Wer ist betroffen?
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Wer ist betroffen?
Aufsichtsrechtliche Anforderungen an Schlüsselfunktionsträger in Versicherungsunternehmen Prof. Dr. Petra Pohlmann Westfälische Wilhelms-Universität Münster Agenda • Personenaufsicht in der EU im Umbruch: Rechtsgrundlagen • Wer ist betroffen? • Welche Anforderungen gelten? • Wie werden sie durchgesetzt? 2 Personenaufsicht in der EU im Umbruch • Solvency-II-Richtlinie (RL): − Umsetzungsfrist 30.6.2013, Inkrafttreten 1.1.2014 (Quick-fixRichtlinie 2012/23/EU vom 12.9.2012) − Evtl. weitere Verschiebung (1.1.2015 oder 1.1.2016) • Level-2- und Level-3-Texte − Draft Implementing measures, Oktober 2011 − CEIOPS Advice for Level 2, System of Governance (CEIOPSDOC-29/09), Oktober 2009 − CEIOPS Proposal for Level 3 Guidelines on the System of Governance, December 2010 3 Personenaufsicht in der EU im Umbruch • Sonstiges − Grünbuch Corporate Governance in Finanzinstituten und Vergütungspolitik (KOM(2010) 284 endgültig) vom 2.6.2010 − Liikanen-Bericht (High-level Expert Group on reforming the structure of the EU banking sector) vom 2.10.2012 4 Personenaufsicht in der EU im Umbruch Deutschland • VAG-Entwurf − Regierungsentwurf vom 18.4.2012 − Erste Beratung im Bundestag am 26.4.2012 − November 2012: Verkündung der nicht von Solvency II abhängigen Regelungen − im Übrigen: Abhängig von EU • Sonstiges − Stellungnahmen des GDV zum RefE und RegE − GDV Diskussionspapier Governance-Funktionen unter Solvency II vom 16.4.2012 5 Wer ist betroffen? EU In Erst- und Rückversicherungsunternehmen: • Bisher: Tatsächliche Unternehmensleiter • Art. 42 RL: Personen, die − das Unternehmen tatsächlich leiten oder − andere Schlüsselaufgaben innehaben 6 Wer ist betroffen? EU In anderen Unternehmen als VU: • Art. 257 RL Personen, die die Geschäfte einer Versicherungsholdinggesellschaft oder einer gemischten Finanzholdinggesellschaft tatsächlich führen • Art. 211 Abs. 2 Buchst. c) RL Anforderungen nach Art. 42 RL an Leiter von Zweckgesellschaften durch delegierten Rechtsakt der Kommission 7 Wer ist betroffen? EU: Tatsächliche Unternehmensleiter • Organe, die zur Geschäftsführung und Vertretung berechtigt sind (Vorstand AG, VVaG, entspr. Organ ör VU) • Hauptbevollmächtigte einer Niederlassung (arg. e. Art. 146 Abs. 1 Unterabs. 1 RL) • Untergeordnete Führungsebenen? − CEIOPS: Ja, Personen, die für Entscheidungen auf hoher Ebene zuständig sind und Strategie und Geschäftspolitik der Organe umsetzen − Lit.: Ja, z. B. Generalbevollmächtigter − RL: enger Begriff des Unternehmensleiters 8 Wer ist betroffen? EU: Tatsächliche Unternehmensleiter Aufsichtsratsmitglieder als Unternehmensleiter? • Wortlaut der Richtlinie • Entstehungsgeschichte − Dualistisches System vs monistisches System • Kein Umkehrschluss aus Art. 248 Abs. 1 Buchst. d) RL − Zuständigkeitsvorschrift − Keine Anhaltspunkte, dass Personenaufsicht nur über ARMitglieder der in Art. 257 genannten Holdings erfolgen soll 9 Wer ist betroffen? EU: Tatsächliche Unternehmensleiter Aufsichtsratsmitglieder als Unternehmensleiter? • Verwendung der Begrifflichkeit „Mitglieder des Verwaltungs-, Management- oder Aufsichtsorgans“ in der RL • Kann AR „solides und vorsichtiges Management … gewährleisten“? • Grünbuch Corporate Governance vom 2.6.2010 geht von der Existenz von Qualifikationsanforderungen aus • Rechtspolitischer Wille: Aufsicht über AR (s. Grünbuch und Liikanen-Bericht) 10 Wer ist betroffen? EU: Tatsächliche Unternehmensleiter Tatsächlicher Einfluss ausreichend, aber nicht erforderlich. • Anforderungen gelten auch bei Einfluss ohne rechtliche Befugnis (Schatten-Direktor) • Anforderungen gelten immer bei rechtlicher Befugnis zur Leitung 11 Wer ist betroffen? EU: Tatsächliche Unternehmensleiter • Sind sie zugleich Schlüsselfunktionsträger? („andere“) − Einordnung bedeutungslos • Geeigneter Oberbegriff? − „Beaufsichtigte Funktionen“, darunter leitende Funktionen und Schlüsselfunktionen − UK: Controlled functions, darunter − Governing functions − Required functions u. a. 12 Wer ist betroffen? EU: Inhaber von Schlüsselfunktionen Schlüsselaufgabe = Schlüsselfunktion • Art. 42 Abs. 1 RL einerseits • Art. 44 Abs. 1 Unterabs. 1, Art. 26 Abs. 3, Erwägungsgründe 33 – 35 andererseits Funktion Art. 13 Nr. 29 RL: „interne Kapazität innerhalb des Governance-Systems zur Übernahme praktischer Aufgaben“ 13 Wer ist betroffen? EU: Inhaber von Schlüsselfunktionen Schlüsselfunktion Funktionen, die das Governance-System umfasst, gelten als Schlüsselfunktionen (Erwägungsgrund 33 zur RL): Enumeration, nicht abstrakte Definition! Funktionen des Governance-Systems: • Risikomanagementfunktion • Compliancefunktion • Interne Revisionsfunktion • Versicherungsmathematische Funktion 14 Wer ist betroffen? EU: Inhaber von Schlüsselfunktionen Innehaben vs. Wahrnehmen von Schlüsselfunktionen • Qualifikationsanforderungen für alle, die Schlüsselfunktionen wahrnehmen (Erwägungsgrund 34) • Aber: dort keine Personenaufsicht ! • Inhaber: Verantwortlicher unterhalb des Vorstands • Kein Innehaben einer Schlüsselfunktion auf einer dem Inhaber nachgeordneten Hierarchieebene • Partielles Innehaben möglich • Nicht Unternehmensleiter 15 Wer ist betroffen? EU: Inhaber von Schlüsselfunktionen Unbenannte Schlüsselfunktionen? • Kreis der Schlüsselfunktionen in der RL selbst abschließend (Enumerationsprinzip) • CEIOPS: weitere Schlüsselfunktionen abhängig von − Art, Größe und Komplexität oder − Organisation des Geschäfts • Erweiterung des Kreises durch delegierten Rechtsakt? 16 Wer ist betroffen? EU: Inhaber von Schlüsselfunktionen Aufsichtsrat als Schlüsselfunktion? • CEIOPS: nein, Unternehmensleiter • Lit.: str. • Dagegen: Aufsichtsrat ist dem Managementorgan nicht untergeordnet 17 Wer ist betroffen? EU: Weitere Personen aufgrund delegierten Rechtsakts? Art. 50 Abs. 1 Buchst. c) RL in der Fassung der OmnibusII-RL: Kommission erlässt delegierte Rechtsakte, um „die Anforderungen im Sinne von Artikel 42 und die damit verbundenen Funktionen“ näher zu bestimmen. 18 Wer ist betroffen? EU: Weitere Personen aufgrund delegierten Rechtsakts? 1. Ausweitung des Kreises ist mit Art. 50 Abs. 1 Buchst. c) vereinbar: Korrektur des unklaren deutschen Wortlauts „die damit verbundenen Funktionen“ : • “…the requirements set out in Article 42 and the functions subject thereto;” • “…les exigences énoncées à l’article 42 et les fonctions qui y sont soumises;” 19 Wer ist betroffen? EU: Weitere Personen aufgrund delegierten Rechtsakts? 2. Wesentlichkeitsvorbehalt in Art. 290 Abs. 1 S. 1 AEUV • Art. 290 Abs. 1 Unterabs. 1: Ergänzung oder Änderung bestimmter nicht wesentlicher Vorschriften des betreffenden Gesetzgebungsaktes • Hier: Ergänzung des Kreises der beaufsichtigten Personen dient dem Zweck des Art. 42 • Kreis der Schlüsselfunktionsinhaber kann erweitert werden. • Kreis der Unternehmensleiter? 20 Wer ist betroffen? Deutschland In Erst- und Rückversicherungsunternehmen: • Bisher: − Gesellschaftsrecht − Aufsichtsrecht: Geschäftsleiter und Aufsichtsrat, Hauptbevollmächtigte einer Niederlassung • § 25 VAG-E: Personen, die − das Unternehmen tatsächlich leiten oder − andere Schlüsselaufgaben innehaben 21 Wer ist betroffen? Deutschland Weitere Personen: • Leiter von Versicherungsholdinggesellschaften und gemischten Finanzholdinggesellschaften • Leiter von Schadenabwicklungsunternehmen • Schadenregulierungsvertreter • Verantwortliche Aktuare • Treuhänder 22 Wer ist betroffen? Deutschland: Tatsächliche Unternehmensleiter § 25 Abs. 2 S. 1 VAG-E • Fall 1: Geschäftsleiter Nach Gesetz oder Satzung oder als Hauptbevollmächtigte zur Geschäftsführung und zur Vertretung des VU berufen (§ 25 Abs. 2 S. 2) • Fall 2: Personen, die für das Unternehmen wesentliche Entscheidungen zu treffen befugt sind BegrRegE: wesentlicher Einfluss unterhalb der Ebene der Geschäftsleitung 23 Wer ist betroffen? Deutschland: Tatsächliche Unternehmensleiter Kritik an § 25 Abs. 2 VAG-E • RL kennt nur eine „Leitungs“ebene • Definition des Geschäftsleiters nur Teilmenge des „tatsächlichen Unternehmensleiters“: − Aufsichtsrat nicht als Leiter des VU erfasst − Rein tatsächlich Leitende sind nicht erfasst Weitere Ungereimtheiten 24 Wer ist betroffen? Deutschland: Inhaber von Schlüsselfunktionen Schlüsselaufgabe = Schlüsselfunktion • § 25 Abs. 1 VAG-E einerseits • § 8 Nr. 11 VAG-E andererseits Funktion § 8 Nr. 11 Halbs. 1 VAG-E: „interne Kapazität innerhalb des Governance-Systems zur Übernahme praktischer Aufgaben“ 25 Wer ist betroffen? Deutschland: Inhaber von Schlüsselfunktionen Schlüsselfunktion Funktionen, die das Governance-System umfasst, gelten als Schlüsselfunktionen (§ 8 Nr. 11 Halbs. 2 VAGE): Enumeration, nicht abstrakte Definition! Funktionen des Governance-Systems: • Risikomanagementfunktion • Compliancefunktion • Interne Revisionsfunktion • Versicherungsmathematische Funktion 26 Wer ist betroffen? Deutschland: Inhaber von Schlüsselfunktionen Innehaben vs. Wahrnehmen von Schlüsselfunktionen • BegrRegE: Anforderungen des § 25 gelten für sämtliche Personen, die in Bezug auf Schlüsselaufgaben tätig sind. • Aber: Dort keine Personenaufsicht! 27 Wer ist betroffen? Deutschland: Inhaber von Schlüsselfunktionen Unbenannte Schlüsselfunktionen? • BegrRegE: sonstige Bereiche, die für den Geschäftsbetrieb von erheblicher Bedeutung sind • Aufsichtsrat? − BegrRegE: ja; s. auch §§ 12 Abs. 1 Nr. 2, 44 Nr. 1, 301 Abs. 1 Nr. 1 VAG-E − Kritik: Gesetzliche und sachlich gebotene Systematik fallen auseinander 28 Wer ist betroffen? Fazit EU Fazit Deutschland • Tatsächliche Unternehmensleiter: − Verwaltungs-, − Management- oder − Aufsichtsorgan • Tatsächliche Unternehmensleiter: − Geschäftsleiter wie bisher − Weitere Leitungsebenen mit wesentlichem Einfluss • Inhaber von Schlüsselfunktionen: Leiter der vier benannten Funktionen • Inhaber von Schlüsselfunktionen: − Leiter der vier benannten Funktionen − Bereiche mit erheblicher Bedeutung (auch AR) • Ausweitung durch delegierten Rechtsakt zulässig und zu erwarten 29 Welche Anforderungen gelten? EU • Bisher: Zuverlässigkeit und fachliche Qualifikation bzw. Erfahrung; z.T.: guter Leumund und Erfahrung • Art. 42 RL als zentrale Grundnorm verlangt jederzeit: fachliche Qualifikation: Berufsqualifikationen, Kenntnisse und Erfahrungen (BKE) gewährleisten ein solides und vorsichtiges Management Persönliche Zuverlässigkeit: zuverlässig und integer 30 Welche Anforderungen gelten? EU Fachliche Qualifikation Bezugspunkt: solides und vorsichtiges (= umsichtiges) Management • BKE müssen kumulativ vorliegen • Bündelperspektive • Relatives und dynamisches Merkmal • Zweistufige Prüfung bei unternehmensleitenden Gremien • Nähere Ausformung durch Level 2 und 3 31 Welche Anforderungen gelten? EU Persönliche Zuverlässigkeit: zuverlässig und integer • Zwillingsformel • Absoluter Maßstab (anders auf unteren Ebenen) • Nähere Ausgestaltung durch Level 2 und 3 32 Welche Anforderungen gelten? Deutschland Bisher: • Gesellschaftsrecht • Aufsichtsrecht: Zuverlässigkeit und fachliche Eignung/Sachkunde (AR; für diese: Merkblatt BaFin v. 22.2.2010, Entwurf vom 26.4.2012) § 25 VAG-E: fachliche Qualifikation: BKE müssen ein solides und umsichtiges Management gewährleisten 33 Welche Anforderungen gelten? Deutschland Fachliche Qualifikation Abweichungen von der RL: • Nicht „jederzeit“ (s. auch Merkblatt BaFin) • in ausreichendem Maße theoretische und praktische Kenntnisse in Versicherungsgeschäften sowie • Leitungserfahrung • Widerlegliche Vermutung (enger als bisher!) • Laut BegrRegE Sachkundemaßstab für AR • Zweistufige Prüfung? 34 Welche Anforderungen gelten? Deutschland Persönliche Zuverlässigkeit • Keine Zwillingsformel • Keine gewerberechtliche Auslegung • Absoluter Maßstab (BegrRegE, anders Merkblatt BaFin) 35 Durchsetzung EU 1. Aufsichtsrechtliche Vorgaben für „politics & procedures“ (P&P) im VU Pflicht der VU, P&P zu formulieren über: • Erfüllung der Anzeigepflichten • Bewertung neuer Personen • Laufende Überwachung • Eingriffsschwellen („minimum situations“) 36 Durchsetzung EU 2. Aufsichtsbehördliche Instrumente • Anzeige- und Informationspflichten (keine vorherige behördliche Einwilligung nötig) • Eingriffe, Art. 34 Abs. 1, 2 RL: alle erforderlichen Maßnahmen gegenüber − VU − Verwaltungs-, Management- oder Aufsichtsorgan • Überprüfung speziell von P&P: Art. 36 Abs. 1 RL 37 Durchsetzung Deutschland Adressaten: jetzt auch Schlüsselfunktionsinhaber, § 297 Abs. 1 VAG-E (Tätigkeitsverbot) Werkzeugkasten bleibt im Wesentlichen gleich: − − − − − − − − − Versagung der Erlaubnis Informelle Missbilligung Verwarnung Abberufungsverlangen an Organe Verlangen an Organe, Tätigkeit zu untersagen Tätigkeitsverbot Antrag auf gerichtliche Abberufung Übertragung der Befugnisse auf Sonderbeauftragten Widerruf der Erlaubnis 38 Fazit Für die persönlich erweiterte und sachlich vertiefte Personenaufsicht in der EU ist eine stimmige Systematik der beaufsichtigten Personen und der jeweils einschlägigen Regime (Anforderungen, Durchsetzung) zu erarbeiten. Bisher gibt es nur Ansätze dazu. Das sollte auf EU-Ebene geschehen. Abweichungen des VAG von den EU-Vorgaben sind zu vermeiden. Bei der Durchsetzung gewinnen unternehmensinterne Verfahren, die den Umgang mit den Vorschriften der Personenaufsicht regeln, an Bedeutung. Aufsichtsbehörden müssen diese Verfahren überprüfen. 39