VerbandExtra 01

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VerbandExtra 01
VerbandExtra: PRAXISTIPP
Rentenversicherungsbeiträge als vorweggenommene
Werbungskosten – Verfahrensfragen (Stand 12/2007)
Die Frage, ob Beiträge zur Altersvorsorge, die zu steuerpflichtigen Alterseinkünften führen, vorweggenommene Werbungskosten darstellen oder nur als Sonderausgaben beschränkt abzugsfähig sind, ist nicht neu. Uns erreichen zurzeit viele Meldungen aus dem Berufsstand, aus denen
sich eine uneinheitliche Vorgehensweise der Finanzämter bzgl. des Verfahrens ergibt.
Dieser PRAXISTIPP soll daher einen Überblick über den Stand des Verfahrens und entsprechende
Handlungsempfehlungen geben:
1. Rechtslage bis einschließlich VZ 2004
Nach der alten Rechtslage wurden Einkünfte aus Leibrenten mit dem Ertragsanteil besteuert.
1. Grundsätzliches
Der Bundesfinanzhof hat mit Urteilen vom 21.7.2004 (X R 72/01, DStRE 2005, 574) und
8.11.2006 (X R 45/02, DStR 2007, 147) entschieden, dass Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung nur als Sonderausgaben mit den sich aus § 10 Abs. 3 EStG a.F. ergebenden Höchstbeträgen abziehbar sind. Durch das ab VZ 2005 gültige Alterseinkünftegesetz ist der Gesetzgeber
nicht zu einer „Nachbesserung“ des die Altersvorsorge betreffenden Sonderausgabenabzugs verpflichtet. Gegen beide Urteile ist Verfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht (BVerfG)
erhoben worden (2 BvR 2299/04 und 2 BvR 325/07), über die noch nicht entschieden wurde.
Die Vorraussetzungen für ein Ruhen des Verfahrens gemäß § 363 Abs. 2 Satz 2 AO liegen damit
weiterhin vor. Seit dem August 2005 erfolgt die ESt-Festsetzung für VZ vor 2005 hinsichtlich der
„Nichtabziehbarkeit von Beiträgen zu Rentenversicherungen als Werbungskosten“ vorläufig
(BMF-Schreiben vom 2.8.2005, BStBl. I 2005, 843).
Der Deutsche Steuerberaterverband hat darauf hingewiesen, dass trotz Vorläufigkeitsvermerk ein
Einspruch zur umfassenden Rechtswahrung erforderlich ist (u.a. PM 25/05 vom 5.9.2005,
www.dstv.de). Der Vorläufigkeitsvermerk betrifft nämlich nur die Frage, ob die Nichtberücksichtigung als Werbungskosten gegen höherrangiges Recht (z.B. Grundgesetz) verstößt. Er greift jedoch nicht, wenn ein Gericht entscheidet, dass aus einfachgesetzlichen Gründen (z.B. durch Auslegung des § 10 Abs. 1 Satz 1 EStG) Beiträge zu Rentenversicherungen als Werbungskosten statt
als Sonderausgaben zu behandeln sind. Die Finanzverwaltung hat diese Einsprüche akzeptiert
und nicht unter Hinweis auf den Vorläufigkeitsvermerk zurückgewiesen.
2. Aktuelles
In letzter Zeit fordern die Finanzämter unter Verweis auf die o.g. BFH-Urteile dazu auf, den bisher
ruhenden Einspruch gegen den ESt-Bescheid zurückzunehmen. Die erhobenen Verfassungsbeschwerden werden dabei leider teilweise verschwiegen.
Die Vertreter der obersten Finanzbehörden der Länder sind der Ansicht, dass diese Einsprüche
aus rechtlicher Sicht entscheidungsreif seien.
PRAXISTIPP: Die Entscheidung, ein ruhendes Einspruchsverfahren gemäß § 363 Abs. 2 Satz 4 AO
fortzusetzen, steht im pflichtgemäßen Ermessen des Finanzamtes. Es muss seine ErmessenserwäPostfach 4226 ∙ 24041 Kiel ∙ Holstenstraße 100 ∙ 24103 Kiel ∙ Telefon (0431) 9 97 97-0 ∙ Fax 9 97 97-17 ∙ Internet: www.stbvsh.de ∙ E-Mail: [email protected]
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gungen offen legen, insbesondere sachgerechte und dem Grundrecht auf Gleichbehandlung
Rechnung tragende Gesichtspunkte benennen, weshalb es abweichend von der Regelung des
§ 363 Abs. 2 Satz 2 AO in einem konkreten Fall unter Abwägung der gegenseitige Belange zu dem
Ergebnis gelangt, das Einspruchsverfahren fortzusetzen (vgl. das sehr lesenswerte BFH-Urteil vom
26.9.2006, X R 39/05, BFH/NV 2007, 296). Standardformulierungen können diesen Anforderungen nicht genügen!
Setzt das Finanzamt ein ruhendes Einspruchsverfahren fort und erlässt eine Einspruchsentscheidung, gibt es zwei Möglichkeiten der Anfechtung vor dem Finanzgericht:
1. Anfechtung des ursprünglichen Bescheids in der Gestalt der Einspruchsentscheidung,
oder
2. isolierte Anfechtung der Einspruchsentscheidung wegen Ermessensfehler bei der Fortsetzungsentscheidung (Hilfsantrag bzgl. der Hauptsache stellen!).
3. Streitvermeidung
Eine Klage gegen die Einspruchsentscheidung lässt sich ggf. vermeiden, wenn der angefochtene
Steuerbescheid den Vorläufigkeitsvermerk „Nichtabziehbarkeit von Beiträgen zu Rentenversicherungen als Werbungskosten“ enthält. Dieser dürfte jetzt – im Unterschied zum Jahr 2005 - aus
folgenden Gründen ausreichend sein:
Bei den Fachgerichten (FG oder BFH) sind – soweit ersichtlich – keine Klagen zu dieser Thematik
anhängig. Falls doch, werden diese angesichts der BFH-Urteile vom 21.7.2004 und vom
8.11.2006 wenig Aussicht auf Erfolg haben. Das BVerfG prüft aber nur noch die Vereinbarkeit
mit dem Grundgesetz (höherangiges Recht). Bei erfolgreicher Verfassungsbeschwerde dürfte der
Vorläufigkeitsvermerk ausreichen, den entsprechenden Steuerbescheid gemäß den Vorgaben des
BVerfG zu ändern.
PRAXISTIPP: Bei Rücknahme eines Einspruchs oder Nichtanfechtung einer Einspruchsentscheidung sollten Sie darauf achten, dass der Steuerbescheid den Vorläufigkeitsvermerk zu „Nichtabziehbarkeit von Beiträgen zu Rentenversicherungen als Werbungskosten“ enthält. Insbesondere
bei Bescheiden, die vor August 2005 ergangen sind, wird dieser fehlen. Hier kann das Finanzamt
per Einspruchsentscheidung abhelfen, indem der Vorläufigkeitsvermerk nun per Einspruchsentscheidung ausgesprochen wird.
4. Umfang der Vorläufigkeit
Der Umfang eines Vorläufigkeitsvermerks ist nicht einfach zu bestimmen und bereitet in der steuerlichen Praxis Schwierigkeiten.
Nach BFH-Urteil vom 31.5.2006 (X R 9/05, DStR 2006, 1548) bezieht sich der Vorläufigkeitsvermerk einer „im Hinblick auf anhängige Verfassungsbeschwerden bzw. andere gerichtliche Verfahren“ vorläufigen Steuerfestsetzung nur auf solche Verfahren, die bereits im Zeitpunkt der Festsetzung beim EuGH, BVerfG oder BFH anhängig sind. Der BFH äußert die Ansicht, dass es den
Steuerpflichtigen zugemutet werden könne, bei bestehenden Zweifeln das Gesetz einzusehen,
fachkundigen Rat einzuholen oder ggf. zur Klärung der Reichweite des Vorläufigkeitsvermerks
Einspruch einzulegen. Die Finanzverwaltung hat reagiert und mit BMF-Schreiben vom
10.11.2006 (BStBl. I 2006, 692) den Einleitungssatz zur Erläuterung des Vorläufigkeitsvermerks
geändert. Dieser lautet nun: „Die Festsetzung der Einkommensteuer ist gemäß § 165 Abs. 1
Satz 2 Nr. 3 AO vorläufig hinsichtlich ...“. Es wird nicht mehr auf anhängige Verfahren, sondern
auf die Rechtsgrundlage hingewiesen. Die obersten Finanzbehörden des Bundes und der Länder
vertreten die Auffassung, dass bei einem derart erläuterten Vorläufigkeitsvermerk das im Zeitpunkt des Bescheiderlasses anhängige, den Vorläufigkeitsvermerk rechtfertigende Gerichtsverfahren nicht mit dem Verfahren identisch sein müsse, das später zur Beseitigung der „Ungewissheit“
im Sinne des § 165 AO führt (BMF vom 24.7.2007, www.bstbk.de unter Presse / Stellungnahmen / 11.06.2007).
PRAXISTIPP: Prüfen Sie genau den Erläuterungstext des Vorläufigkeitsvermerks. Im Zweifel sollten
Sie beim Finanzamt nachfragen. Machen Sie eine Einspruchsrücknahme von der Bestätigung des
Finanzamtes abhängig, dass der Vorläufigkeitsvermerk bei einer Stattgabe der Verfassungsbeschwerden durch das BVerfG ausreicht, den Steuerbescheid zu ändern.
2. Rechtslage ab VZ 2005
Mit Wirkung zum 1.1.2005 ist das Alterseinkünftegesetz in Kraft getreten, welches die nachgelagerte Besteuerung der Renteneinkünfte anordnet. Dies könnte einen Veranlassungszusammenhang zwischen den Vorsorgeaufwendungen und den steuerbaren Renteneinkünften begründen,
so dass Rentenversicherungsbeiträge als Werbungskosten zu qualifizieren wären.
1. Grundsätzliches
Mit Beschluss vom 1.2.2006 hat der BFH (X B 166/05, DStR 2006, 313) in einem AdV-Verfahren
entschieden, dass bei summarischer Prüfung keine ernstlichen Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Regelung des Alterseinkünftegesetzes bestehen, wonach ab dem 1.1.2005 geleistete Beiträge zu den gesetzlichen Rentenversicherungen nur als Sonderausgaben beschränkt abzugsfähig
sind. Dem hat sich das FG Köln in seinem Urteil vom 20.12.2006 (12 K 2253/06, EFG 2007,
836) angeschlossen. Durch § 10 Abs. 3 Satz 5 EStG seien die Altersvorsorgeaufwendungen mit
konstitutiver Wirkung den Sonderausgaben zugeordnet. Beim BFH ist die Revision gegen das
Urteil des FG Köln unter dem Az. X R 9/07 anhängig. Damit liegen die Voraussetzungen für die
Zwangsruhe von Einsprüchen gemäß § 363 Abs. 2 Satz 2 AO vor.
Der Vorläufigkeitsvermerk hinsichtlich der „Nichtabziehbarkeit von Beiträgen zu Rentenversicherungen als Werbungskosten“ gilt nicht für die VZ ab 2005.
PRAXISTIPP: Um die Bescheide offen zu halten, müssen Sie unter Bezugnahme auf das anhängige
Verfahren beim BFH (X R 9/07) Einspruch einlegen. Ein Antrag auf Ruhen des Verfahrens ist nicht
erforderlich, denn es ruht kraft Gesetzes.
Die Finanzverwaltung nutzt in „Massenverfahren“ zunehmend die Möglichkeit, einen Teileinspruch gemäß § 367 Abs. 2a EStG zu erlassen, so auch in Fällen, in denen wegen der Nichtabziehbarkeit von Beiträgen zu Rentenversicherungen als Werbungskosten Einspruch eingelegt wurde. Dieser Teil soll dann keine Bestandskraft erlangen.
PRAXISTIPP: Es ist zu erwägen, den Einspruch umfassend zu begründen und auf mehrere Aspekte
zu stützen. Dies könnte die Finanzverwaltung davon abhalten, einen Teileinspruch zu erlassen.
Falls doch ein Teileinspruch ergeht, könnte evtl. zumindest eine Erweiterung des nicht bestandskräftigen Teils erreicht werden.
2. Aktuelles
Obwohl die Vorraussetzungen der Zwangsruhe gemäß § 363 Abs. 2 Satz 2 AO vorliegen, wollen
manche Finanzämter ruhende Einspruchsverfahren fortsetzen. Den Deutschen Steuerberaterverband erreichen so zahlreiche Hinweise und Anfragen, dass nicht mehr von Einzelfällen ausgegangen werden kann. Die von den Finanzämtern für eine Verfahrensfortsetzung angeführten Ermessensabwägungen sind teilweise nur als abwegig zu bezeichnen. Offenbar hat man selbst die Orientierung verloren. Hier ein Überblick:
a) Verweis auf BFH (X B 166/05)
Das Finanzamt beruft sich auf den Beschluss des BFH vom 1.2.2006 (X B 166/05).
PRAXISTIPP: Der Beschluss des BFH ist im AdV-Verfahren ergangen, in dem nur eine summarische Prüfung erfolgt. Als Begründung für die Fortsetzung eines ruhenden Einspruchsverfahrens ist
der Beschluss ungeeignet.
In einer Anmerkung zu dem Beschluss gab der damalige Vorsitzende Richter des 10. Senats des
BFH, Prof. Dr. Fischer, den Rat: „Rechtsmittel sind weiter offen zu halten“ (NWB, Fach 3, S.
13895).
b) Verweis auf BFH (X R 72/01 und X R 45/02)
Zur Begründung wird auf die ständige Rechtsprechung des BFH (X R 72/01 und X R 45/02) verwiesen, wonach die Rentenversicherungsbeiträge Sonderausgaben seien.
PRAXISTIPP: Die Streitjahre der genannten BFH-Urteile liegen vor dem Inkrafttreten des Alterseinkünftegesetzes. Ob die Rechtsprechung zur alten Rechtslage auch auf VZ ab 2005 übertragbar ist, wird im Revisionsverfahren X R 9/07 überprüft. Die Finanzverwaltung hat sich gerade
deshalb gegen eine vorläufige ESt-Festsetzung entschieden, weil sich die einkommensteuerliche
Lage ab 2005 wesentlich geändert habe. Als Begründung für die Fortsetzung eines ruhenden Einspruchsverfahrens sind die BFH-Urteile zur alten Rechtslage daher abzulehnen. Wenn das Finanzamt in seiner Fortsetzungsmitteilung ausführt, es solle ein weiteres Musterverfahren geschaffen werden, sollte dies nicht ohne weiteres akzeptiert werden. Das Finanzamt muss detailliert an
Hand des Einzelfalles begründen, warum dieser als weiterer Musterfall prädestiniert ist.
c) Verweis auf Vorläufigkeitskatalog
Das Finanzamt meint, es bestehe kein Rechtschutzbedürfnis, weil es nur noch um die Frage gehe,
ob die Zuordnung der Altersvorsorgegaufwendungen zu den Sonderausgaben verfassungsgemäß
sei. Es greife insoweit der Vorläufigkeitsvermerk „beschränkte Abziehbarkeit von Vorsorgeaufwendungen (§ 10 Abs. 3, 4, 4a EStG).
PRAXISTIPP: Der Vorläufigkeitsvermerk „beschränkte Abziehbarkeit von Vorsorgeaufwendungen“
umfasst nicht die Frage, ob Rentenversicherungsbeiträge als vorweggenommene Werbungskosten
abziehbar sind. Ansonsten hätte es des „Werbungskosten“ - Vorläufigkeitsvermerks für die Jahre
vor 2005 nicht bedurft.
Ist das Finanzamt anderer Auffassung, lassen Sie sich explizit bestätigen, dass die Vorläufigkeit
bzgl. „beschränkte Abziehbarkeit von Vorsorgeaufwendungen“ für eine Bescheidänderung in Sachen „Werbungskosten“ ausreichend ist.
3. Ausblick
Das BVerfG wird wohl nicht „die Uhren zurückdrehen“ und in die VZ vor 2004 eingreifen. Trotzdem sollte man aus Vorsichtsgründen die offenen Bescheide nicht ohne Not in Bestandskraft
erwachsen lassen. Mit dem Übergang zur nachgelagerten Besteuerung sind die Karten neu gemischt worden. Man darf gespannt sein, ob der BFH im Hauptsacheverfahren von seinem AdVBeschluss vom 1.2.2006 abweichen wird. Bescheide sollten daher unbedingt offen gehalten werden.
Dieser PRAXISTIPP wurde mit größter Sorgfalt erstellt. Eine Haftung für den Inhalt kann jedoch
nicht übernommen werden. Der PRAXISTIPP entbindet den Steuerberater nicht von der Verpflichtung zur eigenverantwortlichen und gewissenhaften Berufsausübung.