Gesundes Schulessen in Berlin mit Jamie Oliver

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Gesundes Schulessen in Berlin mit Jamie Oliver
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ERNÄHRUNGSKOMMUNIKATION
Foto: Mauritius
Kampagne schlug ein und „aus unserer Idee, Jamie Oliver und seine Kampagne nach Berlin zu holen, wurde ein fester Plan“, berichtete Hoppe. Die Konzeption lief auf
Hochtouren; Luna überlegte, wie
dieses Vorhaben zu realisieren sei,
wie man Schüler, Eltern, Lehrer und
Unternehmen für die Idee begeistern
könne und wie sich Olivers Rezepte
am besten präsentieren ließen.
Gesundes Schulessen in
Berlin mit Jamie Oliver
Der Name Jamie Oliver steht für frische Zutaten, einfache, gute Rezepte
und erfolgreiche Projekte in der Ernährungskommunikation, vor allem
mit Kindern und jungen Erwachsenen. Mit seiner Kampagne „Feed me
better“ krempelte Oliver britische
Schulkantinen um – mit nachhaltigem Erfolg: Inzwischen essen Kinder an 1.000 Schulen nach seinen
Regeln und Rezepten. Kein Wunder,
dass das Erfolgskonzept über die
Landesgrenzen nach Deutschland
schwappte. Gemeinsam mit Olivers
Management hob die Berliner Luna Restaurant GmbH im November
2005 das Projekt „Gesunde Schulverpflegung in Berlin mit Jamie Oliver“ aus der Taufe.
Die Luna Restaurant GmbH ist ein
mittelständischer Vollwert-Caterer
mit viel Erfahrung in punkto gesunder Gemeinschaftsverpflegung. Für
Kinder und Jugendliche nahrhaft,
lecker und gesund zu kochen, liegt
dem Unternehmen bereits seit Anfang der 1990er Jahre am Herzen:
„Wir wollten Interesse für ein Essen
wecken, das gesünder ist und besser schmeckt als Fast Food,“ sagte
der Geschäftsführende GesellschafErnährung im Fokus 9-09 | 09
ter Rolf Hoppe auf dem 9. aid-Forum
2006 in Bonn. Diese Grundidee verbindet Hoppe mit Jamie Oliver.
Kreuzzug gegen Junkfood
Im November 2004 kam der Starkoch nach Deutschland, um ein
neues Buch vorzustellen. Zu diesem
Zeitpunkt engagierte er sich schon
für eine bessere Schulernährung.
Mit einer TV–Dokumentation wollte er beweisen, dass Gemüse, Obst
und Vollkornprodukte bei Kindern
ebenso gut ankommen wie Pizza,
Pommes und Burger. Er beklagte,
dass die meisten Menschen zu fett
und zu süß äßen und dass es ihnen gleichzeitig an Bewegung fehle.
Kurz: Die Esskultur sei aus dem Ruder gelaufen. Er berichtete von katastrophalen Bedingungen an englischen Schulkantinen und erzählte
von Familien, die „keinen Schimmer“ von Lebensmitteln und deren
Zubereitung hätten. Schließlich plädierte er dafür, Ernährungsbildung
in die Schulprogramme aufzunehmen.
Zurück in England, gründete er die
Kampagne „Feed me better“ und
forderte die Regierung auf, die miserablen Bedingungen in britischen
Schulkantinen zu verbessern. Die
Wenig später bewilligte das britische
Parlament eine Investition von 280
Millionen Pfund in bessere Schulkantinen. Das Fernsehen strahlte
Olivers Dokumentation über Schulmensen aus und über 1.000 Schulen
schlossen sich der „Feed me better“Kampagne an. „Schön für Great Britain, schlecht für Germany“, meinte
Hoppe. Denn mit dem Erfolg in seinem Heimatland war der Starkoch
so beschäftigt, dass er für das Berliner Projekt nicht mehr zur Verfügung stand. Doch Luna wollte trotzdem gesundes Schulessen in den
Fokus der Öffentlichkeit bringen.
Schließlich war die Situation auch
in Deutschland optimierungsfähig.
Zum einen wurde das Thema „gesunde Ernährung“ angesichts steigender Zahlen übergewichtiger Kinder immer drängender. Zum anderen galt es, die Eltern für die Bedeutung einer warmen Mahlzeit
pro Tag für ihre Kinder zu sensibilisieren: „Viele Eltern sparen beim
Schulessen und melden ihre Kinder von der Mittagsmahlzeit ab“,
beklagte Hoppe. Last but not least
wollte Luna dem gesunden Mittagessen zu einem coolen Image verhelfen. Schließlich stärkt der Spaß an
gemeinsamen Mahlzeiten das soziale Miteinander.
„Feed me better“ in Berlin
Aus diesen Überlegungen entstand
die Aktion „Feed me better in Berlin“: Dazu gehörten die Übersetzung
von Olivers Rezepten, Infobriefe an
Eltern und Kinder, befreundete Unternehmen und Unterstützer sowie
eine Pressekonferenz, zu der auch
Schulsenatoren sowie lokale Prominenz geladen waren. Natürlich gab
es Unwägbarkeiten: Würden sich alle Schulleiter für die Aktion begeistern? Würden die Eltern das englische Mittagessen akzeptieren? Wür-
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Trotzdem startete Luna durch und
ab Ende November 2005 kam Jamie Olivers Mittagessen in 50 Schulen in Berlin und Brandenburg auf
den Tisch. 4.500 Schüler testeten eine Woche lang jeden Tag ein anderes
englisches Schulmittagessen, ausgewählt und ausprobiert vom Starkoch persönlich. Gleichzeitig lief auf
RTL2 Olivers TV-Dokumentation
über britische Schulen. „So starteten
wir zwar ohne den Meister, aber das
Londoner Management sandte uns
Jamies komplette Rezeptsammlung,
wünschte uns viel Glück und wartete
gespannt auf Rückmeldungen“, erinnerte sich Hoppe. Tatsächlich sorgte die Kampagne für Wirbel in den
Schulen: Die Kinder lernten fremdes
Essen kennen und diskutierten intensiv, was sie von den neuen CurryGerichten, Süßkartoffeln mit Linsen
oder Baked Beans hielten. In vielen
Schulen stimmten die Schüler klassenweise über Jamies Rezepte ab,
im Englischunterricht stand gesunde Ernährung auf dem Stundenplan.
Elternberichten zufolge war das
Schulessen zu Hause ebenfalls Thema. Die Aktion war ein großer Erfolg und stieß auch bei den Medien
auf Interesse. Sie diente als Aufhänger, bundesweit über den Stellenwert
und die Qualität der Schulverpflegung zu berichten. Leserumfragen
und Meinungsseiten beschäftigten
sich damit, ob die Gesellschaft dafür
verantwortlich sei, dass Kinder regelmäßig und ordentlich essen.
halt des Tiefkühlschrankes auskennen, mit einer vielleicht unbequemen Wahrheit.
Oliver will Kinder in ihren eigenen Lebenswelten abholen und dazu gehören im Schnitt zwei Stunden
Fernsehen. Alltäglichkeiten wie gemeinsames Essen erleben sie heute vor allem in Doku-Soaps, die Ersatz für das fehlende Familienleben
bieten. „Wenn die Familie zentrale
Bereiche unserer Kultur nicht mehr
vermittelt, wird dies zur öffentlichen
Aufgabe, also von Politik, Medien,
Werbung und der Ernährungsindustrie“, erklärte Hoppe. In diesem
Sinne nutzte Jamie Oliver das Fernsehen gezielt zur Ernährungserziehung. Er setzte dieselben Strategien ein wie Werbeprofis bei Kinderlebensmitteln, jedoch mit dem Ziel,
mehr gesunde Lebensmittel auf Kinderteller zu bringen. Sein Image als
populäre Leitfigur war bei der Vermittlung der Botschaft und auch für
gezielte Lobbyarbeit in der Politik
sehr hilfreich. Olivers Engagement
überzeugte die britische Regierung:
Der damalige Premier Tony Blair
griff den Schulküchen landesweit
mit rund 400 Millionen Euro unter
die Töpfe.
In Deutschland vertrat die Politik
eine andere Haltung. Die damalige
Verbraucherschutzministerin Re-
nate Künast war der Ansicht, dass
weder die Politik noch die Wirtschaft das Ernährungsverhalten unmittelbar beeinflussen könnten und
schnelle Erfolge daher nicht möglich seien. Großbritannien hat also Jamie Oliver – doch wo sind die
Helden der deutschen Kinder? „Ballack isst bei McDonalds, Klinsmann
trinkt am liebsten Müller Milch und
die deutsche Fußballnationalmannschaft vertilgt ein weiteres Glas Nutella“, sagte Hoppe. Gegen ähnliche
Zustände in seiner Heimat startete
Jamie Oliver ein Gegenprogramm
und dokumentierte im Fernsehen,
wie Chicken McNuggets aus unappetitlichen Hühnerresten entstehen.
Im Kampf gegen Fertigkost, Fett und
Zucker punktet Großbritanniens
Kochstar eindeutig mehr als deutsche Helden. „Was spricht dagegen,
von ihm zu lernen?“, fragte Hoppe.
Immerhin hat Oliver es geschafft,
die Medien zur positiven Vermittlung der Ernährungskommunikation und zur öffentlichkeitswirksamen Lobbyarbeit zu nutzen. Gute
Kampagnen erreichen Schüler am
besten, wenn sie mit positiv besetzten Vorbildern aus ihrer eigenen Lebenswelt arbeiten und wenn sie zum
Mitmachen auffordern – freiwillig
und mit Spaß an der Sache.
Dorothee Hahne, Köln
Foto: Mauritius
den genügend Süßkartoffeln in Bioqualität lieferbar sein? Wie schnell
würde es den Köchen gelingen, englische Rezepte auf deutsche Kindergeschmäcker abzustimmen?
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Ernährungsbildung per
­Fernsehen
Grundsätzlich befassen sich Kinder gerne mit gesunder Ernährung.
Dabei hat das Fernsehen einen besonders hohen Stellenwert, wie das
Beispiel von Jamie Oliver beweist.
Die Botschaft seiner Sendung lautet: Gesunde Ernährung ist cool.
Damit konfrontiert er viele Familien, die ihre Küche vorwiegend zum
Aufbacken von Pizza benutzen und
in denen sich die Kinder bestens mit
dem Mikrowellengerät oder dem In9-09 | 09 Ernährung im Fokus
Prominente wie
Jamie Oliver dienen
Kindern als Vorbild
und aktivieren sie
zum Nachahmen.