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Talente finden, fördern und fordern
Forum der Eberhard von Kuenheim Stiftung
Ein Talent? Was ist das eigentlich? Ein Talent kann vieles sein: ein Fußballer mit
Geschick. Ein Künstler mit Gefühl. Ein Mathematiker mit Gehirn, viel Gehirn.
Man kann nicht einfach ausloten, wo es kickt, malt, rechnet, das Talent. Es bedarf Glück, das Talent zu finden, es braucht Zeit und Geld, es auszubilden. Darum geht es in der Reportageserie, die dieses Jahr im Forum der Eberhard von
Kuenheim Stiftung in der UNIVERSITAS veröffentlicht wird. In jedem Heft eine
Geschichte: darüber, wie Talente gefunden, gefördert und gefordert werden.
Talente fallen lassen: Auch das kommt vor.
Die Eberhard von Kuenheim Stiftung fördert junge Menschen, die Können und
Verantwortungssinn mit unternehmerischem Handeln verbinden wollen. In diesem Sinn ist das diesjährige Forum selbst ein Förderprojekt der Stiftung. Denn
die Autoren der Geschichten sind selbst Talente: Schüler der Deutschen Journalistenschule in München, die eine harte Auswahlprüfung überstanden haben. Sie sind für ihre Geschichten quer durch die Republik gereist, haben mit
Ausbildern und Ausgebildeten gesprochen, haben Wege zum Glück gefunden
und Abstürze protokolliert. Es werden die großen Karrieren beleuchtet und die
kleinen, die in entlegenen Winkeln sich vollziehen. Talente gibt es überall, sie
müssen sich überall quälen, an sich arbeiten. Diese Beobachtung ist allen Geschichten eigen, und auch die Erkenntnis: In Zeiten wie diesen, wo jedermann
über das Versagen von Eliten spricht, ist das Ausbilden von Talenten eine Notwendigkeit.
Begleitet wird das Forum von Holger Gertz und David Ausserhofer. Holger Gertz
betreut die schreibenden Talente. Seine Reportagen auf der „Seite Drei“ der
Süddeutschen Zeitung gelten als Kunststücke und wurden mehrfach preisgekrönt. David Ausserhofer bebildert die Talent-Geschichten. Auch er hat sein Ta840
lent schon zu echter Meisterschaft entwickelt – er gilt als einer der profiliiertesten Fotografen zum Thema „Bildung“ in Deutschland.
Wortwechsel - Talente finden, fördern und fordern - Forum der Eberhard von Kuenheim Stiftung
Reif für die Insel?
Deutsche Jungprofis im Mutterland des Fußballs
Moritz Küpper, Timm Rotter
Verdutzt dreht sich Robert Huth um. Der 18-jährige Verteidiger des FC Chelsea
sitzt in einem Pub nahe dem Trainingsgelände, als eine junge Frau an seinen
Tisch tritt und ihn um ein Autogramm bittet. Solche Wünsche kennt Huth längst,
doch als die Frau aus Birmingham ihren Beckenknochen entblößt und ihm eine
Tätowierung zeigt, ist selbst er, der seit drei Jahren in England Fußball spielt,
verblüfft. „Zola 25“ steht in dunkelgrüner Schrift auf der Hüfte der zierlichen
Supermarktkassiererin. Zola, das ist Gianfranco Zola, 34 Jahre alt und kürzlich
zum besten Chelsea-Spieler des Jahrhunderts gewählt worden. „Wenn er nicht
mehr spielt, kannst du der Nächste sein“, bietet die Fußball-Anhängerin an. Der
junge Deutsche aus Berlin-Marzahn lacht verlegen, dann schreibt er seinen
Namen auf ihr Trikot. „In England ist man einfach mehr Star“, erklärt Huth später, und es klingt ziemlich stolz. Er weiß, dass er noch kein Star ist. Aber er weiß
auch, dass er einer werden kann – in den Stadien der Premier-League und auf
der Hüfte der jungen Frau aus Birmingham.
Seit knapp vier Jahren sind deutsche Fußballer in England wieder gefragt.
Talente aus ganz Deutschland gingen auf die Insel, abgeworben von englischen Profiklubs. Den Anfang machte 1999 Moritz Volz, der mit 16 Jahren vom
FC Schalke 04 zu Arsenal London wechselte. Markus Neumayr ist der vorläufig
Letzte, der den Sprung wagte. Mitte April unterschrieb der Mittelfeldspieler von
Eintracht Frankfurt einen Vertrag beim reichsten Fußballverein der Welt. Bei
Manchester United. Als Nummer elf der deutschen Talentriege in England.
Huth war einer der Ersten, die Nummer vier, um genau zu sein. Im Sommer 2000
verließ er die B-Jugend von Union Berlin und wechselte zum FC Chelsea London. Damals war er gerade 16 Jahre alt geworden. Mittlerweile ist er 18. Wenn
man ihn nach dem Training entspannt im Pub sitzen sieht, mit den silbernen Nike-Schuhen und den frisch gegelten Haaren, kann man sich gut vorstellen, dass
Robert Huth angekommen ist auf der Insel. „Am Anfang war es schon schwer,
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aber da muss man sich durchbeißen“, sagt er. Seine Körpersprache
verrät Selbstsicherheit. Und das nicht ohne Grund, denn Huth gehört zu den positiven Beispielen aus der deutschen Talentriege auf der Insel: Sechsmal hat er
in der Profimannschaft gespielt, dreimal in der Premier-League, ein Spiel im
FA-Cup und auch zwei internationale Auftritte im UEFA-Cup stehen für Huth,
1,89 Meter groß, zu Buche. Ein Tor hat er noch nicht geschossen, aber das wird
von einem Abwehrspieler nicht unbedingt erwartet. Eher gelbe Karten, und die
hat Huth auch schon gesehen, zwei an der Zahl. Das gilt in England als Zeichen
für Entschlossenheit und Einsatz. „Der Trainer hat gesagt, dass ich mir keine
Sorgen machen muss“, beschreibt Huth seine Perspektive bei Chelsea. Ein bemerkenswerter Satz über einen jungen Spieler.
Es war im Sommer 2000, als Huth bei einem Länderspiel der U-15-Nationalelf
im irischen Dublin von Scouts entdeckt wurde. „Ich war dann vier Tage hier, habe
mir alles angeguckt, und mein Berater
hat den Transfer eingefädelt.“ Er
musste noch warten, bis er 16 wurde,
dann ging das Abenteuer England los.
Seitdem trainiert und spielt Huth auf
dem Trainingsgelände von Chelsea,
zehn Taximinuten vom größten Flughafen Europas Heathrow entfernt.
Hier, auf den weiten Rasenflächen, die
durch die Autobahn M1 begrenzt werden, misst er sich mit den Topstars des
internationalen Fußballs: Marcel Desailly, französischer Welt- und Europameister, Jimmy Floyd Hasselbank,
Chelseas 22,5-Millionen-Euro-Ein842
kauf, oder eben jenem Gianfranco Zola. „Gerade in den letzten beiden Monaten hatte ich schon das Gefühl, mich
etabliert zu haben. Da hat mich jeder
Jungprofi vor dem Clubhaus des britischen Traditionsvereins FC Fulham (Ausserhofer)
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hundertprozentig akzeptiert“, berichtet Huth. Das war nicht immer so: „Ende
letzter Saison war immer noch eine gewisse Distanz da, jetzt ist alles wirklich
relaxed.“ Auch deswegen hat er seinen auslaufenden Vertrag gerade bis 2006
verlängert. Nach zwei Jahren Jugendspieler bei Chelsea und einer Saison als
Profi fällt sein Fazit natürlich positiv aus: „Ich habe mich sportlich und persönlich weiterentwickelt“, sagt er, „es war definitiv die richtige Entscheidung.“
So ähnlich würde es wohl auch Sebastian Kneissl formulieren. Und das, obwohl
der 20-jährige Frankfurter bisher nur in Chelseas Reserve gespielt hat. Kneissl
holt Huth mit seinem silbernen Audi A3 vom Interview ab. Sechs Wochen vor
Huth hatte Chelsea Kneissl verpflichtet. Sein Ziel: Fußballprofi zu werden. „Ich
habe bisher leider nur zweimal mit der ersten Mannschaft trainiert“, sagt er.
Es liegt also auch am Geld, dass deutsche Talente auf die Insel
wechseln. Ein heikles Thema, weil es sehr nach Kinderhandel
klingt.
Verstehen kann er das nicht: „Ich bin immerhin Torschützenkönig der Reserverunde geworden.“ Die Ungeduld, die jetzt, selbst nach der Saison,
noch in ihm nagt, ist förmlich spürbar. „Vielleicht muss ich mich auch mal ausleihen lassen“, überlegt Kneissl laut, schiebt aber direkt nach: „Wenn,
dann natürlich in England.“ Nach drei Jahren London hat er sich an die britische
Mentalität gewöhnt und möchte nicht weg: „Ich will hier den Durchbruch
schaffen.“
Auch wenn die meisten deutschen Talente wie Sebastian Kneissl den Sprung zu
den Profis noch nicht geschafft haben, ist die Nachfrage nach jungen Spielern
aus Deutschland weiterhin groß – aus verschiedenen Gründen. „Den Engländern
gefällt die deutsche Mentalität“, sagt Manfred Schulte. Seine Firma ProSoccer
GmbH in Köln berät Fußballprofis. Einen Namen in der Branche hat er sich
als Vermittler von deutschen Talenten nach England gemacht. Nicht zufällig:
Schulte liebt den englischen Fußball, war früher Scout des Premier-LeagueKlubs FC Fulham. Die Mentalität ist nicht der Hauptgrund für den Run auf
die Deutschen. In England selbst ist es für die Vereine oft schwierig, junge Spie-
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ler zu finden. „Die Ursache sind neue Transferregeln, so genannte Academic
Rules“, erklärt Schulte das englische System, „die Klubs dürfen Spieler unter
16 Jahren nur verpflichten, wenn sie höchstens anderthalb Stunden vom Vereinsgelände entfernt wohnen.“ Die Konsequenz: „Deshalb sagen sich die Klubs,
in England können wir keinen holen, dann gehen wir ins Ausland.“ Und das
lassen sie sich auch einiges kosten. 300 000 Euro Ablöse hat Manchester für den
17-jährigen Markus Neumayr bezahlt. „Die Engländer sind bereit, in junge
Spieler zu investieren“, erklärt Schulte. Neumayr verdient künftig 22 000 Euro
im Monat, in Frankfurt waren es 200.
Es liegt also auch am Geld, dass deutsche Talente auf die Insel wechseln. Ein
heikles Thema, weil es sehr nach Kinderhandel klingt. Schulte hat sich deswegen eine nette Antwort zurechtgelegt: „Wenn man möchte, dass ein junger
Mensch sein Umfeld, seine Familie und seine Freunde verlässt, dann muss
man Anreize setzen.“ Uli Stielike, Trainer der deutschen Jugendnationalmannschaft, sieht das anders: „Wegen des Geldes haben schon viele junge Spieler den
Verein gewechselt und sind dann dort nicht zum Zuge gekommen. Das hat sie
Jahre in ihrer Entwicklung gekostet.“
Aufgrund der finanziellen Reize sind die meisten der jungen Deutschen jedoch
nicht nach England gewechselt. „Der Kontakt zu den Profis ist enger“, erklärt
Thomas Hitzlsperger. Der 21-Jährige aus dem bayrischen Forstinning hat es von
den deutschen Talenten auf der Insel bisher am weitesten gebracht: 44 Einsätze für Aston Villa und fünf Tore stehen in seiner persönlichen Statistik. „Bei
meinem alten Verein FC Bayern war sieben Jahre lang eine große Distanz zur
ersten Mannschaft da, das ist hier nicht so.“ Also packte er im Sommer 2000
seine Koffer und zog mit seiner Freundin Inga nach Sutton Coldfield in die Nähe
von Birmingham.
„Die erste Mannschaft, die Reserve und die beiden Jugendteams U 19 und U 17
bilden eine Einheit“, erklärt Schulte den großen Vorteil des englischen Systems,
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„alle trainieren auf einem Gelände, benutzen die gleiche Kabine und gehen zusammen essen.“ Wenn er vom System der Briten redet, schwingt eine Spur Begeisterung mit. Schulte ist von diesem Weg überzeugt. „Die Jungs werden von
Anfang an als vollwertige Mitglieder behandelt.“
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In kaum einem Land der Welt ist die Identifikation der Fans mit ihrem Verein so groß wie in
England. Selbst wenn „nur“ der Nichtabstieg aus der dritten Liga gefeiert wird, kennt die
Begeisterung der Anhänger keine Grenzen. (Ausserhofer)
Natürlich weiß auch Schulte, dass es nicht jeder junge Spieler in England zum
Profi schafft und dass es auf der Insel nicht einfacher ist als in Deutschland oder
anderswo in Europa, „aber man hat mehr Chancen.“ Stielike sieht das ähnlich:
„Ein Cheftrainer sieht seine Jugendspieler häufiger, so kommt man eher mal zu
den Profis. Aber man muss die gleiche Leistung wie in Deutschland bringen, um
es zu schaffen.“
Dass ihm in England nichts geschenkt wird, weiß auch Robert Huth: Selbst am
trainingsfreien Donnerstag vor dem Saisonfinale gegen den FC Liverpool steht
er mit drei anderen Nachwuchsspielern auf dem Trainingsplatz. Barfuß wirft
sich der junge Deutsche mit seinen Teamkollegen auf der nassen Wiese einen
Medizinball zu. Jeder Schritt hinterlässt eine kleine Pfütze, die der Rasen direkt
wieder wie ein Schwamm aufsaugt. Ein Stück weiter baut der Fitnesstrainer rote Plastikhürden auf, fünf Stangen im Abstand von jeweils einem Meter. Nach
dem Sprungkrafttraining trainiert Chelseas Nachwuchs mit Hanteln und auf
dem Laufband. Der triste Kraftraum ist in einem olivgrünen Containeranbau
direkt am Platz untergebracht und versprüht den Charme einer Bundeswehrkaserne. In einer Trainingspause beginnt Huth zum Spaß eine Runde Kickboxen,
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lachend wehrt sein „Opfer“ die Tritte ab. Das Gemeinschaftsgefühl stimmt hier
bei Chelsea.
Auch der 20-jährige Pascal Formann ist von dem Zusammenhalt auf der Insel
angetan. „Hier ist keiner hochnäsig, alle sind nett“, berichtet er von seinen zweijährigen Erfahrungen beim Zweitligisten Nottingham Forest, „ich habe den
Wechsel nicht bereut.“ Zwar hängt Formann als dritter Torwart des Profiteams
momentan sozusagen in der Warteschleife, aber immerhin saß er schon zehnmal auf der Bank. Dafür muss der Nachwuchstorwart allerdings auf die Nationalmannschaft verzichten: „Merkwürdig, dass ich, seitdem ich hier bin, keine
Einladung vom DFB mehr bekommen habe.“ Vorher stand er regelmäßig für Jugend-Nationalteams zwischen den Pfosten. Auch andere Talente spielen aus
Zeitmangel nur noch selten oder gar nicht mehr für Deutschland. Im Fall Formann muss der Grund aber nicht sportlicher Natur sein: Über manche EnglandLegionäre weiß selbst Jugend-Nationaltrainer Stielike nichts: „Bei Nottingham
spielen drei Deutsche? Ich kenne nur Eugen Bopp.“ Bopp ist Mannschaftskollege von Formann. Zusammen sind sie Englischer Meister mit der U 19 geworden.
Der Dritte im Bunde ist Arif Karaoglan, ein Deutsch-Türke, der seit zwei Jahren
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Very british! Mit wohlwollender Anteilnahme feiern diese Senioren ein Tor ihrer Queenspark Rangers, während es die jüngeren Fans nicht mehr auf den Sitzen hält. (Ausserhofer)
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Dirk Lehmann, 1971 in Aachen geborener Profi, hat den jungen deutschen Kollegen schon
einige Inselerfahrung voraus. Nach diversen Stationen in Deutschland spielte er für Fulham,
Hibernian und Motherwell. Zuletzt wechselte er nach Japan. (Ausserhofer).
sein Glück auf der Insel versucht. Als Einziger ist er nicht begeistert von den englischen Verhältnissen: „Natürlich ist hier alles viel professioneller und härter,
aber es macht einfach keinen Spaß.“ Der 17-Jährige denkt daher an einen
Wechsel.
Der Englandaufenthalt hat nicht nur positive Seiten: Die Jugendlichen müssen
ihre Familie und den Freundeskreis verlassen. Nicht jeder verkraftet das: „Man
muss schauen, wie weit die Spieler sind. Wir sprechen ja hier von Kindern. Ich
wäre es damals nicht gewesen“, sagt Stielike. Er hat immerhin für Real Madrid
gespielt und 42 Länderspiele gemacht.
Manfred Schulte hat diesen verhängnisvollen Satz gesagt, dass die Jungs es entweder schaffen oder mit 18 Jahren wieder zu Hause sind. Stielike hört das nicht
gerne: „Das ist eine gefährliche Aussage. In einem oder zwei Jahren kann in
einem Kind auch sehr viel kaputt gemacht werden.“ Auch ihre Ausbildung
müssen die jungen Fußballer abbrechen. Zwar haben fast alle englischen Klubs
Abkommen mit Schulen, doch ist es sehr schwer für die Deutschen, sich in dem
neuen Bildungssystem zurechtzufinden. „Wenn einer Abitur machen will, soll er
hier bleiben“, sagt Schulte. Trotzdem wird sich der Trend wohl fortsetzen – nicht
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nur wegen der englischen Nachfrage: Die deutschen Profi-Vereine wollen eine
freiwillige Selbstbeschränkung vereinbaren, nach der sie sich untereinander keine Talente mehr abjagen dürfen. „Wenn das kommt, wird es einen Exodus junger Talente ins Ausland geben“, prophezeit Schulte, „die Klubs müssen den Spielern dann auch nichts mehr zahlen, weil die ja eh nicht wechseln dürfen.“
Huth, Kneissl und Co. sind nicht die Ersten, die auf der Insel ins Profigeschäft
drängen: 1991 wurden Stefan Beinlich und Matthias Breitkreutz – 20 und 19 Jahre alt – von Aston Villa abgeworben und gingen von Berlin nach England. „Ich
wollte erst gar nicht dahin“, erinnert sich Nationalspieler Beinlich heute. „Aber
ich hatte ja keine Perspektiven.“ Er war arbeitslos, in der Umschulung und
„Es war die beste Entscheidung meiner Laufbahn, nach
England zu gehen. Da habe ich gelernt, mich durchzubeißen.“
(Stefan Beinlich)
zweifelte an seinem fußballerischen Durchbruch. „Tagsüber in Berlin lernen und
abends kicken, das ging nicht. Also hab‘ ich es versucht.“ Mit Breitkreutz flog er
zum Probetraining nach Villa, und beide schossen im ersten Testspiel jeder
gleich ein Tor. „Da wollten die uns sofort. Wir hatten nur 24 Stunden Zeit zum
Überlegen.“ Einen Tag später war die Tinte unter den Verträgen trocken – mit
konkretem Ziel: „Ich habe mir ein Jahr gegeben“, sagte Beinlich, „um es bei
Aston Villa zu schaffen.“ Aus dem einen Jahr wurden drei, aber mit dem Durchbruch klappte es dennoch nicht: 16 Spiele, ein Tor („Das 1:0 im letzten Spiel.“) –
„das war natürlich viel zu wenig.“ Aber es reichte als Basis, um danach Stammspieler in der Bundesliga zu werden. Über Rostock und Leverkusen
kickte sich „Paule“ Beinlich in die Nationalelf, kehrte 2000 zu Hertha BSC
Berlin in die Heimat zurück. Und sagt heute: „Es war die beste Entscheidung
meiner Laufbahn, nach England zu gehen. Da habe ich gelernt, mich durch848
zubeißen.“ In einem Kader mit 40 Mann war die Konkurrenz viel größer als im
heimischen Berlin. Vor allem für ihn als Ausländer. Denn der 19-Jährige konnte als gebürtiger Ostdeutscher kein Englisch und kannte außer Breitkreutz niemanden. Aber er sagt auch: „Ohne Matthias wäre ich nie rübergegangen.“ Die
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Eingewöhnung fiel beiden dadurch ein wenig leichter, dass sie die ersten fünf
Wochen bei einer Cousine des Klub-Präsidenten wohnen konnten – die war
Deutsche.
Das Prinzip, Nachwuchstalente in Gastfamilien unterzubringen, ist typisch britisch. Auch Moritz Volz, so was wie ein Pionier der jungen Deutschen in Englands
Profiklubs, verbrachte seine erste Zeit bei Arsenal in der Obhut einer Familie. Im
Dezember 1998 wurde der Abwehrspieler beim U-16-Länderspiel Deutschland
– Frankreich von englischen Scouts entdeckt – und spielte ein halbes Jahr später auf der Insel. Bei einer der besten Mannschaften Europas hat es der junge
Deutsche jedoch schwer. Seine Bilanz ist bescheiden – ein Einsatz bei den Profis im Pokal, kein Tor, als einzige Titel zwei Siege im FA Youth Pokal. Anfang diesen Jahres liehen die „Gunners“ den jungen Bankdrücker an den FC Wimbledon aus. Volz spielt erst einmal zweite Liga statt Champions League.
Es ist schwer zu sagen, wann ein junger Spieler den Durchbruch geschafft hat.
Hitzlsperger und Huth haben sich etabliert, Bopp ist eine Stütze bei Nottingham
Forest in der zweiten englischen Spielklasse, der Rest arbeitet noch am Ziel Fußballprofi. Bei manchen wäre es zu früh, ein Fazit zu ziehen. Die Perspektiven sind
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Wer seinen Verein wirklich liebt, muss das natürlich zur Schau stellen – junge Fans des
Fulham Football Club. (Ausserhofer)
jedoch viel versprechend. Die Brüder Denny und Nico Herzig aus Jena beispielsweise trainieren schon in den ersten Mannschaften von Blackpool und
Wimbledon mit, spielen bislang jedoch nur Reserverunde. Mit 18 und 19 Jahren
haben sie allerdings noch Zeit. „Momentan reden alle von den jungen Wilden aus
Den Traum vom Fußballprofi auf der Insel werden sich nicht alle deutschen Nachwuchskicker erfüllen können, aber schlechter
als zu Hause stehen die Chancen nicht.
Stuttgart, doch muss man sehen, dass diese Spieler alle zwei bis drei Jahre älter
sind“, sagt Schulte mit Blick auf den VfB Stuttgart, der in der Bundesligasaison
2002/2003 mit jungen Spielern sensationell Vizemeister wurde.
Den Traum vom Fußballprofi auf der Insel werden sich nicht alle deutschen
Nachwuchskicker erfüllen können, aber schlechter als zu Hause stehen die
Chancen nicht: „Jedes Jahr gehen zehn Talente zum FC Bayern“, sagt Schulte,
„und von denen schafft es auch kaum einer.“ Er ist davon überzeugt, dass man
in England eine bessere fußballerische Ausbildung bekommt. „Profi können sie
dann auch in Deutschland werden.“ Beispiel Stefan Beinlich.
Timm Rotter, geboren 1981 in Köln. Seit 2001 Ausbildung an der
Deutschen Journalistenschule in München und Studium der
Kommunikationswissenschaften, Politologie und Soziologie an der
Ludwig-Maximilians-Universität. Volontär bei der Münchner Abendzeitung mit Schwerpunkt Sport. Zuvor schrieb er für die „Süddeutsche Zeitung“, die Deutsche Presseagentur (dpa) und „Bravo
Sport“. Kontakt: [email protected]
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Moritz Küpper, geboren 1980 in Köln. Studierte ein Semester
Jura in Köln, bevor er 2001 eine Ausbildung an der Deutschen
Journalistenschule in München und ein Studium der
Kommunikationswissenschaften, Politologie und Soziologie an
der begann. Er arbeitet als freier Journalist in München
(u.a. „Frankfurter Rundschau“). Kontakt: [email protected]
Kontakt zum Forum
Eberhard von Kuenheim Stiftung, Stiftung der BMW AG,
Amiraplatz 3, 80333 München, www.kuenheim-stiftung.de