Catull, carmen 8: einige interpretatorische Ansätze: 1. Versmaß

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Catull, carmen 8: einige interpretatorische Ansätze: 1. Versmaß
Catull, carmen 8: einige interpretatorische Ansätze:
1. Versmaß: Choliambischer Vers (Hinkiambus)
2. Situation: Offensichtlich ist zwischen Catull und Lesbia ein Zerwürfnis einge­
treten. Lesbia erwidert Catulls Liebe nicht mehr und treibt ihn so zur Verzweiflung. Der Dichter redet sich in der Stimmung des Augenblicks selbst zu, um Abstand von den qualvollen Gefühlen
zu gewinnen. 3. Sachliches:
­ miser Catulle: Die namentliche Selbstanrede kommt seit Euripi­
des vor und ist auch in Komödie und Lyrik üblich. Sie findet sich ebenso in zahlreichen anderen Catullgedichten (ca. 46,4,51,13,
52,76,79).
­ ineptire: Das Verbum bedeutet "ein Narr sein"; hier ist das aus­
sichtslose Verharren in der Liebe zu Lesbia gemeint.
­ cum ventitabas, quo puella ducebat: Die Zusammenkünfte mit
Lesbia waren offensichtlich mit Schwierigkeiten verbunden; eine
naheliegende Erklärung dafür dürfte die Tatsache sein, daß sie schließlich mit Metellus Celer verheiratet war; um ihre ehebre­
cherische Beziehung vor ihrem Mann verbergen zu können, mußte sie Catull zu den von ihr als geeignet empfundenen Plät­
zen führen.
­ iocosa: "erotische Scherze", Liebesspiele
­ inpotens: Catull tadelt sich selbst als "Schwächling", weil er sei­ ner leidenschaftlichen Gefühle gegenüber Lesbia nicht Herr wird ­ rogabit: Das Verbum ist hier im erotischen Sinne zu verstehen:
"umwerben", "begehren".
4. Grammatik: nobis (Vers 5) = tibi
nulla (Vers 14) = non
5. Sprache/Stil:
­ Catull bevorzugt eine sehr schlichte, volkstümliche Sprache, z.B.
"ibi tum"/"illa non vult"/"nec miser vive"/"vale puella"/;
dadurch wirkt der Ausdruck der Emotionen unmittelbar und echt
ebenso unterstreicht das regelmäßige Zusammenfallen von Vers­ und Kolonende die Schlichtheit des Gedichts.
­ Besonders pathetisch sind die kurzen, überhasteten Fragen der
Verse 15­19.
­ Trotz der allgemeinen Tendenz zum schlichten und einfachen
Ausdruck greift Catull bei seinem Rückblick auf die ungetrüb­ ten Zeiten seiner Liebesbeziehung wohl im Überschwang der einstigen, nochmals aufwallenden Glücksgefühle zu der stili­
stilistisch viel höher stehenden Metapher "soles" (für "Tage").
6.Gliederung der Aussage:
­ Vers 1­2: Appell an sich selbst, das Ende der Liebesbezie­ hung zu Lesbia innerlich zu akzeptieren;
­ Vers 3­8: Sehnsüchtige Rückerinnerung an das frühere Glück;
­ Vers 9­13: Wieder Appell an sich selbst im Sinne der Verse 1­2;
­ Vers14­18: Catull stellt Lesbia eine düstere Zukunft in Aus­
sicht, (falls sie seine Liebe weiterhin verschmähen
sollte);
­ Vers 19: Catull appelliert ein weiteres Mal an sich, sich von
Lesbia innerlich loszusagen.
7. Gesamtaussage:
In diesem Gedicht drückt sich Catulls emotionaler Zwiespalt un­
mittelbar aus: auf Worte, mit denen er sich selbst zu Vernunft und
Distanz mahnt, folgen Abschnitte, in denen ihn die Erinnerung an glückliche Tage überwältigt. Selbst hinter der Kette von kurzen, drohenden Fragen (Vers 15­18) schwingen noch Assoziationen
einer ehemals harmonischen Beziehung mit, so daß auch hier die
wehmütige Erinnerung an diese Zeit fast gleichwertig neben den
zornigen Drohungen steht; Basis des Zorns dürfte dabei die uner­
füllte heimliche Hoffnung sein, Lesbia doch noch zum Einlenken bewegen zu können. Das zweimalige Abgleiten des Dichters von
einer scheinbar entschlossenen Haltung in schmerzliche Sehn­
sucht läßt ahnen, daß auch der letzte Versuch, die Situation end­
gültig mit Hilfe von Vernunft und Willensstärke zu bewältigen (Vers 19) scheitern wird.
Das in diesem Gedicht verwendete Versmaß wurde ursprünglich
von Hipponax, einem griechischen Dichter des 6. Jhd.v.Chr., ver­
wendet, der mit diesem Metrum spöttische Inhalte verband.
Es ist möglich, daß Catull mit dem "Auf" und "Ab" des Rhythmus
seine Gefühlsschwankungen unterstreichen will bzw. hinsichtlich
der verzweifelten Lage im Sinne eines "Galgenhumors" über sich
selbst spottet.