Artist 05: The Gentle Lurch

Transcrição

Artist 05: The Gentle Lurch
KF RECORDS
Artist 05: The Gentle Lurch
‚To lurch‘ heißt im Englischen so viel wie schlingern, torkeln oder taumeln. ‚To leave sb. in the lurch‘ bedeutet, jemanden im
Stich zu lassen. Tatsächlich ist ‚Workingman’s Lurch‘ ein pessimistisches Album, das - wie der Titel nahe legt - vom
Arbeiten handelt. Zur Arbeit gehen, auf Arbeit sein, Stagnation… Dass es jetzt auf’s Sterben zugeht.
Es ist das dritte Album der Dresdner Band The Gentle Lurch. Ihre Mitglieder stammen aus dem Erzgebirge und der
Gegend um Chemnitz. Sie pausiert gern so lange, bis wirklich jeder ihre Existenz wieder vergessen hat. Ihr letztes
Doppelalbum stammt aus dem Jahr 2009 und Americana-UK sprach damals von “Dresden‘s Answer to Wilco a sprawling,
experimental epic…”
Neben der Kernbesetzung von Cornelia Mothes am Flügel und Frank Heim und Lars Hiller an diversen
Saiteninstrumenten, wurden seither Ronny Wunderwald und Timo Lippold an Schlagzeug und Bass zu festen
Mitgliedern. Tatsächlich spricht die Band in Zusammenhang mit Workingman’s Lurch von einem „ehrlichen Rockalbum“, was
relativ wunderlich erscheint, denn es ist eher das Gegenteil von dem, was man gemeinhin „Album aus einem Guss“
bezeichnet. Jedes Lied hat einen eigenen Willen, will seine eigene Strategie, sein eigenes Momentum entwickeln.
Ludwig Bauer hat zwei erschütternd schöne Streicher-Arrangements beigetragen und an einigen Stellen erweitert sich die
Mehrstimmigkeit um einen Chor aus Müttern.
Aber Bass und Schlagzeug stecken die Lieder in festere Gerüste, lassen sie konziser werden, und zumindest
streckenweise auch lauter als auf vorangegangenen Alben. ‚Our Bodies Become The Ground‘ rollt wie eine Gerölllawine
aus den Boxen der Anlage. Viel mehr Raum nimmt auch Cornelia Mothes ein, die dem sprech-singenden Stoizismus von
Lars Hiller ein tröstendes, beinahe erlösendes Element gegenüber stellt, und dabei Pop und eine vormals ungekannte
Direktheit in den Bandfokus rückt. Daneben bleibt ein Teil der alten Gentle Lurch: nah am Stillstand, unsicher tastend, alt
und irgendwie morsch klingend.
The Gentle Lurch kann man eigentlich nicht als Folkband bezeichnen. Dazu sind ihre Lieder zu unverhofft, zu nah am
Experiment. Sie mögen keine Wiederholungen. Ein Nachzählen ergibt gerade drei Refrains auf dem gesamten Album. Die
meisten Lieder sind wie Reisen von einem Punkt A zu einem Punkt B angelegt. Andere erheben und nivellieren sich
wieder wie eine Welle im Meer. Sie nutzen Elemente aus Folk, Country, Americana weil sie deren emotionale Direktheit
mögen und ordnen diese neu. Manchmal so konfrontativ, wie in ‚All Things Come‘, das an einem einzelnen Orgelton von
Beschwerde in Trost hinüber kippt, und dabei Sänger wie auch Harmonien wechselt. Da ist die seltsam rotierende
Akkordfolge, auf der ‚Cannot‘ aufgebaut ist, oder der Groove, der den Gospel von ‚On How To Tamp Leaks‘ torpediert.
Ihre Lieder sind textreich und narrativ. Sie nehmen gern Wendungen ins Mystische wie das Ende einer Kurzgeschichte
von Flannery O’Connor. Das Titelstück vergleicht – während erst nach und nach die Instrumente einsetzen - beinahe
kurzgeschichtenartig den Burnout eines Angestellten mit dem pubertären Weltekel eines Teenagers und stellt dann fest:
“We are passing our days / Like two snails / Slowly crawling past each other / A shared office, alright / But aren’t we
supposed to be brothers?”
‚Still Life‘ ist eine Hommage an den Maler und Holzstecher Werner Wittig – semi-fiktionale Biographie und völlig fiktive
Erläuterung seines Schaffens: sich in seinem Wirken immer tiefer im Abstrakten zu verstricken, den Versuch
unternehmend, etwas Unsagbares zu sagen, etwas Entzogenes abzubilden. Wittig zeichnete sein Leben lang fast
ausschließlich Stillleben, die über die Objekte wie Äpfel hinweg durch Fenster auf menschenlose Landschaften blicken
lassen.
All das bündelt sich schließlich musikalisch wie auch textlich im letzten Lied ‚Nesting‘, das in einer Art Flucht oder Befreiung
mündet, den Zustand der Trägheit abschüttelt und sich behäbig aufschwingt, um die Dinge, in die man verstrickt war, von
oben herab zu betrachten: „There was something that sat on my heart like a moth / But I flew free from the sludge and the
sloth.”
Für Workingman’s Lurch arbeitete die Band erstmals mit einem externen Produzenten. Johannes Gerstengarbe, der das
Soundengineering in Nashville erlernt hat, steht eigentlich für durchaus polierte, dem Radio zugewandte Produktionen und
es war, so die Band, eine bewusste Entscheidung, die Abwegigkeit und krude Herangehensweise von Gentle Lurch mit
seiner Klangästhetik zu verbinden. Die Aufnahmen, die mit Unterbrechungen gut zwei Jahre lang gedauert haben, fanden
in einer ehemaligen Schokoladenfabrik statt, die in dem (Alt-)Neubaugebiet in Dresden steht, das auch im Albumartwork
abgebildet ist. Bis auf ein paar Satellitenschüsseln aus den frühen 90ern ist die Wende an diesem Ort scheinbar spurlos
vorbei gegangen.
Und natürlich klingt der Albumtitel auch wie ein weit entferntes Echo auf Workingman’s Dead von Grateful Dead (1970). Ist
Workingman’s Dead ein Abgesang an die kulturelle Befreiung der 60er Jahre, dann ist WML ein Abgesang an ein
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unbelangtes und selbstbestimmtes Leben. Es beschreibt kein kulturelles Phänomen, sondern ein biographisches: Das
sich Eingliedern in die Maschine Arbeitswelt - das Ächzen des Materials, die Verstockung, das Schleifen und Knarren,
das Abstoßen nicht funktionaler Teile.
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Bild 1
Credit: Björn Günther
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