nie dazu.
Q UELLE : I NTERNET - UND C OMPUTERSUCHT BEI J UGENDLICHEN 2013
Internet- und Computersucht bei Jugendlichen | 2013
Computerspi el und Sc hlaf
Unausgeschlafenheit als Folge von Computersitzungen werden nur von etwas mehr als 4 % der
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Einschätz ung des Konsumverhaltens
Durch die Ergebnisse der Untersuchung wird sehr deutlich, dass die Einschätzung der Eltern, über das
Konsumverhalten ihrer Kinder Bescheid zu wissen, sehr stark vom Realnutzungsverhalten der
Jugendlichen abweicht. 70 % der Eltern glauben, darüber viel bzw. ziemlich viel zu wissen, während über
50 % der Jugendlichen angeben, dass ihre Eltern nichts bzw. sehr wenig über ihr persönliches
Konsumverhalten wissen.
Internet- und Computersucht bei Jugendlichen | 2013
Q UELLE : I NTERNET - UND C OMPUTERSUCHT BEI J UGENDLICHEN 2013
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Q UELLE : I NTERNET - UND C OMPUTERSUCHT BEI J UGENDLICHEN 2013
Knapp 70 % der Eltern haben bereits versucht das Konsumverhalten ihrer Kinder einzuschränken. Über
15 % haben dies bereits häufig bis sehr häufig gemacht.
Q UELLE : I NTERNET - UND C OMPUTERSUCHT BEI J UGENDLICHEN 2013
Jugendliche und ihre Technologien
Technologiebesitz
Ein wesentlicher Faktor für das Konsum- bzw. Nutzungsverhalten von elektronischen Geräten ist der
persönliche Besitz dieser. Fast die Hälfte aller befragten Jugendlichen (45,1 %) besitzt bereits ein
Smartphone. Ebenso viele haben eine eigene Spielkonsole, ein Fernsehgerät sogar über 60 % der
Jugendlichen. Über einen eigenen Laptop verfügen bereits über 40 % der Befragten.
Zentrale Anwendung in der Nutzung dieser elektronischen bzw. Neuen Medien ist das Internet.
An schulfreien Tagen wird von knapp 7 % der Jugendlichen das Internet gar nicht verwendet. Ebenso
viele nutzen es jedoch bis zu 13 Stunden/Tag. Der Hauptanteil der Befragten (59,4 %) ist bis zu 2
Stunden an diesen Tagen online.
Dabei werden Medienportale wie YouTube, Kommunikationsfunktionen wie Soziale Netzwerke, E-Mail,
Chat oder Instantmessenger aber auch Spiele und Online-Welten genutzt. Am breitesten, das heißt von
über 90 % der Befragten, werden Inhalte aus dem Medienportal YouTube konsumiert. Fast ebenso viele
nutzen Soziale Netzwerke wie Facebook. Shopping wird von über 40 % über das Internet gemacht. Und
etwas weniger als ein Drittel konsumiert sexuelle Inhalte über das Internet.
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Unabhängig vom Alter der Befragten wird das Internet von knapp 80 % täglich benutzt.
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Q UELLE : I NTERNET - UND C OMPUTERSUCHT BEI J UGENDLICHEN 2013
Computer- und Konsol enspi ele an schulfr eien Tagen
Ein wesentlicher Indikator für die Beantwortung der zentralen Forschungsfrage nach einer exzessiven
Nutzung des Internets bzw. von Computer- und Konsolenspielen mit pathologischen Tendenzen ist die
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Computer- bzw. Konsolenspielzeit der Jugendlichen an schulfreien Tagen.
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Q UELLE : I NTERNET - UND C OMPUTERSUCHT BEI J UGENDLICHEN 2013
1,8 % der Jugendlichen verbringen an schulfreien Tagen Zeit damit, Konsolen- oder Computerspiele zu
spielen. Über 4 % verbringen mehr als 8 Stunden damit, während über 10 % der Befragten an
schulfreien Tagen keine dieser Anwendungen nutzen.
Die Freiwillige Selbstkontrolle
Nicht nur Maßnahmen der Eltern sollen Jugendlichen einen Rahmen zur Mediennutzung vorgeben, auch
öffentliche Maßnahmen geben ein Regelwerk vor. Als Beispiel dafür wird in der Untersuchung die
Wirkung der FSK-Kennzeichnung, die beispielsweise auf Computer- und Konsolenspielen das passende
Alter angibt, untersucht. Diese Altersempfehlung wird von ca. ⅔ der Befragten nicht berücksichtigt. Es
kann also gesagt werden, dass öffentliche Maßnahmen weitgehend die Wirkung verfehlen. Wichtig ist
jedoch zu erwähnen, sich bei den befragten Mädchen mit 85 % ein sehr großer Anteil an die
vorgeschlagenen Altersempfehlungen in Form der FSK-Angaben hält.
Sozial e Netzwerke, Online -Beziehungen und Privatspäre
Wie schon erwähnt, werden von knapp 85 % der Befragten Soziale Netzwerke wie Facebook regelmäßig
genutzt. In der Bereitstellung von persönlichen Informationen zeigt sich ein sehr widersprüchliches Bild.
Knapp 60 % der Befragten geben Informationen aus ihrem Profil nur ihren “Freunden” frei. Die
durchschnittliche Anzahl an Freunden im Social Network liegt bei ca. 400. Über 8 % der Befragten geben
Q UELLE : I NTERNET - UND C OMPUTERSUCHT BEI J UGENDLICHEN 2013
Eine wesentliche Erleichterung in der freien Persönlichkeitsgestaltung durch das Internet sieht über ein
Drittel der Befragten. 35,8 % geben an, dass es im Internet leichter für sie ist, sie selbst zu sein.
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ihr Profil gänzlich frei für alle Social Network User.
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Die Char akteristik der auffälligen User
Erforscht wurde das Setting in Familie, Schule und Freundeskreis. Ebenso wurden die Dimensionen der
Privatsphäre, des seelischen und des körperlichen Wohlbefindens erfasst und berücksichtigt. Das
suchtartige Verhalten wird durch die Parameter Kontrollverlust, Entzugserscheinungen und das
„Swapping“ von Konflikten auch auf andere Lebensbereiche bestimmt.
Q UELLE : I NTERNET - UND C OMPUTERSUCHT BEI J UGENDLICHEN 2013
Internet- und Computersucht bei Jugendlichen | 2013
Bei knapp der Hälfte der Befragten kommt es zu Situationen des Kontrollverlusts. Fast 14 % davon
nehmen dieses Gefühl häufig bzw. sehr oft war.
Q UELLE : I NTERNET - UND C OMPUTERSUCHT BEI J UGENDLICHEN 2013
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Zu Entzugserscheinungen kommt es dabei aber verhältnismäßig selten. Knapp 15 Prozent nehmen
Entzugserscheinungen wahr. Bei knapp 5 % treten diese häufig bzw. sehr oft auf.
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Konflikte können insbesondere für die schulische Arbeit mit suchtgefährdeten Jugendlichen ein
wertvoller Indikator sein. Bei
4,5 % der Jugendlichen zeigen sich derartige Konflikte in anderen
Lebensbereichen sehr oft.
Grundsätzlich lässt sich sagen, dass auffällige User nicht durch besondere Risikofreudigkeit oder durch
ein erhöhtes Empfinden von Einsamkeit auffallen. Sie sind ebenso nicht auffällig in Bezug auf Alkoholund Nikotinkonsum. Außerdem sind sie nicht weniger sportlich als nicht auffällige User. Und nicht
Q UELLE : I NTERNET - UND C OMPUTERSUCHT BEI J UGENDLICHEN 2013
Internet- und Computersucht bei Jugendlichen | 2013
zuletzt sind auffällige User keine Einzelgänger.
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Aufgrund der schon genannten Indikatoren lassen sich 6,3 % der Befragten als „auffällige User“
einordnen, die sich in Hinblick auf reine Onlinezeit nicht von den unauffälligen Usern unterscheiden.
Zentrale Unterschiede zeigen sich jedoch in der Missachtung der schon genannten FSK-Kennzeichnung
und im Spielen von Ego-Shooter-Spielen.
Die Famili ensituati on
Auffällige User leben in aufgelösten Familienverhältnissen. Streitsituationen werden von ihnen
wesentlich häufiger erlebt. Ebenso werden sie häufiger als ihre unauffälligen Altersgenossen von ihren
Eltern bestraft.
Bei Problemen fühlen sie sich von ihren Eltern weniger gut verstanden. Zudem werden ihnen weniger
Freiheiten gebilligt. Familie wird von ihnen als grundsätzlich unverlässlicher Faktor eingestuft.
Von besonderer Relevanz ist auch die Tatsache, dass die Eltern der auffälligen User kompetenter im
Umgang mit Neuen Medien scheinen als die der Vergleichsgruppe.
Das schulische Umfeld
Die Gruppe der auffälligen User erlebt wesentlich mehr das Gefühl von Langeweile im schulischen
Alltag. Die Gemeinschaft in der Klasse wird von ihr als nicht gut eingestuft. Einen wesentlichen Beitrag
dabei spielt sicherlich auch der Fakt, dass diese Gruppe sich vermehrt als Opfer von Hänseleien durch
ihre Mitschüler sieht.
Internet- und Computersucht bei Jugendlichen | 2013
Schularbeiten rufen bei der Gruppe ein höheres Maß an Angst hervor als bei der Gruppe der Nicht-
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Auffälligen. Damit einhergehend fühlt sich die Gruppe der Auffälligen vermehrt ungerecht behandelt.
Ein etwas kontrastierendes Ergebnis zeigt sich bei der Frage nach sozialen Aktivitäten. Auffällige User
zeigen ein deutlich größeres Maß an Freude an mehr sozialen Aktivitäten im Rahmen des schulischen
Alltags.
Der Freundes kreis
In seinem/ihrem Freundeskreis erlebt der auffällige User ein größeres Maß an Konfliktsituationen.
Ebenso herrscht bei ihm/ihr das Gefühl, im Freundeskreis nicht verstanden zu werden.
Die Gruppe der Auffälligen gibt an, im Freundeskreis bereits ausgenutzt worden zu sein. Im Vergleich zu
den Nicht-Auffälligen verbringen sie wesentlich mehr Zeit alleine.
Etwas überraschend ist das Ergebnis in Bezug auf Art und die Anzahl von Freunden. Im Vergleich zu den
Nicht-Auffälligen verfügen die auffälligen User/innen über eine größere Anzahl an realen Freunden. Bei
den virtuellen Freunden sind die Ergebnisse beider Gruppen identisch.
Die Privatsphär e
Wie schon genannt, verbringen auffällige User/innen gerne Zeit alleine. In diesem Sinnen fühlen sie sich
auch weniger einsam als die Vergleichsgruppe. Langeweile wird von ihnen in einem geringeren Ausmaß
erlebt. Ebenso wird von ihnen das Gefühl von Angst vor dem Alleinsein weniger erlebt.
Auffällige User/innen legen bei ihren Internetaktivitäten wesentlich weniger Wert auf Anonymität. Dies
macht sich insbesondere auch im Umgang mit sozialen Netzwerken bemerkbar. Ihre Online-Profile sind
grundsätzlich öffentlich einsehbar.
Das seelische Wohl befinden
Obwohl sich auffällige User/innen intensiver mit ihrer persönlichen Vergangenheit beschäftigen und ein
Q UELLE : I NTERNET - UND C OMPUTERSUCHT BEI J UGENDLICHEN 2013
In Auseinandersetzungen bzw. bei Ärgernissen neigen sie dazu, schneller körperliche Gewalt
anzuwenden.
Internet- und Computersucht bei Jugendlichen | 2013
geringeres Maß an Selbstwirksamkeit erleben, empfinden sie weniger Ängste.
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Das körperliche Wohlbefi nden
Einerseits sind auffällige User/innen unzufriedener mit ihrem Aussehen, andererseits erleben sie sich
selbst als stärker und kräftiger als unauffällige User/innen.
Körperliche Beschwerden und ebenso Schmerzen werden von ihnen wesentlich seltener erlebt.
Internet- und Computersucht bei Jugendlichen | 2013
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass auffällige User/innen
23
●
nicht risikobereiter,
●
nicht auffälliger in Bezug auf stoffgebundenes Suchtverhalten (Alkohol, Nikotin, Drogen),
●
nicht einsamer,
●
keine Einzelgänger (subjektive Selbsteinschätzung) und
●
nicht weniger sportlich sind.
Fazit
Einige Überlegungen aus der Praxis (Dr. Elmar Köppl, Ambulanz für Internet- und Computerspielsucht
(ASP))
Ich möchte den Leser und die Leserin meiner Überlegungen in der digitalen Welt des 21. Jahrhunderts
herzlich willkommen heißen. Was für viele Eltern wie Fachchinesisch klingt, ist für Kinder und
Jugendliche heute Alltag. Die «Generation Facebook» ist mit Internet und iPhone groß geworden. Das
Computerdisplay verdrängt im Jugendzimmer den Fernseher.
Das Buch des Lebens hat sich zum Facebook des Lebens verwandelt. Damit hat sich unser Verhältnis zur
Realität, zu unserem sozialen Leben und in erster Linie auch unser Verhältnis zu uns selber verändert.
Die Gamescom 2012, das weltweit größte Messe Highlight für interaktive Computer- und Online-Spiele
erlebte zum ersten Mal kein neues Rekordergebnis. Trotzdem fanden immer noch über 300.000
Gaming-Begeisterte den Weg nach Köln.
Bei dem Bemühen, ihre Kommunikationsmöglichkeiten untereinander zu verbessern, haben die
Menschen immer schon versucht, sich Hilfen - in Form von neuen Medien - zu bedienen. Wenn man
heute über eine Computerspiel- und Internetsucht
spricht, muss man an dieser Stelle auch die
"Romansucht" und "Lese-Sucht" als vormals befürchtetes Krankheitsbild erwähnen. Ein Zeitgenosse des
18. Jahrhunderts von damals schrieb: "Die gefährlichen Brutstätten des Lasters und Giftbuden der
Seuche, die Bibliotheken, sollten deshalb von Bücherkennern scharf überwacht werden". Oder: "Die
Leben verspielen".
Diese Parallele zur Lesesucht ist aus heutiger Sicht eigentlich lustig. Einem Onlinesüchtigen von heute
bietet man das gute Buch als Alternative an. Der Buchdruck wurde ersetzt durch die Massenmedien wie
Radio und Fernsehen. Das Radio erschloss uns die Welt des Jazz und Rock n´ Roll. Das viel geschmähte
Fernsehen öffnete uns die Türen in die wundervolle Welt der Trivialserien.
Das konservative Amerika witterte dabei einen Verfall der Sitten. So wurde es z. B.
anfänglich untersagt,
Fernsehen zu senden.
Elvis Presley
seine Auftritte wegen seines berühmten verführerischen Hüftschwungs im
Internet- und Computersucht bei Jugendlichen | 2013
Abhängigen werden in eine Zauber- und Geisterwelt hineingeworfen, durch die sie Zeit, Gesundheit und
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Dieser Abwehrkampf war nur von
kurzer Dauer. Letztlich wurde Elvis
Presley
für eine ganze Generation
zum Idol: Ein Rebell, der die Schranken
von
Herkunft,
Hautfarbe
und
Konvention durchbrach.
Vor
ca.
30
Jahren
begann
der
Siegeszug des PCs, so wie er heute den
Alltag von Millionen Menschen prägt.
Das World Wide Web wurde 1989 von
dem
Engländer
Tim
Berners-Lee
erfunden. Das Internet wurde am 30. 04. 1993 für die allgemeine Nutzung freigegeben. Man bedenke,
dass das Internet als sozialer Ort – wie wir es jetzt nutzen - noch nicht einmal 8000 Tage alt ist. Die
rasante Entwicklung von Internetanschlüssen in den Haushalten lässt sich nur mit der extremen
Faszination dieses neuen Mediums erklären.
Die 50 Plus Generation kann sich noch gut an den Schwarz-Weiß Fernseher und das Telefon mit der
Wählscheibe und an eine computerlose Kindheit erinnern. Für heute 20-Jährige waren der Computer
und das Internet immer schon eine Selbstverständlichkeit.
Internet- und Computersucht bei Jugendlichen | 2013
Mit der Ausbreitung des Internets haben sich neue Lebensräume geöffnet. Zudem gibt die technische
25
Innovation in den letzten Jahren den Computerspielen eine ganz neue Qualität. Dadurch, dass nun die
Möglichkeit besteht, mit Menschen aus aller Welt online spielen zu können, können ein Amerikaner
und ein Europäer bequem von ihrem Wohnzimmer aus zusammen spielen, sofern beide einen
Internetanschluss besitzen. Multi-Player-Online-Spiele, kurz
MMORPGs (also Massive Multiplayer
Online Roleplaying Games) genannt, sind eine der interessantesten Innovationen im Bereich der
Computerspielwelt. Dabei handelt es sich um komplexe und aufwendig gestaltete dreidimensionale
Spielwelten, sowohl in Bezug auf die Grafik und die Musik.
Die Absatzzahlen zeigen, dass Computer-Kids immer mehr Wert auf das gemeinsame Spiel legen,
wodurch die Entwicklung der Computerspielindustrie in diese Richtung beeinflusst wird. MMORPGs
sollen das Bedürfnis der KIDS nach sozialem Austausch abdecken. Es werden neue Freundschaften
geknüpft und im Vordergrund steht die Gemeinschaft, d.h. das gemeinsame Erleben von Abenteuern.
Eines der wichtigsten Versatzstücke der Kritik an den neuen elektronischen Medien lautet, dass unsere
mit Computerspielen und Internet aufgewachsene Jugend nicht mehr zwischen wirklicher Realität und
virtueller Realität unterscheiden kann. Wenn heute was schief läuft, oder es um jugendliche Gewalt
geht, zählen Computerspiele und das Internet inzwischen zur ersten Garde der üblichen Verdächtigen.
Offensichtlich gibt es eine uralte Angst vor neuen Medien, die es immer schon gegeben hat. Das Ganze
ist auch Ausdruck eines Unbehagens an der Digitalisierung unserer Lebenswelt. Dieses Unbehagen ist
auch durch die schlichte Tatsache geprägt, dass viele Eltern keine Ahnung haben, was ihr Sohn oder ihre
Tochter so alles auf seinem/ihren PC spielt.
In endlosen Debatten werden häufig falsche Dinge behauptet, die bei den Jugendlichen den Eindruck
erwecken, dass die Erwachsenen über einen Bereich sprechen, von dem sie offenbar viele
Befürchtungen, aber letztlich keine Ahnung haben.
Trotz - vielleicht auch wegen - allen elterlichen Abwehrmaßnahmen sitzen die jugendlichen "Zocker"
tage- und nächtelang vor dem Computer. Sie klicken sich wie „Junkies“ durchs das World Wide Web,
werden entführt in die magische Welt von Azeroth voller fantastischer Helden wie Orks, feinsinnigen
Nachtelfen, Untoten oder Zwergen. Sie kämpfen entweder auf der Seite der Horde oder Allianz um die
Vorherrschaft in bestimmten Gebieten. Sie haben das Gefühl, alles unter Kontrolle zu haben. Kontakt
mit der Außenwelt findet nur mehr über den Pizza-Dienst statt.
Die Gamerzahlen steigen stetig, aber damit einhergehend auch Warnungen der Medien und besorgter
den Massenmedien Radio und Fernsehen geführt werden - in Entweder-Oder-Strukturen geführt zu
werden. Entweder der Computer, das Computerspiel, das Internet oder eine dahinter stehende korrupte
Spielindustrie sind schuld, dass ein junger Mensch spielsüchtig wird.
Oder es ist der Jugendliche selbst, weil er psychische Probleme hat. Er tickt nicht richtig und ist dadurch
besonders sensibilisiert für ein eigentlich harmloses Spiel. Wenn er davon süchtig wird, ist er selber
schuld.
Doch in den meisten Problemlagen – sowie auch in dieser Frage – mag es problemlösend fördernder
sein, in“ Sowohl-als-Auch Strukturen“ zu denken. Für Alfred Adler, den Begründer der
Individualpsychologie, einer der traditionsreichsten tiefenpsychologischen Schulen, gibt es im Leben
eines jungen Menschen eine Erscheinung, die sehr deutlich die Vorbereitung auf das Erwachsenenalter
zeigt, nämlich Spiele.
Internet- und Computersucht bei Jugendlichen | 2013
Eltern vor der exzessiven Mediennutzung. Öffentliche Debatten neigen dazu – besonders wenn sie in
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Für ihn steht fest, dass es nur wenige Spiele gibt, die nicht wenigstens einen der drei Faktoren, nämlich
Vorbereitung auf das Leben, Gemeinschaftsgefühl und Herrschsucht beinhalten.
Nach Alfred Adler dienen Spiele als wichtige Helfer bei der Erziehung, regen den Geist an, beflügeln die
Phantasie und fördern die Geschicklichkeit. Das Spiel ist sozusagen der Beruf eines jungen Menschen
und nach Adler auch so aufzufassen. Das Spiel darf nicht als eine Vergeudung von Zeit aufgefasst
werden; im Spiel zeigt sich fast immer die Vorbereitung auf das künftige Leben.
In seiner im Jahre 1927 erschienen Ausgabe „Menschenkenntnis“ schreibt Alfred Adler unter dem Titel
"Spiel": "Wenn wir uns die Spiele, Spielsachen und Fantasien der Kinder ansehen, fällt auf, dass sie alle
eine Gemeinsamkeit aufweisen: Den Wunsch, erwachsen zu werden, groß, ein erwachsener Mensch zu
werden" (Adler, 1966).
Die Online-Spiele des 21. Jahrhunderts sind letztlich auch nichts anderes. Sie sind ein virtuelles Lernund Kommunikationsfeld, in dem spielerisch Dinge ausprobiert und für das künftige Leben erprobt
werden können, die im realen Raum so nicht hätten entstehen können. In diesen Spielen findet zudem
noch ein besonderer Lernprozess statt. Anders als im Unterricht, wo es um frontale Wissensvermittlung
geht, lernt man in den virtuellen Online-Spiele-Welten nicht über etwas, sondern man lernt zu sein –
sich in einer ständig wechselnden Umwelt zu behaupten und zu entwickeln.
Man lernt das spielerisch, was wir dringend als Grundqualifikation brauchen: Teamfähigkeit, vernetzte
Internet- und Computersucht bei Jugendlichen | 2013
Kooperation, Simulations- und Szenario-Denken, nicht zuletzt auch Schnelligkeit beim kognitiven
Verknüpfen und vieles mehr. Hängt man an einem ausländischen Server kann man seine EnglishKenntnisse perfektionieren. Das Fernsehen verliert völlig an Bedeutung - viel zu passiv für WOW-Spieler.
Auslöser für die große Bedeutung der virtuellen Computerspielwelten in der Adoleszenz sind zentrale
Themen wie: Macht, Herrschaft, Gemeinschaft und Kontrolle. In unserer Gesellschaft gibt es nur wenig
Rituale für den Übergang von der "Baustelle" Adoleszenz zum
kompensieren die männlichen Jugendlichen die im realen Leben noch nicht erreichte Macht, Herrschaft
und Kontrolle (z. B. in Bezug auf Familie und Job) durch eine Perfektionierung ihrer Fähigkeiten in
aktionsreichen und kampfgeprägten Computerspielen. Sie kompensieren in der virtuellen Spielewelt
ihre vorhandene Sehnsucht „groß zu sein“.
Neben dem Machtfaktor fordern Computerspiele zur vollendeten Kontrolle auf, die im realen Leben, das
sich absoluter Kontrolle entzieht, undenkbar wäre. Das Experimentieren mit verschiedenen Seiten des
Selbst kommt der im Jugendalter wichtigen Identitätsfindung entgegen.
27
Erwachsensein. Möglicherweise
Parallel dazu finden Jugendliche im Spiel klare Regeln und Strukturen, die sie im echten Leben häufig
vermissen. Sie erschließen über die virtuellen Medien ihr erstes eigenes Fachgebiet, auf dem sie sich von
ihren Eltern abgrenzen können.
Durch den Zusammenschluss in einer Gilde entsteht ein Gefühl der Zusammengehörigkeit. Aus Fremden
werden Freunde; Vertrautheit ist im virtuellen Raum schneller erreicht als im wahren Leben.
Auch wenn wir es mit Computern zu tun haben, so dürfen wir dabei nicht vergessen, dass hinter jedem
Computer auch ein Mensch sitzt, der sich mit einem anderen austauscht. Man könnte hier durchaus
vom Netzwerkspiel-Clan als Ausdruck des Adoleszenten "Wir-Gefühls" des 21. Jahrhunderts sprechen.
In der Adoleszenz geht es auch um Fragen der Einschätzung des Zumutbaren. Es geht um
Dosierungsfragen, Abschätzungsfragen; man soll selbst Verantwortung übernehmen für etwas, was man
noch nicht kann und trotzdem wird es von den Eltern verlangt.
Im Zusammenhang mit dem Computerspielverhalten bei Jugendlichen erreichten uns an der ASP in den
letzten Jahren vermehrt Anfragen von besorgten Eltern. Dies hat dann dazu geführt, dass wir im Jänner
2010 - neben dem Behandlungsangebot für die klassischen Suchterkrankungen wie Alkohol oder illegale
Drogen - eine eigene "Ambulanz für Internet- und Computerspielsucht" eingerichtet haben.
Ca. 90 % der Jugendlichen wurden in der ersten Zeit auf Druck ihrer Eltern bei uns vorstellig. Meist sind
es die typischen Kollateralschäden, aufgrund derer sich besorgte Eltern an unsere Stelle wenden. Dies
Pflichten oder dass der junge Mann einfach keine Zeit mehr hat, am gemeinsamen Abendessen
teilzunehmen.
In 75 % der Fälle stellt sich heraus, dass die Eltern überreagieren.
Der Übergang vom Hobbyspieler zum pathologischen Internet-Abhängigen ist ein Graubereich. Ich
persönlich stelle ein sogenanntes völliges "Hineinkippen" in die virtuelle Welt des Internets in den
Vordergrund. Wenn ein Jugendlicher oder junger Erwachsener nur mehr online lebt, dann dürfte er die
Balance zwischen realem und virtuellem Leben verloren haben.
Diejenigen, die bei mir einen Therapieplatz bekommen, sind nicht die Freizeit- oder Hobby-Gamer,
sondern diejenigen, die mitunter einen völligen Kontrollverlust erlebt haben. Sie berichten von
Onlinezeiten von weit mehr als 100 Spielstunden wöchentlich und erleben ihr exzessives OnlineVerhalten zunehmend als Belastung.
Internet- und Computersucht bei Jugendlichen | 2013
sind Probleme in der Schule, sozialer Rückzug, der Verlust realer Freunde, Vernachlässigung bestimmter
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In meiner Arbeit als Psychotherapeut und Erfahrung als WOW-Spieler – sofern es die Zeit zulässt - finde
es wichtig, die individuellen Fälle zu sehen. Es sind die Geschichten, die in der Interaktion mit diesem
neuen Medium erzählt werden. Es geht darum, sie zu begreifen und für den therapeutischen Prozess
nutzbar zu machen.
Ich habe in den letzten beiden Jahren Jugendliche und junge Erwachsene erlebt, die aufgrund ihrer
eigenen Kindheit und Sozialerfahrungen seelisch verletzt sind. Im Spiel können sie Dinge machen und
zum Ausdruck bringen, die sie sonst nirgendwo sagen können. Das Spiel wird zu einer Option, ihre
Leidensgeschichte auf verschobene Weise zu erzählen. Das Spiel wird zum Versuch, das soziale Schicksal
umzukehren.
In der Therapie geht es mir erstmals um zwei Fragen:
1.) Was bekomme ich im Internet, was ich im realen Leben nicht habe?
2.) Was kann ich im virtuellen Raum ausprobieren, um es dann im realen Raum, in den realen
Gemeinschaften, umzusetzen?
Es geht letztlich um die Frage, wie sich sinnvolle Zusammenhänge und kreative Übergänge zwischen den
realen und den weiter ausdifferenzierten virtuellen Welten herstellen lassen.
Wer einen solchen Weg geht, bei dem wird ein therapeutischer Prozess erheblich länger und
Internet- und Computersucht bei Jugendlichen | 2013
anspruchsvoller sein, als wenn das Primärziel ist, sogenannte "Computerspielsüchtige" möglichst schnell
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von ihrem "Avatar" (künstliche Darstellung der eigenen Person) zu trennen.
Bei einem wirklich exzessiven Gamer, der seine seelischen Probleme in seinen Avatar projiziert und
vielleicht dort auch sogar gelöst hat, kann ein abrupte Abtrennung von seinem Avatar zu extremen
seelischen Beschädigungen führen. Dies erklärt auch, warum manche Jugendliche auf rigide
Maßnahmen mit einer tiefen regressiven Depression antworten.
Welches Medium die derzeitigen Leitmedien Internet und Computer in Zukunft ablösen werden, wissen
wir noch nicht. Vielleicht ist die
Onlinesucht nur ein temporäres Phänomen, da es kulturelle
Anpassungsleistungen geben wird, wie es beim Massenfernsehen der Fall ist. Eines hat das Internet
sicher erreicht, es lässt die alten Medien seriös werden, Fernsehen und Kino sind mittlerweile Kultur
geworden. Über die Zukunft lässt sich eigentlich nur sinnvoll reden, wenn wir über unsere Wünsche,
Visionen und Utopien reden. Keiner weiß, wie die Zukunft letztlich ausschauen wird.
Wir extrapolieren gerne Dinge aus der Vergangenheit und Gegenwart in die Zukunft; aber die Zukunft
besteht meistens aus einem Überraschungseffekt. Dieser Überraschungseffekt kann ggf. in einer
Enttäuschung bestehen. Nach den
Science Fiction Filmen aus den 50er
Jahren müsste es heute fliegende
Autos
geben;
wir
wurden
darin
enttäuscht. Vielleicht wird das Internet
eines Tages durch eine "VirtualReality-Technologie" ersetzt werden.
Wir wissen es nicht.
Trotzdem
stellt
sich
für
unsere
Generation unter dem Schlagwort
„Medienkompetenz“ die Herausforderung, wie eine intelligente Mischung in der Nutzung von
unterschiedlichsten Medien ausschauen könnte. Es geht um die Frage, wie ein gesundes Wechselspiel
zwischen technischen und nicht technischen Medien ausschauen könnte.
Medienkompetenz im
weitesten Sinne des Wortes ist für mich letztlich die Fähigkeit, das Reale im Virtuellen und das Virtuelle
Internet- und Computersucht bei Jugendlichen | 2013
im Realen entdecken zu können.
30
Refer enzen
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