Mehr Tiefe für das Internet

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Mehr Tiefe für das Internet
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Publisher 4·2001
Web-Publishing
Macromedia Director 8.5 Shockwave Studio
Mehr Tiefe für das Internet
Macromedia hat ihr Authoring-Tool Director in der neuesten Version mit einer 3-D-Engine
ausgestattet. Mit dem Shockwave-Format soll das Internet endlich dreidimensional
werden.
n MATTHIAS SCHÜSSLER VRLM war
ein erster Versuch, das Internet in einen
veritablen «Cyberspace» zu verwandeln. Damit sollte das Web nicht mehr
bloss aus «flachen» Seiten mit Text und
Bildern bestehen, sondern auch aus
begeh- resp. durchklickbaren Welten.
Obwohl die Browser mit der «Virtual
Reality Markup Language» umgehen
konnten, war im Web kaum je eine
VRLM-Welt anzutreffen: Der Standard
war weit davon entfernt, eine nur annähernd glaubhafte «virtuelle Realität» zu
erschaffen.
Offener Standard
bewährt sich nicht
Möglicherweise gelingt das Unterfangen «Mehr Tiefe fürs Internet», wenn
Multimediaentwickler und Webpublisher kennen und lieben die Macromedia-Produkte. So positiv es auch
ist, wenn ein wichtiges Webformat
als Allgemeingut geboren wird – es
nützt nichts, wenn es nicht gefördert,
gepusht und umworben wird.
Lara Croft lässt grüssen
In der seit kurzem erhältlichen Version
8.5 des Macromedia Director (siehe
dazu den Steckbrief-Kasten) ist neu
eine von Intel entwickelte 3-D-Engine
eingebaut. Auf diese Weise können
Multimediaproduzenten in ihre Filme
nicht bloss Vektor- oder Bitmap-Objekte
einbauen, sondern auch richtige, dreidimensionale Modelle. Diese werden
zur Laufzeit gerendert: Dadurch kann
rendert) zurückgreifen kann, geschieht
dies auf einem durchschnittlichen PCSystem ausreichend schnell. Dennoch
dürfte Macromedias Verbreitungsprognose zu optimistisch sein: Der Hersteller behauptet, zweihundert Millionen
PC-Systeme weltweit seien gerüstet für
Director. Es mag ja sein, dass inzwischen so viele Browser-PlugIns heruntergeladen wurden. Aber längst nicht
jeder Surf-PC ist den Anforderungen
des 3-D-Rendering gewachsen.
Modelling «ausser Haus»
Die 3-D-Modelle lassen sich in Director
wie gewohnt per Zeitleiste verändern
oder per Lingo-Befehl steuern. Die
Modelle selbst können jedoch nicht in
Director entworfen werden. Diese Auf-
Das letzte Einhorn lässt sich auf der Director-Bühne zu virtuellen Herden beliebiger Grösse formieren.
kein offener Standard im Spiel ist,
sondern eine Firma mit handfesten
Gewinnabsichten die Sache in die
Hand nimmt. Die Aussichten sind in
diesem Fall besonders gut, weil die
Firma Macromedia heisst. Das Unternehmen hat mit Flash bewiesen, dass
es die Internetgemeinschaft für die
eigenen Technologien begeistern kann.
Noch wichtiger für den Erfolg ist die
Akzeptanz auf Seiten der Produzenten,
und die ist absolut gegeben: Designer,
der Zuschauer nach Belieben zoomen,
die Kameraposition verändern oder
auch mit den Modellen interagieren –
ganz so, wie man es von 3-D-Games
wie Tomb Raider oder einem anderen
der unzähligen Vertreter dieses Genres
kennt. Da der Player vorhandene Hardwarebeschleunigung (DirectX oder
OpenGL) nützt und auf Tricks wie das
Multi-Resolution-Mesh (ein Objekt wird,
je nach Potenz des Zielsystems, mit
mehr oder weniger vielen Details ge-
gabe überlässt Macromedia den etablierten Programmen. Somit können
erfahrene 3-D-Modellartisten ihre
gewohnte Software verwenden, sofern
diese entweder das W3D- oder das
OBJ-Format unterstützt. Für 3D Studio
MAX existiert ein eigenes ExportPlugIn. Dieses erlaubt schon bei diesem
Arbeitsschritt Optimierungsmassnahmen bezüglich endgültiger Dateigrösse: In einem Dialogfeld listet das
PlugIn auf, wie viel Platz Texturen,
Steckbrief:
Director
Director ist seit Jahren das Authoring-Tool für anspruchsvolles Multimedia. Das Werkzeug ähnelt in
vielen Aspekten dem ebenfalls von
Macromedia stammenden Animationsformat Flash. In beiden
Produkten lassen sich Vektor- und
Bitmapgrafiken, Klänge und sogar
Filme kombinieren.
Flash: Berührungspunkte
und Unterschiede
Auf einer Zeitleiste kann der Multimediaproduzent das Verhalten
einzelner Objekte während des
Abspielens steuern. Ausserdem
lässt sich programmieren, wie
Objekte auf Aktionen des Benutzers – Mausklicks oder Tastaturbefehle – zu reagieren haben. Und
auf vergleichbare Weise lassen
sich Flash- und Shockwave (so die
Bezeichnung eines für die Darstellung im Webbrowser optimierten Director-Films) in Webseiten
integrieren. Was die Programmierung anbelangt, ist Director sehr
viel leistungsfähiger als Flash.
Nur Director verfügt über die
Programmiersprache Lingo, die
dem Entwickler umfangreiche
Möglichkeiten einräumt, aber erst
einmal erlernt werden muss.
Somit eignet sich Director zum
Entwickeln einer breiten Palette
von interaktiven Anwendungen:
Virtuelle Museen, Computerspiele
à la Myst, Lernsoftware, Präsentationen und – wie könnte es
auch anders sein! – auch E-Commerce-Anwendungen lassen sich
mit Director erstellen. Der Vorteil
ist die Plattformunabhängigkeit:
Dank Player für die beiden wichtigsten Plattformen laufen solche
Anwendungen unter Windows
und Mac – und mittels PlugIns
in den allermeisten Browsern. Das
Shockwave-Format ist einigermassen kompakt und eignet sich
daher auch fürs Internet – mit
dem Vorbehalt, dass man aus
Rücksicht auf die vielen, immer
noch per Analogmodem surfenden Webbenutzer nur wichtige und vom Benützer gesuchte
Informationen als Shockwave-Film
anbieten sollte. Ein 3-D-Werbebanner ist Unfug, auch wenn
Macromedia das Gegenteil
behauptet!
Web-Publishing
Geometrie, Animationen etc. in der
Exportdatei belegen. Mit diesen Angaben kann der Multimediaproduzent die
Qualität gezielt in denjenigen Bereichen reduzieren, wo es später nicht
auffallen wird. Und unbenützte Features lassen sich ganz vom Export ausschliessen.
Beeindruckend realistisch
Für die Animation und die möglichst
realistische Entstehung virtueller
Welten hat Macromedia eine Menge
an Möglichkeiten in den neuen Director
gepackt. Modelle lassen sich mit physikalischen Eigenschaften versehen. Dies
führt dazu, dass sich Objekte absolut
glaubwürdig verhalten, wenn sie fallen
gelassen oder beschleunigt werden.
Es wirkt überzeugend, wenn via Maus
im virtuellen Casino Spielchips auf
den Pokertisch fallen gelassen werden
oder die Würfel übers Backgammonfeld
rollen. Ebenso wirklichkeitsnah wirken
eine sich kräuselnde Wasseroberfläche, aufsteigender Rauch, im Wind
flatternde Flaggen oder durch Partikelsysteme erzeugte Funken oder Feuerstürme. Die so genannte «Collision
Detection» erlaubt es dem Multimediaproduzent, darauf zu reagieren, wenn
zwei Modelle aneinander stossen: Ein
entscheidendes Feature, damit mein
eben designtes Auto nicht zum Geisterwagen wird und mühelos durch Wände
fährt. Schliesslich lassen sich Modelle
mit «Knochen» ausstatten. Ein solches
Skelett aus Datenpunkten sorgt dafür,
dass die Animation wie die eines richtigen Körpers wirkt und die Bewegungen natürlich scheinen.
Praxistest:
Ärger mit der Installation
Keine Frage – mit Director wird beispielsweise das Entwickeln von 3-DSpielen sehr viel einfacher.
Ein Praxistest zeigt, dass man schnell
erfreuliche Resultate erzielt – wenn
denn die erste, dornige Hürde genommen ist: das Setup. Es verweigerte sich
schon ganz zu Beginn: Auf CD-Hülle
und Registrierungskarte gabs nicht nur
eine, sondern eine ganze Auswahl an
Seriennummern. Doch keiner dieser
alphanumerischen Zaubersprüche war
geeignet, das Wunder der Installation
zu bewirken. Da man ja die Schuld
immer zuerst bei sich sucht und an
seiner Fähigkeit zweifelt, eine vierundzwanzigstellige Ziffernfolge fehlerfrei
abzutöggeln, vertrödelt man mit frustrierenden Versuchen erst einmal eine
Menge Zeit.
In einem nächsten Schritt versuchte der
verzweifelte Softwaretester, die Prerelease-Version des Reviewer’s Guide zu
installieren. Was klappte: Diese mit
einem Verfallsdatum ausgestattete Vorabversion des Director lässt sich sogar
starten, allerdings muss dazu das Systemdatum ein paar Monate zurückgedreht werden. Nun, leider arbeiten da
noch nicht alle Funktionen ordnungsgemäss – besonders der für den Publisher-Test entscheidende Import eines
3-D-Modells will und will nicht klappen.
Publisher 4·2001
Der lange Rede kurzer Sinn: Mit einer
Seriennummer aus dem Internet gelingt
die Installation der finalen Fassung
und der Test kann beginnen!
Die Arbeitsweise ist verblüffend einfach
und für geübte Directoren unspektakulär: Man importiert ein Modell, welches
dann im «Cast»-Fenster erscheint. Per
Maus kann man so einen Schauspieler – egal, ob Auto oder Dromedar –
auf die Bühne ziehen. Auch einfache
Interaktivität wird per Mausklick hinzugefügt. Aus der Bibliothek zieht man
per Drag&Drop eine «Action» auf sein
Modell. Platziert man die Action «Automatic Model Rotation» auf seinem
Objekt, dann braucht es nur noch einen
Klick auf «Play», damit sich das Auto
oder Dromedar um seine eigene Achse
dreht.
Rotierende Autos,
rennende Dinos
Auch eine Aktion, die der Benützer per
Maus auslöst, ist nicht sehr viel schwerer zu programmieren. Man wählt beispielsweise die «Dolly Camera» aus der
Actions-Liste und weist sie einer selber
zu bestimmenden Verhaltensgruppe
zu, beispielsweise «Ansicht». In einem
zweiten Schritt zieht man einen
«Trigger» auf sein Modell. «Trigger»
sind, nebenbei bemerkt, durch den
Benützer ausgelöste Ereignisse wie
Mausklicks oder Tatastureingaben. In
den Eigenschaften von gewählten Triggers «Mouse left» steht nun die vorher
definierte Verhaltensgruppe «Ansicht»
zur Auswahl: Zu wählen ist also «Group
Ansicht: Move Camera in». Startet man
nun den Film, braucht es lediglich
eine Betätigung der linken Maustaste,
damit die Kamera aufs Modell zoomt.
Den für diese Funktionalität benötigten Lingo-Code generiert Director automatisch. Wer möchte, kann ihn im
Scriptfenster ansehen oder modifizieren.
Per Drag und Drop aus der Bibliothek gezogene und auf dem 3-D-Modell platzierte
Actions bringen dem Shockwave-Film bei, wie er mit dem Benutzer zu interagieren
hat.
300 Lingo-Befehle für 3-D
Mit diesen Tricks kratzt man gerade
mal an der Oberfläche. Über Lingo
können die Modelle selbst verändert
werden, wenn sie dafür zu Entwurfszeit
vorbereitet wurden. 300 neue LingoBefehle nur für den 3-D-Bereich haben
in Director 8.5 Einzug gehalten.
Neben den 3-D-Fähigkeiten hat Director weitere, wenn auch nicht unbedingt
bahnbrechende Funktionen erhalten.
Neu unterstützt das Format eingebette
Flash-Animationen und Real-Audiound -Video-Übertragungen. Der Shockwave-Multiuser-Server verkraftet in der
neuen Version bis zweitausend Benutzer gleichzeitig.
Macromedia hat Director einer konsequenten Weiterentwicklung unterzogen. Die Entwicklung von MultimediaAnwendungen – mit oder ohne 3-D
– bleibt eine knifflige Angelegenheit,
aber wenigstens macht es das Werkzeug dem Entwickler nicht schwerer als
nötig.
n
Update von Version 8.0: 399 Franken;
Vollversion: 3519 Franken.
Infos: www.macromedia.ch
Als Shockwave-Film ist der rennende Dino 139 Kilobytes gross ...
... und damit sich dieses Karussell dreht, müssen 682 Kilobytes übertragen werden.
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