K-ISOM ( PDF , 18,2 MB)

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K-ISOM ( PDF , 18,2 MB)
Luftwaffe
Text: Sören Sünkler, Autoren-Team
Fotos: Alexander Klingelhöller
PR
K-32
PERSONNEL
RECOVERY
Rechts: Ein Luftwaffen-Kampfretter mit einem
HK G36K (kurz) in 5,56 mm x 45, Tourniquet,
Notsignalleuchte, Kompass und Aktivgehörschutz mit Funkausstattung.
R
ettung und Rückführung im Ausland Personnel Recovery (PR) steht für die
Summe aller militärischen, diplomatischen
und zivilen Bemühungen, isoliertes Personal
zurückzuführen und wieder in die eigenen
Reihen zu integrieren. PR ist eine Dauereinsatzaufgabe im Rahmen der nationalen
Krisen- und Risikovorsorge der Streitkräfte.
Search and Rescue (SAR), Deployed Search
and Rescue (DSAR), Combat Recovery (CR),
Combat Search and Rescue (CSAR) und Nonconventional assisted Recovery (NAR) bilden
dabei die unterschiedlichen Einsatzverfahren
im Rahmen von PR. Es gibt eine klare Abgrenzung zu den Teilaufgaben Non-Combatant
Evacuation Operation (NEO) - „Evakuierung
aus krisenhaften Situationen im Ausland“ (MilEvakOp) und Hostage Rescue Operations
(HRO) - „Geiselbefreiung im Ausland“. Diese
sind somit nicht Bestandteil von Personnel
Recovery.
Ein Problem der Bundeswehr war über Jahrzehnte und noch heute, dass all diese Aufgaben unterschiedlichen Verbänden zugeschrieben bzw. nur oberflächlich betrachtet wurden.
Insbesondere die Luftwaffe konnte neben
dem SAR-Auftrag mit Huey (Bell UH-1D) die
Einsatzverfahren nur eingeschränkt mit Luftfahrzeugen und Fachpersonal unterstützen.
Fazit: Die Luftwaffe hätte ihre eigenen Piloten nach einem Abschuss, Absturz oder einer
Notlandung nicht selbstständig aus einer Notlage am Boden retten können. Es existierten
keine Kampfretter nach US-amerikanischen
(Pararescue Jumper/Combat Rescue Officer)
oder französichem (Commando Parachutiste
de l‘air) Vorbild.
Verunglückte Luftfahrzeugbesatzungen und
hinter den Linien eingesetzte Spezial- oder
Fernspähkräfte stellen eine besondere Risikogruppe dar. Jahrzehntelang betrachtete man
in der Bundeswehr lediglich die Überlebensausbildung für dieses gefährdete Personal. Ein
ganzheitlicher Ansatz wie das Guardian Angel
Weapon-System der US-Streitkräfte fehlt noch
heute. Im Guardian Angel Weapon-System
gehen Rettungskräfte (PJ´s und CRO´s) und
SERE-Ausbildung (Survival Evasion Resistance
and Extraction - Befähigung zum Überleben)
Hand in Hand und bilden in Verbindung mit
entsprechenden Air Assets (Recovery Vehicle,
Escort, Rescort) ein funktionierendes Gesamtsystem.
Die US-Streitkräfte erkannten, dass es einen
verzugslosen Zugriff auf dauerhaft bereitgehaltene und weltweit im gesamten Intensitätsspektrum einsatzbereite militärische
Kräfte und Mittel bedarf, um den zunehmend
auftretenden internationalen Bedrohungen
entgegentreten zu können. Das Wesen der PROperationen bedingt eine rasche Verfügbarkeit
und Zusammenführung der Kräfte, in der Regel
auf Ebene der Task Force Personnel Recovery
(TF PR). Heimvorteil, wenn man alle Kräfte in
einem Verband zusammenfasst.
Spätestens mit den Einsätzen auf dem Balkan
erkannte man in der Luftwaffenführung das
akute Problem. Nicht zuletzt der Fall Scott
O´Grady führte dies den Verantwortlichen vor
Augen. Captain O`Grady wurde über Bosnien
mit seiner F-16C von einer mobilen SA-6 SAMBatterie (Surface-to-air-missile) über feindlichem Gebiet abgeschossen. Nach sechs Tagen
Flucht vor serbischen Kräften wurde er von
US-Rettungskräften des USMC mit zwei CH-53
„Sea Stallion“ gerettet. Zum Schutz gegen Airto-Air- und Ground-to-Air-Bedrohung wurden
die CH-53 von zwei AH-1W „Super Cobra„
und einer Rotte AV-8B „Harrier“ Jets begleitet
(Escort/ Rescort). Die ganze Operation ist also
relativ komplex und beinhaltet eine ganze Reihe
von kritischen Faktoren.
Mit Gründung der CSAR-Kerngruppe (Diepholz und später Holzdorf) erarbeitete man nun
erste Ideen und nahm mit Luftfahrzeugbesatzungen an den ersten Übungen teil. Langsam
aber sicher wurde ein Konzept auf die Beine gestellt, das sich so nah wie möglich an die NATOAnzeige
K-33
Combined Joint Personnel Recovery Course
(CJPRSC) mit mehr als 300 Teilnehmern aus
zwölf Nationen statt. Deutschland fungierte
damals für den CJPRSC als gastgebende Nation, und die Luftwaffe stellte Planung, Vorbereitung, Durchführung und Nachbereitung
des Kurses sicher. Hauptziel des CJPRSC ist
es, die Befähigung zur Suche, Rettung und
Rückführung von Personal als europäische Fähigkeit im Rahmen streitkräftegemeinsamer
Auftragserfüllung sicherzustellen, was sicherlich nicht einfach ist. CJPRSC vereint alle einsatzorientierten Aspekte einer standardisierten, multinationalen Aus- und Weiterbildung
im Gesamtkontext der Personnel Recovery.
Fünf Phasen
K-34
Ganze Seite: Kampfretter
aus Laupheim üben Personnel Recovery-Verfahren
während einer Einsatzübung.
Als luftbewegliche Plattform
dient dabei die alte aber
bewährte CH-53 (MTH) des
HSG 64. Dieses Geschwader
wurde erst kürzlich von den
Heeresfliegern zur Luftwaffe
überstellt. Das HSG 64 ist
weiterhin für die Planung,
Steuerung, Durchführung und
Überwachung von Rettung
von Personal zuständig.
Vorgaben anlehnen sollte. Dies gestaltete sich
als schwierig, da es in der Luftwaffe weder
geeignete Flugmuster (NH-90 CSAR) noch
erfahrene oder ausgebildete Kampfretter gab.
Man musste wie so oft improvisieren. Konzepte, bereits in den 90er Jahren entwickelt,
mussten wieder verworfen werden. Dieses
Ausbildungs- und Kostenintensive Problem
anzugehen stand nicht immer ganz oben auf
der Prioritätenliste. Von der Aufstellung eigener Luftwaffen-Spezialkräfte war erst gar
keine Rede.
Beharrlich entwickelte sich jedoch die Aufbau- und Übungsphase unter Federführung
der CSAR-Kerngruppe. K-ISOM besuchte
dazu schon vor Jahren die „Volcanex“-Übung
innerhalb von „Spring Flag“ auf Sardinien, die
von der European Air Group (EAG) durchgeführt wurde. Vom 10. bis 25.10.2012 fand z.B.
auf dem Flugplatz Holzdorf die jährliche multinationale Übung bzw. Lehrgang der EAG , der
Insbesondere mit den Einsätzen im Irak und
in Afghanistan erkannten die westlichen
Streitkräfte mehr und mehr die Notwendigkeit der Fähigkeit eigene Kräfte aus Notsituationen retten zu können. Mit den Jahren
erkannte man auch die Notwendigkeit des
Reintegrationsprozesses, im Besonderen
für Kräfte die aus einer Gefangenschaft entkommen und gerettet werden konnten. So
wurde auf NATO-Ebene nach US-Vorbild die
Rückführungsmission in fünf chronologisch
aufeinander folgenden Phasen gegliedert. Meldung (Report), Auffinden (Locate), Unterstützen (Support), Rückführung (Recover) und
Wiedereingliedern (Reintegrate). Nach der
Überprüfung und Bestätigung einer Meldung
beginnt die Planung in der Personnel Recovery Coordination Cell (PRCC). Diese ist meist
den jeweiligen Verantwortungsbereichen und
den zugehörigen Gefechtsständen zugeordnet. Nach Auswertung der Lageinformationen
wird über den Einsatz der Rettungskräfte
entschieden. Können Kräfte in der Nähe des
isolierten Personals zur Rettung eingesetzt
werden, oder sind weder isoliertes Personal
(ISOP) noch Rettugskräfte ausgebildet und/
oder ausgerüstet, spricht man in der Regel
von Combat Recovery-Operationen.
In Afghanistan wurden hierfür in Mazar-e-Sharif in den letzten Jahren temporär im Rahmen
des ISAF-Mandates auch Objektschutzkräfte
der Luftwaffe eingesetzt. Diese sollten als PRGruppe im Verantwortungsbereich Mazar-eSharif Combat Recovery-operationen luftgestützt durchführen können.
SERE & Conduct after Capture
Grund für Combat Search and Rescue-Operationen bilden besonders gefährdetes Personal,
welches im Idealfall für diese brisanten Situationen speziell ausgebildet wurde. Diese
Überlebensausbildung wurde in den letzten
Jahren auch in der Bundeswehr weitgehend
angepasst. Mit den unterschiedlichen Ausbildungshöhen zur Vorbereitung einer Isolation
wird der erhöhten Bedrohung im Einsatz
Rechnung getragen. So wird je nach Möglichkeit jeder Soldat die z. B. in Afghanistan
eingesetzt werden in der Höhe SERE-Level A
ausgebildet. Dies beinhaltet die theoretische
Einweisung in die Verfahren von Personnel
Recovery, zum Verhalten bei einer Aufnahme
durch eigene Kräfte und die Vorstellung von
Notausrüstung.
Die Ausbildungsstufe SERE-Level B beinhaltet
weitere, tiefergehende theoretische Kenntnisse und praktische Anteile. Diese Ausbildungsstufe ist vorallem für Kräfte vorgesehen,
die über lange Zeiträume außerhalb eines
Feldlagers oder einer FOB operieren, wie z.
B. Aufklärer und Infanteriekräfte. Besonders
gefährdetes Personal (z. B. Luftfahrzeugbesatzungen, sowie spezialisierte und Spezialkräfte)
werden in der höchsten Stufe SERE-Level C
ausgebildet. Dies beinhaltet eine ausführliche
Ausbildung zum Überleben in Notsituationen,
der Anwendung von Notausrüstung, Möglichkeiten zur Flucht vor feindlichen Kräften, Anwenden von Authentisierungs- und
Aufnahmeverfahren und dem Verhalten bei
Gefangennahme (Resistance-to-Interogation). Um die Ausbildung an die besonderen
Anzeige
Bedrohungen der asymetrischen Konflikte
anzupassen wurde jüngst für spezialisierte
und Spezialkräfte die Ausbildung Verhalten bei
Gefangenschaft - Conduct-after-Capture (CAC)
entwickelt.
Zur Rettung im Rahmen von CSAR-Operationen werden besonders ausgebildete Rettungskräfte, Luftfahrzeugbesatzungen und
eine spezielle Ausrüstung eingesetzt. Die Ausrüstung beinhaltet im Schwerpunkt kryptierfähige Breitbandfunkgeräte und Notfunksender-Empfangsgeräte.
Wenige und verlorene Erfahrung
Search and Rescue (SAR) liegt wiederum
grundsätzlich in nationaler Verantwortung.
Seit Jahrzehnten wird dies an Nord- und
Ostseeküste und über See durch die Marineflieger („Sea King“ und „Sea Lynx“) seitens
der Bundeswehr wahrgenommen. Sowohl
Luftwaffe als auch Heeresflieger übernahmen
diese Aufgabe im gesamten Bundesgebiet mit
Bell UH-1D (Huey). Mit der Entscheidung,
zivilen Rettungsorganisationen seitens der
Bundeswehr keine Konkurrenz im Ertragsgeschäft machen zu dürfen, wurde und wird diese Fähigkeit durch die Bundeswehr nur noch
im nationalen Katastrophenfall bereitgestellt.
Mit der Ausphasung der UH-1D verlieren die
K-35
K-36 Streitkräfte die SAR-Fähigkeit weitestgehend
und somit eine Menge an Erfahrung im Rettungsgeschäft.
Die Fähigkeit von Suche und Rettung im Ausland ohne Bedrohung (DSAR), bei z. B. einer
Erdbebenkatastrophe kann die Bundeswehr
nur mit Einzelfähigkeiten wahrnehmen. Das
THW oder die Organisation I.S.A.R (International Search and Rescue Germany) besitzen
hier derzeit wesentlich bessere Fähigkeiten.
Lediglich die Verbringung und das Erreichen
von unzugänglichem Gelände stellt diese Rettungskräfte vor eine große Herausforderung.
US-amerikanische Rettungskräfte oder die
Israelis unterstützten hier z. B. jüngst bei der
Erdbebenkatastrophe in Nepal.
„Sonderkräfte“ der Luftwaffe
Für den Einsatz im Gesamtspektrum Personnel Recovery entwickelt die deutsche Luftwaffe hierfür nun den Gesamtverbund Kräfte
Rettung und Rückführung der Luftwaffe. Entsprechende Vorgaben lassen sich aus einer
Konzeption der Bundeswehr (KdB) entnehmen. Dieser beinhaltet besonders ausgebildete Luftfahrzeugbesatzungen (LFB), SERE-Ausbilder und Kampfretterfeldwebel. Damit stellt
die Luftwaffe zukünftig den einzigen einsatzfähigen Verbund an dedizierten Kräften (Dedicated Forces) für das Gesamtspektrum Ret-
tung und Rückführung im Ausland (Personnel
Recovery). Ziel ist es irgendwann, weltweit
hochqualifizierte Rettungskräfte bereitstellen
zu können.
Das dafür verantwortliche Hubschraubergeschwader 64 ist mit seinem Stab und zwei
Gruppen an der Grenze zu Bayern im badenwürttembergischen Laupheim sowie mit
einer Gruppe im brandenburgischen Schönewalde/Holzdorf stationiert. Hauptaufgabe
ist neben dem teilstreitkraftübergreifende
Lufttransport im nationalen und multinationalen Bereich mit dem MTH Sikorsky CH-53,
Personnel Recovery und die Unterstützung
von Spezialkräften/Special Operations Forces
(SOF). Mit dem Fähigkeitstransfer der CH53-Flotte vom Heer zur Luftwaffe und der
Umstrukturierung des HSG 64 bildet das
Geschwader auch die neue „Heimat“ der
Kampfretter.
Die Auswahlkriterien dafür sind streng und
die Ausbildung bringt die Soldaten an ihre
Grenzen. Das ist in der Luftwaffe unüblich
und bedurfte einer langen Entwicklungsphase.
In einer ersten Phase wurden neben Kräften
des Objektschutzes auch erfahrene Berufssoldaten des Heeres angeworben, u. a. aus
der Division Spezielle Operationen/Division
Schnelle Kräfte und vom Ausbildungszentrum Spezielle Operationen in Pfullendorf.
Um überhaupt betrachtet werden zu können,
muss ein Bewerber den Lehrgang zum Feldwebel der Luftwaffensicherungstruppe oder
eine vergleichbare infanteristische Ausbildung
abgeschlossen haben und eine lange Regelverpflichtungszeit akzeptieren. Die letzte Hürde
im Auswahlverfahren ist die Eignungsfeststellung. Nach dem erfolgreichen Besuch der Einzelkämpferausbildung und Überlebenstraining
an Land und auf See, folgen die Ausbildung in
den Bereichen Fallschirmspringen, Abseilverfahren, Schießen, Nahkampf, technische Rettung (Extrication) und Rettung in beengten
Verhältnissen und aus schwierigen Gelände.
Eine zusätzliche erweiterte medizinische Ausbildung ist zwingend notwendig, um am Boden
zukünftig Leben retten zu können. Die Erfahrungen zeigten das es einfacher ist, umfangreich ausgebildete Infanteristen zu „Medics“
weiterzubilden, als Sanitätspersonal als Infanteristen einzusetzen. Die Kampfretter sind
im Einsatz als Besatzungsmitglied in die Crew
der CH-53 integriert, können darüber hinaus
auf jeglicher Plattform triphibisch eingestezt
werden. Sie müssen die flugmedizinischen
Anforderungen erfüllen und speziell geschult
werden, damit sie die Besatzung während des
Fluges in jeder Lage unterstützen können. Die
Ausbildung dauert zwei Jahre und mehr. Die
Spezialisten absolvieren Lehrgänge, die für gewöhnlich nur einem sehr auserwählten Kreis
vorbehalten sind. „Fallschirmspringen, Schießen,
viel Sport und ein Nahkampf- und Überlebenstraining stehen auf dem Dienstplan, dazu eine
vertiefte medizinische Ausbildung für die Erstversorgung von Verletzten und Verwundeten vor Ort“,
heißt es bei der Luftwaffe.
Die Abläufe bei einem Einsatz werden im täglichen Dienstbetrieb immer und immer wieder geübt. Im Ernstfall muss jeder Handgriff
sitzen.
Krisenlagen werden Realität
Ob der abgesetzte Scharfschützentrupp der
sich einer erhöhten Feindbedrohung stellen
muss oder der bewusstlose Springer eines
Fallschirmspezialzuges an seinem Gleitfallschirm, die abgeschossene Luftfahrzeugbesatzung oder das angesprengte gepanzerte Fahrzeug weit außerhalb des Einzugsbereiches
einer Forward Operating Base (FOB), die Katastrophenhilfe in Krisengebieten nach einem
Erdbeben oder der Flugzeugabsturz im Ausland. Denkbare Szenarien für den Einsatz von
besonders ausgebildeten und qualifizierten
Rettungskräften gibt es genügend. Sie ergänzen die operativen Kräfte aller Teilstreitkräfte
durch die Sicherstellung eines „Plan B“, ohne
dabei eigene Kräfte zurückhalten zu müssen.
Die Frage ist nur, ob man diese nun auch zielgerichtet einsetzen wird.