Landtag Ausschussprotokoll Nordrhein-Westfalen

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Landtag Ausschussprotokoll Nordrhein-Westfalen
Landtag
Nordrhein-Westfalen
Ausschussprotokoll
APr 14/837
14. Wahlperiode
11.03.2009
Rechtsausschuss
43. Sitzung (öffentlich)
11. März 2009
Düsseldorf – Haus des Landtags
13:30 Uhr bis 17:45 Uhr
Vorsitz:
Dr. Robert Orth (FDP)
Protokoll: Klemann, Decker, Niemeyer
Verhandlungspunkte und Ergebnisse:
1
Kinderpornografie
bekämpfen!
im
Internet
–
entschlossen
und
wirksam
Antrag
der Fraktion der SPD
Drucksache 14/7830
In Verbindung mit
Für eine konsequente Ahndung von Erwerb und Verbreitung
kinderpornografischer Dateien sowie von sexuellen Belästigungen
Minderjähriger im Internet
Entschließungsantrag
der Fraktion der CDU und
der Fraktion der FDP
Drucksache 14/7907
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Der Ausschuss führt eine öffentliche Anhörung zu den Themen durch.
Den Statements der Sachverständigen schließen sich Nachfragen von
Abgeordneten an. Die Seitenzahlen kennzeichnen den Beginn der
Statements.
Organisation/Verband
Sachverständige/r
Stellungnahmen
Seite
Bundesverband
Informationswirtschaft,
Telekommunikation und
neue Medien
Dr. Guido Brinkel
14/2448
5,38,
42
Lehrstuhl Management
der
Informationssicherheit,
Universität Regensburg
Prof. Dr. Hannes Federrath
14/2401
7, 36,
43
Dr. Dieter Frey, Rechtsanwalt
14/2449
8, 35,
36, 43
Bundeskriminalamt
Jürgen Maurer
14/2458
14/2461
10,
32,
35, 44
Leiter der Abteilung für
Forensische Psychiatrie
und Psychotherapie der
Universität am
Bezirksklinikum
Regensburg
Prof. Dr. Michael Osterheider
14/2453
11,
34, 44
Landeskriminalamt
Nordrhein-Westfalen
Dieter Prosch
14/2445
14,
30, 45
jugendschutz.net
Friedemann Schindler
14/2452
16,
28, 47
Bund der Richter und
Staatsanwälte in
Nordrhein-Westfalen
Axel Stahl
Freiwillige Selbstkontrolle Otto Vollmers
MultimediaDiensteanbieter
Zur Tagesordnung
19,
27, 48
14/2455
22,
26, 29
51
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Häufung von Vorfällen in der Justizvollzugsanstalt Gelsenkirchen
(Anlage)
52
Vorlage 14/2481
3
Entwurf eines Gesetzes zur Änderung dienstrechtlicher Vorschriften
61
Drucksache 14/8176
hier: § 118 Allgemeiner Vollzugsdienst und Werkdienst bei den
Justizvollzugsanstalten
Vorlage 14/2484
Der Ausschuss verständigt sich einvernehmlich darauf, den
Punkt in der nächsten Sitzung zu behandeln.
4
Datenschutz im Abseits bei der Zusammenlegung der Sozialen
Dienste der Justiz (Anlage)
Vorlage 14/2440 (19. Datenschutz- und Informationsfreiheitsbericht 2009
der LDI NRW)
Vorlage 14/2482
* * *
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Kinderpornografie im Internet – entschlossen und wirksam bekämpfen!
Antrag
der Fraktion der SPD
Drucksache 14/7830
in Verbindung mit
Für eine konsequente Ahndung von Erwerb und Verbreitung kinderpornografischer Dateien sowie von sexuellen Belästigungen Minderjähriger
im Internet
Entschließungsantrag
der Fraktion der CDU und
der Fraktion der FDP
Drucksache 14/7907
Vorsitzender Dr. Robert Orth begrüßt die Teilnehmer, gibt einige Hinweise zum Ablauf der Anhörung und erteilt dem ersten Sachverständigen das Wort zu einem Eingangsstatement.
Dr. Guido Brinkel (Bundesverband Informationswirtschaft, Telekommunikation
und neue Medien): In Bezug auf das Ziel, das wir hier gemeinsam verfolgen, sind
wir uns wohl alle einig. Kinderpornografie ist letztlich die Abbildung sexueller Missbräuche. Allen Beteiligten, auch der betroffenen Wirtschaft, ist klar, dass alle Mittel
eingesetzt werden sollten, die wirksam dazu beitragen können, dass diese Taten reduziert und die Opfer stärker geschützt werden.
Bislang ist allerdings noch nicht ausreichend deutlich geworden, was wir mit dem Instrument Access-Blocking, also der Zugangserschwerung, tatsächlich erreichen wollen. Die politischen Debatten – auch im Rahmen der heutigen Anhörung – können sicherlich dazu beitragen, die Diskussion zu versachlichen und dieses Ziel etwas genauer herauszuarbeiten. Wir müssen uns fragen: Wollen wir mit dem Instrument, das
uns vorschwebt, den kommerziellen Markt beeinträchtigen oder sogar austrocknen?
Wollen wir die Täterverfolgung stärken? Wollen wir im Wesentlichen nur Zufallsnutzer abhalten? Oder geht es uns um die gesellschaftspolitische Signalwirkung? – Die
Frage der Wirksamkeit und der politischen Sinnhaftigkeit des Instruments AccessSperrung kann nur dann richtig eruiert werden, wenn dieses Ziel sehr klar ist. Wir
können auch nur mit einem gemeinsamen Verständnis des Ziels der Gefahr entgehen, dass es möglicherweise eine Scheinsicherheit in der Bevölkerung gibt.
Vor diesem Hintergrund möchte ich deutlich sagen, dass die von unserem Verband
vertretenen Unternehmen – dabei handelt es sich um sehr große Access-Provider in
Deutschland – grundsätzlich bereit sind, technische Maßnahmen in diesem Sinne
umzusetzen. Das haben wir in der Diskussion von Anfang an erklärt und tun das
auch in dieser Runde noch einmal. Über den genauen rechtlichen Rahmen für ein
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solches Instrument und die konkrete technische Umsetzung besteht sicherlich noch
einiger Diskussionsbedarf. Dieser hängt unter anderem auch mit der eingangs aufgeworfenen Frage zusammen, was wir mit diesem Instrument eigentlich erreichen
wollen.
Ich bin sehr froh darüber, dass man sich im Antrag der SPD-Fraktion und im Entschließungsantrag von CDU und FDP nicht allein auf das technische Instrument Zugangserschwerung reduziert, sondern jeweils auch in einem eigenständigen Punkt
klarstellt, dass gleichzeitig die konkrete Ermittlungsarbeit bzw. die Ausstattung der
Behörden gestärkt werden muss. In der parallel laufenden bundespolitischen Initiative vermissen wir ein solches Gesamtpaket. Wir warnen davor, Zugangssperren als
Allheilmittel zu sehen und sie als das zentrale Instrument zu etablieren. AccessBlocking kann allenfalls als flankierendes Instrument eingesetzt werden. Aus unserer
Sicht dürfte der Einfluss auf den kommerziellen Markt eher gering sein. Es ist aber
sicherlich möglich, zu einem gewissen Grad Gelegenheitsnutzer und auch Zufallskonsumenten von solchen Inhalten auszuschließen.
Insofern lautet unsere Bitte an die Politik: Keine Schnellschüsse! Dieses Thema sollte auch nicht für den Wahlkampf instrumentalisiert werden, sondern muss mit Ruhe
im Detail diskutiert werden – sowohl die rechtlichen Rahmenbedingungen als auch
die technischen Fragen. Von beidem gibt es relativ viele und teilweise auch sehr diffizile.
Lassen Sie mich noch kurz auf die – in unserer Stellungnahme ebenfalls dargestellte
– Einbettung der Debatte in den Gesamtkontext eingehen. In Deutschland ist das
Thema Access-Blocking nicht neu, sondern wird schon seit mehreren Jahren diskutiert – angefangen 2002, als die Bezirksregierung Düsseldorf Neonazi-Inhalte sperren ließ. Auch aus anderen Ecken gibt es klare Begehrlichkeiten. Auf der Fahrt hierher habe ich in der Bahn die Zeitschrift „DB mobil“ gelesen. Darin findet sich auf Seite 76 ein Interview mit Herrn Prof. Gorny, dem Vorsitzenden des Bundesverbandes
Musikindustrie, der deutlich erklärt, dass er dieses Instrument genauso wie gegen
Kinderpornografie auch zum Schutz des geistigen Eigentums angewendet sehen
möchte. Ähnlich konkrete Forderungen werden in Bezug auf Glücksspiele vonseiten
der Innenministerien der Länder erhoben. Auch im Jugendmedienschutz gibt es Forderungen nach einem breiteren, über Kinderpornografie hinausgehenden Einsatz.
Dies leitet zu einer wichtigen Frage über. Wir können nicht nur über die Begehrlichkeiten reden, sondern müssen uns insgesamt einer Diskussion über die Frage stellen, wo die Grenzen des Instruments Access-Blocking liegen. Aus Sicht des BITKOM
handelt es sich dabei um ein Ultima-Ratio-Instrument. Access-Blocking kann nicht zu
einem Allheilmittel gegen jegliche Art von unliebsamen oder vielleicht auch illegalen
Inhalten im Internet ausgebaut werden, sondern muss die Ultima Ratio bleiben. Wir
verstehen die aktuelle Debatte auch so und hoffen, dass das noch deutlicher herausgearbeitet wird.
Im vorliegenden Entschließungsantrag wurde erfreulicherweise auch das Thema
„Chats und Communitys“ aufgegriffen. Dabei handelt es sich um ein wichtiges Problem, das wir angehen müssen – allerdings mit einem anderen Mittel. Zugangssperren
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oder Zugangshürden helfen in diesem Zusammenhang wenig. Hier geht es auch
maßgeblich um Medienkompetenz. Dieses Thema ist aber in der Tat bedeutsam.
Prof. Dr. Hannes Federrath (Lehrstuhl Management der Informationssicherheit,
Universität Regensburg): Ich kann mich noch gut an das Jahr 1984 erinnern. Damals dachte die Medienindustrie das allererste Mal über Möglichkeiten nach, Zugänge zu sperren. Als das Internet dann in Gang kam, verfügte man tatsächlich auch
über ein System, mit dem man diese Sperren umsetzen wollte. Es war seinerzeit als
Rights Protection System in aller Munde. Für diejenigen, die noch nie etwas davon
gehört haben, will ich die dahinter stehende Idee kurz erläutern. Die Internetlandschaft war damals – vielleicht gilt das auch heute; das weiß Herr Brinkel sicherlich
besser – so organisiert, dass es mehrere sogenannte Backbones gab, also große
Netze, die alle an einem Punkt zusammenliefen. An diesem Übergabepunkt wurden
Daten von dem einen Netz in das andere Netz übermittelt, soweit das notwendig war.
Der Übergabepunkt für Deutschland stand in Frankfurt am Main und wurde DE-CIX
genannt – DE für Deutschland, CIX für Central Internet Exchange. Die Idee der Medienindustrie, insbesondere der Musikindustrie, war seinerzeit, dass man an diesem
zentralen Austauschpunkt einen Filter installieren könnte, mit dem es möglich sein
sollte, urheberrechtlich geschützte Inhalte zu sperren.
Zumindest bei Technikern hat das damals große Verwunderung ausgelöst, weil man
der Ansicht war, so etwas gehe aufgrund der großen Datenmengen, die an diesem
Übergabepunkt hin und her geschaufelt werden, niemals. Daran hat sich bis heute
sicherlich nichts geändert; die Datenmengen sind eher explodiert. Diese Idee wird
aber immer wieder vorgetragen.
Im letzten halben Jahr ist man – interessanterweise in Verbindung mit einem ganz
anderen Thema, nämlich der Bekämpfung von Kinderpornografie – erneut auf sie zurückgekommen. Die Überraschung für mich als Informatiker ist nun, dass wir plötzlich
kaum Widerstand gegen diese Maßnahme feststellen. Ich kann mir nur eine Begründung vorstellen, warum das so ist: Es geht nun einmal um Kinderpornografie. Diese
wollen wir alle bekämpfen. Keiner möchte so etwas. Jedes Mittel ist recht, erklären
einige in diesem Zusammenhang gerne.
Das Dumme ist nur Folgendes – das sage ich als Informatiker –: Wir sollten Maßnahmen wählen, die auch wirkungsvoll sind. Die bisher vorgeschlagenen Instrumente, die jetzt weiter diskutiert werden – insbesondere das DNS-Blocking, aber auch
andere –, sind relativ wirkungslos. Sie werden der Sache nicht gerecht. Wenn wir
Kinderpornografie wirklich bekämpfen wollen, müssen wir auch zu wirksamen Maßnahmen greifen.
Außerdem müssen wir berücksichtigen, dass dann, wenn wir solche Instrumente zur
Bekämpfung der Kinderpornografie einsetzen, andere Inhalte nicht außen vor bleiben
können. Wenn man den Zugang zu Kinderpornografie sperrt, wird beispielsweise die
Medienindustrie natürlich wieder mit ihren Forderungen kommen. Das halte ich auch
für berechtigt. Selbstverständlich sollten in diesem Fall andere Werte wie zum Beispiel das Urheberrecht ebenfalls geschützt werden können. Diese Frage wird in der
bisherigen Diskussion völlig vernachlässigt.
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Zu den technischen Fragen kann ich wie folgt Stellung nehmen: Momentan gibt es
drei Möglichkeiten, Inhalte zu sperren.
Erstens können Sie die IP-Adresse sperren. Das bedeutet, dass der Zugang zu dem
Server blockiert wird und die Datenpakete nicht dorthin weitergeleitet werden.
Zweitens können Sie den DNS-Eintrag sperren, sodass Menschen, die den Namen
des Rechners eingeben, aber nicht seine IP-Adresse, die Übersetzungstabelle nicht
mehr nutzen können. Diese Methode ist mehr oder weniger wirkungslos; denn man
kann auch die IP-Adresse selbst eingeben und so das Ziel erreichen.
Drittens können Sie versuchen, den tatsächlichen Inhalt zu blockieren – völlig unabhängig davon, von welcher Adresse dieser Inhalt abgerufen wird. Diese Möglichkeit
ist in der Diskussion bisher wenig in Erwägung gezogen worden. Dabei handelt es
sich zweifellos um die aufwendigste Methode. Sie funktioniert auch, ohne dass der
Provider den Inhalt selbst kennen muss. Man benutzt sogenannte Hashwerte. Für
die weiteren technischen Details verweise ich auf meine Stellungnahme. Die Kosten
dafür sind deutlich höher als für das Sperren von IP-Adressen oder DNS-Namen.
Dies ist aber mit Sicherheit die wirkungsvollste und zielgerichtetste Maßnahme –
auch deswegen, weil der Verdacht unberechtigter Sperren von vornherein ausgeräumt ist. Bei einer DNS- oder IP-Sperre sperrt man ja den gesamten Server und
somit auch Inhalte, die überhaupt nicht rechtswidrig sind. Das bringt einer solchen
Maßnahme natürlich stets Kritik ein.
Dr. Dieter Frey (Rechtsanwalt): Zusammen mit meinem Kollegen Dr. Matthias Rudolph habe ich mich in einem kürzlich präsentierten Rechtsgutachten zur Evaluierung
des Haftungsregimes für Host- und Access-Provider im Bereich der Telemedien sehr
umfassend mit diesem Thema beschäftigt. Dabei haben wir uns das Ganze unter einem etwas breiteren Blickwinkel angeschaut und uns nicht nur auf das Thema Kinderpornografie fokussiert, sondern auch die privatrechtliche Seite – Stichworte: Urheberrecht, Markenrecht und Wettbewerbsrecht; dort sind sehr viele Begehrlichkeiten aufgekommen – untersucht.
Ausgangspunkt aller Überlegungen, bei denen es darum geht, von Access-Providern
Sperrungen in der Internetsphäre zu verlangen, ist die heutige Perspektive, dass Access-Provider inhaltsneutrale Infrastrukturleistungen erbringen. Der Access-Provider
ist blind gegenüber den Daten, die er durchleitet. Das Ganze wird durch das Telekommunikationsgeheimnis – Art. 10 Grundgesetz und § 88 Telekommunikationsgesetz – abgesichert. Ergebnis unserer Untersuchung war, dass nach der geltenden
Rechtslage Internetsperren nicht möglich sind.
Bei Kinderpornografie handelt es sich nicht nur um ein emotional besetztes Thema,
sondern auch um eine überaus schwerwiegende Rechtsverletzung. Vor diesem Hintergrund glauben wir, dass durch eine entsprechende Gesetzesänderung Möglichkeiten geschaffen werden können, hier zu Sperrungsverfügungen oder Sperrungen im
Internet zu kommen. Auch dort muss aber abgewogen werden; Herr Brinkel hat es
schon angedeutet. An dieser Stelle spielt der Opferschutz die zentrale Rolle. Ich will
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kurz im Überblick erläutern, welche Instrumentarien wir heute haben, um Kinderpornografie zu bekämpfen.
Zum Strafrecht: § 184b Strafgesetzbuch stellt eine umfassende Grundlage dar, um
kinderpornografische Straftaten zu sanktionieren. Danach sind die Verbreitung, der
Erwerb und der Besitz von Kinderpornografie verboten und strafrechtlich sanktionsfähig. Das ist ein sehr umfassender Ansatz, mit dem auch gegen kinderpornografische Angebote im Internet strafrechtlich vorgegangen werden kann. Im Übrigen gilt
zudem das Weltprinzip des § 6 Strafgesetzbuch. Grundsätzlich müssen wir diese
Straftaten weltweit verfolgen – egal, in welchem Land sie begangen werden; egal,
wie das Recht des Tatortes aussieht; egal, welche Nationalität der Täter hat. In diesem Zusammenhang gibt es selbstverständlich ein Spannungsverhältnis zur Souveränität der betroffenen Staaten. Nach unserer Einschätzung kann dieses Spannungsverhältnis aber durch eine intensive Kooperation der Strafverfolgungsbehörden
aufgelöst werden. Bezüglich der europäischen Ebene verweise ich auf dem Rahmenbeschluss des Rates vom 22. Dezember 2003 zur Bekämpfung der sexuellen
Ausbeutung von Kindern und der Kinderpornografie, in dem die entsprechende Kooperation der Strafverfolgungsbehörden bereits forciert wurde. Dieser Rahmenbeschluss soll jetzt überarbeitet werden. Strafrechtlich haben wir also ein umfassendes
Instrumentarium, um Kinderpornografie an der Quelle – dort, wo die Straftat begangen wird; bei dem Anbieter oder demjenigen, der diese Pornografie besitzt – zu bekämpfen.
Zum Jugendmedienschutz: Bei Kinderpornografie handelt es sich um absolut verbotene, unzulässige Angebote nach § 4 Abs. 1 Jugendmedienschutz-Staatsvertrag. Sie
unterliegt auch nach dem Jugendschutzgesetz einem absoluten Verbreitungsverbot.
Die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien kann sie indizieren und diesen
Index den Anbietern von nutzerautonomen Filterprogrammen zur Verfügung stellen.
Eltern können dann die entsprechende Entscheidung treffen und mit diesem Filterprogramm ihre Kinder schützen. Im Rahmen des Jugendmedienschutzes gibt es also
ebenfalls eine Reihe von Instrumenten.
Wo liegen die Schwachstellen? Eine Schwachstelle ist aus unserer Sicht der Opferschutz bei Auslandstatbeständen, bei denen das Strafrecht und der Jugendmedienschutz nicht effektiv durchgesetzt werden können. Maßnahmen, um Internetsperren
zur Verhinderung von Kinderpornografie einzusetzen, können unserer Ansicht nach
nur an dieser Stelle ansetzen. Weil es sich beim Missbrauch von Kindern um sehr
schwerwiegende Persönlichkeitsrechtsverletzungen handelt, kann man unseres Erachtens solche Schritte erwägen. Dazu bedarf es aber auf jeden Fall einer gesetzlichen Grundlage.
Dabei darf es nicht passieren – damit komme ich auf den von Herrn Brinkel bereits
angesprochenen Ultima-Ratio-Grundsatz zurück –, dass die Strafverfolgung in den
Hintergrund tritt. Hier muss ein Gesamtkonzept aufgesetzt werden. Die Effektivität
der Strafverfolgung darf nicht dadurch gefährdet werden, dass wir uns durch vermeintliche Internetsperren – die nicht sehr effektiv sind, wie wir sicher noch hören
werden – in der Sicherheit wägen, dass kinderpornografische Straftaten in der Internetsphäre nicht mehr stattfinden. Außerdem müssen wir konfligierende Grundrechte
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berücksichtigen. Wenn wir diesen Schritt gehen, stellen sich wiederum Fragen der
Informationsfreiheit, der Berufsfreiheit und des Eigentumsrechts. Ferner müssen wir
dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gerecht werden. Das impliziert auch, dass in
diesem Zusammenhang zunächst und vorrangig Content-Anbieter und Host-Provider
in Anspruch genommen werden müssen.
Wenn wir den Schritt der Internetsperren für Kinderpornografie gehen und auch mit
guten Gründen forcieren, müssen wir uns allerdings darüber im Klaren sein, was dies
für andere Rechtsmaterien bedeutet. Herr Brinkel hat das bereits angedeutet. In Bezug auf das Urheberrecht sind wir bereits in gerichtlichen Auseinandersetzungen
begriffen. Hier geht es darum, inwieweit aufgrund der Störerhaftung Internetsperren
gefordert werden können. Weitere Themen sind das Wettbewerbsrecht, das Glücksspielrecht und der Jugendmedienschutz allgemein. Bezüglich all dieser Themen
müssen wir uns die Frage stellen: Werden Access-Provider womöglich in Zukunft zu
Gatekeepern des Rechts? Erwarten wir von ihnen, dass sie staatliche Aufgaben der
Rechtsdurchsetzung auf privater Ebene wahrnehmen?
Zumindest diesen Aspekt muss man aus meiner Sicht in einem demokratischen Diskurs öffentlich diskutieren. Am Ende muss der Gesetzgeber – ich verweise auf die
Wesentlichkeitstheorie des Bundesverfassungsgerichts – hier die Entscheidung treffen und gerade in diesem grundrechtsrelevanten Bereich die gesetzliche Grundlage
schaffen.
Jürgen Maurer (Bundeskriminalamt): In der Tat gibt es, wie hier angeführt wurde,
einen sehr breiten gesellschaftlichen Konsens dahin gehend, dass die Bekämpfung
der Kinderpornografie und insbesondere des Kindesmissbrauchs hohe Priorität genießen muss. Dass bezogen auf dieses Problemfeld großer Konsens besteht, wurde
auch in der Arbeitsgruppe „Access-Blocking“ deutlich, an der unter Federführung des
Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend das Bundesministerium des Innern und das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie sowie die
großen Internet-Service-Provider und Verbände beteiligt sind.
Access-Blocking – dieser Ansatz ist aus meiner Sicht überfällig, allerdings noch nicht
endgültig und abschließend diskutiert – setzt an der präventiven Seite an. Das häufig
eingeforderte Konzept bezüglich der Bekämpfung der Kinderpornografie und des
Missbrauchs von Kindern gibt es natürlich. Die massiven Anstrengungen in Bund und
Ländern im Bereich der Repression sind bekannt. Wer aufmerksam Zeitung liest,
nimmt Berichte über Durchsuchungsmaßnahmen bei Tausenden von Mitbürgern zur
Kenntnis und stellt fest, dass sehr viel gemacht wird. Ich kann aus meiner Wahrnehmung sagen, dass in den letzten Jahren deutlich mehr getan worden ist als in den
Jahren davor.
Dies ändert nichts daran, dass sich die Diskussion auf das beziehen muss, was die
Lücke in diesem System darstellt, nämlich sowohl die sexuell-gewalttätig orientierte
als auch die ökonomisch determinierte Motivation zu Beschaffung und Besitz von
Kinderpornografie. Ein wesentliches Ziel ist natürlich, basierend auf der bestehenden
Rechtslage zu verhindern, dass ökonomische Interessen, die in den Millionenbereich
gehen, hier kriminell verwirklicht werden.
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Um Sie auf den aktuellen Stand der Diskussion zu bringen, will ich Ihnen kurz die Ergebnisse der Arbeitsgruppe „Access-Blocking“ vorstellen. Eine solche mit Vertretern
von verschiedenen Ministerien, Bundeskriminalamt und sonstigen Instanzen besetzte
Arbeitsgruppe würde natürlich nicht zu dem Ergebnis kommen, dass sie eine unwirksame Maßnahme als das Gelbe vom Ei definiert. Vielmehr stellt die hier am Schluss
stehende Maßnahme – Sperrung auf DNS-Ebene – den derzeit kleinsten gemeinsamen Nenner dar. Diese Maßnahme ist nach Auffassung von Innenministerium, Wirtschaftsministerium und Familienministerium ohne Rechtsänderung schon derzeit
rechtlich möglich. Soviel ich weiß, wird das Justizministerium der Meinung, dass eine
Sperrung auf DNS-Ebene bereits jetzt rechtlich zulässig ist, beitreten. Über die Frage, ob es wirksamere Möglichkeiten gibt, brauchen wir nicht zu streiten. Das BKA
und auch sonstige Stellen haben genügend Kompetenz, um zu wissen, welche ITtechnischen Voraussetzungen gegeben sein müssen, damit diese Form des AccessBlockings funktioniert. Ziel ist es aber, eine bedeutsame kleine Lücke bei der Prävention dieser Kriminalitätsform zu schließen.
Parallel dazu wird ein Gesetzgebungsverfahren in Gang gesetzt. Nach meinen Informationen wird die Bundesregierung noch in dieser Legislaturperiode einen Kabinettsbeschluss herbeiführen, in dem die Eckpunkte einer zukünftigen gesetzlichen
Regelung determiniert sind. Darüber hinaus wird die Arbeitsgruppe in dem beschriebenen Rahmen bereits am nächsten Freitag wieder zusammentreten, um in einer
ersten Diskussion gesetzliche Eckpunkte zu definieren.
Bei Kinderpornografie handelt es sich nicht um gedruckte Bilder oder Datenträger,
sondern in der Regel um geronnenen, manifestierten Kindesmissbrauch. Während
wir hier sitzen, finden uns bekannte Serien mit unbekannten Opfern und unbekannten Tätern statt. Wir gehen davon aus, dass aktuell, auch in Deutschland, Kinder in
einer großen Zahl missbraucht werden – mit dem ökonomischen Kalkül, diese Missbrauchsdokumentation zu verwerten. Wir versuchen, diesen Bereich einzudämmen.
Uns ist völlig klar, dass wir gegen Hardcore-Kinderpornografen und HardcoreHändler auf diese Weise nicht vorankommen werden. Aus meiner Sicht ist es aber
wichtig, dass diese Diskussion und der gesellschaftliche Konsens genutzt werden,
genau auf die Probleme hinzuweisen.
Wie gesagt, halte ich es für überfällig, Zugänge zu definieren und zu blockieren. Wir
haben noch genügend Diskussionsstoff, um diese Regelung dezidiert zu beraten.
Derzeit ist es nicht erforderlich, zu hinterfragen, ob bestimmte Methoden nach heutigem Rechtsrahmen möglich wären; wir sind uns einig, dass nur ganz bestimmte
Maßnahmen infrage kommen, die in ihrer Wirksamkeit beschränkt sind. Der Wille der
interessierten Kräfte und des Gesetzgebers muss es aber sein, eine gesetzliche Regelung zu schaffen, die dann auch wirksamen Schutz zur Verfügung stellt.
Prof. Dr. Michael Osterheider (Leiter der Abteilung für Forensische Psychiatrie
und Psychotherapie der Universität am Bezirksklinikum Regensburg): Ich werde fünf Fragenkomplexe thematisieren. Lassen Sie mich vorweg aber kurz darstellen, warum ich hier vor Ihnen sitze und referiere. In unserer Abteilung für Forensische Psychiatrie haben wir einen Schwerpunktbereich, der sich mit sexueller Devi-
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anzentwicklung beschäftigt, also mit der Frage, wie Menschen abnorme sexuelle Eigenarten entwickeln und in welchem Zusammenhang daraus Straftaten – sexuelle
Delinquenz – entstehen. Eine Unterarbeitsgruppe befasst sich seit Jahren schwerpunktmäßig mit pädophilen Straftätern, mit dem Verhalten von sogenannten Pädophilen im Internet und mit der Verbreitung von Kinderpornografie im Internet sowohl aus therapeutischer Sicht – Täterbehandlung – als auch aus gutachterlicher
Sicht als auch hinsichtlich der Opferperspektive. Bedeutsam ist in diesem Zusammenhang eine enge Zusammenarbeit mit dem Polizeipräsidium München, das sehr
viele Daten- und Dateianalysen durchführen muss. Aus dieser Zusammenarbeit ist
eine Diplomarbeit mit dem Titel „Qualitative Bildanalyse von kinderpornografischen
Darstellungen im Internet“ entstanden. Über diese Ergebnisse werde ich Sie kurz informieren, weil daran – in Ergänzung zu dem, was Herr Maurer vom BKA gesagt hat
– noch einmal die Bandbreite dessen zu verdeutlichen ist, was diesbezüglich im Internet geschieht.
Erstens: Wer sind die Nutzer von Kinderpornografie? – Lange Zeit wurde die These
vertreten, wenn sich jemand im Internet nur theoretisch mit kinderpornografischen
oder anderen pornografischen Inhalten befasse, möge das zu einer Verhinderung
von eigentlichen Taten dienen. Anfangs wurde das Internet in diesem Bereich also
als eher – in Anführungszeichen – „hilfreich“ angesehen. Nach neueren forensischpsychiatrischen Daten lässt sich diese Argumentation nicht mehr aufrechterhalten;
denn mittlerweile steht gesichert fest, dass der regelhaftere Besitz von Kinderpornografie und das Beschäftigen mit kinderpornografischen Inhalten immer starke diagnostische Hinweise für pädophile Tendenzen sind. Verhalten ist immer bedürfnisorientiert. Jemand, der mehrmals am Tag oder in der Woche kinderpornografische
Seiten aufsucht, ist auch entgegen seiner Einlassung vielleicht nicht immer ein Gelegenheitstäter, der zufällig auf einer solchen Seiten gelandet ist, sondern folgt sexuellen Interessen und Fantasien.
Eine eigene Studie, in deren Rahmen wir Intensivnutzer von Kinderpornografie mit
verschiedenen Testverfahren und Methoden untersucht haben, zeigt, dass Täter, die
Kinderpornografiedaten besitzen und auch vertreiben, eine ausgeprägte sexuelle Erregungsneigung gegenüber Kindern bilden. Das müssen zwar nicht die klassischen
Pädophilen sein; sie sind aber deutlich erregbar. Daher kann man davon ausgehen,
dass der weitaus größte Teil diese Seiten aus sexuellen Interessen und nicht aus
Neugier besucht. Die These, dass Kinderpornografie als Ersatz für realen Missbrauch angesehen werden kann, hat sich also nicht aufrechterhalten lassen. Im Gegenteil! Die zunehmende intensive Beschäftigung mit kinderpornografischen Inhalten
führt bei den Nutzern dazu, dass sich ihre Fantasien steigern und es zu einer größeren Tatnähe sowie erhöhten Tathäufigkeiten kommt.
Zweitens: Wie sieht das Konsumverhalten der Nutzer kinderpornografischer Dateien
aus? Gibt es eine Tätertypologie? – Eigene Untersuchungen und andere internationale Studien haben gezeigt, dass zwei bzw. drei unterschiedliche Formen von Tätertypen das Internet im Sinne von Kinderpornografie nutzen.
Zum Ersten sind das die sogenannten Sammler, die Daten anhäufen – teilweise bis
zu exzessiven Datenmengen; zum Teil sammeln Einzeltäter über 100.000 Bilder auf
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Datenspeichern – und auch austauschen. Einige von ihnen produzieren auch selbst
– teilweise mit einem hohen technischen Aufwand. Es ist natürlich ein Ausdruck der
sexuellen Bedürfnishaftigkeit, wenn sich jemand auf diesem Feld so stark engagiert
und auch hohe Investitionen materieller Art tätigt.
Zum Zweiten gibt es sogenannte Traveller, die sich mit dem Besitz von Kinderpornografie und der sexuell fantasierten Beschäftigung damit nicht zufriedengeben, sondern denen es um eine tatsächliche Kontaktaufnahme im Internet zu Kindern geht.
Davon sind vornehmlich etwas ältere Kinder betroffen. Hauptsächlich in Chatbereichen des Netzes versuchen die Täter, mit Manipulationsgeschick sowie durch Ausspähen und Anfüttern der Kinder sexuellen Kontakt zu Minderjährigen zu bekommen.
Ebenso wie im Bereich der Bilddarstellung, auf den Herr Maurer schon eingegangen
ist, werden Kinder hier zu tatsächlichen Opfern, weil es auch zu Begegnungen zwischen Tätern und Opfern kommt. In diesem Zusammenhang spricht man von ChildGrooming. Die Täter versuchen sich über bestimmte manipulative Verhaltensweisen,
die relativ ausgefuchst sind, langsam das Vertrauen von Kindern zu erschleichen –
zum Beispiel durch das Wecken der Neugier pubertierender Kinder für sexuelle
Themen. Sie senden ihnen sexuelles Material zu, was zu einer Herabsetzung der
Hemmschwelle beim Kind führt. Dadurch wird die Interaktion der Täter mit den Opfern im Wesentlichen bestimmt.
Drittens. Wie stellt sich die Interaktion zwischen Tätern und Opfern dar? – Die hiervon eher betroffenen etwas älteren Kinder ab einem Alter von zwölf bis 14 Jahren
ahnen häufig die Intention dieser Täter. Sie befinden sich natürlich pubertär in einer
Neugiersituation, werden von den manipulativ arbeitenden Tätern angefüttert und
sind dann leider Gottes teilweise auch bereit, sich auf erste vorsichtige sexuelle
Handlungen oder Kontakte einzulassen. Insbesondere bei den in diesem Bereich
häufig weiblichen kindlichen Opfern wenden die Täter auch geschickte Strategien an,
indem sie ihnen eine Modelkarriere anbieten, angebliche Verträge schicken, „Du
kommst in eine Fernsehshow; wir müssen uns nur einmal treffen“ sagen usw. Wie
auch Untersuchungen des BKA bestätigen, ist auf diesem Feld in den letzten Jahren
ein erheblicher Zuwachs zu verzeichnen.
Viertens. Welche sexuellen Fantasien und möglichen Handlungen treiben die Täter
an? Wie alt sind die Opfer? – Dieser Punkt ist für mich eigentlich der wichtigste. Ich
muss dazusagen, dass wir aus forensisch-psychiatrischer Sicht das Internet im Bereich Kinderpornografie durchaus als Tatort betrachten und das Ganze auch als tatsächliche Handlungen ansehen. Schließlich sind die Kinder, die dort abgebildet werden, reale Kinder. Es handelt sich nicht um virtuell generiertes Bildmaterial, sondern
um tatsächliche Kinder, die in dem Augenblick, in dem ihre Bilder im Internet verbreitet werden, schon zum Opfer geworden sind.
Die Ergebnisse unserer eigenen Studie lauten wie folgt: 50 % der im Internet abgebildeten Kinder sind jünger als zwölf Jahre. Davon sind vier Fünftel weiblich. Bei
65 % handelt es sich um Kleinkinder bis zum Alter von ca. acht Jahren. 5 bis 10 %
sind im Säuglingsalter, wobei hier eine deutlich steigende Tendenz zu beobachten
ist; in den letzten zwei bis drei Jahren hat sich die Zahl der in degradierender Weise
dargestellten Säuglinge verdoppelt. In 10 % des repräsentativen Bildmaterials finden
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sich Darstellungen schwerwiegender sexueller Gewalt gegen Kinder, in 30 % mit Penetration durch einen erwachsenen Täter. Sadistische Praktiken – Einführen von
Gegenständen in Genitalbereiche der Kinder, Fesselungen, Knebelungen, Verletzungen, Augenverbindungen etc. – sind in 10 bis 15 % des Bildmaterials dokumentiert.
Insbesondere hat unsere Studie das Ergebnis erbracht, dass die intensive Beschäftigung mit Kinderpornografie im Internet die Tatnähe der Täter erheblich erhöht und
dass allein anhand der Verhaltensweisen im Internet bei jedem einzelnen Täter die
Nähe zur Tat nachgewiesen werden kann. Mittlerweile können wir in Abgleich mit
dem Polizeipräsidium München gutachterliche Expertisen erstellen, in deren Rahmen
wir uns Bildmaterial eines Täters im Querschnitt angucken und zumindest eine Aussage darüber treffen können, wie tatnah er ist oder ob er in seinen Fantasien noch
tatfern ist.
Fünftens: Stellungnahme zu den hier vorliegenden Anträgen. Mit dem darin aufgegriffenen Thema sind wir natürlich nicht juristisch, sondern eher inhaltlich befasst. Die
entsprechenden Daten habe ich Ihnen gerade vorgestellt. Aus Sicht eines forensischen Psychiaters und in diesem Bereich tätigen Gutachters kann ich Sie nur in der
Auffassung unterstützen, dass etwas unternommen werden muss. Wie von Vorrednern schon dargelegt worden ist, beruht jede einzelne kinderpornografische Darstellung im Internet auf Kindesmissbrauch im eigentlichen Sinne. Jedes dieser Kinder
wird zum Opfer gemacht und erleidet erhebliche Traumatisierungen. Eine Sperrung
des Zugangs zu solchen Seiten würde ein wichtiges Signal im Sinne eines primären
und sekundären Opferschutzes bedeuten. Meines Erachtens wäre es für eine solidarische Gesellschaft nur konsequent, sich hinsichtlich der Wertschätzung von Kindeswohl zu positionieren. Auch aus meiner nicht juristischen, sondern forensischpsychiatrischen Sicht sollte man eher dem ursprünglich eingebrachten Vorschlag des
Bundeskriminalamtes folgen und möglichst eine Verpflichtung der Access-Provider
zur Sperrung entsprechender Webseiten anstreben.
Dieter Prosch (Landeskriminalamt Nordrhein-Westfalen): Seit 1995 haben wir einen stetigen Anstieg der Strafverfahren wegen Handel, Verbreitung oder Besitz von
Kinderpornografie zu verzeichnen. Im Jahr 1995 waren in der polizeilichen Kriminalstatistik NRW 153 Fälle dieser Straftaten erfasst. In den letzten vier Jahren waren es
durchgängig jeweils über 1.700 dieser Straftaten. Damit kann man von einem festen
Trend sprechen und feststellen, dass wir ein als hoch zu bezeichnendes Niveau erreicht haben. Allerdings ist die oft zitierte sprunghafte Erhöhung der Zahlen von 2006
auf 2007 kritisch zu hinterfragen, weil sie in wesentlichen Teilen auf ein umfangreiches Strafverfahren zurückzuführen ist, das – das muss man dazusagen – in einigen
Fällen auch zu Einstellungen geführt hat. Wir haben es ja in vielen Strafverfahren
damit zu tun, dass sie nicht immer erfolgreich zu Ende geführt werden können. Auch
in anderen Deliktsbereichen ist zu beobachten, dass die Zahlen explodieren, wenn
wir zu einem bestimmten Zeitpunkt ein Riesenverfahren führen und die Delikte dann
erfasst werden. Dieser sprunghafte Anstieg entspricht nicht zwingend dem festen
Trend. 2008 – diese Prognose wage ich, obwohl die Zahlen noch nicht öffentlich sind
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– werden wir zumindest in Nordrhein-Westfalen eine solche immense Steigerung sicherlich nicht erleben.
In 80 % der Straftaten, die wir in diesem Bereich bearbeitet haben, haben die Täter
das Tatmittel Internet benutzt. Gerade die kommerziellen Anbieter sind in öffentlichen
Datennetzen deutlich präsenter geworden. Es gibt kinderpornografische Werbung
über Spammails. Auch die Befassung der Medien mit diesem Thema – das ist keine
Medienschelte, sondern nur eine Darstellung – führt zu einem vertieften Interesse
und mag den einen oder anderen Neugierigen durchaus dazu veranlassen, einmal
diese Seiten aufzurufen.
Ein Grund für die Steigerung der Anzahl der Strafverfahren ist allerdings auch, dass
wir inzwischen über deutlich bessere Methoden der Auswertung verfügen. Wir stellen
regelmäßig sowohl die Datenträger als auch die Computer sicher und werten diese
aus – sowohl bezogen auf die Inhalte als auch bezüglich der Kontakte zu Gleichgesinnten. Wenn wir solche Kontakte nachweisen können – beispielsweise zwischen
Personen, die Kinderpornografie getauscht haben –, leiten wir nicht nur gegen die
Person, gegen die wir ursprünglich ermittelt haben, ein Strafverfahren ein, sondern
erweitern dieses Verfahren auch auf die anderen Betroffenen. Insofern kommt uns
die Weiterentwicklung der Auswertesoftware sehr zunutze – aber auch die verbesserte Ausbildung unserer Kolleginnen und Kollegen. Als Polizeibeamter muss man
sich ja auch sehr intensiv mit der technischen Seite befassen. Diesbezüglich haben
wir viele Erfahrungen gemacht und sind auch auf einem guten Weg.
Die Täterseite ist in technischen Fragen allerdings auch gut aufgestellt; das muss
man klar sagen. Die kommerziellen Anbieter von Kinderpornografie weisen sehr hohe Professionalisierungsgrade auf.
Über die Konsumenten von Kinderpornografie haben wir hier schon etwas gehört. Ich
fasse es einmal mit folgendem Satz zusammen: Sie stellen einen repräsentativen
Querschnitt der männlichen Bevölkerung dar – unabhängig von Alter, Herkunft, Beruf
oder Bildung.
Wie bereits geschildert worden ist, gibt es eine Reihe verschiedener technischer
Sperrmöglichkeiten, die unterschiedlich aufwendig sind; die Details habe ich in meiner Stellungnahme genauer beschrieben. Diese unterschiedlichen Sperrverfahren
sind uns noch nicht in jeder technischen Tiefe bekannt, sodass ich zum Beispiel zum
Antwortzeitverhalten einzelner Sperrmaßnahmen aus Sicht der Polizei zurzeit nichts
sagen kann.
Die Länder, die derzeit, teilweise schon seit Jahren, Sperren einsetzen, nutzen ausschließlich DNS-Sperren – mit einer Ausnahme; in Norwegen arbeitet man meines
Wissens mit einem Hybridverfahren. Diese DNS-Sperren sind nicht nur leicht zu installieren und kostengünstig, sondern verursachen auch keine Performance-Verluste.
Sie sind aber leicht zu umgehen. Anleitungen zum Umgehen solcher DNS-Sperren
finden Sie problemlos im Internet.
Kinderpornografie im Internet wird aus unserer Sicht von kommerziellen Anbietern
überwiegend aus dem osteuropäischen Raum dominiert. Wir müssen feststellen,
dass bestimmte Lücken in der Strafverfolgung im hiesigen Raum festgestellter Delik-
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te dazu führen, dass Täter sich in entsprechende Räume zurückziehen. Das trifft natürlich nicht nur auf diesen Deliktsbereich zu. Es liegt auf der Hand, dass Täter sich
immer dort am wohlsten fühlen, wo sie am wenigsten dem Repressionsdruck ausgesetzt sind.
Die Tauscher von Kinderpornografie nutzen nach unseren Feststellungen deutlich
weniger das World Wide Web und bewegen sich mehr in Newsgroups, sind Filesharer oder nutzen andere Dienste des Internets. DNS-Sperren befassen sich ausschließlich mit dem World Wide Web, würden sich also – was aus meiner Sicht
durchaus sinnvoll ist – ausschließlich gegen die kommerzielle Verbreitung richten.
Dem Zweig der anderen Dienste kann man damit nicht begegnen.
Kommerzielle Anbieter verfügen naturgemäß über ein hohes technisches Know-how.
Man wird auch auf Anbieterseite in der Lage sein, diese Sperren zu umgehen; davon
bin ich überzeugt.
Access-Blocking verhindert weitgehend, dass Personen ungewollt oder zufällig auf
Kinderpornografie stoßen, und hält vielleicht auch den einen oder anderen Neugierigen – sofern er es nicht nur als Schutzbehauptung so dargestellt hat – ab. Wer allerdings hartnäckig Kinderpornografie sucht, hat sie immer gefunden und wird auch
weiterhin Mittel und Wege finden. Insofern ist Access-Blocking, insbesondere in
Form von DNS-Sperren, ein Mittel zur Bekämpfung der Kinderpornografie im Internet, aber kein umfassendes Mittel und schon gar kein Mittel, nach dessen Etablierung wir ruhigen Gewissens sagen könnten, einen Riesenfortschritt bei der Bekämpfung von sexuellem Missbrauch an Kindern geleistet zu haben.
Die hier in Rede stehenden Straftaten weisen aus meiner Sicht auch in präventiver
Hinsicht eine Besonderheit auf. Neben der Vermittlung von Medienkompetenz an
Kinder, Eltern, andere Erziehungsberechtigte und alle sonstigen Beteiligten – dazu
gibt es bereits eine Reihe von Initiativen, sowohl außerpolizeilichen als auch unter
unserer Beteiligung – sind unseres Erachtens sämtliche Maßnahmen geeignet, die
den Schutz der Kinder zum Ziel haben. Die Täter, die aus pädophiler Neigung oder
aus kommerzieller Gewinnsucht handeln, werden wir mit diesen präventiven Ansätzen allerdings nicht erreichen können. Dazu bedarf es einer vernünftigen Strafverfolgung in Zusammenarbeit mit der Justiz und der konsequenten öffentlichen Darstellung der entsprechenden Ermittlungserfolge, damit nicht der Eindruck entsteht, man
könne sich – sei es im Internet, sei es in anderer Form – als Missbraucher zurücklehnen und seine Straftaten begehen.
Friedemann Schindler (jugendschutz.net): Als Zentralstelle der Länder ist jugendschutz.net für die Kontrolle des Internets auf Jugendschutzverstöße zuständig. Wir
betreiben eine Meldestelle, über die wir regelmäßig auf kinderpornografische Fundstellen hingewiesen werden. Wir suchen nicht aktiv nach diesen Inhalten; denn aus
unserer Sicht gehört das zur Täterermittlung, weshalb diese Aufgabe bei der Polizei
angesiedelt ist. Sämtliche Inhalte, auf die wir hingewiesen werden, geben wir aber
regelmäßig an das Bundeskriminalamt weiter. Gemeinsam mit der Freiwilligen
Selbstkontrolle Multimedia-Diensteanbieter und anderen Institutionen haben wir auch
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ein Memorandum of Understanding abgeschlossen, in dem die Zusammenarbeit mit
dem Bundeskriminalamt – die im Übrigen sehr gut funktioniert – geregelt ist.
Wir sehen unser Ziel vor allem in dem größeren Komplex der Verhinderung der sexuellen Ausbeutung. Die Kinderpornografie ist in vielfältige Weisen der sexuellen
Ausbeutung von Kindern eingebunden – von der Darstellung des sexuellen Missbrauchs bis hin zu sexuellen Übergriffen, die vor allem in den kommunikativen Diensten des Internets wie Chats oder Messengern stattfinden. Wir unterstützen die zuständigen Stellen und Diensteanbieter dabei, gegen diese Verstöße vorzugehen,
entwickeln aber unsere eigenen Aktivitäten im Vorfeld, weil wir davon ausgehen,
dass man Kinderpornografie nicht isoliert betrachten darf. Derzeit führen wir zum
Beispiel eine Boy-and-Girl-Lovers-Recherche durch. Im Internet gibt es spezielle Foren, in denen sich sogenannte Boy-Lovers und Girl-Lovers in rechtlichen Grauzonen
bewegen und ihre Vorlieben austauschen – welche Altersgruppen sie bevorzugen,
auf welches Aussehen sie stehen usw. Wie wir wissen, werden solche Boy-and-GirlLovers-Foren häufig von verurteilten Pädophilen betrieben. Außerdem gehen wir gegen sogenannte Teen-Model- oder Lolita-Sites vor, die noch keinen sexuellen Missbrauch zeigen, aber als Appetizer für Pädophile fungieren. Des Weiteren versuchen
wir, auf dem Gebiet der Chats prophylaktische Maßnahmen zu entwickeln. Zum Beispiel unterstützen wir Microsoft bei der Entwicklung eines sicheren Messengers, bei
dessen Verwendung Kinder vor Zugriffen von außen geschützt sind.
Wie wir schon gehört haben, ist vor allem im Bereich der sexuellen Ausbeutung von
Kindern eine Zunahme der Problematik zu verzeichnen. Die hier berichteten Zahlen
können wir bestätigen. Allein im letzten Jahr haben wir eine Steigerung von 25 %
festgestellt. Das bedeutet für uns, dass angesichts dieser Entwicklung und der Tatsache, dass immer jüngere Kinder kinderpornografisch dargestellt werden, die Anstrengungen gegen die sexuelle Ausbeutung von Kindern verstärkt, zusätzliche Gegenmaßnahmen ergriffen und vor allem die internationalen Kooperationen intensiviert werden müssen.
Es ist unbestritten, dass effektivere Maßnahmen als die Sperrung existieren. Dazu
gehören die gesamten Instrumente zur Täterermittlung, aber auch Maßnahmen, mit
denen man solchen Angeboten die Plattform entzieht, indem man zum Beispiel
Websites durch Host-Provider schließen lässt. Natürlich ist es auch sinnvoll, gegen
die kommerzielle Verbreitung des sexuellen Missbrauchs in der Form vorzugehen,
dass man mit Bezahlanbietern kooperiert und diesen Angeboten die finanzielle Basis
entzieht. Letzte Woche wurde bei einer Konferenz in London eine europäische Initiative zur Bekämpfung der kommerziellen Verbreitung von Kinderpornografie vereinbart. Damit wird es in Zukunft ein Modellprojekt geben, bei dem Visa, MasterCard
und PayPal mitarbeiten und ihren Teil dazu beitragen, nicht am sexuellen Missbrauch von Kindern zu verdienen. Wir selbst haben mit deutschen Bezahlanbietern
vereinbart, dass sogar im Bereich der sogenannten Posen-Angebote keine Abrechnungen mehr erledigt werden. Wenn wir solche Angebote finden, geben wir den entsprechenden Stellen Bescheid, woraufhin sie die Abrechnungen einstellen.
Die Sperrung ist aber eine zusätzliche und aus unserer Sicht wichtige Maßnahme.
Herr Maurer hat schon deutlich gemacht, dass gibt hier eine Lücke besteht. In vielen
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europäischen Ländern ist es eine Selbstverständlichkeit, dass der Zugang zu Kinderpornografie gesperrt wird.
Wie wir bereits gehört haben, sind Sperrungen auf der Ebene von Zugangsprovidern
keine Wunderwaffe. Sie können aber dazu dienen, dass durchschnittliche Nutzer
nicht oder zumindest nur unter erheblichen Schwierigkeiten auf Seiten mit Kinderpornografie gelangen. Das führt auch dazu, dass die kommerzielle Ausbeutung sexuellen Missbrauchs ein Stück weit reduziert wird. Die Nutzer sind in diesem Fall
auch Täter, weil sie den Kreislauf der kommerziellen Ausnutzung von Kindern am
Laufen halten, indem sie immer neues – und immer radikaleres – Material fordern.
Die vorliegenden Gutachten und die Erfahrungen mit den Sperren im In- und Ausland
zeigen, dass Zugriffsblockaden technisch möglich und auch vom Aufwand her zumutbar sind.
Häufig wird die Präzision des Blockings thematisiert und argumentiert, die Sperrtechniken könnten auch dazu führen, dass nicht betroffene Inhalte gesperrt werden.
Das ist aus unserer Sicht nicht richtig. Inzwischen gibt es präzise Blockadeverfahren,
die exakt die entsprechenden Inhalte blockieren. Solche Verfahren werden in anderen Ländern auch praktiziert. Beispielsweise wird in Großbritannien die Sperrliste
zweimal täglich aktualisiert. Dort kommt es nicht vor, dass Inhalte, die präsentiert
werden dürfen, von einer Sperre betroffen sind.
Ein großer Vorteil der Diskussion ist das Nachdenken über eine generelle listenbasierte Sperrpflicht für Access-Provider. Wir haben schon gehört, dass es in Nordrhein-Westfalen bereits Sperrungen rechtsextremer Angebote auf der Grundlage des
Jugendmedienschutz-Staatsvertrages bzw. des Rundfunkstaatsvertrages gegeben
hat. Solche Sperrverfügungen haben den Nachteil, dass sie wesentlich weniger effektiv sind. In jedem Einzelfall muss von jeder Landesmedienanstalt gegen jeden einzelnen Access-Provider vorgegangen werden. Jedes Mal, wenn sich ein Angebot
ändert, muss eine neue Verfügung erlassen werden. Gerade bei Kinderpornografie
ist dieses Vorgehen gänzlich ungeeignet, weil die entsprechenden Angebote maximal 50 Tage im Netz stehen. Man würde also verfahrensmäßig immer hinterherlaufen. Die generelle Verpflichtung von Access-Providern, eine gesamte Liste zu sperren, die von einer autorisierten Stelle geführt wird, wäre ein großer Fortschritt. Deswegen begrüßen wir auch den Vorstoß des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, in dem dieses Modell des listenbasierenden Sperrens favorisiert wird.
Die Kritiker argumentieren, diese Maßnahmen hätten eine geringe Wirksamkeit. Weil
wir auch im Ausland tätig sind, haben wir es in unserer Praxis ständig mit geringen
Wirksamkeiten zu tun. Wenn wir rechtsextreme Seiten aus den USA finden, haben
wir natürlich keine wirksamen Mittel, dagegen vorzugehen. Trotzdem tun wir alles,
was möglich ist. Wir schreiben die Host-Provider an und versuchen, den ContentBetreibern die finanzielle Basis zu entziehen. Das klappt nicht in jedem Fall, aber in
etwa 70 % der Fälle. Warum sollte man also nicht zu den jetzt diskutierten Möglichkeiten greifen, um mit einer Sperrung zu verhindern, dass Sammler bzw. zufällige
Nutzer auf solche Inhalte zugreifen können? Dadurch können der Vermarktungskreislauf in gewisser Weise gestört und die Perpetuierung des sexuellen Miss-
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brauchs im Internet ein Stück weit beschränkt werden. Dies wäre auf jeden Fall ein
wichtiges Signal.
Axel Stahl (Bund der Richter und Staatsanwälte in Nordrhein-Westfalen): Wenn
man als vorletzter Sachverständiger zu Wort kommt, hat man den Vorteil, dass hier
schon vieles Kluge und Richtige gesagt worden ist. Daher will ich versuchen, mich
kurz zu fassen. – Lassen Sie mich vorweg zwei positive Aspekte, die bereits angeklungen sind, noch einmal herausstellen.
Was die Repression angeht, haben wir ein durchaus taugliches und umfassendes
strafrechtliches Instrumentarium an der Hand, das geeignet ist, das Phänomen
„Verbreitung der Kinderpornografie im Internet“ sachgerecht zu bekämpfen. Wenn
sich in der Rechtsentwicklung gelegentlich offene Fragestellungen bzw. offene Flanken ergeben, ist der Bundesgesetzgeber – wie auch die unlängst erfolgte Novellierung der einschlägigen Tatbestände gezeigt hat – immer relativ rasch bereit, den
neuen Entwicklungen Rechnung zu tragen. Unter diesem Gesichtspunkt besteht aus
Sicht der Praktiker wenig Verbesserungsbedarf. Gleichermaßen gilt dies für das
strafprozessuale Instrumentarium, das uns an die Hand gegeben ist. Grundsätzlich
reichen die Möglichkeiten der Strafprozessordnung aus, um in den genannten Verfahren sachgerechte strafrechtliche Ermittlungen durchführen zu können.
Weiterhin kann man positiv feststellen, dass das für die Strafverfolgung in diesem
Kriminalitätsfeld eingesetzte Personal – das gilt sowohl für die Kollegen von der Polizei als auch für die Staatsanwälte und auch für die Richter, die diese Verfahren bearbeiten, sofern sie darauf in gewisser Weise spezialisiert sind – sehr engagiert arbeitet und im gegebenen Rahmen versucht, das Bestmögliche zu leisten. Allerdings
muss man anerkennen, dass die Tätigkeit in diesem Kriminalitätsfeld ausgesprochen
belastend ist. Vorrangig gilt das für die polizeilichen Praktiker, die die Auswertearbeit
zu leisten haben. Es kann sich wohl jeder gut vorstellen, dass es eine erhebliche
psychische Belastung mit sich bringt, wenn man sich tagtäglich mit dieser Problematik zu beschäftigen hat und tagein, tagaus solche Bilder auswerten muss. In eingeschränktem Maße gilt das aber auch für die in spezialisierten Dezernaten bei der
Staatsanwaltschaft tätigen Kollegen, die ebenfalls sehr häufig mit diesen Fragestellungen konfrontiert sind. – So weit das uneingeschränkt Positive.
Der rechtliche Rahmen ist gesetzt. Er ist sicherlich auch gut anwendbar. Im Zusammenhang mit der Frage der praktischen Umsetzung möchte ich einige hier bereits
angeklungene Punkte noch etwas verdeutlichen.
Für uns teilen sich die Nutzer, die sich mit Kinderpornografie im Internet beschäftigen, in drei große Felder auf.
Zum einen haben wir die sogenannten Gelegenheitstäter. Dabei handelt es sich um
Personen, die mitunter zufällig aus Neugier auf Kinderpornografie stoßen – aus Neugier deshalb, weil sie möglicherweise aufgrund eines exzessiven Pornografiekonsums in ihrem Sexualverhalten verwahrlost sind und einen immer neuen, immer stärkeren Kick und damit letztlich die Kinderpornografie suchen. Zu diesem Personenkreis zähle ich auch die von Herrn Prof. Osterheider Angesprochenen, die eine ge-
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wisse latente Affinität zu pädosexuellen Thematiken haben, aber vielleicht noch auf
der Kippe stehen.
Zum anderen gibt es die Gruppe der manifest pädophilen Täter, die auch mehr oder
weniger offensiv dafür werben – durch Lobbyarbeit und durch Verbreitung in Internetforen; das klang bereits an –, dass ihr sexuelles Wollen von der Gesellschaft akzeptiert wird. Häufig wird die Diskussion von dieser Seite unter Hinweis auf die Streichung des § 175 des Strafgesetzbuches, der früher die männliche Homosexualität
unter Strafe stellte, geführt und propagiert, das heutige Verbot der Sexualität mit Kindern sei auch nur ein moralinsaurer Reflex wie früher die Pönalisierung der männlichen Homosexualität. Diese manifest pädophilen Täter agieren in informellen oder
auch formellen Netzwerken. Sie nutzen die Möglichkeiten, die das Internet bietet, exzessiv – aber gerade nicht im World Wide Web, sondern in geschlossenen Benutzergruppen, in abgeschotteten Communitys, die häufig auch mit einem großen technischen Know-how betrieben werden, was es den Strafverfolgungsbehörden ausgesprochen schwer macht, dort einen Fuß in die Tür zu bekommen und erfolgreiche
Ermittlungen durchzuführen.
Beide Nutzergruppen werden von kommerziellen Anbietern bedient. Es gibt sowohl
kommerzielle Anbieter, die selbst zum Kreis der Missbraucher gehören und aus ihrer
Neigung noch ein Geschäft machen, als auch – was moralisch mindestens genauso
verachtenswert ist – rein kommerziell orientierte Anbieter, die erkannt haben, dass
man mit dem Produkt Kinderpornografie erhebliche Gewinne realisieren kann – häufig auch mit einem geringen Verfolgungs- und Aufdeckungsrisiko. Soweit wir das
nachvollziehen, sitzen die meisten Täter dieser Gruppe allerdings nicht in der Bundesrepublik, sondern – auch das wurde bereits angesprochen; da kann ich nur anknüpfen – östlich von Deutschland.
Betrachten wir nun einmal die Möglichkeiten, gegen diese drei Tätergruppen vorzugehen. Hier klang an, es sei sinnvoll, die Verfolgung der Kinderpornografie im Internet öffentlichkeitswirksam zu betreiben, um damit auch einen präventiven Effekt zu
erzielen. Das ist richtig. Gleichwohl muss man anerkennen, dass es sich bei den
meisten sogenannten Schlägen gegen die Kinderpornografie-Mafia oder gegen Kinderpornografie-Ringe, wie es in den Medien kolportiert wird, im Grunde um Ermittlungsverfahren gegen – ich darf diesen arbeitstechnischen Begriff hier einführen –
Bildertauscher handelt. Das ist der untere Rand der Fresskette. Die Bildertauscher
erhalten durch ihre Nachfrage natürlich auch das Rad der Produktion aufrecht. Letztendlich stellen sie aber nur einen kleinen Teil des Problems dar. Diejenigen, die produzieren und aktuell Kinder missbrauchen, erreichen wir durch diese Ermittlungsverfahren zwar gelegentlich, aber nicht in der Breite, die wünschenswert wäre.
An die Tätergruppe der manifest pädophilen, konspirativ tätigen Personen, durch die
sehr häufig auch der aktuelle Missbrauch stattfindet oder zumindest gesucht wird,
heranzukommen, ist für die Strafverfolgungsbehörden ausgesprochen schwierig. Das
heißt nicht, dass es unmöglich ist. Es ist aber ein erheblicher personeller und sächlicher Einsatz notwendig, um gegen sie erfolgreich zu ermitteln. Zwar bietet die Strafprozessordnung genügend Möglichkeiten, auch in diese Gruppen einzudringen. Das
ist Strafverfolgungsbehörden in Nordrhein-Westfalen in einzelnen Verfahren auch ge-
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lungen. Es wäre aber wünschenswert, diese Bestrebungen noch deutlich zu verstärken.
Wir müssen anerkennen, dass wir bei der Bekämpfung der Anbieter von kommerzieller Kinderpornografie, die im Ausland angesiedelt sind, an Grenzen stoßen. Wenn
die Strafverfolgungsbehörden der Staaten, in denen sich diese Personen und Personengruppen aufhalten, nicht kooperationsbereit sind, gibt es einfach Schranken, die
man auch nicht überwinden kann. Auf der anderen Seite betone ich ausdrücklich,
dass mit sehr vielen ausländischen Strafverfolgungsbehörden die Zusammenarbeit
ausgesprochen gut funktioniert, insbesondere in Westeuropa und im amerikanischen
Raum. Auch dort wird das Phänomen gesehen und als straf- und verfolgungswürdig
anerkannt. Leider ist das nicht überall auf der Welt so. Ich möchte aber keine einzelnen Länder herausgreifen und an den Pranger stellen.
Für einen Interessenvertreter der Richter und Staatsanwälte wirft sich auch die Frage
auf, wie es mit den personellen Kapazitäten aussieht. Ohne hier Lobbyarbeit betreiben zu wollen, stelle ich fest: Dass auch auf Grundlage der Erkenntnisse der Justizverwaltung insgesamt von einer strukturellen Überbelastung der Justiz gesprochen
werden muss, wird wohl nicht ernsthaft infrage gestellt. Wenn solche Belastungen
bestehen, ist es natürlich schwierig, die Arbeit immer so zu leisten, wie man es gerne
tun möchte. Insbesondere in den Fällen, in denen Gestaltungsmöglichkeiten bestehen, ein Verfahren zu erweitern oder es – ebenfalls nach den Vorschriften des Gesetzes – kompakt zu halten, kann sicherlich jeder nachvollziehen, dass Engagement
und Bereitschaft irgendwann auch an Grenzen stoßen. Mitunter führt das dann dazu,
dass noch denkbare Ermittlungen vielleicht nicht mehr durchgeführt werden.
Ein großes Problem aus Sicht der Justiz liegt darin, dass die technische Entwicklung,
die wir in den letzten zehn bis 15 Jahren erleben durften und die sich natürlich auch
in diesem Bereich widerspiegelt, zu einer dramatischen Vergrößerung der Datenmengen geführt hat, die im Zuge von Ermittlungsmaßnahmen sichergestellt werden
und ausgewertet werden müssen. Das dürfte jedem einleuchten. Zu Beginn des PCZeitalters galten 10 Kilobyte als großer Speicher. Heute reden wir über Gigabyte und
Terabyte. Natürlich nutzen die Tätergruppen, die häufig über bemerkenswerte ITKenntnisse verfügen, die neuen Entwicklungen. Die Möglichkeiten der Verschlüsselung des Datenverkehrs im Internet sind gewaltig. Es gibt frei verfügbare Verschlüsselungsmethoden, die nur ausgesprochen schwer und mitunter auch für die Strafverfolgungsbehörden gar nicht zu knacken sind.
Das führt dazu, dass die am Anfang der strafrechtlichen und strafprozessualen Ahndung des Besitzes und der Verbreitung von Kinderpornografie stehende Auswertung
von sichergestellten Datenmengen nach Aussage der Mitglieder unseres Bundes
mitunter sehr lange dauert – zu lange. Das ist natürlich auch ein rechtsstaatliches
Problem. Einerseits stellen wir bei Personen, gegen die wir mit diesem Tatverdacht
ermitteln, die kompletten IT-Anlagen als Tatwerkzeuge sicher. Wenn sich der Tatnachweis führen lässt, werden sie auch eingezogen. Andererseits müssen wir anerkennen, dass bis zur rechtskräftigen Verurteilung die Unschuldsvermutung gilt. Daher hat ein Beschuldigter auch einen Anspruch darauf, dass seine Computeranlage
nicht bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag sichergestellt wird.
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Nach unserer Auffassung kann man diesem Problem durch private Gutachter nur
sehr begrenzt entgegentreten. Dies sollte in staatlicher Hand geschehen, weil es sich
dabei um eine Kernaufgabe der staatlichen Daseinsvorsorge handelt. Abgesehen
von der Frage der Kompetenz privater Gutachter und den mit ihrer Beauftragung
verbundenen Kostenfragen spielt nämlich auch folgender Punkt eine Rolle: Aus jeder
Auswertung von Bildmaterial, das bei einem Tatverdächtigen sichergestellt worden
ist, können sich auch Ermittlungsansätze in Bezug auf einen derzeit aktuellen Missbrauch ergeben. Daher muss das Ganze durch die Polizei in Zusammenarbeit mit
der Staatsanwaltschaft gewogen und gewertet werden, um gegebenenfalls den akuten Missbrauch, und sei es auch nur ein Einzelfall, beenden zu können. – Aus Zeitgründen verzichte ich mit dem Ausdruck des Bedauerns auf weitere Ausführungen.
Otto Vollmers (Freiwillige Selbstkontrolle Multimedia-Diensteanbieter): Sehr
geehrter Herr Vorsitzender! Meine Damen und Herren! Ich werde versuchen, mich
kurz zu fassen und auf Punkte einzugehen, die wir noch nicht detailliert besprochen
haben.
Der Kampf gegen kinderpornografische Inhalte ist ein Thema, das schon seit Jahren
zu den Aufgabenbereichen der FSM gehört. Gemeinsam mit dem eco-Verband
betreiben wir eine Internet-Beschwerdestelle, bei der sich jedermann über Inhalte
beschweren kann, die gegen deutsches Jugendmedienschutzrecht verstoßen.
Gleichzeitig sind wir auch Teil des internationalen INHOPE-Netzwerkes, das sich die
Entgegennahme entsprechender Beschwerden auf internationaler Ebene zur Aufgabe gemacht hat, um so insbesondere gegen Kinderpornografie anzukämpfen. Auch
jugendschutz.net ist Teil dieses internationalen Netzwerkes.
Derzeit bekommt die FSM etwa achtzehnhundert Beschwerden jährlich, von denen
sich etwa ein Viertel auf kinderpornografisches Material bezieht – das heißt, ca. 450
pro Jahr.
Diese sehr signifikante Zahl hat schon vor Jahren dazu geführt, dass wir eine Kooperation mit dem BKA eingegangen sind, die Ende 2007 in eine formale Kooperationsvereinbarung von FSM, eco, BPjM und jugendschutz.net mündete. – Im Rahmen
dieser Kooperation leiten wir solche Beschwerden zu weiteren Ermittlungen zeitnah
an das BKA weiter.
Die FSM begrüßt den hier derzeit stattfindenden Diskurs über Möglichkeiten, den
Kampf gegen Kinderpornografie zu intensivieren. Wir glauben, dass eine politische
und gesellschaftliche Auseinandersetzung mit diesem Thema gewinnbringend ist, um
auf diesem Feld voranzukommen.
Die in den Anträgen angesprochenen Vorschläge einer Verpflichtung der Provider
hält die FSM für einen denkbaren Schritt. Dabei darf man aber nicht aus den Augen
verlieren, dass die fraglichen Inhalte dadurch nicht aus dem Netz verschwinden und
die Strafverfolgung – auch die internationale Strafverfolgung – sowie der Opferschutz
hier die vorrangigen Aspekte sind, die es immer zu berücksichtigen gilt.
In diesem Zusammenhang möchten wir zwei weitere Punkte unterstreichen:
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Zum einen ist bei einer gesetzlichen oder sonstwie gearteten Verpflichtung ein
rechtsstaatliches Verfahren von sehr großer Bedeutung. – Das gilt insbesondere für
die Listenerstellung: Da es sich hierbei um grundrechtsrelevante Eingriffe handelt –
Herr Dr. Frey hatte es vorhin angesprochen –, muss man besondere Vorsicht walten
lassen, um sich im Nachhinein nicht berechtigter Kritik aussetzen zu müssen.
Darüber hinaus wird man so auch mehr öffentliche Akzeptanz erreichen können: Sie
alle wissen ja aus den Medien, dass über die Sperrung von „Inhalten im Allgemeinen“ schon eine Diskussion entbrannt ist.
Weiterhin möchte ich auf die bislang noch nicht angesprochene mögliche Rückrechenbarkeit der Liste eingehen: Derzeit ist die Schaltung einer Stopp-Seite im Gespräch, auf die der Nutzer gelangt, wenn er entsprechende Inhalte aufzurufen versucht. Durch eine derartige Seite besteht die Gefahr, unter Umständen diese Listen
zurückrechnen zu können. Das wird zwar unter Umständen durch die Vorteile aufgewogen, aber wir möchten darauf hinweisen, dass dieser Umstand nochmals zu
bedenken ist.
Insgesamt hält die FSM ein solches Vorgehen für einen denkbaren Schritt. Allerdings
plädieren wir dafür, die komplexen rechtlichen Fragestellungen bereits im Vorfeld erschöpfend zu beantworten und sich die Tatsache zu vergegenwärtigen, dass die Inhalte dadurch nicht aus dem Netz verschwinden.
Der zweite Punkt, der noch nicht detailliert behandelt wurde, betrifft die sexuellen
Übergriffe im Internet, sprich: sexuelle Belästigung beispielsweise in Chat-Räumen.
Dabei ist zu betonen, dass es sich hier um zwei getrennte Bereiche handelt: Beide
sind wichtig, machen aber unterschiedliche Maßnahmen erforderlich.
Hinsichtlich der Übergriffe durch potenzielle Straftäter, beispielsweise in ChatRäumen, hat die FSM gemeinsam mit ihren Mitgliedern bereits eine Vielzahl von
Maßnahmen umgesetzt: Es wurde etwa ein Chat-Kodex erarbeitet, durch den sich
die Anbieter verpflichten, eine Ignorier-Funktion zu implementieren oder bestimmte
Kanäle zu bestimmten Uhrzeiten zu moderieren. Ferner gibt es den von Herrn
Schindler erwähnten Kinder-Messenger ebenso wie eine Suchmaschine, die nur
kindgerechte Inhalte sucht, und Unterrichtsmaterial, das schon in verschiedenen
Bundesländern zum Einsatz kommt, um auf Gefahren und Möglichkeiten aufmerksam zu machen.
Über die Existenz von Maßnahmen dieser Art, die nicht nur durch die FSM, sondern
auch durch viele andere Institutionen ins Leben gerufen werden, muss stärker aufgeklärt werden: In diesem Bereich wissen die Leute häufig nicht um die vorhandenen
Möglichkeiten, da sie auch nicht über die Gefahren informiert sind.
Trotz allem aber können diese Mittel nur im Vorfeld bei unerwünschten Kontaktaufnahmen durch potenzielle Straftäter helfen. Aber natürlich scheitern sie, wenn es um
die Verbreitung kinderpornografischer Inhalte geht und Kinder schon zu Opfern geworden sind.
Dr. Robert Orth (FDP): Einen Satz habe ich mir notiert, nämlich dass die Debatte
über dieses Thema womöglich zur Erhöhung der Fallzahlen führen könnte. - Das hof-
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fe ich natürlich nicht. Solche Themen müssen aber im politischen Raum behandelt
werden, um vielleicht in Zukunft Straftaten und Missbrauch zu verhindern.
Olaf Lehne (CDU): Sehr geehrter Herr Vorsitzender! Meine Damen und Herren! Wo
genau erkennen die Sachverständigen Defizite in den geltenden Jugendschutzbestimmungen? Sehen Sie in den Jugendschutzbestimmungen vielleicht sogar Regelungen, die die Nutzung von kinderpornografischen Internetseiten erleichtern? Und
haben Sie konkrete Änderungsvorschläge?
Harald Giebels (CDU): Sehr geehrter Herr Vorsitzender! Meine Damen und Herren!
Ich möchte die Maßnahmen der Kommission für Jugendmedienschutz ansprechen,
die Möglichkeit des Erlasses von Sperrverfügungen in der Rolle als Aufsichtsbehörde
gegen Content- und auch Access-Provider.
Wie beurteilen Sie die Arbeit bzw. die Praxis diesbezüglich? Ist eine gesetzlich verankerte Sperrverpflichtung notwendig oder können etwa vereinfachte Anforderungen
an eine Sperrverpflichtung zu einem gleichen Ergebnis führen.
Thomas Jarzombek (CDU): Sehr geehrter Herr Vorsitzender! Meine Damen und
Herren! Meine Fragen betreffen einmal die technische und einmal die rechtliche
Ebene. – Betreffend den technischen Bereich würde ich Herrn Prof. Federrath - gegebenenfalls aber auch andere Experten, die sich zu einer Antwort berufen fühlen dazu befragen, wie sich die verschiedenen Sperrmöglichkeiten auf diese sogenannten Peer-To-Peer-Tauschbörsen auswirken würden: Da dort nicht ein zentraler Server Daten anbietet, stellt sich die Frage, ob man mit DNS- oder Access-Blocking auf
IP-Ebene etwas erreichen kann und ob Sie andere Technologien dafür für geeignet
halten.
Daran schließt sich die Frage an – vielleicht kann auch Herr Schindler etwas dazu
sagen –, ob diese Peer-To-Peer-Tauschbörsen mittlerweile eine große Relevanz im
Bereich der Kinderpornografie haben. Denn – so ist es mir jedenfalls erklärt worden –
es würden zumindest die sogenannten „Heavy-User“ solche Verfahren wählen.
Das führt wiederum zu der Frage, inwieweit kinderpornografische Inhalte vor allem
zunächst für diese „Heavy-User“ produziert werden. Man weiß von der „normalen“
Pornografie, dass zunächst vieles an Material für „Heavy-User“ produziert wird und
erst in weiteren Verwertungsschritten den Weg zu anderen Börsen findet. – Hier wäre es interessant zu erfahren, ob es sich bei der Kinderpornografie ähnlich verhält.
Die juristische Frage wäre, ob Sie es, würde man sich für Access-Blocking entscheiden, für besser halten würden, einen neuen Paragrafen in das TKG einzufügen, oder
ein Sondergesetz zu erarbeiten, das ganz explizit zum Schutz vor Kinderpornografie
entsteht. Das würde möglicherweise den Vorteil bieten, nicht en passant allen weiteren Forderungen – wie sie auch gerade vom Vertreter des BITKOM, Herrn Dr. Brinkel, benannt wurden –, beispielsweise der Musikindustrie, nachkommen zu müssen.
Eine Bewertung dazu würde mich sehr interessieren.
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Frank Sichau (SPD): Sehr geehrter Herr Vorsitzender! Meine Damen und Herren!
An den Anfang meiner Ausführungen möchte ich unsere – wie auch in den vergangenen Beratungen schon gesagt wurde – nach wie vor vorhandene Offenheit und
Bereitschaft stellen, nach Reflexion und Diskussion ein gemeinsames Papier hier im
Hause zu verfassen.
Das Ganze geschieht natürlich vor dem Hintergrund eines Gesamtkonzeptes – was
hier wiederholt deutlich wurde, ohne einzelne Bausteine nennen zu wollen –, weswegen ich mich auf bestimmte Fragestellungen konzentrieren möchte:
Schon zuvor wurde von Herrn Maurer angeführt, dass Access-Blocking, auch wenn
es nur einen bestimmten Ausschnitt abdeckt, als Verpflichtung überfällig ist. Und Access-Blocking ist möglich, weil die dafür nötigen gesetzlichen wie rechtlichen Voraussetzungen vorliegen. – Das wird letztlich durch das BMJ abzusichern sein – offensichtlich ist die entsprechende Stellungnahme bisher noch nicht öffentlich gemacht worden.
Meine Frage zielt auf das ab, was Herr Dr. Federrath vorhin gesagt hat, nämlich welches der wirksamere Schritt ist. Welche gesetzlichen Innovationen – wahrscheinlich
werden sie auf Bundesebene erfolgen müssen – wären hier erforderlich?
Ferner hat Herr Prof. Osterheider sehr genau abgeschichtet von den wirklich gefährlichen Nutzern bis zu den neugierigen. Es ist deutlich geworden, dass, was Files,
Ordner und Chats betrifft, möglicherweise noch Handlungsbedarf besteht. Ich würde
darum bitten, das aufgrund der damit eventuell einhergehenden gesetzlichen
Schwierigkeiten technisch genauer zu konturieren.
In dem Gesamtzusammenhang möchte ich abrundend betonen, dass es in dieser
Anhörung exklusiv um das Thema Kinderpornografie und nicht um die Einschränkung irgendwelcher Grund- und Menschenrechte geht. Die Verhinderung von gesetzwidrigem, strafbewehrtem Verhalten nicht nur im Sinne der Strafverfolgung, sondern auch der Gefahrenabwehr sehen wir als Verpflichtung des Staates an. Natürlich
ist dabei immer wieder genau abzuwägen, wie hier schon mehrfach herausgestellt
wurde.
Monika Düker (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Vorsitzender! Meine Damen und Herren! Sehr viele der schriftlichen und mündlichen Stellungnahmen werden von der
Feststellung durchzogen, dass solche Sperrungen jederzeit technisch umgangen
werden können.
Deswegen beziehe ich mich auf das Stichwort „Wirksamkeit“: Zum einen wurde bei
dem Täterprofil zwischen dem Durchschnitts-User und dem Hardcore- bzw. dem manifesten Täter unterschieden; Letzterer würde dadurch nicht erfasst. - Zu diesem
Komplex habe ich zwei Fragen.
Einmal zu den Zahlen: Herr Prosch vom Landeskriminalamt sagt, es existierten keine
Angaben zu den verhinderten Zugriffen durch Access-Blocking in anderen europäischen Ländern. Mir liegt eine Stellungnahme des Bundesministeriums für Familie,
Senioren, Frauen und Jugend vor, nach der zum Beispiel Norwegen diese Daten statistisch erfasst, die belegen, dass auf diese Weise durchschnittlich 15.000 bis 18.000
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Zugriffsversuche pro Tag verhindert werden. – Zur Konkretisierung der Wirksamkeit
wäre interessant zu wissen, in welcher Größenordnung Zugriffe dadurch bei uns verhindert werden könnten.
Die zweite Frage zum Thema Wirksamkeit: Herr Prosch hatte in seiner Stellungnahme ausgeführt, wie das Acces-Blocking operationalisiert werden soll, sprich: Wenn
wir es anwenden, muss es auch jemanden geben, der diese Sperrlisten führt, aktualisiert bzw. ständig überarbeitet und den Providern zur Verfügung stellt.
Vorausgesetzt, das Verfahren hätte den Umfang wie in den anderen Ländern, die es
schon anwenden: Wie würden Sie es für Nordrhein-Westfalen operationalisieren?
Wäre das Landeskriminalamt die dafür zuständige Stelle und was bedeutet dieser
Aufwand für das Personal? Lässt sich das „nebenbei“ erledigen? – Wir sind als Land
ja nicht nur zuständig für die Justiz-, sondern auch für die Polizeiausstattung und
müssen unsere Behörden entsprechend mit Personal- und Sachmitteln versorgen.
Was brauchen wir an Ressourcen, um diese Maßnahmen tatsächlich umzusetzen?
Die letzte Frage bezieht sich auf das Thema „Prävention/Strafverfolgung“: Es wurde
deutlich gemacht, dass Access-Blocking ein Mittel zur Prävention und nur bei einem
eingeschränkten Täterkreis wirksam anwendbar ist. Mich interessiert – Herr Stahl ist
in seinen Ausführungen über Strafverfolgung und Strafprozessordnung etwas diffus
geblieben, meint aber wohl, es gäbe diesbezüglich genug Instrumente, aber strukturell fehle es hier und da –, welchen konkreten Handlungsbedarf es zur Verbesserung
der Strafverfolgung, um präventiv nicht nur an die Nutzer am Ende der Kette, sondern auch an die Anbieter heranzukommen, gibt.
Otto Vollmers (Freiwillige Selbstkontrolle Multimedia-Diensteanbieter e.V.):
Hinsichtlich der Änderung von Jugendschutzgesetzen, sprich: JMStV und JuSchG,
geht es bei dem, worüber hier und auf Bundesebene derzeit gesprochen wird, um einen anderen Ansatz. Hier geht es heute darum, über die Schaffung einer gesetzlichen Grundlage zu sprechen, um unter Umständen Access-Sperrungen durchzusetzen.
Die gibt es in dem Maße bis dato nicht. Über eine komplizierte Verkettung im Rundfunkstaatsvertrag bzw. im JMStV verfügt die Kommission für Jugendmedienschutz
nur über die Möglichkeit, einzelne Sperrungsverfügungen zu erlassen.
Das ist natürlich – und dahin ging auch die zweite Bemerkung hinsichtlich der Maßnahmen der KJM – etwas anderes, als Listen zu sperren, die eine viel größere Menge an Inhalten umfassen. Es unterscheidet sich auch von der Qualität her, etwas
über Provider sperren zu lassen, als wenn eine Behörde im Rahmen einer Einzelmaßnahme an einen Provider herantritt und die Sperrung bestimmter Inhalte veranlasst.
Insofern lautet die Frage hier eher, ob man die gesetzliche Grundlage für die Sperrung größerer Listen schaffen möchte und inwieweit das sinnvoll ist. Ich glaube aber
nicht, dass es angebracht wäre, Entsprechendes im JMStV zu verankern – zumindest nicht in der Form, wie es aktuell auf Bundesebene besprochen wird.
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OStA Axel Stahl (Bund der Richter und Staatsanwälte in Nordrhein-Westfalen):
Ich würde gern auf die Fragen von Frau Düker eingehen. Das Umgehen der Sperren
– das ist absolut richtig gesagt worden – kann geschehen. Gleichwohl kann man dadurch, dass diese Inhalte mit Sperren nicht mehr so leicht wie bisher zu erreichen
wären, sicherlich eine ganze Menge Leute davon abhalten, sie zu nutzen.
Wir beschäftigen uns da mit einem Kriminalitätsbereich mit einem unglaublich großen
Dunkelfeld, was seriöse Angaben ausgesprochen erschwert.
Man kann natürlich Parameter feststellen, die Rückschlüsse zulassen. Sie haben
Zahlen aus Norwegen genannt. Ich habe Studien gelesen, die davon ausgehen, dass
ca. 3% der männlichen Bevölkerung latent oder tatsächlich pädophil sind. Das heißt
nicht, dass jeder diese Neigung dann auch irgendwann auslebt. Aber – das wurde
vorhin sehr gut dargelegt – es geht mit dieser Affinität wohl die Suche nach solchen
Inhalten einher.
Wenn man das auf die Bundesrepublik hochrechnet, wäre auch da schon eine ganz
erhebliche Fallzahl erreicht, die wir durch Sperrung verhindern könnten. – Jeder, der
sich mit der Praxis des Internets beschäftigt, weiß, dass dort sehr viele Inhalte sexualbezogen und auch explizit pornografischer Natur sind. Und die Verhinderung eines
jeden einzelnen Zugriffs lohnte sich schon.
Die zweite, sicherlich etwas heiklere Frage – nicht zu Unrecht haben Sie gesagt, ich
sei diesbezüglich etwas diffus geblieben –, betraf die Personalausstattung. Dazu
muss man vielleicht ein kleines bisschen weiter ausholen:
Derzeit werden die meisten Verfahren in Sachen „Verbreitung von Kinderpornografie“
von Kollegen bearbeitet, die in den Jugendabteilungen sowie Jugendschutz- und
Frauenschutzabteilungen der Staatsanwaltschaften tätig sind, da letztlich nur dort eine Spezialisierung stattfindet. Bei den Gerichten jedoch gibt es keinen Richter für
Verfahren wegen des Besitzes und der Verbreitung von Kinderpornografie.
Um die Ebene der von mir so bezeichneten „Bildertauscher“ abzuarbeiten, ist das
auch absolut sachgerecht und hinreichend. Allerdings werden die Kollegen dabei zunehmend mit neuen Aufgaben konfrontiert, wozu ich gerne ein Beispiel ausdeuten
möchte:
Die von mir bereits angesprochene Novellierung der Vorschriften zur Kinderpornografie hat ein Jugendpornografie-Verbot mit sich gebracht, das heißt, die SchutzAltersgrenze ist von 14 auf 18 Jahre hochgesetzt worden.
Das zu tun, war für den Bundesgesetzgeber sicherlich nahezu unvermeidbar, weil es
sich dabei um die Umsetzung von europarechtlichen Rahmenrechtsetzungen gehandelt hat. Aber Sie können sich vorstellen, dass sich die dadurch zu bewältigenden
Fallzahlen natürlich ganz erheblich erhöhen werden, weswegen es zu überlegen gilt,
wie dieser zusätzliche Arbeitsaufwand mit den gleichen Ressourcen zu leisten ist.
Aus der Mehrbelastung durch weitere Verfahren folgt zwangsläufig, dass für die Bekämpfung des Kernbereichs, der eigentlichen Kinderpornografie, einfach weniger Arbeitskapazität bleibt.
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Für die Antwort, was strukturell vielleicht zu ergänzen oder zu verbessern wäre, kann
man auf Erfahrungen zurückgreifen, die wir hier in Nordrhein-Westfalen sammeln
durften:
Vielleicht könnte man diese Problematik – auch außerhalb der von mir zuvor beschriebenen Abteilung – mit in die Abteilungen hineinziehen, die Erfahrung mit der
Bekämpfung organisierter Kriminalität haben und dieses strafprozessuale Instrumentarium besser zu handhaben wissen.
Das soll keine Kritik an den anderen Kollegen sein, die natürlich auch das Recht
kennen. Aber in jedem Kriminalitätsbereich muss man sich besondere Kompetenzen
aneignen. Wer im Kinder- und Jugendschutz tätig ist – oder auch bei der Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen –, der muss besondere Fertigkeiten und Sensibilitäten besitzen, wenn es um die Vernehmung geht. Da niemand alles perfekt kann, sind
dafür die Stärken in anderen Aufgabengebieten vielleicht nicht ganz so ausgeprägt.
Von daher wäre es bestimmt ein bedenkenswerter Ansatz, die Kriminalitätsbekämpfung in diesem Feld auch in den Bereich der organisierten Kriminalität hineinzutragen. Denn – und da werden mir die polizeilichen Experten sicher zustimmen – bei
der kommerziellen Verbreitung handelt es sich um organisierte Strukturen, die
durchaus eine solche Zuwendung verdienen.
Es hat in der Vergangenheit sogar im Generalstaatsanwaltschaftsbezirk Düsseldorf
ein großes Verfahren bei einer Behörde gegeben, wo mit diesen Maßnahmen mit
sehr gutem Erfolg in eine geschlossene Gruppe hineinoperiert worden ist.
Das beweist, dass man mit den entsprechenden Ansätzen – deswegen habe ich
auch betont, dass das grundsätzliche strafprozessuale Instrumentarium ausreichend
ist – erfolgreich vorgehen kann. Allerdings leiden auch die OK-Abteilungen grundsätzlich nicht unter zu wenig Arbeit, sondern sind schon jetzt gut ausgelastet.
Letztlich ist es auch eine Frage der politischen Entscheidung, inwieweit man Ressourcen für diesen Bereich freisetzen, gegebenenfalls auch ergänzend schaffen
möchte.
Friedemann Schindler (jugendschutz.net): Ich fühle mich durch die Frage bezüglich der gesetzlichen Änderungsmöglichkeiten angesprochen. Hier ist zwischen zwei
Aspekten zu trennen.
Erstens besteht eine Notwendigkeit zur Sperrung durch eine listenbasierte, generelle
Sperrpflicht für Zugangs-Provider. Es gibt unterschiedliche Möglichkeiten der genaueren Umsetzung; uns wäre nur wichtig, dass es gemacht wird.
Zum zweiten Bereich, der sexuellen Belästigung, hat Herr Vollmers schon von den
Selbstverpflichtungen seitens der Chat- und Community-Betreiber berichtet. Das
Problem ist, dass diese Selbstverpflichtung nur von einem kleinen bzw. dem eher seriösen Teil der Anbieter unterschrieben worden ist. Hier wäre zu diskutieren, ob es
längerfristig nicht zu einer gesetzlichen Fixierung von Mindeststandards kommen
müsste, welche durch die Betreiber solcher Plattformen einzuhalten wären.
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Zur Frage der KJM-Erfolge lässt sich sagen, dass sie vielleicht ein Stück weit Erfolge
in puncto der Suchmaschinen für sich verbuchen kann – wobei das aber eigentlich
eher der Erfolg der FSM gewesen ist:
Die deutschen Suchmaschinen-Betreiber haben sich im Rahmen einer Selbstverpflichtung dazu bereit erklärt, die Liste der Bundesprüfstelle zu berücksichtigen. Das
heißt, alle Angebote, die auf dieser Liste der Bundesprüfstelle stehen, werden von
den deutschen Suchmaschinen aus ihrem Index gelöscht. Das ist ein Riesenfortschritt gewesen, weil man damit einfach sicherstellen kann, dass besonders qualifizierte, unzulässige Angebote nicht länger in den deutschen Suchmaschinen gefunden werden. – In Bezug auf die Kinderpornografie hilft das aber wenig, weil man diese über Suchmaschinen kaum finden dürfte: Da muss man intensiver einsteigen, als
einfach Google anzuwerfen und entsprechende Begriffe einzugeben.
Dieses Modell haben wir und die KJM auf das Feld der Kinderpornografie zu übertragen versucht. Das heißt, wir haben jahrelang gefordert, dass sich die Anbieter
freiwillig dazu verpflichten, auch Kinderpornografie zu sperren, und die Liste in dem
Fall vom BKA geführt werden sollte.
Dazu hat es, wie schon gesagt, zwei Gutachten sowie zwei Gespräche mit der FSM
und eco gegeben. Wenn ich das letzte Gespräch richtig interpretiere – gegebenenfalls kann mich Herr Vollmers korrigieren –, haben die FSM und eco ausgeschlossen,
dass man in dieser Frage zu einer freiwilligen Vereinbarung kommt. Daraus folgt: Eine Sperrung kann nur auf der Grundlage einer gesetzlichen Verpflichtung stattfinden.
Zur Frage der Peer-to-Peer-Netzwerke und Tauschbörsen: Das ist aus meiner Sicht
richtig. Natürlich nutzen die Hardcore-Nutzer solche Dienste, um Daten auszutauschen und an kinderpornografisches Material – aber auch an Darstellungen von Verletzungen der Menschenwürde und ähnliche Dinge, mit denen wir uns auseinandersetzen – heranzukommen. In diesem Bereich haben Access-Sperrungen überhaupt
keine Wirkung. Daher sind sie bei solchen Diensten kein geeignetes Mittel. Allerdings
ist es insgesamt schwierig, überhaupt Möglichkeiten zu finden, die dort getauschten
Inhalte zu kontrollieren.
Zur Frage der Wirksamkeit: Zahlen liegen nicht nur aus Norwegen vor, sondern auch
aus Schweden. In Schweden werden täglich 50.000 Zugriffe blockiert. Von Kritikern
werden diese Zahlen aber infrage gestellt. Sie weisen darauf hin, dass es in Schweden oder Norwegen einen anderen Kinderpornografie-Begriff gebe und möglicherweise auch andere Inhalte von diesen Sperrungen betroffen seien.
Zur Führung der Sperrliste: Diese Aufgabe müsste aus unserer Sicht auf jeden Fall
vom BKA wahrgenommen werden, weil das BKA als Zentralstelle für Deutschland
den Überblick über sämtliche kinderpornografischen Inhalte hat und daher auch am
besten entscheiden kann, welche Maßnahme im jeweiligen Einzelfall die geeignete
ist – ob ein Angebot sinnigerweise in eine Sperrliste eingebracht wird oder ob man
mit anderen Methoden dagegen vorgeht.
Otto Vollmers (Freiwillige Selbstkontrolle Multimedia-Diensteanbieter): Entschuldigung, dass ich mich einschalte. Darf ich kurz auf Herrn Schindler replizieren,
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um etwas richtigzustellen? Es geht um den Termin mit der Kommission für Jugendmedienschutz – KJM – und die freiwillige Bereitschaft der Anbieter, hier Sperrmaßnahmen durchzuführen.
Dazu möchte ich Folgendes sagen: Bei dem Gespräch mit der KJM ging es explizit
nicht nur um kinderpornografische Inhalte, sondern auch um jugendgefährdende Inhalte nach § 4 Abs. 1 Jugendmedienschutz-Staatsvertrag. Dazu zählt beispielsweise
auch die Verwendung von verfassungsfeindlichen Kennzeichen etc. Unter § 4 Abs. 1
finden sich elf Nummern. Das ist also ein sehr weites Feld. Vor diesem Hintergrund
sehen wir es als problematisch an, hier eine Verpflichtung auf Access-Ebene zur
Sperrung von Angeboten anzudenken. Diese Ausweitung halten wir auch rechtlich
für heikel, und zwar aus folgendem Grund: Bei Kinderpornografie kann man im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung aufgrund der drastischen Inhalte und der
Schwerstkriminalität durchaus zu dem Schluss kommen, dass eine Rechtfertigung
gegeben ist, wenn das Verfahren entsprechend ausgestaltet wird. So sieht es die
FSM. Das gilt aber nicht zwingend für andere Inhalte. – Deswegen plädieren wir dafür, hier Vorsicht walten zu lassen. Das war auch der Grund für das Ergebnis dieses
Gesprächs.
Gestatten Sie mir noch einen knappen Hinweis zu den Suchmaschinen. Es ist richtig,
dass die Suchmaschinen die in der Liste der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende
Medien aufgeführten Seiten in ihren Ergebnislisten unterdrücken. Das ist Teil einer
Selbstverpflichtung, die von den Suchmaschinenbetreibern, die bei der FSM Mitglied
sind, getragen wird. Auch hier ist aber ein Unterschied zu verzeichnen; denn es geht
nicht darum, die Provider zu verpflichten, auf Access- und Netzebene Inhalte zu
sperren – was eine ganz andere Eingriffsintensität bedeutet –, sondern darum, dass
die Suchmaschinen als Diensteanbieter einzelne Ergebnisse in ihren Trefferlisten
nicht anzeigen. Das ist etwas ganz anderes. Wenn Sie die URL direkt eingeben, erreichen Sie die entsprechende Seite trotzdem. Das mag man gut oder schlecht finden. Von der Eingriffsintensität her ist das jedenfalls ein erheblicher Unterschied, der
die rechtliche Bewertung natürlich komplett verändert. Wir als FSM möchten noch
einmal betonen, dass wir die Diskussion um die Sperrung auf die Kinderpornografie
beschränkt sehen und diese Beschränkung aus den genannten rechtlichen Gründen
auch für sinnvoll erachten.
Dieter Prosch (Landeskriminalamt Nordrhein-Westfalen): Ich gehe zunächst auf
die Frage von Frau Düker ein. Wie Herr Stahl schon gesagt hat, haben wir es auch
mit einer rechtlichen Änderung zu tun. Bei der Verfassung der rechtlichen Rahmenbedingungen, die europäisches Recht aufgenommen haben, was das Verbot der Jugendpornografie betrifft, ist leider der Begriff „unter 18 Jahren“ durchgerutscht. Wie
sich das zahlenmäßig genau auswirken wird, kann ich Ihnen heute noch nicht sagen,
weil dazu bisher nichts Einschlägiges vorliegt. Dafür ist diese Rechtsänderung noch
zu neu.
Zu der Frage, wer die Sperrlisten führen sollte, ist Folgendes festzustellen: Das
hängt von den rechtlichen Rahmenbedingungen ab. Wenn die gesetzliche Verpflichtung durch den Landesgesetzgeber erfolgt und die haftungsrechtliche Frage geklärt
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ist, könnte dies theoretisch auch auf Landesebene erfolgen, und zwar durch das LKA
als Zentralstelle. Sinnvoll wäre aus meiner Sicht aber eine bundesweite Regelung.
Damit wäre logischerweise – ohne dass ich den Ball jetzt schon weiterwerfen will –
das BKA betroffen, was aus meiner Sicht auch allein im Interesse einer Einheitlichkeit der Überprüfung sinnvoll wäre. Wenn man Hinweise auf entsprechende Darstellungen bekommt, muss man ja bewerten, ob es sich dabei um Kinderpornografie
handelt oder nicht. Dabei sollte man schon einen einheitlichen Maßstab anlegen.
Man kann ja nicht in eine aufwendige Altersverifikation eintreten, wenn diese nicht
automatisiert durchgeführt werden kann, um dann nach einer Bewertung, die unter
Umständen Monate dauert, weil sie gutachterlich erfolgen muss, die Seite zu sperren. Damit wäre das Ziel nicht erreicht. Hier muss also mit sehr hoher fachlicher
Kompetenz und mit einheitlichem Maßstab reagiert werden. Das kann nur von einer
zentralen Stelle aus erfolgen.
Sie haben auch gefragt, wie wir besser an die Anbieter herankommen. Dort muss
man aus meiner Sicht differenzieren.
Um die Tauscher können wir uns kümmern. Bei uns tut das die ebenfalls in meinen
Verantwortungsbereich fallende Zentrale Internetrecherche. Vertieft möchte ich darauf nicht eingehen. Auch die Tauscher sollten sich aber nicht unbedingt sicher fühlen. Aufgrund eigeninitiativer Ermittlungen haben wir gegen solche Personen im letzten Jahr 177 und in diesem Jahre bereits 383 Strafverfahren wegen Verbreitung von
Kinderpornografie eingeleitet.
Dieser Ansatz trifft auch diejenigen, die auf der Basis eigener Produktionen tauschen, also Darstellungen selbst vollzogener Missbräuche anbieten, um von Gleichgesinnten dafür andere Materialien zu bekommen.
Die Bekämpfung der kommerziellen Anbieter erfordert einen anderen Ansatz. Bei der
Ermittlung des physikalischen Standortes bewegen Sie sich regelmäßig im Bereich
der internationalen Rechtshilfe. Das ist schon eine große Schwierigkeit. Wenn kommerzielle Angebote von einem deutschen Anbieter vorliegen, geht es nach der örtlichen Zuständigkeit. Dann würden wir natürlich auch versuchen, dazwischenzukommen. Allerdings ist die Frage, ob Sie den Weg zwischen demjenigen, der tatsächlich
Datenbesitzer ist – er wird in der Regel natürlich keinen deutschen Server nutzen –,
und demjenigen, der den Server betreibt, auf dem die Daten physikalisch lagern,
nachvollziehen können. Hier wäre es deutlich sinnvoller, über die Zahlungswege zu
gehen – was man, wie eben angesprochen worden ist, auch schon erfolgreich praktiziert hat.
Was bedeutet das für die Belastung des Personals des Landeskriminalamtes? – Wir
sind mit verschiedenen Dienststellen in diesem Bereich tätig; Herr Stahl hat es schon
erwähnt. Wie ich in meiner Stellungnahme geschildert habe, haben wir auch ein größeres Verfahren geführt, und zwar nicht in der Auswertestelle Kinderpornografie oder
in der Zentralen Internetrecherche, sondern in der Ermittlungsabteilung. In diesem
Zusammenhang ist natürlich auch die Auswertestelle Informations- und Kommunikationstechnik – sprich: für Computer, für die technische Seite – bedient worden. Der
Personalansatz, der damit befasst ist, ist also relativ groß – je nach Intensität des
Verfahrens. Die Fallzahlenentwicklung habe ich Ihnen dargestellt.
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Jürgen Maurer (Bundeskriminalamt): Lassen Sie mich den Versuch einer Klarstellung verschiedener Punkte unternehmen. – Wir haben ein umfangreiches strafprozessuales Instrumentarium; Herr Stahl hat es angesprochen. Dieses Instrumentarium
ist aus meiner Sicht ausreichend. Wir wenden in diesem Zusammenhang übrigens
auch Instrumente wie die Quellen-TKÜ an; die Insider werden wissen, worum es sich
handelt. Zielrichtung dabei ist natürlich nicht, den Besitzer von Kinderpornografie zu
verfolgen, sondern die Verfolgung des Herstellers und des Kindesmissbrauchers.
Das tun wir im In- und im Ausland. Wir nehmen Missbraucher und Produzenten fest.
Bei diesen Maßnahmen sponsern wir ausländische Dienststellen, in Sonderheit in
Südostasien. Aufgrund der Themenstellung dieser Anhörung will ich jetzt nicht intensiv auf diese vielfältigen Initiativen eingehen. Sie sind manchmal erfolgreich. Wir
schaffen es aber eher, Tausende von Besitzern von Kinderpornografie festzunehmen.
Zur Frage des Access-Blockings: Die Problematik betrifft nicht deutsche Domains;
das sind unsere Erfahrungen. Daher funktioniert es nicht, einen Zugangsprovider mit
einer Sperrverfügung davon abzuhalten, den Zugang zu kinderpornografischen Seiten zu gewähren. Wenn der Content-Provider in Deutschland sitzt, brauchen wir keine neuen Regularien. Alle deutschen Content-Provider arbeiten offensiv mit und reagieren sofort. Bei dem Access-Blocking geht es also ausschließlich um ausländische
Domains – ausschließlich. Das liegt daran, dass wir nicht darauf setzen können,
dass ausländische Dienststellen – egal, was dort öffentlich bekundet wird – in einem
ausreichenden Maße mitarbeiten.
Zur Frage der rechtlichen Zulässigkeit: Rechtlich zulässig ist das derzeit diskutierte
Konstrukt eines Vertrages zwischen dem Bundeskriminalamt und einzelnen InternetService-Providern. Es ist geprüft worden, ob die Internet-Service-Provider auf einer
Liste überlieferte Informationen vom Bundeskriminalamt annehmen und in Sperraktivitäten umsetzen können. Dazu gibt es bezogen auf die DNS-Ebene die von mir angesprochene Auskunft der Ministerien. Weitergehende, sinnvollere Sperrmaßnahmen wären nach der derzeitigen Rechtslage nicht möglich. Deswegen brauchen wir
ein zweigleisiges Vorgehen. Zum einen müssen Verträge mit den Internet-ServiceProvidern geschlossen werden, um zumindest die Effekte zu erzielen, die beispielsweise in Schweden, in Norwegen und in England mit 35.000 geblockten Zugriffen pro
Tag erreicht werden. Da das nicht ausreichen wird und auch nicht genug ist, um den
kommerziellen Sektor nachhaltig zu stören, sind weitere Maßnahmen erforderlich.
Was bedeutet das? – Im Rahmen der Festlegung der gesetzlichen Eckpunkte für ein
Gesetz zur Zugangserschwerung im Bereich Kinderpornografie wird natürlich auch
Folgendes zu diskutieren sein: Wo ist der Standort dieses Gesetzes? Wohin gehört
es? Gehört es beispielsweise in den Bereich der Wirtschaftsgesetzgebung? Oder
muss es ein Sondergesetz sein?
In diesem Zusammenhang wird mit reflektiert werden müssen, welche Maßnahmen
wirksam sind. Es wird doch wohl kein deutscher Parlamentarier in einem Gesetz eine
Maßnahme festlegen wollen, die von allen technischen Fachleuten als wenig wirksam betrachtet wird. Also wird genau dies der Punkt sein. Gesellschaftlich wird es
nur um die Frage gehen, ob diese wirksamen Maßnahmen in diesem Gesetz sinn-
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vollerweise so zu formulieren sind. Das Ganze kann niemals so aussehen wie die
Vereinbarungen, die wir derzeit mit den Internet-Service-Providern treffen. Sie sind –
ich habe es vorhin angedeutet – allenfalls als der kleinste gemeinsame Nenner, der
aber dennoch Wirkung entfaltet, zu sehen.
Zur Frage der Listen: Bereits die hier geführte Diskussion hat gezeigt, dass sogenannte Kollateralschäden eintreten können. Das heißt, dass das Sperren von Seiten
Folgen mit sich bringen kann, die nicht erwünscht sind. Dazu muss es Haftungsregelungen geben. Im Übrigen ist es aus meiner Sicht schlicht undenkbar, dass in
16 Bundesländern nach gleichen Kriterien Überlegungen angestellt werden, ob eine
Seite gesperrt wird oder nicht und welche Folgen das hat. Wir legen in den Verträgen
auch die Haftungsregelungen fest. Das BKA wird für die Folgen einstehen, die sich
daraus ergeben, dass die Domain-Namen, die als mit kinderpornografischem Inhalt
belastet betrachtet werden, gesperrt werden. Wir werden das Ganze auch dokumentieren müssen. Das bedeutet bestimmte Erfordernisse. Beispielsweise brauchen wir
eine Zuständigkeit. Unstrittig haben wir sie aus § 2 BKA-Gesetz. Wir brauchen aber
auch eine Privilegierung in Bezug auf § 184b Strafgesetzbuch dahin gehend, dass
wir mit kinderpornografischem Material umgehen dürfen und für den Fall der gerichtlichen Nachprüfung die Dokumentation liefern können. Alle diese Fragestellungen
sind hier zu diskutieren.
Aktuell sind wir so weit, dass wir am Montag mit der Deutschen Telekom in Vertragsverhandlungen eingestiegen sind, heute mit Kabel Deutschland verhandeln und am
Donnerstag mit Vodafone verhandeln werden. Die sieben größten deutschen Internet-Service-Provider decken etwa 95 % des Marktes ab. In Bezug auf Prävention ist
das immer ein wichtiger Punkt. Man kann nicht alles präventieren, muss aber die
Ambition haben, eine größtmögliche Wirkung zu entfalten. Der Erfolg hängt von der
Maßnahme ab. Er hat aber auch etwas mit der Bereitschaft zu tun, einzusteigen. Das
war mit dem Hinweis, das sei überfällig, gemeint. Eines ist allerdings ebenfalls klar –
das haben die Redebeiträge auch gezeigt –: Es gibt noch einen großen Diskussionsbedarf darüber, welche Bereiche letztlich berührt sind und wie sich die Gesellschaft
dazu stellt, also ob man das tun will oder nicht.
Zur Frage der Ausbildung: Ich persönlich könnte definitiv nicht in diesem Bereich arbeiten. Wir haben die Regelung geschaffen, dass die dort eingesetzten Mitarbeiter
nach bestimmten Zeiten mit anderen Aufgaben betraut werden müssen. Außerdem
haben wir eine Supervision eingeführt, damit wir sehen, was eigentlich mit ihnen
passiert. Es spricht sich so locker über diese Themen. Das sind aber manifeste Gewalttätigkeiten. Wie hier schon beschrieben worden ist, geht es auch um Säuglinge.
Das Alter der Betroffenen wird immer niedriger. Die Formen werden immer üppiger.
Es finden Produktionen auf Bestellung statt.
Das ist der kommerzielle Aspekt. Man muss versuchen, diesen Markt auszutrocknen
– aber selbstverständlich mit wirksamen Maßnahmen. Darauf muss man sich in einem gesellschaftlichen Konsens verständigen. Vor dem derzeitigen gesetzlichen Hintergrund ist auch aus Sicht der Bundesregierung nur DNS-Blocking möglich – auf der
Basis, wie wir sie beschrieben haben. Wir werden diese Liste erstellen. Für uns ist es
kein Problem, bereits nächste Woche eine solche Liste vorzulegen. Sie wird etwa
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1.000 + Einträge umfassen; nach oben gibt es keine Grenze. Dann muss geklärt
werden, in welcher Art und Weise man damit umgeht, welche personellen Regelungen man trifft und wie man die Sicherheit der Übermittlungswege gewährleisten
kann.
Ein weiterer, ganz wichtiger Punkt ist die Stopp-Seite. Wie will ich denn präventive
Wirkung entfalten, wenn derjenige, der im Internet nach kinderpornografischen Inhalten sucht, nicht das Signal bekommt, dass er auf dem Weg dorthin ist, sondern nur
die Fehlermeldung: „keine Verbindung“? Präventive Wirkung kann ich bei demjenigen, der geneigt ist, aber noch nicht über den Jordan gegangen ist, nur entfalten,
wenn ich ihm sage: Stopp! Und falls du ein Problem mit diesem Stoppzeichen hast,
weil du Aktivist im Pädophilenbereich bist, melde dich doch beim BKA und diskutiere
darüber.
Das sind essenzielle Punkte. Im Übrigen ist es auch erforderlich, die Wirksamkeit mit
statistischen Aussagen überprüfen zu können. Selbstverständlich muss es möglich
sein, statistische Daten zu generieren, um festzustellen, zu welchen Zeiten welche
Seiten aufgerufen worden sind. Das alles muss in eine gesetzliche Regelung einfließen.
Prof. Dr. Michael Osterheider (Leiter der Abteilung für Forensische Psychiatrie
und Psychotherapie der Universität am Bezirksklinikum Regensburg): Ich fühle
mich nicht direkt angesprochen und will deswegen auch nur kurz ergänzend Stellung
nehmen. Insbesondere möchte ich auf die Fragestellung von Frau Düker – Stichwort:
Täterprofil – eingehen und die Ausführungen von Herrn Stahl und Herrn Maurer vervollständigen.
Nach meiner Wahrnehmung hat es hier im Raum für etwas Erstaunen gesorgt, als
Herr Stahl von 3 % Prävalenz gesprochen hat. Diese Zahl ist vielleicht etwas hoch
gegriffen. Auf diesem Gebiet gibt es aktuelle, neue Studien – insbesondere des Kollegen Prof. Beier von der Berliner Charité, der sich intensiv mit der Behandlung von
pädophilen Tätern befasst hat und über sehr gute Daten verfügt. Herr Beier geht von
einer gesicherten Datenlage von 1 bis 2 % Prävalenz pädophil orientierter Männer in
der Gesamtbevölkerung aus. Das ist nicht die Gruppe derjenigen, mit denen wir es
hier beim Thema Internet zu tun haben. Bei den Nutzern von Kinderpornografie handelt es sich ja nicht nur um Pädophile. Wirkliche Pädophile, die eine mehr oder weniger fixierte abweichende sexuelle Orientierung auf Kinder haben, machen einen Anteil von 1 bis 2 % der Bevölkerung aus. Da von dieser krankhaften Störung weit über
90 % Männer und kaum Frauen betroffen sind, ist davon auszugehen, dass es in
Deutschland 400.000 bis 800.000 Betroffene gibt, die kernpädophil und primär sexuell auf Kinder orientiert sind.
Die neueren Erhebungsweisen in der sogenannten forensischen Epidemiologie ergeben, dass man diesen Faktor der Prävalenz im Bereich Kinderpornografie noch
um das Fünffache erhöhen muss, um die Zahl der Täter zu erhalten, die zunächst
einmal Interesse haben, sich kinderpornografischer Darstellungen zu bedienen und
sie sich intensiver anzuschauen, aber eben nicht pädophil sind. Damit gibt es eine
Prävalenz von 2 bis 4 Millionen männlichen Nutzern solcher kinderpornografischen
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Inhalte. Das sind keine hochgetriebenen Zahlen, sondern Ergebnisse exakter wissenschaftlicher Berechnungen.
(Monika Düker [GRÜNE]: Wie lassen sich diese potenziellen Nutzer denn
abschrecken? Das ist ja die Frage!)
– Abschrecken? Das hat Herr Maurer schon ganz deutlich gesagt. Wie ich bereits erklärt habe, bin ich kein Jurist und kann auch nicht beurteilen, was hier technisch
möglich ist. Wichtig ist aber, ein psychologisches Zeichen zu setzen. Nirgendwo stellt
eine übergroße Toleranz in dem Maße eine Eintrittspforte dar wie bei der Kinderpornografie; denn – Herr Stahl hat es erwähnt – die Täter professionalisieren sich natürlich und sehen jegliche Laxheit der Gesellschaft im Umgang mit diesem Thema als
Basis einer gesamtgesellschaftlichen Diskussion über die Frage, ob nicht vielleicht
auch sexuelle Handlungen an Kindern legitimiert werden sollten. Auch aus forensisch-psychiatrischer und therapeutischer Sicht kann es hier nur ein Zero-TolerancePrinzip geben. Gerade die Nutzer solcher Seiten, die eine sexuelle Nähe zu Kindern
verspüren, aber noch nicht pädophil sind, können mit solchen Maßnahmen und
Warnhinweisen möglicherweise noch aufgeweckt werden. Mehr können wir damit
nicht erreichen. Das ist aber sehr wichtig.
Dr. Dieter Frey (Rechtsanwalt): Offensichtlich gibt es eine breite Übereinstimmung
in der Sache. Kinderpornografie soll bekämpft werden – sogar mit dem Mittel von
Zugangsbeschränkungen zum Internet. Die große Frage ist nur – das kam auch bei
dem Statement von Herrn Maurer zum Ausdruck –: Brauchen wir dafür ein Gesetz?
Oder können wir das in einem gesetzesfreien Raum auf der Basis eines öffentlichrechtlichen Vertrages machen? – Das ist letztendlich der konkrete Knackpunkt der
aktuellen Diskussion. Herr Maurer argumentiert, DNS-Sperren seien kein Eingriff ins
Telekommunikationsgeheimnis. Das sehen wir und andere anders. Ich möchte jetzt
nicht das Papier der Bundesministerien kritisieren, das er zu den Akten gereicht hat
und das auch im Internet verfügbar ist. Dieses Papier ist aber mit relativ heißer Nadel
gestrickt und berücksichtigt nicht einmal die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Online-Durchsuchung.
Jürgen Maurer (Bundeskriminalamt): Einen Satz muss ich dazu sagen. Dieses
Papier berührt nur eine vertragliche Regelung zwischen BKA und Internet-ServiceProvidern. Darin wird lediglich untersucht, ob durch diese vertragliche Regelung, die
zu einem Austausch von Listen und Sperrverfügungen führt, irgendwelche Rechtskreise berührt sind. Das ist jetzt nicht die Meinung von Herrn Maurer und auch nicht
mit einer heißen Nadel gestrickt – insoweit muss ich die Bundesministerien ein bisschen in Schutz nehmen –, sondern rekurriert genau auf dieses Problem. Es geht
nicht um die allgemeine rechtliche Zulässigkeit von Access-Blocking. Dieser Punkt –
das wird auch in der Bundesregierung gesehen – muss in ein Gesetzgebungsverfahren münden. Dazu habe ich doch gesagt, dass dieser Diskussionsprozess läuft.
Vorsitzender Dr. Robert Orth: Entschuldigung, Herr Maurer; eigentlich hat Herr
Dr. Frey das Wort.
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Dr. Robert Orth (FDP): Weil er nun schon einmal unterbrochen worden ist, möchte
ich Ihren Ausführungen allerdings Folgendes entgegensetzen – damit ist dieses
Thema dann aber auch erledigt –: Natürlich kann eine staatliche Stelle sich nicht
nach dem Motto „Das regeln wir auf privater Ebene mit Verträgen“ von ihren Aufgaben zurückziehen. Das ist selbstverständlich staatliches Handeln und unterliegt auch
der Frage, ob man verfassungsgemäß handelt oder nicht. Ob das in diesem Einzelfall der Fall ist, möchte ich dahinstehen lassen. Gleichwohl ist das, was Herr Dr. Frey
gesagt hat, in der Theorie natürlich durchaus ein Punkt, den Sie zu beachten haben.
Dr. Dieter Frey (Rechtsanwalt): Ja. – Zudem sind Access-Provider auch einfachgesetzlich zur Respektierung des Telekommunikationsgeheimnisses nach § 88 Telekommunikationsgesetz verpflichtet. Verstöße sind strafrechtlich sanktioniert. Auch
vor diesem Problem stehen die Access-Provider. Selbstverständlich tun wir etwas
Sinnvolles, wenn wir den Zugang zu Kinderpornografie sperren. Allerdings wird – ich
sage es einmal ein bisschen provokant – die Rache des kleinen Mannes sein, bei
Herrn Stahl Strafantrag gegen den Access-Provider wegen Verletzung des Telekommunikationsgeheimnisses nach § 206 Strafgesetzbuch zu stellen. Darum bedarf
es aus meiner Sicht einer ganz klaren, sauberen gesetzlichen Regelung, um für Access-Provider hier Sicherheit zu schaffen.
Herr Jarzombek, ich halte eine sondergesetzliche Regelung für den richtigen Schritt
– gerade um den Ausnahmecharakter zu unterstreichen, weil Kinderpornografie so
etwas Schlimmes ist, das wir deutlich bekämpfen wollen.
Herr Sichau, Sie sprachen in diesem Zusammenhang von einer gesetzeswidrigen,
strafbewehrten Handlung. Auch Urheberrechtsverletzungen sind gesetzeswidrige,
strafbare Handlungen. Auch der Verstoß gegen das Glücksspielrecht ist eine gesetzeswidrige, strafbare Handlung. Von daher müsste man in irgendeiner Weise eine
Qualifizierung der Verstöße einarbeiten. Kinderpornografie qualifiziert sich selbstverständlich für diesen Schritt. Wir müssen aber Kriterien dahin gehend entwickeln, wie
wir dorthin kommen. Das kann aus meiner Sicht nur ein Gesetz leisten – und nicht
eine, wie auch immer geartete, privatrechtliche Vereinbarung.
Zur Sperrliste: Das BKA ist sicher gut platziert, zu recherchieren und eine Sperrliste
zusammenzustellen. Für mich sind rechtsstaatliche Absicherungen solcher Sperrlisten allerdings ein wichtiger Aspekt. Viele der hier anwesenden Experten saßen mit
mir vor einem Monat bei einer Anhörung in Berlin zusammen. Dort wurde – ich kann
das nicht überprüfen – die Aussage getroffen, dass es sich nur bei einem Teil der in
den Sperrlisten enthaltenen Seiten tatsächlich um Kinderpornografie handele. Deswegen brauchen wir eine Kontrolle der Exekutive durch die Judikative. Das entspricht
nun einmal unserem rechtsstaatlichen Verständnis. Ich kann mir nicht vorstellen,
dass eine Strafverfolgungsbehörde allein darüber entscheidet, welche Inhalte aus
dem Internet weggesperrt werden und welche nicht.
Prof. Dr. Hannes Federrath (Lehrstuhl Management der Informationssicherheit,
Universität Regensburg): Lassen Sie mich fünf inhaltliche Punkte ansprechen und,
wie bei Informatikern üblich, einen nullten Punkt voranstellen. – Punkt null. Auch ich
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gehöre zu den üblichen Verdächtigen, die vor einem Monat schon einmal als Sachverständige bei einer Anhörung waren. Ich bin sehr angetan davon, dass sich alle
bewegen. Der Sachverstand steigt allgemein. Das finde ich ganz toll.
Punkt eins. Herr Maurer hat es deutlich gemacht; diese Aussage muss meines Erachtens noch einmal unterstrichen werden: Wenn wir über das Blockieren von Inhalten reden, meinen wir damit insbesondere und eigentlich ausschließlich ausländische
Server; denn nach dem Telemediengesetz ist es problemlos möglich, jeden Inhalt auf
einem deutschen Server ohne weitere gesetzliche Regelung sofort zu sperren. An
dieser Stelle gibt es auch keine Wahlfreiheit. Das muss so gemacht werden. Es geht
also um die Sperrung von Inhalten, die für uns nicht für eine direkte Sperrung der
Festplatte des Servers erreichbar sind. Durch alles, was wir in Bezug auf das Blockieren gerade besprechen, können wir lediglich eine Zugangserschwerung erreichen.
Punkt zwei. Eine Frage lautete, ob es eine gesetzliche Sperrverpflichtung geben sollte oder nicht. Darauf antworte ich mit einem ganz klaren Ja. Eine gesetzliche Sperrverpflichtung schafft Rechtssicherheit. Ich bin allerdings dagegen, eine listenbasierte
Sperrpflicht gesetzlich zu verankern. Gesetze sollen technikneutral sein. Eine listenbasierte Sperrverpflichtung wäre aber keine technisch neutrale Gesetzgebung. Das
Ganze kann man dann vielleicht durch Richtlinien oder Ähnliches regeln. Der Bund,
der hier zuständig sein dürfte, sollte aber bitte nicht in ein entsprechendes Gesetz hineinschreiben, dass eine Sperrliste geführt wird. Das ist nur ein möglicher Weg von
vielen.
Punkt drei. Eine DNS-Sperre schadet nichts. Sie nützt aber auch nichts. Das habe
ich hier bereits dargestellt und vor vier Wochen auch schon einmal gesagt. Man kann
sie trotzdem einführen. Als erster Schritt und als Signal ist das auch völlig in Ordnung.
Punkt vier. Wie soll man mit den Sperrlisten umgehen, wenn man sich denn dafür
entscheidet? – Man muss sich darüber im Klaren sein, dass die Geheimhaltung einer
solchen Sperrliste auf Dauer unmöglich ist. Sie wird irgendwann öffentlich werden –
entweder durch sogenanntes Reverse Engineering oder weil jemand nicht ordentlich
gearbeitet hat, sodass die Liste versehentlich an die Öffentlichkeit gelangt ist. Neben
den Sperrlisten gibt es die alternative Möglichkeit des inhaltsbasierten Filterns mittels
Hashwerten. In diesem Fall existieren keine Listen, die Rückschlüsse auf die eigentlichen Inhalte zulassen würden. Insoweit ist diese Maßnahme mit Blick auf die Sekundärrisiken auf jeden Fall die ungefährlichere. Während ich hier saß, habe ich im
Übrigen auch etwas dazugelernt. Mir kommen Ideen, wie man auch eine IP-basierte
bzw. DNS-basierte Sperrliste so gestalten könnte, dass sie nicht so leicht an die Öffentlichkeit geraten kann, weil noch eine Hürde eingebaut ist. Vielleicht – das richtet
sich jetzt nicht an Sie als Ausschuss, sondern an die andere Seite – laden die Herren, die mit dieser Frage befasst sind, mich zu einem ihrer nächsten Treffen ein.
Dann können wir gerne darüber reden.
Punkt fünf. Lassen Sie mich die Frage, ob es bezogen auf Peer-to-Peer-Netze Sperrmöglichkeiten gibt, kurz und knapp ganz radikal wie folgt beantworten: DNS-Sperren
sind bei Peer-to-Peer-Netzen völlig wirkungslos. Eine IP-basierte Sperrung wirkt.
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Proxy-basierte Ansätze, gelegentlich auch als Hybridansätze bezeichnet, sind wirkungslos. Die von mir eben angesprochene Hashwert-basierte Methode, die bisher
wenig diskutiert wird, wirkt.
Dr. Guido Brinkel (Bundesverband Informationswirtschaft, Telekommunikation
und neue Medien): Zunächst möchte ich einen Punkt ansprechen, auf den noch
nicht eingegangen wurde, nämlich die Rolle der Kommission für Jugendmedienschutz – KJM – oder generell Defizite im Jugendmedienschutzrecht.
Aus Sicht der KJM ist der Kampf gegen Kinderpornografie im Internet
selbstverständlich zu begrüßen. Es handelt sich aber um einen Bereich,
der außerhalb der Zuständigkeit der KJM und außerhalb des Jugendmedienschutzes liegt.
Das ist nicht meine Auffassung, sondern in dem im Februar 2009 erschienenen Halbjahresbericht der KJM für das zweite Halbjahr 2008 auf Seite 17 so niedergelegt.
Wir halten diese Einschätzung für richtig; denn man muss sich den Unterschied zwischen dem klassischen Jugendmedienschutz und dem hier diskutierten Thema klarmachen. Der im Jugendmedienschutz-Staatsvertrag angelegte Jugendmedienschutz
dient in allererster Linie dem Schutz von Jugendlichen als Konsumenten und Rezipienten von Medieninhalten. Darum geht es bei der hier geführten Diskussion nicht
vordergründig. Zumindest unter Zugrundelegung des Ansatzes von Frau von der
Leyen, der es auch um den generellen Opferschutz geht, also um Fälle, in denen
Kinder tatsächlich Opfer von Straftaten werden, wäre das Jugendmedienschutzrecht
und damit die KJM nicht der richtige Anker. Dann müsste man tatsächlich prüfen, ob
dies möglicherweise im Sinne der allgemeinen Präventionsarbeit im Rahmen der
Strafverfolgung bundesgesetzlich zu verankern ist. Inzwischen sieht die KJM das offenbar genauso. Insofern will ich nur auf diesen Hintergrund hinweisen.
(Monika Düker [GRÜNE]: Wo sollte es denn dann verankert werden?)
– In einem eigenständigen Gesetz; oder wo auch immer. Dazu komme ich noch.
Wichtig ist nur Folgendes: Natürlich ist es nicht ausgeschlossen, dass Kinder auch
als Rezipienten solcher Inhalte betroffen sind. Unter diesem Fokus wurde dieses
Thema bisher allerdings nicht diskutiert. Der Jugendmedienschutz-Staatsvertrag hat
aber die Zielrichtung des Schutzes von Kindern und Jugendlichen als Rezipienten
von Medieninhalten. Das sollte man sich einfach einmal bewusst machen. Insofern
will ich jetzt auch nicht unbedingt von Defiziten im Jugendmedienschutzrecht sprechen. Es handelt sich nun einmal um unterschiedliche Materien. Diese Differenzierung scheint mir wichtig zu sein.
Etliche Fragen bezogen sich auf die Wirksamkeit. Vieles ist schon gesagt worden.
Mir war neu, dass bei Peer-to-Peer-basierten Diensten IP-Sperren wirksam sind. Da
hätte ich noch Erklärungsbedarf. Das ist aber eher eine Frage an den Techniker.
Generell will ich in Bezug auf die Wirksamkeit noch einmal darauf hinweisen, dass
die noch infrage kommenden Sperren – also IP-basierte Lösungen, Proxy-basierte
Lösungen und Hybridlösungen – natürlich auch Umgehungsmöglichkeiten bieten.
Diese sehen ein wenig anders aus als bei DNS-Sperrungen. Verallgemeinernd kann
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man sagen, dass die Nutzung von Anonymisierungsdiensten eine relativ große
Chance bietet, sämtliche technischen Maßnahmen letztlich zu umgehen. Ich gebe
Herrn Maurer recht, dass DNS-Sperrungen hier vom Schutzniveau her an der niedrigsten Stelle anzusiedeln sind. Man sollte sich aber vor Augen halten, dass auch
andere Maßnahmen umgehbar sind.
Insofern muss man sich klarmachen – ich teile völlig die Auffassung von Herrn
Prosch –, dass man mit solchen Sperrungen lediglich Zufalls- und Gelegenheitsnutzer vom Aufruf der entsprechenden Seiten abhält. Ab der in seiner Stellungnahme
niedergelegten Kategorie C wird man mit allen diesen Maßnahmen wahrscheinlich
keinen allzu großen Erfolg haben. Ein professionell agierender Täter dürfte eher dahin gehend sensibilisiert werden, verstärkt Anonymisierungsdienste zu nutzen. Das
hat auch Auswirkungen auf die Ermittlungsarbeit; denn in der Folge ist er nicht mehr
so leicht zu identifizieren, wie das bisher möglicherweise der Fall ist. Der Erfolg solcher Sperrungen wird sich also vermutlich darauf beschränken, dass man Gelegenheitsnutzer und Zufallsnutzer abhält. Dieses Ziel sollte man auch niederlegen.
(Monika Düker [GRÜNE]: Das sind ja schon einige!)
– Richtig. – Lassen Sie mich an dieser Stelle auch auf Ihre Frage nach den Zahlen
eingehen. Wir können die Zahlen nicht verifizieren. Ich will sie aber auch gar nicht infrage stellen. Man muss allerdings berücksichtigen, was überhaupt hinter diesen
Zahlen steckt. Nach meinen Informationen kommen Abrufe nicht zuletzt auch durch
Spammails, die entsprechende Links enthalten, zustande. Aufgrund solcher Spammails gelangen möglicherweise auch Nutzer, die nicht die konkrete Intention haben,
solche Inhalte aufzurufen, auf solche Seiten. Diese Zugriffe würde man durch entsprechende Sperrungen abfedern.
Die Zahlen der Blockings sagen aber überhaupt nichts über die Auswirkungen von
Sperrungen auf den kommerziellen Markt aus. Dazu gibt es nach unseren Informationen auch im Ausland keinerlei Studien. Deswegen lautet eine unserer zentralen
Forderungen in Bezug auf das weitere Vorgehen: Wenn man ein Gesetz in dieser
Richtung schafft, sollte man das Ganze auch evaluieren, und zwar bezüglich des Erfolgs solcher Maßnahmen hinsichtlich des Opferschutzes und der Täterermittlung.
Dazu liegen nämlich keine Erfahrungen vor. Die vorliegenden Zahlen über die Blockings betreffen nicht diesen Aspekt. Von daher könnte man damit in Deutschland
gegebenenfalls auch das Problem gewisser empirischer Defizite lösen.
Zu den Peer-to-Peer-Börsen brauche ich nichts mehr zu sagen.
Gestatten Sie mir nun noch einige Anmerkungen zu den rechtlichen Fragen. Beginnen möchte ich mit der Aussage von Herrn Sichau, dass rechtswidrige und strafbewehrte Handlungen Gegenstand solcher Maßnahmen sein sollten. Damit kommt man
allerdings in einen gefährlichen Bereich; denn dann ist man nicht nur beim Urheberrecht …
(Frank Sichau [SPD]: Das war abstrakt gemeint!)
– Okay. Dann würde ich das unterstreichen wollen. Hier muss man sicherlich abschichten; denn auch Beleidigungen im Internet sind strafbewehrt. Dann kommt man
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plötzlich in ganz andere Gefilde, in denen auch die Meinungsfreiheit eine Rolle spielt.
Allein mit dem Anker Strafrecht wird man sicherlich keine sinnvolle Begrenzung hinbekommen. An dieser Stelle bedarf es anderer Anker und auch noch einer anderen
und intensiveren Diskussion.
In Bezug auf die Führung der Sperrliste möchte ich auf einen Aspekt eingehen, der
noch nicht angeklungen ist. Das Ganze steht zusätzlich auch im Kontext zum Telemediengesetz. Hier wurden verschiedene gesetzestechnische Lösungen diskutiert.
Vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend wurde ganz zu
Beginn einmal eine Regelung im Telemediengesetz vorgeschlagen. Das halten wir
für völlig falsch, weil das Telemediengesetz ein Querschnittsgesetz ist, das auch die
gerade angesprochenen anderen Bereiche wie zum Beispiel die Haftung für Urheberrechtsverletzungen beinhaltet. Damit würde man also per se eine breite Ausdehnung dieser Maßnahmen verankern. Deswegen lautet unser Plädoyer: Wenn man
ein Gesetz anstrebt – was sicherlich sinnvoll ist –, sollte man sich für eine klare spezialgesetzliche Regelung entscheiden, die deutlich macht, dass die entsprechenden
Regelungen auf einen spezifischen Bereich beschränkt sind.
Als der größte Kollateralschaden ist die Veröffentlichung der Sperrliste genannt worden. Gerade bei Verwendung einer Stoppseite wird man aufgrund der Möglichkeiten
von Reverse Engineering eine zumindest partielle Veröffentlichung der Liste nicht
verhindern können. Dazu bedarf es nicht irgendwelcher Lücken bei den Behörden
oder den Providern. Über eine automatisierte Abfrage, bei der man herausfindet,
wann die Stoppseite erscheint, kann man die Liste zu einem gewissen Prozentsatz
regenerieren. Dessen muss man sich bewusst sein. In anderen Ländern sind die
Sperrlisten auch auf anderen Wegen bekannt geworden. Die Listen aus Dänemark
und aus Thailand sind zirkuliert. Wenn man den listenbasierten Ansatz wählt, wird
man irgendwann auch eine gewisse Zirkulation hinnehmen müssen; darüber muss
man sich klar sein.
Für die Provider ist wichtig, dass sie in einem solchen System ein technischer
Dienstleister sind – in Kooperation mit den Strafverfolgungsbehörden. Das beinhaltet
vor allen Dingen, dass sie am besten überhaupt keinen Zugriff auf die Inhalte der Liste haben. Dieser Zugriff sollte nicht notwendig und im besten Falle auch gar nicht
möglich sein. Insofern ist der Ansatz von Herrn Federrath, das Ganze über Hashwerte zu verschlüsseln, aus Sicht der Provider klar unterstützenswert. Sie sehen sich,
wie gesagt, als technische Dienstleister. Alles andere ist aus ihrer Sicht rechtlich
auch gar nicht möglich. Im Telemediengesetz ist nämlich das Verbot allgemeiner
Überwachungspflichten niedergelegt. Sobald die Provider selber nach entsprechenden Inhalten suchen müssten, würden sie diesem auch europarechtlich fixierten Verbot zuwiderhandeln.
Werner Jostmeier (CDU): Erstens. Herr Maurer und Herr Stahl haben deutlich auf
die Defizite im internationalen Bereich und den dort bestehenden Handlungsbedarf
hingewiesen. Was müsste aus Ihrer Sicht seitens der Europäischen Union in diesem
Zusammenhang getan werden, was wir als Landtag über den Bundesrat möglicher-
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weise auf den Weg bringen können? Ich weiß, dass das ein sehr weites Feld sein
kann, wäre aber für einige Stichworte dankbar.
Zweitens. Ich habe heute einer Pressemitteilung der EU-Kommission vom 5. März
2009 entnommen, dass die Europäische Union jährlich 427.000 € für Aktivitäten gegen den Missbrauch bereitstellen will. Damit soll eine sogenannte Koalition gestärkt
werden, die aus Polizei, Finanzdienstleistern, Internetanbietern und zivilgesellschaftlichen Organisationen besteht, darunter MasterCard, Microsoft, Visa usw. In der Folge soll es nicht mehr möglich sein, Kinderpornografie per Kreditkarte oder sonstigen
Zahlungssystemen aus dem PC heraus zu bezahlen. Ist Ihnen diese Initiative bekannt? Was halten Sie davon? Geht sie weit genug?
Drittens. Sehr geehrte Experten, ich möchte Ihnen auch namens des Hauptausschusses herzlichen Dank dafür sagen, dass Sie uns bei dieser Thematik zur Verfügung stehen, und darf Ihnen sowie dem Rechtsausschuss versichern: Alles, was wir
vom Hauptausschuss im Zusammenhang mit Medien- und Europapolitik zur Unterstützung dieser Aktivitäten tun können, wollen wir gerne tun.
Gerd Stüttgen (SPD): Herr Stahl und Herr Prosch, Sie haben das Ressourcenproblem angesprochen. Wir haben also zu wenige Staatsanwälte und zu wenige Ermittlungsbeamte, die sich mit diesem Thema beschäftigen können – oder zumindest zu
wenige, um diese Problematik mit der gebotenen Intensität anzugehen. In diesem
Zusammenhang lautet meine konkrete Frage: Wie viele Ermittlungsbeamte und wie
viele Staatsanwälte fehlen aus Ihrer Sicht in Nordrhein-Westfalen bei dieser Fragestellung?
Herr Maurer hat geschildert, dass die in diesem Feld eingesetzten Ermittlungsbeamten des BKA regelmäßig einer Supervision unterzogen werden und nach einigen
Jahren im Rahmen einer Jobrotation ausgetauscht werden, weil die psychischen Belastungen so groß sind. Herr Stahl und Herr Prosch, geschieht das mit den auf Landesebene betroffenen Staatsanwältinnen und Staatsanwälten bzw. Ermittlungsbeamtinnen und -beamten auch?
Ich hatte mir eine Frage nach der besseren Ausnutzung des Strafprozessrechts notiert. Diese Frage haben Sie aber weitestgehend beantwortet.
Herr Prosch und Herr Stahl, welche konkreten organisatorischen Mängel sehen Sie
in der gegenwärtigen Struktur der Zusammenarbeit der Kriminalitätsverfolgungsbehörden und der Strafverfolgungsbehörden in Nordrhein-Westfalen? Wie könnte hier
die Zusammenarbeit verbessert werden bzw. was könnte organisatorisch zur Verbesserung der Effizienz getan werden?
Wir haben eben festgestellt, dass ein großer Teil der Straftaten aus dem Ausland,
insbesondere aus Osteuropa, zu uns herüberschwappt. Wie stellt sich in NordrheinWestfalen die Zusammenarbeit mit ausländischen Strafverfolgungsbehörden konkret
dar?
Dr. Anna Boos (SPD): Herr Osterheider, wenn es Männern leicht gemacht wird, ihren pädosexuellen Neigungen nachzugehen, ist die Gefahr groß, dass sie das auch
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tun werden. Das ist uns sehr deutlich gemacht worden. In dem Augenblick, in dem im
Internet einfache Möglichkeiten bestehen, ist die Gefahr groß, dass sie sie auch nutzen werden. Die Zahlen derjenigen, die möglicherweise gefährdet sind, mögen vielleicht unterschiedlich sein. Es scheinen aber doch eine ganze Menge zu sein. Insofern würde man sich eine Möglichkeit nehmen, wenn man darauf verzichtete, sie an
dieser Stelle zu stoppen. Wenn es andere Möglichkeiten präventiver Maßnahmen
gäbe, bräuchte man ein solches Stoppen unter Umständen aber gar nicht. In diesem
Zusammenhang frage ich Sie: Gibt es vielleicht auf einer ganz anderen Ebene die
Möglichkeit, dafür zu sorgen, dass Männer sich besser schützen können und nicht
diesen Neigungen nachgehen?
Dr. Robert Orth (FDP): Als letzten Fragesteller habe ich mich für meine Fraktion auf
die Wortmeldeliste gesetzt. – Erstens. Sie haben heute mehrfach erwähnt, dass in
anderen europäischen Ländern bereits solche Listen existieren. Mich interessiert, auf
welcher Rechtsgrundlage diese Listen eingeführt worden sind. Ich wüsste nämlich
gerne, wie andere westeuropäische Demokratien diese Problematik gelöst haben.
Zweitens. Hatten die Sperren in den Ländern, in denen diese Listen existieren, bereits Auswirkungen auf die Fallzahlen oder nicht? Wenn man bei uns ein solches Instrument erwägt, wäre es ja auch wichtig, einmal zu schauen, wie sich so etwas in
anderen europäischen Ländern in der Realität überhaupt ausgewirkt hat.
Drittens. Bisher haben wir auf der staatlichen, gesetzlichen Ebene diskutiert. Was
halten Sie von der Möglichkeit, Vertragsstrafen für die Nutzer kinderpornografischer
Darstellungen vorzusehen? Dieser Vorschlag richtet sich weniger gegen die kommerziellen Anbieter als vielmehr gegen diejenigen, die sich diese fürchterlichen Bilder herunterladen. Das müssen sie ja über ihre eigenen Internetanschlüsse tun. Man
könnte doch versuchen, zu erreichen, dass die Internet-Provider, die Anbieter von
Telekommunikationsdiensten und möglicherweise auch die Kreditkartengesellschaften folgende Bestimmung in ihre Allgemeinen Geschäftsbedingungen aufnehmen:
Wer meine Dienstleistungen nutzt, um sich kinderpornografische Inhalte zu verschaffen, muss eine pauschale Vertragsstrafe in Höhe von 10.000 € zahlen. – Diesen Gedanken will ich nur einmal in den Raum werfen. Wird jenseits der Frage der strafrechtlichen Verantwortlichkeit, die ohnehin immer dazukommt, auch eine solche Regelung diskutiert, um die Täter zusätzlich zivilrechtlich zu treffen? Anderswo schützen sich Private schließlich ebenfalls gegen eine missbräuchliche Nutzung ihrer
Dienste. Auch dort sind Vertragsstrafen gang und gäbe.
Dr. Guido Brinkel (Bundesverband Informationswirtschaft, Telekommunikation
und neue Medien): Zur Rechtssituation in anderen Ländern: Finnland hat nach
rechtlicher Prüfung eine gesetzliche Grundlage geschaffen, weil man sich dort nicht
in der Lage gesehen hat, das Ganze lediglich auf Basis eines Vertrages durchzuführen. In den anderen Ländern ist es auf freiwilliger Basis geschehen. Soweit ich weiß,
gibt es dort auch keine spezifische Rechtsgrundlage für die Ermittlungsbehörden, die
die Listen erstellen. Allerdings kenne ich den dahinter stehenden Rechtsrahmen
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nicht. Man kann aber sagen, dass in diesen Ländern das Fernmeldegeheimnis nicht
in der gleichen Ausprägung gilt, wie wir es in Deutschland kennen.
Zu den Auswirkungen auf die Fallzahlen: Damit haben Sie eine richtige Frage gestellt. Ich habe schon anzudeuten versucht, dass dazu keine Studien existieren. Es
gibt nur die Zahl der Blockings. Das hängt auch damit zusammen, dass man sich in
den anderen Ländern bewusst dafür entschieden hat, die blockierten Zugriffe nicht
zur Ermittlung konkreter Täter zu nutzen. Es werden also keine Logdaten derjenigen,
die versuchen, solche Seiten aufzurufen, gespeichert und an die Strafverfolgungsbehörden weitergeleitet; denn man argumentiert, darunter seien so viele Zufallstreffer,
dass dies zu einem Schrotschussinstrument werde, das man gar nicht beabsichtige.
Im Übrigen besteht wohl auch im Rahmen der hier in Deutschland geführten Diskussion Konsens darüber, dass das nicht als zweiter Schritt gewollt ist. Insofern ist die
Frage der Fallzahlen ein schwieriger Punkt. Meines Wissens existieren aber auch
keine allgemeinen empirischen Studien über die Auswirkungen dieser Maßnahmen.
Deswegen lautet eine klare Forderung von uns, eine solche Evaluierung für den
deutschen Raum vorzusehen, wenn man so etwas einführt.
Zu den von Ihnen vorgeschlagenen Vertragsstrafen: Etwas Ähnliches kennt man aus
dem Urheberrecht. Beispielsweise sind in Frankreich als Sanktionen zwar keine Vertragsstrafen vorgesehen, aber Account-Sperrungen. Aus dieser Diskussion sind auch
die zahlreichen rechtlichen Hürden bekannt. Das Ganze hat nämlich auch datenschutzrechtliche Implikationen. Schließlich muss man irgendwo die Daten der Betroffenen matchen. Generell halte ich es für ein bisschen gefährlich, zu glauben, dass
man zivilrechtlich ein paralleles Sanktionssystem installieren könne. Darauf liefe es ja
hinaus. Ich frage mich auch, ob man wirklich noch eine zivilrechtliche Keule braucht,
wenn man die Nutzer tatsächlich identifizieren kann und an sie herankommt. Dann
reicht meines Erachtens das strafrechtliche Drohinstrumentarium aus. Das größere
Problem ist ja, sie überhaupt zu finden. Die Ermittlungsbehörden stehen auch vor der
Schwierigkeit, die schiere Masse zu bewältigen.
Prof. Dr. Hannes Federrath (Lehrstuhl Management der Informationssicherheit,
Universität Regensburg): Ich habe nur zu der möglichen Vertragsstrafe etwas anzumerken. Lassen Sie mich Folgendes vorwegschicken: Wenn man nach wirkungsvollen Sperren im Internet sucht, sollte man einmal einen Blick nach China werfen.
Die wissen, wie so etwas geht. – Die Sperrung des Internetanschlusses kann ich mir
durchaus als geeignete Maßnahme vorstellen – ähnlich wie den zeitlich befristeten
Entzug des Führerscheins. Ob Vertragsstrafen sinnvoll sind, weiß ich nicht. Ich halte
es aber durchaus für eine interessante Arbeitsthese, dass man damit auch etwas erreichen kann.
Dr. Dieter Frey (Rechtsanwalt): Ich kann auch nur etwas zu den Vertragsstrafen
sagen. Aus meiner Sicht sind sie – aus den von Herrn Brinkel bereits genannten
Gründen – nicht geeignet. Dies würde ja voraussetzen, dass der Access-Provider
den Datenverkehr seiner Nutzer kontrollieren müsste. Das widerspricht allem, was
wir von den Access-Providern bisher kennen. Man kann so etwas wollen und es an-
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ders regeln. Dann müsste man aber sehr intensiv diskutieren, ob man diesen Weg
wirklich gehen will. Wenn man die Nutzer kennt, sollte man sie der strafrechtlichen
Verfolgung zuführen.
Prof. Dr. Michael Osterheider (Leiter der Abteilung für Forensische Psychiatrie
und Psychotherapie der Universität am Bezirksklinikum Regensburg): Frau
Dr. Boos, Sie haben gefragt, ob es alternative Präventionsmöglichkeiten gibt. Ja, die
gibt es. In diesem Zusammenhang muss man sich aber noch einmal die Realisierungsmöglichkeiten vor Augen halten. Mit Ihrer Fragestellung haben Sie ja mit die
Frage aufgeworfen, warum bisher weitgehend unauffällige oder zumindest nicht
straffällige Männer durch das Beschäftigen mit diesem Material zu Tätern werden.
Das muss man auch einmal hinterfragen. Die Antwort lautet: Weil es so gut wie keine
Schwelle gibt. Dieses Material ist frei verfügbar. Ins Internet kann jeder gehen. Es
gibt also einen niedrigschwelligen Zugang. Mit der zunehmenden Beschäftigung
kommt es dann zu einem Verlust des Realitätsbezuges – nach dem Motto: Wenn
andere sich auch so etwas angucken und ich mich mit ihnen austausche, können
meine Ideen gar nicht so deviant sein, wie ich vorher gedacht habe. – Das führt zu
einer sozialen Enthemmung, zu einer immer stärkeren Beschäftigung damit und aufgrund des zunehmenden Verlusts der Realitätskontrolle dann auch zu tatnäheren
Handlungen. Diese Dynamik ist im Internet relativ leicht zu erreichen.
Alternative Behandlungsmodelle können natürlich nur komplexer ansetzen. Beispielsweise müsste man therapeutisch aufarbeiten, warum sich ein Mann, der primär
vielleicht normal und heterosexuell orientiert ist, plötzlich durch so etwas ansprechen
lässt und dann in einen Sog gerät. In diesem Zusammenhang gibt es bundesweit eigentlich nur eine vernünftige Initiative, und zwar die des von mir bereits zitierten Kollegen Prof. Beier von der Berliner Charité. Die meisten von Ihnen erinnern sich wahrscheinlich an seine mit großen Mitteln – interessanterweise privaten und nicht öffentlichen Mitteln; Letztere hat er nämlich nicht bekommen – aufgemachte Werbekampagne „Kein Täter werden“, die in verschiedenen Medien – Fernsehen, Werbespots
usw. – dargeboten wurde. Diese Kampagne hatte insofern einen hohen Erfolg, als
dass sich eine nicht erwartete Anzahl von behandlungswilligen pädosexuell orientierten Männern gemeldet hat – was aber dazu führte, dass Herr Beier mit seinen Mannen und Frauen das Ganze nicht mehr bewältigen konnte, weil es eben nicht nur in
Berlin Anklang gefunden hat, sondern im gesamten Bundesgebiet.
Was ist die Quintessenz oder die Lehre daraus? – Wir bräuchten mehr therapeutische Behandlungsangebote – auch präventive Angebote für diejenigen, die ein solches Bedürfnis in sich verspüren und sich behandeln lassen wollen. Diese Angebote
haben wir aber nicht. Das ist eine Frage der Bereitstellung von Geldern und Therapieplätzen, die in diesem Maße überhaupt nicht vorhanden sind. Das Projekt von
Herrn Beier droht einzuschlafen, zumal es keine öffentliche Förderung gibt.
Jürgen Maurer (Bundeskriminalamt): Was wäre europäisch wünschenswert, Herr
Jostmeier? – Es wäre wünschenswert, dass die Diskussion um Access-Blocking in
allen europäischen Ländern geführt würde. Das ist nicht der Fall. Wenn wir in
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Deutschland ein Access-Blocking einführen, kann ich natürlich immer noch auf die
gleichen Seiten zugreifen, indem ich mich in Frankreich anmelde. Daher muss perspektivisch eine europäische Lösung kreiert werden. Das ist auch deswegen so bedeutsam, weil es im Bereich Europol bereits Initiativen gibt, diese europaweit entstehenden Listen auszutauschen. In diese Richtung gehende Projekte existieren. Dazu
fehlt aber der gesetzliche und/oder vertragliche Rahmen.
Zu der Initiative der Zahlungskartensysteme: Das ist eine wichtige Aktivität. Allerdings können auch diese Maßnahmen selbstverständlich umgangen werden. Deswegen sollte man aber nicht von vornherein darauf verzichten. Ein Schlagwort in diesem Zusammenhang lautet: virtuelle Zahlungssysteme. Wir stellen derzeit intensiv
fest, wie findig Kriminelle sind und auf welche Art und Weise sie diesen Empfehlungen ausweichen können. Im Übrigen ist bekannt, dass wir in der Vergangenheit unter
Ausnutzung der Daten von Kreditkartenemittenten strafrechtliche Ermittlungen
durchgeführt haben. Das wird immer weniger werden; denn diese Zahlungswege
werden nicht mehr genutzt werden können. Ich halte diese Initiative aber für einen
guten und richtigen Weg. Allerdings wird es auch Ausweichmöglichkeiten geben.
Im Ausland – Sie haben es beschrieben – erfolgen die Sperrungen im Wesentlichen
auf vertraglicher Basis. Das ist eine ähnliche Situation wie bei uns. Es gibt eine vertragliche Basis zwischen zentralen Polizeidienststellen und entsprechenden InternetService-Providern.
Zu den Allgemeinen Geschäftsbedingungen: Ich bin möglicherweise der Einzige hier
im Raum, der sich die Allgemeinen Geschäftsbedingungen aller Internet-ServiceProvider, die derzeit in der Diskussion stehen, angeschaut hat. Alle stellen darin entweder die Möglichkeit zur Verfügung, dem Kunden zu kündigen, oder behalten sich
vor, seinen Zugang zu sperren. Voraussetzung – das hat Herr Dr. Frey angedeutet –
ist natürlich das positive Wissen um den Versuch, Zugang zu erhalten, um sich solches Material zu verschaffen. Es ist natürlich die Frage, ob schon dadurch positives
Wissen entsteht, dass vom BKA eine Liste zur Verfügung gestellt wird und der ISP
dann feststellt, dass Kunden versuchen, auf Seiten dieser Liste zuzugreifen. Ist das
positives Wissen? Deswegen macht die vertragliche Regelung Sinn. Man sagt nicht,
dass dies automatisch zum Handlungserfordernis beim Internet-Service-Provider
führt, was ja auch eine denkbare rechtliche Position wäre, sondern schließt einen
Vertrag darüber, dass bei positivem Wissen durch die Übergabe einer Liste agiert
werden muss. – Das ist der aktuelle Stand an dieser Stelle.
Dieter Prosch (Landeskriminalamt Nordrhein-Westfalen): Zunächst möchte ich
Herrn Kollegen Maurer recht geben. Die gleichen rechtlichen Rahmenbedingungen
auf europäischer Ebene wären natürlich wünschenswert. Dazu kann ich aber weniger vertieft Stellung nehmen als Sie selbst hier im Hohen Haus. Das wäre für mich
eine wesentliche Rahmenbedingung.
Beim Thema Zahlungssysteme bin ich ebenfalls der gleichen Auffassung wie Herr
Kollege Maurer. Natürlich ist diese Initiative positiv zu bewerten. Auch sie wirkt sich
auf die Zugriffsmöglichkeiten aus, die Straftäter – ich nenne sie einfach einmal so,
obwohl sie noch nicht verurteilt sind – auf dem Wege, in den Besitz von Kinderpor-
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nografie zu kommen, suchen. Schließlich kennt nicht jeder jeden Zahlungsweg. Man
kann sich als Täter zwar sehr viel Wissen erarbeiten. Das ist aber wieder ein Schritt
der Mühe, den man tun muss. Man muss sich mit alternativen Zahlungsmethoden
auseinandersetzen. Bargeld ist auch ganz schlecht. Deshalb wird damit wieder eine
Möglichkeit erschwert, Zugriff zu bekommen. Von daher finde ich diese Initiative vom
Grundsatz her gut.
Herr Stüttgen hat angesprochen, dass Herr Stahl und ich personelle Probleme erwähnt haben. Ich kann Ihnen nicht sagen, wie in den Kreispolizeibehörden die personelle Situation und die personellen Bedarfe aussehen. Wir sind als Landeskriminalamt zwar Zentralstelle. Was die Personalstärke betrifft, sind wir aber nicht Aufsichtsbehörde. Insofern könnte hier auch nur das Innenministerium eine Erhebung
veranlassen.
Bei diesem Deliktsbereich handelt es sich in weiten Teilen auch um Kontrollkriminalität. Je mehr Sie kontrollieren, umso mehr Straftaten werden Sie feststellen. Im
nächsten Schritt haben Sie auch wesentlich höhere Auswertungsbedarfe abzudecken. Das ist die logische Folge. Wenn wir mehr Personal an der einen Stelle, nämlich bei der Generierung von Strafverfahren durch Internetrecherche, einsetzen, bedeutet das natürlich für die Kreispolizeibehörden, die diese Strafverfahren weiterzubearbeiten haben, dass sie mehr Durchsuchungsbeschlüsse erwirken und, wenn sie
sie bekommen, auch vollstrecken müssen sowie die entsprechenden Gerätschaften
auszuwerten haben.
Was die Auswertung in meiner eigenen Dienststelle betrifft, kann ich, wie ich vorhin
schon gesagt habe, die Auswirkungen der gesetzlichen Änderungen noch nicht abschätzen. Die Auswertungen sind in einer ungeheuren Intensität durchzuführen. Es
reicht nicht, dass Sie ein Bild in Augenschein nehmen und sagen: Das ist ja das gleiche Gesicht wie eben. – Ich möchte jetzt aber keine Details nennen.
Ja, wir können weitere Personen sinnvoll bei uns beschäftigen. Das ist gar keine
Frage. Diese Antwort würde Ihnen hier aber sicherlich jeder geben – jedenfalls jeder
innerhalb der Polizei Tätige. Ich habe eben schon dargestellt, wie viele Dienststellen
bei uns mit diesem Thema befasst sind. In diesem Zusammenhang möchte ich auch
darauf hinweisen, dass wir mit hoch qualifiziertem Personal ausgerüstet sind. Uns ist
sehr bewusst – ich habe selbst zwei Jahre als Sachbearbeiter in diesem Bereich gearbeitet –, dass die dort tätigen Kollegen einer massiven psychischen Belastung
ausgesetzt sind. Insofern haben wir neben dem Instrument der Supervision noch eine weitere Möglichkeit geschaffen. Wenn eine Kollegin oder ein Kollege zu mir
kommt und sagt: „Ich habe damit ein Problem; ich möchte damit nicht weiter in Berührung kommen“, wird sie oder er damit auch nicht weiter in Berührung kommen.
Dann werden wir alle Hebel in Bewegung setzen, um die Kollegin oder den Kollegen
an anderer Stelle einzusetzen. Das kann man mit einem dicken Ausrufezeichen versehen.
Personelle Wechsel finden in einer großen Behörde wie bei uns immer statt. Aktuell
arbeiten wir in diesem Bereich zwei neue Kolleginnen ein, die zwei andere, die gegangen sind, ersetzt haben. Der personelle Wechsel ist also fast Automatismus. Natürlich gehört auch zur Darstellung der Rahmenbedingungen, wie man mit Belas-
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tungssituationen umgeht und welche Gesprächsmöglichkeiten es gibt. Diese sind
vorhanden. Sie sind auch bekannt. Insofern braucht man keinen automatisierten Personalaustausch vorzunehmen. Selbstverständlich muss man auch darauf achten,
dass innerhalb der Dienststelle ein gewisses Know-how vorhanden ist. Zu schnelle
Wechsel wären daher nicht gut.
Ihre Frage nach organisatorischen Mängeln beziehe ich zunächst einmal auf die Zusammenarbeit mit der Staatsanwaltschaft, weil Sie uns auch zusammen angesprochen haben. Ich persönlich kann solche organisatorischen Mängel nicht feststellen.
Wir haben feste Ansprechpartner auf beiden Seiten. Im Zweifel stehen wir in unmittelbaren Kontakten. Diese Ansprechpartner gibt es nicht nur bei der Auswertestelle
Kinderpornografie, sondern auch bei der Zentralen Internetrecherche. Auch in Teilen
unter Einbeziehung unserer beiden Personen sind diese Kontakte so geschaffen
worden. Insofern kann ich nur sagen, dass das so bleiben sollte, wie es ist.
Bezüglich der Zusammenarbeit mit ausländischen Behörden würde ich mir natürlich
wünschen, dass Rechtshilfe manchmal etwas schneller funktioniert. Auch damit bilde
ich sicherlich keine Ausnahme. Diesen Wunsch möchte ich im Übrigen nicht als Vorwurf an die Justiz verstanden wissen. Es ist nun einmal ein kompliziertes Verfahren,
wenn zwei verschiedene Rechtsrahmenbedingungen angemessen beachtet werden
müssen.
Die Arbeitskontakte zum Bundeskriminalamt, das für uns die internationalen Aufgaben in weiten Teilen wahrnimmt, sind hervorragend. Sie sind auch gewachsen.
Arbeitskontakte bestehen zum Beispiel auch zu niederländischen Kollegen, die mit
uns einen regen Austausch darüber pflegen, welche Software sie wozu einsetzen
und wie diese Programme weiterentwickelt werden können. Meine Dienststelle ist
auch an Weiterentwicklungen der entsprechenden Software beteiligt. Wir führen gemeinsam Projekte auf EU-Ebene durch und arbeiten beispielsweise mit Universitäten
in Schweden und anderen Teilnehmern zusammen. Insofern denke ich, dass wir an
dieser Stelle bestens aufgestellt sind.
Friedemann Schindler (jugendschutz.net): Erstens. Zu der europäischen Ebene
ist Folgendes festzustellen: Wie Herr Vollmers bereits erwähnt hat, sind FSM, Verband der deutschen Internetwirtschaft – eco – und jugendschutz.net auch Mitglieder
des sogenannten INHOPE-Verbundes. Dabei handelt es sich um einen Verbund von
Hotline-Betreibern, also Beschwerdestellen. Dieser Verbund arbeitet schwerpunktmäßig im Bereich Kinderpornografie. Inzwischen gibt es in fast allen europäischen
Ländern eine solche Beschwerdestelle, die wir in entsprechenden Fällen ansprechen
können. Diese Stellen sollen sich nach der vereinbarten Regelung bevorzugt um diese Fälle kümmern.
Was die rechtlichen Grundlagen betrifft, gibt es unterschiedliche Modelle. Zum Ersten nehmen Provider eine Sperrung auf freiwilliger Basis vor und sind diesbezüglich
eine Selbstverpflichtung eingegangen; zum Beispiel in vielen skandinavischen Ländern und in England wird es so gemacht. Zum Zweiten existiert eine rechtliche Regelung, die den Providern das Sperren erlaubt, sie aber nicht dazu verpflichtet; meines
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Wissens wird dieses Modell in Finnland praktiziert. Zum Dritten werden die Provider
zur Sperrung verpflichtet; das ist in Italien der Fall.
Seit 2003 beginnen immer mehr Länder, sich mit dem Thema Sperrung auseinanderzusetzen. Bemerkenswert ist ferner, dass Japan, wo früher sehr viel Kinderpornografie verbreitet wurde, inzwischen auch in Richtung einer gesetzlichen Regelung
geht und dass in Ländern wie zum Beispiel England, die bei der freiwilligen Selbstverpflichtung Vorreiter waren, jetzt ebenfalls über eine gesetzliche Regelung diskutiert wird, weil 5 % der Provider sich weigern, diese Selbstverpflichtung zu unterzeichnen. Interessant ist auch, dass sich die großen Mobilfunkbetreiber auf der Ebene der Europäischen Union selbst dazu verpflichtet haben, Kinderpornografie in ihren
Mobilfunknetzen zu sperren. Diese Selbstverpflichtung haben aus Deutschland Telekom, Telefónica/O2 und Vodafone unterschrieben. Es gibt also auch auf europäischer
Ebene Bestrebungen, in diesem Bereich etwas zu regeln.
Die angeblichen Sperrlisten, die im Internet verfügbar sind, haben wir uns natürlich
genau angeschaut. Sie sind auf sehr zweifelhafte Art und Weise zustande gekommen. In den Listen, die man dort gesehen hat, war keine Kinderpornografie enthalten
– was natürlich auch damit zusammenhängt, dass Kinderpornografie selten direkt auf
Domain-Ebene präsentiert wird, sondern sich meistens in irgendwelchen Unterverzeichnissen findet. Wenn man die Adresse der Seite kennt, kann man also noch
nicht unbedingt direkt auf Kinderpornografie zugreifen.
Uns ist dabei allerdings aufgefallen, dass auch einige deutsche Adressen dabei waren. Im Rahmen einer europäischen Kommunikation sollte man sicherstellen, dass
die Adressen an die jeweiligen Länder weitergegeben werden. Gegen die deutschen
Adressen, die wir gefunden haben – die nicht kinderpornografisch waren, aber gewaltpornografisch –, sind wir dann auch sofort vorgegangen.
Zweitens. Zu den Auswirkungen auf die Fallzahlen ist Folgendes zu sagen: Natürlich
würde eine europäische Antwort die Wirksamkeit einer DNS-Sperre erhöhen. Bei der
DNS-Sperre gibt es ja zwei Hürden. Die erste Hürde ist, sie entsprechend einzurichten. Es ist relativ leicht, im Internet entsprechende Anweisungen zu finden. Die zweite Hürde ist aber, einen offenen DNS-Server zu finden, der nicht von diesen Sperrungen betroffen ist. Ich habe einmal einen Selbstversuch unternommen und mit einschlägigen Suchbegriffen im Internet frei verfügbare DNS-Server gesucht. Momentan
findet man nur deutsche Server, die alle von solchen Sperrmaßnahmen betroffen wären. Man müsste dann schon im Ausland fündig werden. Wenn im Ausland ebenfalls
intensiver gesperrt würde, wäre es natürlich auch schwieriger, noch einen freien
DNS-Server zu finden.
Axel Stahl (Bund der Richter und Staatsanwälte in Nordrhein-Westfalen): Zu
dem Modell der Vertragsstrafen ist schon viel gesagt worden. Grundsätzlich ist es sicherlich erstrebenswert, potenzielle Verdächtige bzw. verurteilte Täter so hart wie
möglich zu treffen. Selbstverständlich trifft ein zusätzlicher Entzug von finanziellen
Mitteln solche Täter immer. Als Staatsanwalt könnte ich natürlich sagen: Prima! Vertragsstrafen müssten im Falle einer Überprüfung ja zivilgerichtlich überprüft werden.
– Ich sitze hier aber als Vertreter des Bundes der Richter und Staatsanwälte. Man
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muss in der Tat die Frage aufwerfen, ob damit nicht eine unnötige Doppelbelastung
geschaffen wird; denn jemand, der sich durch eine kriminale Geldstrafe oder eine
Freiheitsstrafe nicht von seinem unrechten Tun abhalten lässt, wird sich vermutlich
auch durch eine weitere Vertragsstrafe nicht davon abhalten lassen.
Es ist sicherlich erfolgversprechend, die Zahlungsströme nachzuvollziehen und dort
Ansatzpunkte zu suchen. Dieses Vorgehen hat in der Vergangenheit auch zu einigen
interessanten Ermittlungserfolgen geführt. Allerdings hat sich dort auch die zivilrechtliche Komplexität dieser Fragestellung gezeigt. Nachdem über die Nutzung der großen Kreditkartensysteme eine Menge Tatverdächtige ermittelt werden konnten, wurde ja eine intensive juristische Debatte geführt, ob so etwas überhaupt zulässig sei
und ob es sich dabei nicht gewissermaßen um eine Rasterfahndung im Bereich der
Kreditkartensysteme handele. Letztendlich ist es eine Frage des gesellschaftlichen
Konsenses, inwieweit man so etwas haben möchte.
Bezüglich der EU-Kooperation oder insgesamt der internationalen Kooperation ist
zunächst einmal das Positive zu benennen. Innerhalb der Staaten der Europäischen
Union gibt es sicherlich eine gute Zusammenarbeit. Dass sich in einigen Staaten, die
erst vor kurzer Zeit zur Europäischen Union gestoßen sind, die technischen und personellen Voraussetzungen anders darstellen als in den alten EU-Staaten, ist eine
Selbstverständlichkeit. In diesen Ländern kämpft man mit ganz anderen Problemen,
als wir sie hier kennen. Nichtsdestotrotz ist dort die Bereitschaft sehr groß, auch in
diesem Bereich zu kooperieren.
Leider gilt das nicht für alle anderen Staaten. Ich möchte hier ausdrücklich keine einzelnen Länder anführen. Es sind aber große Länder. Dort herrschen wohl – das
muss man wohl konstatieren – andere rechtsstaatliche Vorstellungen. Letztlich gilt
dort eine andere Durchsetzung der Rechtsstaatlichkeit. Wenn Sie die Darstellungen
in den Medien verfolgen, kennen Sie das vielleicht auch in Bezug auf andere Fragen
in diesem geopolitischen Großraum. In der Folge sind die Einflussmöglichkeiten natürlich sehr begrenzt. Würde die Europäische Union diese Problematik aufgreifen
und mit der geballten Macht, die sie nun einmal darstellt, im außenpolitischen Kontext auf diesen Themenkreis hinweisen, könnte das aus Sicht eines Strafverfolgers
nur wünschenswert sein. Die derzeitigen Erfolgsaussichten kann ich aber nur mit folgendem Wort – das nicht als Hinweis auf die Region zu verstehen ist – bezeichnen:
Inschallah.
Die psychische Belastung des in diesem Bereich tätigen Personals stellt in der Tat
ein großes Problem dar. Die Polizei bietet ihren Kräften auch eine Supervision an.
Sicherlich sind die Polizeibeamten noch stärker belastet als die justiziellen Strafverfolger. Aus Sicht unseres Bundes wäre es allerdings wünschenswert, auch seitens
der Justizverwaltung Strukturen der Supervision zu schaffen, die nach meinem
Kenntnisstand bisher nicht vorhanden sind. Wie bereits anklang, bedarf es schließlich einer gewissen Erfahrung, um in diesen Bereichen zielführend ermitteln zu können. Diese Professionalität setzt auch eine gewisse zeitliche Auseinandersetzung mit
diesem Kriminalitätsphänomen voraus – und das belastet natürlich.
Herr Stüttgen, der Beantwortung Ihrer Gretchenfrage zu den Kapazitäten muss ich
vorausschicken, dass man als Bund natürlich nicht die gleichen Erkenntnismöglich-
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keiten hat wie die Justizverwaltung. Allerdings ergeben sich auch nach den seitens
der Justizverwaltung verwendeten Personalberechnungssystemen ganz allgemein
Belastungszahlen von 120 bis 130 %. Würde man einmal eine Überbelastung von 20
bis 30 % als Grundlage nehmen, wäre das sicherlich mehr als ein guter Anfang.
Konkretere Zahlen vermag ich Ihnen seriös nicht zu nennen. Diese Größenordnung
ist aber sicherlich ein Anhaltspunkt, der Diskussionsgrundlage sein kann.
Herr Prosch, was Sie zu den Strukturen gesagt haben, kann ich nur unterstützen. In
diesem Kriminalitätsfeld, in dem sowohl aufseiten der Strafverfolgungsbehörden justizieller Art als auch bei der Polizei überwiegend engagierte Kräfte tätig sind, ist die
Zusammenarbeit grundsätzlich gut. Natürlich kann es immer noch Verbesserungsmöglichkeiten geben. Wenn ich einen Wunsch äußern könnte, würde ich auf Folgendes hinweisen: Überall dort, wo Kriminalität sich überregional darstellt, sollte man
zumindest andenken – das wäre vielleicht nicht die schlechteste Lösung –, auch die
Strafverfolgungsbehörden überregional aufzustellen. In Nordrhein-Westfalen hat das
Landeskriminalamt einen solchen Aufbau. Korrespondierende Strukturen in der Justiz gibt es nicht. In Bezug auf andere Kriminalitätsfelder – ich nenne nur die gesamte
organisierte Kriminalität – könnte man ebenfalls darüber nachdenken. Für die Bekämpfung der Kinderpornografie, zumindest der qualifizierteren Kinderpornografie
jenseits der Ebene der Bildertauscher, würde sich so etwas aber auch anbieten.
Vorsitzender Dr. Robert Orth: Sehr geehrte Sachverständigen, ich danke Ihnen für
Ihre umfangreichen Antworten, mündlichen Statements und schriftlichen Stellungnahmen zu einem Thema, das den Rechtsausschuss sicherlich nicht gerne beschäftigt, mit dem wir uns aber im politischen Raum notwendigerweise auseinandersetzen
müssen. Wir werden die heutige Anhörung auf Basis des noch zu erstellenden Wortprotokolls auswerten und überlegen, welche Auswirkungen sich für unsere Landespolitik ergeben. Wie wir alle wissen, betrifft die hier diskutierte Problematik Bundesrecht, sodass eigentlich die Koalition in Berlin – oder ihre Nachfolgerin – eine Lösung
finden muss.
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(kurze Unterbrechung)
Zur Tagesordnung
Vorsitzender Dr. Robert Orth teilt mit, es gebe seinerseits keine Informationen, die
er unter „Verschiedenes“ mitzuteilen hätte. Von daher werde er den Punkt auch nicht
aufrufen.
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Häufung von Vorfällen in der Justizvollzugsanstalt Gelsenkirchen (Anlage)
Vorlage 14/2481
Justizministerin Roswitha Müller-Piepenkötter berichtet wie folgt:
Herr Vorsitzender! Meine Damen und Herren! Ich möchte ergänzend zu dem
schriftlichen Bericht ausführlicher informieren.
In der Öffentlichkeit ist leider ein Bild von der JVA Gelsenkirchen entstanden, das
dieser Anstalt und dem Engagement der dort arbeitenden Bediensteten in keiner
Weise gerecht wird und das sie auch sehr belastet.
Jeder, der den Justizvollzug kennt, weiß um seine Vielschichtigkeit und um seine
hohe Dynamik. Deshalb sollten wir diejenigen, die täglich in diesem System ihren
Beitrag zu einer gelungenen Resozialisierung und unser aller Sicherheit leisten,
wertschätzen und ihnen im Rahmen des uns Möglichen unsere Unterstützung zuteil werden lassen. Wir sollten ihre anspruchsvolle Arbeit nicht aus politischem
Kalkül zusätzlich belasten.
Ich habe in den letzten Wochen mit großer Sorge beobachten müssen, wie die Belastung der JVA Gelsenkirchen stetig zunahm. Eine Fokussierung auf die Anstaltsleitung engte deren Gestaltungsmöglichkeiten immer mehr ein.
Um der Anstalt in dieser schwierigen Situation einen unbelasteten Neuanfang zu
ermöglichen, habe ich entschieden, den bisherigen Leiter der Justizvollzugsanstalt
Castrop-Rauxel, Herrn Regierungsdirektor W., sowie den ebenfalls dort tätigen
Psychologen, Herrn Regierungsdirektor H., zu bitten, die Leitung der Justizvollzugsanstalt zu übernehmen. Herr Leitender Regierungsdirektor W. ist seit gestern
in der Justizvollzugsanstalt Geldern tätig. Herr Regierungsdirektor B. ist mit der
Wahrnehmung der Aufgaben der Leitung der Justizvollzugsanstalt Castrop-Rauxel
betraut.
Ich möchte betonen, dass dies keine Schuldzuweisung bedeutet. Noch weniger,
Herr Sichau, handelt es sich hier um ein Bauernopfer. Die für diesen Tagesordnungspunkt gewählte Bezeichnung impliziert, dass es in der Justizvollzugsanstalt
Gelsenkirchen eine Häufung von Vorfällen gegeben hätte. Da Sie, Herr Sichau,
dabei offen gelassen haben, welche Vorwürfe sie im Blick haben, muss ich davon
ausgehen, dass das gemeint ist, was in der Presse berichtet worden ist. Lassen
Sie mich darauf näher eingehen.
In der Presse war vor allem zu lesen, ein Bediensteter hätte mit weiblichen Gefangenen pornografische Filme gedreht und diese im Internet veröffentlicht. - Nach allem, was uns bislang bekannt ist, trifft dies nicht zu. Weder wurden pornografische
Filme gedreht noch gibt es Hinweise auf eine Veröffentlichung entsprechender
Machwerke im Internet. Als im Dezember der Vorwurf bekannt wurde, dass ein
Film gedreht worden sei, sind sofort der PC und der Zugang dieses Bediensteten
gesichert worden. Auf dem PC finden sich keinerlei solche Hinweise.
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Schlimm genug ist allerdings der gegen den Bediensteten erhobene Vorwurf, einen Brief mit Fotos einer Inhaftierten, die diese teilweise mit halb entblößtem
Oberkörper zeigten, auf deren Wunsch an der Briefkontrolle vorbei aus der Anstalt
geschmuggelt zu haben. Noch nicht eindeutig geklärt ist, ob der Beamte auch an
der Fertigung der Fotos beteiligt war. Für eine Veröffentlichung dieser Fotos im Internet haben sich keine Hinweise ergeben.
Es steht auch der Vorwurf im Raum, dass dieser Bedienstete bei anderen Gelegenheiten weibliche Inhaftierte sexuell belästigt habe.
Gegen den Beamten, der vom Dienst suspendiert wurde, sind ein Disziplinarverfahren und ein staatsanwaltschaftliches Ermittlungsverfahren eingeleitet worden.
In diesen Verfahren werden diese Vorwürfe geklärt.
Ich möchte klarstellen, dass der Leiter der Justizvollzugsanstalt Gelsenkirchen das
Erforderliche veranlasst hat, als er am 23. Dezember 2008 von den Vorwürfen
hinsichtlich der Fotos Kenntnis erlangte; wie gesagt: vom Dienst suspendiert,
Computer sichergestellt, überprüft.
Richtig ist, dass die Leiterin des Frauenhauses bereits im September 2008 von einer ehrenamtlich in der Anstalt tätigen Betreuerin über die Beschwerde einer Gefangenen informiert wurde, dass der betreffende Bedienstete eine unangemessene Nähe zu weiblichen Gefangenen suchte.
Die Leiterin des Frauenhauses hat dies aufgegriffen, die Inhaftierte näher befragen lassen und schließlich mit dem Beamten ein Personalgespräch geführt. Aus
einem von ihr gefertigten Vermerk geht hervor, dass sich der Bedienstete dabei
betroffen gezeigt und sie ihn sodann angewiesen habe, künftig die notwendige
Distanz zu wahren.
Dass die Abteilungsleiterin nicht auch den Anstaltsleiter und seinen Vertreter über
die Angelegenheit und das von ihr Veranlasste in Kenntnis gesetzt hat, erscheint
im Nachhinein unangemessen. Die Gründe hierfür lassen sich heute leider nicht
mehr aufklären.
Meine Damen und Herren, ich möchte schließlich auch noch auf das Thema „Drogen in der Justizvollzugsanstalt Gelsenkirchen“ eingehen, über das ich ebenfalls
im Bericht der Landesregierung informiert habe. Diesem Bericht ist zu entnehmen,
dass in der Justizvollzugsanstalt Gelsenkirchen von einem schwunghaften Handel
mit Drogen nicht die Rede sein kann.
Soweit hier ein Schreiben der Gefangenenmitverantwortung aus dem Jahre 2007
bemüht wird, ist die dort genannte Drogenthematik allumfassend in der
Rechtsausschusssitzung am 21. März 2007 erörtert worden. Es haben sich keine
Erkenntnisse ergeben, dass in der Justizvollzugsanstalt Gelsenkirchen mehr Drogen vorhanden sind als in anderen Justizvollzugsanstalten des Landes. Es gibt
keine Anhaltspunkte dafür, dass die Beschaffung von größeren Drogenmengen in
der Justizvollzugsanstalt Gelsenkirchen unproblematisch ist.
Wie bereits im Jahr 2007 berichtet, lässt die Anstalt auch heute nichts unversucht,
gegen den Drogenhandel vorzugehen. Die Revisionsgruppe der Anstalt und der
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Sicherheits- und Ordnungsdienst sammeln sämtliche Erkenntnisse zu Betäubungsmitteln, sie führen Kontrollen und Befragungen durch und bringen konsequent jeden Verstoß zur Strafanzeige.
Diese stringente Vorgehensweise der Anstalt wird im Übrigen durch ein mir vorliegendes aktuelles Schreiben vom 14. Februar 2009 der derzeit amtierenden Gefangenenmitverantwortung an die Redaktion der „Westdeutschen Allgemeinen
Zeitung“ in Essen bestätigt. Dort heißt es u. a.: Wer hier mit Drogen auffliegt, wird
disziplinarisch bestraft oder gar angezeigt.
Mit diesem Schreiben wendet sich die Gefangenenmitverantwortung zudem gegen
den Artikel in der „WAZ“-Ausgabe 34 vom 10. Februar 2009 mit dem Titel „Gefängnisse in der Kritik“, Untertitel: „Der Psycho-Knast“. Ich zitiere aus dem Schreiben:
Da ich auch seit fast fünf Jahren in der Anstaltsküche arbeite, möchte ich dem Artikel widersprechen, da sich offensichtlich bei der „WAZ“ ein Ex-Häftling seinen
angestauten Frust von der Seele reden wollte.
Später heißt es in dem Brief: Zu guter Letzt soll noch einmal gesagt sein, dass ein
Ex-Häftling aus Frust heraus den Anstaltsleiter und seine Bediensteten an den
Pranger stellen will, und das ärgert mich. Darüber sollte in der Öffentlichkeit auch
einmal informiert werden. - Soweit das aktuelle Schreiben der Gefangenenmitverantwortung vom 14. Februar 2009.
Richtig ist, dass es in den Justizvollzugsanstalten bedauerlicherweise Drogen gibt.
Durch zahlreiche präventive und repressive Maßnahmen werden das Einbringen
von Drogen und ihr Konsum soweit möglich unterbunden. Dies, meine Damen und
Herren, ist kein neuer Kampf, und er erfordert eine stetige Überprüfung der technischen, rechtlichen und organisatorischen Möglichkeiten. Die Drogenbekämpfung
ist eine Herausforderung, die wir längst angenommen haben und die bei uns
oberste Priorität genießt.
Frank Sichau (SPD) erinnert an die letzte Rechtsausschusssitzung und macht auf
den inzwischen offenbar eingetretenen Wandel in der Einschätzung der Ministerin
aufmerksam, die seinerzeit die staatsanwaltschaftlich anhängigen Vorwürfe noch als
eine Inszenierung der SPD-Landtagsfraktion bezeichnet habe; und im Übrigen wäre
alles auf einem guten Wege, so die Ministerin damals.
Der Abteilungsleiter Strafvollzug des Ministeriums habe darüber hinaus sogar verlautbart, bei den Vollzugsbediensteten handelte es sich schließlich um Kollegen, und
nähme das Parlament seine verfassungsmäßigen Rechte, die Regierung zu kontrollieren sowie möglichen Missbrauch und mögliche Verantwortung zu thematisieren,
wahr, wäre dies unkollegial. - Dies weise er, Sichau, als Anschlag auf die verfassungsmäßigen Rechte des Parlaments ausdrücklich zurück. Diese verfassungsmäßigen Rechte könne und müsse das Parlament ausüben und lasse sich insofern vom
Abteilungsleiter Strafvollzug nicht des Gegenteils belehren.
Überraschung habe dann natürlich die Ablösung des Gelsenkirchener Anstaltsleiters
W. und dessen Stellvertreters B. hervorgerufen.
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Der zur heutigen Sitzung gelieferte schriftliche Bericht der Ministerin - Vorlage
14/2481 - falle durch seine Kürze auf.
Unter anderem vermisse er eine Äußerung zu der von der „WAZ“ zitierten Aussage
einer JVA-Bediensteten, nach der, obschon seit Jahren bekannt, gegen das Erstellen
von Photos vonseiten der Anstaltsleitung nichts unternommen worden sei.
Zudem solle sich - er bitte um Bestätigung oder Widerlegung - der Ombudsmann mit
den Worten, die Führungs- und Leitungsfähigkeit der Hausspitze in der JVA Gelsenkirchen bedürften wohl einer näheren Überprüfung, eingelassen haben.
Ihr gegenüber habe sich der Ombudsmann so nicht geäußert, meint Justizministerin Roswitha Müller-Piepenkötter. Ob er dies an anderer Stelle getan habe, könne
er nur selber beantworten.
Bei dem Komplex „JVA Gelsenkirchen“ spielten mehrere Dinge eine Rolle, die sich
im Rahmen von Fach- und Dienstaufsicht bewegten und jetzt geklärt würden, soweit
ihnen disziplinarische, aufsichtsrechtliche oder strafrechtliche Relevanz zukomme.
Was den Austausch der Leitung der JVA Gelsenkirchen anbelange, sei es um eine
Frage der Organisation und einen Neuanfang gegangen. - Laut vieler Hinweise befinde sich dieser Neuanfang auf einem guten Weg.
Monika Düker (GRÜNE) erkundigt sich nach den inzwischen augenscheinlich vorhandenen Gründen oder dem einen ausschlaggebenden Grund für einen Neuanfang.
Ihres Erachtens hätte dieser eingedenk der schon lange bekannten Informationen,
zum Teil auch von einzelnen Abgeordneten in Kleinen Anfragen an das Ministerium
herangetragen, schon viel früher Platz greifen müssen.
Als ein Barometer für Zustände, die ein Eingreifen notwendig machten, gelte immer
auch die Höhe der Krankenstände bei den Beschäftigten, die in der JVA Gelsenkirchen bei immerhin über 20 %, zeitweise sogar bei 25 % und damit weit über dem
Landesdurchschnitt gelegen und die Aufmerksamkeit des Ministeriums schon längst
auf diese Anstalt hätten lenken müssen.
Justizministerin Roswitha Müller-Piepenkötter betont, ihr als verantwortlich für die
Gefangenen und die Bediensteten in den Anstalten dürfe nicht, wie von der Opposition gefordert, ein kleines Signal von nur einer Seite Anlass genug zum sofortigen
Handeln bieten, sondern sie müsse für ein vernünftiges Arbeiten in den Anstalten
Sorge tragen, wofür es einer umfassenderen Aufklärung bedürfe.
Monika Düker (GRÜNE) hakt nach und wiederholt ihre Frage, wie lange die Ministerin schon von dem überhohen Krankenstand wisse. - Über die Krankenstände diskutiere man seit etwa eineinhalb Jahren, aber nicht speziell auf Gelsenkirchen, sondern
auf alle Anstalten bezogen, erwidert Justizministerin Roswitha MüllerPiepenkötter.
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Thomas Stotko (SPD) hält der Ministerin ihre Worte aus der Ausschusssitzung vom
14. Januar vor, in der die Ministerin von „Skandalisierung durch die SPD-Fraktion“
gesprochen habe. Weshalb aber, wenn die SPD-Fraktion vermeintlich nur etwas
skandalisiert habe, hinter dem sich gar nichts verberge, wenn sie nur Punkte aufgeworfen habe, die gar nicht so schlimm seien, wenn überhaupt kein Bedarf für große
Konsequenzen bestanden habe, tausche die Ministerin jetzt die komplette Anstaltsleitung aus? Und weshalb finde die Ministerin keine sinnvolle Erklärung für die Tatsache, dass das von der SPD-Fraktion hier bereits Benannte nunmehr doch den
Grund für den Austausch der Anstaltsleitung liefere? - Zu diesen Zusammenhängen
müsse die Ministerin stehen, anstatt ihm und Frank Sichau Vorwürfe zu machen.
Anders als im Januar versprochen gebe es vonseiten des Ministeriums auch immer
noch keine Auskunft über die Zahl der von den Beteiligten an dem Geschehen im
März 2008 in der JVA Gelsenkirchen schon vorher begangenen Körperverletzungen;
in der Januar-Sitzung habe sich die Ministerin mit ihren Zahlen auf den Bundeszentralregisterauszug berufen, er, Stotko, mit den seinigen auf die Anklageschrift.
Derartiges habe sie damals nicht versprochen, entgegnet Justizministerin Roswitha Müller-Piepenkötter. Für den in Rede stehenden Vorfall fehle bis heute die
strafrechtliche Aufarbeitung insofern, als die Hauptverhandlung erst Ende dieses
Monats stattfinde. - „…; dann müssen wir dem nachgehen“, so die Worte der Ministerin im Januar, wirft Thomas Stotko (SPD) ein. - Sie habe es nicht so verstanden,
dass sie dem Ausschuss darüber Bericht erstatte, meint Justizministerin Roswitha
Müller-Piepenkötter. - Thomas Stotko (SPD) kündigt ein entsprechendes Schreiben an die Ministerin an.
Harald Giebels (CDU) fordert ein gewisses Feingefühl bei der öffentlichen Diskussion über Justizvollzugsanstalten ein. Anhaltspunkten für etwaige Fehlentwicklungen
müsse man natürlich nachgehen; und es müssten dann auch Konsequenzen gezogen werden. Der Fragende wiederum müsse wissen, dass ein Ministerium personalrechtliche Maßnahmen nur bei Vorliegen der notwendigen Voraussetzungen verfügen könne. Eine bloße Behauptung reiche nicht aus, eine Anstaltsleitung sofort zu
entfernen. So einfach funktioniere das Ganze nicht, und das halte er auch für richtig
so.
Eine Anklageschrift besage im Übrigen noch gar nichts. Auf das Ergebnis der Hauptverhandlung komme es an.
Im Zusammenhang mit dem Begriff „Skandalisierung“ falle ihm die „heiße Herdplatte
von Remscheid“ ein, die, wie durch Nachforschungen erwiesen, zwar gar nicht existiert habe, aber von der SPD-Fraktion zu einem Skandal hochstilisiert worden sei.
Das Beispiel zeige die Notwendigkeit, bei öffentlichen Einlassungen äußerste Vorsicht walten zu lassen, insbesondere bei noch gar nicht ausermittelten oder bewiesenen Sachverhalten. Insofern obliege den Parlamentariern eine besondere Verantwortung.
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Dennoch müsse es auch aus Sicht des Ministeriums irgendeinen Grund für den jetzt
wohl endlich auch von der Ministerin als erforderlich erachteten, aus Sicht der Opposition längst überfälligen Neuanfang geben, insistiert Monika Düker (GRÜNE). Mehrere Indikatoren - darunter die hohen Krankenstände - hätten in den letzten Jahren
erkennen lassen, dass es in der Justizvollzugsanstalt Gelsenkirchen nicht zum Besten gestanden und es sich nicht etwa um einen einzelnen Vorfall gehandelt habe. Die
Fürsorgepflicht der Ministerin hätte es geboten, sich gerade auch diese Anstalt - neben den laut des von der Ministerin selbst beauftragten Gutachtens anderen Anstalten mit auffälligen Krankenständen - viel früher anzusehen und sich mit den Betroffenen rückzukoppeln.
Ihres Erachtens habe sich die Anstaltsleitung unfähig gezeigt, diese Missstände in
den Griff zu bekommen, und damit einen Grund für den Neuanfang geliefert.
Widersprüchlich bleibe, wenn Ministerin und Regierungsfraktionen einerseits von
„Skandalisierung durch die SPD-Fraktion“ sprächen, andererseits die Ministerin genau das Richtige tue, nämlich die Anstaltsleitung austausche.
Frank Sichau (SPD) hat sich, wie er zur Kenntnis gibt, die Küchen in der JVA Remscheid zeigen lassen, die beiden Herdplatten entdeckt und daraufhin überlegt, den
Leitenden Oberstaatsanwalt in Wuppertal mit der Frage anzuschreiben, ob die Mitarbeiter in seiner Behörde neue Brillen bräuchten. Davon habe er dann aber aufgrund
der Mahnung, Vorsicht walten zu lassen, da es sein könnte, dass man die Staatsanwaltschaft gerade in diese Küche nicht geführt hätte, Abstand genommen.
Fakt bleibe aber: Die beiden Herdplatten hätten in der JVA Remscheid existiert. Er
und weitere Personen hätten sie gesehen. Warum die Staatsanwaltschaft sie nicht
gesehen habe, erschließe sich ihm nicht.
Die Ministerin macht der Abgeordnete anschließend auf das Recht des Parlaments
auf Information aufmerksam. Wenn sie eine Frage nicht sofort beantworten könne,
könne sie die Antwort gerne nachliefern, aber ihm, Sichau, vorzuschlagen, den Ombudsmann doch bitte selber zu fragen, bedeute schlichtweg eine parlamentarische
Unverschämtheit. Er bitte die Ministerin also, in der Sache zu antworten.
Zu dem Thema Drogen: Nach Auskunft eines ehemaligen Gefangenen - und dabei
handle es sich immerhin um eine qualifizierte Aussage - koste Stoff in der JVA Gelsenkirchen nicht viel und sei in reichem Maße erhältlich.
Ein anderer Gefangener habe ihm, Sichau, von dem - von ihm abgelehnten - Versuch berichtet, ihn als Drogenkurier anzuwerben. Der Anstalt hätte er sich aber in
dem Wissen, dass in einem anderen Fall, in dem sich jemand offenbart hätte, die
angeordnete Täter-/Opfertrennung nur halbherzig vollzogen worden, das Opfer über
den Freistundenhof beschimpft und bedroht worden sei, nicht anvertraut.
Wenn die Gefangenenmitverantwortung von Frust spreche, möge das in einem Einzelfall zutreffen, aber es gebe natürlich die anderen Fälle.
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Dr. Robert Orth (FDP) empfiehlt, an Frank Sichau gewandt, als Parlamentarier nicht
zu meinen, die besseren Kriminalisten zu sein: Wenn seine, Sichaus, Wahrnehmung
in Remscheid nicht mit der der Behörden übereinstimme, sollte er diese abweichende Erkenntnis entweder in das offizielle Verfahren einspeisen oder es unterlassen,
sie öffentlich kundzutun.
Thomas Stotko erinnert er an den alten Rechtsgrundsatz, dass die Unschuldsvermutung bis zum Beweis des Gegenteils gelte. Von daher erscheine ihm, Orth, das Zitieren aus einer noch nicht bei Gericht behandelten Anklageschrift in einer Ausschusssitzung und damit in einem öffentlichen Raum sehr problematisch, zumal er sich frage, wie Thomas Stotko überhaupt in den Besitz der Anklageschrift gelangt sei. Wenn
Thomas Stotko die Anklageschrift zur Verfügung stehe, sollte er sie allen Ausschussmitgliedern zugänglich machen, damit auf derselben Grundlage diskutiert
werden könne.
Monika Düker bittet er, bei ihrer Kritik an der vermeintlich zu späten Abberufung der
Gelsenkirchener Anstaltsleitung die zahlreichen Vorfälle aus den Jahren 2000 bis
2005 und die Tatsache, dass daraufhin keine einzige Anstaltsleitung abberufen worden sei, nicht aus dem Auge zu verlieren. In der JVA Düsseldorf habe nach einer
Selbstmordserie erst ein Jahr später klammheimlich ein Wechsel stattgefunden, allerdings nach dem Motto, dieser hätte nichts mit den Suiziden zu tun. In dem jetzt
vorliegenden Fall erfolge die Abberufung hingegen im zeitlichen Zusammenhang mit
den Geschehnissen und deutlich früher als jemals unter den Vorgängerregierungen.
Harald Giebels (CDU) stellt klar: Das Beamtenrecht fordere bekanntlich die Erfüllung weitreichender, aktenkundiger Voraussetzungen, wolle der Dienstherr einen
Beamten aus seiner Funktion entfernen; Gerüchte reichten da überhaupt nicht.
Bei Schreiben und gar bei anonymen Schreiben gebiete es die Sorgfalt, sie sehr genau zu prüfen, wie auch Frank Sichau aus seiner langjährigen Praxis bewusst. Oft
schon hätten sich von ehemaligen Gefangenen aufgestellte Behauptungen als unwahr oder nicht belegbar erwiesen.
Was die „Skandalisierung“ betreffe: Im letzten Monat habe Frank Sichau in einer
Pressemitteilung Beschwerde geführt, das Ministerium berichtete nicht - wissend um
die für den selben Tag anberaumte Sitzung der Vollzugskommission zu eben jenem
Thema mit einem Bericht des Ministeriums. - Dies gehöre sich nicht.
Justizministerin Roswitha Müller-Piepenkötter verwahrt sich gegen die Angriffe
gegen den Abteilungsleiter ihres Hauses, dieser missachtete verfassungsmäßige
Rechte. Wenn MDgt Mainzer gleich Stellung nehme, spreche er auch jetzt für das
Haus. Wenn, dann sei das Vorgetragene ihr zuzurechnen.
MDgt Winfried Mainzer (Justizministerium) wendet sich zunächst dem von Frank
Sichau gegen ihn erhobenen Vorwurf zu: Dieser Vorwurf habe ihn getroffen und
nachdenklich gemacht, aber mit dem Ergebnis, dass er seine Aussagen aufrechterhalte.
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Es gelte, sich bewusst zu machen, welche Punkte eigentlich die von Thomas Stotko
wiederholt zitierte Anklageschrift, die dem Abgeordneten, aus irgendwelchen Quellen
stammend, wohl vorliege, beinhalte.
Was werfe - nach Berichtslage des Ministeriums - die Staatsanwaltschaft den Angeklagten vor?
Antwort: Zwei von vier in einem Haftraum Befindliche - so die Staatsanwaltschaft hätten es geschafft, über einen längeren Zeitraum hinweg ein Drohszenario aufzubauen. Es wäre ihnen letztlich am Ende dieses Zeitraumes von ungefähr zwei Wochen, am 29. März 2008, gelungen, den vermeintlich Geschädigten in eine subjektive
echte Todesangst zu versetzen, oder, anders ausgedrückt: Es werde den Angeklagten zur Last gelegt, den Geschädigten zu Tode erschrocken und geängstigt zu haben.
Irgendwelche Hinweise darauf, dass diese beiden Gefangenen etwa eine Tötung des
Geschädigten ernsthaft auch nur verabredet - § 30 StGB - oder gar zu einem solchen
Verbrechen angesetzt hätten - versuchtes Tötungsdelikt -, besitze die Staatsanwaltschaft nach dem Inhalt ihrer Anklageschrift eben gerade nicht.
Als Konsequenz aus ihrer juristischen Wertung klage die Staatsanwaltschaft gerade
kein Tötungsdelikt, keine Verabredung zu einem Verbrechen - § 30 StGB - an, sondern sexuelle Nötigung - zulasten des Geschädigten hätten, so die Staatsanwaltschaft, einige sexuelle Ansinnen und Übergriffe stattgefunden -, Raub - dem Geschädigten wäre, so die Staatsanwaltschaft, der Einkauf beim Anstaltskaufmann
weggenommen worden -, gefährliche Körperverletzung - es hätte, so die Staatsanwaltschaft, das sogenannte Fingerkloppen stattgefunden, wodurch der Geschädigte
Verletzungen hätte erdulden müssen -, Nötigung - von dem Geschädigten wäre, so
die Staatsanwaltschaft, ein Geständnis einer - von ihm gar nicht begangenen - Tat
zum Nachteil von Minderjährigen erpresst worden - und Beleidigung - dem Betroffenen wäre unterbreitet worden, minderjährige Jugendliche sexuell missbraucht zu haben, was nicht zutreffe.
Wenn vor diesem Hintergrund angemahnt werde, einen Vorfall nicht zu skandalisieren und ihn nicht in dasselbe Licht zu rücken, in dem sich das schreckliche Verbrechen in Siegburg ereignet habe, dann halte er dies für richtig.
Ein Blick in das Protokoll der Rechtsausschusssitzung vom 14. Januar 2009 dokumentiere das von ihm, Mainzer, persönlich Frank Sichau damals Vorgeworfene.
Er zitiere als Grundlage, auf dem das Vorgeworfene fuße, nur zwei der dazu vorhandenen Quellen:
WDR online, 29. Dezember 2008: „Sichau: ‚Hier musste sich der junge Mann 14 Tage lang ins Bett legen, damit keiner merkt, dass er gequält wird.’“
„TAZ“, 30. Dezember 2008: „Auch müsse untersucht werden, ob die Beamten der
Gelsenkirchener Justizvollzugsanstalt nicht eher hätten einschreiten müssen, sagt
Sichau. Schließlich habe sich der misshandelte Häftling fast zwei Wochen nicht mehr
aus seinem Bett herausgetraut.“
Diese Zitate von Frank Sichau spiegelten die virtuelle Realität wider.
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Ebenfalls habe er, Mainzer, Frank Sichau, und zwar auch bereits in der Sitzung am
14. Januar, die aus den Akten ersichtlichen Fakten und damit die echte Realität vor
Augen geführt.
Fünf Fakten aus den Akten:
Erstens. Drei Arztbesuche - 13., 17. und 28. März 2008 -, nachgewiesen in den Akten; Arztbesuche just des Gefangenen, der sich nach Aussage von Frank Sichau,
wenn die Zitate von ihm in den Medien stimmten, nicht aus dem Bett getraut habe;
keinerlei auffällige Diagnose, keine Äußerungen über Misshandlungen, keine Anhaltspunkte für irgendein irgendwie geartetes Drangsalieren.
Zweitens. Regelmäßige Teilnahme am sozialen Training, begonnen am 25. Oktober
2007 und lückenlos bis zum 10. April 2008 fortgesetzt.
Drittens. In den Akten nachgewiesen zwei bis drei Gespräche pro Woche mit Betreuern der Jungtäterabteilung, zeitweise unter vier, zeitweise unter sechs Augen; irgendwelche Auffälligkeiten oder entsprechende Äußerungen des angeblich Geschädigten nicht dokumentiert.
Viertens. Mehrere Langzeitbesuche mit der Verlobten; das „Sich-nicht-aus-dem-Bettgetraut-Haben“ wolle er hier nicht weiter kommentieren.
Fünftens. Mehrmaliger täglicher Kontakt mit Abteilungsbeamten, und zwar dokumentiert.
Dies eingedenk habe er Frank Sichau am 14. Januar vorgehalten, dass für ihn,
Mainzer, aller Anlass bestehe, sich vor seine Kollegen zu stellen. Dies tue er an dieser Stelle expressis verbis noch einmal: Es gebe keinen Sinneswandel, wie von
Frank Sichau eben behauptet. Er, Mainzer, erachte es als bodenlos, solche Vorwürfe, man hätte angesichts eines durch Furcht ausgelösten Sich-im-Bett-Befindens
nicht eingegriffen, gegen seine Kollegen zu erheben.
Die Tatsache, dass er weder am 14. Januar noch bis heute ein Dementi von Frank
Sichau gehört habe, betrübe ihn. Für ihn und sein Demokratieverständnis wäre es
sehr heilsam, wenn ein Vertreter der ersten Gewalt im Staate heute wenigstens irgendetwas dazu, die Presse falsch unterrichtet zu haben, sagen könnte.
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Entwurf eines Gesetzes zur Änderung dienstrechtlicher Vorschriften
Drucksache 14/8176
hier: § 118 Allgemeiner Vollzugsdienst und Werkdienst bei den Justizvollzugsanstalten
Vorlage 14/2484
Der Ausschuss verständigt sich einvernehmlich darauf, den
Punkt in der nächsten Sitzung zu behandeln.
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Datenschutz im Abseits bei der Zusammenlegung der Sozialen Dienste
der Justiz (Anlage)
Vorlage 14/2440 (19. Datenschutz- und Informationsfreiheitsbericht 2009 der
LDI NRW)
Vorlage 14/2482
Justizministerin Roswitha Müller-Piepenkötter führt einleitend aus:
Herr Vorsitzender! Meine Damen und Herren Abgeordnete! Die SPD-Fraktion
nimmt den Datenschutzbericht 2009 zum Anlass, die Landesregierung um einen
schriftlichen Bericht zum Datenschutz im Zusammenhang mit der Strukturreform
der sozialen Dienste der Justiz zu bitten.
Im Bericht 2009 der Landesbeauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit
Nordrhein-Westfalen wird auf die Zusammenlegung der sozialen Dienste der Justiz zum 1. Juni 2008 eingegangen und kritisiert, dass die LDI NRW weder an der
Erstellung noch an der Umsetzung des bei der Zusammenlegung zugrunde liegenden Organisationserlasses beteiligt gewesen sei.
In der Überschrift zu diesem Punkt heißt es: „Gerichtshilfe, Bewährungshilfe, Führungsaufsicht: Zusammenwachsen darf nur, was zusammen gehört“. Nun ist die
Organisation der sozialen Dienste ganz sicher Sache der Regierung, aber ganz
sicher nicht Sache der Datenschutzbeauftragten, und deswegen hat mich das
schon ein wenig irritiert.
Eine Überprüfung der Organisation der Strukturen der Bewährungshilfe, Führungsaufsicht und Gerichtshilfe in der Justiz hat mir Veranlassung gegeben, diese
mit Wirkung vom 1. Juni 2008 als Fachbereiche in einem ambulanten sozialen
Dienst zusammenzuführen. Dieser soll als tragende Säule einer integrierten Kriminalpolitik mit spezialisierten Fachbereichen die bisher selbstständig und weitgehend isoliert voneinander arbeitenden Dienste sinnvoll vernetzen und die Aufgaben der Bewährungs- und Gerichtshilfe sowie der Führungsaufsicht leistungsstärker wahrnehmen.
Über diese Organisationsveränderung hat die Landesregierung den Rechtsausschuss im Anschluss an die Behandlung des Themas in der Sitzung vom 16. Januar 2008 durch Schreiben vom 27. März 2008 an den Vorsitzenden umfassend
unterrichtet.
Die Strukturveränderung der sozialen Dienste der Justiz wird seit dem 1. Juni
2008 umgesetzt, wobei die Anregungen und Erfahrungen der Praxis laufend aufgenommen und ausgewertet werden, etwa in einem Jour fixe meiner Fachabteilung mit den berufsständischen Vertretern der Bewährungshelfer und der Gerichtshelfer. Über die bisher gesammelten Erfahrungen habe ich am 4. März dieses Jahres mit den Leiterinnen und Leitern der ambulanten sozialen Dienste, den
Vizepräsidenten und Vizepräsidentinnen der Landgerichte und einer Vertreterin
der Staatsanwaltschaften gesprochen und dabei eine sehr positive Resonanz erfahren.
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Der am 1. Juni 2008 eingeleitete Prozess der Strukturveränderung ist natürlich
noch nicht abgeschlossen, denn es handelt sich um einen Prozess und nicht um
das Umlegen eines Schalters. Bislang ist er aber weitgehend reibungslos verlaufen. In den Dienststellen vor Ort wird der Zuwachs an Flexibilität begrüßt. Weiterhin wird in allen Bereichen qualitativ hochwertige Arbeit geleistet. Den anfänglichen Befürchtungen der Gerichtshelferinnen und Gerichtshelfer, ihre eigenständige Rolle zu verlieren, wird entgegengewirkt. Die Zusammenarbeit mit den Staatsanwaltschaften verläuft nach wie vor gut.
Ich beabsichtige - das ist im Übrigen in der AV vom 25. Februar 2008 festgeschrieben -, den Reformprozess im Zwei-Jahres-Turnus zu überprüfen und den
sachlichen Notwendigkeiten anzupassen. Soweit Optimierungsbedarf besteht,
wird diesem Rechnung getragen.
Die neue Organisationsstruktur bildet die gesetzlichen Aufgabenzuweisungen an
die Fachbereiche Bewährungshilfe, Führungsaufsicht und Gerichtshilfe zutreffend
ab. Von einem Unterlaufen dieser Aufgabenzuweisungen kann überhaupt nicht die
Rede sein.
Sie führt nicht zu einer Datenübermittlung zu Aufsichtszwecken neben der gesetzlich vorgesehenen Aufsicht. Die Leitung des ambulanten sozialen Dienstes der
Justiz ist Teil der gesetzlich festgeschriebenen Aufsicht durch die Präsidentin oder
den Präsidenten des jeweiligen Landgerichts.
Die Zusammenführung von Bewährungshilfe, Führungsaufsicht und Gerichtshilfe
bewirkt auch keine nicht erlaubten Datenzugriffe. Das insoweit zur Verfügung stehende Fachverfahren SoPart Justiz basiert auf einer zentralen landesweiten Datenbank zur Speicherung von Daten und Dokumenten. Der Zugriff auf das Datenverarbeitungsverfahren SoPart erfolgt auf Basis einer Terminal-Server-Infrastruktur. Dabei befindet sich die Programmlogik neben der Datenhaltung auf einem zentralen Server im Rechenzentrum IT NRW, Niederlassung Hagen. Die Anwender nutzen ihren PC am Arbeitsplatz als Endgerät mit den vom zentralen Server gelieferten Informationen. Für die verschlüsselte Datenübertragung zwischen
dem Terminal und den Einrichtungen der sozialen Dienste und dem Server des
Rechenzentrums wird - wie in allen Bereichen - das Landesverwaltungsnetz LVN
genutzt.
Die zentrale technische Vorgehensweise bietet gegenüber der Arbeit in lokalen
Netzwerken u. a. auch die Möglichkeit für einen gemeinsamen, zeitgleichen und
behördenübergreifenden Zugriff auf die im System vorhandenen Daten. Sie bietet
die Möglichkeit zur Kooperation der verschiedenen Fachdienste und wechselseitigen Datenübergabe. Die datenbankgestützte Verwaltung der Fallakten ermöglicht
einen einfachen und schnellen Wechsel von Zuständigkeiten innerhalb einer
Dienststelle bzw. eines Fachbereichs z. B. bei einem Wohnortwechsel oder bei
Verlegung in eine andere JVA. Dies vereinfacht und beschleunigt die verwaltungstechnische Behandlung des Vorgangs.
Allen Fachbereichen der sozialen Dienste stehen nur die jeweiligen eigenen Personenstammdaten durch die zentrale Datenhaltung zur Verfügung. Ein Daten-
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transfer der Dokumentationseinträge ist aus Datenschutzgründen nicht vorgesehen; jedoch können nach ausdrücklichem Einverständnis des Klienten Teilakten
wie etwa die Dokumentation der Schuldenberatung elektronisch übermittelt werden.
Bereits im Jahr 2007 ist die Landesbeauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit Nordrhein-Westfalen in die programmtechnische Ausgestaltung des Fachverfahrens SoPart eingebunden worden. Das Fachverfahren wurde ihr im Rahmen
einer Live-Präsentation im Detail vorgestellt.
Die sich aus datenschutzrechtlicher Sicht ergebenden Änderungsanforderungen
wurden nach Abstimmung mit der Fachabteilung zum Teil direkt im Anschluss an
diese Veranstaltung in Auftrag gegeben. Sowohl das Zugriffsberechtigungssystem
als auch die dem Datenzugriff vorgeschaltete Suchmaske sind in enger Abstimmung mit der LDI programmtechnisch umgesetzt worden.
Insgesamt ist die Zusammenarbeit der Verfahrenspflegestelle SoPart mit den zuständigen Mitarbeitern der LDI geprägt von dem gemeinsamen Ziel, den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der ambulanten sozialen Dienste eine DV-Unterstützung
mit möglichst großer Funktionsbreite, aber unter Beachtung des Datenschutzes
zur Verfügung zu stellen.
Als Beispiele seien nachfolgend einige in enger Abstimmung mit der LDI umgesetzte Änderungen am Fachverfahren SoPart erwähnt:
- Entfernung von nicht für die Identifikation von Klienten erforderlichen Daten aus
den Stammdaten, z. B. Familienstand und Religionszugehörigkeit,
- Unterbindung des uneingeschränkten Zugangs zum SoPart-Datenbestand
durch die Vorschaltung eines entsprechenden Datenschutzhinweises; eine darüber hinausgehende Modifikation der Suchmaske ist in Arbeit,
- Protokollierung aller SoPart-Datenzugriffe und Überprüfung des dienstlichen
Bezugs im Rahmen der turnusmäßigen Geschäftsprüfung vor Ort,
- Modifikation des sogenannten Praktikantenzugangs, Einschränkung des Datenzugriffs für sogenannte Kurzzeitpraktikanten.
Die für den Bereich der Justiz zuständigen Mitarbeiter der LDI haben noch vor
wenigen Wochen die Zusammenarbeit mit der Justiz, insbesondere der Verfahrenspflegestelle beim Präsidenten des OLG Hamm betreffend die Anpassung des
Datenverarbeitungsverfahrens SoPart, als beispielhaft und zielführend bezeichnet.
Deswegen waren wir von dem Bericht schon etwas überrascht.
Soweit die LDI neben der sehr frühzeitigen und intensiven Einbindung beim Fachverfahren SoPart, das in den Dienststellen des ambulanten sozialen Dienstes eingesetzt wird, an der Erstellung der AV vom 25. Februar 2008 nicht beteiligt worden
ist, beruht dies allein darauf, dass SoPart mit der LDI abgestimmt war und die AV
eine Verarbeitung personenbezogener Daten ansonsten nicht vorsieht.
Den Weg der Zusammenarbeit mit der Landesbeauftragten für Datenschutz und
Informationsfreiheit Nordrhein-Westfalen wird das Justizministerium weiter be-
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schreiten und auch in Zukunft die Belange des Datenschutzes bei der Entwicklung
und Anpassung von Fachverfahren an den aktuellen Stand der Technik und die
fachlichen Anforderungen berücksichtigen.
Die Landesbeauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit NordrheinWestfalen, Bettina Sokol, ist über die Zusage der Ministerin, weiter mit ihrer Behörde zusammenarbeiten zu wollen, erfreut.
Es treffe auch zu, dass die LDI bei SoPart beteiligt worden sei. Allerdings habe sie
sich aufdrängen, habe - anders als vom Gesetz vorgeschrieben - von sich aus initiativ werden müssen.
Der Ständige Vertreter der Landesbeauftragten, Roland Schlapka, ergänzt aus
der Sicht der Landesbeauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit
Nordrhein-Westfalen:
Herr Vorsitzender! Meine Damen und Herren Abgeordnete! In dem Bericht ist nicht
etwa das Verfahren beanstandet worden. Wir waren insoweit beteiligt.
Zu dieser Beteiligung gehört u. a., dass wir in Bezug auf die Software prüfen, ob
die Berechtigungskonzepte der dahinter stehenden Organisation entsprechen.
Und diese dahinter stehende Organisation gibt der LDI nach wie vor Anlass zu
Bedenken. Bekanntlich hatten in der Justiz verschiedene Bereiche die sozialen
Dienste übernommen: die Gerichtshilfe, bislang zugeordnet den Staatsanwaltschaften, die Führungsaufsicht und die Bewährungshilfe. In diesen bisher getrennt
agierenden Bereichen arbeiten unterschiedlich viele Beschäftigte, die über viele
Tausend Personen Informationen besitzen und auch besitzen müssen.
Ändert man jetzt die Organisation, was man sicherlich tun kann, ist aus datenschutzrechtlicher Sicht zu untersuchen, wie viele Datenflüsse durch die Neuorganisation neu entstehen. Wenn letztlich alle drei bisherigen Bereiche in einer Organisationsform zusammengefasst werden, resultieren daraus mehr Informationen
für viel mehr Personen; unter dem Strich kann man heute aus jedem der Bereiche
- Gerichtshilfe, Führungsaufsicht, Bewährungshilfe - auf alle Daten zugreifen. Zudem sollen die Stammdaten mit den anderen sozialen Diensten der Justiz verbunden werden, sodass auch dort auf alle Stammdaten - nicht allerdings auf die
Fachdaten - zugegriffen werden kann.
Ein Beispiel: Gibt ein Beschäftigter einen Buchstaben ein, erscheinen zwischen
1.000 und 2.000 Namen. Aus datenschutzrechtlicher Sicht stellt sich also zum einen die Frage nach einer Begrenzung.
Zweitens sollen die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen der verschiedenen, bisher getrennten Dienste lt. Allgemeinverfügung zwar nur dann zugreifen, wenn sie den
Zugriff dienstlich brauchen, doch ist diese Formulierung sehr lasch. Denn durch
die horizontalen Vertretungsregelungen zwischen all diesen Diensten kann
schlussendlich jeder auch auf die Fachdaten zugreifen. Insofern wollen wir zu-
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sammen mit der Justiz überlegen - nichts anderes steht in dem Bericht -, ob sich
die Berechtigungen noch einschränken lassen.
Frau Merger (LDI) fügt diesen Ausführungen Detailinformationen hinzu:
Die erste Ebene ist die Ebene der Stammdaten, sprich: der zur Identifikation notwendigen Daten. Diese sind landesweit für alle sozialen Dienste der Justiz, nicht
nur für die ambulanten, sondern auch die der Justizvollzugsanstalten, verfügbar.
Eingespeichert mit ihren Stammdaten sind alle Häftlinge, die Klienten der Bewährungshilfe und der Führungsaufsicht sowie Beschuldigte, die von der Gerichtshilfe
betreut werden. Ferner liegen auf der ersten Ebene die Kontaktdaten.
Diese Ebene betreffend hat die Datenschutzbeauftragte eine Verbesserung insofern erreicht, als vorher alle Beschäftigten auf die Stammdaten zugreifen und,
wenn sie etwa einen neuen Fall anlegen wollten, darüber suchen konnten, ob die
Person in der Datei schon existiert, während diesem Vorgang jetzt eine Suchmaske vorgeschaltet ist, nur eine Trefferliste angezeigt und bei Benutzen der Suchmaske automatisch ein Fall angelegt wird, um Missbrauch vorzubeugen, das heißt, um zu verhindern, dass ein Mitarbeiter „nur einfach mal so nachguckt“.
Allerdings zeigt die Trefferliste immer noch alles an, was mit den eingegebenen
Kriterien übereinstimmt.
Nach Redaktionsschluss für den Bericht Ende letzten Jahres wurde der LDI zugesagt, aufseiten des Ministeriums eine weitere Einschränkungsmöglichkeit zu prüfen.
Die zweite Ebene ist die Ebene der Fachdaten. Auf dieser Ebene müssen alle in
den einzelnen Bereichen tätigen Sachbearbeiter alle Daten speichern; es dürfen
keine eigenen Akten geführt werden. Auf die Fachdaten eines Klienten kann ein
Sachbearbeiter nur zugreifen, wenn er für den entsprechenden Klienten zuständig
ist. Jedoch können - nicht dürfen - innerhalb dieser neu geschaffenen einheitlichen
Dienststelle alle zugreifen: Sie alle haben die Zugriffs-, Lese- und Schreibrechte
für alle Klienten, die örtlich in die Zuständigkeit ihrer Dienststelle fallen. Und im
Vertretungsfall dürfen sie auch zugreifen, etwa ein in der Gerichtshilfe tätiger
Sachbearbeiter auf die Daten des Bewährungshelfers.
Dr. Anna Boos (SPD) sieht einen Widerspruch zwischen den in Vorlage 14/2482
und auch eben beschriebenen übergreifenden Zugriffs-, Lese- und Schreibrechten
und den Ausführungen auf S. 2 Mitte der Vorlage, in denen es heiße: „Ein Datentransfer der Dokumentationseinträge ist aus Datenschutzgründen nicht vorgesehen,
jedoch können nach ausdrücklichem Einverständnis der Klientel Teilakten wie z. B.
die Dokumentation der Schuldenberatung elektronisch übermittelt werden.“ Es interessiere sie, was sie unter „nicht vorgesehen“ verstehen müsse und wie ein „ausdrückliches Einverständnis der Klientel“ in der Praxis zustande komme.
Harald Giebels (CDU) kritisiert die erste Aussage auf Seite 83 des Datenschutzberichts als nicht richtig. Dort werde von einer Verwischung von Zuständigkeiten ge-
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sprochen. - Richtig sei hingegen: An den gesetzlichen Zuständigkeiten von Bewährungshilfe, Gerichtshilfe und Führungsaufsicht habe sich nichts geändert, sondern
lediglich an der Organisation.
Verwischung von Zuständigkeiten deshalb, erwidert Frau Merger (LDI), weil eine
fachbereichsübergreifende Vertretung stattfinde.
Nach Ansicht von Harald Giebels (CDU) handelt es sich nicht um eine Verwischung
von Zuständigkeiten, wenn der Vertreter eines Mitarbeiters in der Funktion des Vertretenen tätig werde; die Zuständigkeit bleibe dieselbe.
Monika Düker (GRÜNE) empfindet die semantische Aufarbeitung durch Harald Giebels als nicht besonders zielführend. - Sinn der Zusammenlegung der Dienste sei die
Nutzbarmachung von Synergieeffekten, und zwar auch durch gegenseitige Vertretungen, damit es unter den Mitarbeitern der einzelnen Dienste zu einem Belastungsausgleich komme. - Organisatorisch, wirft Harald Giebels (CDU) ein. - Dass natürlich inhaltlich Bewährungshilfe Bewährungshilfe bleibe etc. stehe außer Zweifel, bekräftigt Monika Düker (GRÜNE), denn die gesetzliche Aufgabe könne nicht durch
eine Organisationsänderung verändert werden: ein für jeden Menschen nachvollziehbarer Sachverhalt. Sie gehe davon aus, dass auch die LDI darum wisse.
Näheres hören möchte die Abgeordnete dazu, inwieweit, wenn ein Mitarbeiter durch
die Vertretungsregelungen in zwei unterschiedlichen Funktionen, etwa morgens als
Bewährungshelfer, nachmittags als Führungsaufsicht, aktiv werde, für die Einhaltung
der unterschiedlichen Datenschutzpflichten Sorge getragen werde und keine Vermischung eintrete. Daran schließe sich an, ob die Landesregierung bereit wäre, die in
der AV enthaltene, unverbindliche Formulierung - die Beschäftigten sollten nur bei
dienstlicher Notwendigkeit auf entsprechende Daten zurückgreifen - in der Art nachzubessern, dass die AV die Abgrenzung und die Grenzen klarer aufzeige.
Justizministerin Roswitha Müller-Piepenkötter bezeichnet die Diskussion als etwas verwirrend, laufe sie doch darauf hinaus, dass, führte sie zwei Abteilungen in ihrem Haus zusammen und hätten die Mitarbeiter dieser dann einen Abteilung auch
Zugriff auf die Daten der vorher jeweils anderen Abteilung, daraus ein datenschutzrechtliches Problem resultierte.
Herr Schlapka habe bestätigt, dass der Justizbereich an der Suchmaske, die unberechtigte Zugriffe verhindere, arbeite. Sie freue sich, dass man grundsätzlich weiterhin zusammenarbeiten wolle und nehme den Datenschutzbericht als einen Nachweis
für die Daseinsberechtigung der LDI.
Frank Sichau (SPD) erkundigt sich, ob die Ministerin neben der Überprüfung im
Zwei-Jahres-Rhythmus eine unabhängige Evaluation plane.
Erstaunen habe bei ihm die Einbeziehung nicht nur der zusammengeführten drei
ambulanten sozialen Dienste der Justiz - Bewährungshilfe, Führungsaufsicht, Ge-
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richtshilfe - in das Verfahren SoPart, sondern darüber hinaus auch des stationären
Sozialdienstes des Justizvollzugs hervorgerufen, könne so doch der ambulante soziale Dienst auf die Daten des stationären sozialen Dienstes im Strafvollzug zugreifen.
Dr. Robert Orth (FDP) bringt seine Verwunderung über die Intensität zum Ausdruck,
mit der dieser Ausschuss über diese datenschutzrechtlichen Belange debattiere,
existierten im Datenschutz doch sicherlich andere Probleme. Um so mehr verwundere dies, als gerade die SPD-Fraktion bei TOP 2 immer wieder aus hochsensiblen Anklageschriften zitiere, nun aber über die hier in Rede stehenden Aspekte in epischer
Breite rede. So setze man im Datenschutz falsche Prioritäten. Er empfinde die Diskussion wirklich als ein bisschen daneben.
Der Vorsitzende müsse einem Abgeordneten schon zugestehen, das zu diskutieren,
was er wolle, kontert Frank Sichau (SPD). Er wolle über die Details informiert werden, und wenn das etwas länger dauere, müssten die anderen sich eben in Geduld
üben.
Und er mache den Vorsitzenden noch einmal darauf aufmerksam, dass er eine Position bekleide, in der er eine Sitzung leite und einer Neutralitätspflicht unterliege. Er
wolle die Angelegenheit nicht hochziehen, bitte aber um Zurückhaltung.
LMR Fischer (Justizministerium) widmet sich zunächst der Einlassung der Datenschutzbeauftragten, sie hätte sich dem Justizministerium aufdrängen müssen. - Dies
treffe in der Tat zu. Die beiden Häuser verträten allerdings unterschiedliche Meinungen darüber, wieweit das Prüfungsrecht der LDI nach § 2 Datenschutzgesetz auch
bei Angelegenheiten der Rechtsprechung und der Rechtspflege greife.
Bezüglich des Verfahrens SoPart herrsche Einigkeit zwischen den Häusern über die
Existenz eines Prüfungsrechts der LDI, soweit der Einsatz des Verfahrens im Justizvollzug erfolge, jedoch keine Einigkeit, soweit es um den Einsatz im Bereich der
Rechtspflege, sprich: der Bewährungshilfe, Gerichtshilfe und Führungsaufsicht, gehe. Nichtsdestotrotz hätten beide Häuser versucht, Lösungen zu finden: ein für beide
Seiten lehrreicher Prozess.
Den Hintergrund dafür, dass über das Verfahren SoPart ursprünglich alle Stammdatensätze allen Mitarbeitern der sozialen Dienste zugänglich gewesen seien, bilde folgendes Grundprinzip: Die Justiz wolle allen sozialen Diensten - egal, ob sie Führungsaufsicht-, Bewährungsaufsicht- oder Gerichtshilfeaufgaben auf dem Feld der
ambulanten sozialen Dienste oder Aufgaben der stationären sozialen Dienste im Justizvollzug wahrnähmen - die Chance eröffnen, auf das Wissen der Justiz, auch das
aus anderen Fällen gewonnene Erfahrungswissen durch die elektronische Suche
nach Personen zurückzugreifen.
Im Rahmen von Gesprächen habe man sich auf eine Abschwächung dieser Möglichkeit verständigt, konkret darauf, auf eine einfache Jokersuche zu verzichten und dafür eine gezielte Suche nach Kriterien über eine Suchmaske mit einem gefilterten
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Trefferbild vorzusehen. Insofern habe die Justiz auch etwas vom Datenschutz gelernt.
Andere Punkte bedürften noch einer Einigung, zum Beispiel der Aspekt „Zugriff auf
Fachdaten“.
Um der Klarheit willen wiederhole er: Über eine Suche könne ein Sachbearbeiter der
sozialen Dienste erfahren, zu welcher Person die Datenbank Informationen enthalte.
Nur das! Erst wenn er eine Berechtigung besitze, gelange er auch an die Fachinformationen. Diese Fachinformationen seien also nur den - berechtigten, nicht allen Fachkräften der jeweiligen Dienststelle des ambulanten sozialen Dienstes zugänglich. - Ob dieses System den datenschutzrechtlichen Anforderungen genüge, stehe
noch in der Diskussion zwischen LDI und Justizministerium.
Das Ministerium halte es für erforderlich, in einem ambulanten Dienst, etwa beim
Landgericht Detmold, allen Fachkräften die Möglichkeit zu eröffnen, im Bedarfsfall
auf die Fachinformationen zuzugreifen. Einem Klienten wäre es nämlich im Falle einer Krisenintervention nicht nachvollziehbar zu erläutern, dass man ihm gerade nicht
helfen könne, weil der zuständige Bewährungshelfer nicht da und der Vertreter erkrankt sei, während man früher natürlich hätte helfen können, indem man sich die
Papierakte genommen und sich alle relevanten Informationen zusammengesucht
hätte. Diese fachlichen Gründe sprächen dafür, alle Fachdaten allen Fachkräften einer Dienststelle zugänglich zu machen. - Eine Einschränkung gelte allerdings für den
Kurzzeitpraktikanten.
Grundsätzlich diene das Verfahren dazu, die Qualität der Arbeit der sozialen Dienste
in Nordrhein-Westfalen zu verbessern, indem es u. a. die Fachkräfte von dem Erfahrungswissen profitieren lasse.
Nicht außer Acht bleiben dürfe, dass alle Zugriffe protokolliert würden und im Nachhinein im Rahmen einer Geschäftsprüfung sichergestellt werden könne, dass Zugriffe
nur zu dienstlichen Zwecken und nicht aus sonstigen Gründen erfolgten.
Die Landesbeauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit NordrheinWestfalen, Bettina Sokol, erläutert, der Bericht weise unterschiedliche Charakterzüge auf: Er greife Fälle auf, in denen ihre Behörde klare Beanstandungen ausspreche, Missstände vorlägen, die Dienststellen sich nicht entsprechend der Empfehlungen verhielten, aber bei sehr vielen Berichten in dem Gesamtbericht gehe es um
Prozesse, darum, dass sich die LDI mit einem Ministerium, einer sonstigen öffentlichen Stelle, einem Unternehmen in einem Dialog befinde, den Sachstand der Diskussion wiedergebe und ihre Zielvorstellungen formuliere. Zu letzterer Alternative
zählten die beiden Berichtsteile 8.3 und 8.4.
Vorsitzender Dr. Robert Orth erinnert daran, dass er vorhin bei Wiederbeginn der
Sitzung nach der kurzen Unterbrechung, als nur wenige Abgeordnete anwesend gewesen wären, angekündigt habe, „Verschiedenes“ nicht mehr aufzurufen, da dies
mangels Tagesordnungspunkten bereits erledigt sei. Niemand aus den Fraktionen -
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alle seien vertreten gewesen - habe widersprochen. - Damit schließe er die Sitzung
und bedanke sich.
gez. Dr. Robert Orth
Vorsitzender
2 Anlagen
hoe/31.03.2009/02.04.2009
231
Landtag Nordrhein-Westfalen
Frank Sichau MdL
Rechtspolitischer Sprecher
- 71 -
APr 14/837
Anlage zu TOP 2 und 3, Seite 1
23 81
An den
Vorsitzenden des Rechtsausschusses
Herrn Dr. Robert Orth MdL
20 43
Düsseldorf, 12.02.2009
Im Hause
Die
Beantragung eines Tagesordnungspunktes zur Sitzung des Rechtsausschusses am
11. März 2009
Sehr geehrter Herr Vorsitzender,
Fraktion
hiermit erbitten wir schriftliche Berichte der Landesregierung zu folgenden Tagesordnungspunkten für die o. g. Sitzung des Rechtsausschusses:
1. Häufung von Vorfällen in der Justizvollzugsanstalt Gelsenkirchen.
Nach dem die Zustände in der Justizvollzugsanstalt Gelsenkirchen wegen Gewalt
unter Gefangenen den Rechtsausschuss erst am 14. Januar 2009 beschäftigt
haben, muss sich der Rechtsausschuss aufgrund neu bekannt gewordener Vorfälle
erneut mit dieser Anstalt befassen. Nach Presseberichten soll ein Bediensteter der
JVA mit weiblichen Gefangenen pornografische Filme gedreht haben. In einem
Schreiben der Gefangenenmitverantwortung, das im Januar 2007 an das
Justizministerium gegangen ist, soll die Rede davon sein, dass ein Gramm Heroin
für unter 50 Euro angeboten werde und die Beschaffung einer Menge von 15 bis
200 Gramm kein Problem darstelle.
Die Sprecherin des Justizministerium wird im Express vom 11. Februar 2009
folgendermaßen zitiert: " Wir wissen noch nicht, was dort alles ans Licht kommt, die
Ermittlungen laufen noch." Der Rechtsausschuss muss umfassend über den Stand
der Erkenntnisse unterrichtet werden.
Landtag Nordrhein-Westfalen
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APr 14/837
Anlage zu TOP 2 und 3, Seite 2
2. Gesetz zur Änderung dienstrechtlicher Vorschriften
Das Gesetz zur Änderung dienstrechtlicher Vorschriften soll die Möglichkeit
eröffnen, Beamte bei Justizvollzugsanstalten auch durch beamtete Vollzugsärzte
begutachten zu lassen. Der Rechtsausschuss möge über die hinter dieser
Neuregelung stehenden Überlegungen informiert werden, da der vorliegende
Gesetzentwurf dazu keine Begründung enthält.
Mit freundlichen Grüßen
Frank Sichau
Landtag Nordrhein-Westfalen
Frank Sichau MdL
Rechtspolitischer Sprecher
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APr 14/837
Anlage zu TOP 4, Seite 1
23 81
An den
Vorsitzenden des Rechtsausschusses
Herrn Dr. Robert Orth MdL
20 43
Düsseldorf, 26. Februar 2009
Im Hause
Die
Beantragung eines Tagesordnungspunktes zur Sitzung des Rechtsausschusses am
11. März 2009
Sehr geehrter Herr Vorsitzender,
Fraktion
Die Landesregierung wird um schriftlichen Bericht zu folgendem Tagesordnungspunkt
gebeten:
Datenschutz im Abseits bei der Zusammenlegung der sozialen Dienste der Justiz
Die Zusammenlegung der sozialen Dienste der Justiz liegt mehr als ein halbes Jahr
zurück. Weiterhin wird an der Maßnahme heftige Kritik geübt. So unter anderem durch die
Landesbeauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit Nordrhein-Westfalen (LDI
NRW).
Im Bericht 2009 der LDI NRW wird unter den Ziff. 8.3 und 8.4 auf die datenschutzrechtlichen Folgen eingegangen, die sich aus der Zusammenlegung der Sozialen Dienste
der Justiz zum 1. Juni 2008 ergeben haben. Kritisiert wird, dass die LDI NRW weder an
der Erstellung noch an der Umsetzung des der Zusammenlegung zugrundeliegenden
Organisationserlasses beteiligt war. Die LDI NRW fordert, dass durch die organisatorische
Vereinheitlichung und funktionsunabhängige Vertretungsregelung keine gesetzlich nicht
erlaubten Datenzugriffe ermöglicht werden.
Darüber hinaus bemängelt der Bericht das Zugriffskonzept für die landesweite Datenbank
SoPart (Sozial-Partner). Das Zugriffskonzept sei unter anderem im Hinblick auf zu
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APr 14/837
Anlage zu TOP 4, Seite 2
weitgehende Vertretungsrechte nicht datenschutzgerecht und bedürfe noch weiterer
Überarbeitung.
Das Justizministerium wird gebeten, den derzeitigen Stand der Zusammenlegung der
sozialen Dienste darzustellen, weiterhin zu der erwähnten Kritik Stellung zu nehmen sowie
zu berichten, ob Änderungen unter Beteiligung der LDI NRW geplant sind.
Mit freundlichen Grüßen
f. d. R.
Frank Sichau
Uwe Schmidt

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