PDF - Globetrotter

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PDF - Globetrotter
Damals vor 30 Jahren…
…1976 auf dem L
Text Ruedi Bless
Bilder Urs Herger und Ruedi Bless
Damals hatte jeder eine Art Reisebibel dabei, meistens ein Sehnsuchts-Neoklassiker wie Hiltons «Verlorener Horizont»,
Hesses «Siddhartha», Tolkiens «Herr der Ringe» oder Kerouacs «On the road». Meine war «Der billigste Trip nach
Indien» von Robert Treichler. Damals im Juni 1976, als mein Reiseleben vor dem Verkehrshaus in Luzern begann…
Mit gestutzter Hippiemähne direkt vom Coiffeur kommend, ausgerüstet mit sperrigem Gestängerucksack, adrett bekleidet mit Twist-Jeans und «umgebautem» Militärhemd (verpönt aber stark), standen Urs und ich am Strassenrand,
erwartungsvoll den Daumen in Richtung Indien gestreckt.
U
rs kannte ich schon
seit der Sekundarschulzeit. Inzwischen
waren wir 20 geworden (damals
wurde man erst mit 20 Jahren
«volljährig, erwachsen»…). Er
Eishockeyspieler vom Typ Haudegen, spontan, intelligent, anpackend. Genau das richtige
Pendant zu meiner eher introvertierten, analytischen Art.
Wir trafen uns einige Monate
zuvor in der Kultbeiz «Fritschi»
zu Luzern und ich konfrontierte
ihn mit meinem Entschluss, auf
Reisen zu gehen. Einfach so,
ohne Vorwarnung. Irgend etwas
trieb mich dazu. All die philosophierten Abhandlungen, warum
jemand so etwas macht – Flucht,
Neugier, Abenteuerlust und was
es noch alles hiess – trafen zu.
Oder auch nicht. Wer weiss?!
Urs war kurz zuvor in seine
erste eigene Wohnung gezogen,
hatte sein erstes Auto vor der
Tür. Eigentlich Abenteuer genug, sollte man meinen. «Ich
komme mit!» sagte er, als wär’s
die normalste Bemerkung der
Welt. Manchmal ist das Leben
ganz einfach. Bis man mit Rechnen beginnt…
Autostopp für Anfänger
Wohin? Wie lange? Wieviel
Kohle brauchen wir? – immer
diese Details. Nach Indien,
überland, das war schnell klar.
Es folgten Monate der Planung
und des Sparens. Sowas hatte
zumindest einer schon vor uns
gemacht, eben: Robert Treichler. Das Buch mit dem Jeansumschlag war Kult unter den
«Trampern». So hiessen die zu
der Zeit. Heute sind das eher
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«Traveller». Menschen, die reisen wollen, nicht mehr und
nicht weniger.
Treichler hatte schon 1972
als Pionierleistung einen Reiseführer für Leute wie uns, also
Reisende mit Kleinstbudget,
gemacht. Er führte mit mehr
oder weniger schlauen Tipps
von Stadt zu Stadt. Von Land zu
Land. Über Kultur liess er sich
dabei wenig aus, das war wohl
auch nicht die Absicht. Vielmehr waren es reisetechnische
Feinheiten, welche die Sucherei
an den jeweiligen Orten verkürzten. Hotels, Restaurants,
Postoffice, und, und. Das verhinderte, dass sich ein sensibler
Tramper als Individualreisender fühlen konnte… So gesehen
wurde mit dieser und ähnlichen
Reisebibeln unfreiwillig ein Informationsgrundstein zum späteren Massentourismus gelegt.
Man traf immer wieder die
gleichen Gesichter mit gleicher
Ausrüstung in den gleichen
Kneipen, beim gleichen Geldwechsler, im gleichen Zug. Ein
wenig «Zuhause» auf Reisen.
Da standen wir also, sinnigerweise beim Verkehrshaus
der Schweiz, und hofften auf
baldige
Mitfahrgelegenheit.
Nicht zuletzt deswegen, weil
mein Vater sarkastisch angedroht hatte, am nächsten Morgen uns das Frühstück da hin
zu bringen. So schlimm kam’s
nicht, aber volle drei Stunden
standen wir am gleichen Fleck.
Dann endlich hielt der erste
Wagen. «Nach Küssnacht am
Rigi fahre ich» – immerhin 10
Minuten Autofahrt von hier.
Nur weg, dachten wir und hievten unser Gepäck rein.
Der Autor dieser
Nostalgie-Reportage,
Ruedi Bless, als
20-jähriger Tramper
unterwegs auf
einem Lastwagen in
Afghanistans Bergen.
Die Billig-Passagiere
sitzen hier auf einer
Ladung dünner
Baumstämmchen.
In den Siebzigerjahren als Tramper unter wegs bis nach Südostasien –
ein nostalgischer Rückblick auf jene abenteuerlichen Reisezeiten
Landweg nach Indien
Die erste Nacht – das sei hier
zur Ehrenrettung gesagt – verbrachten wir dann immerhin
schon in der Nähe von Verona
– im Schlafsack bei einer Autobahnraststätte. Einmal also
durften wir am ersten Tag unsere neu-glänzenden Pässe vorweisen. Der Ernst des Reisens
hatte damit begonnen.
Eine Anekdote aus Jugoslawien: Hält eine Wellblechkiste
vor uns an: «Wohin des Weges?».
Wir, gut aufgelegt, schon so weit
gekommen zu sein: «Nach Australien!». «Das trifft sich gut,
da will ich nämlich auch hin»,
sagte der Deutsche allen Ernstes. Und das stimmte sogar, wie
wir auf der Fahrt herausfanden.
Doch so direttissima wollten
wir da nun auch wieder nicht
hin, stiegen also schon in Griechenland wieder aus.
Hellas für Höhlenforscher
Keine Ahnung, ob, wann und
wie viele Höhlenbewohner es
in Griechenland gab, wir jeden-
falls waren zwei von ihnen. Ios
war ein Geheimtipp, und obwohl das Inselchen schon mit
einer Disco bedacht war, fanden wir uns bald in einer wohnlichen Höhle wieder. Nicos, der
Fischer und Betreiber einer
Taverna, gab uns mit seiner
Familie Gastrecht. Das Inselleben wurde von uns in vollen
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Zügen genossen: ausschlafen,
schnorcheln, wandern, mit Nicos
fischen, abends dann in die Disco«Zivilisation» – um dann wieder
von vorne zu beginnen. Schliesslich mussten wir uns von den vergangenen und zusätzlich von den
kommenden Reisetagen erholen.
Swimmingpool, Kühe und
Joghurt in der Wüste
Das war auch gut so, denn es
war Arbeit angesagt. Der KibStart ’76 vor dem Verkehrshaus Luzern
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Reisebib
Treichlersach Indien»
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gste Trip
«Der billi
dien und Nepal führt über Land. Wenn du mit
Bahn und Bus reisest, kostet dich der Trip nach Indiens Hauptstadt Delhi nur 222 Franken oder 217 DM. Das sind die reinen
Transportkosten für den rund 9000 km langen Hinweg. Dazu
musst du pro Tag mit mindestens 4 bis 9 Fr. für Unterkunft
und Essen rechnen, je nach Land. Du brauchst etwa 14 Tage
bis Delhi – ohne Sehenswürdigkeiten zu besichtigen. Wenn
du etwas sehen willst, brauchst du einen Monat. Dieses Büchleinbeschreibt,wiemandiebilligsteReisemacht.MittelklasseHotels, gute Restaurants (Food Trip) und billige Inland-Flüge sind für diejenigen angegeben, die vielleicht den zweitbilligsten Trip nach Indien. machen möchten.
Gute Reise!
Die Reiseroute: Sie führt von Europa über Istanbul nach Indien und Nepal. Dieses Büchlein beschreibt auch einige Abstecher und Umwege sowie eine Reisevariante zum Paradiesstrand Goa.
Hauptroute
Nebenroute
Das ist der billigste Weg nach Indien
Umrechnungskurs Ende 1975: 1 US$ =2.65 Fr./DM
Land
Teilstrecke
Europa
Türkei
Türkei/Iran
Iran
Iran
Afghanistan
Afghanistan
Afgh./Pak.
Pakistan
Pakistan
Indien
Indien
Total
Zürich–Istanbul
Istanbul–Erzurum
Erzurum–Tehran
Tehran–Mashad
Mashad–iranische Grenze
Grenze (Islam Qala)–Herat
Herat–Kabul
Kabul–Peshawar
Peshawar–Lahore
Lahore–Wagah (Grenze)
Attari (Grenze)–Amritsar
Amritsar–Delhi
Zürich–Delhi
Distanz TransportMittel
2410 km
1728 km
1213 km
940 km
250 km
131 km
1050 km
280 km
443 km
27 km
29km
447 km
8948 km
Fahrpreis in
Landeswährung
Bus
130
Bahn
87
Bus
177
Bus
350
Bus
100
Bus
50
Bus
200
Bus
100
Bus
14
Bus
1
Bus
1.40
Bahn 20.50
222
US$ (offiz.
Kurs)
Fr.
49.– US$
Türk. Lira
5.9 US$
Türk. Lira 12.– US$
Rials
5.1 US$
Rials
1.5 US$
Afghanis
0.9 US$
Afghanis
3.6 US$
Afghanis
1.8 US$
Pak-Rupees 1.4 US$
Pak-Rupees 0.1 US$
Ind-Rupees 0.2 US$
Ind-Rupees 2.3 US$
Franken
83.8 US$
buz «Yotvata» in der NegevWüste brachte uns zurück auf
den Boden der geregelten Realität. Die Hitze im südlichen Israel bestimmte den Alltag; morgens um 04.00 Uhr Tagwache,
Arbeit im Feld bis 08.00 Uhr,
Frühstück, Arbeit bis 11.00
Uhr, Mittagessen, Schlaf, Swimmingpool, Party.
«Swimmingpool»? Ja. Mitten
in der Wüste wurde ein 30-MeterPool gebaut. Doch das war nicht
das einzige Phänomen. Yotvata
rühmte sich, die grösste Molkerei Israels zu betreiben. Eine
der zugeteilten Arbeitseinsätze
war denn auch das Abfüllen von
Joghurt. Einer der privilegierten
Jobs angesichts der 35–40° Hitze ausserhalb der klimatisierten
Anlage.
Schlechter waren diejenigen dran, die abkommandiert
waren, mitten in der mit Steinen durchsetzten Sandwüste
ein Mangofeld anzulegen. Dort
musste man auch aufpassen,
dass die Handschuhe nicht
achtlos rumlagen. Skorpione
haben nämlich die unangenehme Angewohnheit, sich in
verborgene, dunkle Regionen zu
begeben. Daraus machten wir
eine Tugend: Skorpionefangen.
In unsere Hütte legten wir ein
aus Hühnergitter und Plastik
gefertigtes Terrarium an. Wohl
wissend, dass Skorpione nicht
klettern können – nachzulesen
bei Karl May – liessen wir das
Terrarium oben offen.
Am andern Morgen staunten
wir nicht schlecht, als keiner
der inzwischen auf acht Skorpione angewachsenen Population
mehr gesichtet wurde.
Nun galt es, akribisch zu suchen! Ein Skorpion in der Unterhose¸ was für ein verwegener
Gedanke… Es half alles nichts
– keine Spur von den niedlichen
Tierchen. Hinlegen und Nachdenken war angesagt. Friedlich,
als wollten sie die Welt einmal
von oben betrachten, hingen sie
alle an der Decke! Und was lehrt
uns das? Karl May war tatsächlich nie in dieser Region…
Gratis logieren in Höhlen der griechischen Insel Ios; ohne Lohn arbeiten im Kibbuz; billig essen im afghanischen Teehaus.
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Anatolien im senfgelben
Mercedes
Szenenwechsel. «Puddingshop»:
Diese legendäre Tramperbeiz,
mitten im der Altstadt von Istanbul, gehörte zu den «Musts» eines
jeden Indienreisenden. Sei er
nun auf der Hin- oder Rückreise.
Wobei die Rückreisenden in der
Bewunderungshierarchie höher
standen; sie hatten ja die Erfahrungen schon gemacht, ganz im
Gegensatz zu uns Greenhorns.
Natürlich gabs im Puddingshop
auch Pudding, doch der interessierte uns weit weniger als die
Erzählungen der andern Tramps.
«Facts and Figures» wurden in
mündlicher und schriftlicher
Form (Schwarzes Brett) ausgetauscht. Ob all der «Gefahren»,
die da auf einen warten sollten,
und der «Horrorstories» die
da die Runde machten, konnte
einem angst und bange werden.
Nichtsdestotrotz begaben wir
uns zum Billettbüro, welches in
Treichlers Bibel als die Adresse
für Busfahrten nach Teheran angegeben war. Ein Dutzend meist
dunkelhäutige Orientalen lümmelten vor dem Eingang herum.
«You want drive Mercedes?» Hä?
Was hat der gesagt? Natürlich
wollten wir! Schliesslich hatte
ich eine Woche vor Abreise in
Luzern mein «Billett» gemacht
und konnte zu Recht behaupten,
schon seit 5 Monaten im Besitz
des Fahrausweises zu sein. Dass
ich noch nie selbst gefahren war,
mussten wir den Leuten ja nicht
unter die Nase reiben…
So kam es, dass nun Urs in
einem weissen und ich in einem
nagelneuen senfgelben Mercedes
über die Überlandstrassen der
Türkei sausten. Die «Studenten»
erklärten uns, dass die Fahrzeuge in Deutschland gekauft
und nun nach Bangladesh verschoben würden. Wir sollten die
Wagen innerhalb einer Woche
nach Teheran überführen und
dort an einem vereinbarten Ort
abgeben. Natürlich waren einige
von ihnen auch mit dabei, damit
wir uns nicht versehentlich abzusetzen versuchten.
Total «lässig» (das damalige
Wort für «cool») fanden wir natürlich diese Luxusfahrt durch
Anatolien. Vor allem der Osten
verschlug uns jeden Tag aufs
Neue den Atem – eine grandiose
Landschaft! Und Menschen, die
uns immer wieder mit ihrer Gastfreundschaft beeindruckten.
Nie wäre uns in den Sinn gekommen, dass unsere überall bewunderten Fahrzeuge bis oben
hin vollgestopft mit Drogen sein
könnten… Nie, bis wir an der
iranischen Grenze – den Ararat
vor Augen – im Grenzhäuschen
die Hinweise entdeckten, dass
im Iran Drogendealern kurzen
Prozess gemacht würde. Die
Grenzkontrolle war dann Bungyjumping-hoch-drei, was den
Adrenalinausstoss betraf…
Dieses Gefühl schwang dann
nochmals zurück, als wir im Iran
einheimische Autostopper mitnahmen. Autostopper bezahlten
für den Taxidienst, was uns natürlich nicht unangenehm war.
Allerdings, kurz vor Teheran,
mit 140 km/h auf der Autobahn,
wies ein alter, vollbärtiger Mitfahrer darauf hin, dass sein Dorf
gleich dort drüben sei. Offenbar
wusste er die Geschwindigkeit
nicht so richtig einzuschätzen,
öffnete er doch bei 140 km/h die
Tür und wollte aussteigen!
Afghanistan – ein Trip
durchs Mittelalter
Und nun zu Afghanistan, das bis
1979 bereisbar war und damals
als legendäres (Alp)Traum-Zwischenland der Indienfahrer galt,
wo auf dem Kabuler Friedhof
schon für etliche junge Europäer
Endstation gewesen war. Es fing
überwältigend an: Herat, ein
Traum von einer Kleinstadt. Bil-
Das schöne, spektakuläre Tal von Bamiyan (Afghanistan) mit den riesigen, aus dem Fels gehauenen Buddha-Statuen, die 2001 durch die Taliban zerstört wurden.
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der, wie sie nur die Wirklichkeit
hinkriegt: Basargassen, Pferdekutschen, kein Asphalt, Schafmärkte, offene Metzgereien, Farben überall, und Düfte! Es war,
als sei man das erste Mal in dem
Orient angelangt, den man sich
aus «1001 Nacht» vorstellte.
In den islamischen Ländern
war es damals so, dass Blutspenden nur sehr zögerlich gemacht
wurden. Aus religiösen Gründen
ging man davon aus, dass ent-
Was mitnehmen?
Schlafsack
Der Schlafsack gehört zum Unentbehrlichsten: er lässt dich auch in den billigsten
Hotels schlafen, wo die Bettwäsche nicht
von Gast zu Gast gewechselt wird, zudem
in Jugendherbergen, Eisenbahnen und Orten, wo nur Pritschen gibt.
Verschiedenes
Für die Wäsche unterwegs brauchst du eine
Wäscheleine. Es gibt elastische, gezwirbelte von Goldzack, für die man keine Klammern braucht, sondern die Wäschestücke
dazwischen klemmen kann. Ausserdem
nützlich sind aufblasbare Kleiderbügel.
Kernseife/Waschseife ist meist besser als
Waschpulver, da Waschbecken in Hotels
selten einen Ablaufverschluss haben und
du das Waschpulver deshalb nicht auflösen
kannst.
Was man sonst noch brauchen kann: internationalen Führerschein, JugendherbergeAusweis, Taschenmesser, Übersichtskarte
von Asien (Länderkarten bekommt man
unterwegs meist kostenlos), Reisewecker,
weichendes Blut mit einem Verlust der Persönlichkeit einher
ginge. Das wusste ein richtiger
Westler zu nutzen; schliesslich
wurden für Tramper-Verhältnisse recht hohe Summen, bis zu
einem Wochenreisebudget, für
eine Blutspende geboten, gemäss
Treichlers Handbuch. Und das
geht schliesslich über den Persönlichkeitsverlust in unseren
Breitengraden.
Am ersten Abend in der
dortigen Herberge stürzte ein
schwitzend-aufgeregter Afghane
an die Reception und fuchtelte
irgend etwas mit dem zuständigen Hotelangestellten herum.
Dieser kam dann nicht minder
aufgeregt schnurstracks auf uns
zu und fragte nach unserer Blutgruppe. Wir dachten kurz an die
offenen Metzgereien, suchten
in unseren Unterlagen die Blutgruppen. Gesagt, gepackt – und
schon waren wir, ohne weitere
Informationen, auf einer Pferdekutsche im nächtlichen Herat
unterwegs.
Am Bestimmungsort eingetroffen, meinte der englisch
sprechende Arzt, es habe eine
Sonnenbrille, Kartenspiel, Transistorradio.
(Batterien überall erhältlich), und – lach
nicht! – einen Taschenkalender als Tagebuch. Trag darin die Adressen von Freunden ein, denen du schreiben willst. Brillenträger sollten eine Ersatzbrille (zumindest
das Rezept), Gebissträger ein Ersatzgebiss
mitnehmen. Amerikanische Zigaretten,
durchsichtige Gasfeuerzeuge mit Plastikblümchen drin, Leuchtfilzstifte und 4-Farben-Kugelschreiber sind willkommen als
Gastgeschenke (wenn du eingeladen wirst)
oder als Bakschisch, um kleine Probleme
mit Grenzbeamten und Behörden zu lösen.
Letzteres geht beispielsweise so: du bietest
denen, um ein Formular auszufüllen, deinen knalligen Kugelschreiber an und «vergisst» ihn dann. Oft wird der Beamte (vor
allem in Indien) ihn einfach einstecken. Zu
den kleinsten und platzsparendsten Mitbringseln gehören: Prospekte (kostenlos),
Postkarten deiner Heimat, Kalenderbilder,
Kupfermünzen, Luftballons, Taschenspiegel, Ansteck-Abzeichen, Schlüsselanhänger, Streichholzbriefchen (in Asien wenig
bekannt), buntbedruckte Taschentücher,
Rasierklingen (in Indien), Briefmarken.
Schiesserei gegeben und wir
hätten genau die Blutgruppen,
welche gesucht seien. Wir sahen
schon die $-Noten vor Augen
und legten uns bereitwillig hin.
Nach getaner Arbeit – Urs war
kurzfristig ins Reich der Träume
abgetaucht – harrten wir freudig
der Dinge, die da kommen sollten. Es kam je eine Cola… immerhin. Ein Original-Coke galt
in Afghanistan als Luxus. Nach
dessen Genuss verabschiedete
sich der Arzt mit grossem Dank
und kleinem Budget. Nichts war
mit gut Verdienen. Wir trösteten
uns damit, einen guten Dienst
getan zu haben. Das hat ja auch
seinen Wert.
Basar vor der Festung von Herat (Afghanistan); Wasser schöpfen im ländlichen Indien.
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«Schwarzer Afghan» ist bekanntlich kein Begriff aus der
Ethnologie, sondern war vielmehr eines der Magnete für viele
Westler, um überhaupt nach Kabul zu reisen. Nach der Durchquerung
des
wüstenhaften
Südens, via Kandahar, erreichten wir die Hauptstadt. Dort
– abends in gemütlicher Runde,
trotz eisiger Kälte (es war inzwischen Ende November) im Patio
sitzend – wurden Zigaretten und
Pfeifen gereicht. Meine Skepsis
überwog, doch Urs wollte sich
die Sache mal «reinziehen»,
schliesslich war man eingeladener Gast.
Nach einiger Zeit verabschiedete er sich Richtung Zimmer
und kam kurz darauf in T-Shirt
und Turnhose wieder zu un-
serer Gruppe, die inzwischen
recht aufgeräumt war. Nochmals: Es war eisig kalt, alle
hockten in Daunenjacken und
Wollmützen am Tisch; Urs wie
einer, der gleich zum Eidgenössischen Turnfest aufgerufen werden sollte. Er spüre gar
nichts und überhaupt, es sei
ihm zu warm hier… Da halfen
nur noch klare Befehle des noch
nicht Berauschten, damit eine
Lungenentzündung verhindert
werden konnte.
Die Fahrt ins Bamiantal war
atemberaubend. Dort angekommen, musste zuerst verdaut
werden, was man alles zu sehen bekam. Das hier adäquat zu
beschreiben, sprengt die Möglichkeiten des Autors. Natürlich
waren da auch noch die später
Faszination, Staunen und Gastfreundschaft im Goldenen Tempel von Amritsar (Indien), de
(2001) von den Taliban weggesprengten, 37 und 54 Meter
hohen Buddhas in ihrer ganzen
Eindrücklichkeit vorhanden.
Unseren Gastgeber fragten
wir dann, wie er unsere Idee
einschätze, von hier nach Kabul
zurück zu wandern? Abgesehen davon, dass er uns ungläubig ansah, meinte ich selbst in
Unkenntnis seiner Sprache das
Wort «Schwachsinn» interpretieren zu können. Immerhin waren das etwa 150 km. Doch das
war das kleinere Problem, vielmehr, so meinte er, sei dies quasi
Selbstmord, da sehr gefährlich
wegen der einheimischen Bevölkerung, unter denen es – wie bei
uns – nicht nur Nette gäbe.
Schreiben wir es mal unserer
jugendlichen Naivität zu, dass
n), dem grössten Heiligtum der Sikh-Religion.
wir uns trotzdem dazu entschlossen. Es sollte eines der
eindrücklichsten Erlebnisse unserer ganzen Reise werden!
«Biblische»
Landschaften
und Szenen begleiteten uns eine
Woche lang. Überall wurden wir
in den kleinen Dörfern mit aller
Herzlichkeit empfangen und jeder wollte uns bei sich übernachten lassen. Einmal gabs sogar
Streit über diese Frage, sodass
der Bürgermeister eingriff und
uns kurzerhand zu sich nahm.
Dort angekommen, wurden wir
fürstlich versorgt. Die Frauen
kochten im Hintergrund und die
Söhne servierten. Zum Dessert
glaubten wir aber unseren Augen
nicht mehr trauen zu können:
Mit diebischem Grinsen nahm er
uns in einen anderen Raum und
präsentierte uns eine Dose Heineken-Bier. Unsere Freude war
im wahrsten Sinne «überschäumend» – doch zu früh: Die Dose
war leer und einzig dazu da, vor
seinen Freunden zu protzen…
Postlagernd in Pakistan…
Nach der Überquerung des Khyber-Passes war es wieder mal an
der Zeit, etwas Heimatluft zu
schnuppern. In freudiger Erwartung betraten wir das «General Post Office» zu Peshawar.
In Pakistan war alles anders,
hektischer, geschäftiger. Sonnenbrillen waren der grosse Hit.
Jeder, der etwas auf sich hielt,
trug eine solche, meist viel zu
gross, aber trotzdem Statussymbol. Doch zurück zur Post.
Von Lahore nach Indien
Grenze
Die indischen Zöllner bitten um Kugelschreiber und Rasierklingen. Sie
fragen nach Kameras, Tonbandgeräten, Radiorecordern etc. Was ihnen
teuer scheint, wird im Pass eingetragen, damit man es nicht verkaufen
kann in Indien.
Der Zollbeamte frägt auch, wieviel
Geld du bei dir hast. Du musst aber
keine Gelddeklaration mehr ausfüllen. Indische Rupees einzuführen ist
verboten! Weiter fragen die Grenzbeamten nach Hasch und pakistanischen
Zeitungen – auch das darf man nicht
einführen. «Eine dicke Beamtin in
Wagah hat sich Ruhm über halb Asien
erworben, weil sie in recht schamlosen Leibesvisitationen immer wieder
Schwarzgeld zutage förderte», schreibt
Leser Markus Maeder aus Zürich.
Schmuggelverstecke fürs Geld: Zigaretten aushöhlen, also Tabak raus, Geld
zusammenrollen, reinstecken und Zigarette in die angebrochene Packung
zurück, die du dann ins Hemd steckst.
Oder Geld in WC-Papierrolle einrollen oder in Plastik gepackt in Zahnpastatube (Tube unten öffnen).
«Poste restante» stand da auf
einem Schild – wir konnten es
kaum erwarten. Mitleidig lächelnd sah uns der Beamte an
und nahm uns mit in einen separaten Raum. Mit einer Geste
wie «bedient euch» wies er auf
einen Riesenhaufen von Briefen
und Paketen. Wir sollten uns
da bedienen und ihm dann die
Funde präsentieren! Damit war
das Tagesprogramm klar; stundenlang wühlten wir in der Post
– oftmals sahen wir auch Briefe
an Leute, die wir inzwischen
kennen gelernt hatten – und ab
und zu ein Freudenschrei, wenn
unsere Namen gesichtet wurden.
Kaum zu glauben, aber sogar
Schokolade hatte die Reise nach
Pakistan überstanden.
Transit durch Pakistan. Noch
in Kabul hatten wir uns reichlich mit billigen indischen Rupien eingedeckt; die Siebzigerjahre waren noch die Zeit der
enormen Differenzen zwischen
offiziellem Wechselkurs und
Schwarzmarktkurs in etlichen
asiatischen Ländern. (Ausser
Auf idyllischen Wasserwegen durch Kerala.
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der legendären Chicken Street
in Kabul, wo Hühner und Hippies in den Tramperbeizen herumhingen, war ein Besuch der
Money Changers Alley fast unumgänglich, wo die Geldwechsler im Schneidersitz in ihren
offenen Marktständen sassen,
um sie herum alle gängigen
Währungen der Nachbarländer
in enormen Bündeln aufgestapelt…)
Nun also, auch Gestängerucksäcke haben ihre Vorteile:
Die vielen grossen Scheine der
schwarz gewechselten indischen
Rupien konnten straff gerollt im
Gestänge versteckt werden. Stolz
auf unsere geniale Idee, sassen
wir also im Bus zwischen Lahore und Amritsar. Es war wieder
mal an der Zeit, den «Treichler»
zu lesen, da ja wieder ein Grenzübertritt anstand: Indien!
Ein kurzes Zucken, kalter
Schweiss bildete sich, stand
doch dort bei Stichwort Zoll:
Wie man reist
Verschiedenes
Girls: Wenn du BH und Unterhöschen zuoberst im Gepäck hast, scheuen sich manche Zöllner, weiterzukontrollieren. – Um
Museen, Sehenswürdigkeiten gratis besichtigen zu können, schmuggle dich in eine
Gruppe, die grade reingeht. – Wenn dich
ungebetene Reiseführer (Guides) belästigen oder wenn du der ewigen Ausfragerei
(«Where do you come from?») ausweichen
möchtest, sag «English no». – Wenn dir bei
Einladungen Ungeniessbares angeboten
wird, sag, laut deiner Religion dürfest du
das nicht essen. Das wird immer geglaubt.
– Shorts sind nicht gern gesehen: entweder
wirken sie kolonialistisch (Subkontinent)
oder unmännlich oder lächerlich. Girls
sollten in Muslim-Ländern ohnehin keine
Shorts tragen, in Indien gilt das Entblössen
der Beine als ebenso unanständig wie ein
nackter Busen. – Im Subkontinent höre
Radio Sri Lanka, das Unterhaltungsmusik
mit Werbefunk mischt. – Deutschsprachige Zeitungen und Zeitschriften zum Lesen
findest du (ausser in den jeweils angegebenen Leseräumen) auf deiner Botschaft, bei
Swissair- und Lufthansa-Büros, in grossen
internationalen Hotels.
Wie gefährlich ist‘s?
Leser haben angefragt: Gibt es in Indien
wirklich genug zu essen oder muss man
«Wenn ihr mit dem Bus von
Lahore kommend die Grenze
nach Indien erreicht, empfängt
euch dort eine fette, pedantische
Zöllnerin. Nehmt euch vor der
in Acht! Und den Trick mit
dem Versteck von Schwarzgeld
im Rucksackgestänge kennt die
schon lange…»
Knigge war kein Inder
Tja, wir überstanden es gut; sie
war tatsächlich dort (die Beschreibung traf exakt zu…),
doch nach Schikane war ihr an
diesem Tag nicht zumute.
Indien hatte uns inzwischen
fest im Griff. Nach Delhi, Agra,
Bombay und Goa – wo all die
aus Nepal gestrandeten Junkies
auf Weihnachten warteten – gelangten wir nach Cochin. Weiter
südlich, in Alleppey, bestiegen
wir ein Boot, welches uns in den
nächsten sieben Stunden nach
Quilon bringen sollte.
Lebensmittelvorräte mitführen? Besorgte Mütter haben geschrieben: Mein Sohn
will nach Indien, ist das nicht gefährlich?
Er ist erst einundzwanzig. Nein, es ist
nicht gefährlich, auch wenn der Sohn
noch jünger ist. Es ist so ungefährlich,
dass man nicht einmal eine Waffe mitzunehmen braucht (die kann einen nur in
Schwierigkeiten bringen).
Die Angst vor «diesen Schlitzäugigen»
ist lediglich ein Vorurteil. Und die Hungersnöte, traurig zu sagen, treffen meist
nur die Armen. Von Überschwemmungen erfährt man im voraus. Erregten
Volksmassen bleibst du besser fern, aber
wenn’s brenzlig wird, gehen die Grenzen
ohnehin sofort zu. Raubüberfälle sind
nicht häufiger als zu Hause, und auch
die Verkehrstotenziffer ist in Europa höher. Unfällen entgehst du eher, indem du
Bahn (statt Bus) fährst. Sei vorsichtig,
wenn jemand dich um einen Gefallen bittet (sein Auto dort und dort hin fahren,
deinen Pass fur einige Stunden ausleihen) und dir dafür Geld anbietet. Diebstähle geschehen – man kann es nicht
oft genug wiederholen – meist unter
westlichen Reise-«Kameraden». Krankheiten kann man vermeiden, indem man
vorsichtig mit Essen und Trinken ist, die
Krankheitskosten mildern sich durch
eine Versicherung. Gegen Erdbeben,
freilich, kann man sich nicht versichern.
Auch nicht gegen Abenteuer.
Die «Backwaters» sollen diese
Fahrt besonders reizvoll gestalten, war nachzulesen. Das war
eine gewaltige Untertreibung.
Was wir hier zu sehen bekamen,
war schlicht sensationell: Grün
in allen Variationen – Wasseralgen, Felder, Kokospalmen zu
Tausenden –, nur unterbrochen
durch die farbigsten aller Saris, das Weiss der Zähne von
lachenden Kindern und abgeschlossen von einem tiefblauen
Himmel. Da konnten wir nicht
einfach durchfahren!
Wir entschlossen uns spontan, auszusteigen. Der Kapitän
wollte uns allerdings davon
abhalten: keine Unterkünfte,
das hätte noch nie ein Tourist
gemacht, gefährlich. Doch das
hörten wir nur von Weitem, hatten wir das Boot doch schon verlassen. Und jetzt?
Ungläubig staunend kamen
die ersten Kinder auf uns zu.
Weitere folgten, und noch mehr.
Es wurde immer lauter und fröhlicher. Als wir an einer Schule
vorbeikamen, gab der Lehrer
umgehend schulfrei, damit er
und die Kinder diese Exoten mal
näher betrachten konnten. Dabei blieb es allerdings nicht; man
fasste unsere Haut an und auch
die blonden Haare waren Objekte der Begierde. Buchstäblich
das ganze Dorf kam zusammen
und es war nicht mehr genau
auszumachen, wer eigentlich
wen beäugte.
In dieser Situation trat einer
hervor, der eine etwas städtische
Erscheinung hatte. Mit gutem
Englisch lud er uns in sein Haus
ein. Dort angekommen, wies
er uns einen Raum zu – «your
sleeping room» – und nach einer Pause wurden wir fürstlich
bewirtet. Aber nur wir zwei; die
ganze Familie sass um uns herum und verfolgte jede unserer
Bewegungen. Natürlich amüsierten sie sich über unser ungeschicktes Essen von Hand.
Nepals Hauptstadt Kathmandu:
damals eine märchenhafte,
verträumte Tempelstadt fast ohne
motorisierten Verkehr.
Reisen mit Indiens Menschenmassen – in und auf überfüllten Zügen, zu Fuss oder mit Fahrrad-Rikschas.
52
Berge von Köstlichkeiten um
uns. Und wie hatte meine Mutter immer gesagt: «Seid anständig und esst aus.» Wir also
bemüht, Anstand zu wahren,
und es bedurfte einiger Anstrengung, wenigstens die Hälfte des
Dargebrachten zu verspeisen.
Dann konnten wir einfach nicht
mehr. Wir lehnten zurück, lobten die Kochkunst wieder und
wieder. Es sei uns auch peinlich,
dass wir nicht alles aufessen
könnten. «No problem», sagten
sie und verzogen sich in einen
andern Raum. Dort wurde dann
im trauten Familienkreis das
verspeist, was wir übrig liessen.
Erst viel später erfuhren wir,
dass es in dieser Weltgegend die
Gastfreundschaft gebietet, den
Gast die erlesensten Speisen
zuerst kosten zu lassen und der
Gastgeber dann das Übriggelassene isst. Gut, dass wir nicht
alles aufgegessen hatten…
In Ceylon gibt’s mehr
als nur Tee
Weihnachten/Neujahr in Ceylon
(Sri Lanka). Die flüssigen Mittel
nahmen langsam ab und so war
Erfindergeist gefragt. Bei Tramper-Treffs wurde immer wieder
über mögliche Einnahmequellen
gesprochen. Natürlich auch über
risikoreiche, illegale.
Ein zwar risikoloser, aber
doch illegaler Deal war der
«Nägelihandel» (Nelken, engl.
Cloves). Wir also auf den Märkten suchend, wo es die billigsten
Nelken zu kaufen gab. Fündig
geworden, kauften wir kiloweise ein, so viel, dass es uns fast
schlecht wurde im Hotelzimmer.
IIlegal war, diese dann in Indien zu verkaufen, weil dort als
Mangelware gesucht. Ein gutes
Geschäft war’s allemal und so
verhalfen uns Nelken zu einigen
zusätzlichen Reisetagen.
Burmese Days for free
In Nepal schlotterten wir dermassen vor Kälte, dass es uns
schnell wieder in wärmere Ge-
Hasch, lange Haare und
Horrorstories
Lange Haare
Lange Haare bereiten – ausser in Bulgarien – auf der Reise nach Indien und
Nepal keine Schwierigkeiten. Grenzbeamte, Behörden und Einheimische
behandeln Kurzhaarige allerdings bevorzugt. Bei der Rückreise wird dein
Gepäck eher auf Drogen untersucht,
wenn du lange Haare hast. Das Passbild sollte mit dem Langhaar-Look
einigermassen übereinstimmen. Lange
Haare und Bart können bei der feuchten Hitze unangenehm sein. Ceylon
kann das Visum oder die Einreise
verweigern, wenn du langes Haar hast
und dich nicht über genügend Geld
ausweisen kannst.
Hasch [in Nepal]
Der Handel mit Haschisch (Charas)
und, Marihuana (Ganja) ist nicht mehr
legal seit Juli 1973. Geändert hat sich
gegen aussen indes nicht viel. Verschwunden sind die Firmenschilder der
Hasch-Läden («Best Quality Mustang
Hashish for Sale here»), und die Preise haben sich vervierfacht. Eine Tola
(11,08 g) Hasch kostet 25 bis 35 Rs.
Der Kleinhandel wird toleriert. Auch
das Rauchen in einigen Restaurants.
Bestraft wird die Ausfuhr. Anfang
Oktober 1975 wurden ein Amerikaner
und ein Australier mit je 1000 Rs gebüsst, weil sie versucht hatten, 1,5 kg
bzw. 2 kg Hasch im Fluggepäck herauszuschmuggeln – Tausend Rupees
sind die Standardbusse.
filde zog. Wir flogen nach Burma
(Myanmar), nicht ohne vorher
pro Mann eine Stange «555» und
eine Flasche «Johnny Walker»
(Red Label) zollfrei eingekauft
zu haben. Dies alles nicht zum
Eigenbedarf, sondern als äusserst
begehrte Handelsware. Leider
gab’s damals nur ein Einwochenvisum, doch diese 7 Tage sollten
uns von der ungesunden Einfuhr
finanziert werden. Schon die
Zöllner, für den Zwischenhandel ideal positioniert, fragten uns
danach, aber Mittramper hatten
uns geraten, dort noch nicht auf
einen Deal einzugehen, da im
Stadtzentrum von Rangoon viel
mehr geboten werde.
Das YMCA war die bevorzugte Billigunterkunft und, wie
damals der Puddingshop in
Das pralle indische Leben: beim Coiffeur; Kuhfladen als begehrtes Heizmaterial.
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Istanbul, der Treffpunkt für Reisende von und nach Australien.
Im Innenhof dieses Etablissements begann ein reger Handel
mit Ausrüstungsgegenständen.
Die Australier benötigten warme
Utensilien für ihr Nepal-Trekking – und die Europäer, von
dort her kommend, wollten eben
diesen Ballast los werden.
Ein Aussie steckte uns noch
den Tipp, mit einem Aktenkoffer zu reisen. Erst dachten wir
an einen Witz, doch die Argumentation war einleuchtend:
Es war immer noch Hippiezeit,
und in Thailand, Malaysia und
Singapore hingen beim Grenzübertritt Plakate, welche die
Haartracht/-länge und das all-
Hier geht’s ums Geld
Geld schwarz wechseln
Die ökonomische Situation der meisten
Entwicklungsnationen bringt es mit sich,
dass in diesen Ländern ein Geldschwarzmarkt existiert, der für harte westliche
Währungen einen höheren als den offiziellen Wechselkurs zahlt. Mit andern Worten:
Du kriegst mehr für deine Dollars.
Geld auf dem Schwarzmarkt zu wechseln, verbilligt zwar deine Reise, aber es
verstösst gegen das Gesetz und schadet
der finanziellen Ökonomie asiatischer Entwicklungsländer. Das schliesst nicht aus,
dass die meisten Reisenden einen Teil ihres
Geldes auf dem Schwarzmarkt wechseln.
Wenn du also dein Geld nicht auf der Bank,
sondern bei den schwarzen Geldwechslern
(Moneychangers) umtauschst, solltest du
einige Verhaltensregeln kennen.
Mach dich vor dem Wechseln mit der
Landeswährung vertraut, damit man dir
keine alten Noten, die ausser Kurs sind,
andrehen kann. Nimm nicht mehr Geld
mit als du wechseln willst. Wechsle nie
in dunklen Treppenhäusern, WCs, Hinterhöfen oder fahrenden Autos. Wähle den
Ort, wo du wechseln willst, möglichst
selber, z.B. dein Hotelzimmer. Feilsche
gemeine Erscheinungsbild von
Einreisenden vorschrieb. Da
lenke ein Aktenkoffer ganz erheblich von zu reichlichen Locken ab. Und so kam es, dass
wir ab dort für ein halbes Jahr
Tramper mit Aktenkoffern waren… Es sei vorweggenommen:
der Tipp war Gold wert!
Reif für die Insel
Phuket war auch schon zu dieser Zeit kein echter Geheimtipp
mehr. Vielmehr wurde ein neuer
Name in Tramper-Kreisen geflüstert: Ko Samui (Ko = Insel
in Thai). Apropos K.o.: Seit gut
einem Jahr waren wir inzwischen unterwegs. Es war überfällig, einmal zurückzulehnen
und die bisher erlebten Eindrücke in Ruhe zu verarbeiten. Reisen ist eine anstrengende Sache:
Tausende von neuen Eindrücken
prasseln auf einen ein, und all
die Begegnungen und Erlebnisse
wollen einigermassen geordnet werden. «Mach mal Pause»,
hiess die Devise.
auch beim Geldwechseln um den Kurs. Je
mehr Dollars du wechselst, desto besser
der Kurs für dich.
Du kannst einen besseren Kurs erzielen,
wenn du grössere Noten wechselst (zum
Beispiel eine 50-US-Dollar-Note statt
zehn 5-US-Dollar-Noten). Geht zu zweit,
vor allem, wenn du hohe Beträge wechseln willst. Lass dir die Landeswährung
auf den Tisch zählen, bevor dein Freund
die Dollars übergibt. Geht wieder zum
gleichen Geldhändler, wenn er beim ersten Mal ehrlich war. Wechsle TravellersChecks nicht auf dem Schwarzmarkt,
wenn die Polizei streng zu sein scheint.
Die Unterschrift, dein Name auf dem
Scheck kann dich verraten – Bargeld
hingegen ist anonym. Das US-Wochenmagazin «Newsweek», das überall unterwegs erhältlich ist, veröffentlicht in jeder
Nummer verschiedene Wechselkurse in
der Tabelle «Foreign Exchange» (in der
Sparte Business and Finance). Die Kurse in der Kolonne «$1.00 is worth» entsprechen ungefähr den Schwarzkursen,
«Central Rate» bezeichnet den offiziellen
Kurs. Die höchsten freien Wechselkurse
findest du unterwegs in Kabul, der Hauptstadt von Afghanistan. Hier kriegst du am
meisten Geld für deine Dollars.
So begaben wir uns also nach
Surat Thani, wo wir die Fähre
nach Ko Samui nahmen. Dort
angekommen, wollten wir auf
die andere Seite der Insel, was
gar nicht so einfach war. Trotzdem fanden wir jemanden, der
uns mit seinem Tuk-Tuk mitnahm. Keine Lodge, kein Hotel,
nur eine Strandkneipe war dort
zu sehen. Nach ausgiebigem
Fischessen wurde uns ein Raum
zugewiesen, wo wir unsere Aktenkoffer erst mal deponierten.
Da waren wir also: um uns nur
glasklares Meer, Palmen, feiner
Sand und Ruhe.
Die jeweils abends einfahrenden Fischer zeigten uns ihren
Fang und wir bestimmten adhoc das Abendessen. Lobster,
Shrimps, Tintenfisch, Schwertfisch und Hai wechselten ab mit
Hai, Schwertfisch, Tintenfisch,
Shrimps und Lobster… Dazu
gabs Reis. Das Frühstück bestand jeweils aus Ei, Porridge
und Bananen. Dies drei Wochen
lang und – richtig – alles in Farbe Weiss. Die Konsequenz beim
täglichen WC-Gang kann man
sich vorstellen: mehr und mehr
«alles in Weiss»…
Apropos Toilettengänge – dies
ein wichtiges Thema auf Reisen:
Mal abgesehen davon, dass viele
damit Riesenprobleme hatten,
gabs durchaus auch originelle
«Sitzungen»… Dazu fällt mir
nochmals Südindien ein, wo man
bei der Verrichtung seiner Notdurft selten alleine war. In Goa
beispielsweise war die «Toilet»
hinter dem Haus. Wie auf einem
Thron, musste etwas erhöht akrobatisch in einen zementierten
Trog «gemacht» werden. Anfänglich fragten wir uns, wohin denn
die ganze Sch… verschwinden
sollte. Doch diese Unsicherheit
währte nicht lang, hörte man
doch schon nach kurzer Sitzung
ein vertrautes Grunzen. Worauf wir dann «Pork» vorübergehend von der Menukarte strichen… Dasselbe galt in Kerala
auch kurzfristig für Fisch. Dort
– auf Bambusstangen balancierend – brauchte es zuerst etwas
Überwindung, einfach so in den
idyllischen Kanal zu «recyclen».
Doch kaum war die schweisstreibende Stellung angenommen,
Ruedi, umringt von Scharen
neugieriger Kinder, in den
Backwaters von Kerala,
Südindien.
Teepflückerinnen in Sri Lanka; Schwedagon-Pagode in Rangun, Burma; drei Wochen Erholung im Bergdorf Barlig, Philippinen.
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tummelten sich Schwärme von
grösseren und kleineren Fischen
unter einem. Die Sprunggewaltigsten unter ihnen kamen zu
den besten «Häppchen»…
Zurück an unseren Traumstrand
auf Ko Samui. Da wurde jeweils
nach dem Abendessen ungefragt
eine Schale mit verdächtig duftendem Inhalt hingestellt. Erst
konnten wir es fast nicht glauben, doch da war tatsächlich
«Ganja» («Gras» zum Rauchen)
drin. Einfach so, «zum Dessert»
und erst noch frei Haus! Etwas
verstohlen nahmen wir gerne
an, immer daran denkend, dass
einige hundert Kilometer nördlich (in Bangkok) dafür mit der
Todesstrafe gedroht wurde.
Die Zeit in Thailand stellen wir
unter das Motto: Der Gentleman
geniesst und schweigt. Schliesslich waren wir schon bald ein
Jahr abstinent unterwegs.
Wurfpfeil als Reiseplaner
Malaysia bestand für uns praktisch nur aus Penang – da wir
zwischenzeitlich etwas abschlafften. In Singapur dann
hielten wir uns – klimabedingt
– vor allem in airconditioned
Shopping Centers und Kinos auf
(z.B «Doktor Schiwago», der im
kühlen Russland spielt). Wir flogen auf die Philippinen.
Die Philippinen waren für
uns ein unbeschriebenes Blatt.
Die meisten Tramps liessen die
Inseln links liegen. Dass man
dorthin fliegen musste, belastete das sonst schon strapazierte
Budget. Wir wollten’s aber trotzdem wissen. Im Hochland der
Hauptinsel Luzon – genauer: in
Bontoc – lagen wir eines Abends
auf unseren Betten und planten
die weitere Route.
«Lass uns doch einfach das
Schicksal bestimmen, wohin wir
weiterreisen.» Wir organisierten
einen Dart-Pfeil und hängten
eine Luzon-Karte an die Wand.
Schuss – «Barlig»! Sofort konsultierten wir unsere Reiseliteratur.
Kein Wort von Barlig. Genau so
wünschten wir uns das.
Anderntags waren wir also
unterwegs in Richtung Nord.
Auf der Karte war ersichtlich,
dass wir nach etwa zwei Stunden Fahrt abzweigen mussten.
Der Buschauffeur staunte nicht
schlecht, als wir mitten in der
«Pampa» ausstiegen. Nach längerem Warten nahm uns ein
klappriges Gefährt mit. Barlig
empfing uns mitten in Reisterrassen gelegen, ohne jede touristische Infrastruktur. Einzig die
Dorfkneipe bot uns nach einigen
Überzeugungsanstrengungen
ein Zimmer an.
Ganze drei Wochen sollten
wir in diesem Nest hockenbleiben. Mit Verwunderung, aber
grosser Herzlichkeit wurden wir
im Dorf aufgenommen. Der holländische Missionar führte uns
in die Gemeinschaft ein. Bei der
sonntäglichen Messe brachten
wir in der vollbesetzten Kirche
die Kerzen zum Altar; in der
Schule wurden wir in den Geografieunterricht integriert; beim
Dorffest erhielten wir die besten
Stücke des eben geschlachteten
Schweins (Ohren und Ringelschwanz); am Unabhängigkeitstag begrüsste uns der Bürgermeister speziell vor Hunderten
von Anwesenden, worauf wir
sogar eine Rede halten mussten
– und abends gabs jeweils Gitarrenklänge bei Gin und Sweet Potatoes mit der örtlichen Jugend.
Wir waren Teil einer grossen
Familie.
Anmerkung: Letztes Jahr,
also fast 30 Jahre später, besuchte ich mit meiner Familie
die dort kennengelernte Krankenschwester Angie – notabene
inzwischen in Florida wohnhaft, verheiratet und immer
noch Krankenschwester…
Letzte Abenteuer in
Bangkok und Moskau…
Der Abschied fiel schwer, und
über den billigeren Umweg Taiwan – wo wir ein ganzes Restaurant unterhielten mit unserem Versuch, Pouletschenkel
mit Stäbchen zu essen – flogen
wir zurück nach Bangkok. Das
verbliebene Geld reichte gerade noch, ein Aeroflot Ticket via
Moskau nach Zürich zu kaufen.
Doch nach Hause wollten wir
noch nicht! Not macht bekanntlich erfinderisch. So machten
wir einen Deal mit örtlichen
Taxifahrern – der ging so: Taxifahrer, welche Touristen in Juweliershops brachten, erhielten
beim Hintereingang eine Grundprämie, auch dann, wenn nichts
eingekauft wurde. So liessen wir
uns von Shop zu Shop chauffieren. Dort täuschten wir grosses
Interesse am Kauf von Schmuck
vor, so lang, bis der Fahrer das
Zeichen der Geldübernahme
gab. Danach vertrösteten wir die
Verkäufer, verliessen den Shop
und machten mit dem Fahrer
fifty-fifty…
Doch auch diese Geldquelle
versiegte einmal. Also bestiegen wir die Aeroflot-Maschine.
Da es in Moskau gleichentags
keinen Anschluss nach Zürich
gab, war im Flugpreis eine Hotelübernachtung inbegriffen. Der
russische Grenzbeamte wollte uns einfach nicht glauben,
als Urs und ich bei der Gelddeklaration noch gemeinsam
$ 1.– angaben. Es stimmte aber,
und wir mussten noch 24 Stunden überbrücken, für Essen und
Sightseeing zahlen. Also gingen
wir zum Roten Platz und verkauften vor dem Kreml unsere
letzten Jeans.
Blue Jeans waren damals
in Moskau heimlich begehrte
West-Produkte, doch wegen des
Kalten Krieges nicht erhältlich.
Dafür kriegten wir einen relativ horrenden Betrag, sodass
wir geradezu mit Geld um uns
schmeissen konnten. Die letzte Nacht der Reise verbrachten
wir in einer der damals noch
seltenen Discos und luden sämtliche Anwesenden zu einem Abschiedstrunk ein! Nastrodovje,
Schwijzaria!
Fremd erscheinende
Heimat
Nach der Rückkehr ins Schweizerland erschien uns zunächst
alles anders und irgendwie
fremd. Wir dachten, die Welt
hätte sich in den 15 Monaten
verändert.
Doch mit nachrückender
Enttäuschung mussten wir zur
Kenntnis nehmen, dass alles
noch gleich war: Man sass in
den gleichen Kneipen, sprach
über die gleichen Nebensächlichkeiten, regte sich über eine
Minute Busverspätung auf, zementierte seine Vorurteile mit
den Schlagzeilen in den Medien.
Aber wir hatten etwas gewonnen, etwas, das einem niemand
wegnehmen kann: die Erinnerungen an inspirierende Begegnungen mit anderer Kultur und
Natur, mit anderen Menschen
und Möglichkeiten – und die
sind auch 30 Jahre darnach noch
kaum verblasst und zeitigen noch immer Wirkung.
Relaxen nach Strapazen: Ruedi und
Reisekumpel Urs.
©Globetrotter Club, Bern
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