I. Kreuther Föderalismustage Föderalismus in Myanmar, Pakistan

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I. Kreuther Föderalismustage Föderalismus in Myanmar, Pakistan
Projektbericht
I. Kreuther Föderalismustage
Unter dem Titel „Föderalismus in Europa, Asien und darüberhinaus“ fanden die I.
Kreuther Föderalismustage erstmalig vom 22.- 23. November 2012 im
Bildungszentrum Wildbad Kreuth und im Konferenzzentrum der Hanns-Seidel-Stiftung
statt. Die zweitägige Tagung wurde von Christian Hegemer, Leiter des Instituts für
Internationale Zusammenarbeit, eröffnet.
Zu den Teilnehmern dieser Tagung gehörten der stellvertretende Parlamentspräsident
Myanmars, U Nanda Kyaw Swa, der indische Präsidentenberater, Rashpal Malhotra,
der schweizer Bundesrichter und Abgeordnete a.D. , Prof. Dr. Thomas Pfisterer,
und der Abgeordnete des Bayerischen Landtages, Eberhard Sinner.
Die Stellvertretende Vorsitzende der Hanns-Seidel-Stiftung, Professor Ursula Männle,
MdL , Staatsministerin a.D. und der Bundestagsabgeordnete und stellvertretende
Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU, Dr. Christian Ruck waren im Rahmenprogramm die
Gastgeber.
Die deutsche und europäische Wissenschaft wurde unter anderen von Prof. Dr. Werner
Weidenfeld, LMU München, Dr. Alexander Fischer, Universität London, Prof. Dr. Sturm,
Universität Erlangen und Prof. Dr. Mitra, Universität Heidelberg, vertreten.
Indien, Pakistan, Myanmar und Deutschland als Schwerpunktländer
Prof. Dr. h.c. mult. Hans Zehetmair, Staatsminister a.D., Senator E.h., Vorsitzender
der Hanns-Seidel-Stiftung, verdeutlichte die Zielrichtung der Tagung. Über einen
Zeitraum von mehreren Jahren soll sie regelmäßig und systematisch Fragen der
Föderalismusförderung in Deutschland, Europa und Südasien aufnehmen und
Reformbemühungen analysieren und Handlungsoptionen für Entscheidungsträger
aufzeigen.
Schwerpunkländer dieser ersten Kreuther Föderalismustage waren Indien und
Pakistan vor dem Hintergrund der teilweisen Neuausrichtung ihrer föderalen Systeme
und Myanmar wegen seines demokratischen Öffnungsprozesses.
Einheit in Vielfalt und Vielfalt in Einheit
MdL Eberhard Sinner und Dr. Gabriele Stauner, Amtschefin der bayerischen
Europaministerin, verwiesen in ihren Beiträgen auf die Bedeutung föderaler Prinzipien
und subsidiärer Regierungs- und Verwaltungsstrukturen in heterogenen, pluralistisch
verfassten Gesellschaften, um Konflikte zu lösen.
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Die Grundregel eines föderalen Staates laute: Einheit in Vielfalt und Vielfalt in Einheit,
so betonte MdL Sinner mit Blick auch auf europäische Länder wie Schottland und
Katalonien, deren Unabhängigkeitsbewegungen regen Zulauf verzeichneten.
Durch die entstehende Dezentralisierung würden sich zahlreiche Möglichkeiten zur
Stabilisierung ethnisch, kulturell und religiös vielfältiger Gesellschaften ergeben.
Deutschland und die Europäische Union hätten die Erfahrung gemacht, dass durch
einen föderalen Aufbau die Effizienz und Legitimität eines Gemeinwesens erhöht
werde.
Mit den föderalen Strukturen finde auch eine Beschränkung zentralstaatlicher
politischer Macht statt.
Eine Verteilung von Kompetenzen sei aber oftmals ein Drahtseilakt und erfordere die
ständige Weiterentwicklung der betroffenen Institutionen und Gesetze.
Die Verteilung von Geld sei weltweit zentraler Punkt aller nationalen Föderalismusund Föderalismusreformdebatten.
Myanmar: Föderalismus als Instrument für Frieden und Stabilität
In Myanmar wird nach einem erstaunlichen und vielversprechenden Politikwechsel
jetzt intensiv nach Lösungen gesucht, die den Vielvölkerstaat einen und
zusammenhalten könnten.
Die Herausforderungen seien aber enorm, erläuterte der stellvertretende
Parlamentspräsident Nanda Kyaw Swa. Über ein halbes Jahrhundert lang wurden
zentralisierte Machtstrukturen aufgebaut. Nach der Ermordung von Aung San im Jahr
1947 und der Einführung einer Militärregierung wurde Föderalismus zum Tabu. Die
vom Militär verabschiedete Verfassung von 1974 richtet sich ausdrücklich gegen eine
Dezentralisierung.
Mit dem überraschenden Öffnungsprozess, der Gründung eines Parlaments ebenso wie
regionaler Parlamente, seien nun erste Schritte hin zu einer dezentralisierten
Machtverteilung erkennbar.
Nanda Kyaw Swa betonte jedoch, dass Föderalismus und Dezentralisierung nicht
komplett neu für das südostasiatische Land sei. Die Unabhängigkeit gegenüber den
Briten und Japanern habe nur erzielt werden können, weil der Staatsgründer und
Unabhängigkeitskämpfer Aung San, Vater der Friedensnobelpreisträgerin Aung San
Suu Kyi, das Land geeint habe. Dies sei gelungen, da im Rahmen des Pinlon Agreement
den entsprechenden Provinzen in den Grenzregionen Autonomie zugesichert wurde.
U Win Thein präzisierte die aktuelle Situation: 17 Parteien seien im Parlament, dem
Pyidaungsu Hluttaw, vertreten. Für die Vertreter der sieben Regionen sei eine zweite
Kammer, Amyotha Hluttaw, geschaffen worden. Seit dem Öffnungsprozess brächen
jedoch ethnische Konflikte auf, die von der Militärregierung in der Vergangenheit stets
unterdrückt worden seien. Das Land beherberge 135 verschiedene Ethnien. Die
politische Führung habe erkannt, dass der Erfolg des Versöhnungsprozesses ebenso
wie die wirtschaftliche Entwicklung des Landes einhergehe mit dem Aufbau föderaler
Strukturen, Derzeit werde über eine Überarbeitung der Verfassung von 1998
nachgedacht, erläuterte U Win Thein. Es fehle allerdings an Expertise und Erfahrung in
diesem Bereich. Vor diesem Hintergrund sei die Kooperation mit dem Projektbüro der
HSS in Yangon umso wichtiger, betonte U Win Thein.
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Die im Rahmen der Tagung gewonnen Handlungsoptionen werden dem Parlament in
der Hauptstadt Nay Pyi Taw durch die beiden Teilnehmer vorgelegt werden.
Pakistan – Ethnische Spannungen und die Notwendigkeit des Föderalismus
In Pakistan hat der 18. Verfassungszusatz im Jahr 2010 die verfassungsrechtlichen
Grundlagen für eine föderale Umgestaltung Pakistans gemäß seiner Verfassung aus
dem Jahr 1973 gelegt. Bei dem 18. Verfassungszusatz handelt es sich um die
bedeutendste und tiefgreifendste Ergänzung der Verfassung, die in zahlreichen
Bereichen wichtige Prozesse in Gang gesetzt hat. Vor dem Hintergrund dieses derzeit
auch in Pakistan kontrovers und viel diskutierten Verfassungszusatzes wurden zu den
Föderalismustagen vier Sprecher aus Pakistan eingeladen.
Die Herkunft der Sprecher folgte dabei dem föderalen Prinzip. Es waren je ein
Sprecher aus den Provinzen Sindh, Khyber-Paschtunistan (KPK - der früheren
Nordwestlichen Grenzprovinz), Punjab sowie der Hauptstadtregion zugegen. Während
die zwei eher wissenschaftlich orientierten Vorträge der Professoren Mohammad
Waseem aus Lahore, sowie Sayed Wiqar Ali Shah aus Islamabad (derzeit Heidelberg)
eher grundsätzlich und historisch die föderale Ideen in Pakistan beschrieben, gaben
die Vertreter aus der Zivilgesellschaft Handlungsanleitungen zu einer
Weiterentwicklung des Föderalismus.
So beschäftigte sich der Direktor einer der Partnerorganisationen der Hanns-SeidelStiftung in Pakistan, Zafarullah Khan vom Centre for Civic Education in Islamabad, mit
den tatsächlichen Neuerungen des Verfassungszusatzes und zeigte damit nochmals die
besondere Bedeutung und Spannbreite der eingeleiteten Reformschritte auf. Diese
Reformen müssten nun schrittweise von politischer Seite implementiert, aber auch
von Seiten der Bevölkerung zur Kenntnis genommen und akzeptiert werden.
Jami Chandio, der dem Center for Peace and Civil Society in Sindh vorsteht, machte
dahingegen deutlich, dass die demographischen Gegensätze, die das südasiatische
Land in vielerlei Hinsicht vor zahlreiche Hürden stellen, eine föderale Lösung nahezu
unumgänglich machten.
Das multiethnische Gefüge Pakistans, seine zahlreichen innerstaatlichen Konfliktlinien
– wie die bürgerkriegsähnlichen Zustände in Karachi, in Belutschistan oder die
Aufstandsbewegung in KPK –, die Bedeutung Pakistans im Kampf gegen den
internationalen Terrorismus, aber auch für Frieden und Stabilität in Südasien, machen
eine Befriedung - und damit nach übereinstimmender Aussage der Teilnehmer die
Einführung des Föderalismus – auch aus internationaler Sicht unumgänglich.
Das Büro der Hanns-Seidel-Stiftung in Islamabad (Link: http://www.hss.de/pak)
begleitet die Fortentwicklung des pakistanischen Föderalismus mit zahlreichen
Instrumenten. Dies sind neben den Kreuther Föderalismustagen beispielsweise ein
„Youth Leadership Programme“ in der Provinz KPK, landesweite Konferenzen und
Seminare, an denen neben wissenschaftlichen und politischen Entscheidungsträgern
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insb. junge Menschen beteiligt werden, sowie Aufklärungskampagnen zum Thema der
pakistanischen Verfassung. Eine Ausweitung der Aktivitäten in dieser Richtung ist für
die nächsten Jahre geplant.
Indien – Nationale Einheit im multi-ethnischen und multi-religiösen Gefüge
Mit derzeit 28 Bundesländern und 7 Unionsstaaten ist Indien das größte föderale Land
weltweit. Einige Staaten Indiens können hinsichtlich Ihrer Größe und
Bevölkerungsdichte mit einzelnen Staaten Europas verglichen werden. Ein Beispiel ist
der Bundesstaat Uttar Pradesh mit über 200 Mio. Einwohnern.
Rasphal Malhotra, Direktor des Centre for Research in Rural and Industrial
Development (CRRID) in Chandigarh und Kooperationspartner der Hanns-SeidelStiftung, berichtete über die lange Geschichte und die verschiedenen Phasen des
indischen Dezentralisierungsprozesses.
Nach dem Ende der Kolonialzeit sah die Verfassung zunächst zwei Regierungsebenen
vor, die Staatsregierung und die Länderregierungen mit separaten legislativen und
judikativen Kapazitäten.
Aufgrund der religiösen, sprachlichen, kulturellen und ethnischen Diversität innerhalb
der Länder und der hohen Bevölkerungsdichte wurden die Lokalregierungen im
Rahmen einer dritten, dezentralen Regierungsebene mit rechtsprechenden und
gesetzgebenden Kapazitäten mit der 73. und 74. Gesetzesänderung im Jahre 1992
anerkannt.
Seither werden lokale Fragen und Konflikte auf Dorf- und Distriktebene über
sogenannte traditionelle „Panchayats“ und über städtische Selbstverwaltungsorgane
gelöst. Gleichwohl wurde mit der Einrichtung einer bundesstaatlichen
Finanzkommission eine begrenzte Möglichkeit geschaffen auch auf lokaler Ebene
Abgaben und Steuern zu erheben.
Rashpal Malhotra verwies auf die positiven Auswirkungen der verfassungsrechtlichen
Regelung der kommunalen Selbstverwaltung, welche marginalisierten Gruppen mehr
Partizipation gewährte und zu mehr demokratischem Bewusstsein auf lokaler und
regionaler Ebene führte.
Subhash Bakshi, Direktor von Development Initiatives, verdeutlichte die wichtige Rolle
von lokalen Bewegungen im dezentralen demokratischen System Indiens. Die
zunehmende Anzahl an regionalen Parteien in vielen Staaten unterstützt die föderale
Kultur der Machtverteilung sowie die Autonomie der Bundesstaaten.
Im Gegensatz zu separatistischen Bestrebungen in den umliegenden Ländern kann
man in Indien von einem stabilen föderalen Zusammenhalt sprechen. Dies begründete
Prof. Subrata Kumar Mitra, Direktor des Südostasieninstituts der Universität
Heidelberg, mit der Existenz eines staatsbürgerlichen Konsenses, der sich trotz der
multi-ethnischen und multi-religiösen indischen Bevölkerung etabliert habe. Das
„Citizenship“, so Mitra, fördere den Zusammenhalt der indischen Staaten und ist damit
ein ausschlaggebender Faktor für politische Stabilität.
Indien habe bewiesen, dass es durch das demokratische und föderale System in der
Lage sei, der Vielfalt seiner Bevölkerung Rechnung zu tragen. Dennoch stehe das Land
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angesichts gesellschaftlicher und politisch-ökonomischer Entwicklungen vor großen
Herausforderungen.
Prof. Dr. Sacha Singh Gill, indischer Wirtschaftsprofessor, betonte die Notwendigkeit
einer Neugestaltung der Fiskalpolitik, welche sich an die aktuellen ökonomischen
Entwicklungen anpasse.
Da jene wirtschaftlichen Sektoren, die über die Zentralregierung besteuert würden,
wie beispielsweise die Dienstleistungsberufe, immer mehr zum BIP beitrügen und
Bereiche wie die Landwirtschaft, die den Bundesregierungen Steuereinnahmen
zusichern, kein Wachstum verzeichneten, würden die Länderregierungen immer
abhängiger von Steuertransfers der Zentralregierung. Darüber hinaus zwinge die
Wirtschafts- und Bevölkerungsentwicklung die Nationalregierung zu einer ständigen
Staatenneuordnung sowie zu einer Ausweitung bundesstaatlicher Befugnisse.
Bundesstaaten würden neu gegründet und existierende administrative Einheiten
würden regelmäßig in kleinere Entitäten unterteilt. Die Vernachlässigung einiger
Bundesländer durch die staatliche und/oder die bundesstaatliche Regierung und
enorme Diskrepanzen hinsichtlich der wirtschaftlichen, sozio-ökonomischen und
politischen Entwicklung führten zu erhöhter Unzufriedenheit in der Bevölkerung und
zu erheblichen Unterschieden im Entwicklungsstatus der Länder.
Daraus resultierten lokale Bestrebungen nach mehr Selbstbestimmung und
Partizipation. Es habe sich jedoch gezeigt, dass die Neubildung von Bundesstaaten
keine Garantie für eine größere soziale und politische Gerechtigkeit biete und
langfristig alternative Lösungswege gesucht werden müssten.
Das Büro der Hanns-Seidel-Stiftung in Delhi (http://www.hss.de/internationalearbeit/regionen-projekte/asien/indien.html) unterstützt ein landesweites Netzwerk mit
Vertretern von wissenschaftlichen Einrichtungen und Thinktanks zur Bewertung und
Weiterentwicklung des föderalen Systems in Indien sowie zur Stärkung der regionalen
Verständigung. Darüber hinaus wird über die Kreuther Föderalismustage ein
überregionaler föderalismusbezogener Verfassungsdialog ermöglicht. Ferner werden
Projekte zum Kapazitätsaufbau politischer AkteurInnen auf Kommunalebene
erfolgreich durchgeführt.
IMPRESSUM
Erstellt: 28.11.2012
Herausgeber: Hanns-Seidel-Stiftung e.V., Copyright 2011
Lazarettstr. 33, 80636 München
Vorsitzender: Prof. Dr. h.c. mult. Hans Zehetmair, Staatsminister a.D., Senator E.h.
Hauptgeschäftsführer: Dr. Peter Witterauf
Verantwortlich: Christian J. Hegemer, Leiter des Instituts für Internationale Zusammenarbeit
Tel. +49 (0)89 1258-0 | Fax -359
E-Mail: [email protected] | www.hss.de
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