Gesundes Schulessen in Berlin mit Jamie Oliver
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Gesundes Schulessen in Berlin mit Jamie Oliver
372 ERNÄHRUNGSKOMMUNIKATION Foto: Mauritius Kampagne schlug ein und „aus unserer Idee, Jamie Oliver und seine Kampagne nach Berlin zu holen, wurde ein fester Plan“, berichtete Hoppe. Die Konzeption lief auf Hochtouren; Luna überlegte, wie dieses Vorhaben zu realisieren sei, wie man Schüler, Eltern, Lehrer und Unternehmen für die Idee begeistern könne und wie sich Olivers Rezepte am besten präsentieren ließen. Gesundes Schulessen in Berlin mit Jamie Oliver Der Name Jamie Oliver steht für frische Zutaten, einfache, gute Rezepte und erfolgreiche Projekte in der Ernährungskommunikation, vor allem mit Kindern und jungen Erwachsenen. Mit seiner Kampagne „Feed me better“ krempelte Oliver britische Schulkantinen um – mit nachhaltigem Erfolg: Inzwischen essen Kinder an 1.000 Schulen nach seinen Regeln und Rezepten. Kein Wunder, dass das Erfolgskonzept über die Landesgrenzen nach Deutschland schwappte. Gemeinsam mit Olivers Management hob die Berliner Luna Restaurant GmbH im November 2005 das Projekt „Gesunde Schulverpflegung in Berlin mit Jamie Oliver“ aus der Taufe. Die Luna Restaurant GmbH ist ein mittelständischer Vollwert-Caterer mit viel Erfahrung in punkto gesunder Gemeinschaftsverpflegung. Für Kinder und Jugendliche nahrhaft, lecker und gesund zu kochen, liegt dem Unternehmen bereits seit Anfang der 1990er Jahre am Herzen: „Wir wollten Interesse für ein Essen wecken, das gesünder ist und besser schmeckt als Fast Food,“ sagte der Geschäftsführende GesellschafErnährung im Fokus 9-09 | 09 ter Rolf Hoppe auf dem 9. aid-Forum 2006 in Bonn. Diese Grundidee verbindet Hoppe mit Jamie Oliver. Kreuzzug gegen Junkfood Im November 2004 kam der Starkoch nach Deutschland, um ein neues Buch vorzustellen. Zu diesem Zeitpunkt engagierte er sich schon für eine bessere Schulernährung. Mit einer TV–Dokumentation wollte er beweisen, dass Gemüse, Obst und Vollkornprodukte bei Kindern ebenso gut ankommen wie Pizza, Pommes und Burger. Er beklagte, dass die meisten Menschen zu fett und zu süß äßen und dass es ihnen gleichzeitig an Bewegung fehle. Kurz: Die Esskultur sei aus dem Ruder gelaufen. Er berichtete von katastrophalen Bedingungen an englischen Schulkantinen und erzählte von Familien, die „keinen Schimmer“ von Lebensmitteln und deren Zubereitung hätten. Schließlich plädierte er dafür, Ernährungsbildung in die Schulprogramme aufzunehmen. Zurück in England, gründete er die Kampagne „Feed me better“ und forderte die Regierung auf, die miserablen Bedingungen in britischen Schulkantinen zu verbessern. Die Wenig später bewilligte das britische Parlament eine Investition von 280 Millionen Pfund in bessere Schulkantinen. Das Fernsehen strahlte Olivers Dokumentation über Schulmensen aus und über 1.000 Schulen schlossen sich der „Feed me better“Kampagne an. „Schön für Great Britain, schlecht für Germany“, meinte Hoppe. Denn mit dem Erfolg in seinem Heimatland war der Starkoch so beschäftigt, dass er für das Berliner Projekt nicht mehr zur Verfügung stand. Doch Luna wollte trotzdem gesundes Schulessen in den Fokus der Öffentlichkeit bringen. Schließlich war die Situation auch in Deutschland optimierungsfähig. Zum einen wurde das Thema „gesunde Ernährung“ angesichts steigender Zahlen übergewichtiger Kinder immer drängender. Zum anderen galt es, die Eltern für die Bedeutung einer warmen Mahlzeit pro Tag für ihre Kinder zu sensibilisieren: „Viele Eltern sparen beim Schulessen und melden ihre Kinder von der Mittagsmahlzeit ab“, beklagte Hoppe. Last but not least wollte Luna dem gesunden Mittagessen zu einem coolen Image verhelfen. Schließlich stärkt der Spaß an gemeinsamen Mahlzeiten das soziale Miteinander. „Feed me better“ in Berlin Aus diesen Überlegungen entstand die Aktion „Feed me better in Berlin“: Dazu gehörten die Übersetzung von Olivers Rezepten, Infobriefe an Eltern und Kinder, befreundete Unternehmen und Unterstützer sowie eine Pressekonferenz, zu der auch Schulsenatoren sowie lokale Prominenz geladen waren. Natürlich gab es Unwägbarkeiten: Würden sich alle Schulleiter für die Aktion begeistern? Würden die Eltern das englische Mittagessen akzeptieren? Wür- ERNÄHRUNGSKOMMUNIKATION Trotzdem startete Luna durch und ab Ende November 2005 kam Jamie Olivers Mittagessen in 50 Schulen in Berlin und Brandenburg auf den Tisch. 4.500 Schüler testeten eine Woche lang jeden Tag ein anderes englisches Schulmittagessen, ausgewählt und ausprobiert vom Starkoch persönlich. Gleichzeitig lief auf RTL2 Olivers TV-Dokumentation über britische Schulen. „So starteten wir zwar ohne den Meister, aber das Londoner Management sandte uns Jamies komplette Rezeptsammlung, wünschte uns viel Glück und wartete gespannt auf Rückmeldungen“, erinnerte sich Hoppe. Tatsächlich sorgte die Kampagne für Wirbel in den Schulen: Die Kinder lernten fremdes Essen kennen und diskutierten intensiv, was sie von den neuen CurryGerichten, Süßkartoffeln mit Linsen oder Baked Beans hielten. In vielen Schulen stimmten die Schüler klassenweise über Jamies Rezepte ab, im Englischunterricht stand gesunde Ernährung auf dem Stundenplan. Elternberichten zufolge war das Schulessen zu Hause ebenfalls Thema. Die Aktion war ein großer Erfolg und stieß auch bei den Medien auf Interesse. Sie diente als Aufhänger, bundesweit über den Stellenwert und die Qualität der Schulverpflegung zu berichten. Leserumfragen und Meinungsseiten beschäftigten sich damit, ob die Gesellschaft dafür verantwortlich sei, dass Kinder regelmäßig und ordentlich essen. halt des Tiefkühlschrankes auskennen, mit einer vielleicht unbequemen Wahrheit. Oliver will Kinder in ihren eigenen Lebenswelten abholen und dazu gehören im Schnitt zwei Stunden Fernsehen. Alltäglichkeiten wie gemeinsames Essen erleben sie heute vor allem in Doku-Soaps, die Ersatz für das fehlende Familienleben bieten. „Wenn die Familie zentrale Bereiche unserer Kultur nicht mehr vermittelt, wird dies zur öffentlichen Aufgabe, also von Politik, Medien, Werbung und der Ernährungsindustrie“, erklärte Hoppe. In diesem Sinne nutzte Jamie Oliver das Fernsehen gezielt zur Ernährungserziehung. Er setzte dieselben Strategien ein wie Werbeprofis bei Kinderlebensmitteln, jedoch mit dem Ziel, mehr gesunde Lebensmittel auf Kinderteller zu bringen. Sein Image als populäre Leitfigur war bei der Vermittlung der Botschaft und auch für gezielte Lobbyarbeit in der Politik sehr hilfreich. Olivers Engagement überzeugte die britische Regierung: Der damalige Premier Tony Blair griff den Schulküchen landesweit mit rund 400 Millionen Euro unter die Töpfe. In Deutschland vertrat die Politik eine andere Haltung. Die damalige Verbraucherschutzministerin Re- nate Künast war der Ansicht, dass weder die Politik noch die Wirtschaft das Ernährungsverhalten unmittelbar beeinflussen könnten und schnelle Erfolge daher nicht möglich seien. Großbritannien hat also Jamie Oliver – doch wo sind die Helden der deutschen Kinder? „Ballack isst bei McDonalds, Klinsmann trinkt am liebsten Müller Milch und die deutsche Fußballnationalmannschaft vertilgt ein weiteres Glas Nutella“, sagte Hoppe. Gegen ähnliche Zustände in seiner Heimat startete Jamie Oliver ein Gegenprogramm und dokumentierte im Fernsehen, wie Chicken McNuggets aus unappetitlichen Hühnerresten entstehen. Im Kampf gegen Fertigkost, Fett und Zucker punktet Großbritanniens Kochstar eindeutig mehr als deutsche Helden. „Was spricht dagegen, von ihm zu lernen?“, fragte Hoppe. Immerhin hat Oliver es geschafft, die Medien zur positiven Vermittlung der Ernährungskommunikation und zur öffentlichkeitswirksamen Lobbyarbeit zu nutzen. Gute Kampagnen erreichen Schüler am besten, wenn sie mit positiv besetzten Vorbildern aus ihrer eigenen Lebenswelt arbeiten und wenn sie zum Mitmachen auffordern – freiwillig und mit Spaß an der Sache. Dorothee Hahne, Köln Foto: Mauritius den genügend Süßkartoffeln in Bioqualität lieferbar sein? Wie schnell würde es den Köchen gelingen, englische Rezepte auf deutsche Kindergeschmäcker abzustimmen? 373 Ernährungsbildung per Fernsehen Grundsätzlich befassen sich Kinder gerne mit gesunder Ernährung. Dabei hat das Fernsehen einen besonders hohen Stellenwert, wie das Beispiel von Jamie Oliver beweist. Die Botschaft seiner Sendung lautet: Gesunde Ernährung ist cool. Damit konfrontiert er viele Familien, die ihre Küche vorwiegend zum Aufbacken von Pizza benutzen und in denen sich die Kinder bestens mit dem Mikrowellengerät oder dem In9-09 | 09 Ernährung im Fokus Prominente wie Jamie Oliver dienen Kindern als Vorbild und aktivieren sie zum Nachahmen.